The Legend of Starfall [Winterhauch & Nico]

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    • Das Lächeln unter der Maske von Orcas konnte lediglich erahnt werden, da außer einem leichten "hmpf" nicht viel zu hören war.
      "Unfreiwillig, soso", murmelte er blechern und schüttelte den Kopf. "Ich hätte vielleicht noch etwas Kraut dagegen, wenn Sie mir nur eine Sek-"
      In derselben Sekunde zischte ein metallenes Objekt an seinem Ohr vorbei und schlug gegen Florence. Erstaunlich an dieser Sachlage war für den Zauberer nur, dass es ihn so knapp verfehlt hatte. Schlagartig beendeten die Kämpfenden Trigg und Clara ihr Gebalge und blickten erstaunt zu Florence, die das Gleichgewicht gerade noch so zu halten vermochte. Orcas wandte sich in aller Seelenruhe um, um die Herkunft des metallenen Objekts festzustellen und murmelte:
      "Ei der Daus...Das war ein Schock nicht wahr?"
      "DU BIST GAR NICHT ERSCHROCKEN!", brüllte Trigg, Clara und Chimp anklagend dem Zauberer gegenüber.
      Selbst die Neugierde des Affen war nunmehr geweckt. Dieser schlug abrupt sein Buch zusammen und packte es in seinen Rucksack, den er stets bei sich zu tragen schien. Mit wippendem Hut und genervtem Gesicht tappste er in Richtung von Florence, ehe die Eule den Beschützer mimte.
      An dieser Stelle sei angemerkt, werter Freund, dass Chimp durchaus kein Verächter der Kunst war. Im Gegenteil. Der Affe erfreute sich immer wieder den jüngsten Darbietungen einer gewissen Tanzgruppe aus Wesyn, welche sie zu wenig besuchten und gleichzeitig erschien er gänzlich in Maschinentechnik interessiert zu sein. Was Florence vielleicht nicht bedachte, dass dieses Interesse weitaus über literarisches Interesse hinaus ging. So legte er den Kopf schief und sah genervt zu der Blecheule, die sie hinfort zu scheuchen ersuchte.
      Orcas trat sogar erstaunt einen Schritt zurück, während Nightingale den Kopf in die Handfläche stützte.
      "Warum kommen immer neue Viecher auf mein Schiff...", murmelte er genervt und sah zum Himmel. "Bitte...Ihr Götter...Gebt mir genügend Willensstärke, sonst schicke ich euch diese Irre schon vorzeitig hoch..."
      "Was ist denn das für ein Blechding?", fragte Chimp unnötigerweise.
      Trigg, der sich aus den Fesseln der Takelage und dem Würgegriff der jungen Clara befreit hatte, stolperte herbei und sogleich einen Schritt zur Seite.
      "Was ist denn hier- WUAAAH!- Es spricht! Das Blechding spricht! Die sollten nicht sprechen, oder?"
      "Hey!"; rief David blechern und erzürnt.
      "Sorry, David!", rief er über die Schulter und sah wieder zur Eule. "Wir sind aber mitnichten Unholde, nicht wahr? Ich meine..."
      "Also eigentlich...", begann Orcas.
      "Sowas von!", nickte Chimp und Clara nickte ihr Seligstes hinzu.
      "Nun, offenbar versucht die Eule die junge Dame zu schützen"; bemerkte der Zauberer und beugte sich auf ein Knie herab. "Würdet Ihr mir wohl Euren Namen verraten, Herr Eule?"
      "Herr Eule...", äffzte Chimp und schnaubte. "Das ist eindeutig ein mechanisches Konstrukt. Bestimmt interessant, das auseinanderzunehmen."
      "KLAPPE JETZT!"
      Nightingales Stimme übertönte nun einmal jede gute Stimmung, dachte Trigg und seufzte. Der Kapitän war hinzugetreten und sah die Eule mit ihrem Gehabt und Florence an, der er gerade mehr Freiheiten zugestanden hatte. In seinem Blick herrschte durchaus nicht zu übersehene Wut, wenn man bedachte, dass nun noch ein blinder Passagier an Bord war.
      "Also...", begann er und sah Florence an, die Blecheule komplett ignorierend.
      "Würden Sie mir wohl sagen, was das hier ist?"

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    • Angesichts der Dreistigkeit der Crewmitglieder plusterte die Eule sich regelrecht auf.
      Dabei quietschten die filigranen Federkiele und unter dem glänzenden Federkleid zischte es leise bis etwas Dampf aus den Zwischenräumen entwich. Das lautstarke Durcheinander schien den Blechvogel zu verstimmen, denn er klapperte aufgebracht mit dem Schnabel, der durchaus eine beachtliche Schärfe besaß um einen Menschen um ein Fingerglied zu erleichtern. Ruckartig drehte das vogelartige Konstrukt der Kopf in einem scharfen Winkel zur Seite um den aufdringlichen Affen misstrauisch zu beäugen.
      "Unverschämtheit! Bei allem Respekt, hier wird niemand auseinander genommen. Ich bestehe daher darauf, dass Sie ihre haarigen Griffel bei sich behalten!", scharrte die Eule empört. "Verzeihen Sie meine unflätigen Ausdrucksweise, Miss Cartwright. Eine Dame sollten solche Dinge nicht zu Ohren kommen!"
      Mit einem gedehnten Seufzen griff sich Florence an die Nasenwurzel.
      "Archie, beruhig dich...", sprach sie mit gezwungener Ruhe woraufhin die Eule tadelnd mit dem Schnabel quietschte.
      "Für Sie immer noch Sir Archimedes, junge Dame!", beschwerte sich die Metalleule mit dem ehrwürdigen Namen und hüpfte auf klickenden Krallen über die Holzbohlen, als sich die befremdliche Crew weiter um sie scharrte. Die Höflichkeit des maskierten Zauberers schien jedoch eine Ton der Anrede getroffen zu haben, die Archimedes zusagte, denn die Eule legte den Kopf in einem extremen Winkel schief bis das Antlitz beinahe auf dem Kopf stand und entließ ein seufzendes Zischgeräusch.
      "Endlich eine Person mit Manieren unter unverschämten Raufbolden!", kommentierte Archimedes und wurde zu seinem großen Ärgernis von einem finster dreinblickenden Kapitän unterbrochen, der für den Geschmack der Eule ein wenig zu nah an Florence herantrat.
      "Nun ja, das ist Archie und...", begann Florence mit einem Schulterzucken und suchte nach den richtigen Worten, da wurde sie auch schon mit einem höflichen Räuspern unterbrochen.
      "Wenn Sie mir erlauben, Miss..", ertönte zwischen den Füßen neugieriger Besatzungsmitglieder und der frustrierten Kartografin, die es tatsächlich wagte die Augen zu verdrehen und es augenblicklich aufgrund der dröhnenden Kopfschmerzen bereute.
      Archimedes tänzelte über die Holzbohlen des Schiffsdecks und verdrehte sein Haupt zunächst in alle Richtungen ohne dabei den Rumpf zubewegen, wie es seine lebendigen Verwandten aus Fleisch und Blut taten. Beinahe anmutig streckte die Eule kurz die imposanten Schwingen im Sonnenlicht aus, ehe er den rechten Flügel vor dem Rumpf zusammenschlug und den linken zur Seite ausgestreckt hielt um eine Verbeugung zu vollführen. Anständige Begrüßungsmanieren hatten noch niemandem geschadet.
      "Meine Wenigkeit trägt den Namen Sir Archimedes und ich erfülle die ehrenvolle Aufgabe als Reisebegleiter von Miss Cartwright. Mein Erschaffer Cornelius Ainsworth konstruierte mich als Spielgefährten und Begleiter für seine Enkelin, wenn er auf Reisen ging und nicht zugegen war um sie mit Geschichten seiner Abenteuer zu erfreuen. Seit frühster Kindheit wache ich über das junge Fräulein und erheitere sie mit Humor und Charme in Zeiten des Verlustes und..."
      "Archie!", ging Florence dazwischen. "Halt den Schnabel!"
      Archimedes schnappte beleidigt und vor allem lautstark zischend nach Luft.
      "Junge Dame!", empörte er sich, doch die Kartografin hatte sich bereits wieder zu Nightingale umgewandt.
      "Zugegeben er ist eine unfassbare Nervensäge, aber ich verspreche er wird keinen Ärger machen.", seufzte sie. "Mein Großvater hat seine Persönlichkeit dem ehemaligen Hausbutler der Ainsworth nachempfunden, dementsprechend hat er einem ziemlichen Stock in seinem metallischen Hintern, aber er ist harmlos."
      Trotz der Worte liebte Florence den eigenwilligen Vogel abgöttisch. Er war alles, was ihr von dem geliebten Großvater geblieben war.
      Zu den Füßen aller klapperte Archimedes über alle Maßen aufgebracht mit dem Schnabel und sämtlichen Zahnrädern, die seinen Körper am Laufen hielten. Er hatte mittlerweile damit angefangen sichtlich beleidigt die verstreuten Zahnrädchen einzusammeln und steckte diese quietschend und dampfend wieder unter das künstliche Federkleid. Als er damit fertig war, verschränkte er die Flügel in beleidigter Haltung vor der Brust.
      "Unerhört...Nervensäge sagt sie. Undankbar...immer aufopferungsvoll gekümmert."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Nach der Bemerkung hinsichtlich der Manieren des Ein oder Anderen herrschte erstmals Stille auf dem Kahn, ehe sie geschlossen in Gelächter ausbrachen. Selbst Trigg, der zuerst nur schmunzelte, verfiel in sein merkwürdiges Gelächter, wobei es klang, als würde er einen Knoten in seinen Hals ziehen. Selbst Chimp lächelte schief als er die Eule ansah und schüttelte den Kopf.
      "Shurororororo", geierte er und hielt sich den Bauch. "Orcas und Manieren..."
      "Ich muss doch wirklich bitten!", protestierte der Zauberer und sah zu Trigg.
      Clara, die sich wiehernd den Bauch hielt zeigte auf den Zauberer und rief lautstark:
      "Er ist derjenige, der Frauen ohne Zucken nach der Farbe ihrer Wäsche fragt!"
      "Wissenschaftliche ZWecke! Es dient wissenschaftlichen-"
      "Schöner Begriff für Schwanz", murmelte Chimp und begann, achtlos in der Nase zu bohren.
      Selbst Nightingale kam nicht umhin, kurz zu schmunzeln, ehe er die Mannschaft mit einem lauten Stampfen seines Stiefels wieder einfing. Schweigsam lauschte er der Eule, wie sie sich vorstellte und zog kurzzeitig eine Augenbraue hoch. Ainsworth? Den Namen hatte er lange nicht mehr gehört. Wie lange mochte es her sein? Vielleicht fünfzehn Jahre? Zwanzig? Trigg zuckte kaum merklich zusammen als der Name ihres Großvaters fiel und schielte kurz zum Kapitän, der sein Gewirre mit einer Geste abtat.
      "Nervensäge trifft es wohl, Cartwright", grunzte Nightingale und sah zu der kleinen Eule, ehe er sich auf ein Knie herabbeugte. Eine der wenigen Dinge, die er für diese Wesen tat. "Damit das klar ist, Sir Archie-wasauchimmer", begann er und wies mit einem Zeigefinger auf die quietschende kleine Blechbrust. "Für dich gelten dieselben Regeln wie für die Miss. Mein Schiff, meine Regeln. Halt dich dran und wir werden ein Herz und eine Seele. Breche sie und ich baue dich auseinander und hefte dich an mein Schiff zur Zierde. Klar soweit?"
      Dennoch war auch Nightingale nicht entgangen, dass die kleine Miss Cartwright offenbar einigen Verlust durchgemacht hatte. Wer nicht, konnte man fragen, aber auch in jungen Jahren veränderte dies Menschen. Wer konnte da nicht aus Erfahrung sprechen in Zeiten wie diesen.
      Schweigsam entfernte sich der Kapitän langsam von der restlichen Crew die noch eine Weile um die Eule herum standen, ehe sie wieder ihren Pflichten nachkamen. Trigg blieb am längsten, zwinkerte Florence einmal zu und eilte dann Nightingale hinterher, ehe er ihm am Bug abfing.
      "Liam!"
      "Was?"
      "Ich...also ich weiß, du willst nicht drüber reden..."
      "Wenn du es schon weißt, brauche ich es dir nicht mehr sagen", grinste Nightingale süßlich und griff nach einer kleinen Luke auf dem Hauptdeck. Sie führte ins Lager und brachte ihm zumindest die nötige Ruhe um nachzudenken.
      "Also...Die Kleine...Und Ainsworth...", stammelte Trigg und fuhr sich durch das lange, dunkle Haar. "Wer hätte das gedacht, nicht wahr?"
      "Ja...Wer hätte das gedacht. Hör zu. Gib ihr für die Tage ein Mannschaftsquartier. Sie schläft bei euch und nicht in der Bilch, wenn sie sich an die Regeln hält, verstanden?"
      "Wieso..."
      "Geht dich nichts an", beendete Nightingale das Gespräch und verschwand nach unten um die Ladung zu inspizieren. Es wurde ohnehin zu viel geredet. Und ihnen standen schwere Tage bevor. Nur die Himmel wussten, wie sehr er diesen Satz unterschätzte

      3 Tage später
      Die Splitterreiche
      Million Towers, 8. Bezirk "Coldhaven"


      Million Towers war bereits am zweiten Tag der Reise in Sicht gekommen.
      Mit dem Überqueren der Kesselberge war es unmöglich, die Ansammlung aus schwarzen Türmen und den Rauch, den die unteren Etagen umwaberte, zu übersehen. Die Dornen ragten die namensgebenden Türme der Stadt aus dem Dickicht des Nebels empor, als grüßten sie die Ankömmlinge und ließ sie gleichzeitig wissen, dass eine ausweglose Rettung bevor stand.
      Als erster erblickte Trigg das rettende Land. Seiner Aufgabe entsprechend hatte er die Nachtwache übernommen und seinen Lieblingsplatz neben der Bugecke eingenommen, um die aufgehende Sonne hinter ihnen zu grüßen. Sie waren mit Absicht gegen das Licht des Tages gesegelt, sodass es nicht auffiel, dass ein Piratenschiff Einzug in den 9. Bezirk hielt.
      Folgsam hatte er den Kapitän geweckt, der sogleich die Flagge hatte einholen lassen. Es war wichtig, dass sie als Schrotthändler durchgingen, weshalb Teile der Ladung eifrig noch in den frühen Morgenstunden auf dem Oberdeck verteilt wurden. Nightingale stand an Deck und bereite ein kleines Landungsboot vor, das mit einem eigenen Dampfantrieb ausgestattet war. Das Segel lag zusammengefaltet im Schiffsbauch und es war offensichtlich nicht für mehr als einen Menschen ausgelegt. Der Rumpf bestand aus schwerem Holz mit zwei horizontal ausfahrbaren Flügelstrukturen, die man mit einer Art Leinen bespannt hatte. Von unten hätte es einem kleinen Vogel gleichen könenn, wenn nicht der Dampf vom Heck des Schiffes gewesen wäre. Gerade startete er den Motor, als er zu Trigg blickte.
      "Du hast das Kommando solange ich fort bin", sagte er und zog an der Leine. Knatternd und rörend begann der Motor sich in Bewegung zu setzen und hörbar quietschend tat es auch die Hydraulik des Schiffes, das sogleich mit einem surrenden Geräusch vom Deck abhob. Jedoch nur ein paar Zentimeter, ehe es innehielt und auf seinen Steuermann wartete. "Ich verlasse mich auf dich, dass du es nicht versenkst!"
      "Aye, Captain", murmelte Trigg und sah zur Crew die bereits geschäftig die Landung vorbereitete. "Was ist mit Cartwright?"
      "Wie versprochen...Lass sie im 9. Bezirk frei. Von dort aus hat sie Zugang zu den Schiffen. Lasst die Außentrasse nach Arnauds Anweisung reparieren und gib mir Bescheid wenn ihr durch seid. Ich stoße auf dem Rückweg wieder zu euch."
      "Denkst du nicht, du solltest bei uns bleiben?", fragte Trigg unsicher und sah zu den Türmen hin. Schwarz wie die Nacht und gespickt mit Abermillionen Fenstern wirkten sie wie Augen. "Ich fühle mich unwohl in den Towers."
      "Nein, ich denke, es ist besser, wenn ich Niemandem dort begegne..."
      "Irgendwann werden sie das Kopfgeld vergessen."
      "Klar", grinste Nightingale. "Und mein Name ist Hase."

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    • Die Splitterreiche
      Million Towers, 8. Bezirk "Coldhaven"

      Die Kesselberge türmten ähnlich stillen Wächtern im Rücken der Kartografin auf.
      Ohne ein Luftschiff dauerte es Ewigkeiten das Herzland der Splitterreiche zuverlassen und in Million Towers eine geeignete, bezahlbare und mindestens halbwegs ehrbare Mitfahrgelegenheit zu bekommen, war nicht so simpel wie es sich anhörte. Florence warf seufzend einen letzten Blick zurück über die Schulter in Richtung der Berggipfel, die von dichten Wolken umhüllt waren. Fast bildete sich die Frau ein den sehnsüchtigen und wundervollen Gesang der Wolkenwale in der Ferne zu hören. Der Klang ähnelte einem wehmütigen Abschiedlied, dass Florence bis tief ins Herz erreichte und dort einem Echo gleich verhallte.
      Den gesammten frühen Morgen hatte Florence neugierig das bunte und geschäftige Treiben an Deck beobachtet und sich wie gewohnt im Hintergrund gehalten. Tatsächlich war die temperamentvolle Frau in den letzten Tagen auffällig still gewesen. Beinahe friedlich hatte sie neben der Crew der Starfall coexistiert und sich mit der spärlichen Auswahl alter Bücher begnügt, die jemand vor ewigen Zeiten in der kleinen Kajüte vergessen hatte, die Trigg ihr zugewiesen hatte. Sie hatte sich kurz gefragt, wer einmal in diesem Quartier genächtigt und seine Habseligkeiten in aller Eile zurückgelassen hatte. Allerdings war es dringlicher gewesen den Geruch nach billigem Rum und dem Dunst der Bilch aus ihrer Kleidung zu bekommen. Zu ihrem Glück ließen sich die Kleidungsstücke retten, wenn auch mit ein paar Rissen und schlecht geflickten Löchern mehr. Es würde reichen um in Million Towers zumindest nicht sofort als Tochter eines wohlhabenen Mannes aufzufallen. Vermutlich hätte sie sich sonst gleich ein Schild umhängen können: "Mein Vater ist reich. Bitte entführt mich! Rechtherzlichen Dank!"
      Archimedes kreiste unermüdlich mit Argusaugen über dem Luftschiff und behielt die Enkeltochter seines Konstrukteurs wachsam im Auge. Es grenzte an unfreiwillger Komik sobald er den Versuch unternahm einen etwas zu freundlichen Silas Trigg mit Schimpftiraden und flatternden Schwingen davon zu scheuchen. Dieselbe Behandlung bekam auch Arnaud, wenn er einmal aus dem Maschinenraum auftauchte. Die Drohung des Kapitäns hatte dennoch für die meiste Zeit der dreitägigen Reise seine volle Wirkung gezeigt und auch Florence genoss die Stille sowie sie gleichzeitig das Geplapper vermisste.
      Die Mannschaft hatte sie überwiegend mit Ignoranz beschenkt und dem unfreiwilligen Passagier keine übermäßige Beachtung geschenkt. Florence war darum nicht böse. Sie hatte nicht vor an Bord dieses Schiffes neue und fragwürdige Freundschaften zu schließen. Clara erdolchte die Kartografin mit Blicken, dass Letzte einen großen Bogen um die Schützin machte. Ben war nach ihrer wenig charmanten Anfuhr ebenfalls auf Abstand gegangen und Chimp...naja, war eben Chimp wie sie schnell feststellte und sie sie war dankbar für das Ausbleiben weitrer Ankündigung über ihr baldiges Ableben. Auch David, der blecherne Steuermann blieb ihr Fern, allerdings erwischte sie Archie manchmal dabei wie dieser in der Nähe des Roboters auf der Reling niederließ, sofern dieser sich am Steuerrad aufhielt. Oracas ließ sich hin und wieder zu einem Plausch hinreißen, aber abgesehen davon, ließ die Crew Florence in Ruhe.
      Nun stand sie im nebligen Morgen an Deck, die Brille, die Nightingale bisher nicht zurückgefordert hatte in die lockige Haarmähne geschoben, und beobachtete wie sich der Kapität mehr oder minder heimlich davon machte bevor sie ihr Ziel erreichten.
      Million Towers war ein beeindruckender Anblick täuschte aber nur wenig darüber hinweg, dass es durchaus genügend zwielichtige Ecken gab im tiefen Sumpf der Stadt. Es roch nach Qualm, Treibstoff und Rost.
      Das kleine Landungsbott verschwand knatternd und dampfend zwischen den riesigen Türmen, die auf sie herabstarrten als wären sie kleine, fliegende Insekten.
      Langsam trat sie an die Reling heran und sah dem Kapitän nach.
      "Hat Dreck am stecken, hm? Das Kopfgeld soll sehr beträchtlich sein. Hab ich gehört.", sagte Florence und lehnte sich mit den verschränkten Armen auf die Reling.
      Mit einem Seitenblick sah sie zu Trigg, der ungewöhnlich ernst dreinblickte. Fast so, als sei jemand gestorben.
      Er war genauso ungerne in dieser Stadt wie die meisten der Crewmitglieder.
      "Alles ok? Du siehst blass um die Nase aus, Trigg.", fragte sie und biss sich im gleichen Augenblick auf die Zunge. Da hatte sie sich drei Tage erfolgreich von Smalltalk ferngehalten um jetzte kurz vor dem Schritt in die Freiheit ihre eigenen Regeln zu brechen. Aber der dreiste Entführer und Dieb war der Einzige gewesen, der in dieser Zeit ein freundliches Wort verloren hatte. Es kam ihr nicht richtig vor nichts zu sagen.
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      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Winterhauch ()

    • Trigg sah seinem Kapitän noch eine ganze Weile nach, während er einsamen Gedanken nachhing. Es war schwierig, auch nur einen Gedanken zu fassen, während er gleichzeitig die Türme unter sich schweben sah. Es war schwer, immer wieder hierher zu kommen und die Gesichter zu sehen oder gar die Schreie zu hören. WIe sollte man auch ein derartiges Massaker vergessen? Schweigsam lehnte er an der Reling, das Tau zum Befestigen des Beiboots in den Händen und sah dem Kapitän nach, wie er durch die Türme steuerte und in der Versenkung des immergrauen Himmels der Stadt verschwand.
      Unter ihnen erwachte die Stadt mehr und mehr zum Leben, je näher sie dem 8. Bezirk kamen. Coldhaven war dem Namen nach durchaus ein Hafen für die meisten. In luftigen Höhen gab es unzählige Landedocks, die von den drei großen Werften der Stadt entsprechend versorgt wurden. Über und über wirkten die näher kommenden Türme wie Termitenbauten, die vor Leben nur so zu trotzen schienen obgleich selbst der lebensfrohe Trigg lediglich die Tristesse der Großstadt verspürte.
      Als Florence das Wort an ihn richtete, erwachte er mit einem seichten Schulterzucken zum Leben und begann, das Seil entsprechend am Rumpf zu vertäuen.
      "Auf einmal ein wenig Smalltalk, Werteste?", grinste er über die Schulter und versuchte, die Bleichheit seiner Haut und das Ernste aus seinem Gesicht zu wischen.
      Heute hatte er dazu ein hellrotes Brokathemd aus dem Schrank aufgetan und seinen Unterleib in schwere Lederhosen geworfen, die am Ende von ebenso schweren Lederstiefeln gekrönt wurden. Damit er nicht fror, trug er einen ärmellosen Mantel, der mehr schlecht als recht die Wärme isolierte. Aber zumindest war das schwarz-rote Muster darauf einwandfrei.
      "Mit mir ist alles in Ordnung, wenn es dich so sehr interessiert", kicherte er und drehte sich zu ihr um, ehe er über die Schulter mit dem Daumen zeigte.
      "Der Kapitän? Meine Liebe, wir haben alle Dreck am Stecken. Wir sind Piraten", zuckte er mit den Schultern und seufzte. "Aber nein, es ist nicht wirklich wegen dem Kopfgeld. Das gilt überall in den Splitterlanden und das ist ihm, so glaube ich, recht gleich. Der Kapitän besucht die Gräber seiner und meiner Familie, wenn er hier ist, das ist alles."
      Das Grinsen, das sich auf sein Gesicht legte, zeigte eine nie dagewesene Mixtur aus Trauer, Ernst, Fröhlichkeit und der Vergänglichkeit allen Lebens. Als würde dieser Mann vor Florences Augen um 10 bis 20 Jahre altern und gleichsam wieder verjüngen. Schweigsam verschränkte er die Arme vor der Brust und sah in Richtung des Bugs. Bald schon würden sie die Werft der zweitgrößten Firma erreichen. Die Galleyla-Werft galt als fähige Schiffsbauer, jedoch leider nicht wirklich für Korruption zu haben. Sie waren dennoch die einzige Chance, die sie hatten, um die Außenteile zu reparieren, damit die Reise weitergehen konnte. Eine Reise, deren Ziel sie alle noch nicht wirklich zu kennen glaubten.
      "Und wie geht es dir?", fragte er schließlich. "Ich nehme an, du freust dich auf die Aussicht auf Freiheit, nicht wahr?"

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    • "Darf ich dich daran erinnern, Trigg, dass ich immer noch unfreillig auf diesem Schiff bin?", murrte Florence als Antwort, während der Blick über die schwarzen Türme glitt. "Das ist eine Entführung keine Kreuzfahrt inklusive Sightseeing mit Zwischenstopp in Million Towers. Eine schlechte Basis für Smalltalk, findest du nicht?"
      Florence wusste nicht, ob es anerzogene Höflichkeit war oder ehrliches Intresse an seiner Verfassung, was sie dazu veranlasste mit Trigg das Gespräch zu suchen. Vielleicht forderte die gähnende Langeweile der letzten Tage auch einfach ihren Tribut. Stille lag der Kartografin nicht, denn es gab den eigenen Gedanken zu viel Freiraum. Allerdings ließ sich nicht abstreiten, dass ein Funken an Mitgefühl angesichts der tristen Miene des Piraten an ihrer Seite einschlich. In den letzten drei Tagen hatte sie reichlich Zeit gehabt, die Crew der Starfall aus sicherer Distanz zu beobachten und bisher hatte sie Silas Trigg für einen Mann gehalten, dem Ernsthaftigkeit ein Fremdwort war. Die grimmige, brütetende Miene stand Kapitän Nightingale eher zu Gesicht als seiner rechten Hand.
      "Ich kann tatsächlich auch freundlich sein, wenn ich möchte.", scherzte Florence mit einem zarten Grinsen, dass ein kleines Grübchen in die Mundwinkel zauberte. Unter anderen Umständen wäre eine Begegnung mit Silas sicherlich amüsant geworden, aber wie hieß es so schön: Sie hatten sich auf dem falschen Fuß erwischt. Auf das Kommentar hin, dass sie alle auf diesem Schiff keine harmlosen Lämmchen waren, drängte sich bereits die entsprechende Erwiderung auf ihre Zunge. Aber Florence hielt inne.
      Das Grinsen verging ebenso schnell, wie es erschienen war.
      Nachdenklich stützte sie das Kinn in die Hand und ließ die unerwartet, ehrliche Antwort auf sich wirken. Eine Art von Verständnis, dass nicht wirklich greifbar war, legte sich flüchtig über ihren Ausdruck. Ein wenig legte Florence den Kopf in ihrer Hand schief auf die Seite und sah Trigg an ohne den Blick abzuwenden. Das Licht des beginnenden Tages schimmerte auf dem gesplitterten Perlmutt der Muscheln an ihrem Handgelenk.
      "Es tut mir leid, das zu hören, Trigg. Wirklich.", antwortete Florence mit bisher ungezeigter Aufrichtigkeit. Die Bissigkeit war aus ihrer Stimme verschwunden. "Solltest du ihn unter diesen Umständen nicht begleiten?"
      Die Crew dieses Schiffes mochte eine uneghörige Bande von Raufbolden, Unruhestiftern und Schlimmerem sein, aber der Verlust der Familie hatte niemand verdient. Dabei spielte es keine Rolle wie ungehobelt die Männer und Frauen an Bord waren. Trauer traf sie alle auf unterschiedlichste Art und Weise. Sie fragte sich was geschehen war, aber sah sich nicht in der Positione eine derart persönliche Frage zu stellen. Es ging sie nichts an und sie würde ohnehin bald fort sein. Unbewusst fuhr die mit den Fingerspitzen über die zarten Muscheln, ehe sie sich räusperte und Trigg nur allzugerne beim Themenwechsel folgte.
      "Freuen?", überlegte Florence. "Ja, das sollte ich wohl. Ich organisiere mir eine Mitfahgelegenheit zurück nach Wesyn. Wenn ich recht darüber nachdenke, war ich schon sehr lange nicht mehr Zuhause. Allerdings glaube ich nicht, dass mich dort jemand großartig vermisst hat. Falls überhaupt jemand bis auf die Besatzung der Leviathan gemerkt hat, dass ich verschwunden bin in der kurzen Zeit. Es ist nicht unüblich, dass ich mich übere längere Zeit nicht melde."
      Ein schiefes Grinsen legte sich auf ihre Lippen. Die Drohung zu Beginn ihrer chaotischen Entführung war ein Bluff gewesen. Und die Vorzeigetochter war immerhin zu Hause und präsentierte die Familie mit dem gewünschten Anstand. Und Theo hätte die Idee gefallen in der Stadt der schwarzen Türme zu bleiben. Wesyn war ihm immer zu klein vorgekommen, zu provinzial, zu aristokratisch.
      "Vielleicht bleibe ich auch noch ein bisschen. Ich hatte nie die Zeit mir Million Towers genauer anzusehen."
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    • Triggs schwaches Grinsen wurde zu einem verhaltenen Kichern, ehe er sich in Bewegung setzte und die Taue an der Außenwand des Decks verstaute. Es war immer gefährlich, die Schlingen auf den Dielen verweilen zu lassen. In ihrer beider Rücken tuckerte die Dampfmaschine sachte vor sich hin, während der Wind um den Zeppelin peitschte und diesen mehr und mehr ins Wanken brachte. Es wurde Zeit, dass sie landeten und sich eine Ruhepause genehmigten.
      "Zugegeben", grinste er. "Ein wenig unangenehm mag es wohl sein, als Gefangene hier zu sein. Aber das du freundlich sein kannst, wirst du mir eines fernen Tages einmal beweisen müssen, wenn wir uns wiedersehen."
      Denn man sah sich immer wieder. Zumindest in der Auffassung von Trigg, der die halbe Welt bereits gesehen und wieder vergessen hatte. Zumindest wenn es nach den Berichten der Dirnen ging, die er um sich scharte. Grinsend winkte er ab und winkte bereits Clara, die ihn zu einem Ort bugsieren wollte ab. Immerhin war auch Florence ein geschätzter, unfreiwilliger Gast. Was also sprach gegen ein kurzes Pläuschchen, während die Wolken grauer wurden und sich verdichteten?
      Mittlerweile trat bereits das Geräusch von Hämmern an ihre Ohren, die auf unzählige Tonnen von Metall einhieben. Die Werft war dafür bekannt, große Metallstücke aus den Minen des Nordens zu bergen und diese wieder neu für den Schiffsbau zu verwerten. Einige der Hochadeligen sprachen sich gegen derartige Praktiken aus, aber die Preise für Schiffe explodierten, seitdem die Reiche Krieg führten.
      "Es muss dir nicht Leid tun", sagte Trigg und lehnte sich mit dem Rücken an das grobe, gegerbte Holz der Reling und verschränkte lächelnd die Arme vor der Brust. "Es ist lange her. Und schon lange vorbei. Und meine Familie möchte ich ehrlich gesagt nur ungern sehen!"
      Das merkwürdige Lachen voran stieß er sich ab und ging ein paar Schritte in Richtung Bug, wo bereits das Landungsdock sichtbar wurde.
      "Hattest du nicht gesagt, man würde die Welten nach dir absuchen?", kicherte er aggressiv und seufzte anschließend, ehe er den Kopf schüttelte, sodass sein Haar in einer großen dunklen Mähne umher flog. Der Mantel flatterte im Wind wie ein zusammengewachsener Flügel und warf seinen Schatten über das Deck.
      "DAVID:", donnerte er über das Deck und wirkte beinahe so autoritär wie Nightingale. "KURSKORREKTUR 3 GRAD RECHTS; MASCHINEN HALBE KRAFT! CLARA: ANLANDUNG VORBEREITEN! DER REST AN DECK UND TAUE KLAR!"
      Nach einem kurzen Räuspern und der Beobachten, dass sich auch die entsprechenden Personen in Bewegung setzten, ehe er sich wieder zu Florence umdrehte und sie interessiert betrachtete.
      "Aber mal im Ernst: Du kommst also aus Wesyn, ja? Was verschlägt eine junge Frau aus offensichtlich gutem Hause auf die Leviathan und ans andere Ende der Splitterreiche? Flucht vor dem alten Herrn?"

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    • Beiläufig zucke Florence mit den Schultern.
      Das eigenartige Kichern war von der ansteckenden Sorte, was die Kartografin vermutlich selbst unter Folter nie zugeben würde. Leichtfüßig drehte Florence sich auf dem Fußballen mit dem Rücken zu Reling und imitierte die Haltung, die zuvor Trigg noch an den Tag gelegt hatte. Sie lehnte sich zurück gegen das spröde Holz, das sicherlich einen frischen Anstrich bitter nötig hatte, und verschränkte die Arme vor der Brust, die Füße überkreuzte sie lässig an den Knöcheln. Das Schaukeln des Luftschiffes schien sie dabei nicht aus dem Konzept zu bringen.
      "Da habe ich offensichtlich ein wenig geflunkert.", grinste Florence. "War einen Versuch wert."
      Für die nächsten Minuten begnügte sich die Kartografin damit die beschäftigte Crew zu beoabchten, sie mit beindruckender Geschwindigkeit den Befehlen nachgingen. Die Mannschaft an Bord mochte wie ein chaotischer Haufen wirken, aber gerade ging alles sehr zügig und diszipliniert voran. Davon konnte sich manche Besatzung noch eine gehörige Scheibe abschneiden. Florence dachte an die Arbeitsmoral auf der Leviathan und hielt den Gedanken fest, dass das Forschungsschiff eine Arbeitstelle darstellte. Komfortabel, bequem und mit hervorrgander Entlohnung. Die Starfall war nichts dergleichen. Das Luftschiff mit dem fragwürdigen Zeppelin, den Schrammen und Macken war ein Zuhause für jene, die keinen anderen Ort hatten, an den sie gehörten. Florence wusste, dass sie gedanklich die rauen Umstände zu stark romantisierte und es beinahe nach dem Beginn einer abenteuerlichen Geschichte ihres Großvaters klang. Bedauerlicherweise war das Leben keine Erzählung von Heldentum und Edelmut, aber dafür wenigstens ehrlich. In jüngeren Jahren war sie oft am Boden zerstört gewesen, wenn das Leben sich nicht als eine der wunderlichen Geschichten entpuppte. Ihre verehrte Frau Mutter hatte immer mit dem Großvater geschimpft, er solle seiner Enkelin keine Flausen in den Kopf setzen. Florence sollte nicht dieselben Enttäuschungen erfahren wie sie.
      Auf der Starfall schüttelte die Frau den Kopf und wilde, schwarze Locken wirbelten im seichten Wind durcheinander.
      Trigg war zuvor unerwartet ehrlich gewesen, also würde sie es ihm nicht mit einer schnippischen Antwort danken. Ein Körnchen Wahrheit hatte noch niemandem das Genick gebrochen.
      "Wesyn fühlt sich schon seit langer Zeit nicht mehr nach einem Zuhause an.", antwortete Florence wobei der beiläufige Ton nicht vollständig über den schweren Wahrheitsgehalt der Worte hinweg täuschte. "Nein, mein Vater ist ein guter Mann. Bei Zeiten vermittelt er zwar das Gefühl seine Geschäftsbücher mehr zu lieben als seine Familie, aber er war immer gut zu uns. Warum ein Mädchen aus 'gutem Hause', wie du es so schön ausdrückst, auf einem Schiff arbeitet ist eigentlich ganz simpel. Mein Großvater hat mir früher diese wundervollen Abenteuergeschichten erzählt von Heldenmut und fremden Welten. Und das wollte ich auch. Das ist eigentlich schon die ganze Geschichte. Ich bin Kartografin geworden, gegen den Wunsch meiner Familie, und bereise die Welt. Die Leviathan ist ein gutes Schiff, ich war bereits öfters Teil der Besatzung in den letzten Jahren. Es ist weniger aufregend, aber ein Komprimiss mit dem ich leben kann. Die Realität ist nunmal keine Guten-Nacht-Geschichte."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Die Mannschaft ging immer mehr in die regelhafte Geschäftigkeit einer Piratenmannschaft über. Dem Befehl gemäß betraten sie alle kurze Zeit nach dem Ruf das Oberdeck und begaben sich an ihre eigenen Stationen an Bord: Clara besetzte die rechte Flanke des Schiffs und sicherte die Kanonen und Taue. Ben, der Schiffsarzt trug sein Frettchen auf der Schulter und begab sich auf Höhe der Schiffsmitte, um den Wurfanker bereit zu machen. Es glich einer Kunst, ein Luftschiff zu ankern und bedurfte großer Geschicklichkeit, einen Wurfanker - ein Konstrukt aus Stoff und Eisen - zielsicher an das Dockingport zu werfen. Zumeist übernahm dies der Kapitän selbst, aber Ben war durchaus in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen.
      David indes drosselte mit einem ausgefahrenen Arm die Geschwindigkeit, während ein anderer Arm die Kurskorrektur vornahm. Kaum merklich senkte sich das Schiff um drei Grad ab und began sich auf dirketen Kurs auf das Anlegedock vor ihnen. Eine gewaltige "8" prangte darüber und eine leuchtende Schrift wies das Dock als jenes der "GALLEYLA"-Werft aus. Hafenarbeiter begannen bereits, das Dock zu bereiten, während Arnaud mittels eines Zughebels Luft aus dem Zeppelin abließ.
      Trigg indes sah Florence schief grinsend an und zuckte die Achseln.
      "Wir alle sehnen uns nach Dingen jenseits der Realität, Liebes", murmelte er. "Jeder hier tut das. Jeder hat einen Traum, den es zu erfüllen gilt. Also ist das nur mehr als verständlich, dass man ein "Mehr" sucht im Leben. Shurorororo, ich meine, wenn wir das nicht täten, wären wir immer noch in unseren beschissenen Ex-Leben und würden uns fragen, wann der Tod uns holt, nicht wahr? Und warum dann nicht leben?"
      Ein Knarren ging durch die Takelage, als sie mit einem sanften "BONK" am Luftdock der Werft anlegten. Ben warf den Anker aus und diesen einem Hafenarbeiter an den Kopf, der sich lautstark schimpfend beschwerte.
      "Ich finde es schade, dass wir uns unter diesen Umständen treffen mussten, Ms Florence Cartwright", begann er erneut und stemmte die Hände in die Hüften, während die Taue ausgeworfen und die Landungsstege ausgefahren wurden. "In einem anderen Leben wären wir vielleicht Freunde geworden. Zumal du zumindest die Bewunderung für Cornelius Ainsworth mit dem Kapitän teilst."
      Er zuckte die Achseln und hätte sich am liebsten danach auf den Mund gehauen. Erneut eine Information zu viel und eine, die ihm vermutlich mindestens ein Barthaar kosten würde, wenn Nightingale ihm erneut die Haare einzeln aus dem Bart zupfte.
      Kopfschüttelnd gab er der Crew das Signal, mit ihren Plänen fortzufahren. Bellend bestimmte er Chimp und Ben als Schiffswachen, während Clara sich bereits einen schweren Seesack über die Schulter warf. Die Werft um sie herum wirkte wie ein grauschwarzer Käfig mit metallischen Adern, dessen offener Schlund in den grauen Himmel wies. Überall wuselten Menschen wie in einem Ameisenbau und verluden Ladung nebst Ersatzteilen. An die 200 SChiffe lagen an diesem Dock vor Anker und mindestens zehnmal so viele Hafenarbeiter waren zu dieser Zeit aktiv. Diverse Dialekte, Sprachen und unterschiedliche Menschen kreuzten sich wie ein Nest voller Spinnen, die sich auf unsichtbaren Fäden bewegten.
      Arnaud winkte Florence und begab sich geradewegs zu einem der Hafenarbeiter um einen Werftherrn zu treffen. Immerhin galt es, die Starfall zu reparieren. Das Hauptgebäude der Werft lag im Hintergrund des Docks.
      Gebaut aus dem Gerippe eines gewaltigen Luftschiffes, waren mittlerweile Lagerräume und Büros in die leeren Kajüten eingebaut worden. Beleuchtete Fenster säumten den ehemaligen Rumpf des Himmelsgiganten und wirkten beinahe unirdisch normal, wenn man bedachte, dass dieses Schiff nie wieder fliegen würde. In großen, verschmutzten Lettern stand auch dort der Name der Werft ("GALLEYLA") und Trigg sah nur noch wie Arnaud sich auf den Weg begab.
      "Alsdann", murmelte er und sah Florence an. "Ich gebe dich befehlsgemäß frei. Du bist eine freie Frau, Ms Cartwright! Trotz unseres misslichen Treffens wünsche ich alles Gute und viel Erfolg bei deiner Suche! Oh, und wenn dir nach einem Abenteuer in der horizontalen ist, scheu dich nicht, dich zu mel-"
      Ein Schlag in den Nacken, ungeahnter Natur und Herkunft unterbrach seine Tirade. Erstaunt blickte er sich um und fand jedoch den Werfer des Balles nicht, der schwer und nass zu Boden fiel. Erst im Nachhinein stellte er fest, dass es sich um nasse Lappen handelte.
      "Urgh...Wie widerlich."


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      The more you drag me to hell
    • Kopfschüttelnd grinste Florence und wunderte sich kein Bisschen über das unmoralische Angebot.
      In einem anderen Leben und zu einer anderen Zeit zweifelte die Kartografin nicht daran, dass sie eventuell sogar auf die Einladung eingegangen wäre, allerdings stand eine ruppige Entführung im Raum und ein Kapitän der vor Begeisterung ihrer verlängerten Anwesenheit sicherlich geplatzt wäre. Unverblümter Schalk blitzt in den tiefbraunen Augen auf.
      "Oh, ich bin mir sicher Käpt'n Nightingale wäre entzückt darüber...", kicherte sie, ehe sie ruckartig verstummte und Trigg einen zweifelhaften und gleichzeitig überraschten Blick zu warf. Perplex schaffte sie es noch für Arnaud zum Abschiedsgruß die Hand zu heben.
      Augenblick...hatte Trigg gerade den Namen ihres Großvaters im Zusammenhang mit dem groben Kapitän der Starfall in den Mund genommen? Florence wusste, dass ihr Großvater auf den verschiedensten Schiffen und mit den buntesten Crews zur See gefahren war, aber der Gedanke, dass ausgerechnet William Nightingale darunter war, wollte sich nicht recht oder gar sinnvoll in den Synapsen ihres Gehirns verknüpfen lassen.
      Während die Besatzung bereits das Schiff verließ um ihren Pflichten anzugehen, starrte Florence noch immer Löcher in den Rücken des Mannes, der ihr gerade vermutlich mehr Wissen überlassen hatte, als gut für ihn war und stand wie angewurzelt an Deck der Starfall. Dabei ähnelte sie mehr einem Fisch im trocknen, weil sie vergaß vor Erstaunen den Mund zu schließen.
      "Miss? Junge Dame?", herrschte es von der Seite her, als Archimedes sich flatternd und klimpernd hinter der jungen Frau auf der Reling niederließ. "Sollten wir uns nicht sputen und uns von Bord begeben? Ich bin zuversichtlich, dass es in diesem Hafen irgendwo ein ehrbares Schiff geben muss, dass sie zurück nach Wesyn bringt? Miss Cartwirght? Hören Sie mir überhaupt zu, Fräulein?"
      Mit einer unwirschen Handbewegung schob Florence die meckernde Metalleule ein Stückchen zurück.
      "Ich darf ja wohl sehr bitten!", protestierte das lebendige Konstrukt aus Zahnrädern und edlen Metallen.
      "Bleib in der Luft, Archie.", antwortete sie endlich und ignorierte dabei das empörte Schnabelklappern über den ungeliebten Kosenamen und die Tatsache, dass Archimedes dermaßen dabei dampfte und klickte, dass ein kleines Zahnrädchen über die Reling von Bord kullerte.
      "Uns fehlt noch, dass ein Langfinger dir ein paar Federn ausrupft.", fügte sie hinzu.
      Schnabelknirschend schlug Archimedes mit den Flügeln und stürzte zunächst in die Tiefe um dem Zahnrad hinterher zu jagen, dass ihm wegen seiner Unachtsamkeit abhanden gekommen war.
      Die Freiheit und der Weg nach Hause war lediglich ein paar Schritte entfernt, doch die Verwunderung über diese völlig unerwartete Information stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Mit ein paar wenigen aber eiligen Schritten hatte sie zu Trigg aufgeschlossen und fasste ohne Zögern nach seinem linken Ellenbogen.
      "Warte mal.", bat sie und trat leichtfüßig um ihn herum. "Nightingale kennt meinen Großvater? Woher?"
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    • Noch während der Vizekapitän sich die eklige Brühe aus seinen Haaren wusch, wusste er, dass er eine Information zu viel gegeben hatte. Sicherlich würde Liam ihm böse sein und nicht wollen, dass Cartwright eine derart private Information erhielt. Zumal er ihr schon zu viele private Informationen gegeben hatte.
      Kopfschüttelnd wollte er sich ebenso gerade von Bord begeben, um den Kerkerbezirk aufzusuchen. Immerhin galt es, einen pyromanischen Kanonier aus dem Knast zu holen. Doch umher gerissen von ihrem Arm, sah er sie erstaunt an.
      "Natürlich kennt er deinen Großvater. Liam war schließlich Schiffsjunge auf der Revenge", kicherte er leichtfertig und innerlich lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Halt die Klappe, Trigg. Halt einfach die Klappe.
      "Für den Rest solltest du ihn einfach fragen..."
      Dummer Kommentar, Trigg. Sie ist frei und wird nicht zurückkehren. VIelleicht war das auch besser so, bedachte man die Queste, die man mit dieser Gruppe von Irren noch vorhatte. Seufzend sah er der Eule nach, die lustigerweise ihre Zahnräder zu suchen begann. Vielleicht war es gut, dass Arnaud nicht näher an dieses Wesen heran kam. Wenn er an die ersten Nächte von David an Bord dachte, wurde ihm noch immer übel. Ein Besessener war ein Witz gegen den Wistorländer, der regelrecht von Schrauben träumte. Kopfschüttelnd löste sich Trigg von ihrem Griff und sah sie an.
      "Es ist gut, wenn man mehr sucht, weißt du?", sagte er merkwürdig verträumt, während er zu dem Gerippe aus Stahl hinauf sah, das sie allesumfassend umgab. "Manchmal spürt man den Hauch des Schicksals erst, wenn er einem ins Gesicht speit. Zumindest sagte das mein Großvater immer. Wenn er nicht gerade trank, meine ich. Oder wenn er es tat? Ich weiß es nicht mehr, shurorororo."
      Noch während er fröhlich plapperte wanderte er in Richtung der Landungsstege und wies Cartwright damit inhärent zu, dass die Unterhaltung beendet war. Besser war es wohl, wenn er bedachte, welche Infos er hier gerade herausgab. Sachte wanderte er den Steg hinab und winkte Florence nochmals, ehe er einem seidigen Schritte gleich in der MEnge verschwand. Wenn es etwas gab, das Trigg gut konnte, so war es geschickt in der Menge verschwinden. Tänzergleich schritt er zwischen die Menschen und fügte sich in die Bewegungsmuster ein, die sie umgaben. Mit den Gedanken eilig dabei, Abstand zwischen sich und Florence zu bringen.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Am späten Abend
      Million Towers, 8. Bezirk "Coldhaven"
      Hafenkneipe "Rusty Anchor"

      Das Rusty Anchor besaß bisweilen einen fragwürdigen Ruf in Coldhaven.
      Hochprozentiges und leichte Mädchen sorgten für eine verruchte Atmopshäre und den unverwechselbaren Charme einer Hafenspelunke, die sich nicht weiter weg von dem winzigsten Tröpfchen an Meerwasser befinden konnte als in Million Towers. Über der Tür mit den milchigen Glasfenstern, deren dunkelgrüne Farbe bereits abblätterte, prangte der namensgebene Anker mit einer stolzen Rostschicht und erweckte den Eindruck, als könne er sich jede Sekunde von den wenigg vertrauenserweckenden Scharnieren lösen und dem nächten armen Tropf auf den Kopf fallen. Beim geringsten Windzug quietschte die Konstruktion bedrohlich. Das Rusty Anchor quetschte sich in die schmale Nische zwischen einem Antiqitätenladen, der sicherlich für Vieles benutzt wurde aber nicht um seltene Möbelstücke zu verkaufen, und einem gewaltigen Stahlträger der senkrecht in die Höhe ragte und den Überweg der nächsten Straße stützte, die sich wie eine Schlange die Turmkonstruktion hinauf wand.
      Zwielichte Gestalten, Dirnen und Trunkenbolde gaben sich im regelmäßigen Takt die Klinke in die Hand und ließen die kühle Abendluft in den vernebelten Hauptraum. Ein schwerer, süßlicher Geruch lag in der Luft der aus den Köpfen blubbernder Pfeifen durch den gesamten Raum waberte. Das Stimmengewirr summte und brummte wie das Innere eines Bienenstocks und während an der Theke lautes Gelächter durch die stimmungsvolle, schnelle Melodie einer Fiedel hallte, versteckten sich in den schwummrigen Ecken düstere Gestalten mit den Hutkrempen tief ins Gesicht gezogen und schoben unscheinbare Päckchen über die Tische im Austausch gegen ein paar Münzen. Das Rusty Anchor wirkte aus der Zeit und aus dem Ort gefallen, als gehöre es in ein pulsierendes Hafenviertel an der Küste der Splitterreiche.
      Durch eine klapprige Schwingtür neben der imposanten Bar mit dem Tresen der offensichtlich aus der Reling eines Schiffes bestand, drang der Duft von gebratenen Köstlichkeiten und tatsächlich genoss das Essen einen besseren Ruf auf das Etablissement selbst.
      Der verdächtige Frieden im Rusty Anchor war jedoch einzig und allein einem Mann zuzuschreiben.
      Hinter dem wuchtigen Tresen, der eigentlich zu groß für die kleine Spelunke war, summte ein Bär von einem Mann zu der ausgelassenen Musik der Fiedel und tippte dabei rhythmisch mit den schweren Stiefel auf die alten Holzbohlen. Das gräuliche Hemd, das vor langer ZEit sicherlich einmal blütenweiß gewesen war, hatte er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt und entblöste eine Reihe von verblassten Tattowierungen und wettergegerbte Haut. Die ergauten Haar näherten sich einem alterbedingten Weiß und waren in sorgfältigen Zöpfen eingedreht und in den Nacken gelegt. Auch in dem säuberlich gestutzten Bard fand sich das graue Farbenspiel wieder. Dennoch wirkte der Mann hinter dem Tresen keinesfalls alt, aber vom Leben gezeichnet. Um die Hüften hatte er eine Kochschürze geschlungen, die nicht Recht zu der gewaltigen Gestalt passen wollte. Seine Wurzeln im Königreich Eden ließen sich aufgrund des dunklen Teints und den blassblauen Augen nicht verleugnen.
      Alilstair King war ein beeindruckender Vertreter ehemaliger Seebären, der allein durch seine breite und kräftige Statur jedem Respekt abverlangte. Mit der bloßen Hand hob er Störenfriede von den Füßen und bugsierte ungewünschte Gäste mit nachdrücklicher Art aus seinem Heim. Die bärenhafte Statur hatte ihm den Spitznamen Big Al eingebracht.
      Treffend, wie Florence dachte und schweigend an ihrem Ale nippte ehe ihr Gedanken zu dem letzten Gespräch mit Trigg schweiften.
      Die Revenge. Sie hatte den Namen dieses Schiffes seit Jahren nicht mehr gehört. Die Informationen beschäftigte sie mehr, als sie jemals zugeben würde, aber am Ende brachte die Grübelei nichts. Es war unwahrscheinlich, dass sie der Crew der Starfall ein zweites Mal über den Weg lief. Abgesehen davon hielt sie Nightingale nicht für jemanden, der über einer Tasse Tee gerne über die Vergangenheit plauschte.
      Nach erfolgloser Suche für ein Nachtquartier hatte es Florence in das Rusty Anchor verschlagen. Auf Empfehlung einer freundlichen Händlerin bei der die Kartografin einen unscheinbaren, aber wärmenden Mantel erworben hatte, war sie im bescheidenen Haus von Big Al gelandet. Der sicherste Ort in Coldhaven für eine Fremde, die ohne Begleitung durch den Hafen wanderte. Angesichts der fragwürdigen Gäste hatte sich Misstrauen eingestellt, aber Alistair King hatte sich erstaunlicherweise als zuvorkommender Gastgeber entpuppt. Die Speisen waren himmlisch und die Getränke weder mit biligem Fußel gestreckt noch mit Wasser verdünnt. Er hatte ihr sogar für einen fairen Preis ein Zimmer für die Nacht angeboten und aufgrund der wenigen Goldmünzen in ihrem Beutel hatte Florence eingewillgt. Sie hatte schnell gemekert, dass im Rusty Anchor andere Regeln galten.
      Respekt vor den Dirnen, keine Schlägereien und vor allem kein Mord vor dem Bartresen. Blutflecken waren die reinste Plage und verschandelten die Einrichtung. Jeder konnte in Frieden seiner Geschäfte nachgehen ohne neugierige Fragen solange er sich an Alistairs Regeln hielt und es ihm zahlende Kundschaft anspülte.
      "Es interessiert mich immer noch brennend, was ein hübsches Täubchen wie du an einem zwielichtigen Ort wie diesem macht, Florence.", brummte Alistair mit seiner unverwechselbaren Stimme, die dermaßen tiefe Töne anschlug, dass sich die junge Frau einbildete die Spirituosenflaschen im hinteren Regel würden erzittern. Die Konstruktion des Tresen knarrte besorgniserregend als der Wirt sich mit seinem vollen Gewicht mit den Unterarmen darauf lehnte.
      Ein neues Gesicht hatte schon immer Alistairs Neugierde geweckt, da bildete Florence keine Ausnnahme denn die Frau gehörte offensichtlich nicht hier her.
      "Ein unfreiwillige Kreuzfahrt, Big Al.", kicherte sie. "Du weißt nicht zufällig ob in den nächsten Tag ein Luftschiff nach Wesyn ablegt?"
      "Ich kann mich umhören, wenn du möchtest.", antwortete er, als ein belchernes Krächzen von der Tür erklang.
      "Dreckige Wattwürmer! Über die Planke, stinkendes Gewürm!", ertönte es. Über der Eingangstür im Inneren thronte anstatt eines klassischen Glöckchens ein winziger, mechanischer Papagei der jedes Mal lautstark randalierte wenn jemand die Tür öffnete.
      Die geöffnete Tür ließ einen Schwung klare Abendluft in das spärlich beleuchtete Rusty Anchor und brachte einen Hauch von Schicksal mit sich. Ein merkwürdiges Gefühl kroch Florence den Rücken hinab, als sie dem Blick des Wirtes folgte.
      In das Rusty Anchor stolperte niemand anderes als Silas Trigg mit einer überaus enthusiastischen Dame, die kaum zwei Sekunden ihre sorgfältig lackierten Fingernägel von seiner Kleidung lassen konnte und sich förmlich an seinem Gesicht festgesaugt hatte wie der Arm eines Oktopus.
      "Das darf ja wohl nicht war sein.", murmelte Florence.

      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
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      so long as you remember all the people that you used to be.”

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Winterhauch ()

    • Am späten Abend
      Million Towers, 8. Bezirk "Coldhaven"
      Gate-Bereich zum 7. Bezirk


      Coldhaven galt selbst unter Kennern der Stadt als hungriges Viertel. Hab Acht, mein Kind, sonst frisst es dich. So zumindest waren die Warnungen der Grioßmütter an ihre Enkelinnen, wenn diese mit Piraten, Seeleuten und anderem Gesocks in die Schänken und Tavernen zogen.
      Es wunderte nicht, das neben den kalten Steinfassaden der Häuser auch die Nutzung von gewaltigen Heizöfen ein Thema des Viertels war. In Coldhaven lebten vielleicht 500,000 Menschen der unterschiedlichsten Herkünfte und Gesinnungen. Und nur wenige davon konnten sich als ehrbare, verlautbare Bürger der Stadt bezeichnen. Das Meiste auf den dreckigen Pfaden und den schlammigen Steinen des Bezirks fiel unter die allgemeine Beschreibung "Gesocks".
      Dirnen, Piraten und allerlei Unholde bevölkerten die Straßen, wenn die Sonne aus dem Himmel verschwand und der erste von drei Monden der Nacht seinen Weg auf dem Firmament annahm. Gerade hatte Al'Tuin, der große Weiße, seinen Weg begonnen und sein fahles Licht auf die Wege geworfen, da durchquerten bereits die Piraten die Schänken. Auch ein bekanntes Gesicht befand sich auf den Wegen, dicht gefolgt von einem Schatten gar außergewöhnlicher Natur.
      "Also wirklich...", grummelte der Schatten in seinem Reiseumhang und schwerer Kapuze. "Hach, ich bin dir ja wirklich dankbar, Triggy Miggy Biggy Siggy..."
      "Reicht auch!", grummelte Trigg, dessen Gesicht reine recht große Beule und ein Veilchen aufwies. Noch ohne eine Dirne im Arm, mochte man meinen!
      "Tut mir Leid", sagte der Andere und schloss zu Trigg auf. "Ich bin wirklich dankbar, dass ihr mich dort herausgeholt habt, aber ich habe dir gesagt, dass es gefährlich ist, wenn man mir Schießpulver gibt."
      "Hättest du vielleicht nicht erst sagen sollen, nachdem die Zelle in die Luft geflogen ist und ich mir beinahe mein hübsches Gesicht zerschnitten habe."
      Schweigsam durchquerten die beiden die Straßen, die sich immer enger um ihre beiden Körper zu ziehen schien. Mehr und mehr junge Damen des horizontalen Gewerbes schienen urplötzlich wie aus dem Nichts aufzutauchen und selbst für den Schatten von Trigg war dies eine Situation, die ihresgleichen noch suchen sollte...
      "Trigg, wir sollten - "
      "Hallo, meine Schöne! Gisele!", rief dieser bereits freudig den jungen Damen entgegen, während er sich zu ihnen wand.
      "Hach je...", murmelte der Schatten und seufzte tief.


      Das Rusty Anchor bot nicht unbedingt die Szenerie, die es brauchte um einen lauschigen Abend zu verbringen. Mitnichten war dies Etablissement als angenehm oder gar einladend zu bezeichnen. Bereits von draußen ähnelte es eher einem Verschlag, den man zu meiden suchte, wenn man nicht gerade gezwungen war, dies in Betracht zu ziehen. Umso erstaunlicher erschien die Wahl der jungen Dirne, die sich dort niederzulassen, um endlich ihrem Handwerke nachgehen zu können. Trigg hatte sich durchaus begeistert gezeigt, als er die Tür zur Schänke beinahe beiläufig mit der Ferse auftrat und sich einem Kuss mit der Holden ergab, die sich dort seinem Leibe zu nähern suchte.
      Fahrig fuhren seine Hände ihren Rücken entlang und öffneten dabei bereits das Korsett, dass ihre doch recht üppige Weiblichkeit kasernierte. Schweigsam und doch nicht geräuschlos saugten sich die Lippen der Beteiligten aneinander fest, sodass es dieses eine Geräusch machte. DIes eine Geräusch, wenn man einen Toilettenpömpel von einem Stück Keramik zu ziehen versuchte. Mit einem leichten "Plopp" lösten sich die Lippen voneinander.
      "Du bist unglaublich", keuchte die junge Dame und grinste breit.
      "Ich bin unglaublich", stimmte Trigg zu, dessen Mund einer Schlägerei gleichgekommen wäre, wenn man nicht wusste, dass es Lippenstift wäre. Anschließend sah er zum Tresen und erblickte Al erst nach einer kurzen Weile, nachdem das Klingeln von seinen Ohren gebraust war.
      "HEY AL! ALLES IM LOT, MEIN FREUND??!"
      Der Schatten betrat den Raum nach den Liebenden und zog sich in rapider Absicht den Reiseumhang vom Kopf.
      Darunter kam ein recht wilder Haarschopf zum Vorschein, der den Rastalocken des Alten Volkes ähnelte. Est die Hautfarbe von einem tiefenseeblau machte die Herkunft des Mannes perfekt. Anhand der blauen Hautfarbe und den merkwürdigen Tätowierungen auf seinen muskulösen Armen und im Gesicht wiesen ihn unzweifelhaft als Mitglied des Meeresvolkes aus. SIe kamen aus den nördlichen Splitterreichen und verdingten sich als Fischer. Es hieß, ihre Haut sei aufgrund des stetigen Kontaktes mit Eiswasser blau geworden und die Augen beinahe milchig weiß. Doch dieser hier sah mit dunklen, stechenden Augen umher und seufzte.
      "Hach, was für ein Schuppen", seufzte er. "Ich fühlte mich gar nicht mal so wohl..."
      "HEY AL, SCHAU MAL, ICH HABE HURLEY MITGEBRACHT!", donnerte Trigg und begann zu kichern, während die Dame ihn zur Treppe zu ziehen suchte.




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    • Neben Florence erklang ein langgezogenes, frustriertes Seufzen.
      Die Kartografin musste keinen Seitenblick riskiere um zu bemerken, dass der breitschultrige Alistair King sich mit der Hand quer über das Gesicht und den Bart fuhr. Der verkniffene Zug um seine Mundwinkel verriet der jungen Frau augenblicklich, dass der Besitzer der Rusty Anchor alles andere als begeistert von der neuen Kundschaft war. Ah, scheinbar kannte der die Crewmitglieder der Starfall und offensichtlich hatte er ganz eigene Erfahrungen mit den Störenfrieden gemacht. Das schien auch für weitere Gäste im Raum zu gelten, denn ein paar Häupter drehten sich mit neugierigen Blick herum. Dabei beäugten die meisten Schaulustigen Big Al, der mit der flachen Hand urplötzlich auf den Bartresen schlug, wobei die gesamte Konstruktion erzitterte und Florence beinahe das gute Ale verschüttete. Mit etwas Geschick fand sie mit dem schwappenden Glas das Gleichgewicht wieder. Die Neugierde war ihrerseits nun auch geweckt. Die kommenden Minuten versprachen für Unterhaltung zu sorgen.
      "Silas Trigg!", bellte es volltönig hinter der Theke. "Du und dein explosiver Freund habt Hausverbot in diesem ehrbaren Etablissement!"
      Mit schwerfälligen Schritten unter denen die Holzdielen am Boden ächzten, kam der hochgewachsene Mann hinter der zweckentfremdeten Schiffsreling hervor, dabei hatte er sich ein zerfleddertes Buch mit altem Ledereinband unter den Arm geklemmt.
      "Entschuldige Liebes, würdest du dich freundlicherweise ein paar Sekunden die Finger von ihm lassen.", knurrte Alistair und schob die leichtbekleidete Dame mit sanfter Gewalt aus dem Weg um Trigg eine gewaltige Pranke in den Nacken zu legen. Galant schlug er das Buch mit einer Hand auf und drückte es fast umgehend in das Gesicht von Silas. Der verbliebene Lippenstift schien ihn dabei herzlichst wenig zu interessieren.
      "Da steht es. Schwarz auf Weiß, du Taugenichts.", grollte er. "Erinnerst du dich an euren letzten Besuch oder muss ich deinem Erbsenhirn auf die Sprünge helfen? Wirf mal einen Blick nach oben, vielleicht geht dir dann ein Licht auf! Das ist euer Werk! Der arme Pete ist noch immer auf einem Ohr taub von der Explosion" - an einem winzigen Nischentisch ertönte ein verwirrtes "Hä? Wie bitte?" - "ganz zu schweigen von dem Alpträumen, die ich bei der Erinnerung an deinen nackten Arsch bekomme, der durch die Decke gekracht ist. Die Barhocker konnte ich danach übrigens verbrennen!"
      Mit Nachdruck zwang er Trigg den Kopf in den Nacken zu legen und deutete, während er mit dem Buch herumwedelte, auf ein klaffendes Loch in der Decke, dass mit Brettern notdürftig vernagelt wurde, als hätte jemand vergessen seine Arbeit zu beenden. Die gesplitterten Deckenbalken warn eindeutig von Feuer geschwärzt und wirkten beinahe so als wäre das Loch in die Decke...gesprengt worden.
      "Hurley!", herrschte Alistair den Begleiter mit der bläulichen Haut an. Der Mann des Meeresvolkes war eindeutig kein Unbekannter für den aufgebrachten Big Al. "Finger dahin, wo ich sie sehen kann. Entdecke ich das kleinste Körnchen Schießpulver schwöre ich dir, spieße ich euch beide am Anker über der Tür auf."
      Florence grinste hinter dem Glasrand und spürte, wie ein Lachen die Kehle hinaufkletterte.
      Tatsächlich aber wandte sie sich mit mühevoll ernstem Gesichtsausdruck an die Dame mit dem kunstvoll verschmierten Lippenstift und der verwischten Wimperntusche, die ihr Gesicht wie ein missglücktes Gemälde erschienen ließen.
      "Vorsicht, Schätzchen. Der hinterlässt dir was Bleibendes", sagte sie und deutete mit dem Daumen über die Schulter auf Trigg. Erst danach drehte sie sich halb zu Silas, der in Alistairs Pranke zappelte, und winkte mit einem süßlichen Lächeln.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Die Stimme der Vernunft ereilte Trigg in seinem Liebesrausch wie ein Dampfhammer in der Kajüte des Kapitäns: Überraschend und völlig fehl am Platze. Noch während Big Al hinter seiner Reling hervor kroch, erblickte der Dieb bereits das speckige Lederheftchen in seinen Händen und verdrehte die Augen.
      "Nicht schon wieder dieses Fledderding...", murmelte er seufzend. "Da will man einmal freundlich sein..."
      Die Hand in seinem Nacken und die plötzliche Kälte seiner Hand vermochten das Ihrige beizutun. Trigg überragte den großen Mann nicht, aber ihre Gesichter waren dennoch nur einige Zentimeter entfernt, sodass er die seltsame Mixtur aus Moschus, Schweiß und Alkohol riechen mochte, die Al umgab wie eine Rauchschwade. Das bärtige Gesicht des Diebes drückte sich beinahe in die stinkenden Seiten voller hastig gekritzelter Schriftzeichen, die vermutlich ein Ahnenforscher nicht mal entziffern konnte.
      "Wer soll denn das lesen können, du alter Zausel? Mein Cousin kann besser schreiben und sie hat nur zwei Finger, Herrgott!", keifte Trigg und suchte sich aus dem Griff zu winden. Jedoch zeigte sich auch hier: Nicht immer war großes Geschick von Vorteil.
      Noch während er versuchte, dem undefinierbaren Geruch aus dem Hals des Wirts zu entgehen, duckte sich Hurley unter der Achsel des Wirts weg und sah grinsend zu Pete.
      "Hey Pete! Wie geht es Mary?", rief er breit grinsend, sodass es eine spitzen Zähne entblößte.
      Als er sich wieder neben Trigg beorderte, sah er den Wirt und anschließend das erstaunliche Flickschusterwerk der Decke an. Das Gesicht des blauhäutigen Mannes verzog sich missbilligend und er stemmte die massigen Hände in die Hüfte.
      "Hach...Das sieht aus wie bei mir zu Hause", murmelte er ehrfürchtig. "Ich finde, wir haben deine Einrichtung verbessert, Al. Ich meine, ein Sonnendeck hat noch Niemandem geschadet und ein wenig würde der Gestank aus der Kneipe abziehen..."
      Auf seine Ansage hin hob er grinsend und meckernd lachend seine Hände, um seine Leere zu offenbaren. Dennoch nahm er es sich nicht, zwei Schritte von dem Barmann fort zu gehen. Als ob er Schießpulver bräuchte...
      Silas versuchte derweil mit zappelnden Bewegungen dem Schraubstock des Barmannes zu entgegen, während er vor sich hin schimpfte.
      "Also wirklich!", keifte er. "Ich finde allen Ernstes, du könntest etwas nachsichtiger sein. Vor allen Dingen war es hauptsächlich Hurley, der das Loch gemacht hat und gegen Schwerkraft mache ich noch nichts!"
      Erst nach einer Weile und einer kurzen, ruckartigen Drehung konnte er sich zumindest aus dem Griff des Wirtes befreien.
      "Und ich finde, Hurley hat Recht. Schau wie es hier riecht! Es riecht nicht mehr nach alten Socken oder vollen Hosen!"
      "Das war damals der Gulasch", kommentierte Hurley schulterzuckend und war zur Reling geschlendert, um sich neben Florence ein herrenloses Glas Ale zu schnappen. Im Sturz kippte er es hinab und würgte anschließend.
      "Hach, das schmeckt ja wie ein alter Hintern!", fluchte er und würgte weiter.
      Als er Florences Stimme hörte und ihrer Gestalt gewahr wurde, erhellte sich Triggs Gesicht kurz, ehe er bemerkte, was sie dort gesagt hatte.
      "Also wirklich!"; donnerte er. "Ich muss mir das doch verbitten! Ich habe mit Sicherheit vieles zu bieten, aber ansteckende Krankheiten gehören nicht -"
      "Erinnerst du dich noch an die Sauerei mit den Lilien?", feixte Hurley und kicherte erneut meckernd ("Kekekekekeke")
      "Nicht hilfreich!", murmelte Trigg augenverdrehend und seufzte. "Also Al! Was muss ich tun, damit das Hausverbot aufgehoben wird!"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Alistair King schnappte angesichts der Frechheit empört nach Luft.
      Sein geliebtes Lokal als stinkende Kneipe zu bezeichnen kam einer Todsünde gleich. Dazu beleidigten die Störenfriede zu allem Überfluss auch noch seine Kochkünste. Florence bemerkte mit unangebrachter Belustigung die wulstige Ader auf der Stirn des verärgerten Wirtes, die bedrohlich pulsierte. Das Fass zum Überlaufen brachte allerdings der blauhäutige Hurley. Für unverdünnte Spirituosen bezahlten die Kneipenwirte auf dem örtlichen Schwarzmarkt ein hübsches Vermögen. Und Big Al rühmte sich durchaus damit seinen Gästen ausschließlich die edelsten Tropfen zu servieren, zumindest soweit wie es die fragwürdigen Verhältnisse in Coldhaven zuließen.
      Florence versuchte erfolglos das schadenfrohe Kichern hinter dem Glas zu verbergen angesichts seiner mangelnden Begeisterung über ihren spitzen Kommentar. Sie versuchte zu ignorieren, dass die ganze Situation ihr mehr Spaß machte als vielleicht gut war. Die ehrwürdige Frau Mama wäre vor Schreck in Ohnmacht gefallen, wenn sie wüsste, in welchen dubiosen Vierteln sich ihre Tochter herumtrieb. Eine anrüchige Hafenkneipe samt Wirt mit krimineller Vorgeschichte war nicht der Ort, an dem sie ihre wohlerzogene Tochter sehen wollte. Bei dem Gedanken erhoben sich die Glücksgefühle in ganze neue Ebenen, vielleicht war es auch der klare Schnaps, denn sie kurz vor dem ungebetenen Besucht herunter gekippt hatte.
      Grunzend gab Alistair den Unruhestifter frei und fasste sich genervt an die Nasenwurzel und das zerfledderte Buch klemmte er sich seufzend unter den Arm.
      "Hör zu, Triggy.", schnaubte er. Im Hintergrund prustete Florence wenig dezent los, wobei sie Alistairs kostbares Ale verschüttete und über den Tresen griff um sich ein fleckiges Handtuch zu angeln.
      King wirkte auf abstrakte Art wie ein viel zu bärtiges Kindermädchen während er Silas eindringlich ansah. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, erhob der breitschultrige Mann mahnend den Zeigefinger, was das Kichern der Kartografin nur noch lauter werden ließ. Der Hocker unter ihr wackelte dabei besorgniserregend auf dem alten Dielenboden.
      "Ich werde das Hausverbot nicht in hundert Jahren aufheben.", brummte Big Als. "ABER...da das reizende Fräulein Florence offenbar vertraut mit euch Halunken ist, was mich wirklich schockiert, erlaube ich euch einen Drink. EINEN Drink. Danach verschwindet ihr aus meinem ehrbaren Etablissement. Und die Zimmer oben sind für dich tabu. Du und dein kleines Täubchen werdet euch nach einem anderen Ort für euer Stelldichein suchen. Verstanden, Triggy!?"
      Mit einer Pranke schleifte er Trigg zur Theke, wo sich Florence gerade eine Lachträne aus dem Augenwinkel wischte und sich etwas zu Hurley umdrehte. Geräuschvoll schepperten die leeren Gläser auf die Theke und Alistair schickte sich an diese flink zu füllen. Je schneller er die beiden los wurde umso eher konnte er sich wieder entspannt dem restlichen Abend zu wenden.
      "Florence.", stellte sie sich knapp aber mit einem gekräuselten Lächeln vor und reichte dem exotisch anmutenden Mann die Hand. Als er die Begrüßung erwiderte, fuhr sie mit etwas gesenkter Stimme fort. Sie hatte nicht erwähnt, dass die Crew der Starfall für ihren unfreiwilligen Aufenthalt in Million Towers verantwortlich war. Florence bezweifelte nicht, dass Al ansonsten keine Sekunde gezögert hätte Silas für diese Dreistigkeit unangespitzt in den Dielenboden zu rammen.
      "Von dir haben sie also gesprochen, als sie meinten jemanden befreien zu müssen. Aber was mich wirklich brennend interessiert...ist die Geschichte mit den Lilien.", erwähnte Florence und stützte höchst gespannt das Kinn in die Handfläche.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • War die Tatsache, dass sein geplantes Stelldichein mit dieser äußerst hüb...Nun, sagen wir akzeptablen jungen Lady, ausfiel, nicht ausreichend der Qual? Musste es dann noch immer Als Mundgeruch und diese mysteriösen Regeln des zweifelhaften Etablissements sein?
      Und immer wieder kam die Wahl zwischen dem Suff und den Frauen...Eine teuflische Wahl, dachte Silas, während Al ihn aus seinen mächtigen Fängen entließ und seine Füße den rettenden Boden wieder spürten.
      Genervt strich er sich den ärmellosen Brokatmantel glatt und seufzte schwer, als er Al in die Augen sah.
      "Seit wann ist das mein neuer Spitzname?", fragte er genervt, während er mit seinen stechenden dunklen Augen durch den Saal blickte. Die Tatsache, dass er erneut Cartwright über den Weg lief, schien bereits einen Hauch von Schicksal in sich zu tragen. Und kein Seemann war auf dieser, der Götter grüner Erde, in der Lage, das Schicksal zu ignorieren. Dennoch huschte sein Seitenblick wieder zu Al und ließ sein charmantestes Lächeln erstrahlen. Wenn er etwas konnte, dann Menschen becircen. Und faule ihm der Sack unter den Beinen fort, er würde es auch bei Al versuchen.
      "Ein Drink ist besser als nichts, alter Freund! Geh voraus, geh voraus!", ereiferte er sich und gab bereits Hurley ein Zeichen, ja die Finger bei sich zu behalten.
      Bereits zu spät, wie sich herausstellte. Denn dieser wurde bereits von Florence in Beschlag genommen als sei er die rettende Sandbank im Sturm. Und Hurley neigte zur Plauderei, was sicherlich nichts Gutes bringen konnte. Gerade als er die Biegung einschlagen und zu den beiden stoßen wollte, raunzte ihn die Begleitung, Madame Korsett (er hatte ihren Namen freilich bereits vergessen) von der Seite an.
      "Und was ist mit mir?", fragte sie genervt und stemmte eine Hand auf die Hüfte.
      Erschreckend, wie einige Frauen, diese Geste zu vereinnahmen schienen und jedes Mal dieselbe Wirkung erzielten. Erneut hallte ein kurzes Seufzen durch den Raum, ehe er sich ihr näherte.
      "Ich denke, wir müssen unser kleines äh - Unterfangen - ein wenig hinten an stellen, meine Liebe."
      "Damit du mit dieser anderen Frau dort trinken kannst, du Schwein?"
      Herrgott, warum musste diese wunderschöne (nein, Trigg, sie war nicht wunderschön!) Dame denn in einer derartigen Lautstärke durch den Raum plärren, als wären die Teufel hinter ihr her? Genervt fasste er sich ebenfalls an die Nasenwurzel und grinste gewinnend.
      "Freilich nicht. Du bist immer die Nummer eins, meine Liebe", murmelte er und ergriff ihre Hände mit seinen.
      "Sag meinen Namen."
      "Bitte was?"
      "Meinen Namen, Trigg. Wie heiße ich?"
      "Also was...Was soll das denn für eine Frage sein, shurorororo", lachte er meckernd und ignorierte die Schweißperlen auf der Stirn. "Freilich weiß ich wie du heißt, Marie."
      Die Ohrfeige kam unvermittelt und laut klatschend. Sein Kopf schnappte in einer hastigen Bewegung nach hinten und wieder in die Ausgangslage zurück, wärhend er noch nicht einmal wusste, wie ihm geschah.
      "Lydia?"
      Nun, werter Freund, die zweite Ohrfeige, die sich der Mann, den man Jahre später als "Doppelfinger" kennen sollte, einfing, war nicht sehr viel freundlicher.
      "Fahr zur Hölle, Trigg!", keifte Gisele und stolzierte mit einem lästigen Ausspucken aus der Kneipe heraus.
      Was für ein Abend, dachte Trigg und gesellte sich zu Hurley und Florence, die bereits ihre Drinks auf dem Tisch stehen hatten. Ihn selbst erwartete ein merkwürdiges, rot leuchtendes Getränk in einem schmalen Glas. Ein sepentiner Schädelspalter. Angeblich so stark, dass man bereits vom Schnüffeln betrinken wurde.
      Hurley lehnte sich an die Reling und prostete Florence zu.
      "Donovan Hurley, hach", seufzte er. "Kanonier und Sprengstoffexperte. Hach, mein Motto ist: Mischt, was zischt. Und woher kennen wir uns?"
      Schweigsam kippte er seinen Drink hinab und blickte kurz zur Decke, während der Alkohol ihm die Eingeweide zerfraß. Erst dabei wurden merkwürdige Einschnitte auf seinem Hals sichtbar, die gerade gewachsenen Kiemen ähnelten und sich sogleich wieder schlossen. Immer wieder merkwürdig, dieses Meeresvolk.
      Trigg nahm sein Glas und prostete Florence zu, ehe er begriff um was es ging.
      "Eine völlig unerhebliche Geschichte, ich würde viel lieber - "
      "Trigg hat's mit der Geliebten von einem Stammesfürsten getrieben. Unten in den Südlanden. In einem fiesen Feld aus Juck-Lilien. Sie haben sich gleliebt und geliebt und geliebt und später haben sie geschrien und geschrien und hach, wir haben noch Tage später die Sporen aus Triggs Bett gefischt. Hat sich tagelang gekratzt wie ein neurotisches Frettchen, kekekekekeke."
      "Nicht meine Sternstunde, aber es hat sich gelohnt."
      "Du hattest die Krätze danach!"
      "Ich bitte dich. Wo saufen eine Ehre ist, kann Krätze keine Schande sein. Außerdem habe ich sie entfernt."
      "Doch?!"
      Hurley blickte seinen Vizekapitän entgeistert an und schüttelte den Kopf. Trigg nutzte die Gunst des Schweigens und sah Florence an.
      "Es ist doch bereits ein Wunder, dass wir uns erneut wiedertreffen. Dank dir sind wir zumindest für diesen Drink sicher. Hast du ein Schiff gefunden?", fragte er und setzte den Drink an, vergessend was er vor sich hatte und trank ihn in einem Zug.

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    • Für eine edles Fräulein aus gutem Hause fügte sich Florence spielend einfach in die Kulisse aus illegalem Glückspiel, leichten Mädchen und hochprozentigem Alkohol ein. Es zeigte sich einmal mehr, dass der Familienname rein gar nichts über den Charakter eines Menschen aussagte, obwohl die junge Kartografin sicherlich einem gewissen Luxus nicht abgeneigt war. Sie war einen bequemen Lebensstandard gewöhnt, scheute jedoch die harte Arbeit nicht. Allein die augenscheinlich zarten Hände zeugten davon, dass sie mehr Zeit an Bord eines Schiffes verbrachte, als in prunkvollen Salons. Die Haare trug sie nicht züchtig in einer formellen Hochsteckfrisur sondern genoss das Gefühl der freifallenden Locken über ihren Schultern. Elegant schlug sie eines der langen Beine, die nicht mehr in einem verdreckten und fleckigen Rock steckten sondern in geschmeidiges, gegerbtes Leder gekleidet waren, übereinander, ehe sie ebenfalls prostend das Glas hob und mit erstaunlicher Selbstbeherrschung den brennenden Inhalt des kleines Glases herunterkippte.
      Florence stieß einen Fluch zwischen den Zähnen hindurch und schlug das Gläschen mit etwas mehr Nachdruck als nötig auf den Tresen zurück ehe sie sofort entschuldigend zu Al blickte, der tadelnd die Augenbraue hochzog. Und während Alistair sich der nächsten Kundschaft zuwandte und versuchte ihnen die fragwürdige Brühe aus einem köchelnden Topf schmackhaft zu machen, huschte der Blick der Frau über die Kiemen an Hurleys Hals. Der Anblick eines Zugehörigen des Meeresvolkes war soweit außerhalb der Küste ein seltener Anblick. Ihr Großvater hatte umfangreiche Skizzen in seinen Aufzeichnungen besessen, die er auf seinen Reisen angefertigt hatte. Neugierig und wenig zurückhaltend folgten die Augen den kunstvollen Zeichnungen auf der bläulichen Haut. Der Versuch, die Erläuterungen ihres Großvaters in Erinnerung zu rufen, blieb erfolglos. Vermutlich lag es an dem wärmenden Nebel in ihrem Kopf, den Alistairs Schnaps verursachte.
      Auf Hurleys Frage hin begann Florence leise zu lachen.
      "Dein charmanter Freund hier hat mich mit einem älteren mit wirklich beeindruckenden Geheimratsecken verwechselt und mich in einem stinkenden Sack auf die Starfall geschleift. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich über die Verwechslung beleidigt oder amüsiert sein soll.", antwortete Florence und besaß noch genug Verstand darauf zu achten, das Big Al nicht mithörte.
      Silas völlige Entgeisterung über das Gesprächsthema versprach eine wahrlich amüsante Geschichte. Tatsächlich erklang wenige Augenblicke später ein herzlichen Lachen aus Florence Mund, dass sich bis in die rehbraunen Augen erstreckte und die Grübchen in ihrem Gesicht betonte.
      "Wirklich, Silas.", kicherte sie. "Ich kenn dich seit ein paar Tagen und bin erschreckenderweise nicht ein kleines Bisschen überrascht."
      Während das Lachen langsam verebbte, zupfte Florence an dem geöffneten Kragen des Hemdes, dass ihr offensichtlich viel zu groß war und ein wenig zu offenherzig für eine anständige Frau war. Florence war sich durchaus bewusst, welche Wirkung sie auf männliche Gesellschaft haben konnte, wenn sie wollte. In der augenblicklichen Situation konnte sie allerdings nicht wählerisch in ihrer Kleiderwahl sein und ihre alten Sachen hatte zu sehr der Gestank der Bilch angehaftet, auch wenn ihr späteres Quartier komfortabler gewesen war. Die Mühe ihre frische Kleidung zu besorgen, hatte sich natürlich niemand gemacht. Erwartet hatte sie auch nichts anderes.
      "Big Al hat liebenswürdigerweise angeboten sich für mich umzuhören. Heute hatte ich an den Häfen kein Glück.", schüttelte Florence den Kopf ehe sie sich etwas zu Silas vorlehnte und ihm vielleicht bewusst eine verführerische Aussicht gewährte. Die Leichtigkeit der neckenden Unterhaltung mit Silas machte ihr eindeutig zu viel Spaß.
      Was nicht bedeutete, dass sie ihm das grobe Manöver nicht immer noch übelnahm.
      "Ich bin mir ziemlich sicher, dass dein Käpt'n ausdrücklich erwähnt hat, keine Umwege über Alkohol und Huren zu machen."
      “We all change, when you think about it.
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      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Es blieb den Büchern unbenommen, über die Wirkungsweise eines serpentinen Schädelsprengers zu berichten. Vielleicht mochte es an der Tatsache liegen, dass es kaum Überlebende gab, die davon zu berichten wussten. Doch für Trigg, dessen Körper bereits einigen fragwürdigen Substanzen ausgesetzt war, war dies nur ein weiterer Tiefpunkt auf einer Talfahrt durch die angesammelte Jauche von Jahrhunderten. Während seine Kehle zu brennen begann, fühlte es sich zu an, als würde sein Magen Selbstmord und seine Gedärme Twister spielen. Ineinander verkeilt und verwickelt, schienen sie gleichsam zu versuchen, seine Milz zu ermorden, während er schwören konnte, dass er seine Leber seufzen hörte.
      Eine Sekunde lang vermochte er nicht zu sprechen und begann leise zu husten, ehe sich Trigg fortdrehen musste.
      "Kekekekeke, schau ihn dir an!", lachte Hurley meckernd und schlug auf den Tisch. "Nichts Gutes mehr gewohnt! Aber mal ehrlich, mich wundert nicht, dass er dich eingepackt hat. Ich meine, sieh dich nur an!"
      Regelrecht bewundernd glitten seine Augen über die langen Beine der jungen Frau an ihrem Tisch und gleichsam das nicht sittsame Oberteil, das sicherlich jeder Mann gerne entfernt gesehen hätte. Jedoch erschien der Blick des Blauhäutigen mitnichten so wie die der anderen Männer. Es lag nicht das begehrende Funkeln darin, das Raubtiere besaßen, wenn sie ihre Beute erblickten. Vielmehr betrachtete er sie so wie ein Kunstobjekt, das angesehen werden musste. Es gab keinen Weg umhin.
      Trigg hatte sich derweil wieder von seinem Hustenanfall erholt und seufzte mit schweißverschmiertem Gesicht.
      "Oh ja!", ereiferte er sich mit heiserer Stimme. "Sie ist eine wahre Schönheit, nicht wahr? Hat mich gewundert, dass keine an Bord über sie hergefallen ist..."
      "Nicht?"
      "Ach was!", kicherte Trigg. "Der Kapitän hat direkt zu Beginn befohlen, dass sie keiner anrühren soll. Er hat mich an den Mast gebunden. Für einen ganzen Tag. Hicks."
      "Hach, das ist verständlich", murmelte Hurley und schüttelte den Kopf.
      "Und was heißt hier nicht überrascht? Ich habe nie einen Hehl darum gemacht, dass ich das Leben liebe und schöne Frauen verehre!", donnerte Trigg und schlug mit der Faust auf das Holz der Reling. Hätte Hurley ihre Gläser nicht im Rechten Moment angehoben, wären sie vermutlich von der Theke gehüpft.
      "Selbst dich, Verehrteste", lallte der Vizekapitän. "Selbst dich verehre ich und würde dich nicht von der Bettkante stoßen, wohl wahr!"
      Die Dritte Wirkung des Schädelspalters war nach einem kollektiven Organselbstmord gleichsam die langsam einsetzende Trunkenheit, die legendärerweise beinahe 72 Stunden anhalten sollten.
      Und leider beinhaltete das weitere gelallte "Komplimente" des Vizekapitäns.
      "Ich würde dich gerne mal von hinten..."
      Eine große, blaue Hand verschloss Triggs Mund, während er noch sprach und die Augen leicht verdrehte.
      "Er sollte nicht trinken, hach", bemerkte Hurley kopfschüttelnd. "Hat der Kapitän ihm mal verboten. Aber er hält sich einen Scheiß an Gesetze. Und die Umwege...Was soll ich sagen. Ich glaube, niemand hält sich so wirklich an die Gebote von Nightingale. Kekekeke, er hält sich ja nicht mal an seine eigenen. Vor drei Monaten hieß es noch, dass niemals Gefangene genommen werden und heute bist da du, die er offensichtlich gefangen nahm. Hach, aber er ist auch nie wirklich er selbst wenn er hier ist, kekekeke."
      Kopfschüttelnd wies Hurley auf ihre Beine und ihre offensichtlich offenherzige Garderobe.
      "Hast du keine Angst, dass einer wie Trigg über dich herfällt?"

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      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von NicolasDarkwood ()

    • Ein heftiger Hustanfall, der Florence unwillkürlich dank des pfeifenden Einatmens an einen kaputten Teekessel erinnerte, schüttelte den armen Trigg ordentlich durch und ließ die Kartografin ein Stück zurückweichen. Ein wenig Schadenfreude leuchtete im Blick der jungen Frau auf, die einen gespielt tadelnden Blick zu einem sehr selbstzufriedenen Alistair King warf. Der Schädelspalter sollte offenbar garantieren, dass es wirklich nur bei einem Drink blieb. Dazu schien sich Big Al köstlich über gequälten Geräusche zu amüsieren, die Silas von sich gab und zog ein persönliches Vergnügen aus dem hinterlistigen Racheakt für die Decke des Rusty Anchor. Männer, dachte Florence und verdrehte mit einem halbherzigen Grinsen die Augen.
      Der anschließende Wortwechsel hätte sicherlich jedem anständigen Mädchen die Schamesröte ins Gesicht getrieben.
      Den Göttern sei Dank, war Florence kein anständiges Mädchen.
      Die eindeutigen Blicke glitten über sie hinweg und folgten der geschwungenen Linie ihres Körpers, den sie gekonnt auf dem zerfledderten Barhocker in Szene setzte. Silas sprach von Verehrung, aber sein Gesichtsausdruck zeigte die lüsterne Begierde in den vom Alkoholrausch glänzenden Augen, mit der der Großteil der männlichen Trunkenbolde eine Frau ansahen. Die plumpen Worten vervollständigten das Bild eines dreisten Casanovas mit einem unbeholfenen, aber rauen Charme. Hurley dagegen sah sie mit der unverkennbaren Bewunderung eines Künstlers an ohne dabei die unangenehme Aufdringlichkeit zu verströmen, die ein Gefühl der Übelkeit auslöste.
      Ein belustigtes Lachen floss über ihre Lippen.
      "Ich bezweifle, dass jemand mich angerührt hätte.", kicherte Florence und stellte ihr Glas ab um Alistair mit einem Wink ihres Zeigefingers zu bedeuten es ein weiteres Mal zu füllen. "Nach einer Nacht in der Bilch roch ich nicht gerade nach süßem Rosenwasser. Ich war wirklich überrascht, dass Nightingale recht zügig Kleinbei gegeben hat."
      Alkohol und die einladende Aussicht auf ein paar Zentimeter verführerische Haut hatte schon dem hartgesottensten Seemann die Zunge gelockert. Dabei hatte Florence eigentlich nicht die Absicht gehegt die Männer auzuhorchen. Sie war mitnichten eine begabte Spionin und versprach sich nicht zu viel. Das Kapitel Starfall hatte sie gedanklich bereits abgeschlossen, als sie Trigg in der geschäftigen Menge des Docks verloren hatte. Eine gewisse Neugierde an dem mysteriösen Verhalten des grimmigen Kapitäns ließ sich jedoch nicht verhehlen.
      Rückhaltlos redete sich Trigg um Kopf und Kragen, zumindest was seinen inbrünstigen Wunsch anging eine theoretisches Stelldichein mit Florence zu beschreiben. Sie war nicht zarbesaitet, war aber dennoch dankbar als Hurley seinen Kollegen vorübergehend zum Schweigen brachte. Lachend winkte Florence ab.
      Nachdenklich zog sie die Augenbrauen über der hübschen, geraden Nase zusammen.
      "Ob ich Angst habe", wiederholte Florence die Frage und seufzte schließlich, um mit eventuell nicht erwarteter Erhlichkeit zu antworten. "Meistens, Hurley. Erst allein auf einem Piratenschiff unter zwielichtigen Männern und jetzt gestrandet in der Fremde. Aber kopflose Panik hat noch niemandem das Leben gerettet. Würde es jemand versuchen, verspreche ich dir Hurley, würde ich demjenigen den Kampf seines Lebens liefern. Vermutlich würde er das ein oder andere Körperteil dabei verlieren, aber er müsste sich schon für seine Beute anstrengen. Wenn ich etwas nicht bin, dann eine zerbrechliche Prinzessin, die beschützt werden muss und ich habe schon Männer in ihre Schranken verwiesen, die fast so groß waren wie unser lieber Big Al. Frag, Trigg. Er musste mich niederschlagen, sonst hätte er mich nie an Bord bekommen."
      "ER HAT WAS!?", donnerte es von jenseits des Tresens, was Florence mit einer flüchtigen Handwegung abwiegelte jedoch nicht verhinderte, dass Alistair angesichts des rauen Umgangs mit einer Dame vor Unmut köchelte.
      "Sei's drum. Um ehrlich zu sein, Clara hat mir mehr Angst eingejagt, als jeder Mann auf der Starfall oder in Million Towers."
      Florence trank einen Schluck um zu verbegen, dass der Gedanke ihr trotz der zum Schluss leichtfertigen Worte durchaus noch Furcht einflöste. Das Grinsen auf ihrem Gesicht reichte nicht volständig bis in ihre strahlenden Augen. Beiläufig erhob sie das neu gefüllte Glas zu einem Prosten in Richtung Hurly.
      Sonderbar, dachte Florence. Offensichtlich hatte Nightingale seiner Crew ausdrücklich verboten Florence auch nur mit dem kleinen Finger zu berühren und der Kapitän machte scheinbar aus Prinzip keine Gefangenen. Ob die neblige Vergangenheit mit ihrem Großvater Cornelius Ainsworth auf der Revenge den Sinneswandel geweckt hatte?
      "Merkwürdig.", fuhr sie fort. "Auf mich hat Nightingale nicht den Eindruck gemacht, als würde er schnell von seinen Prinzipien abweichen. Er wirkte sehr beharrlich auf mich. Das macht mich dann wohl zu etwas Besonderen, nicht wahr?"
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Winterhauch ()