The Legend of Starfall [Winterhauch & Nico]

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    • Hurley hing in den Seilen.
      Die blauhäutigen Arme hingen schlaff herab über dem Amboss, den er die letzten - beinahe - zwölf Stunden traktiert hatte. Schwere Abdrücke des Schmiedehammers zeigten sich auf der Oberfläche, obgleich dies nicht hätte sein sollen. Er würde den Amboss erneut erhitzen und neu legieren müssen, aber der Auftrag duldete keinen Aufschub. Ein Schwert nach derartigen Wünschen zu schmieden war keine Leichtigkeit. Und schon gar nicht mit einem Gehilfen, der einem ständig über die Schulter sah. Hurley hatte mit Arnauds Hilfe Teile aus dem Maschinenraum entfernt, um den filigranen Wünschen der Navigatorin, die mit einem lächerlich großen Barren Niob um die Ecke gedackelt kam, zu entsprechen. Liam würde ihn eigenhändig skalpieren, wenn er sah, dass Elemente am Kessel fehlten. Aber er brauchte sie für die Übergänge und Klappen, welche das Schwert haben sollte. Kontne man es überhaupt so nennen? In seinem Volk war es bestenfalls ein längeres Brotmesser.
      "Freut mich, wenn es gefällt", keuchte er und ließ die Zunge erschöpft heraushängen, als er ins Tageslicht durch die Luke blinzelte. "Eine ganze Nacht...Wahnsinn..."
      Lange hatte er nicht mehr derart geschmiedet.
      Arnaud hatte sie bereits zu den frühen Morgenstunden verlassen, sichtlich erschöpft und genervt. Doch Hurley nicht. Hurley hatte weiter gemacht und diese kleinen Dioden eingesetzt und die noch kleineren Zahnräder der Pistole verschweißt, die sich kaum verschweißen ließen. Hach, was war er für ein Hecht.
      "Rise & Ruin, huh?", murmelte der Schmied und kicherte. "Na wenns denn so sein soll."
      Noch ehe er weiter zu Worten kam, erklang von oben ein gar prächtiges Getöse. Schwere Schritte waren auf die Dielen des Dekcs getreten und hatten die Stimmung dort offenbar gekippt.
      "Nun eil dich. Wir haben nicht viel Zeit", sagte Hurley und griff nach dem Schmiedehammer. Man wusste ja nie.

      An Deck war die Panik ausgebrochen.
      Kaum hatte eine Delegation von Menschen und anderem Getier das Schiff erreicht, hatte Liam Panikstufe ausgerufen. Silas befand sich am Rand der Reling, direkt neben dem Aufgang und hielt in seiner Hand eine schwere Pistole, die man bisher noch nicht an ihm gesehen hatte. Selten benutzte er die Kriegswaffe und nur bei Gegnern, die seiner würdig erschienen. Schwer lag das Schießeisen in seiner Hand und glitzerte mit seinen goldenen Reliefs durch den herangebrachten Tag. Das Kaliber dieser Waffe war kaum zu messen, jedoch gab es durchaus Geschichten, geneigter Leser, dass man damit den Kopf eines Wolkenwales durchlöchern konnte. Ungewöhnlich lang und von merkwürdiger Statur lag die Waffe in Silas Hand und der Verdampfer am Kopf der Waffe rauchte bereits leicht, als heize sich die Waffe für ihren Einsatz vor.
      Clara hatte ihr Gewehr auf dem Mast in Stellung gebracht und zielte auf den gewaltigen Mann, der die Rampe erklomm, um das Schiff zu betreten.
      Claus Villems hatte sich nicht lumpen lassen. Gehüllt in seinen rötlichen Ledermantel und mit einem locker sitzenden Wams und enger Lederhose bekleidet, wirkte er mehr als ein fahrender Händler. Wenn da nicht der gewaltige Ochsenschädel gewesen wäre, der sich jetzt in das Blickfeld der anderen schob.
      "Na?", grunzte der Ochse und grinste in Silas Richtung. "Leichte Panik, Trigg?"
      "Nicht mehr als sonst auch."
      "Kihihihihihihihi, dachte ich mir...Wo ist dein Kapitän, Bursche?"
      Liam hatte sich ebenfalls nicht lumpen lassen und stand zum ersten Mal auf der Brücke, ohne eine Gehhilfe. Auch er trug eine gegerbte Lederjacke mit locker sitzendem Wams, wobei auf seinem gesicht eher ein lockeres Lächeln zu finden war, als er dem Ochsen auf der Treppe entgegen ging. Mit Spannung betrachteten die anderen Mitglieder der Crew das Geschehen. Besonders Ben, der sorgenvoll auf das Bein des Kapitäns sah.
      "Willkommen", sagte Nightingale und nickte.
      "Am Arsch, Bursche", knurrte Villems und ließ den schweren Sack, den er über der Schulter getragen hatte, krachend zu Boden fallen. "Sag deinen Kumpanen, sie sollen ihre Waffen wegstecken, sonst stecken sie ihnen im Hintern. Und was hast du gemacht? Dein Bein sieht aus als hätte es ein Bär angefressen..."
      Liam zuckte die Achseln.
      "In etwa. Eine Frau, fürchte ich", sagte er und trat näher an Villems heran. "Du bist hier um mein Schiff zu coaten?"
      "Ich bin hier um das Schiff von Ms Cartwright zu coaten. Mit ihr habe ich ein Geschäft."

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    • "Nicht mein Schiff, Villems", korrigierte Florence. "Ich bin nur die Geldgeberin. Das Kommando liegt beim Käpt'n. Daher ein wenig mehr Respekt solange ihr auf der Starfall seid. Für das stolze Sümmchen erwarte ich ein gewisses Maß an Manieren."
      Die Navigatorin verließ die Treppe, die unter Deck führte und bei jedem noch so leichtfüßigen Tritt ächzte. Die Stimme klang weniger nach der lebenslustigen Florence und mehr nach einem gut ausgebildeten Offizier, der einen Neuling über die Hierarchie an Bord erinnerte. Selbst die Wortwahl rief allen an Bord in Erinnerung, das diese Frau nicht in den dunklen Straßen einer großen Metropole aufgewachsen war. Ihre gute Herkunft und Erziehung war nie prominenter Gewesen. Mit erhobenem Haupt schlenderte Florence über das Hauptdeck und steuerte ohne Umwege die nächste Treppe an, die sie zu Nightingale führte. Beiläufig berührte ihre Fingerspitzen den Handlauf als liebkoste sie das Holz des Handlaufes. Sie würde sich gegenüber Villems und seinem dreckigen Haufen von Gefolgsmännern keine Schwäche erlauben. Sie hatte den widerwertigen Wachmann unweit des Schmugglers entdeckt und spürte eine Welle von Ekel und Wut in sich aufkochen. Der Mann mit dem beeindruckenden Ochsenschädel hatte sich ordentlich heraus geputzt. Etwas, das keines von seinen Crewmitgliedern von sich behaupten konnte. Der Geruch von billigem Rum, Rauch und Dingen, über die sie nicht nachdenken wollte, verpestete die Luft. Nightingale hatte offenbar die gleiche Idee gehabt, wie der Schmuggler. Der lockere Wams war erstaunlich frei von Löchern und Flecken. Auch der Rest seiner Garderobe konnte sich für den Kapitän eines Piratenschiffes sehen lassen. Offenbar wollte sich an diesem Morgen niemand die Blöße geben. Die beiden Anführer hatten sich in Schale geworfen wie zwei eitle Gockel. Wobei Nightingale eindeutig die bessere Figur machte, wie Florence befand. Er sah gut aus und kaschierte die Verletzung gekonnt. Allerdings nicht gut genug für Villems scharfe Augen. Das hatte sie unter Deck gehört.
      Florence selbst hatte nach einem überschwänglichen Dank in Form einer erdrückenden Umarmung und eines Wangenkusses von Hurley verabschiedet. Sie war für eine Zeit in den Tiefen im Bauch der Starfall verschwunden und hatte sich bedauerlicherweise zur Begrüßung verspätet. Überraschend gehorsam nahm Florence ihren Platz an Nightingale Seite ein, denn immerhin hatte er diesbezüglich eine klare Anweisung erteilt. Sie konnte die Wut und Abscheu in seinen Augen nicht vergessen. Die Erinnerung löste einen heißen und gleichzeitig kalten Schauer aus. Unter einem unverschämt geschwungenen Wimpernkranz sah sie Nightingale entschuldigend an. Dennoch blitzte ein gewisser Schalk darin.
      "Entschuldige die Verspätung", flüsterte sie. "Du weißt, wie es heißt: Eine Lady braucht ihre Zeit."
      Sie war mit Nichten eine Lady, das wusste niemand besser als Nightingale und Trigg, dem sie keck zu zwinkerte obwohl sie bis zu einem gewissen Grad noch sauer auf ihn war für das unnötige Chaos im Roten Ochsen. Es war nicht zu übersehen, warum Florence nicht pünktlich wie alle anderen erschienen war. Die Haare waren in saubere und ordentliche Locken gelegt. Die rabenschwarzen Strähnen schimmerten im sanften Licht und fielen ihr offen über die nackten Schultern. In die vordersten Strähnen hatte sie bunte Perlen geflochten, wie es die Gaukler zu den Feierlichkeiten in Wesyn taten. Die Bluse ließ ihre Schultern frei und entblößte verspielt den Ansatz ihres Dekolletés ohne dabei zu offenherzig oder gar billig zu erscheinen. Die Haut war sauber geschrubbt und frei von Staub. Anscheinend hatte sie das Bad ausgiebig genutzt nach den schweißtreibenden Arbeiten in der Schmiede mit Hurley. Der Blusensaum steckte in einem langen Rock mit hoher Taille deren Schwung sie mit einem Gürtel betonte. Der vertraute und typische Gehschlitz gewährte freien Blick auf die dunkle, weiche Haut ihres linken Beines. Das Halfter, nun versehen mit einem Dolch fest um den Oberschenkel gezurrt. An einem zweiten, tiefer sitzenden Gürtel befand sich die modifizierte Waffe die Hurley im Schweiße seines Angesichts und in Rekordzeit gefertigt hatte. Sie würde sich dafür bei Liam entschuldigen, da dem Unterfangen leider Teile der Starfall zum Opfer gefallen waren. Das ganze Outfit ließ sie mit dem Ambiente eines Piratenschiffes verschwimmen, als gehörte sie hier her und nirgends anders.
      "Deine Befehle, Käpt'n?", fragte sie. Florence würde Nightingale vor einem alten Feind aus der Vergangenheit nicht in Rücken fallen oder seine Geduld auf die Probe stellen. Sie wollte kein neues, böses Blut zwischen ihnen wo sie endlich eine neutrale Basis erreicht hatten. "Ich würde vorschlagen, im Interesse von uns allen, dass wir dieses Geschäft so kurz wie möglich halten."
      Sie hatte Abzocke sagen wollen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Eine kurze Weile lang ruhten sämtliche Blicke auf der Navigatorin, die aus dem Nichts zu erscheinen schien. Freilich hieß es, dass Kleider Leute machten, aber eine derartige Verwandlung war schon beeindruckend. Ja, sie war eindeutig kein einfaches Seefrauchen, das man am Stege zurückließ, wenn die große Fahrt anstand. Dies war eine Frau, bei der selbst Villems nicht um ein Schmunzeln verlegen war. Auch wenn sie sich unmöglich verhielt und hinter ihrer sauberen Fassade die Unwissenheit nicht verbergen konnte.
      Schweigsam stand er an Deck, flankiert von Silas und Hurley, der hinzugetreten war und starrte wutentbrannt und gleichsam lächelnd zu Florence Cartwright hinauf.
      "Habt ihr gehört, Männer?", fragte er in die Runde. "Man verlangt Manieren von uns..."
      Es dauerte eine kurze Weile, da begann die Entourage von Villems geschlossen und einig zu lachen. Schallend und laut hallten die Stimmen über das Deck und erfüllten den Raum mit einem Spott, der ihresgleichen suchte. Selbst Trigg hielt an sich, um seine Wut im Zaum zu halten.
      "Ich sag dir was, Mädchen", begann Villems und tat einen schweren Schritt auf die Dielen. "Der Tag, an dem du mir Befehle gibst, ist noch nicht geboren. Also komm runter von deinem hohen Ross, sonst versuchst du das Kielwasser. Püppchen."
      Das letzte Wort spie er beinahe aus und schritt erneut in das Gelächter seiner Crew mit ein.
      Drei ganze Sekunden hielt der Spaß, ehe ein Schuss durch den Himmel hallte und das Ohr des Ochsen nur um Millimeter verfehlte. Leicht rauchten die Haare an seiner Kopfseite, während er einen wütenden Blick in Richtung Clara warf, die ihn bösartig anfunkelte.
      "Reicht jetzt auch, Milchkuh", zischte sie und lud erneut durch. Der Blick der Frau war deutlich bösartig, doch verbarg sich darin eine geraume Angst, die der Ochse zu erkennen wusste.
      "Clara!", donnerte Liam und stützte sich ungewohnt schwer auf die Reling, ehe er sich auf den Weg nach unten machte.
      Unsicheren Schrittes wagte er die Stufen hinab zu steigen und kam nach einer längeren Zeit auf dem Deck an, wo er erneut von Villems und seinen Männern belächelt wurde.
      "Deine Crew ist ganz schön mutig, Nightingale", knurrte Claus und sah zu Liam, der sich schnurstracks auf ihn zubewegte.
      Erst drei Schritte vor ihm kam der Kapitän zum Stehen und versuchte sich durch einen breiten Stand auszugleichen.
      "Sie wissen nur, was sich gehört. Ihr seid Gäste auf meinem Schiff. Und auch wenn Florence keine Befehle zu geben vermag, hat sie nicht Unrecht. An diesem Schiff gelten meine Regeln. Und hier wird sich benommen. Sei es Mann oder Maus", murmelte der Kapitän und sah zu einem besonders widerwärtigen Exemplar von Mann hinter Villems. "Und sollte ich erfahren, dass die Damen an Bord in irgendeiner Weise belästigt werden, verlierst du deinen anderen Arm gleich mit."
      "Würde gerne sehen wie du es versuchst...", flüsterte Claus und funkelte Liam an.
      Der Moment der Kreuzung der beiden Blicke glich einer unscheinbaren Schlacht. Die Luft um die beiden Piraten schien kälter, beinahe unerträglich zu werden. Die Muskeln des Ochsen spannten sich kurz an, was die Nähte seiner Ärmel unter große Strapazen setzte. Das Schwert auf Nightingales Rücken begann leise zu summen, während sie sich ansahen und nicht sprachen.
      "Tus nur...", flüsterte Liam und das erste Mal wirkte sein Blick unmenschlich. "Gib mir einen Grund..."

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    • Sonderlich überraschend war das spöttische Gelächter nicht.
      Florence hatte nicht damit gerechnet, dass Villems sich davon beeindrucken ließ. Dennoch blieb die Kartografin standhaft und verzog keine Miene. Der Spott fegte über sie hinweg und trug vereinzelt höhnische Wortfetzen mit sich. Ihr Blick schnellte zu dem bulligen Wachmann, der seinem Nebenmann ungehalten einen Ellbogen in die Seite rammte. Ein kleines Handgemenge, das nicht der Rede wert wahr, entstand. Sie konnte nicht jedes Wort verstehen, aber war sich zweifellos sicher, dass der Wachmann von seinen Kameraden ein weiteres Mal daran erinnert wurde, dass ein kleines Püppchen wie Florence ihn wortwörtlich an den Eiern gehabt hatte. Der bitterböse Blick, den er in ihre Richtung warf, sprach jedenfalls Bände. Püppchen... Die Navigatorin knirschte verägert über die abwertende Bezeichnung mit den Zähnen.
      Ein Schuss peitschte über das Deck und Florence riss den Kopf herum, um Clara und die qualmende Mündung des Gewehres in luftigen Höhen auf dem Mast zu entdecken. Die Navigatorin bildete sich nicht ein, dass die Scharfschützen aufgrund der milden Beleidigungen geschossen hatten. Wahrscheinlich konnte sie wie Nightingale das Gerde des Ochsen einfach nicht mehr ertragen.
      Die Situtation an Deck der Starfall spitzte sich allmälich zu. Die Kapitäten lieferten sich bereits mit Blicken ein hitziges Gefecht und ein Funke reichte aus, um das Pulverfaß zu entzünden. Florence schüttelte den Kopf. Es war zu erwarten gewesen, dass es Schwierigkeiten geben würde.
      Florence, die in erhöhter Position am Steuerrad stand, lehnte sich mit den Ellbogen auf die Reling. Eine leichtes Meeresbrise wehte durch die dunklen Locken und der Ausdruck in ihren Augen ließ keinen Zweifel daran, dass es hinter ihrer Stirn im rasanten Tempo unaufhörlich arbeitete. Einen Kampf konnten sie dieses Mal nicht riskieren, dachte sie, als ihr Blick zu Liam glitt, der das gesunde Bein im Stand mit seinem Gewicht belastete. Villems würde keine Minute brauchen um ihn auf die Bretter seines eigenen Schiffes zu schicken. Ein gezielter Schlag, der Liam aus dem Gleichgewicht brachte, müsste dafür ausreichen. Florence konnte Nightingale nicht bevormunden ohne die Gefahr, dass die Situation völlig eskalierte. Ebenso wenig hatte sie Einfluss auf Villems. Dem Mann ging es nicht ums Geld. Die lächerlich hohe Summe war nur ein Versuch gewesen, Nightingale eins auszuwischen.
      Das hier war schon lange kein simples Geschäft mehr. Das hier war persönlich.
      Aber Florence musste es versuchen.
      "Wenn Du ihm den anderen Arm auch noch abschlägst, kommen wir nicht nach Gogyja, Käpt'n", gab sie zu bedenken. Der Ton ihrer Stimme war dabei dermaßen beiläufig, als würde sie mit Nightingale über das Wetter plaudern. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf Villems und sagte ganz simpel: "Geschäft ist Geschäft, Villems. Kein Coating bedeutet keine einzige Münze für Dich und Deine Männer."
      Geld mochte für Villems vielleicht nicht der auschlaggebende Grund sein, aber für die Crew in seinem Rücken und 1.000 Taler waren ein wirklichen verlockendes Sümmchen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Florences Worte hallten über das Deck hinweg und Liam wusste nicht ob er wütend oder gleichsam erleichtert sein sollte. Selbst in Villems Ochsengesicht schien es zu arbeiten und die Wutfalten, die sich über die gesamte schwarz befellte Haut erstreckten, begannen sich zu vertiefen. Beide Männer wussten, was ein Kampf anrichten würde. Vermutlich würde Nightingale unterliegen, aber was machte er mit dem Rest der Mannschaft, die nach und nach an Deck hinzu stießen. David hatte sich vom Steuerrad entfernt und seinen Platz an der Reling eingenommen. Seine beiden Arme hatten sich in vier dünnere Arme aufgeteilt und wirkten wie eine gewaltige Spinne, die das Holz bearbeitete und sich in die Höhe schob. So schwebte der Steuermann über dem Boden und sah hinab zu dem Ochsen. Das Metall seiner Haut schimmerte und mit einem Mal wurde Villems zwei Dinge klar:
      Ad 1: Cartwright hatte nicht Unrecht.
      Ad 2: Nach Nightingale waren dieser silberne Steuermann, dessen Leib aus glänzendem Niob zu bestehen schien und der Zauberer Orcas, der gerade an Deck geschlendert kam, die Gefährlichsten der Mannschaft. Die Luft um sie herum flirrte nicht und beiden hafteten nicht die Aura des Unbestimmbaren an. Aber dennoch erschien es plausibel, dass sie eingreifen würden. Und dann war es fraglich, ob er sich herauswinden konnte.
      "Gut, die Lady hat einen Punkt. Ein Tag und 1.000 Taler, Bursche", murmelte Villems und grinste breit. "Alsdann Männer! An die Arbeit, ihr verlausten Kielratten!"
      "Arnaud. Zeig ihnen die Stellen, die sie sehen wollen."
      "Oui Chef!"
      "Und Claus!", rief Nightingale.
      Der Ochse drehte sich um und zog die Augenbauen hinauf.
      "Lass mein Schiff ganz", lächelte der Kapitän und erntete dafür kehliges falsches Gelächter.
      Gott, er würde diesen Ochsen leiden lassen, wenn niemand hinsah...

      Es vergingen Stunden.
      Mit dem Hereinbrechen des Mittags hatte die Mannschaft des Schmugglers bereits einen Großteil der Arbeit verrichtet und die neuen Apparaturen an den Rumpf angebracht. Ein Coating war hier nicht mehr als eine Luftblase, die sich geschlossen um das offene Deck legte und die Lücken verschloss. Generiert wurde sie mit einer speziellen Lauge, die in einem Behelfszuber, den man in den Mannschaftsraum geschliffen hatte, ruhte und dort von Chimp und einem Mannschaftsmitglied angerührt wurde. Spezielle Kräuter und gleichsam der Einsatz eines Trankes, der hineingegeben wurde, machten die Ausdehnung möglich.
      An Deck wurden entsprechende Düsen verankert, die mit einem kleinen Rohrsystem, das sich in der schweren Tasche befunden hatte, an den Generator angeschlossen wurden. Durch die Hitzeentwicklung würde die Lauge gekocht und produzierte Seifenschaum, der sich durch den Trank erhärtete und eine etwas stabilere Haut formte. Sie war nicht unzerstörbar aber durchaus potent, Wasser am Eindringen zu hindern.
      Nightingale hatte Hurley und David schlussendlich dazu verdonnert, die Außendielen des Bootes mit Seil und Schlick abzudichten, damit das Schiff nicht Leck schlug. Der Druck musste berechnet werden und mithilfe von Orcas und Arnaud wurde der Kessel gegen den Abfall gesichert.
      Nach einiger Zeit trat Villems an Deck und sah zu seinen Mannen. Schließlich auch zu Nightingale und Cartwright.
      "Wir sind fertig", verkündete er. "Ihr habt ein Coating erhalten und es ist ordnungsgemäß montiert. Es hat drei Ladungen, also geht sparsam in den Untiefen damit um."
      Liam sah prüfend zu den Düsen und gleichsam zu Hurley und Arnaud, die beide nickten und wortlos verschwanden.
      "Florence", murmelte er. "In meiner Kajüte. Die Truhe. Darin ist eine goldene Manschette, eine Art kleiner goldener Stab. Bring ihn mir als Bezahlung für Villems."

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    • Florence atmete erleichtert auf.
      Die befürchtete Katastrophe schien fürs Erste abgewendet und Villems' Crew machte sich an die Arbeit. Seltsame Apparaturen und Behätnisse mit mysteriösem Inhalt fanden ihren Weg an Deck der Starfall. Sie lauschte den Gesprächen der Männer, um etwas über die Funktion und den Zweck zu erfahren. Die Navigatorin beobachtete das geschäftige Werkeln der Männer aus sicherer Entfernung. Einsterseits wollte die junge Frau niemandem im Weg stehen und andererseits verspürte sie nicht unbedingt das Bedürfnis einem von Villems fragwürdigen Crewmitgliedern näher zu kommen als zwingend nötig war.
      Florence' Blick folgte Oracas und Arnaud unter Decke während Hurley und David sich an der Außenverkleidung des Luftschiffes zu schaffen machten. Sie lehnte sich schwer auf die Reling und beobachtete Chimp, der bei der Zubereitung der Mixtur nichts dem Zufalln überließ und dem Mann aus Villems Mannschaft dabei auf den Pelz rückte. Silas und Clara behielten den Fremden an Bord misstrauisch im Auge und patroulierten über das völlig überfüllte Holzdeck.
      Alle hatten eine Aufgabe zu erledigen. Nur Florence blieb im Hintergrund, nach der holpprigen Begrüßung mit Claus Villems hatte Nightingale ihr keine Aufgabe zugewiesen. Keine geknurrte Anweisung und keine ermahnenden Worte. Sie fühlte sich, gelinde gesagt, nutzlos. Liam hatte mehr als deutlich klar gemacht, dass sie in seiner Nähe bleiben sollte. Also, machte Florence genau das. Schweigend folgte sie Nightingale wie ein merkwürdiger, zweiter Schatten und fühlte sich dabei wie ein Hundewelpe, der seinem Herrchen hinterher trottete. Sie musste nicht die Ohren spitzen um zu wissen, dass hinter ihren Rücken getuschelt wurde. Die Hälfte von Villems' Männern glaubte bereits, dass sie dem grimmigen Kapitän der Starfall nachts die Koje warm hielt. Der tatsächliche Wortlaut war wesentlich vulgärer.
      In den beginnenden Abenstunden schlenderte der Ochse sichtlich selbstzufrieden über das Deck, als gehörte ihm das Schiff. Florence klickte missgelaunt mit der Zunge, hielt aber vorerst den Mund. Vermutlich war das auch besser so, um auf dem letzten End nicht noch eine Keilerei zu provozieren. Je länger sie Claus Villems in Aktion sah, umso weniger konnte sie den Schmuggler leiden. In dem Augenblick, als Liam sie ansprach, wäre Florence fast erschrocken zusammen gezuckt. Über die letzten Stunde hatte er permanent unter Anspannung gestanden und kaum ein Wort verloren. Der erste Reflex bestand darin mit ihm darüber zu argumentieren, dass sie den Deal mit Villems eingefädelt hatte und wie versprochen die gefoderte Summe besorgen würde. Die Navigatorin entschied sich für die klügere Variante. Sie nickte verstehend und ging mit wehenden Röcken in Richtung der Kapitänskajüte davon um den gesuchten Gegenstand zu holen.
      Ein gut erzogener Hundewelpe, dachte Florence verdrießlich und presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Es war nicht fair gegenüber Nightingale, aber das Nichtstun hatte eine beachtliche Frustration hinterlassen. Sie verstand nicht, warum er plötzlich beschlossen hatte sich um ihre Sicherheit zu sorgen. Florence hatte mehr oder weniger erfolgreich bewiesen, dass sie auf sich selbst aufpassen konnte.
      Bei der Rückkehr drückte sie Nightingale schweigend das goldschimmernden Schmuckstück in die Hand.
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    • Nightingale war an Deck herauf und herab getigert wie ein Strafgefangener und hatte Villems mit eisigem Blick beobachtet.
      Die Aussicht, dass er etwas tun könnte oder gar stehlen, trieb den Kapitän regelrecht in den Wahnsinn. Der Blick des Piraten glich einem Donnerhall, wann immer er auf Mitglieder der Crew traf und gleichsam huschte sein Blick zu Florence, die ihm wie ein Schatten folgte. Er wusste dass sie ohne Aufgabe und Sinn war. Und zu gerne hätte er es geändert. Aber zum einen wusste Liam nicht, ob er an sich halten konnte, wenn eine Frau belästigt wurde und zum anderen war die Gefahr größer, dass hierdurch ein Tumult entstand.
      Schweigsam wartete er ehe Florence ihm das Gewünschte brachte und es ihm schweigend in die Hand drückte. Oh wie man ihre Unmut darüber erahnen konnte...Doch was sollte er tun? Schutz war dieser Tage das erste Gebot, gerade wenn er nicht in der Lage war zu kämpfen.
      "Deine Bezahlung", murmelte er und hielt Villems den Stab hin.
      Der Ochse betrachtete eine ganze Weile das goldene Etwas, ehe er schnaubend zu Liam hochsah.
      "Dein Ernst? Eine verfluchte Karte?", fragte er grinsend und begann daraufhin schallend zu lachen. "Man hat mir 1000 Taler versprochen, Bursche. Und kein Papier mit hässlichen Zeichnu-"
      "Es ist die Karte von Magellan." *
      Schlagartig erstarb jedes Gespräch an Bord. Die Männer des Ochsen scharten sich um ihn wärhend dieser den Stab mit neuem Gewicht in der Hand hielt und mit großen Augen absuchte. Zart beinahe glitten seien Finger über den Oberstoff des Metalls und flüsternd begann sich die Meute um einander zu scharen.
      Liam nutzte die Gunst der Stunde.
      Schweigsam tat er einen Schritt nach hinten und lehnte sich an Florences Ohr.
      "Lass den Ballon langsam entleeren und sag Arnaud, er soll die Kessel auf halber Kraft befeuern. Es kann sein, dass wir gleich abhauen müssen..."
      Das Wispern ging im Wind beinahe unter, als Liam sich wieder dem Ochsen zuwandte.
      "Und? Bezahlung akzeptiert?", fragte er nach einer Zeit und verschränkte die Arme.
      Claus Villems war nicht dumm, aber gleichsam gierig. Eine viel zu erratbare Schwäche, wenn man den Piraten fragte. Schweigsam sah er von dem Schatz auf und ließ diesen in seiner Jacke verschwinden, ehe der massige Kopf sich senkte.
      "Akzeptiert, Bursche", knurrte er. "Bei meinem Bart, ich hätte nicht gedacht, dass du derartige Schätze hier vorhältst..."
      "Tja..Wunder gibt es immer wieder, nicht wahr?", grinste Liam und seufzte. "Dann werden Silas und Hurley dich nun nach draußen geleiten und gleichsam von Bord. Ich habe einen Termin mit einer Heilerin..."
      "Ach eins noch, Bursche!"; sagte Villems und grinste breit. "Riv hat nach dir gefragt. Du sollst dich blicken lassen."





      *
      Spoiler anzeigen
      Die Karte von Magellan ist eine legendäre Schatzkarte, die auf den Schatz des eben genannten Freibeuters und Marine-Admirals Magellan Jones hinweist. Die Karte galt für Enthusiasten als beinahe unbezahlbar und gleichsam verschollen.

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    • Florence' Augen wurden groß vor Erstaunen.
      Die Schatzkarte des Magellan war keines der üblicherweise völlig überteuerten Artefakte sondern eine echte Rarität. Die Aufzeichnungen galten als unwiderruflich verschollen. Skrupelose Schatzjäger gingen über Leichen um eine klitzekleine Information über den Verbleib der Karte zu bekommen. Kurz gesagt, sie war schlichtweg unbezahlbar. Die Navigatorin war aufrichtig verwundert, dass Nightingale im Besitz dieser Seltenheit war und dazu noch bereit war, sich ausgerechnet für Villems davon zu trennen. Eigentlich hatte Florence erwartet, dass Nightingale einen solchen Schatz hüten würde, wie der Drache, der auf seinem Gold hockte. Die Furie namens Rebekka musste ihn härter am Kopf getroffen haben, als zunächst angenommen. Verwirrt runzelte Florence die Stirn. Etwas störte die stille Frau, die sich in Liams Schatten bewegte. Sie brauchte einen sehr langen Augenblick, bis sie verstand, was ihr an der gesamten Übergabe so seltsam vorkam.
      Das Alles ging viel zu glatt. Es war zu leicht. Zu friedlich.
      Üblicherweise hätte ab diesem Zeitpunkt mindestens eine Beleidigung fallen müssen. Schwerter, Säbel und Messer blieben unebachtet an ihren Plätzen und kein Kugelhagel durchsiebte die salzige Meeresluft. Für die Crew der Starfall, die gewöhnlich Katastrophen anzog, wie der Mist einen lästigen Schwarm Fliegen, war es eindeutig zu ruhig. Erst die geflüsterten Worte von Nightingale brachten Licht ins Dunkle. Der Herzschlag beschleunigte und Florence spürte die kribbelnde Aufregung, bis in die Fingerspitzen. Vielleicht sollte sie sich langsam Sorgen um ihren gesunden Menschenverstand machen, dass sie trotz der erniedrigenden Begegnung im Roten Ochsen und dem angedrohten Grauen langsam Gefallen an dem Nervenkitzel fand. Sie versuchte ebenfalls nicht darüber nachzudenken, ob es der heiße Atem an ihrem Ohr oder die Erkenntnis war, die das Adrenalin in ihre Adern pumpten.
      Die Karte war eine Fälschung.
      Liam musste es gar nicht aussprechen, damit Florence verstand. Sie nickte kaum merklich und zog sich aus dem Pulk zurück. Beim Weg über das von Geflüster erfüllte Hauptdeck kreuzte sich ihr Blick mit Silas'. Ihre Schritten beschrieben eine Kurve über das feuchte Holz auf den Dieb zu, der die ganze Aufregung mit Argusaugen beobachtete. Sanft legte sie die Hand auf seinen Unterarm und ließ die Fingerspitzen hinauf zu seiner Schulter wandern ehe sie sachte die Hand in seinen Nacken schob. Das Handgelenk wirkte leer ohne das vertraute Klimpern der schimmernden Muscheln daran. Sie drückte die Fingerspitzen leicht in seinen Nacken, um ihn auf ihre Höhe herabzuziehen. Von Weitem erweckte die Geste den Anschein, als würde Florence ihrem Liebhaber nichtige Zärtlichkeiten ins Ohr flüstern während sie die Wange gegen seine schmiegte. Vielleicht eine Verabredung unter Deck sobald das Geschäftliche erledigt war.
      "Gib den anderen ein Zeichen, dass sie sich bereit halten sollen. Entleert den Ballon langsam. Befehl vom Käpt'n", flüsterte sie. "Unauffällig."
      Vielversprechend spielten ihre Finger am geöffneten Kragen seines Wams während sie ihn anlächelte. Ein geschicktes Schausspiel für die neugierigen Blicke, die sich trotz aller Faszination von der Schatzkarte lösten. Beinahe verspielt löste Florence die Berührung auf und warf die lockige Haarmähne über die Schultern zurück, während sie scheinbar unter Deck verschwand um sich auf ein Stelldichein vorzubereiten. Das Lächeln verblasste und sie beschleunigte ihre Schritte, sobald sie außer Sicht war.
      Statt in die Kabine des Diebes verschlug es Florence in Richtung des Maschinenraumes. Riv. Schon wieder ein Name, der bisher nie gefallen war. Wie viele Geheimnisse mochte ein Mann wie Nightingale verbergen.
      "Arnaud?", fragte sie in die drückende Hitze des Kesselraums, aus dem die Wärme scheinbar nie wirklich entwich.
      Als sie den Mechaniker mit dem gewzwirbelten Bart entdeckte, atmete sie erleichtert aus.
      "Kessel auf halber Kraft befeuern, Arnaud. Anweisung vom Käpt'n", gab sie den Befehl weiter und sah aus einem der beschlagenen Bullaugen hinaus auf die Sandbank. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Nicht aus Furcht. "Ich glaube Nightingale hat Villems eine gefälschte Schatzkarte als Bezahlung untergejubelt. Bevor es richtig hässlich wird, sollten wir vorbereitet sein."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Die unauffälligen Ansagen der Navigatorin wurden von beiden Männern gleichermaßen aufgenommen: gehorsam. Silas ließ sich hinab und lauschte den Worten, ehe er mit einem vielsagenden Grinsen und Zwinkern der Frau seines Bettes hinterher sah und sich innerlich fragte, welchen Wahnsinn Liam jetzt wieder ausgeheckt hatte, sich mit einem Piraten der Schwarzen Generation anzulegen. Zumal sie alle ermessen konnten, dass dieser Irre zu mehr als irrealen Leistungen fähig war.
      Sorgsam gab er Clara ein Zeichen und achtete auf nicht zusehende Augen, während der Ballon langsam an Luft zu verlieren schien. Chimp hatte wiederum auf Kommando der Scharfschützin das kleine Rad am Hauptmast gedreht und mit einer sanften Brise und leisem Rauschen, das in den Böen der Mahlströme rund um die Insel unterging, entleerte sich der Ballon mehr und mehr.
      Derweil hatte sich Arnaud in dem drückend heißen Maschinenraum bis auf seine Kniebundhose entkleidet und in Schweiß kuvertiert. Selbst hier konnte der Mechaniker sich selbst riechen und schüttelte darüber angewidert den Kopf, während er auf einer Schraube herum kaute und den Druck des Kessels überwachte, der sich langsam aufbaute. Noch während er mittels seiner eigenen Körperflüssigkeiten seinen Bart in Form brachte, schreckte ihn die Stimme einer Frau auf. Es konnte nur Florence sein, die man durch den Dampf im Raum kaum sehen konnte.
      Leider war das, was sie sagte nicht ansatzweise so willkommen wie ihre Gesellschaft.
      "Mon Dieu...", murmelte der Mechaniker und nahm seinen übergroßen Schlüssel zur Hand, der ihm als Waffe diente. Mit der Rechten nutzte er den Schwung seiner Bewegung das Aufkommen des Schiffes auf einer Welle, um den Regler auf halbe Kraft zu setzen. Bereits sekündlich danach begann ein recht lautes Rumpeln durch das Metall zu gehen und sich gluckernd in Betrieb zu setzen. Der Kessel rumpelte und schepperte wie ein alter Lastgaul aus Bravos und begann, schwarzen Dampf in den Raum zu pusten, der die Sicht beinahe völlig vernebelte. Es würde eine Weile brauchen, aber ausreichen..

      Sieben Minuten brauchte es, bis das Chaos wieder ausbrach.
      Villems und Liam hatten sich eine Weile fixiert, während Ben mit seinen Fläschchen hinter Liam hantierte. Der Schiffsarzt war ein Meister im Anmischen von Tinkturen und die Crew von Villems vollzog letzte Handgriffe an den Gewerklichkeiten, während der Ballon seine Festigkeit verlor.
      "Verlierst keine Zeit, was?", fragte Villems und nickte zu dem Stoff, der eilig von Silas, Chimp und Clara an den Masten vertäut wurde, wenn er diese erreichte. Es war merkwürdig aus der Starfall ein Segelschiff werden zu sehen, aber auch nicht unangenehm. Statt eines hässlichen Schattens fiel nunmehr brennende Sonne vom Himmel herab und die Luft glitt ungehindert über das raue Holz. Selbst Nightingale musste zugeben, dass Frischluft mitunter recht schön zu riechen war.
      "Was soll ich sagen", murmelte er und wies auf sein Bein. "Es schmerzt, weißt du? Also. Wenn deine Crew nun so freundlich wäre..."
      Und was soll ich sagen, geneigter Leser?
      Villems neigte beinahe ergeben den Kopf und reichte den wertvollen Besitz an einen kleinen Mann weiter, dessen spitze Ohren ihn als Edaner auswiesen. Die schwarzen Augen mit den weißen Iren wirkten hypnotisch fasziniert und beinahe zu neugierig für sein Kaliber. Liam erkannte ihn als Handlanger des Ochsen. Man nannte diesen Mann Orkney. Hässlich wie die Nacht und leider zu clever für einen Piratenkahn kümmerte er sich um die Finanzen des Schmugglers.
      Er war es, der den Schwindel der Karte als erster entdeckte.
      Auf dem Weg vom Schiff hinab beschlich Orkney das Gefühl, das etwas nicht richtig lief. Es lief zu glatt. Es fielen keine Beleidigungen, keine Körperteile. Es fehlte etwas. Und beinahe beiläufig und mit dem erschrockenen Blick Nightingales öffnete er den kleinen goldenen Stab und sah hinein.
      Hach, was soll ich sagen.
      Wäre es nur eine Fälschung gewesen. Doch eine leere Schale? War das sein verfluchter Ernst? Umso weniger verwunderlich war es, dass Orkney seine Hand hinauf riss und mit markerschütternder Piepsstimme schrie:
      "BETRUUUUUUUUG!"
      Beinahe schlagartig wirbelte Villems herum und blickte seinem Münzmeister ins hässliche Gesicht. Mehr brauchte es nicht um die Lage zu begreifen und wieder zu Nightingale zu sehen. Und was soll ich sagen, geneigter Leser. Mit dem heraufkommen von Florence war die Schlacht bereits in vollem Gange. Die Mannen des Schmugglers stürmten mit einem Urgebrüll und gezogenen Säbeln wie Pistolen auf die Crew des Kapitäns zu, die sich ihrerseits bewaffnet hatte. Nur um gleich darauf wie zwei Wellen aufeinander zu prallen.
      Im Hintergrund des Decks riss es einen Mann bereits von den Füßen, als Hurley diesen schreiend über Bord beförderte. Bedrohlicher jedoch war die Sache für Nightingale.
      Villems baute sich vor ihm auf und mit einem Mal wirkte der Ochse nicht mehr ruhig. Die Muskeln des behaarten Fleisches sprengten beinahe sämtliche Knöpfe des Wamses als dieser mit einem gewaltigen Schwinger ausholte. Sirrend pfiff die Faust durch die Luft und nur einer schnellen Drehung von Liam war es zu verdanken, dass dieser ihn nicht traf.
      "BEN! JETZT!", schrie Liam und der Arzt knallte zwei Flaschen, die er in den Händen hielt aneinander.
      Klirrend zerplatzten die Glasphiolen und gaben schlagartig schwarzen, undurchsichtigen und (leider!) stinkenden Dampf von sich, den selbst Villems nicht einatmen konnte.
      "TÖTET SIE! TÖTET SIE ALLE!", schrie er in seinem Wahn und Spucke geifernd. "UND BRINGT MIR DIESEN KRÜPPEL!"
      Zur Antwort schrien die Männer des Schmugglers auf und begaben sich in den Kampf; abgesehen von der Tatsache, dass sein Befehl irgendwie widersinnig war.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Wütendes Gebrüll donnerte über das Hauptdeck.
      Im verqualmten Kesselraum legte Florence den Kopf weit den in den Nacken. Der zornige Blick brannte beinahe Löcher in die Holzdecke, die vom Ruß bereits ganz Schwarz gefärbt war. Da kehrte sie den unverbesserlichen Chaoten für ein paar Minuten den Rücken zu und es kam zur Katastrophe. Nightingale hätte ihm einfach das Geld geben oder sie ihren Teil des Deals einhalten lassen sollen. Die Starfall hääte friedlich ablegen können und nicht weitere Beschädigungen davon getragen. In diesen Momenten glaubte Florence der einzige vernunftbegabte Mensch auf diesem Luftschiff zu sein. Sie nickte Arnaud durch den Rauch zu obwohl er sie vermutlich eh nicht sehen konnte. Mit einem Schulterzucken verschwand sie und ließ den Mechaniker mit der gluckernden und rumpelnden Kessel allein.

      Nüchtern betrat Florence das Schiffsdeck.
      Überall brüllten Schmuggler und Crewmitglieder ihnen Unmut heraus und bekriegten sich bis aufs Blut. Der Anblick überraschte die Navigatorin mittlerweile nicht mehr. Es war egal, was sie planten oder welche Agenda sie verfolgten. Das Chaos klebte an ihnen wie eine lästige Klette. Kein Anlegen ohne eine gehörige Portion unnötigen Ärgers. Fast genervt fasste sich Florence an die Nasenwurzel und atmete tief durch, während eine Kugel an ihrem Kopf vorbei zischte und hinter ihr splitternd in der Tür der Kapitänskajüte einschlug. Von Florence nahm niemand Notiz. Sie alle waren damit beschäftigt sich mit Säbeln und Pistolen auf den Pelz zurücken. Einer von Villems' Männern stolperte rückwärts an ihr vorbei und versuchte dabei den spinnenartigen Gliedmaßen von David zu entkommen. Beiläufig streckte sie den Fuß aus und stellte ihm ganz simpel ein Bein. Mit einem erschorckenen Quietschlaut landete der Schmuggler auf dem Rücken wie eine Schildkröte. David würde den Unruhestifter schon über Bord werfen. Apropos Villems...
      Florence sah sie um und bekam das erste Mal seit sie die Treppe verlassen hatte einen gehörigen Schrecken eingejagt. Mit einem gewaltigen Schwinger stürzte sich der Ochse auf Nightingale. Der Schlag könnte ihm auf der Stelle alle Lebenslichter ausknipsen. Entschlossen legte Florence die Hand um den Griff ihres brandneuen Schwerter und zog mit einem metallischen Sirren die verzierte Niobklinge. Silbernes und schwarzes Metall schimmerte im glühenden Licht der Abendsonne. Das stählerne Summen klang in der Luft nach wie eine verzauberte Melodie. Mit einer geübten und lockeren Drehung des Handgelenkes, die sie beim Festtraining hunderte Male wiederholt hatte, drehte sie das Schwert in die richtige Position. Die Klinge war schwerer als sie aussah und Florence wusste, dass es ihr an Training mangelte, um die Waffe lange in Position halten zu können. Sie würde das mit der Zeit meistern.
      Angriffsgebrüll verusachte ein schrillen Fiepen auf ihrem rechten Ohr, als sich ein ungewaschener Fießling auf die stürzte. Ah, man hatte sie also doch noch bemerkt. Reflexartig riss Florence die Schwertklinge hoch und blockte die Wucht des Schlages knapp ab. Die Kraft vibrierte durch ihre Handgelenke bis in die Schultern. Sie konnte kaum dagegenhalten. Was ihr an Kraft fehlte, glich sie mit ihrem Dickschädel aus.
      Ihr Kopf wirbelte zu Liam herum und dann zu Ben. Dann sah sie nichts mehr.
      Es war gefährlich sich in diesem undurchsichtigen Nebel zu bewegen ohne die Hand vor Augen sehen zu können. Blind wirbelten Säbel und Pistolenkugeln durch die Luft ohne das Ziel sehen zu können. Sie hatte sich noch knapp merken können in welcher Richtung sie Liam gesehen hatte. Geduckt stürzte die Navigatorin nach vorne.
      "Verdammte Scheiße", zischte sie und blinzelte gegen den übelriechenden Nebel an, der in der Nase stach und die Augen zum Tränen brachte. "Nightingale!?"
      Villems tobsüchtiges Gebrüll übertönte beinahe Alles.
      Mit dem Rücken stieß sie gegen einen harten Körper und wirbelte herum. Blind bekam sie einen Unterarm zu fassen und grub die Finger in weiches, warmes Leder. Moment, das kam ihr bekannt vor. Natürlich, sie hatte die Lederjacke selbst schon getragen.
      "Du bist wirklich verrückt, oder?", rief sie gegen den Kampflärm an.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • "Was tust du da?!", donnerte der Kapitän und riss sich regelrecht aus Florences Griff. "DUCKEN!"
      Mit einem gewaltigen Krachen und der Behändigkeit eines Schlangentänzers riss Liam Florence und versehentlich einen weiteren aus Villems Crew mit sich zu Boden während dem Krachen folgend eine Faust aus dem Nebel herausstach. Glatt hatte der Hieb des Ochsen die Reling in zwei Teile gehauen und die Splitter auf dem Boden verteilt. Gleich danach wurde der deutliche Abdruck einer breitprankigen Hand auf dem Holz sichtbar. Als hätte man es ausgeschabt, hatte der Ochse ein gewaltiges Stück Holz aus der Stützplanke zur Kapitänskajüte gerissen.
      Liam rollte sich mit einer schnellen Bewegung gar feinsinniger Obszönität breitbeinig über Florence hinweg und riss sich das Schwert vom Rücken.
      "Hey Milchkuh!"; rief er in die Schwärze und grinste. "Komm und hol mich!"
      "Als würde ich darauf hereinfallen!", keifte die heisere Stimme des Ochsen.
      In der Ferne ertönten Schüsse und weitere Schreie. Ungesehen der Anderen hatte Silas sich umzingelt von Crewmitgliedern gesehen, die nun einer nach dem anderen seinem Ende zugeführt wurden. Heiß und genau stachen die Schüsse einer Scharfschützin in das Schwarze, die auf dem Krähennest hockte und sich die Lippen leckte. Clara mochte es gefährlich. Sie mochte das Zittern in den Händen und den Schweiß auf der Stirn. Es fühlte sich so lebendig an, als sie erneut anlegte und diesen hässlichen Orkney von der Reling schoss, nachdem dieser gerade auf Chimp losgehen wollte.
      "So langsam wird es gefährlich, Liam!"; schrie sie von oben herab und sah ans Heck des Schiffes. Weitere Mitglieder dieser Schmugglergilde waren hervorgetreten und bahnten sich den Weg durch die anliegenden Straßen hin zum Schiff.
      "Kacke...", wisperte Liam und stützte sich schwer auf die Reling zur anderen Seite, ehe er Florence suchte.
      "Finde David und bring ihn zum Steuer!", schrie er. "Wenn ich "Jetzt" sage, gebt vollen Schub! Und Florence: Keine Ausreißer! Töte, wen du zu töten hast, aber David bleibt am Steuer. Sonst sammelt man unsere Knochen aus der Splittersee."
      "Thema Knochen!"
      Gerade noch schubste Liam Florence gegen die nahe Wand, nur um selbst mit einem Ächzen einem weiteren Schwinger auszuweichen, den der Ochse ansetzte. Es war ein Graus, das seine Bewegungsfähigkeit nicht mal annähernd wieder hergestellt war. Und doch schaffte er es, zwei weiteren Hieben auszuweichen, während mehr und mehr Geräusche von Leibern hörbar wurden, die ins Wasser verfrachtet wurden. Erstaunlicherweise lebten die meisten noch. Sicherlich trugen sie Schusswunden davon, aber zuweilen war es doch-
      Ach du verfluchte Eselskacke!
      Mit einem Schrei riss der Schatten des Rauchs entzwei und ein wütender und blutüberströmter Silas Trigg sprang beinahe aus dem Stand zwei Meter hoch, um sich dem Ochsen an den Hals zu werfen. Die rechte Hand des Diebes war schwarz vom Pulverdampf seiner Pistole, die er in der Hand trug und doch erschien es für eine Sekunde so, als habe er den Sieg von sich getragen. Schwankend und taumelnd wankte der Ochse hin und her und versuchte, sich die beißenden Finger vom Hals zu reißen. Ehe er kurzerhand innehielt. Und Liam angrinste.
      "Wag es dich...", wisperte der Kapitän.
      Doch er wagte.
      Villems holte kaum aus sondern schlug mit der rechten Hand einfach gerade über seine Schulter nach hinten. Mit einem ekelhaften Knacken landete die Faust im Gesicht des Diebes und schleuderte diesen wie einen Punchingball von der Schulter zurück in den Nebel. Nur derjenige, der einmal einen derartigen Schlag einsteckte, wusste, dass die Faust wie eine Kanonenkugel anfühlte. Noch ehe Liam wirklich realisieren konnte, dass sein bester Freund gerade mit nach hinten verdrehten Augen auf das Deck gekippt war, richtete er das Schwert aus und fixierte den Ochsen.
      "JETZT!", schrie er in einer Urgewalt und wie auf Kommando begann das Chaos sich zu verschlimmern.
      Ochse und Kapitän schlossen die wenigen Schritte, die sie trennten und prallten Urgewalten gleich aufeinander. Kalt und brennend schien die Luft um die beiden Stillzustehen, als die gewaltige Faust des Ochsen und das Schwert Finsterdorn aufeinander trafen. Und eine Sekunde lang geschah nichts. Erst danach klang der Schlachtenlärm wieder hindurch und die letzten der Crew des Ochsen wurden von Bord geworfen. UNd dann erklang der Gong.
      Mit einem Schrei, unmenschlich und animalisch, riss es den Ochsen von den Beinen und gleichsam vom Schiff. Der gewaltige Körper, muskelbepackt und kampfgestählt, flog wie eine menschliche Kanonenkugel durch den hereinbrechenden Abend des Tages und krachte ein paar Hundert Meter weiter in ein Haus, dass beinahe scheppernd in sich zusammen brach, nachdem er die Hauptwand mitgerissen hatte.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • "Moment! Du hast gesagt, ich soll in der deiner Nähe bleiben! Kannst Du Dich bitte entscheiden, was du...", knurrte Florence, deren missmutige und gleichzeitig verwirrte Antwort in lautem Gebrüll unterging. Sie ignorierte den verräterischen Stich in der Brust, als sich Nightingale ruppig ihrer Hand entzog. Selbst Florence musste einsehen, dass es ein ungünstiger Zeitpunkt war, um sich wie ein altes Ehepaar zu zanken.
      Nightingale riss die Navigatorin nach kurzer Warnung wie eine Strohpuppe zu Boden. Der Aufprall war hart und schmerzhaft. Holzsplitter bohren sich in ihre Handflächen und Knie. Florence schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, als ihr sämtliche Luft aus den Lungen gepresst wurde. Keuchend rollte sich die junge Frau auf die Seite und sah lediglich aus dem Augenwinkel, wie sich Nightingale spielend leicht über sie hinweg schwang. Trotz der Verletzung, die ihn zweifellos peinigte, war das Mannöber beinahe unerhört elegeant und geschmeidig. Dagegen stolperte Florence wie ein ungeschickter Bauerntrampel über das Hauptdeck und den beißenden Qualm. Nightingale war einfach kommentarlos im Nebel verschwunden. Die Navigatorin rappelte sich mühevoll auf und trat reflexartig aus, als eine Hand ihren Fußknöchel packte. Ein ekelerregendes Knacken verriet, dass sie dem unglücklichen Halunken aus Villems' Crew dabei die Nase gebrochen hatte. Sie wartete nicht auf den Schmerzschrei sondern suchte einen Weg durch den undurchdringlichen Rauch. Mit der linken Hand tastete sie sich an der Wand entlang, um nicht die Orientierung zu verlieren und spürte wie der eigene Herzschlag ihr die Kehle zuschnürte. Die Splitter in ihrer Handfläche stachen und brannten. Sie konnte nichts sehen. Sie konnte nicht atmen.
      Florence' Kopf flog herum, als Nightingales vertraute Stimme durch den Qualm drang.
      Sie konnte immer noch nichts sehen, aber konzentrierte sich erleichtert auf den einzigen Orientierungspunkt, den Liam ihr gab. Es kostete sie alle Selbstbeherrschung, die sie aufbringen konnte, nicht erneut nach ihm zu greifen. Florence hasste die Dunkelheit. Die Worte stachen ebenso wie die Holzsplitter, die sich in ihre Haut bohrten. Er befürchtete, dass sie versagte. Natürlich, sie hatte ihm gegenüber kein Geheimnis daraus gemacht, dass das kaltblütige Morden ihr keine Freude bereitete. Sie hatte einen Mann getötet, der Silas vermutlich erschossen hätte, hätte Florence es nicht getan. Trotzdem hinterließ das Erlebnis einen bitteren Nachgeschmack. Sie nickte, obwohl Nightingale es vermutlich nicht sehen konnte.
      "Liam...", setzte sie an bevor etwas hartes, unnachgiebiges gegen ihren Oberkörper prallte. Ein Arm.
      Wenige Augenblicke später zischte eine gewaltige Faust durch den dunklen Nebel während Florence mit der Außenwand der Kapitänskajüte kollidierte. Nightingale hatte sie zum zweiten Mal aus der Gefahrenzone bugsiert. Etwas klickte hinter ihrer Stirn und sie nahm einen tiefen, brennenden Atemzug. Dann eilte Florence durch den Qualm davon. Sie versuchte keine düsteren Gedanken darüber zu verlieren, was sich in der rauchigen Schwärze abspielte. Sie hörte das Gebrüll, hörte Nightingale, Trigg und Villems.
      "DAVID!", schrie sie, als sie endlich die erhöhte Position des oberen Decks über die Holztreppe erreichte und entdeckte den Steuermann, der sich mit seinen verlängerten Spinnenbeinen- und armen die feindlichen Eindringlinge vom Leib hielt.
      Kurzentschlossen hob Florence die Niobklinge vor ihren zierlichen Leib. Obwohl das Schwert im Vergleich zu anderen gefährlichen Klingen eher grazil wirkte, sah es in den Händen der Navigatorin beinahe zu groß aus. Sie betätigte einen versteckten Knopf unter der montierten Pistole. Den Griff hatte Hurley sie mehrfach üben lassen. Mit einem Zischen stob Dampf aus den Arretierungen und winzige, filigrane Zahnräder griffen ineinander wie ein eingespieltes Uhrwerk. Die Präzision hätte Florence erneut in Erstaunen versetzte, wenn die Situation nicht so brenzlig gewesen wäre. Mit einem dezenten Klicken löste sich die Pistole von der Hauptklinge.
      "David! Du musst ans Steuer! Sofort! Voller Schub auf das Signal des Käpt'ns!", bellte sie über die Köpfe der Kämpfenden hinweg.
      Florence feuerte einen Warnschuss in die Luft ab und Villems Männer rissen verwirrt die Köpfe herum. Sie starrten direkt in die qualmende Pistolenmündung und rückten von dem blechernen Steuermann ab. Mit gebleckten Zähnen beäugten sie Florence und sie sah es in den mordlustigen Blicken, dass niemand sie als ernste Gefahr betrachtete.
      "Helft den anderen. Das kleine Miststück gehört mir", knurrte einer von ihnen. Es war der bullige Wachmann.
      Florence bekam keine höfliche Vorwarnung. Mit erhobenem Säbel stürmte der Mann auf sie zu, um ihr mit einem gewaltigen Hieb den Kopf von den Schultern zu trennen. Erinnerungen an den vergangenen Abend prasselten auf Florence ein und das Zittern in ihren Fingern verstummte. Sie nahm einen langen Atemzug bevor sie den Abzug drückte, wie Silas es ihr einmal in einer stillen, friedlichen Minute unter löchrigen, aber warmen Decken erklärt hatte als niemand in Lebensgefahr schwebte. Silas...
      Ein Schuss löste sich und das Projektil durchschlug die Brust des Wachmannes, der stehen blieb und mit großen Augen auf das Blut herunter sah, das aus seinem Brustkorb sickerte. Florence fühlte keine Genugtuung. Es war ein notwendiges Übel. Der Mann ließ den Säbel fallen und stolperte zurück während er sich an den blutigen Wams griff. Florence bildete sich ein, dass der Mann sie anklagend ansah bevor er rückwärts über die Reling in den Sand stürzte.
      Nightingales Stimme erhob sich über das Kampfgetümmel und Florence löste sich aus ihrer Starre.
      Sie sah noch Villems, der wie eine Kanonenkugel von Bord katapultiert wurde. Der dröhende Gong war dasselbe Donnern, dass sie im Fürstenpalast in Wesyn gehört hatte. Nightingales Schwert.
      "JETZT!", wiederholte sie und nickte David zu. "Voller Schub!"
      Ein Ruck ging durch die Starfall und riss Florence von den Füßen, um sie wie eine leblose Puppe über das Deck zu schleudern. Die Reling stoppte sie und der Hinterkopf krachte gegen das Holz. Sie umklammerte ihre Waffen, als die Schwärze der Bewusstlosikeit sie in die Dunkelheit zog.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Noch während die Starfall die Maschinen aufheizte, stach eine brachiale Stichflamme aus dem Kesselraum und in den dahinterliegenden Auslass. Von außen gesehen, brannte sich eine enorme Flamme aus dem Holz und schob das tonnenschwere Luftschiff mit allem, was darauf war, beinahe mühelos an. Erst gemächlich und schließlich doch immer schneller werdend glitt die Starfall durch das seichte Wasser der Askeladd Inseln.
      Am Ufer, wo die Verbliebenen der Crew des Schmugglers wieder an Land krabbelten und sich das Wasser aus den Klamotten wrangen, erschien es dennoch so, als habe das Schiff plötzlich beschlossen, schneller zu werden. Wie ein Spielzeugboot setzte es sich auf eine der Strömungen und glitt in Richtung Abhang. Kenner des Meeres wussten, dass sich in den Wasserfällen der Askeladdinseln die einzige Möglichkeit befand, von dem seichten Atoll herabzusteigen. Und gleichsam bildeten sie den Zugang zur Meerschleuse, wo die schwarze See bereits mit ihren Mahlströmen wartete. Sachte senkte sich der Himmel ein wenig und ein schwacher Regen würde sich alsbald abzeichnen. Inmitten des Gezeters lag Claus Villems in seiner ganzen Pracht in einem Hügel von Trümmern, die sein Leib in das Haus gerissen hatte. Alle Viere von sich gestreckt sah er in den dunkler werdenden Himmel und hing Gedanken nach, während er grinste. Breit. Sorgsam wischte er sich Dreck und Blut aus dem Gesicht und erhob sich stöhnend aus den Steinen, die klackernd und bröselnd herab fielen.
      Orkney war an Land geklettert und hielt sich seinen Arm, der stark blutete. Und auch die anderen seiner Handlanger erschienen mehr lädiert als fähig, die Verfolgung aufzunehmen.
      Seufzend setzte er sich auf einen Steinstumpf und sah der Starfall hinterher, die jetzt gerade den Wasserfall hinab fiel.
      "Gut gespielt, Bursche...", murmelte er leise und schüttelte grinsend den Kopf. Ein Lachen kam nicht in Frage, denn die Rippen waren gebrochen.
      Der Bursche war wirklich stärker geworden. Ganz erstaunlich.

      Die Schwerkraft hat es so an sich, dass Gegenstände ohne Widerstand zu fallen beginnen, wenn sie nicht gehalten werden.
      Leider trifft das von den kleinsten bis zu den größten jeglichen Gegenstand. Wenn es jedoch ein tonnenschweres Schiff ist, dessen Zusammenhalt nur durch ein paar Schrauben und Dübel gesichert wurde, war das schon ein anderes Kaliber.
      Die Ausdrücke der schreienden Gesichter erspare ich Dir, geneigter Leser. Fakt ist aber, dass die Farbe weiß doch das prominenteste an Farbgebung war, dass sich an Bord fand. Von den Schreien einmal abgesehen.
      Noch im Fall, als die Luft um sie herum pfiff und die Fliehkräften die kraftlosen Körper nach hinten schleuderte, war die Situation beinahe schwierig zu erfassen. Der Wasserfall war nicht besonders lang, aber es reichte um das Gewicht des Schiffes stark zu beschleunigen. Liam, der neben Florence gegen die Kajütenwand gekracht war, hielt sich den Hinterkopf und wollte auf die Beine springen, doch es knickte unter ihm ein. Zu groß war der Schmerz und das Gefühl, es würde gleich abfallen.
      "DAVID!", schrie er über die Schulter und gegen die Geräusche der schäumenden Gischt an. "Der Hebel für den Coat! JETZT!"
      Gehorsam betätigte der Steuermann den Hebel und Liam lehnte sich zurück.
      Dankbar sah er zu Hurley, der sich Silas' leblosen Körper gekrallt hatte. Das Gesicht des Diebes war eine einzige Fleischmasse, aber noch erkennbar. Eine Weile würde er furchtbar aussehen, aber es würde sich heilen lassen. Aus dem Bug und von den Seiten her drangen Geräusche von Zahnrädern und Pumpen an sein Ohr. Wieder und wieder wurde die Suppe, die Chimp (der mit seinem Rucksack an der Reling fest hing und wie eine Flagge herumschleuderte) angerührt hatte durch Filter gepumpt, ehe sich schließlich eine Art Blase um das Schiff bildete. Eng anliegend an der Unterseite des Schiffes und mit Luft gefüllt und aufgeblasen am Oberdeck.
      Dafür so viel Zeit...
      Schimmernd und in sämtlichen Farben des Regenbogens leuchten erblickten sie nochmals das Licht des Tages, ehe sie in die Dunkelheit eintauchten. Ein Schlag ging durch das Schiff, der sie wieder nach vorne schleuderte und zurück zur Wand. Eilig griffen sowohl Liam als auch Ben nach Florence, die herab zu rutschen drohte udn zogen sie an die Kabinenwand, während das Schiff weiter durch das Meer sank. Die Luftblase hielt die Atemluft in ihrem Inneren und waberte unter den Strömungen der Untersee, während sie an Deck saßen und ängstlich hinaufsahen.
      Es brauchte einige Minuten, ehe David einen zweiten Hebel zog und das Schiff Luft anstatt Hitze in den toten Raum der Untersee blies. Mit Knirschen und Knarzen richtete das Boot sich neu aus und kam wieder in eine horizontale Lage. Erst dann erlaubte sich jeder an Bord ein Durchatmen.
      "Ben, kümmer dich um Florence und Silas", sagte Liam und lehnte sich an die Wand seiner Kajüte.
      An anderer Stelle zogen Hurley und Orcas mittels einer kleinen Klappe, wo kurzzeitig Wasser hereinströmte, den Affen Chimp wieder an Bord.
      Hustend und prustend richtete dieser seine Mütze und lag in einer Lache ekelhaften Meerwassers.
      "Was für eine verfluchte Höllenfahrt", keuchte er. "Ich hasse dich, Nightingale."
      Liam grinste und sah zu dem Affen.
      "Weiß nicht was du hast. Das war Politik."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Regungslos ruhte Florence in der Dunkelheit.
      Der Körper fühlte sich schwerelos an und es war herrlich still. Kein Geschrei, keine Explosionen erfüllte die allgegenwärtige Schwärze. Etwas zupfte am Rande ihres Bewusstsein. Ein leises Flüstern erfüllte die Ohren und Florence spürte wie fremde Fingerspitzen über ihren Hinterkopf wanderten. Ein stechender Schmerz entlockte der Navigatorin ein protestierendes Murren. Sie wollte sich der Hand entziehen, die irgendwas mit ihrem Kopf anstellte. Ein halbherziges Zucken war alles, das Florence zustande brachte, denn ihr Kopf fühlte sich unendlich schwer an. Eine Weile verging bis sie mit aller Willenskraft ihre Augen dazu überreden konnte, sich langsam zu öffnen. Ein sanftes, flackerndes Licht erhellte die Dunkelheit und beleuchtete eine hochgewachsene Silhouette an Florence' Seite. Sie blinzelte und benötigte mehrere Anläufe, um die Augen offen halten zu können. Mit jedem Blinzeln schien das dumpfe Pochen in ihrem Kopf stärker zu werden. Die Navigatorin presste ein gequältes Stöhnen hervor und versuchte ihren Hinterkopf zu ertasten, aber ihre Händen waren fixiert. Hatte man sie gefesselt? Panisch sah Florence an sich herunter und bereute die ruckartige Bewegung ihres Kopfes sofort, der das Mannöver mit einem gleißenden Schmerz quittierte. Zumindest wusste sie jetzt, dass sie nicht gefesselt war. Ihre Hände steckten unter einer dünnen Decke. Der Rhythmus ihres Herzschlages beruhigte sich langsam.
      Fahrig glitt ihr Blick durch den Raum. Selbst mit angeschlagenem Kopf erkannte sie, dass es nicht ihre Kajüte war. Der gewaltige Kartentisch, die vollgestopften Regale und die weitläufige Glasfront fand man nur an einem einzigen Ort an Bord der Starfall. Sie war in Nightingales Kapitänskajüte. Vor allem aber, lag sie in seinem Bett. Wer hätte das gedacht. Für eine aberwitzige Sekunde fragte sich Florence, seit wann Nightingale ein gigantisches Aquarium in seiner Kajüte besaß. Das wäre ihr doch aufgefallen. Vor dem Fenster glitt ein silbrig schimmernder Fischschwarm vorbei, gefolgt von einem schillernden Tintenfisch.
      Mist! Florence dämmerte es allmälich. Sie hatte den gesamten Tauchvorgang verpasst und stattdessen bewusstlos und völlig nutzlos an Deck gelegen. Rückblickend betrachtete war sie der Crew keine sonderlich große Hilfe. Sie schob mühevoll die Hände unter den Körper und versuchte sich vorsichtig auf den Ellbogen aufzustützen. Sie hatte noch ein wenig Mühe mit der Koordination ihrer Gliedmaßen.
      "Ben?", murmelte sie undeutlich.
      Ihr Blickfeld verlor stetig den Fokus und Florence musste angestrengt blinzeln. Es musste der Schiffarzt sein, der bei ihr war. Liam würde niemals...
      "Ich habe alles verpasst, oder?", nuschelte sie und fasste den irrwitzigen Entschluss, sich die Meeresbewohner vor dem Fenster etwas näher anzusehen.
      Träge drehte sich Florence auf die Seite und versuchte die Beine dazu zu bringen, sich aus dem Bett zu schieben. Sie hatte die Knie noch nichteinmal gebeugt, da überkam sie eine Welle der Übelkeit. Gehirnerschütterung, natürlich. Ruckartig schoss ihre Hand hervor und bekam den Ellbogen des kauzigen Schiffsarztes zu fassen. Verzweifelt bohrten sich die klammen Finger in seinen Ärmel ehe Florence sich mit der Elegeanz eines sturzbetrunkenen Matrosen weit über die Bettkante lehnte und ihren gesamten, spärlichen Mageninhalt in den bereit gestellten Eimer entleerte. Sie kotzte sich, im wahrsten Sinne des Wortes, die Seele aus dem Leib. Allein ihr beharrlicher Klammergriff bewahrte die würgende Frau davor aus dem Bett zu purzeln. Sie wollte sich die freie Hand vor den Mund pressten, als sie die hauchdünnen Verbände bemerkte. Sie hatte sich die Handflächeln beim Sturz an den spröden Holzdielen aufgerissen.
      Schweiß perlte über ihre Stirn und brannte in den Augen, als sie den Kopf vorsichtig zur Seite drehte und Ben aus glasigen, müden Augen ansah. Die schwarzen Locken klebten in Nacken und Gesicht.
      "Wie gehts den anderen?", murmelte sie. "Sind alle okay?"
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Das Erwachen der jungen Frau wurde von dem Schiffsarzt begleitet.
      Die Wogen auf der Starfall hatten sich bereits seit geraumer Zeit gelegt. Nachdem sie in das Meer eingetaucht waren und sich stabilisiert hatten, tuckerte das Boot in gemächlichem Tempo durch das Wasser. Hier und dort ließ sich ein schwerer Gong-Ton vernehmen, wann immer der Druck auf das Gehäuse des Bootes zu groß wurde. Durch eine mirakulöse Wendung jedoch, brach die Schale und die Blase um das Schiff herum nicht einmal ansatzweise.
      Auf Befehl des Kapitäns hatte man die beiden schwerer Verletzten in die Kapitänskajüte gebracht und dort versorgt. Aber auch wenn Ben ein guter Arzt war, so waren seine Mittel begrenzt. Florence würde wieder werden. Sie hatte sich den Kopf angeschlagen und die Hände aufgerissen. Ein paar Stunden Kopfschmerzen und ein wenig Ruhe würden genügen. Mehr sorgen machte dem kauzigen Arzt da Silas, der unweit an der anderen Seite des Raumes lag. Das Gesicht des Diebes sah aus, als habe man eine Kanonenkugel aus nächster Nähe in dieses geschossen. Es war schwer zu glauben, dass eine einzige humanoide Faust dafür verantwortlich war.
      Nachdenklich sah er zu Silas herüber und seufzte. Ben hatte nur die Schmerzen lindern können. Der Schlag hatte ihn frontal im Gesicht getroffen. DIe Nase des Diebes war ein Brei von Knochen, von den Jochbeinen um die Augen herum nicht zu schweigen. Würde er nun aufwachen, wären die Schmerzen gewaltig. Vermutlich war der ganze Schädel gebrochen, wenn er es recht überlegte. Es tat Not, dass sie schnell nach Gogiya gelangten. Er brauchte die Heiler dort.
      Als Ben die Bewegung im Körper der Navigatorin bemerkte, drückte er sie eilig auf das Bett zurück, auch wenn er die Seitwärtsdrehung zuließ.
      "Ah ah ah", murmelte er und grinste. "Wieder unter den Lebenden, Prinzessin? Verpasst würde ich es nicht nennen. Sagen wir einfach, du hast das Eintauchen versäumt. Seitdem schippert die Starfall unter See vor sich her. Und wenn ich ehrlich bi-"
      Ja, da war das Kotzen.
      Erstaunlicherweise hatte sie lange durchgehalten. Normalerweise brachen die meisten Menschen bei Erhalt einer Kopfverletzung. Der Schwindel und die Schmerzen sorgten in einer tückischen Symbiose dafür. Dem Griff um seinen Arm nach zu urteilen, war sie bei Kräften. Da mochte das Kotzen sicherlich nicht unheilsam sein.
      Ben betrachtete den Eimerinhalt mit unverhohlener Neugierde, ehe er ein Tuch darüber breitete, dass neben dem Bett lag. Der säuerliche Gestank flutete sonst den Raum und sorgte für weitere Eskapaden.
      Sorgsam tränkte er ein Tuch in einer Schale voll Wasser und drückte ihr den Lappen in den Nacken, ehe er sie wieder in die Seitenlage brachte.
      "Fürs erste...", begann der Arzt und lächelte. "Fürs erste wirst du schlafen. Erhol dich. Ich bringe dir nachher mehr Tücher und Wasser. Trink sobald du kannst und versuch dich nicht weiter zu übergeben. Bleib liegen, hörst du?!"
      Auf ihre letzte Frage hin zuckte er mit den Achseln.
      "Okay würde ich nicht sagen", murmelte Ben. "Hurley hat drei Streifschüsse abbekommen, aber es sind Fleischwunden. Liams Bein ist aufgegangen, er blutet oben die Brücke voll. UNd Silas... Silas hat es am schlimmsten erwischt. Er hat einen Hieb von diesem Ochsen ins Gesicht bekommen. Ist seither nicht aufgewacht."
      Er nickte mit dem Kinn in Richtung des Bewusstlosen und wirkte traurig.
      "Konnte ihn nur einschläfern."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Dankbar drückte Florence das feuchte Tuch in ihren verschwitzten Nacken nachdem Ben seiner Hand zurückgezogen hatte. Die wohltuende Kälte linderte den pulsierenden Kopfschmerz. Erstaunlich wie viel Energie ein Körper verschwendete, wenn er seinen Magenhinhalt gewaltsam hervor würgte. Florence ließ den Kopf erschöpft in das Kissen sinken, dessen Bezug eindeutig den vertrauten Geruch von Nightingale verströmte. Merkwürdig wie der simple Geruch eines Menschen gleichzeitig ein Gefühl von Sicherheit und das Bedürfnis, das Kissen zornig mit voller Wucht gegen die nächste Wand zu pfeffern, auslösen konnte. Sie besaß genug Verstand um die Nasenspitze nicht in dem ausgeblichenen Kissenbezig zu vergraben...
      Bei Ben's strickten Anweisungen brachte die Navigatorin nicht mehr als ein halbherziges Schulterzucken zustande. Von seiner unheimlichen Faszination für Blut und Tod ganz abgesehen, war Ben trotz seiner merkwüdigen Art immernoch der Schiffsarzt. Vermutlich sollte Florence auf seine Worte hören. Ihr Mundwinkel hob sich zu einem schiefen und von Kopfschmerzen gepeinigten Grinsen.
      "Verstanden, Doc", antwortete Florence mit dünner Stimme.
      Sowohl der Arzt als auch die Navigatorin wussten haargenau, dass sie nicht länger als nötig liegen bleiben würde. Zumindest das hatte sie mit Nightingale gemeinsam: Den unerschütterlichen Dickschädel und das Talent nicht auf Menschen zu hören, die es gut mit ihnen meinten.
      Angestrengt zog Florence die Augenbrauen zusammen, bis sich tiefe Furchen über der Nasenwurzel bildeten. Der Kopfschmerz pulsierte rhythmisch zum eigenen Herzschlag und schien damit sämtliche Gedanken zu überlagern. Es war schwer, den Worten des Schiffsarztes zu folgen. Schlaf erschien ihr plötzlich sehr verlockend bis der Arzt von den blutigen Folgen von Nightingales riskantem Plan und Silas' Namen in den Mund nahm. Eine neue Welle der Übelkeit überkam Florence, die rein gar nichts mit der Gehirnerschütterung zu tun hatte. Sie dachte an den armen Tropf, dessen Kopf förmlich explodierte, nachdem dieser Bekanntschaft mit Villems gewaltiger Faust gemacht hatte. Der dunkle und warme Teint ihres Gesichts entwickelte eine bedenklich gräuliche Färbung.
      Florence folgte dem Kopfnicken des Arztes.
      Unwillkürlich löste sich beim Anblick des Diebes ein Schluchzen aus ihrer brennenden Kehle.
      Silas Trigg lag auf dem freigeräumten Kartentisch, die geschlossenen Augen zur Decke gerichtet und jemand hatte ein dürftiges Kissen unter seinem Kopf drapiertp. Sein Profil war kaum wiederzuerkennen. Das Nasenbein war von der Wucht des Schlages eingedrückt und kaum mehr vorhanden. Die vertrauten Gesichtszüge verschwanden unter Schwellungen und die Konturen seines Jochbeins waren beängstigend deformiert. Sein Gesicht war ein Schlachtfeld aus grauenhaften Blutergüssen, deren Farbspektrum von schillerndem Blau und Violett bis hinzu tiefem Schwarz reichte. Obwohl sie nur eine Gesichtshälfte sah, wusste die junge Frau, dass die andere Seite genauso aussah. Silas ähnelte auf erschreckende Weise einem Toten, den man aufgefahrt hatte, wäre das nicht das kaum merkliche Heben und Senken seines Brustkorbes gewesen.
      Bevor der Verstand zum Körper aufgeschlossen hatte,schwang Florence bereits die Beine aus dem Bett. Die Füße berührten kaum den Boden, da gaben ihre Beine augenblicklich nach. Der Schwindel war kaum erträglich und Florence würgte säuerliche Galle herunter um sich nicht geradewegs auf den Boden von Nightingales Kajüte zu übergeben. Unwirsch schüttelte sie Bens Hilfesversuche ab und krabbelte auf allen Vieren in Richtung des bewusstlosen Diebes.
      Verbissen schlug sie die Zähne aufeinander und umklammerte mit feuchten, zittrigen Fingern die Tischkante. Mit großer Mühe zog sich Florence nach oben. Vollständig auf die Füße schaffte die sture Frau es nicht, aber zumindest konnte sie sich auf den Knien soweit aufrichten, dass sie problemlos über den Rand des Tisches blicken konnte. Ihr war schwindelig und der Kopf drohte gefühlt zu explodieren.
      Ein klamme Hand umschloss federleicht Silas' kalte Finger, die auf Blickhöhe lagen. Ihre Schultern zitterten.
      Für einen Augenblick war die Navigatorin ganz still.
      Sie war besorgt.
      Sie war wütend. So wütend.
      Aber vor allem, hatte sie Angst.
      "Er hätte Villems einfach bezahlen sollen", flüsterte Florence.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Wäre die junge Frau nicht derartig dumm und leichtsinnig, hätte man sie fast für eine Diplomatin gehalten. Beinahe merkwürdig interessiert betrachtete Ben ihre Gehversuche und langte nur einmal zu, ehe sie vollends auf den harten Dielenboden krachte. Unvernünftiges Weibsbild, dachte er sich kopfschüttelnd, ließ sie aber machen. Nicht, dass er eine Wahl hätte.
      Mühsam schleppte sich die Frau zur anderen Bettstatt, auf dem er Silas drapiert hatte. Sicherlich, sein Gesicht sah fürchterlich aus, aber es war nichts, was ein bisschen gute alte Magie und Alchemie nicht regeln konnte. Zumindest ansatzweise würden sie den Dieb schon wieder herstellen.
      Ben sah eine Weile auf den zitternden Rücken, ehe die Lemure, die sich jetzt in seinem Rücken sichtbar machte, ihm auf den Kopf haute.
      "Ja, ist ja schon gut", nuschelte er und seufzte, ehe er sich von dem Schemel erhob, der seinem Lager diente. Die Luft in diesem Raum roch bereits nach Blut und Tod. Wenn jetzt noch Erbrochenes dazu kam, würde der Kapitän ihn nicht mehr ansehen.
      Schweigsam trat er näher und beugte sich herab. Noch ehe die junge Miss Cartwright Widerstand hätte leisten können, griff er beherzt unter ihren Armen hindurch und verschränkte sie oberhalb ihrer Brust.
      Mit einem Ächzen und forschem Zug riss er sie beinahe von den instabilen Knien und schleifte sie zu ihrem Lager zurück, ehe er sie dort schwerfällig niederlegte. Sorgsam bettete der Arzt ihre Beine auf das Lager und ließ sich schwer atmend und schwitzend wieder auf den Schemel fallen.
      Beinahe achtlos warf er den feuchten Lumpen auf ihr Gesicht und drückte ihn an der Stirn fest.
      "Mach so was nicht nochmal", murmelte er grantig und schüttelte den Kopf. "Unvernunft...Ein Schlag der Abenteurer wie mir scheint. Wenn ich sage, dass es Ruhe bedarf, hältst du dich daran, verstanden? Meine Aufgabe ist es, eure traurigen Ärsche am Leben zu halten und mir reicht einer, der mir nicht gehorcht."
      Deutlich raschelte er in seiner Feldtasche, die sich ausgeleiert und speckig an seinen Stuhl anschmiegte. Dort heraus förderte er eine Spritze, die bereits bessere Tage gesehen hatte. Die Nadel war leicht verbogen und das Glas darin trübe. Die drei Schlaufen für die Finger wirkten zumindest ein wenig deformiert, aber die Flüssigkeit in der Spritze leuchtete in einem giftigen Grün.
      "Sud des Prinzessinnenkrauts", informierte er sie über die geplante Einfuhr des Medikaments. "Es lindert die Schmerzen ein wenig. Und die Übelkeit."
      Ohne auf ihr "Okay" zu warten nahm er ihren Arm zur Seite und legte den Unterarm frei, ehe er nach einer Vene suchte.
      "Was eure Anmerkung betrifft", begann er ruhig und sah Florence an. "Ich will nachsichtig sein, da du noch kein Piratenschiff bewohnt hast. Der Ruf ist alles, Florence. Stirbt der Ruf, stirbt das Schiff. Hätte man sich diesem Ungeheuer ergeben und ihn bezahlt, wäre die Kunde darüber bis in alle Reiche geflogen. Pirat bezahlt Schmuggler. Nie wieder hätte jemand einen Deut auf Liams Wort oder unseres gegeben. Was ist also besser? Das Risiko auf den Schultern der Crew oder den sicheren Tod? So sind wir eine Bande, die es mit einem Piraten der schwarzen Generation aufgenommen und gewonnen haben."
      Sachte drückte er die Spritze in ihren Arm und verabreichte ihr das Medikament.

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      The more you drag me to hell
    • Ohne Vorwarnung schlangen sich zwei Arm um Florence.
      Unter Protest versuchte die Navigatorin mit den Beinen um sich zu treten, doch die Gliedmaßen wollten ihr nicht gehorchen. Ein erbärmliches Zucken mit den Füßen war alles, wozu sie gerade fähig war. Florence ließ widerwillig von den schrecklich kühlen Fingern des Diebes ab und blieb bis auf die kläglichen Versuche, Ben auf die Füße zu treten, erstaunlich still. Sie mochte unvernünftig sein aber nicht rücksichtslos. Für Silas war der tiefe Schlaf ein Segen. Sie würde nicht dafür verantwortlich sein ihn unvorstellbaren Schmerzen auszusetzen. Ächzend bugsierte Ben sie zurück auf das Bett und drückte sie nachdrücklich zurück unter die Decke. Florence kniff die Augen zusammen und presste schwer schluckend die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.
      Ein feuchter Lumpen landete unsanft mitten in ihrem Gesicht, ehe Ben das löchrige Tuch zurecht rückte. Schuldbewusst senkte Florence den Blick und blieb zunächst gehorsam liegen. Selbst wenn sie genug Kraft besessen hätte, um einen weiteren Fluchtversuch zu starten, hatte sie einfach keine Chance gegen den Schiffsarzt. Florence runzelte die Stirn.
      Etwas lugte hinter dem Kopf des Arztes hervor. Ein Lemur hockt auf Bens Schulter und beäugte sie aus funkelnden Knopfaugen. Die Begleiterin des Schiffsarztes hatte sie bisher nur aus der Ferne zu Gesicht bekommen. Die Anwesenheit des Tieres lenkte die Navigatorin allerdings wenig von der Spritze ab. Das medizinische Instrument befand sich in einem wirklich fragwürdigen Zustand und wirkte auf Florence wenig vertrauenserweckend.
      Etwas Ähnliches wie Panik schlich sich in die dunklen, braunen Augen. Es war nicht der Fall, dass Florence dem kauzigen Arzte grundsätzlich misstraute sondern der Nachhall eines Satzes, den er benutzt hatte.
      Konnte ihn nur einschläfern.
      Würde er Florence auch schlafen legen?
      Sie hasste es nicht Herrin ihrer Sinne zu sein und vor allem fredmartige Substanzen in verbeulten Spritzen wirkten nicht gerade beruhigend auf sie. Ben hatte sie kaum über den Inhalt aufgeklärt, da steckte die krumme Nadel schon in ihrem Arm. Es war dem eisernen Griff des Arztes geschuldet und der Ablenkung durch seine Worte, dass sie aus Reflex nicht einfach den Arm zurückriss.
      Sie stieß augenblicklich ein erleichtertes Seufzen aus. Kaum flutete die giftgrüne Flüssigkeit ihre Adern ließ der hämmernde Kopfschmerz deutlich nach. Ihr Kopf fiel zurück ins Kissen und die Finger zuckten, während die letzten Tropfen der Medizin in ihren Arm gedrückt wurden. Sie war nur heilfroh, dass Nightingale gerade außerhalb ihrer Reichweite war.
      Es brodelte und kochte in der Navigatorin.
      Florence spürte das stetige Zwicken der Sorge in ihrem Hinterkopf, auch um den sturköpfigen Kapitän.
      Sie war nur zu wütend und zu stolz, um danach zu fragen.
      "Stirbt die Crew, gibt es auch kein Schiff mehr, Ben", knurrte Florence. "Gewonnen? Zu welchem Preis? Silas' Leben?"
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
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    • "Edelmut", bemerkte Ben beinahe spöttisch als er die Spritze aus dem Arm entfernte und ein Tuch auf die kleine Wunde drückte. Ein wenig Druck war von Nöten, aber der Alchemist machte sich die Mühe, nicht allzu hart zuzudrücken. Man wollte sich schließlich nicht verletzen, nicht wahr?
      "Edelmut ist ein schönes Gut, Ms Florence", sagte er schließlich als er ihren Arm anwinkelte und sie ansah. Ruhig schlug er die dürren Beine übereinander und schlug sich auf die Schulter. Ein sanftes Zeichen für die Lemure Clarissa, dass sie ihm Gesellschaft leisten sollte.
      Es brauchte nicht lange, da spürte er das vertraute Gewicht auf seiner schmalen Schulter und kraulte der schwarz weißen Lemure mit den leuchtenden, blauen Augen unter dem Kinn. Es war nicht verwunderlich, dass das Tier zu Florence sah, deren Wut noch immer über den Rand des Gesichtes eskalierte.
      "Aber Edelmut bringt dich in der Piraterie nicht weiter. Wenn es etwas gibt, das du lernen musst, dann ist es Vertrauen, Ms Florence. Liam mag nicht der beste und klügste Kapitän dieser Welt sein. Betrachtet man die Piraten der schwarzen Generation, ist er nicht mal unter den besten fünf, aber es gibt eines, was er ihnen allen voraus hat!"
      Sorgsam machte er eine stilistische Pause und sah hinaus zum Fenster.
      "Vertrauen in die eigene Mannschaft. Wir alle sind schon eine Weile zusammen auf See und es gibt wenige Menschen die unsere Fähigkeiten derart präzise einschätzen kann wie Liam. Und auch wenn es dir missfällt: Silas kennt und kannte das Risiko zu jeder Zeit. Er hat sich dem Monstrum an den Hals geworfen und es in Kauf genommen, verletzt zu werden. Ich befürchte, die Wut ist etwas fehlgerichtet."
      Schweigsam richtete er den Blick nach draußen. In den Weiten der finsteren See waberten bläuliche und silberne Schimmer umher. Eine Horde Fische zog vorbei und ein tumbes Pochen hallte durch den Kahn. Als würde eine unsichtbare Faust an ihrem Zimmer anklopfen. Dunkel erschien der Sandboden der See und zwang den Doktor, sich zu erheben und gemächlichen Schrittes durch das Zimmer zu laufen. Kurz sah er nach draußen und seufzte.
      "Wir sind fast da", bemerkte er. "Die Bernsteinengel sind bereits sichtbar...Ruh dich noch etwas aus und komm dann an Deck. Es ist ein Anblick."


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    • "Zu wild für meine Famile. Zu edelmütig für ein Piratenschiff", murmelte Florence seufzend. "Du hast recht. Ich vertraue Nightingale nicht. Er ist rücksichtlos, leichtsinnig und unberechenbar. Das sind keine guten Eigenschaften für einen Mann, der die Verantwortung über sein Schiff und seine Crewmitglieder trägt."
      Die Navigatorin knirschte furstriert mit den Zähnen und blieb dabei trotzdem gehorsam auf ihrem vorübergehenden Krankenbett liegen. Jetzt, da die Kopfschmerzen langsam nachließen und das Adrenalin in ihren Adern verebbte, fühlte sich ihr Körper uneheimlich träge an. Vorsichtig drehte sich Florence wieder auf die Seite, um den Schiffsarzt und sein treues Haustier besser im Blick zu haben. Sie schob eine Hand unter ihre Wange und blickte in die Dunkelheit der Tiefsee hinaus. Florence vergaß für einen Augenblick, dass sie vor Wut kochte und ließ sich von der Schönheit der Unterwasserwelt in den Bann ziehen. Die silbrigen Schuppen der Fische reflektierten das dämmrige Licht der Starfall in schillernden Farben. Leider war sie zu weit vom Fenster entfernt, um Details zu erkennen.
      Die Wut verrauchte und zurück blieb die vertraute Leere. Und die unterschwelligen, eisigen Wellen der Furcht.
      "Ich verstehe ihn einfach nicht und das bin ich nicht gewöhnt, Ben", gestand Florence. "In meinem ganzen Leben habe ich keinen Mann getroffen, der dermaßen widersprüchliche Signale sendet. Sobald ich glaube zu verstehen wie er tickt, endet es in einer Katastrophe. Es ist, als würde ich mit einem Streichholz versuchen, das Loch im Pulverfass suchen. Komm ich zu nah, fliegt mir alles um die Ohren. "
      Der Versuche eines Grinsen zeigte sich auf ihrem Gesicht, das ein wenig des ungesunden Graus verloren hatte.
      "Versuch mir bitte nicht zu erklären, dass Nightingale einfach nur einen Schubs in die richtige Richtung braucht. Das haben Silas und Hurley schon getan", schnaubte Florence.
      "Manchmal wünschte ich mir, ich könnte sehen, was ihr alle seht.", flüsterte sie "Nightingale macht mich nur manchmal so wütend und dann sehe ich ihn von Zeit zu Zeit mit diesem schwermütigen Blick am Bug der Starfall stehen. Er wirkt so einsam, dass es mich traurig macht. Und dann bin ich wütend weil ich traurig bin, obwohl ich eigentlich wütend auf ihn sein sollte."
      Florence hob den Kopf leicht vom Kissen hoch bevor Ben den Raum verlassen uns sie mit ihren Gedanken allein lassen konnte.
      "Du bist der Arzt, Ben. Sag mir, ob ich verrückt bin."

      Florence musste verrückt sein, denn als sie die Kapitänskajüte eine Weile später verließ, regnete es.
      Ein Wolkenbruch stürzte auf die Blase hinab, die das Luftschiff umhüllte und vor der Gewalt der Tiefsee schützte. Die schillernden Regenbogenfarben der Blase zerstoben durch die herabprasselnden Tropfen in abermillionen von kleinen Wellen, die die zerbrechliche Oberfläche in Aufruhe versetzten. Durch den Regenschleier gab es kaum klare Sicht in der Dunkelheit des Meeres. Kein Sonnenlicht berührte den felsigen Meeresboden und doch erkannte Florence eigenartig, menschliche Strukturen in den Felsen, durch die das Schiff sanft hindurch glitten. Sorgfältig platzierte Gaslämpchen mit gedimmter Flamme tauchten das Hauptdeck und die Brücke der Starfall in ein schwummriges, bläuliches Licht. Hell genug, um zu sehen. Dunkel genug, um die Kreaturen der Tiefsee nicht aufzuwecken.
      Die Navigatorin näherte sich bedächtig der Reling.
      "Es regnet", flüsterte sie. "Es regnet unter dem Meer."
      Mit Wunder in den großen Augen spähte sie hinaus in die spärlich beleuchtete See und verstand, was Ben und die Crew mit Bernsteinengeln gemeint hatten. Im Schattenspiel des blauschimmernden Lichtscheins erkannte Florence unzählige Statuen am Meeresgrund. Obwohl Korallen, Algen und Muscheln die geheimnisvollen Figuren bedeckten, konnte sie die erstaunliche viele Einzelheiten erkennen. Einige der Statuen richteten den Blick klagend gen Himmel. Nicht klagend, dachte Florence. Sie wirkten, als würden sie singen. Ein verteinerter Chor im Herzen der See.
      Florence war mit unterschwelliger Wut, brodelnd aber nicht länger kochenheiß, aus der Kajüte getreten nachdem sie behutsam Silas' Hand in ihre genommen hatte. Stirb mir nicht weg, ja?, hatte sie in sein Ohr geflüstert. Es reichte nicht für die große Liebe, aber Trigg war ihr bereits so sehr ans Herz gewachsen, dass der Anblick einen dumpfen, nachhallenden Schmerz in ihrer Brust hinterließ.
      Sie wünschte sich, Silas könnte das hier sehen.
      Florence legte den Kopf in den Nacken und sah zum höchsten Punkt der Blase hinauf.
      Sie tastete nach der beeindruckenden Beule an ihrem Hinterkopf und zischte leise, als der Schmerzimpuls durch ihre Schädeldecke schnitt. Nein, sie war nicht verrückt, aber vielleicht war die Wucht des Aufpralls härter gewesen als gedacht und sie halluzinierte.
      Sie hörte keine Stimmen. Keine Schritte. Nur den Regen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”

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