Zwickmühle [Michiyo & Kechock]

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    • Zwickmühle [Michiyo & Kechock]

      Einführung

      Der junge Mann X studierte an der angesehensten Universität in der Hauptstadt des Landes. Er war der Sohn des reichsten und mächtigsten Mannes der Stadt, der zugleich zum Vorstand des Board der Universität gehörte. Durch die finanzielle Unterstützung seines Vaters hatte X praktisch die vollständige Kontrolle über die Universität und nutzte diese Macht aus, um die Professoren, Kommilitonen nach belieben zu kommandieren und demütigen.

      Im neuen Semester trat Y, eine junge Frau, der Universität bei. Y besaß eine natürliche Schönheit, die eine unbeschreibliche Anziehungskraft ausstrahlte. Ihre makellose Haut und perfekten Gesichtszüge vervollständigten ihr atemberaubendes Aussehen, das sie in die Lage versetzte, jeden in ihren Bann zu ziehen. Trotz ihres unschuldigen Aussehens trug sie ein dunkles Geheimnis mit sich. Y war ein adliger Vampir aus einer angesehenen Familie, die in der Vergangenheit über mehrere Länder regierte, als Vampire noch in der Macht waren. Der technologische und militärische Fortschritt der Menschheit zwang die Vampire dazu, sich zurückzuziehen und im Schatten zu agieren. Das Geheimnis der Familie war gefährdet aufgedeckt zu werden und das führte dazu, dass sie in ein anderes Land zogen und das Leben einer sterblichen Familie imitierten, um nicht aufzufliegen.

      X, der es gewohnt war, in der Regel alles zu bekommen, was er wollte, versuchte Y für seine Zwecke zu gewinnen und begann seine Annäherungsversuche bei ihr. Doch unbeeindruckt von seinen Bemühungen, lehnte sie ihn kaltblütig ab. Das kratze an seinem Ego und er beschloss, ihr das Leben zur Hölle zu machen, indem er sie vor ihren Professoren und Kommilitonen bloßstellte, ihr Studium sabotierte und seine finanziellen und sozialen Macht nutze, um sie unter Druck zu setzen. Normalerweise würde Y das Problem auf ihre Art lösen, doch sie erkannte schnell, dass sie X nicht einfach beseitigen konnte, da sein Vater zu mächtig war und sein Verschwinden Fragen aufwerfen würde, welche das Leben und das Geheimnis ihrer Familie in Gefahr bringen würde.

      Wie wird sich das Machtspiel zwischen X und Y entwickeln? Wird X am Ende wie gewohnt das bekommen, was er will, oder wird es Y gelingen, mit ihren besonderen Fähigkeiten die Oberhand zu gewinnen? Oder wird sie schließlich ihre Kontrolle verlieren und das Geheimnis ihrer Familie aufs Spiel setzen?

      Rikun, Markes, Bench: @Kechock
      Sierra, Santiago, Mirai: @Michiyo

      Zur Vorstellung hier lang
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      A heart's a heavy burden.

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    • Die Kartons im neuen Reich der Blondine standen noch immer unangerührt in der Ecke des Raumes. Viele waren es nicht, hatten die de la Rosa nicht viel für materielles übrig, sodass jeder von ihnen maximal zwei Boxen gepackt hatte. Während Sierra die tristen Kisten mit den Überresten ihres vorherigen Lebens wie ein Schandwerk verkommen ließ, hatte Jago schon längst sein Zimmer eingerichtet. "Wofür nimmst du Sachen mit, wenn du mit ihnen nichts mehr anfangen kannst?" erklang die kühle Stimme des älteren, der im Türrahmen erschien, um zu sehen, wo seine Schwester blieb. "Altlasten." zuckte sie mit ihren Schultern und schmierte sich ein letztes Mal den Lippenstift über die Unterlippe, ehe sie das helle Augenpaar ihres Bruders suchte. "Bereit für den ersten Tag an der Uni?” kicherte Sierra dem größeren entgegen, wohl wissend, dass es für beide schon längst nicht mehr der erste Tag von irgendetwas war. Die vielen Leben, die sie gelebt hatten, die wechselnden Identitäten und Orte kamen immer mit neuen Verpflichtungen, Ausbildungen und Berufen. Das einzige, was Sierra bedauerte, war ihr optisches Alter, das sie für immer behalten sollte. Die Blüte ihrer Jugend für die Ewigkeit zu erhalten brachte natürlich viele Vorteile, kam aber auch mit dem bitteren Beigeschmack, dass sie nie lange genug irgendwo bleiben konnten, um ihren gewählten Pfad in Gänze auszuleben. Mit einem Medizinstudium in der Tasche, dem Abschluss an einer Kunsthochschule und dem bestandenen Staatsexamen hatte die Blondine weitaus mehr erreicht als man ihr zutrauen würde, doch langsam wurde das ständige Drücken der Schulbank öde. Auch wenn Jago sich im Gegenteil zu Sierra nie darüber beschwerte, so nahm sie an, dass es ihm ebenso wenig zusagte. Schließlich schien der Blondschopf in seinen Rollen als Polizist, Lehrer und Koch glücklich gewesen zu sein.

      Darüber zu grübeln, welchen Weg ihr Dasein eingeschlagen hätte, wären sie menschlich geblieben, brachte nur unnötige Kopfschmerzen. Die ständige Frage nach dem Was-Wäre-Wenn half bekanntlich keinem weiter und so gaben sich die Zwillinge ihrem Schicksal als ewige Schulkinder geschlagen. Immerhin fingen sie nicht komplett von Null an. Diesmal hatte der Universitätswechsel im höheren Semester stattgefunden, wodurch sie zumindest ein Halbjahr des Masters und den Bachelorabschluss schon hinter sich hatten. Maximal zwei Jahre des Studentenlebens mussten sie überstehen, bevor ihnen der Einstieg in den Beruf versprochen wurde.

      Zu ihrem Glück trat Mirai das Studium pünktlich an. Sie war ihr Insider, der sie über alles informieren konnte und aufzeigte wie hier der Hase lief. Es war nicht verkehrt, die Lage zu checken, bevor man als Vampir-Rudel eine Stadt als die seine erklärte. Bereits auf den gefüllten Fluren des Universitätsgebäudes zogen die Zwillinge alle Aufmerksamkeit auf sich. Ungeachtet dessen stolzierte Sierra auf ihren Highheels an allen vorbei, als wären sie nur Staubkörner im Wind, denn ihr Augenmerk lag einzig und allein auf dem schulterlangen dunklen Haar ihrer besten Freundin. Abgesehen davon, dass beide die Frau schon von mehreren Metern Entfernung riechen konnten, war es unmöglich die Frohnatur zu übersehen. Ihr lautes, ansteckendes Lachen hallte in den Gängen und die kleine Traube an Menschen, die Gefallen an ihr fanden, hielt den halben Verkehr auf.
      “Mirai, Mirai, Mirai, was soll man dazu noch sagen? Du bist und bleibst dieselbe."
      “Sierra! Santi! Da seid ihr ja endlich!” fiel sie den beiden um den Hals und zog die Schönheiten in eine innige Umarmung.
      “Ich gehe vor.” Verabschiedete sich der Älteste von ihnen, nachdem sich der sanfte Griff der Dunkelhaarigen gelöst hatte. Der viele Trubel lag ihm nicht, sodass er lieber in den anliegenden Saal ging, in dem in Kürze die erste Vorlesung starten würde.

      “Wie immer ein Sonnenschein unser Jago.” Belächelte Mira den jungen Herren. Mit einem Quietschen der Tür wandte sie umher und lud mit einem leichten Nicken in die Richtung der Geräuschquelle, auch Sierra, dazu ein, sich den Anblick zu gönnen.
      “Oh, die sind heute aber früh dran!” Die Worte galten nicht etwa dem Professor, auf den alle warteten, sondern dem Dreiergespann, das den Weg zum Vorlesungssaal fand.
      “Benjamin Dias, Markes Black und zu guter Letzt Rikun Sanchez. Sie sind sowas wie die Götter hier am Campus. Von allen geliebt oder gefürchtet. Die beiden Schwarzköpfe sind ziemliche Schleimbolzen, aber Bench ist eigentlich ganz niedlich, zu schade, dass er nur Rikuns Schoßhündchen ist…”
      “Götter des Campus? In was für einem Teenage-Drama sind wir denn hier gelandet?” Kam der Blondine lachend über die tiefroten Lippen, ehe sie mit den Augen rollte und im Vorbeigehen der Männer, im letzten Moment einen Schritt vor ihnen setzte und den Raum betrat. “Die Herren.” nickte sie ihnen über ihre Schulter zu “Ladies first, oder nicht?” Ein letztes Zwinkern warf sie ihnen zu, bevor sie mit Mira an der Hand an der Seite ihres Bruders Platz nahm.
      A heart's a heavy burden.

    • Mit seiner Lieblingssonnenbrille mit runden Gläsern, die dank der Hippie-Bewegung in den 60er Jahren ihren Ursprung als Trend fanden, lag der schwarzköpfige junge Mann entspannt auf seinem Strandstuhl, die Beine ausgestreckt und die Arme gekonnt auf die Armlehnen platziert. Der schwarze Fischerhut mit breiter Krempe, welcher tief ins Gesicht gezogen war, schützte seine empfindlichen Haare vor den Gefahren der UV-Strahlung. Die tiefblaue See vor ihm, die im Sonnenlicht funkelte, zeigte keinerlei Anzeichen einer anbrechenden Flut. Nur die verspielten Wellen tanzten fröhlich im Rhythmus des Windes zur Bucht des Strandes. Der Horizont schimmerte abwechselnd in leuchtenden Orange- und Rosa-Tönen, während ein paar Segelboote in der Ferne ihre prächtigen, perlenweißen Segel stolz dem Wind präsentierten, der sie sanft über den Meeresspiegel begleitete. Die warmen Sonnenstrahlen der Mittagssonne, die das genannte Schauspiel in Szene setzten, küssten sanft den athletischen Körper des jungen Mannes und bräunten ihn allmählich, während er die salzige Meeresluft mit jedem Atemzug entspannt einatmete und das Gefühl der absoluten Freiheit genoss. "Hier will ich ewig bleiben", dachte sich Rikun, ehe ihn sein Wecker "unangekündigt" auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte. Seufzend, nachdem er den Störenfried verstummte, hielte er für einen Moment inne, um sich mental darauf einzustellen, dass die Semesterferien in diesem Moment offiziell beendet waren und der Unialltag vor der Tür stand. Ein letztes Mal streckte er sich, bevor er sich von dem behaglichen Gefühl der weichen Laken auf seiner Haut trennen musste.

      Der junge Student lebte aktuell alleine in seinem luxuriösen Penthouse-Apartment, das in Wirklichkeit einer Villa ähnelte. Es war mit einem privaten Park lokalisiert am Hinterhaus des Gebäudes. Einem Kunstbrunnen, der aus Italien importiert wurde, und ausgestattet mit einem Helikopterlandeplatz, natürlich für seinen privaten Heli. Manchmal fragte sich Rikun, wie einfache Menschen sich mit den simplen Dingen im Leben zufrieden geben konnten? Für ihn wäre es niemals eine Option, auf seinen Luxus zu verzichten. Er würde sich eher das Leben nehmen, als auf all seine Reichtümer verzichten zu müssen.

      Sein morgentliches Ritual bestand darin, sich an Tagen, an denen sein Gesicht ein wenig angeschwollen war, eine Kühlmaske auf die Augen zu legen. Währenddessen verwendete er täglich in der Dusche einen wasseraktivierenden Gel-Reiniger und ein Honig-Mandel-Körperpeeling. Für die Haare benutzte er ein tiefreinigendes Shampoo und eine Lavendel-Spülung mit Hitzeschutz. Ein wenig Kokusnussöl sorgte dafür, dass seine Haarwurzeln alle Nährstoffe erhielten, die sie für den Tag brauchten. Abschließend verwendete er dutzende Haar-Styling-Produkte, um seiner Frisur den perfekten Look zu verleihen. Sich von seiner besten Seite zu zeigen, war ihm schon immer Teil seiner Fundamente und jeder, der keinen Wert auf seine äußere Erscheinung legte, hatte seinen Respekt nicht verdient. Während des Frühstücks informierte er sich stets über die aktuellen Geschehnisse in der Finanzwelt. Er war immer auf der Suche nach neuen Investitionsmöglichkeiten und musste sicherstellen, dass er der "dummen Herde" vorauslag und keinerlei unklugen Entscheidungen traf. "Der jüngste Milliardär in der Geschichte der Menschheit wird man nicht mit halbherzigen Ansätzen, sondern mit Verstand oder dem reichsten Vater auf Erden.. und ich habe beides", dachte sich Rikun grinsend.

      Nachdem er sich in Schale geworfen hatte, bestieg er seinen teuren Sportwagen, den er sich extra zum Start des neuen Semesters zugelegt hatte. Er genoss es, durch die Straßen der Stadt zu fahren und die Blicke der Menschen auf sich zu ziehen. Schließlich war er der junge Milliardär, der er war, und es gefiel ihm, Macht und Reichtum zur Schau zu stellen. An der Universität angekommen, beobachtete er im vertrauten Anblick, wie Benjamin zur Universität auf dem Fahrrad strampelte und sein Transportmittel an einer der freien Fahrrad-Parkplätzen auf dem Campus sicherte. Normalerweise würde er sich nicht mit Menschen von minderem sozialen Rang abgeben, aber Benjamin war für ihn wie ein kleiner Bruder, den er nie hatte. Er bewunderte Rikun und strebte danach, ebenso erfolgreich zu sein. Dies machte ihn zu einem nützlichen Werkzeug, das ihm dabei half, die Aufgaben die er ihm erteilte nach seinen Vorstellungen entsprechend zu bewältigen. Außerdem ist Benjamin beliebt unter den anderen Bewohnern des Hauses, was es Rikun ermöglichte, immer den Zufriedenheitsstatus seiner "Untertanen" im Auge zu behalten und im Falle eines Aufstands schnell handeln zu können.
      Sein zweiter Kollege Markes, den er gerade dabei erwischte, aus seiner Limousine auszusteigen, konnte ihm kaum ähnlicher sein - überheblich, von sich selbst überzeugt und stets sich selbst der Nächste. Doch Rikun erkannte, dass es oft die Gegensätzlichkeiten sind, die eine Beziehung am Leben erhalten, wie zwei Magnete, die sich anziehen. Dies erklärte wahrscheinlich auch die offensichtliche Spannung zwischen ihnen. Trotzdem war er froh darüber einen Kollegen in seinen Kreisen zu haben, der ihm ähnelte und seine Gedankengänge nachvollziehen konnte.

      Zu dritt, ohne ein Wort zu wechseln, schritten die drei auf den Vorlesungssaal zu. Nur Benjamin plauderte voller Begeisterung über seine Erlebnisse während der Semesterferien, doch Rikun konnte sich nicht von dem Gedanken losreißen, warum ihn die anderen Studenten nicht mit der gleichen Bewunderung ansahen wie sonst. Sie schienen in eine andere Welt versunken, als hätte eine höhere Präsenz sie alle in ihren Bann gezogen. Das einzig Vertraute in dieser Situation war die lautstarken Stimme von Mirai, die man bis zum Eingang der Universität hören konnte. Manchmal konnte Rikun nicht anders, als den Wunsch zu verspüren, der Frohnatur von ihrem Glück zu berauben, nur um sie einmal unglücklich zu erleben. Doch jedes Mal, wenn er sich ihr näherte, schwand dieser Wunsch und es war fast, als ob sie einen Schalter in ihm umlegte. Zudem wusste der Schwarzkopf, dass Benjamin sich in das sonnige Gemüt verliebt hatte, seit er sie in der Einführungswoche das erste Mal sah und es war kein Geheimnis, dass Mirai keine hohe Meinung von Rikun hatte, was erklären könnte, warum Benjamin sich bisher nicht dazu bereit gefühlt hatte, ihr seine Gefühle zu offenbaren.
      In Gedanken versunken und seinen Teamkameraden einen Schritt voraus, wollte der Gruppenführer die Vorlesungshalle betreten, als plötzlich eine unbekannte junge Frau ihm absichtlich den Weg abschnitt, bevor sie den Saal betrat. Im ersten Moment entsetzt darüber, dass sich hier jemand traute, ihm in die Quere zu kommen, erstarrte er plötzlich, als hätte ihn jemand einen Dolch ins Herz gestochen. Die Schönheit, die sich vor seinen Augen entfaltete, blendete den jungen Mann förmlich und versetzte ihn in einen tranceähnlichen Zustand. Ihre Augen, die sich in diesem Moment kreuzten, hatten einen gebleichten Blauton, der die Schönheit des Mondes ähnelte. Ihre tiefroten Lippen und geschmeidige Haut, die ihn an seine weichen Bettlaken erinnerten, breiteten ein warmes Gefühl in seiner Brust aus, das er zuvor noch nie verspürte. Erst als ihn sein Kollege Markes an der Schulter fasste, kam der junge Mann wieder zu seinen Sinnen. "Was ist los mit dir? Warum stehst du einfach hier rum und starrst diese Witzfigur einer Frau an?", fragte ihn Markes verwundert. Markes war immer nur von sich selbst überzeugt - jede andere Person war für ihn ein misslungener Versuch, ihm zu gleichen. "Alles gut, ich bin nur ein wenig müde, das ist alles", erklärte er sich ruhig.

      Nachdem die beeindruckende Vorstellung vorüber war, nahmen die drei ihre gewohnten Plätze in der letzten Reihe ein, die seit Studienbeginn für sie reserviert war. Jeder wusste, dass niemand anders das Recht hatte dort zu sitzen. Die anderen Studenten respektieren die Regel, aus Angst, dass sie selbst das nächste Opfer der beiden Bonzen werden könnten. Der junge Aiden, ein stiller und zurückhaltender Student, hatte seit Anfang letzten Jahres unter den Schikanen von Rikun und Markes zu leiden. Niemand konnte genau erklären, wieso Rikun sich ausgerechnet Aiden als Ziel ausgesucht hatte. Vielleicht war es seine schmächtige Statur von 1.56m, seine schlangenähnliche Erscheinung oder seine etwas zu groß geratene Brille, die ihn zum perfekten Opfer für die beiden Machtmenschen machten. Oder vielleicht lag es daran, dass Aiden eine besondere Schwäche hatte - er weinte bei jeder kleinsten Unannehmlichkeit. Die beiden nutzten diese Schwäche gnadenlos aus und hatten sogar einen kleinen Wettstreit ins Leben gerufen, bei dem der gewinnt, der es schafft, Aiden am meisten zum Weinen zu bringen an einem Tag. Sie fanden es amüsant, ihn so zu quälen und genossen die Macht, die sie dadurch über ihn hatten.

      Der Saal verstummte, als der Professor den Raum betrat und mit seiner Vorlesung begann. Während die anderen Studenten aufmerksam zuhörten, unterhielten sich die drei Jungs in der letzten Reihe lautstark und verzerrten dabei genüsslich die Pistazien, die Rikun aus seiner Tasche zog. Kaum hieß der Professor die Anwesenden willkommen, begannen die beiden Schwarzköpfe, Aiden mit den Überresten der Frucht zu bombardieren. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Tränen die Wangen des jungen Mannes herunter kullerten. "Mein Punkt!", rief Markes schadenfroh in die Runde. "Niemals, der Nerd fing definitiv aufgrund meines Kopftreffers an zu weinen," meinte er stolz. Die Beiden einigten sich lachend auf ein unentschieden, als Aiden, dem die Demütigungen und die Schikanen allmählich zu viel wurden und weinend den Raum verließ.


      "Loneliness has followed me my whole life, everywhere." - Taxi Driver
    • Es war eine Weile her, dass die Zwillinge in einem Vorlesungssaal gesessen hatten. An den Lärm und die vielen lauten Stimmen, die in dem empfindlichen Gehör der Blutsauger um ein Vielfaches lauter wirkten, mussten sie sich erst einmal gewöhnen, doch die Schikane der beiden Buben entging der Blondine nicht. Am liebsten hätte Sierra sich um hundertachtzig Grad gewendet und ihrem vermeintlichen Spaß ein Ende gesetzt, aber die Hand ihres Bruders, der ahnte, welche Gedanken sie pflegte, hinderte sie daran, indem er diese sanft auf ihre Schulter legte. Auch ihm gingen die Kindsköpfe auf die Nerven, Grund genug, sich immer und überall einzumischen, war es seiner Meinung nach jedoch nicht. Sie zogen schon mit ihrer bloßen Existenz genügend Aufmerksamkeit auf sich, da wollte Jago so wenig wie möglich nachhelfen. Sierra sah das für gewöhnlich anders. Ihr Sinn für Gerechtigkeit hatte schon etliche Male für Ärger gesorgt und die Familie in Gefahr gebracht. Immer wollte sie ihre Finger im Spiel haben und bestand darauf, in guter Absicht zu handeln. Nur leider nahmen diese Geschichten immer ihren gewohnten Lauf, bis sie schließlich ein Eigenleben gewannen. Vampir hin oder her - sich die Welt zu gestalten, wie einem gefiel, gehörte nicht explizit zu ihren Fähigkeiten. Das Leben war unberechenbar, ähnlich wie die Menschen, denen sie begegneten.

      Dem Drang, Markes und Rikun Grenzen aufzuzeigen, konnten sie kaum widerstehen, schielte mit den blauen Augen über ihre Schulter und warf dabei ihre Mähne gekonnt von einer Seite zur anderen. Von ihrem Zorn war ihr kaum etwas anzumerken, da sie den schwarzhaarigen Männern schlichtweg ein Lächeln zuwarf, doch wenn Blicke töten könnten… Niemand sonst würde den Ausdruck auf den Zügen der Schönheit zu deuten wissen, niemand außer Mirai. Wie gewohnt legte die Dunkelhaarige ihre Finger auf die Haut der älteren Vampirin, um ihr die Entspannung von Meereswellen zu schicken, die diesmal jedoch auf Ablehnung stießen. Mit einer flüchtigen Handbewegung unterbrach Sierra den Körperkontakt ihrer Freundin, die wehmütig den Kopf senkte.

      Nachdem Aiden die Flucht ergriffen hatte und die Vorlesung ihr Ende fand, machte sich die große Frau auf die Suche nach dem Nerd, der im Gang vergeblich Ruhe suchte. "Weißt du, solche Typen werden dir immer das Leben schwer machen, wenn du dich nicht zur Wehr setzt." lässig lehnte sie sich an die Wand neben dem Jungen. "Kopf hoch, ja? Lass dich doch nicht von spätpubertären Neandertalern rumschubsen. Du bist cleverer als alle zusammen. Ich bin sicher, dass du dir was einfallen lassen kannst, um sie zu überlisten oder dir zumindest ihre leeren Worte nicht zu Herzen zu nehmen. Sollten sie dir nochmal Ärger bereiten, kannst du dich an mich wenden, ok?" Gerade als die drei Kumpanen durch die Tür traten, beendete Sierra das Gespräch und lud den Jüngeren noch zu einer Party ein.

      Mirai an der Hand nehmend, ging die Blondine stolz auf die drei zu. An Raikun und Markes vorbei hielt sie vor dem Braunhaarigen inne und beachtete die anderen beiden, in deren Schatten Benjamin zum Vorschein kam, nicht. "In Ehren des Semesterstarts geben mein Bruder und ich eine kleine Party bei uns im Haus. Du bist herzlich eingeladen. Hier…" Ohne zu Fragen nahm sie sich das Smartphone, dass der Bursche in seiner Hand hielt und tippte ihre Nummer darin ein. "So, jetzt hast du meine Nummer. Die Adresse schicke ich dir später zu." Gab sie weiter bekannt und sah dem Mann in seine loyalen, goldenen Augen. "Nimm ruhig paar Freunde mit." schielte sie flüchtig im Augenwinkel zu den anderen beiden, ehe sie wieder davon stolzierte.
      "Was war das denn? Ihr habt doch gar keine Party geplant." murmelte Mirai, während sie über ihre Schulter sah, um einen letzten Blick auf den Süßen zu erhaschen. "Jetzt schon."

      Zuhause angekommen, ließ Sierra die Party des Jahrhunderts vorbereiten. "Wieso genau betreibst du den Aufwand?" Jago war kein Fan von Feierlichkeiten, die nur noch mehr Aufsehen erregten. "Schön, wenn ihr neue Freunde findet." brachte sich ihr Vater bei der Vorbereitung fleißig ein. Ihm lag schon immer viel an dem Wohlergehen seiner Kinder, da war es ihm jede Mühe wert. Das Haus, in dem sie lebten, lag abseits des städtischen Geschehens, nahe des Waldes und beherbergte Platz für fünf weitere Kinder. Das luxuriöse Glashaus, das man inmitten des Grüns nicht erwarten würde, ließ keinen Kindheitstraum unerfüllt. Neben einem riesigen Swimmingpool und einer HotTub verfügte es über mehrere Acker Land. Für Ihren Fuhrpark gab es mehrere Garagen mit einer großzügigen Auffahrt und auch im Inneren des Hauses erstrahlte alles in einem geleckten hochwertigen Look. Die vielen Zimmer waren gefüllt mit allen möglichen Beschäftigungsmöglichkeiten, wobei die Bibliothek mit weitem Blick auf die Bäume der liebste Ort der vermeintlich vierundzwanzigjährigen war. Gesäumt von gefüllten Bücherregalen stand in seiner Mitte ein Flügel und einige Staffeleien. Es blieb nur zu hoffen, dass ihre heile Welt die Fete unversehrt überstehen würde, da langsam die Gäste eintrudelten und das in einer Vielzahl, wie sie die Zwillinge nicht erwartet hätten.
      A heart's a heavy burden.

    • Die restliche Vorlesung langweilte sich der Anführer der Gruppe und überbrückte die Zeit mit einem Nickerchen, während der junge Benjamin gebannt dem Professor lauschte. Der Goldschopf, der sich durch harte Arbeit und Entschlossenheit aus seinen bescheidenen Verhältnissen hochgearbeitet hatte, war ein fleißiger und zielstrebiger Student, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, seinen Abschluss in der Regelstudienzeit zu erreichen. Dies war für ihn von größter Bedeutung, da seine Familie, obwohl sie nicht arm war, nicht die Mittel hatte, ihm eine teure Universitätsausbildung zu ermöglichen. Benjamin und seine Eltern mussten täglich hart arbeiten, um die Kosten zu decken, und selbst er arbeitete oft nach seinen Studientagen, um seine Familie zu unterstützen.
      Manchmal beneidete der Goldschopf den finanziellen Status seiner beiden Kollegen - nie mussten sie sich sorgen machen, ob sie genug Geld für den Folgemonat hatten, um die Miete zu zahlen. Trotzdem war Benjamin nicht verbittert oder neidisch auf seine wohlhabenderen Kommilitonen. Er wusste, dass jeder seine eigene Hand gespielt bekommen hatte und es sinnlos war, sich mit anderen zu vergleichen. Stattdessen erinnerte er sich an das Motto: "Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit", und erfreute sich an dem, was er erreicht hatte, dank seiner harten Arbeit und Entschlossenheit.

      Nach der Vorlesung verließen die Jungs den Vorlesungsraum und stießen, zu ihrer Überraschung, auf die Blondine wieder, die in Begleitung von Aiden war, der gerade eine Einladung zu ihrer Willkommensfeier erhielt. Im Nachgang stolzierte die Vampirin in Begleitung mit ihrer besseren Hälfte schnurstracks auf die Männer hinzu. Die Herzen der drei fing an rasant zu schlagen und selbst der Anführer, der normalerweise in jeder Situationen selbstsicher wirkte, wurde leicht nervös in ihrer Präsenz - natürlich ließ er sich das äußerlich auf keinerlei Weise anmerken. Von seiner eigenen Bedeutung und Selbstüberschätzung überzeugt, erwartete der junge Milliardär selbstverständlich eine persönliche Einladung, denn in seinen Augen war er die bedeutendste Figur in der Universität und jeder wollte jeder ihn auf seiner Party dabei haben. Umso größer war das Entsetzen für ihn, als gerade der mickrige Bub, welchen er als unbedeutend und zweitklassig ansah, die Einladung zu ihren Feierlichkeiten erhielt - nicht zu vergessen, dass er nun auch Besitzer ihrer privaten Handynummer war. Eifersucht und Neid loderten in diesem Moment in ihm auf, Gefühle, die er noch nie zuvor in dieser Intensität verspürte. Er konnte nicht glauben, dass er nicht persönlich von der Familie de la rosa zu ihrer Feier eingeladen wurde, stattdessen wurden zwei seiner Kommilitonen aus der Mittelschicht bevorzugt. Wutentbrannt blickte er auf seinen loyalen Begleiter hinab, der sichtlich überwältigt war von der Tatsache, dass er von der hübschesten Dame der Universität persönlich zu ihrer Party eingeladen wurde. Das einzige woran der Fahrradständer jedoch denken konnte war, ob ihre braunhaarige Freundin dabei sein wird. "Wie ist das möglich?", fragte sich der Schwarzhaarige. "Wie könnt ihr zwei nutzlosen eine persönliche Einladung zu deren Party bekommen, aber ich.. die wichtigste Person in der gesamten Universität nicht?", rief er lautstark in die Runde, ehe er hasserfüllt Aiden, dem Brillenträger, ansah - der schnell die Flucht ergriff, um keine weiteren Konfrontationen zu erleben. "Bestimmt war das nur eine Masche von ihr, um uns indirekt zur Feier einzuladen. Sie hat sich vielleicht nicht getraut, die reichsten und mächtigsten Personen direkt einzuladen und hat stattdessen Benjamin und Aiden, die aus einfacheren Verhältnissen stammen, ausgewählt, um uns durch die Blume einzuladen", erklärte Markes ruhig. Mit der Erklärung seines besten Freundes beruhigte sich der Hitzekopf und nickte zustimmend. "Natürlich, ich bin fast auf ihre Tricks hereingefallen", gab er grinsend zu. "Somit ist es beschlossen. Wir gehen zu ihrer Party", entschied der Gruppenführer und machte sich auf den Heimweg, ohne ein weiteres Wort mit seinen Kollegen zu wechseln.

      Zuhause angekommen, entledigte sich Rikun seiner schweißtreibenden Alltagskleidung und begab sich in sein Ankleidezimmer, wo er einen besonderen Anzug auswählte, den er sorgfältig aus dem Schrank nahm. Der Anzug war ein Meisterwerk, angefertigt von seinem bevorzugtem italienischen Maßschneider aus feinstem Stoff. Er legte ihn an und betrachtete sich im Spiegel, während er die Ärmel glatt strich und die Knöpfe schloss. Er fühlte sich wie ein neuer Mann in diesem Anzug und war bereit, die Party beizuwohnen und sich von seiner besten Seite zu zeigen, um das Herz der Vampirin zu erobern.
      Kaum hatte der junge Mann seine Vorbereitungen abgeschlossen, klingelte sein Handy und auf dem Display erkannte er den Namen seines treuen Begleiters. "Bist du schon auf dem Weg zur Party?", fragte er ihn während er mit einem letzten Griff seine Haare zurecht stutzte. "Nein, ich schaff es nicht zur Party.. muss gleich auf die Arbeit. Ich kann meine Schicht nicht sausen lassen.. Aber ich schick dir die Adresse.. ist sowieso viel zu weit weg, abseits der Stadt", seufzte Benjamin enttäuscht. "Du musst kommen! Ohne dich kann ich dort nicht aufkreuzen. Wie verzweifelt würde das wirken wenn ich ohne dich dort erscheine, ohne persönliche Einladung. Wir sind deine Begleitung und ich will auf die Party.. Also musst du mitkommen.", erklärte Rikun gereizt. "Ich will auch auf die Party, aber ich bin auf die Arbeit angewiesen! .. Außerdem ist die Location viel zu weit weg für mein Fahrrad". "Mach dir mal nicht ins Hemd.. Ich bezahl dir das 5x deines Tageslohn und nimm dich mit zur Party", versprach er ihm und beendete das Gespräch, bevor sich Benjamin bei ihm bedanken konnte.

      "Eeeehhh?! Dies muss das größte Anwesen sein, das ich jemals gesehen habe!", rief Benjamin beeindruckt aus, als die beiden an der Auffahrt des Hauses ankamen. Selbst der Anführer, der für seinen Reichtum bekannt war, war von der imposanten Größe des Anwesens beeindruckt und musste sich eingestehen, dass er die Wohlhabenheit der Familie de la rosa unterschätzte. Er hatte eine kleine WG-Party erwartet, stattdessen standen sie vor einem Anwesen von solchem Ausmaß. "Es ist nichts Besonderes. Mein Vater besitzt Dutzende von Immobilien wie diese. Ich wäre nicht überrascht, wenn dieses auch ihm gehörte und er es an ihre Familie vermietet hat", erklärte er defensiv. An der Eingangstür angekommen, betrat die Gruppe das Haus, das bereits von lauter Musik und Lichterspielen erfüllt war und von einer großen Anzahl an Studenten, die das Haus füllten - es schien fast, als ob die gesamte Universität anwesend wäre.
      Rikun blickte in die Runde und wandte sich an seine Kollegen, um seinen Plan zu erklären, den er sich während der Hinfahrt ausgedacht hatte. "Hört zu, hier ist der Plan. Benjamin, du bist unser Doppelagent und mischst dich unter das einfache Volk, um herauszufinden, wie gut die Party ankommt und wie beliebt die Gastgeber bei den Studenten sind. Markes, deine Aufgabe ist es, alles über die Familie herauszufinden. Spare keine Mühen und drehe jeden Stein um, um jedes noch so kleine Geheimnis der Familie zu erfahren. Komm nicht ohne Ergebnisse zurück! ", rief er energisch in die Gruppe. "Ich werde mich um die Kleine kümmern", fügte er mit einem hämischen Grinsen hinzu.

      Der Goldjunge schlenderte durch die Räumlichkeiten des Anwesens, ein Glas Champagner in der Hand und ein Lächeln auf den Lippen. Er hatte sich perfekt in die Rolle des Doppelagenten eingefügt und fühlte sich wie ein Fisch im Wasser unter all den Studenten. Er bewegte sich geschickt durch die Menge, plauderte hier und da und sammelte unauffällig Informationen über die Party und die Beliebtheit der Gastgeber. Er hatte besonders ein Auge auf eine Gruppe von Studenten geworfen, die sich lautstark über die Gastgeber unterhielten. Sie schienen von ihnen beeindruckt zu sein und lobten ihre Großzügigkeit und Gastfreundschaft. Benjamin lauschte aufmerksam und notierte sich die wichtigsten Deets, die er später an seine Kollegen weitergeben würde. Doch er ließ sich nicht nur von seiner Mission leiten, sondern genoss auch die Party in vollen Zügen. Die Musik war laut und die Stimmung ausgelassen. Benjamin tanzte, trank und lachte mit allen um ihn herum.
      Er schlenderte durch das luxuriöse Anwesen, als er sie plötzlich erblickte, die Liebe seines Lebens: Mira. Sie stand inmitten der Menge, ihr schulterlanges, glänzendes Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern und sie trug ein besonders schickes Kleid, das ihre Figur perfekt betonte. Benjamin konnte den Blick nicht von ihr abwenden, er war gefangen von ihrer Schönheit und Anmut.
      Doch er war zu scheu, um sie anzusprechen. Stattdessen genoss er ihren Anblick von der Ferne und beobachtete, wie sie sich mit anderen Gästen unterhielt und lachte. Er wünschte sich, er hätte den Mut, sie anzusprechen und ihr zu sagen, wie sehr er sie liebte. Doch er konnte nur dastehen und sie von weitem bewundern, während er sich insgeheim fragte, ob er jemals den Mut aufbringen würde, seine Gefühle zu gestehen.

      Auch das zweite Mitglied in Rikuns Team war sich seiner Aufgabe bewusst und schlich sich durch die Gänge des Anwesens, während die Party im vollen Gange war. Sein Bauchgefühl vermittelte ihm, dass die Familie nicht so ordinal sei, wie sie versuchte sich auszugeben. Ein solches Anwesen abseits der Stadt ließen bei ihm alle Alarmglocken klingeln. Er hatte ein persönliches Interesse darin entwickelt die Geheimnisse der Familie aufzudecken, die das Anwesen beherbergte und für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen. Schließlich wurde der Schwarzkopf nicht ohne weiteres ein reicher junger Mann. Sein Talent bestand darin wertvolle Informationen zu ergattern und für seine finanziellen Mittel einzusetzen. Der Großteil des Reichtums von Markes verdiente er sich damit, Politiker und reiche Machenschaften zu erpressen mit sensiblen Informationen, die er über sie erfuhr.
      Motiviert begann er damit, die Räume zu durchsuchen, indem er Schränke und Schubladen öffnete und Dokumente durchsah. Er fand Unterlagen über Geschäfte und Immobilien, aber nichts wirklich Aufregendes. Er beschloss tiefer in das Anwesen vorzudringen und sich die Kellerräume vorzunehmen. Er schlich durch die dunklen Gänge und hielt Ausschau nach versteckten Türen oder geheimen Zugängen.
      Schließlich entdeckte er eine verriegelte Tür, die ihm besonders verdächtig vorkam. Er holte sein Werkzeug hervor und begann, das Schloss zu knacken. Mit seinen Fähigkeiten im Schlossknacken gelang es ihm, das Schlossmechanismus innerhalb weniger Minuten zu überwinden. Doch während er an der Tür arbeitete, hatte er das Gefühl, dass ihn jemand beobachtete. Er blickte sich immer wieder um, doch er sah niemanden in den dunklen Gängen.
      Als er die Tür endlich aufbekam, stand er vor einer Folterkammer. Der Anblick, der sich ihm bot, war erschreckend. Es gab Folterinstrumente in allen Größen und Formen und es sah aus, als ob sie regelmäßig benutzt wurden. Die Wände waren wahlweiße mit Blut verschmiert und leere Blutbeutel schmückten den Raum. Markes war schockiert und fragte sich, welche Art von Familie hier wohl lebte. Er begann, Fotos und Videos von den Folterinstrumenten mit seinem Handy aufzunehmen und hatte das Gefühl, dass er jeden Moment entdeckt werden könnte, also arbeitete er schnell und effizient. Erschüttert aber zufrieden von seiner Entdeckung, machte er sich bereit die Kammer zu verlassen, um sich unauffällig wieder der Party anzuschließen.

      Der Anführer hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Gastgeberin des Anwesens zu finden und sie in dieser stillen Nacht für sich zu gewinnen. Von den anderen Gästen erfuhr er, dass sie eine besondere Vorliebe für die Bibliothek im Hause hatte, also beschloss er, dort zuerst nachzusehen, da er sie inmitten der Menschenmasse nicht finden konnte. Er durchquerte die prächtigen Räume, vorbei an luxuriösen Möbeln und Kunstwerken, während er seinem Instinkt folgte. Er hatte das Gefühl, dass er auf der richtigen Fährte war, als er schließlich vor einer großen, massiven Holztür stand. Er drückte die Klinke herunter und trat ein. Die Bibliothek war ein beeindruckender Raum. Die Wände waren bis zur Decke mit Bücherregalen bedeckt und eine breite Treppe führte zu einer Galerie im oberen Bereich. Er sah sich um und entdeckte die Gastgeberin, wie sie am Fenster stand und verträumt in die Nacht des Waldes blickte. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er ihre atemberaubende Schönheit erblickte. Ihre welligen, glänzenden Haare fielen über ihre Schultern und umrahmten ihr Gesicht mit feinen Zügen - ihre Haut war makellos und glatt wie Marmor. Ihre Augen strahlten in einem tiefen Blau und hatten einen leicht melancholischen Ausdruck. Sie trug ein elegantes Kleid, das ihre zierliche Figur perfekt zur Geltung brachte und ihr vampirisches Wesen auf eine elegante Weise unterstrich. Rikun konnte nicht anders als von ihrer Schönheit fasziniert zu sein und wusste, dass es nicht einfach werden würde, sie für sich zu gewinnen, aber er war entschlossen dies zu meistern.
      "Es ist unhöflich, seine Gäste zu ignorieren und sich hier oben zu verkriechen", erklärte er unverschämt, bevor er sich zum Klavier begab und sanft über die Tasten strich, die den Flügel zum summen bewegten und den Raum mit einem dramatischen Klang befüllten. "Ich muss eingestehen, du hast mich von dem Augenblick, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe beeindruckt. Als ich von der Party erfuhr, habe ich mit einer kleinen WG-Party gerechnet, aber nicht mit so einem Palast. Was genau versuchst du hier zu bezwecken?", er trat näher an sie heran und musterte sie neugierig. "Willst du mich etwa beeindrucken?", fragte er und strich gefühlvoll, mit der Außenseite seines Zeige- und Mittelfinger, über ihre Wange. Er hob ihr Kinn vorsichtig an, um ihr tief in die Augen zu blicken und sich ihrem Gesicht bis auf wenige Zentimeter zu nähern, ohne jedoch ihre Lippen zu berühren. "Meine Aufmerksamkeit hast du jetzt".


      "Loneliness has followed me my whole life, everywhere." - Taxi Driver
    • Während die ersten Gesichter ihren Weg über die Schwelle des de la Rosa Anwesens machten, waren die Kinder des Hauses nirgendwo anzutreffen. Das rege Treiben fand in ihrer Abwesenheit statt, doch unbeaufsichtigt blieb davon rein gar nichts. Durch ihre erweiterten Sinne, war es ihnen möglich, das Geschehen von der Ferne zu vernehmen. Jedes einzelne Gespräch, jedes Öffnen einer neuen Flasche feinsten Champagners, nichts davon blieb ihren überempfindlichen Ohren verwehrt. Obwohl sich die Gerüche tummelten, entging der Blondine in der Bibliothek nicht, wie eine ganz bestimmte Duftgruppe auf der Einfahrt erschien. Mirai ging es ähnlich, sodass jede Faser ihres Körpers sich anspannte, ohne dies großartig nach außen zu tragen. Das goldene Haar mischte sich schnell unter die Leute und schien in den Mengen schnell Anschluss zu finden. Bei den vielen Gesprächspartnern fragte sich die Vampirin, ob Benjamin seinen Weg zu ihr bahnen würde, doch darauf wartete Mirai nur vergeblich. Immer wieder trafen sich flüchtig ihre Blicke. Das loyale Braun sah häufiger zu ihr herüber, aber abgesehen davon geschah nichts… Über den Witz ihres Gegenübers lachend, versuchte die Dunkelhaarige, sich nichts anmerken zu lassen. Innerlich haderte sie mit sich selbst. Sollte sie rüber gehen und ihn einfach ansprechen oder rührte Benjamins fehlende Initiative etwa von mangelnden Interesse an der Schönheit? Verunsichert sah sie sich um, in der Hoffnung, irgendwann Sierra auf der Bildfläche zu erhaschen, doch darauf wartete sie erneut vergeblich. Als Mirai nicht mehr weiter wusste, machte sie sich auf die Suche nach der Blondine.
      ___

      Die wilde Trommel in dem empfindlichen Gehör der Vampirin war wie Musik in ihren Ohren. Ein schneller Paukenschlag folgte dem nächsten, unfähig sich der Aufregung zu entziehen und verriet das innere Vorgehen in dem von außen so ruhig wirkenden Körpers. Rikuns Haut glich der eines gepuderten Säuglings, nicht ein Tropfen des Schweißes enttarnte seine Nervosität. Der violette Blick ruhte in Gelassenheit auf dem der Älteren und beherbergte tiefe Begierde, die nur mit der Handbewegung des Mannes unterstrichen wurde. Die Dreistigkeit, die Sanchez an den Tag legte, sich zu erlauben, die Vampirin ohne Nachfrage zu berühren, schmeichelte ihr ein kleines Schmunzeln auf die blutroten Lippen. Wenn der Junge nur gewusst hätte, dass er mit dem Feuer spielte. Der steigende Puls des Dunkelhaarigen amüsierte Sierra sehr, wenn auch ihr Blut ähnlich zu kochen begann, so war es dem reichen Schönling zumindest verwehrt, dies zu bemerken. Flüchtig leckte sich die Blondine über die Lippen, als Rikun weitere Zentimeter zwischen ihnen verstreichen ließ. Sie hatte in der Tat auf ihn gewartet, wusste, dass er sie aufsuchen würde, nur dafür hatte die Vampirin die Feierlichkeit ins Leben gerufen, aber auch das war nur ein irrelevanter Fakt, den sie vehement bestreiten würde. “Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, bist du keiner meiner geladenen Gäste. Wie war noch dein Name? Ich schaue gerne auf der Liste nach.” hauchte Sierra ihm entgegen. So nah, wie sie einander waren, konnte ihr Gegenüber ihren warmen Atem auf seinen Zügen spüren und den lieblichen Duft des herben Alkohols, den sie getrunken hatte, riechen. Natürlich wusste sie, wer ihr gegenüber stand. “Aber mi casa es su casa.” ergänzte sie nach einem kurzen Moment, um die Gastfreundschaft aufrechtzuerhalten, schließlich war nicht mal die Hälfte der Anwesenden tatsächlich eingeladen. “Erstaunlich, wie du in deiner kleinen, heilen Welt, tatsächlich in der Annahme lebst, dass sich alles nur um dich dreht.” Mit einem Mal rückte die Blondine näher an den Mann heran, sodass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten und sie sich die Luft, die sie einatmeten, teilten. “I hate to break it to you, aber ich kenne Männer wie dich und ich weiß was du vor hast. Lass mich dir deine Zeit sparen - es wird nämlich nicht funktionieren. Du siehst ganz passabel aus, so viel muss man dir lassen, aber ich kann dich nicht sonderlich gut leiden, denn Männer wie du, die Ihre Macht dafür nutzen, um andere zu schikanieren, haben meistens etwas zu kompensieren und das…ist nicht gerade sexy.” Bei der Ansprache, die sie hielt, wanderten ihre zarten Finger an den Krawattenknoten des sichtlich teuren Anzugs. Rikun hatte sich eindeutig ins Zeug gelegt, um adrett zu erscheinen und wenn man die zwei aus der Ferne betrachtete, sah es nach alles anderem aus als nach einer Hausparty. Das edle Sakko aus dunkler Wolle und Kaschmir hätte ebenso für den Eröffnungstanz einer Gala hergehalten und auch Sierra hätte in ihrem Kleid auf den roten Teppich gehört. Der kühle Satin schmiegte sich an die Rundungen der zarten Frau und ließ jede Fantasie wahr werden. In dem Steinblau des Stoffes spiegelten sich die Augen der Studentin und ließ diese sanft funkeln. Absichtlich strich Sierra mit ihren Fingern Rikuns sensible Haut an seiner Halsbeuge, ehe sie den Knoten zu richten begann und diesen enger schnürte als er zuvor war. Gerade genug, damit der Schwarzhaarige einen Druck auf seiner Kehle verspürte. “Also kannst du dir deine Sprüche sparen, denn ich muss dich leider mögen, um dich zu reiten.” Das Lächeln, das die Worte untermalte, lag genüsslich auf den Mundwinkeln der Blondine. Ihr Augenmerk lag einzig und allein auf dem tiefen Lila ihres Gegenübers und sog jedes Klopfen des Herzschlages wie eine Melodie auf, während das Blau ihrer Seelenspiegel in dunkleren Tönen erstrahlte. Sierra war eindeutig keine Frau, die Blickkontakt scheute. Als die Tür zur Bibliothek sich erneut öffnete, benötigte Sierra eine Handvoll Sekunden, bevor sie sich von Rikun abwendete. In dem Moment gefangen hatten ihre Ohren tatsächlich nichts anderes als sein pochendes Herz hören können, sodass sie Mirais nähernde Schritte nicht hatte kommen sehen.

      “Ähm?!?! Störe ich?” Gab die Schwarzhaarige, die das Spektakel zwischen den beiden beobachtete, deutlich verwirrt von sich.
      “Nicht im Geringsten." Warf Sierra ihr mit einer engelsgleichen Stimme entgegen und löste sich vollends aus dem Kreis und ging auf ihre beste Freundin zu. Ohne ein letztes Mal zurück zu schauen, ließ sie den Mann in der Bibliothek alleine stehen.

      “Was zur Hölle Sierra!” Schrie Mirai im Flüsterton aus. Ein witziger Anblick, da jede Alarmglocke in ihr zu läuten begann, jedoch konnte der Sonnenschein es nicht zum Ausdruck bringen, zumindest nicht hier - nicht jetzt, mit all den Leuten. “Lass gut sein Mirai.” knurrte die Blondine genervt, da sie sich durchaus bewusst war, was vor wenigen Sekunden vorgegangen war und Mirai nichts davon entgangen war. “Lass gut sein? Lass gut sein!” begann sie bei der Wiederholung ihre Stimme zu erheben. Ohne Vorwarnung zog sie die Kleinen in die nächste Tür, die der Flur für sie bereit hielt. In dem Arbeitszimmer ihres Vaters gestrandet, brannte die Wut in den sonst so lieblichen Zügen der Blondine.
      “Mach keine Szene!”
      “Wie soll ich bitte keine Szene machen! Du hast ihn angesehen wie...als würdest du… Sierra verdammt schau in den Spiegel deine Augen sind mittlerweile pech schwarz!” Die besorgten und geflüsterten Argumente Mirais blieben unkommentiert. Stattdessen stolzierte die Gastgeberin zum hölzernen Globus, in dem sich eine Bar versteckte, der Ort, an dem ihr Vater den feinsten Scotch lagerte, und schenkte sich ein großes Glas ein, das sofort geleert wurde. “Nimm lieber gleich noch ein Glas!” patzte Mirai ihre beste Freundin an, woraufhin die Flasche erneut geöffnet und zum Entleeren geneigt wurde. Jeder Vampir wusste, dass Alkohol die Blutlust stillte, ein ungeschriebenes Gesetz, dem die Mehrheit nachkam, vorausgesetzt man wollte den Durst unterbinden. “Mir ist bewusst, dass du ihn nicht leiden kannst, aber das?! Was hat er bitte gesagt, um dich so aus der Fassung zu bringen?” “Nichts, es ist nicht das, wonach es aussieht.”
      “Oh wirklich für mich sah das nämlich danach aus, als würdest du jeden Moment deine wahre Form zeigen und ihn in Stücke reißen!”
      “Wie kann ich dir helfen?” Sie wechselte galant das Thema und zog kurz eine angestrengte Grimasse, nachdem das zweite Glas in Windeseile heruntergespült wurde. “Du bist in die Bibliothek gekommen, um mich zu holen. Wieso?” fuhr sie weiter fort, da Mirai gedanklich nicht mehr mitkam. Die Probleme, mit denen die Schwarzhaarige ihre beste Freundin gesucht hatte, schienen ihr plötzlich so klein und irrelevant. “Unwichtig…” wank sie schüchtern und mit erröteten Wangen ab, doch bevor die de la Rosa Tochter reagieren konnte, riss Jago die Tür weit auf. “Es gibt ein Problem.”

      Santiago de la Rosa war nie ein Mann vieler Worte oder Emotionen gewesen. Seine ruhige Ader und die wenig Einblicke schenkende Art ließ häufig viele Fragen offen und machte es schwer, den Blondschopf zu verstehen. Bei den Ladys verschaffte er sich damit ungewollt gute Karten, die er selten zu spielen wusste, aber alle anderen Vampire hassten sein kühles Auftreten. Einen Mann, den man nicht einschätzen konnte, konnte man nicht kontrollieren und das war so ziemlich das Problem. Jago war kein Vampir, den man in seinen Händen haben konnte - im Gegenteil, er war es, der die anderen wie Marionetten in seinen hielt. Leider bediente er sich seiner Kräfte nur in den äußersten Fällen, die reinste Verschwendung, wie seine Zwillingsschwester es betiteln würde. Das Schicksal wusste, welche Macht es welchem Zwilling überließ. Es wäre kaum auszumalen, welche Wendung das Leben der de la Rosas angenommen hätte, wäre die impulsive und temperamentvolle Tochter mit dieser Fähigkeit gesegnet worden. Ihr Bruder wusste damit besser umzugehen. Umso erschreckender war es, als der junge Mann mit seinem ellenlangen Haar in der Tür stand und von einem Problem berichtete. Gemeinsam begaben sich die Vampire an den Ort des Geschehens, während sich die Augen der beiden Damen weiteten, als sie feststellten, wohin ihr Weg sie führte. Die Kammer des Schreckens, wie Mirai sie witzelnd nannte, stand offen, doch die Krönung war ihr Kommilitone, der darin zu schlafen schien.

      Völlig am Ende ihrer Nerven sah Mirai müde zu dem Opfer und brachte lediglich ein klagenden "Kann dieser Tag eigentlich noch schlimmer werden?" hervor. Kopfschüttelnd verabschiedete Sierra den fragenden Blick ihres Bruders. Sie hatten nun wichtigeres als die Geschehnisse in der Bibliothek zu besprechen. "Was ist dein Plan?" stellte der jüngere Zwilling keine weiteren Fragen zu den vergangenen Taten. Ihr war bewusst, dass ihr Bruder nicht ohne einen Weitblick auf das große Ganze handelte und er seine Gründe gehabt hätte. "Ich habe ihn seiner Erinnerung beraubt. Er wird sich lediglich daran erinnern, zu viel getrunken zu haben." schweigend hielt Santiago den beiden Mädchen ein Smartphone hin.
      "Ich lösche die Bilder endgültig von seinem Handy und der Cloud." nickte die kleinere Vampirin und nahm es an sich.
      "Das wird nicht genügen. Ich will Zugriff auf sein Handy."
      "Wenn er doch noch Erinnerungen hat oder Nachforschungen anstellen sollte, müssen wir informiert sein." sprach Sierra die Erklärung aus, auf die Jago verzichtete.
      Da Mirai ein Technik-Genie war, stellte so eine Aufgabe keine Herausforderung für sie dar, wohl war ihr bei dem Gedanken jedoch nicht. Nickend wollten die zwei sich ans Werk machen, doch die tiefe Stimme des ältesten Vampires hallte noch immer in den Kellerräumen. "Sierra, du wirst ihn umgarnen."
      "Bitte was?!" Kam den Damen im Einklang über die Lippen.
      "So können wir ihn am ehesten im Auge behalten."
      "Du spinnst doch! Mal abgesehen davon, dass ich den Typen nicht leiden kann, sieht der mich nicht mal mit seinem Arsch an! Wie sollte ich ihn bitte überzeugen, mein Freund zu sein? Das wird ihn nur noch mehr Recherche betreiben lassen."
      "Er ist ein Mann, wenn du die richtigen Knöpfe drückst, wird er nicht mehr mit seinem Kopf, sondern mit anderen Körperteilen denken. Du sollst ihn nicht heiraten, sondern ihn bei Laune halten. Deine Traummanipulation wird den Grundstein legen und der Fakt, dass er seinen reichen Genossen übertreffen wollen wird, spielt uns auch in die Karten."
      Obwohl Sierra entsetzt schnaubte, gab sie keine Widerrede. Die Party ging auf ihre Kappe, sie war erneut zur Verantwortung gezogen und so lange sie keine bessere Lösung hervorbringen konnte, musste sie dem Rat ihres Bruders folgen.

      Nachdem Jago den Eindringling in einer der Betten im Obergeschoss getragen hatte, ließ er den Mann allein, damit seine Schwester den Rest übernehmen konnte. Rein und Raus, so schnell wie möglich. Das war das Ziel der jungen Studentin, die sich ihren Start ins Semester ganz anders vorgestellt hatte. Wer hätte ahnen können, dass eine neugierige Ratte ihr Unheil im Anwesen trieb und nun musste die Blondine ausgerechnet diesem Schleimbolzen süße Träume herbei flüstern, dass er bei jedem Wimpernschlag nur die anmutige Vampirin vor Augen hatte und sie zu seiner neuen Begierde werden würde.

      Unauffällig schlich sich de la Rosa aus dem Zimmer, schloss leise die Tür hinter sich und machte sich davon. Ein Spaziergang an der frischen Luft würde ihr vielleicht den Stress rauben und so verschlug es sie in die Tiefen des angrenzenden Waldes.
      A heart's a heavy burden.

    • Die leeren Worte die Sierras Mundwerk verließen, stießen keinerlei Anregung in dem von sich durch und durch selbst überzeugten Schikanen. Er wusste mit absoluter Gewissheit, dass er das Spiel bereits gewonnen hatte, als er sah, wie die Augen seines Gegenübers in ihm verharrten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die einladenden blutroten Lippen der Untoten, nach denen er sich so sehr sehnte, endlich mit seinen vereinigen würden. Die Lippen, die sich an dem Tag an dem er sie das erste Mal erblickte, in sein Gedächtnis eingebrannt und ihn in ihren tiefen Bann gezogen hatten. Es war für ihn vorherbestimmt, dass er sie eines Tages schmecken würde und er spürte, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie. Wenn auch für Gründe die er sich niemals ausmalen könnte.
      Der Moment war gekommen das Vorspiel, das von außen betrachtet wie ein Paarungstanz wirkte, mit dem finalen Akt in Form eines Kusses zu versiegeln. Sein Herz, welches in der gesamten Situation im langsamen Takt eines Hochleistungssportler schlug, fing nun vor Aufregung an zu beben und er konnte das Herz in seiner Brust hämmern spüren. Seine Hände zitterten leicht und seine Knie fühlten sich an, als ob sie jeden Moment nachgeben könnten. Die Aufregung hatte seinen Körper erfasst und er konnte nicht anders, als sich in die Augen des Gegenübers zu verlieren. Er konnte die Hitze in seinem Gesicht spüren, als er sich langsam vorbeugte und sich zu dem Kuss neigte. Sein Verstand sagte ihm, dass er langsam und vorsichtig sein sollte, aber sein Körper wollte nichts anderes als sich fallen zu lassen und sich in den Augenblick zu verlieren. In diesem Moment gab es nur noch sie beide und nichts anderes zählte mehr. Bereit ihre Lippen zu kosten, bemerkte der Junge plötzlich wie sich die Augen der Vampirin, die zuvor noch kristallblau leuchteten, dunkel verfärbten. Verwundert über den Farbwechsel musterte er kritisch im Wechsel ihre Iris und fragte sich für einen kurzen Augenblick, ob es an der Beleuchtung des Raumes lag. Doch der Wandel ihrer Augenfarben wirkte auf ihn eher wie ein aktiver Vorgang in denen die Eigenschaften ihrer Regenbogenhaut sich aufgrund einer Reaktion wandelten, als eine optische Illusionen. "Aber das ist unmöglich", dachte sich der Milliardär. Wohlmöglich spielte ihm sein Verstand einen Streich oder er hatte einmal zu viel ins Glas geschaut. Gerade als er sie zur Rede stellen wollte, öffnete sich die Tür der Bibliothek und ihre bessere Hälfte unterbrach das Schauspiel - das vermutlich das Ende des Jungen gewesen wäre.

      Rikun stand allein in der Bibliothek, seine Augen fixierten die Tür, durch die die Dame gerade gegangen war. Er war immer noch verwundert über die merkwürdige Veränderung der Augenfarbe seines Gegenübers. Seine Gedanken wanderten zu ihr, wie sie ihn mit ihrer kühlen Haltung und den dunklen Augen anstarrte. Er konnte nicht anders als sich zu fragen, was in ihrem Kopf vorging und was sie wirklich wollte. Doch je länger er darüber nachdachte, desto mehr gefiel ihm ihr kaltblütiges Verhalten. Es weckte in ihm eine Anziehung nach ihr, die er nicht kannte - er wollte sie jetzt mehr denn je. Der Schönling lächelte leicht, er wusste, dass dies ein interessantes Spiel werden würde.
      Amüsiert begann er, durch die Regale zu wandern und stöberte nach etwas, das seine Gedanken ablenken würde. Sein Blick fiel auf ein besonderes altes Buch, das auf einem der unteren Regale stand. Neugierig zog er es herunter und begann zu lesen. Das Buch war aus Rumänien und handelte von Mythen und Legenden über Wesen, die als Strigoi bezeichnet wurden. Der Dunkelhaarige war fasziniert von den Beschreibungen dieser Wesen, die in vielerlei Hinsicht den Vampiren ähnelten, die er aus Filmen und Büchern kannte. Er las von ihrer unersättlichen Gier nach Blut, ihren finsteren Augen und ihrer Unsterblichkeit, aber auch von ihren Schwächen und wie man sie bezwingen konnte. Rikun war normalerweise nicht der Typ, der sich für Fantasiebücher interessierte. Er war immer hin ein Mann der Fakten und der Realität gewesen, aber irgendetwas an dem Buch hatte ihn gefangen genommen und je mehr er las, desto mehr versank er in die Geschichte, die das Buch ihm offenbarte.
      Der junge Student war so vertieft in dem Buch, dass er jegliches Zeitgefühl verlor und erst durch eine Bewegung am Fenster, die er im Augenwinkel wahrnahm, aus seiner Lektüre gerissen wurde. Es handelte sich um eine Gestalt, die er dabei beobachtete wie sie in der Nacht in den Wald wanderte. Er konnte seine Augen kaum trauen, als er erkannte, dass es sich um Sierra handelte. Verwundert fragte der Schwarzkopf sich, warum sie ausgerechnet jetzt, mitten in der Nacht, alleine in den Wald ging. "Das ist kein typisches Verhalten für eine adlige Dame", vor allem nicht ohne jegliche Lichtquelle. Gespannt beobachtete Rikun, wie sich der Umriss der Vampirin mit dem des dunklen Waldes vereinte, in der Hoffnung, dass bald ein Licht aufleuchten würde. Als nach einiger Zeit immer noch kein Anzeichen von ihr zu erkennen war, beschloss er, ihr in den Wald zu folgen und herauszufinden, was vor sich ging. Entschlossen, legte er das Buch neben sich bei Seite und verließ das Anwesen.

      Der Milliardär bewegte sich vorsichtig durch den Wald, während sich seine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten. Er konnte kaum etwas erkennen und war darauf angewiesen, seine anderen Sinne zu nutzen, um die Blondine aufzuspüren. Doch je tiefer er in den Wald vordrang, desto verwirrender wurde das Labyrinth aus Bäumen und Schatten. Er lauschte angestrengt auf jedes Geräusch, jeden Laut, aber es schien, als ob die Natur in dieser Nacht erstarrt sei. Kein Vogelzwitschern, kein Rascheln im Unterholz, nur die eigene Atmung und das Klopfen des Herzens waren zu hören. Rikun wurde immer besorgter, als er sie nirgends finden konnte. Hatte sie sich wohlmöglich verlaufen? Oder war sie in Gefahr? Seine Fantasie spielte ihm Streiche und er begann, sich in der Dunkelheit vor den Gefahren des Waldes zu fürchten. Nun kamen ihm auch die düsteren Geschichten wieder in den Sinne über die er in der Bibliothek gelesen hatte. Kreaturen der Finsternis, die im Walde auf ihre verirrten Opfer warteten, um sich an ihrem süßen Lebenselixier zu ergötzen. "Bin ich das nächste Opfer?", grinsend schüttelte er sich den Kopf. "So ein Schwachsinn", er wusste, dass er sich nicht von solchen lächerlichen Legenden einschüchtern lassen sollte.

      __

      Bench genoss die Gesellschaft seiner Freunde und lachte fröhlich über ihre Scherze. Die Musik erfüllte die Luft und das Tanzen und Feiern gaben ihm das Gefühl von Freiheit. Trotzdem fragte er sich, wo die Liebe seines Lebens, geblieben war. Er hatte sie schon eine Weile nicht mehr gesehen und war besorgt. Nachdem er seinen Drink beendet hatte, beschloss er, sich einen Nachschub zu besorgen. Als er an der Bar ankam, bemerkte er Mirai neben ihm. Sie starrte verträumt in ihr Glas und schien in Gedanken versunken zu sein. Benjamin spürte eine Welle der Nervosität über sich hinwegfluten, als er so nah an ihr war. Ihr herrlicher Duft ließ sein Herz höher schlagen und jede Faser in seinem Körper anspannen. Ihre Schönheit, die er jetzt in unmittelbarer Nähe betrachten konnte, ließ seine Wangen erröten. Trotz seiner Nervosität war er besorgt um die dunkelhaarige und er wollte unbedingt wissen, ob es ihr gut ging. Er atmete tief ein und aus, um seine Nerven zu beruhigen und sammelte all seinen Mut zusammen, bevor er endlich den Mund aufmachte, um sie anzusprechen. "Hey.. Geht es dir gut?", fragte er mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam.

      __

      Der Glückspilz lag im Bett und genoss die behagliche Wärme unter seiner Decke. Die Augen geschlossen und ein Lächeln auf den Lippen, träumte er weiterhin von dem besten Traum seines Lebens.


      "Loneliness has followed me my whole life, everywhere." - Taxi Driver
    • Die Eskapaden des Abends hatten alle drei Vampire ausgelaugt und ließen den Start in ihr neues Leben komplizierter werden als erwartet. Niemand von ihnen hätte sich zu Beginn des Tages als Gastgeber der größten Party des Semesters gesehen, geschweige davon einen Menschen in der geheimen Kammer anzutreffen. Die blutrünstigen Monster, für die man viele ihrer Rasse hielt, verbargen sich schon lange nicht mehr hinter dem Namen de la Rosa. Vor einigen Jahrzehnten fanden sie klügere Wege, um ihren Bluthaushalt in Schuss zu halten, ohne eine Gefahr für die wandelnde Menschheit darzustellen. Neben der alternativen Ernährungsart, die hauptsächlich das rote Glück von Vögeln oder Wildtieren anbot, kam der medizinische Hintergrund der Familienmitglieder nicht von ungefähr. Ihr Vater Leonardo de la Rosa fand früh ein Standbein in der Arbeit als Arzt der unterschiedlichsten Bereiche, leitete wohltätige Blutspendenaktionen an und ließ immer mal wieder Blutkonserven mitgehen. Nichtsdestotrotz war die Verführung groß, besonders als die Kinder ebenfalls den Karrierepfad der Medizin beschritten. Schon früh nach seiner Verwandlung ließ sich Jago nicht länger von seinen Trieben leiten und hielt diese mit seiner bloßen Willenskraft im Zaun, Sierra hingegen war nicht so leicht zu zähmen. Ihr feuriges Temperament, das sie zu ihren menschlichen Zeiten bereits an den Tag legte, fand in dem Blutdurst ihren Höhepunkt. Das Mädchen schien über einen unstillbaren Durst zu verfügen, nicht in der Lage sich dem Rausch zu entziehen. Lange Zeit wusste der ältere Zwilling den Übermut seiner Schwester nicht einzuschätzen, grübelte sogar darüber, ob es tatsächlich der Durst war, der sie zu ihren Taten verlieh oder einfach die neu gewonnene Macht, die sie ausnutzen wollte. Mit jedem Tag der verstrich, jeder Woche, jedem Monat, an dem das Blut unschuldiger an ihren Händen klebte, wurde er sich seiner Meinung sicherer doch letztendlich fand auch das ungestüme Wesen der Frau auf den enthaltsamen Pfad der Familie und widerstand sogar den größten Verführungen. Als Chirurgin übte sich Sierra in Disziplinen aus, die an Absurdität nicht mehr zu übertreffen waren, während der Rest der de la Rosa die Fallhöhe so gering wie möglich hielt. Auch das deutete Jago als Bestätigung seiner Gedanken, umso überraschter war der junge Mann, als Mirai ihm verriet, was in der Bibliothek vor sich gegangen war. Es war nicht verkehrt, die unberechenbare Vampirin im Auge zu behalten.

      Die zwei verbliebenen gingen ihre Wege. Mirai, der wirklich der Sinn zum Feiern vergangen war, schleppte sich träge in die Menge. Alles, was sie sich von dem Abend erhofft hatte, schien in unglaublicher Ferne zu liegen. Stattdessen hatte sie Streit mit ihrer besten Freundin, durfte beinahe eine Stunde damit verbringen, das Smartphone eines Eindringlings zu hacken und stand nun völlig allein in einem Raum voller Leute da. Die Dunkelhaarige konzentrierte sich nicht länger darauf, die Geräusche mühevoll auseinanderzuhalten und versank in einem undeutlichen Rauschen. Erst die - wenn auch in dem Moment seltsam klingende - Stimmfarbe des Brünetten jungen Mannes, den sie heimlich ins Herz geschlossen hatte erklang, erwachte sie aus ihrer trüben Blase. “Benjamin!” stellte sie mit einem breiten Lächeln fest und fiel dem armen Jungen um den Hals. Der sanfte Duft seines frisch shampoonierten Haares vermengte sich mit dem leichten Moschus seines Schweißes. Am liebsten hätte sie die Note in einem Glas eingefangen, aber schon länger in der Umarmung zu verweilen dürfte einen fragwürdigen Eindruck hinterlassen. “Danke, das war alles, was ich brauchte. Jetzt geht es mir wieder besser.” löste sie sich aus der Haltung und sah direkt in das strahlende Gold seiner Augen. In der Gegenwart ihres Kommilitonen sprach sie keineswegs anders als sonst. Im Gegenteil, Mirai hatte das Talent, andere in einer Interaktion willkommen zu heißen. Man war bei der Frau immer gut aufgehoben, konnte mit ihr über Gott und die Welt reden und brauchte nie Sorge zu haben, ein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen. Bei ihr konnte man sich wohlfühlen, da sie in annähernd jedem Menschen einen Freund sah. “Gefällt dir das Haus der de la Rosa?” erkundigte sie sich über die Meinung ihres Gegenübers, verwickelte ihn ins Gespräch darüber, wie er den Abend verbracht hatte und ob er seine Zeit in dem Anwesen genoss, sodass Mirai endlich abschalten und die vergangenen Situationen für einen Moment vergessen konnte.

      Santiago verkroch sich währenddessen in der leeren Bibliothek. Die dicken Wände, die von schweren Echtholz-Regalen und den vielen Stapel gebundenen Papiers umschmückt waren, dämmten die laute Musik der Party ein wenig, sodass man sich gut zurückziehen konnte. Genau das was der Blondschopf nun brauchte, um klare Gedanken zu fassen. Viel Ruhe brachte ihm der von allen Vampiren des Hauses geliebte Raum leider nicht, da er bei dem Versuch sich auf einem der beiden Chesterfields zur Entspannung niederzulassen, ein einsames Buch erblickte. Ausgerechnet das Buch! Augenrollend schüttelte er seinen von Jugend gezeichneten Kopf. Das durfte alles nicht wahr sein. Ohne einen Zweifel zu hegen, wusste er bereits, wer der Leser dieser Lektüre war und der Geruch, der vom ledernen Einband verflog, bestätigte seinen Verdacht. Erst als er frustriert sein Haupt in den Nacken legte, erspähte er den Verdächtigen am Rande des Waldes nur wenige Sekunden, bevor seine Silhouette in der Dunkelheit verschwand. Was führte der Mann nur im Schilde?

      Eine kühle Brise heulte durch das stark bewaldete Grün und ließ die blonde Mähne der Vampirin in der Luft zwirbeln. Wäre sie noch immer ein Mensch gewesen, hätte sich bei der Kälte der Nacht sicherlich eine Gänsehaut auf ihren zarten Armen abgesetzt, so leicht bekleidet, wie sie in ihrem Kleid war. Daran eine Jacke drüber zu werfen, dachte sie im Eifer des Gefechts nicht. Alles was sie wollte, war aus diesem Haus zu entkommen. Weg von den wachsamen Augen ihrer Freundin und fort von den Befehlen ihres älteren Bruders. Sie war es leid, immer behandelt zu werden, als sei sie eine tickende Zeitbombe, aber diesmal war sich Sierra nicht mehr sicher, ob die anderen im Unrecht lagen. Die Vergangenheit der Blondine war von Dunkelheit geprägt, ihr Handeln nicht immer nobel gewesen, aber diese Zeiten lagen weit zurück. So dachte sie zumindest. Tief ein und ausatmend kam sie inmitten von Bäumen zum Stehen, schloss dabei die Augen und wandte ihren Kopf gen Himmel. Die Arme streckte sie zu den Seiten aus, als wolle sie die frische Luft, die ihr endlich Ablenkung von den vielen Gerüchen verschaffte, umarmen. Wenn sie ehrlich war, stieß ihr nur ein bestimmter Geruch sauer auf, den es zu vergessen galt, aber eben dieser schien es ihr besonders schwer machen zu wollen. Wie Rikun den Wald betrat, konnte Sierra deutlich riechen, obwohl viele Meter zwischen ihnen lagen. Zögernd, was sie als nächstes tun sollte, wandte sie sich seiner Richtung zu, in der Überlegung, ihm entgegenzukommen. Die zwei, allein, in der Dunkelheit, in einem verlassenen Wald… Kopfschüttelnd verabschiedete sie den Gedanken sogleich und ging in die entgegengesetzte Richtung, tiefer in das Unterholz hinein. Das Klopfen seines aufgeregten Herzens polterte ihr in den Ohren, wie ein ständiger Begleiter, der sie zum Umkehren auffordern wollte und als sie seine entlegene Stimme vernehmen konnte, hielt sie schließlich inne. Ihr vampirisches Gehör hatte jedes einzelne Wort verstanden. “Bin ich das nächste Opfer?” Wie festgefroren stand die Blondine da. Was hatte diese Frage zu bedeuten? Ahnte Rikun etwas? Hatte er sie so schnell enttarnt? Der Drang, sich ihm zu nähern, war nach der Aussage größer denn je zuvor, doch der darauf folgende Satz nahm ihr wieder den Wind aus den Segeln. Etwas erleichtert konnte sie aufatmen. Sie hätte nicht gewusst, was sie mit ihm angestellt hätte, wäre er ihrem Geheimnis auf die Spur gekommen.

      Mit jedem Schritt, den die junge Dame setzte, blieb ihr der Milliardär auf den Versen. Anfänglich hegte Sierra noch die Hoffnung, dass er seine Suche aufgeben würde und von dannen zog, danach sah es nur leider nicht aus. So versessen auf seine vermeintliche Rettungsaktion, wäre der Schwarzhaarige letzten Endes derjenige, der sich verirrt hätte und so beschloss de la Rosa umzukehren…

      “Auf dem Weg nach Hause die falsche Abzweigung gewählt?” fragte sie den Studenten, nachdem sie hinter ihm gegen einen Baum lehnend aufgetaucht war und dabei die Arme vor der Brust verschränkt hatte. “Geh Heim Sanchez, du hast hier nichts verloren.” Sie hielt absichtlich Abstand zu dem Dunkelhaarigen. Die Szenerie der Bibliothek sollte sich hier nicht noch ein erneutes Mal abspielen. Vor allem weil sich sein Geruch, getragen vom Wind, immer wieder um ihre Nase schmiegte und der Schutz der Dunkelheit einen dazu verleiten ließ, Dummheiten zu begehen.
      A heart's a heavy burden.

    • Der Laufbursche war überwältigt, als Mirai plötzlich auf ihn zustürmte und ihn umarmte. In seiner Brust pochte das Herz wild, während er sich von der überraschenden Situation ein wenig überfordert fühlte. Mit vorsichtiger Zärtlichkeit schlang er seine Arme um die schlanke Frau. Der betörende Duft, der von ihr ausströmte und ihre Wärme, die sie ausstrahlte, ließen ihn erbeben. Er konnte nicht anders, als sich von ihr gefangen nehmen zu lassen und in dem Augenblick alles um ihn herum zu vergessen. Bench hatte lange schon eine Schwäche für die dunkelhaarige Schönheit, aber er hatte es nie in Erwägung gezogen, dass sie ihn beim Namen kannte. Vielleicht war er zu voreilig mit dem Gedanken, dass sie ihn nicht mochte, da er immer das Gefühl hatte, dass sie Abstand zu ihm hielte, da er im engeren Kreis des wohlhabenden Milliardär war.
      Am liebsten hätte er sich für immer in der Umarmung vergraben, aber er wusste, dass jeder Moment, so kostbar er auch sein mag, irgendwann zu Ende gehen muss. Als sie sich schließlich voneinander lösten, spürte er eine leise Wehmut in seiner Brust aufkeimen, aber als er ihr strahlendes Lächeln sah, verflog diese schnell wieder und er fühlte sich erneut von Glück durchflutet. Ihre Augen strahlten wie Diamanten in der Sonne und verliehen ihr eine Aura der Schönheit und Freude. Sie war so atemberaubend, dass Benjamin vor Überraschung den Atem anhielt. Er war erstaunt über ihre Freundlichkeit und Unbeschwertheit, die sie ausstrahlte. Trotz seiner kurzen Begegnung mit ihr hatte sie ihm bereits erzählt, dass es ihr direkt besser ging. Benjamin fragte sich für einen flüchtigen Augenblick, ob ihre fröhliche Fassade nur eine Tarnung war und er einen Blick hinter ihre wahre Persönlichkeit werfen durfte, die nicht ständig durch eine rosarote Brille betrachtet wurde. Vielleicht war es auch einfach seine Anwesenheit, die ihr Herz höher schlagen ließ. Benjamin konnte seinen Gedanken kaum glauben. Wie oft hatte er schon fantasiert, dass sie etwas für ihn empfinden könnte, aber die Realität schien weit entfernt von seiner Vorstellung. Doch jetzt stand sie vor ihm mit einem Lächeln auf den Lippen und das war alles, was sich der Bursche jemals erträumen konnte. Anstatt sich in unrealistischen Überlegungen zu verlieren, beschloss er, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und jeden Moment mit ihr in vollen Zügen zu genießen.

      Nervös begann Benjamin, mit ihr zu reden und er war erstaunt, wie leicht ihm das Gespräch mit ihr fiel. Ihre offene und willkommene Art beruhigte ihn und er fühlte sich direkt sehr wohl bei ihr. Ihre Stimme war wie Balsam für seine Seele und er konnte nicht anders, als ihr aufmerksam zuzuhören, als sie ihn über seine Meinung zu dem Haus der de la Rosa befragte. Je mehr sie von sich erzählte, desto beeindruckter war er vor von ihr und er konnte nicht glauben, dass er in der Vergangenheit jemals Angst vor ihr gehabt hatte. Sie war so voller Leben und Energie, und es war unmöglich, nicht von ihr angezogen zu werden.
      "Die Party ist einfach unglaublich! Sierra und ihr Bruder haben wirklich harte Arbeit geleistet, um alles perfekt zu machen, und das Anwesen ist einfach der Wahnsinn!", erklärte Benjamin euphorisch. "Wie hast du Sierra und ihren Bruder eigentlich kennengelernt? Ich habe euch beide am ersten Tag in der Vorlesung zusammensitzen sehen und war überrascht, dass du solch einflussreiche Freunde hast", lächelte er neugierig. Die Zeit verflog, während Benjamin sich mit der charmanten Vampirin unterhielt und er fühlte sich so entspannt, dass er aufhörte, über seine Worte nachzudenken und einfach dem Gespräch folgte. "Du siehst einfach atemberaubend aus in deinem Kleid! Tatsächlich bin ich nur hier, um dich zu sehen", fügte er verlegen hinzu und errötete bei seinen eigenen Worten. Plötzlich verstummte Benjamin - er hatte seine Gedanken laut ausgesprochen, die eigentlich nur für sich bestimmt waren. Mit einem flauen Gefühl im Magen und einem Kloß im Hals murmelte Bench vor sich hin. "S-So-Sorry.. das war nicht meine Absicht.. Ist mir ..so ..rausgerutscht".

      _____

      Markes wachte keuchend auf, sein Herz hämmerte wild in seiner Brust. Eine unerklärliche Leidenschaft hatte von ihm Besitz ergriffen. Noch vor Kurzem war ihm Sierra, die Vampirin, vollkommen gleichgültig gewesen, doch nun konnte er nicht aufhören, an sie zu denken. Der Traum, den sie ihm mit ihren vampirischen Kräften gesandt hatte, hatte ihn vollständig verändert. Während er allein im Zimmer lag, lauschte er dem Tumult der Party im Stockwerk unter ihm. Dennoch verspürte er keine Freude an den Feierlichkeiten. Seine Gedanken kreisten einzig und allein um eine einzige Person: Sierra.
      Der Schwarzhaarige fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits konnte er nicht verstehen, warum er plötzlich so besessen von ihr war, andererseits war ihm diese Frage jetzt zweitrangig. Vor der Traummanipulation hatte er keinerlei Interesse an ihr gezeigt, aber jetzt war er von ihr wie verzaubert. Alles, was er wollte, war, sie wiederzusehen und ihre zarte Haut auf seiner zu spüren.
      Er stand auf und verließ das Zimmer, um sich auf die Suche nach seiner Geliebten zu machen. Er fragte jeden, den er traf, nach der Gastgeberin, aber niemand wusste, wo sie war. Schließlich wurde er von einem anderen Gast aufgeklärt, dass sie und ihr Bruder nicht auf der Party waren und dass niemand wusste, wo sie sich aufhielten. Enttäuscht und verwirrt, ging er hinaus in den Garten und setze sich auf eine der leerstehenden Banken, um seine Gefühle zu sortieren. Verträumt starrte er in den sternenklaren Himmel. Seine Gedanken schweiften ab und er begann sich zu fragen, ob das willkürliche Aufeinandertreffen vielleicht doch nur eine Einbildung war. Aber dann erinnerte er sich an das unglaubliche Gefühl von Sierras Nähe, an die Leidenschaft in ihren Augen und an die intensiven Gefühle, die er in dem Traum empfunden hatte. Es konnte keine Einbildung sein.
      Verzweifelt zuckte Markes nach seinem Handy, das in der Innentasche seines Sakos verstaut war. Mit zitternden Fingern tippte er eine Nachricht an den Schwarzkopf. In der Nachricht gab er vor, ein dunkles Geheimnis über die Familie entdeckt zu haben, und dass er dringend wissen müsse, wo sich die Hauptverdächtige aufhalte. In Wahrheit war es nur ein Vorwand, denn obwohl er vorgab, Informationen über die Familie zu haben, war ihm in Wirklichkeit jegliches Wissen darüber von dem gesegneten der beiden Zwillinge geraubt worden. Sein einziger wahrer Grund für die Nachricht an den Anführer war, den Aufenthaltsort der Blondine in Erfahrung zu bringen, der Frau, die plötzlich das Zentrum seiner Gedanken und Gefühle war, nachdem sie ihm einen Traum zeigte, der ihn unwiderruflich in ihren Bann gezogen hatte. Sehnsüchtig wartete er ungeduldig auf die Antwort seines Kollegen.

      _____

      Der Schatten des dunklen Waldes legte sich wie ein Mantel auf den jungen Mann, während er tiefer in dessen Dickicht vordrang. Die Kälte des Nachtwindes streifte seine Wangen, als er jeden Schritt sorgfältig plante, immer in der Hoffnung, die Vampirin zu finden. Der unebene Boden unter seinen Füßen war von zerbrochenen Zweigen und herabgefallenem Laub bedeckt, das bei jedem seiner Schritte knirschte und knackte. Diese Geräusche, zusammen mit dem Rauschen des Blattwerks, bildeten die einzigen Klänge, die seine Ohren erreichten. In dieser Dunkelheit und Stille fiel es ihm schwer, seinen Weg zu finden. Er stolperte beinah bei jeder Möglichkeit und musste sich gelegentlich mit seinen Fingerspitzen an Bäumen oder Sträuchern orientieren, um nicht vom Weg abzukommen.
      Langsam begann der Schwarzhaarige, seine Entscheidung, der Blondine in den Wald zu folgen, zu bereuen. Es war ein großes Risiko, allein in der Nacht hier zu sein, und er fragte sich, wie sie es schaffte, sich so sicher im Wald fortzubewegen, ohne die Hilfe einer Lichtquelle oder eines GPS-Geräts. Der Schönling fragte sich, wer bei klarem Verstand seine eigene Feierlichkeiten verlassen würde, um nachts alleine in den Wald zu marschieren - vorallem als junge Frau ohne jegliche Hilfsmittel? Das sie scheinbar nachts alleine im Wald sicher zurechtkam, machte ihn ein wenig stutzig. Rikun jedoch war nicht so selbstsicher unterwegs und fragte sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte, ihr in diesem Labyrinth aus Bäumen und Schatten zu folgen.

      Plötzlich erklang eine Stimme, die er nur allzu gut kannte, hinter ihm. Sanft und melodisch, aber dennoch schneidend in ihrer Schärfe. Obwohl er sich bei den Worten erschrocken zusammenzuckte, bewahrte er die Fassung und drehte sich langsam zu der unsichtbaren Sprecherin um. Im Dunkeln war es schwer, die undeutliche Gestalt zu erkennen, die gelehnt gegen einen Baum stand, aber er konnte das blonde Haar erkennen, das im Mondlicht schimmerte. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, dass er sie jemals hier im Wald antreffen würde, und dennoch konnte er nicht leugnen, dass er eine gewisse Befriedigung empfand, als er sie erblickte. Doch sein Verstand war von unzähligen Fragen überflutet, wie es möglich war, dass die Gastgeberin lautlos hinter ihm auftauchte und ihn in dieser Dunkelheit so mühelos erkennen konnte? Selbst er konnte seine eigenen Hände nur schwer vor Augen erkennen. Wenn er ehrlich zu sich selbst wäre, dann würde er zugeben, dass er in diesem Moment von ihr eingeschüchtert war. Die Art, wie sie mit solcher Selbstsicherheit und Leichtigkeit hier im finsteren Wald stand, war bewundernswert und gleichzeitig beängstigend. Es schien, als ob die Dunkelheit für sie keine Bedrohung darstellte, als ob sie jederzeit in der Lage war, jeder Gefahr zu begegnen, die ihr begegnen würde. Er fragte sich, welche Geheimnisse diese junge Frau verbarg und was sie hier in den tiefen Schatten des Waldes suchte. Es fühlte sich fast so an, als wäre sie ein Bewohner des Waldes.

      Er unterdrückte seine Gedanken und überspielte jegliche Zweifel, als wäre er unbeeindruckt von ihrer Gelassenheit in dieser finsteren Umgebung. Stattdessen ging er langsam auf die Vampirin zu und schüttelte ungläubig den Kopf. "Die Gastgeberin verlässt ihre eigene Party und spaziert nachts alleine in den Wald", sprach er spöttisch. "Wir wissen beide, dass du hier die Letzte bist, die hier sein sollte", fügte er mit Nachdruck hinzu, als wolle er sie damit einschüchtern. Der junge Student stand nun dicht vor ihr, leicht gebückt und mit einer Hand am Baum gestützt und er streichelte mit der anderen spielerischen ihre Schulter. Mit einem besorgten Tonfall flüsterte er in ihr Ohr: "Es ist nicht sicher für eine junge, hübsche Frau wie dich, hier alleine herumzulaufen. Du weißt nicht, was hier alles passieren kann.. Vorallem so leicht bekleidet". Er empfand Freude an der völligen Kontrolle, die er über sie ausübte, und der falschen Macht, die er in diesem Moment über sie besaß. Natürlich würde Rikun niemals auf den Gedanken kommen ihr Böse Absichten zu wünschen, aber er nutzte die Gelegenheit, um seine fälschlicherweise empfundene Überlegenheit zu demonstrieren und es lag in seiner Natur anderen Angst einzujagen. Der junge Mann betrachtete Herrschaft als etwas, das nicht mit Mitgefühl für seine Untertanen einherging. Dies war die Überzeugung des jungen Mannes, der sich selbst als den Vorherrschenden unter allen anderen Studenten an seiner hochgeschätzten Universität sah. "Du brauchst keine Angst vor mir zu haben", beruhigte er sie anschließend. "Ich habe dich aus dem Fenster der Bibliothek in den Wald spazieren sehen und fragte mich, was dich hierhergeführt hat. Willst du mir erklären was du hier verloren hast, eh?", fragte er sie mit einem harschen Ton.

      Sein geliebtes Machtspiel wurde durch die Vibration seines Handys unterbrochen. Gelassen zog er sein Handy aus der Hosentasche und öffnete genervt die Nachricht von Markes. Als er den Inhalt las, konnte er seine Freude kaum verbergen. Die Information, die er soeben erhalten hatte, war perfekt, um die junge Dame weiter einzuschüchtern und endgültig für sich zu gewinnen. Mit einem selbstsicheren Lächeln flüstere er erneut in ihr Ohr. "Weißt du, ich habe gerade eine interessante Nachricht erhalten. Es scheint, dass du ein dunkles Geheimnis hast, das du vor allen versteckst."


      "Loneliness has followed me my whole life, everywhere." - Taxi Driver
    • Die Kennenlerngeschichte der Martins und der de la Rosa lag schon mehrere Jahrzehnte zurück, was Mirai natürlich nicht Preis gab. Stattdessen zuckte sie sanft mit den schmalen Schultern und neigte den Kopf verlegen zur Seite. "Wir kennen uns schon seitdem wir denken können. Unsere Eltern waren bereits enge Freunde, sodass wir quasi schon zu einer Familie gehören." gab die Schwarzhaarige mit einem Lächeln bekannt und sah dabei verträumt in die Ferne. Eigentlich waren die Vampire genau das - eine Familie von Gleichgesinnten. Vor einiger Zeit, als sie noch in einem größeren Rudel agiert hatten, war Mirai nicht die einzige Martins gewesen, die an der Seite der einflussreichen Blondschöpfen stand. Zwar handelten es sich hierbei um keine Blutsverwandten, die sich den Namen mit ihr teilten, ihrer Beziehung leistete es dennoch keinen Abbruch. Im Vergleich zu herkömmlichen Blutlinien verfügten sie über den Luxus, sich ihre Mitglieder aussuchen zu können. Etwas, wovon manch menschliches Wesen nur zu Träumen vermochte. Man konnte jederzeit kommen und gehen, ein Teil des Rudels sein oder sich ein neues suchen, wenn man den Austritt friedlich und lebendig überstand… Mirai blieb freiwillig an der Seite der drei Blutsauger, stand ihnen in vielen Krisen bei und erlebte sogar den Verlust ihrer Mutter. Seite an Seite - durch dick und dünn. Unvorstellbar, was die Schwarzhaarige ohne ihre Verbündeten angefangen hätte. In vielen Belangen war sie zu gutmütig, zu sanft, um die notwendigen Schritte zu gehen. Gegen andere Artgenossen wäre sie ohne Unterstützung maßlos aufgeschmissen, was der zarten Frau nur allzu bewusst war. Oft genug hatten ihr die Zwillinge den Kopf aus der Schlinge gezogen, weil Mirai anderen unterlegen war. Was ihr im Umgang mit Menschen das Leben erleichterte, schien es ihr bei den vampirischen Artgenossen zu erschweren. Sierra und Santiago waren da definitiv besser aufgestellt, deswegen hielt sie sich im Hintergrund, ließ die beiden gerne im Rampenlicht stehen. So war es für alle Beteiligten einfacher. Würden die de la Rosa Vampire Aufmerksamkeit anderer erregen, würden ihre Gegner es zweimal hinterfragen, ob es den Kampf wert sei, Martins hingegen war ein gefundenes Fressen.

      Wie unerwartet Benjamin seine Komfortzone überwand und ein Kompliment über seine nervöse Zunge hervorbrachte, überraschte die Vampirin so sehr, dass ihre Wangen in einen sanften Rosa-Ton wechselten und ihr die Hitze ins Gesicht lief. Unendlich viele Männer hatten ihr in den hundert Jahren, die sie nun auf Erden weilte, schöne Worte zugedichtet, ihr hinterher gepfiffen oder mit gesenkter Sonnenbrille ihren Gang verfolgt, doch keine dieser Aufmerksamkeiten zeigten die Wirkung, die Benjamins Worte auslösten. Kopfschüttelnd verneinte sie die unsichere Entschuldigung des Braunhaarigen. “Es freut mich, dass dir der Anblick gefällt.” kam ihr schmunzelnd über die Mundwinkel, während sie mit ihrer Hüfte leicht von einer Seite zur anderen schwankte, damit der Herr einen Blick auf jeden Zentimeter erhaschen konnte. “Hab mich extra für dich herausgeputzt.” Ihr war es kaum noch möglich, die Freude über seine Bestätigung zu verbergen, sodass sie leichter Hand seine Finger ergriff, um seinen Arm in die Lüfte zu heben und eine kleine Drehung darunter vorzuführen. Am liebsten wäre sie für immer in diesem Moment verweilt. Wenn sie ihre Kräfte dafür eintauschen könnte, die Zeit stillstehen zu lassen, hätte sie den Deal sicherlich angenommen.

      _____________

      Bei den leisen Worten ihres Gegenübers kam der Blondine ein finsteres Lächeln über die Lippen. Es hatte sie schon immer amüsiert, wie hilflos Frauen in den Augen von Männern waren, wobei die Karten zwischen Rikun und Sierra genau umgekehrt waren. Nichts ahnend von dem Vorteil, den de la Rosa hatte, lehnte er sich mit einem schelmischen Lächeln zu ihr, berührte ihren Körper, als gehörte er ihm, als würde er sie ohne Mühe dominieren können. Wenn er nur wüsste, wie leicht es ihr gefallen wäre, seinen Arm, der langsam ihre Schulter streifte, mit einer galanten Drehung auf seinem Rücken zu fixieren, ihn auf die Knie zu zwingen und sich letztendlich an seiner Halsbeuge zu schaffen zu machen. Zugegeben, der Gedanke an das Szenario kam ihr für einen Moment in den Sinn und ließ ihren Puls höher schlagen. Sie konnte sein Blut riechen, auch wenn ihm kein einzelnes Haar gekrümmt wurde. Der Duft war verlockend süßlich, ganz anders als die von Moschus geladene Geruchsnote, die sein Körper in der Kombination mit seinem Eau de Parfum ausstrahlte. Wie schön es wäre, einen kleinen Schluck davon zu nehmen…

      Mit geweiteten Pupillen sah sie in die violetten Augen, die wie die eines Adlers auf ihr lagen. Den Übermut hätte sie ihm nur zu gerne genommen, doch statt einen großen Fehler zu begehen, schloss sie einige Zentimeter zwischen ihnen, sodass annähernd nur noch Millimeter sie trennten. Ihre zarten Finger legte sie auf die Brust des Mannes, um sein hämmerndes Herz nicht nur wie ein Trommelwirbel im Gehör zu haben, sondern es auch zu spüren. “Du brauchst auch keine Angst vor mir zu haben.” hauchte sie ihm entgegen, während ihre Seelenspiegel so dunkel wie die Nacht im Sternenlicht funkelten. Gerade als die Blondine einen Blick auf Rikuns Halsschlagader warf und der Überlegung, sich auf diese zu stürzen, verfiel, wich der Dunkelhaarige zurück, um sein Smartphone zu zücken. Plötzlich sprach er von einem Geheimnis, irgendwelchen interessanten Nachrichten, denen die Vampirin kaum Glauben schenkte. “Nur eins? Welches von den vielen meinst du denn?” hinterfragte sie schmunzelnd und lehnte sich gelassen an den Baum hinter sich. Es brauchte mehr als leere Drohungen, um Sierra zu verunsichern. Hätte er tatsächlich etwas entdeckt, würde er die Entscheidung, ihr in den dunklen Wald gefolgt zu sein, ein Ort an dem ihn keiner vermuten oder suchen würde, bitterlich bereuen.

      Ohne nett danach zu fragen oder gar die Erlaubnis des Jüngeren zu erbitten, nahm die Blasshäutige das Handy an sich, um zu überprüfen, wovon Rikun sprach. Sofort fiel ihre Aufmerksamkeit auf den Namen des Absenders und ließ eine ihrer Augenbrauen neugierig in die Höhe schießen. Waren ihre Kräfte nicht ihrem gewohnten Charme nachgekommen oder hatte Santiagos Gehirnwäsche fehlgeschlagen? Unmöglich! Noch nie zuvor hatte auch nur einer von ihnen in ihren Künsten versagt, geschweige dessen, dass beiden gleichzeitig ein Fehler unterlief. Kopfschüttelnd legte sie das Ding wieder in die Hände des Besitzers, um gleich darauf auf ihren High Heels den Catwalk durch den Wald entlang zu stolzieren. Kein Stock und kein Stein erschütterte ihren Weg und wild um sich blicken musste die Blondine auch nicht, um zu wissen, wohin sie gehen musste. Den Geruch von Markes hatte sie seit ihrer kleinen Bescherung in der Nase gespeichert. Dass Rikun ihr folgen würde, stellte sie gar nicht erst in Frage, erhielt jedoch durch seine präsente Duftnote die Bestätigung darüber, dass er dicht hinter ihr im Dunkeln irrte. Auf dem asphaltierten Weg angelangt, blickte Sierra das erste Mal über ihre Schulter zu ihrem Begleiter und wies ihm nickend den Weg. "Vorhin hatte ich ihn im Garten gesehen." rechtfertigte sie ihren entschlossenen Gang gegenüber dem Unwissenden, ehe sie schnurstracks auf den anderen Milliardären zuging. Wie erwartet fanden die beiden ihn auf einer Bank sitzend vor. "Markes." Kam ihr sein Name wie Honig über die Lippen. Absichtlich betonte sie ihn melodisch, als würde sie ihren Geliebten an die süßen Träume erinnern wollen. "Welchen Einfallsreichtum legst du nun an den Tag?" blieb sie direkt vor dem Mann stehen, der sich bei Sichtung der beiden von seinem Platz erhoben hatte. Ihre Hände wanderten auf seine Schultern und wuschen imaginären Staub von seinem Jackett. Aus dem Augenwinkel verfolgte sie Rikuns Reaktion auf die plötzlich innige Nähe, die Sierra dem Schwarzhaarigen sonst nicht an den Tag legte. Mit einem Schritt nach hinten hatte die Vampirin eine gute Position, aus der sie zwischen den beiden hin und her schauen konnte, ließ ihr Augenmerk aber keine Sekunde von dem Mann vor ihr ab, für den Fall, ihre Kräfte erneut zum Einsatz bringen zu müssen. Mal sehen, wie viele Erinnerungen er noch in seinem Bewusstsein hegte.
      A heart's a heavy burden.

    • Der Glückspilz fühlte sich, als ob sein Herz jeden Moment aus seiner Brust springen würde, als er die Worte aussprach, die er schon so lange in seinem Herzen trug. Es war ein Augenblick voller Überwindung für ihn, aber als er sah, wie die Farbe in die Wangen der Vampirin stieg und ihr ein leichtes Lächeln über die Lippen glitt, wusste er, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.
      Er konnte kaum glauben, dass seine simple Bemerkung solch eine Wirkung auf sie hatte. Er hatte immer geglaubt, dass er nicht besonders auffällig oder anziehend war, aber ihre Reaktion bewies ihm das Gegenteil. Er fühlte sich geschmeichelt und mehr als nur ein bisschen verlegen, als sie ihm mitteilte, dass es ihr Freude bereitete, dass ihm ihr Anblick gefiel.

      Der junge Student war kein Mann, dessen Leben einfach verlaufen war. Schon in seiner Kindheit hatte er viele Herausforderungen zu meistern gehabt. Als jüngster von fünf Geschwistern wuchs er in bescheidenen Verhältnissen auf und musste oft auf die Dinge verzichten, die andere Kinder für selbstverständlich hielten. Obwohl er von seinen Eltern geliebt wurde, fehlte es ihm oft an Aufmerksamkeit und Zuwendung, da sie bereits mit vielen Problemen und Verantwortungen belastet waren.
      In der Schule hatte er es nicht leicht. Als stiller und in sich gekehrter Junge, fiel er nicht besonders auf und wurde oft übersehen oder ausgelacht. Seine Jobs waren nie besonders lukrativ und er musste hart arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen und seine Eltern zu unterstützen. Seine Vergangenheit hatte tiefe Spuren hinterlassen und es gab Tage, an denen er sich nicht besonders wertvoll fühlte. Doch er war stets zufrieden mit dem, was er hatte und arbeitete immer hart, um eines Tages ein besseres Leben zu führen. Die Lektionen lehrten ihm jedoch, dass er sich nicht aufgeben durfte und dass das Leben manchmal Überraschungen bereithält. Wie der Moment, als die Worte der Vampirin seine Ohren erreichten. Die Tatsache, dass sie sich extra für ihn so herausgeputzt hatte, schien ihn vollkommen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Für einen kurzen Augenblick vergaß der schüchterne Student autonom zu atmen und und verschluckte sich beinah an seiner eigenen Atemluft. Sein bereits pochendes Herz begann heftiger zu schlagen und ein Gefühl der Unsicherheit überkam ihn. Die Vorstellung, dass diese betörend schöne Frau sich nur für ihn so aufpoliert hatte, war atemberaubend und beängstigend zugleich. Doch als er in ihre Augen blickte, sah er dort nichts als warmes Lächeln und Freude. Es war, als würde sie ihm damit sagen wollen, dass er keine Angst haben müsste, dass er genau richtig war so wie er war.

      Er konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden, als sie seine Hand ergriff und sie in die Luft hob, um eine kleine Drehung darunter vorzuführen. Es war, als ob die Zeit still stand und nur sie beide in dem Moment existierten. Ihre Schönheit, ihr Anmut und ihr Lächeln fesselten ihn, und er konnte sich nicht vorstellen, jemals von ihr wegzusehen.
      Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander, als er versuchte, seine Gefühle zu ordnen. Es war, als ob er einen Blick hinter die Maske des normalen Lebens erhaschte und etwas wahrhaft Magisches entdeckte. Seine Sinne waren überwältigt von ihr, und er konnte nicht anders, als sie einfach nur anzustarren. Besonders ihre Lippen waren im Fokus des jungen Mannes, die er sehnsüchtig schmecken wollte. Er hatte schon lange nicht mehr solche Gefühle für jemanden empfunden, aber die Vorstellung, ihr so nahe zu kommen, war ihm beinahe unerträglich. Andererseits wollte er den Moment nicht einfach verstreichen lassen, ohne zu handeln. Er dachte an all die Male, als er sich nicht getraut hatte, seine Träume zu verfolgen, aus Angst vor dem Scheitern. Und auch jetzt war er sich nicht sicher, ob er bereit war für ein solches Wagnis. Er erinnerte sich daran, wie glücklich er war, einfach nur mit ihr zu reden und bei ihr zu sein. Es war ihm schon viel wert, dass sie ihm ihre Zeit schenkte. So beschloss Benjamin, dass er in diesem Moment zufrieden sein würde, wenn er einfach in ihrer Gegenwart war und sie genießen konnte. Vielleicht würde er irgendwann den Mut aufbringen, ihr seine Gefühle zu offenbaren. Bis dahin konnte er sich glücklich schätzen, diesen besonderen Moment mit ihr zu teilen.

      ____

      Die Selbstsicherheit der Blondine verunsicherte ihn. Normalerweise würden reiche Göre, wie sie es eine war, in ihrer Situation sofort zusammenbrechen, wenn sie von einem Mann in einem dunklen Wald bedrängt werden. Doch stattdessen schien sie in ihrer Rolle zu glänzen und Gefallen an seiner Bedrängnis zu finden, fast so, als würde sie ihm das Heft aus der Hand nehmen. Es wirkte wie, als sei sie sich ihrer Macht bewusst und würde ihn gnädig behandeln. Ein Schauer lief über seinen Rücken, als er einer Frau gegenüberstand, die keine Angst hatte, allein mit einem beinah fremden Mann im dunklen Wald zu sein, und trotz seiner Bemühungen, sie einzuschüchtern, so selbstbewusst wirkte. Was für ein dunkles Geheimnis mochte eine solche Person haben, dass sie an solche Situationen gewöhnt war und sogar Gefallen daran fand? Außerdem kratzte es auch an seinem Ego, dass er nicht die Genugtuung erlangte, die er sich von der Situation erhofft hatte.

      Hätte er vielleicht ein paar Schritte weitergehen müssen, um ihr fragiles Selbstbild zu erschüttern? Nein, er schüttelte den Kopf bei dem Gedanken, der ihm kurz in den Sinn gekommen war. Jemanden ein bisschen Angst einzujagen, um sich mächtiger zu fühlen, war eine Sache, aber diese Bedrohung in die Tat umzusetzen, war etwas völlig anderes. Eine schändliche Tat, mit der er nie etwas zu tun haben wollte, und die Menschen, die solche Situationen in die Realität umsetzten, waren in seinen Augen Feiglinge mit denen er sich niemals identifizieren würde.

      Verwirrt von ihrer unerschrockenen Haltung, die es ihr ermöglichte, seine Drohungen zu ignorieren und ungefragt sein Handy an sich zu nehmen, befand er sich in einer schwierigen Lage. Er war es gewohnt, in jeder Situation die Kontrolle zu haben und es fiel ihm normalerweise leicht, seine Gegner einzuschüchtern und die Reaktionen zu erzielen, die er sich wünschte. Doch die Blondine schien sich durch nichts aus der Fassung zu bringen. Nun war sie auch noch dabei, ihm die Führung zu entziehen und sich aus dem dunklen Wald zu entfernen. Obwohl es ihm in diesem Moment unangenehm war, ihr zu folgen, hatte er keine andere Wahl, da er ohne sie keine Chance hatte, aus dem Wald in dieser finsteren Nacht zu finden. Wie konnte sie es wagen, so leicht im Dunkeln aus dem Wald zu gelangen? Niemand sollte in der Lage sein, ohne Schwierigkeiten im Dunkeln voranzuschreiten. Immer mehr Fragen überfielen ihn bezüglich der Identität dieser Blondine, die offenbar über übermenschliche Sinnen verfügte, die keine Person haben sollte.

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      Jede Minute, die ohne sie verging, brachte ihm unerträglichen Schmerz und Trauer. Er war sicher, dass sein Vorwand funktionieren würde, und fragte sich, warum Rikun noch nicht geantwortet hatte. Zu seiner Überraschung hörte er jedoch die wunderschöne Stimme seiner Geliebten, die seinen Puls beschleunigte. Sehnsüchtig wartete er wie ein Junkie auf seine Substanz, in Form von de la Rosa. Doch seine Freude verstummte, als er die Person sah, die neben ihr stand. Die Person, die er aus Verzweiflung belogen hatte, um sein unauslöschliches Verlangen nach ihr zu befriedigen. Als die bildschöne Vampirin jedoch dem zweiten Schwarzkopf die Nähe und Zuwendung gab, die er sich sehnsüchtig gewünscht hatte, schien das Dilemma, in dem er sich befand, plötzlich so unbedeutend.
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      Die Nacht brachte unaufhörlich neue Überraschungen, als der Anführer eine unerwartete Entdeckung machte: Sein engster Kollege stand in nächster Nähe mit der Dame, die er bereits mehrmals vergeblich versuchte an sich zu reißen. Seine Welt schien in diesem Moment ins Wanken zu geraten, denn es schien, als hätte er mehrere Kapitel verpasst. Wann waren sich die beiden so nah gekommen und seit wann tanzte der Handlanger aus der Reihe? In all den Jahren ihrer gemeinsamen Studienzeit hatte Markes sich nicht einmal getraut, sich ihm nur einmal zu widersetzen. Hatte der Schabarnag seine Loyalität nur vorgetäuscht und auf den richtigen Moment gewartet, um seine Vorteile zu realisieren, oder setzten hier mächtigere Kräfte die Umlaufbahn aus dem Gleichgewicht?
      "Was soll das hier werden?", fragte er, als er das Geschehen vor seinen Augen beobachtete. Markes versuchte sich zu rechtfertigen und erklärte, dass er Sierra von ganzem Herzen liebte und nur getan hatte, was von ihm verlangt worden war. Doch der Anführer ließ sich nicht besänftigen und packte Markes wütend beim Kragen. "Wie kannst du es wagen, dich hinter meinem Rücken gegen mich zu stellen und mich sogar mit deinem billigen Text anzulügen?"
      Der Zorn in seiner Stimme war unverkennbar, als er Markes anschrie. Es war offensichtlich, dass er tief verletzt war von den Ereignissen und dem Verrat seines engen Freundes.
      Ohne Vorwarnung schlug er Markes an der Nase mit einem gezielten Schlag und verursachte eine starke Blutung. Kurzzeitig überwältigt von der Situation und der Tatsache, dass der Anführer ihm eine verpasst hatte, reagierte auch der Zweite reiche Knabe mit der selben Geste und schlug Rikun ins Gesicht. Die Situation eskalierte in eine handgreifliche Auseinandersetzung, bei der beide Parteien Verletzungen davontrugen. Der eifersüchtige Student schien die Kontrolle über den Kampf zu gewinnen und saß auf dem am Boden liegenden Verlierer, während er ihm die Atemwege mit beiden Händen blockierte. Einige Momente verstrichen und dennoch hörte Rikun nicht damit auf, seinen Kollegen zu würgen, und war fest entschlossen, ihn vor Rache die Lichter auszuknipsen.


      "Loneliness has followed me my whole life, everywhere." - Taxi Driver
    • In ihrer Trance hatte Mirai nur Augen für den braunhaarigen Schönling vor sich. Er war so zart und bescheiden wie die wenigsten Männer und schien nicht mal zu realisieren, wie sympathisch ihn das machte. Von reichen Schnöseln hatte sie genug und verfügte selbst über ausreichende Mittel, um beherzt auf die ihres Gegenüber verzichten zu können. Bei der Wahl ihres Partners spielte es also keine Rolle, ob er reich, mittelständisch oder arm war. Alles was zählte war der Charakter und somit das Innere einer Person. Die Scheine kamen und gingen, Geld verdienen konnte man sein ganzes Leben lang, eine eklige Persönlichkeit ließ sich dahinter nicht verstecken. Nur zu traurig, dass den meisten Milliardären diese Einsicht fehlte. Nach der galanten Drehung landete die Schwarzhaarige nah am Körper von Benjamin und fing ihren Schwung sanft an ihm ab. Mit den Händen um seinen Nacken geschlungen, schenkte sie ihm breite Freude, die er in Form eines Kitzeln in der Magengegend zu spüren bekam. Ihre Kräfte hatte sie kaum unter Kontrolle, so fixiert, wie sie auf seine goldenen Augen war. Nur das Platinblond, das Mirai im Augenwinkel wahrnahm, brachte sie zurück auf den Boden der Tatsachen. "Oh nein!" flüsterte sie gedanklich abwesend, als sie bemerkte, mit welcher Eile Jago an ihr und allen anderen Gästen vorbei huschte. Die Szene, die sich im Garten abspielte, war in der Ecke eines der vielen Fenster zu erahnen, sodass die Augen Mirais sich in Unglauben weiteten. Das konnte nicht wahr sein.

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      Jago war der erste, der auf der Bildfläche erschien, um den Streit der zankenden Männer zu beenden. Normalerweise würde er sich in solchen Belangen kaum einmischen, doch Sierras Anwesenheit in dem Konflikt erforderte schnelles Handeln. Wie angewurzelt stand seine Schwester da, ihr innerer Kampf war ihr deutlich anzusehen, während ihre Hände zu Fäusten geballt waren. Nur im Wissen, dass Mirai ihm folgte, konnte er sich von ihr abwenden und stattdessen den stärkeren der beiden Raufbolde von dem anderen reißen. Normalerweise hätte Santiago einen ruhigeren Ansatz gewählt und es mit Worten versucht, geschaut ob Rikun ansprechbar war, aber der Milliardär schien es ziemlich ernst zu meinen. Er ging lieber auf Nummer Sicher und trennte die beiden eigenhändig. Zwischen ihnen, Markes den Rücken gekehrt, blickte er direkt in die violetten Augen, die von den geweiteten Pupillen dunkler erschienen als sonst. Kopfschüttelnd wies er auf sein Fehlverhalten hin. Das viele Blut, das an beiden Männern klebte, tangierte ihn nicht sonderlich. Natürlich kribbelte es auch dem Größeren Vampir in den Fingerspitzen, genügte aber nicht, um unkontrollierbaren Durst in ihm auszulösen. Hoffentlich würde Sanchez zur Vernunft kommen und keinen weiteren Ärgernisse erregen.

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      Gerade als die Blondine ihre Arme um die starken Schultern Rikuns legen wollte, der seine Arme an den Kragen seines Freundes geworfen hatte, schien die Situation aus den Fugen zu geraten. Am liebsten hätte sie den jungen Mann besänftigt, indem sie ihm leise, mit gespitzten Lippen ins Ohr flüsterte. Sierra hätte ihm erläutert, dass es keinen Grund zur Eifersucht gab und sie sich nicht wie die Tiere benehmen mussten, aber so weit kam die Vampirin gar nicht. Noch bevor davon irgendetwas geschehen konnte, lag auch schon der eiserne Duft von Blut in der Luft und ließ sie kurz innehalten. Markes roch leicht bitter im Vergleich zur süßlichen Note seines Anführers. Ihr eigenes Blut brachte es jedoch nicht in Wallung. Erst als die Schläge erwidert wurden und das Blutbad seinen Anfang nahm, war Sierra unfähig sich zu regen. Jede Faser ihres Körpers reagierte erneut auf den Geruch des Schwarzhaarigen. Sein vor Adrenalin rasendes Herz hallte in ihrem Gehörgang, als würde es versuchen sie zu hypnotisieren. Die Hände zu Fäusten geballt und den Kopf in den Nacken gelegt, atmete sie tief ein und sog damit jeden Duft-Partikel in ihr Geruchssystem - großer Fehler. Unweigerlich verfärben sich ihre hellen Seelenspiegel, während Adern der Anstrengung sich an den Lidern sammelten. Schon einen Schritt auf Rikun zu machend, war das Gewicht von Mirai, gegen das sie gelaufen war, statt sich auf den Mann zu stürzen. "Sia, sieh mich an. Ich bin hier ok?" drangen die beruhigenden Worte kaum zu ihr durch. Auch das ruhige Hin und Her der Meereswellen, das ihr zuteil wurde, brachte kaum Ablenkung von dem brennenden Verlangen, das in ihr heranwuchs. Mit einer beängstigenden Leichtigkeit schob Sierra ihre Freundin beiseite und ging in einem auffällig schnellen Tempo auf ihr Objekt der Begierde zu, das gerade von ihrem Bruder auf beide Beine gestellt wurde. Wie eine Klette heftete sie sich von hinten an Rikun heran und ließ ihre Nasenspitze auf die kleine kahle Stelle hinter seinem Ohr stoßen. Die Arme steckte sie unter seinen Achselhöhlen durch und parkte die Fingerspitzen auf der Brust des Studenten. Ihre Lippen lagen direkt unter seinem markanten Kieferknochen, jederzeit bereit, eine Kostprobe zu nehmen, doch der schweigsame Blick ihres Bruders hinderte sie daran. "Du solltest gehen." befahl er ihr mehr als es zu empfehlen, doch die Blondine schloss einfach ihre Augen, um einen weiteren Atemzug vom süßlichen Duft zu nehmen. Rikun wäre es schwer gefallen, sich Santiago vorzunehmen oder sich gar aus dem Griff der Vampirin zu befreien, da sie im Rausch kaum ihre Kräfte zu bändigen wusste und den Widerstand, den der Schwarzhaarige spüren konnte stärker als der von durchschnittlichen Frauen war. Sanft platzierte sie einen flüchtigen Kuss auf die prickelnde Haut des Größeren. Den Puls seiner Halsschlagader konnte sie auf der empfindlichen Haut ihres Mundes spüren und stand kurz davor, ihm endgültig zu verfallen.

      "Komm schon, es ist besser, wir gehen." Wieder war es Mirais liebliche Stimmfarbe, die in ihrem ruhigen Ton erklang und kläglich versuchte, Sierra zu Vernunft zu bringen. Zu ihrer Überraschung war es diesmal einfacher, die Bewegungen der Blondine zu leiten, sodass sie ihre Freundin tatsächlich von den Milliardären lösen und in die Ferne begleiten konnte. So viel Abstand wie möglich zwischen der Vampirin und dem Blutbad zu bringen, schien ihr nicht verkehrt zu sein.
      A heart's a heavy burden.

    • Die Spannung im "Raum" stieg mit jeder Sekunde, während er seinen einst besten Freund zu ersticken drohte. Die Eifersucht hatte seinen Verstand verdunkelt und sein Handeln war geprägt von unkontrollierter Wut. Es schien, als ob er nicht bereit war, sein Opfer freizugeben, selbst wenn dies bedeutete, dass dessen letzter Atemzug bereits getan war. Der Griff um die Kehle des unschuldigen Kollegen wurde immer fester, als würde er von einer unsichtbaren Macht angetrieben. Doch die Realität war, dass sein bester Freund unter einem Zauber stand und keine Kontrolle über seine Handlungen hatte. Es war eine tragische Szene, die zeigte, wie leicht Hass und Eifersucht die Menschen verderben konnte. Es war ein seltsames Gefühl für den wutentbrannten jungen Mannes eine andere Person zu Tode zu würgen. Etwas so ungeheuerliches mit etwas so einfachem zu tun. Er musste gestehen, die ersten zehn Sekunden waren unangenehm, ein Gefühl der Schwebe, aber dann spannten sich seine Muskeln an, und das Opfer wehrte sich und kämpfte, aber das Verschwand fast im Hintergrund zusammen mit allem anderen auf der Welt. In diesem Moment gab es nur ihn und die absolute Macht, sonst nichts - ein Gefühl, dass ihn befriedigte.
      Zum Glück war auf der Feierlichkeit jemand wachsam und mutig genug, um den verhängnisvollen Fehler des Schwarzkopfs im Keim zu ersticken, bevor es zu spät war. Obwohl die Absicht, die beiden voneinander zu trennen, eine ganz andere war, handelte der Streitschlichter mit der besorgten Fürsorglichkeit eines Elternteils, als er den Streitschlichter auf die Beine stellte. Entmachtet und verwundert musterte der Übeltäter Rikun, der ihn aus seinem tranceähnlichen Zustand befreite

      Anstatt dankbar zu sein für die Person, die ihn vor einem großen Fehler bewahrt hatte, verwandelte sich der überraschte Gesichtsausdruck des Schwarzkopfs in eine wütende Fratze. "Wer bist du, dass du es wagst, dich einzumischen!", brüllte er, bereit, sich auf den blonden Streitschlichter zu stürzen. Doch bevor er auch nur einen Schritt machen konnte, traf ihn ein Schlag am Rücken mit einer Kraft, die mit einem mehrtonnigen Schwertransporter vergleichbar war, und mit der Geschwindigkeit eines Düsenjets, das die Schallmauer durchbrach. Wäre es nicht für die plötzliche Kraft gewesen, die gleichzeitig seinen Körper fixierte wie einen Anker am Meeresgrund, hätte er mit Gewissheit einen unangenehmen Aufprall auf die Wand des Anwesens erlitten. Ohne das rauschhafte Adrenalin, das durch seine Adern strömte und seine Nerven lähmte, wäre der Zusammenstoß mit der Vampirin an seinem Rücken mit Sicherheit auch viel schmerzvoller verlaufen. Es dauerte dem Schwarzkopf einige Augenblicke, bis er begriff, dass die Blondine, die Ursache des Konflikts war, hinter dem gewaltigen Kraftstoß stand und sich jetzt an ihm festklammerte. Der Druck, den sie mit ihren Händen auf seiner Brust ausübte, war so enorm, dass er Schwierigkeiten hatte, seine gewohnte Atmung beizubehalten. Verzweifelt wehrte er sich gegen den unerbittlichen Griff, wie ein Gepard, das von einer mächtigen Felsenpython umklammert und in ihren Todesschlund gezogen wurde. Verzweifelt versuchte er, einen Blick auf die Blondine zu erhaschen, die ihr Gesicht in seinen Hals vergrub und ihre gesamte Aufmerksamkeit seinem Hals widmete. Verwirrt verstand er nicht, warum die Dame jetzt so besessen von ihm war und woher sie diese unglaubliche Kraft aus diesen dünnen Gliedmaßen bezog. Woge des Unbehagens überflutete ihn, als ihm bewusst wurde, dass er vollkommen in der Gewalt der jungen Blondine war. War dies die neue Rangordnung, in der er sich jetzt befand? Überlegen seinem engen Freund, der sich immer noch von einer beinahe tödlichen Erfahrung erholte, und einer Frau unterlegen, die über übermenschliche Kräfte verfügte. Ein bitterer Gedanke, mit dem er nicht umgehen konnte.

      Viel wichtiger in diesem Moment war es jedoch für ihn dem eisernen Griff zu entkommen, der ihn in seiner Bewegung einschränkte. Glücklicherweise schien Sierra in letzter Sekunde ihre Sinne wiedergefunden zu haben, als die Frohnatur ihre harmonische Stimmbänder ein letztes Mal dafür einsetzte, ihre Begierde nach seinem süßen Blut zu unterbinden. Befreit von ihrem Griff, krümmte sich Rikun vornüber, seine Hände auf seine Knie gestützt, und schnappte keuchend nach Luft, die ihm während des Vorfalls verwehrt worden war. Als er wieder aufblickte, waren Sierra, ihr Zwillingsbruder und ihre beste Freundin verschwunden, und nur sein enger Kollege lag neben ihm, bewusstlos und blutend auf dem Boden. Der junge Student war verwirrt und unsicher über das, was ihm gerade widerfahren war. Er konnte nur einen Schluss aus den Ereignissen ziehen: Die junge Frau, die er den gesamten Abend über fixiert hatte, war nicht von menschlicher Natur. Ihre ungewöhnliche Selbstsicherheit, die in der Bibliothek dunklen Augen, die leisen Schritte und der sichere Gang im düsteren Unterholz, sowie ihre massive physische Stärke, die der Student gerade am eigenen Leib erfahren durfte, waren Hinweise, die auf etwas Übernatürliches hinwiesen. Obwohl er noch nicht alle Teile des Puzzles hatte, um ein klares Bild zu bekommen, wurde es zu seiner obersten Priorität, ihre wahre Identität zu enthüllen. Aber bevor er diesen Stein ins rollen bringen konnte, musste er sich erst einmal in Sicherheit bringen, bevor die Blondine ihre Meinung erneut änderte und wieder über ihn herfiel. Eilig eilte er davon, doch bevor er sein Ziel erreichte, hielt ihn eine Stimme zurück. Bench, ein enger Freund, kniete neben dem bewusstlosen Markes und erkundigte sich besorgt nach seiner Verfassung. Ohne zu zögern, rief der Goldjunge ambulante Unterstützung mit seinem Smartphone und wandte sich an einige Partygäste, die von dem Vorfall nichts mitbekommen hatten. Er bat sie, dem Verletzten beizustehen, bis die Rettungssanitäter eintrafen - denn Bench hatte andere Pläne. Er wollte die Mitfahrgelegenheit seines Anführers nutzen, da es nicht danach aussah, als ob der Schwarzkopf auf ihn warten würde. Mit einem letzten Blick auf seinen Freund machte er sich schnell auf den Weg zum Sportwagen von Rikun. Die ganze Fahrt hindurch verlor der Kurze kein Wort, während Rikun ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Die Nervosität, die in jeder Faser des Jungen steckte, war nicht zu übersehen. Seine Augen wanderten unstet hin und her, während seine Finger nervös auf seinem Oberschenkel tippten. "Geht es dir gut?", fragte er ihn besorgt. "Du wirkst ziemlich aufgewühlt.", obwohl er sich selbst noch immer von der aufregenden Nacht erholen musste, hegte er eine tiefe Zuneigung für seinen jüngeren Kollegen. Bench blickte überrascht zu ihm rüber. "Äh, ja, alles bestens", antwortete er unsicher. "Ich bin nur müde von der Party und will mich hinlegen.", tischte er ihm lügend auf.
      Der Fahrer runzelte die Stirn. "Wenn du irgendetwas weißt, dann sag es mir." Der Goldjunge nickte stumm, während er weiter aus dem Fenster starrte. Es war offensichtlich, dass er Rikuns dringenden Worten nicht nachkommen würde. Zuhause angekommen, trennte der junge Mann mit dem schwarzen Haar seine Kleidung vom Körper und bereitete sich auf seinen Nachtschlaf vor. Wie gewöhnlich betrachtete er sein prachtvolles Spiegelbild im Badezimmer, aber diesmal erblickte er etwas, das ihm den Atem raubte: seinen entstellten Rücken. Der Druckschmerz, den er während der Fahrt im Auto gespürt hatte, hatte sich bereits ausgebreitet, und sein ganzer oberer Rücken war blau und rot verfärbt, als hätte er einen schweren Autounfall erlitten.
      Während er seinen geschundenen Körper betrachtete, grübelte er über seine nächsten Schritte. Wie sollte er reagieren, wenn er der Vampirin nach dem Vorfall an der Universität begegnete? Eine vernünftige Person hätte nach so einem Erlebnis das Weite gesucht, aber der arrogante Student war nicht bereit, seinen Posten und die damit verbundene Macht aufzugeben. Sein Stolz saß zu tief in ihm, und seine Arroganz, dass dem mächtigsten jungen Mann des Landes nichts passieren konnte, war ungebrochen. Mit diesen Gedanken legte er sich auf die Bauchseite und schlief ein.

      Am nächsten Morgen bereitete sich der hochnäsige Student mit seiner gewohnten Routine auf den bevorstehenden Vorlesungstag vor. Nur das Balsam, das er auf seinen schmerzenden Rücken auftrug, um die Schmerzen und Erschöpfung zu lindern, war eine neue Ergänzung. Als er den Vorlesungssaal betrat, nahm er seinen gewohnten Platz in der letzten Reihe ein neben seinem Handlanger. Der andere Milliardär, der heute jedoch nicht anwesend zu sein schien, musste sich von der Rauferei erholen. Dies kam dem Anführer gelegen, da er nach den Ereignissen vom Vortag einen entspannten Tag sehnte. Mit scharfem, aber unauffälligem Blick beobachtete er jede Bewegung der de la rosa Familie, als würde ein Adler seine Beute aus der Ferne ausfindig machen. Es war erst Benchs Stimme, die ihn aus seiner Überwachung riss. "Dein blaues Auge sieht wirklich schlimm aus", bemerkte er besorgt, während er den Studenten musterte. "Tut es sehr weh?" fragte er. "Ach, überhaupt nicht. In meiner Zeit als Boxer habe ich viel Schlimmeres durchgemacht", welches keine Lüge war vom ehemaligen Landesmeister.

      ___________

      Mit einem staunenden Ausdruck auf dem Gesicht beobachtete Benjamin die hinreißende Mirai, die vor ihm in einer Trance schwebte. Ihre Augen leuchteten voller Bewunderung für den braunhaarigen Schönling vor ihr und sie schien seinen bescheidenen Charakter und dessen unschätzbaren Wert zu schätzen. Als sie dann in seine Arme fiel, spürte Benjamin ein Kribbeln im Bauch das wie ein Feuerwerk an Gefühlen in ihm explodierte. Es war eine unbeschreibliche Mischung aus Aufregung, Freude und Vorfreude, die sich in seinem Innern ausbreitete und ihm das Gefühl gab, als ob er jeden Augenblick abheben würde. Es war, als ob tausende Schmetterlinge in seinem Bauch ihre Flügel ausbreiteten und ihm eine neue Energie verliehen.
      Es war ein unvergesslicher Moment, den er niemals vergessen würde, und er spürte, dass die beiden eine innige Verbindung hatten, die weit über die körperliche Anziehung hinausging. Dieses Kribbeln war ein sicheres Zeichen dafür, dass etwas Besonderes im Anmarsch war, und es gab ihm das Gefühl, dass er bereit war sie hier und jetzt zu küssen. Doch dann spürte er wie die Stimmung der Schwarzhaarigen shiftete und er nicht mit er das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit war. Mit ihrer blassen Haut und ihren geweiteten Augen blickte sie an Bench vorbei und entfernet sich, ohne eine Erklärung, vom Goldjungen. Verwirrt von ihrem Verhalten folgte rief er nach ihr und folgte ihr, ehe er sie in der Masse verlor. Er erinnerte sich an die Blickrichtung an die sie sich zuvor fixierte und versuchte anhand der Erinnerung ihren möglichen Aufenthaltsort zu bestimmen. Entschlossen verließ er das Gebäude vom Hauptausgang aus und bekam sich in Richtung Garten, in dem er Mirai vermutete. Am Garten angekommen, sah er seinen Kollegen am Boden, während Rikun den Blondschopf irritiert anpöbelte. In einem Wimpernschlag war die Blondine die gerade noch einige Meter vom Schwarzkopf entfernt war, plötzlich an seinem Rücken angehakt. Verblüfft von der Strecke die sie auf der Stelle überbrückt hatte, beobachtete er das Spiel versteckt hinter einen der vielen Bäume im Garten. Ihr Gesicht in klarer Sichtlinie, konnte Bench die pechschwarzen Augen und die herausstechenden Venen, um ihre Augenlider sehen. Ein kalter Schauer lief dem jungen Mann den Rücken herunter, als er die volle Blüte ihres dämonischen Gesicht erblickte. Er beobachtete das Geschehen im Garten mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen. Er wusste, dass der Anführer in Gefahr war, aber er konnte sich nicht rühren, um einzuschreiten. Erst als die Vampire sich dazu entschieden, den Schauplatz zu verlassen, traute er sich aus einem Versteck.


      "Loneliness has followed me my whole life, everywhere." - Taxi Driver
    • Der Schmerz, der Mirai widerfuhr, war kaum zu bemessen. Zu lange hatte sie diesen Anblick nicht mit ansehen müssen und jegliche Erinnerung daran verdrängt. Auch wenn Jago wenig Regung zeigte, wusste die Schwarzhaarige, dass er mindestens genauso litt wie sie, wenn nicht darüber hinaus. Mit anzusehen, wie sein eigener Zwilling wie eine Bestie in der Kammer des Schreckens - in solchen Momenten kam ihr der Spitzname der Folterkammer doch falsch vor - an metallischen Vorrichtungen festgemacht war, musste sein Herz zum bluten bringen. Seit Jahrzehnten kam ihnen diese Szene nicht mehr unter die Augen. Eigentlich war die Kammer nur noch ein altertümlicher Fleck, der zum Ausweiden von Tieren diente oder dem unwahrscheinlichen Besuch feindlicher Vampire dienen sollte. Sierra in den dicken Schellen zu sehen, die ihre Arme über ihrem blonden Haupt fixierten, war unerträglich, sodass Mirai sich abwenden musste. "Lass. Mich. Raus." Jedes Wort kam wie ein Spucken über ihre Lippen, ihr Zorn hätte ausgereicht, um eine ganze Stadt auszulöschen und sich in ihrem Blut zu suhlen. Dass Santiago nicht auf die Rückkehr ihres Vaters wartete, ließ die junge Vampirin rasen. Wie konnte er es wagen, über ihren Kopf hinweg zu entscheiden. Doch eigentlich galt ihr Entsetzen nicht ihrem Bruder. Sie wusste, dass er es nur tat, um ihr zu helfen, auch wenn es sich nach dem Gegenteil anfühlte. Die Blondine war sauer auf den Milliardären und sein verflucht wohl riechendes Blut, über den Fakt, dass sie ihre Kontrolle verlor und allen voran war sie enttäuscht von sich selbst. Erneut hatte sie das Wohl der Familie in Gefahr gebracht, da war eine Strafe nur angemessen. "Wir sind in einigen Stunden zurück." Gab der Blondschopf kalt und ohne jegliche Emotion bekannt, ehe er die schwere Tür verriegelte, um die Vampirin in der Kammer ausnüchtern zu lassen. Für gewöhnlich wandten sie diese Technik nach einem Vorfall an - einer ungewollten Attacke auf einen Menschen, versteht sich - doch auch wenn Sierra in letzter Sekunde dem Drang widerstehen konnte, so wusste ihr Bruder sich nicht anders zu helfen. Seine Schwester zu manipulieren war schon einige Male zuvor gescheitert. Es war bekannt, dass Vampire mit seiner Fähigkeit nur Einfluss auf Gleichgesinnte verüben konnten, wenn sie schwächer waren als sie selbst. Der Dickkopf von Sierra hatte ihm oft genug die Stirn geboten. Demnach wäre es viel zu riskant gewesen, sie einfach in die Universität spazieren zu lassen, wenn sich keiner von ihnen sicher war, ob die Manipulation Wirkung zeigte. Mirais Mächte waren im Alltag günstig und brachten eine Welle der Ablenkung, aber auch die Schwarzhaarige war in der gestrigen Situation gescheitert. Keiner von ihnen konnte mit Sicherheit sagen, dass sie die Willkür der Vampirin im Griff hatten. Es blieb nichts anderes übrig…

      In ungewohnter Formation betraten die beiden, ohne ihre dominante Schönheit, das Gelände der Hochschule. Obwohl Sierra normalerweise der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit war, schienen nun nur noch mehr Blicke auf den beiden Vampiren zu ruhen. Nach der Party war ihr Ansehen gestiegen und das Fehlen ihrer besseren Hälfte zog fragende Gesichter hinter sich. Ohne sich in Gespräche zu verwickeln gingen die beiden direkt auf den Vorlesungssaal zu und nahmen ihre gewohnten Plätze ein, wobei einer frei blieb. Die Lücke zwischen ihnen wollte die Schwarzhaarige nicht lassen. Es fiel ihr schwer genug, ihre beste Freundin nicht an ihrer Seite zu wissen, da brauchte sie keinen ständigen Reminder, sodass sie an Stelle von Sierra neben Santiago saß. Erschöpft und gedrückt von den Geschehnissen lehnte sie ihren Kopf auf die Schulter des älteren und atmete tief aus. "Meinst du, das wird wieder?" Der Blonde nickte, doch der Ausdruck in seinen Augen ließ auf anderes schließen. Es kam unheimlich selten vor, dass man Emotionen aus seinen Gesichtszügen ablesen konnte, aber Mirai kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass das sanfte Funkeln in dem hellen Blau auf seine Sorge schließen ließ. Jago war ebenso überfragt wie die eigentliche Frohnatur. Seufzend hob sie den Kopf, um diesen vorsichtig und unauffällig nach hinten zu wenden. Die ganze Zeit über wollte sie nach ihm sehen, sich erkundigen, ob er ihr den plötzlichen Abschied übel nahm. Alles fühlte sich an dem Tag verkehrt an, so auch die vermeintlich heile Welt zwischen ihr und dem Goldjungen.

      Bei der Sichtung des Milliardären schossen ihr sofort die Erinnerungen an den Abend vors innere Auge, sodass sie hektisch zum Professor wandte, der seine Vorlesung hielt. Wie es dem armen Markes wohl ging? Erst nachdem einige Minuten verstrichen, wagte sie erneut einen flüchtigen Blick, den sie diesmal direkt auf Benjamin richtete. Als ihre Augenpaare sich trafen, zwang sie ein zaghaftes Lächeln auf ihre Lippen, das alles andere glich als ihrer sonstigen Leichtigkeit. Die Haut der Frau war blasser als sonst und ihre braunen Augen schienen müder als jemals zuvor. Von ihrer bezaubernden Ausstrahlung blieb nur ein trauriger Abklatsch. Sie war wie ein Spiegel ihres Umfeldes.

      "Mein gestrige Abgang tut mir leid. Verzeihst du mir? Weißt du, wie es Markes geht?" tippte sie unter dem Tisch in ihr Display ab und drückte auf Senden.

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      Immer wieder schoss ihr der blutverschmierte Mann in den Sinn. Der unüberwindbare Durst war vorbei, aber die Bilder des Vorabends kehrten trotzdem wieder, wie ein Film in Endlosschleife. Sierra schüttelte sich, versuchte, sich davon zu lösen, doch es ließ ihr keine Ruhe. Der Fehler, den sie begangen hatte jagte sie, macht es ihr unmöglich zu vergessen. Noch immer trug sie den Duft in der Nase und hätte schwören können, dass Rikun jede Sekunde aus einem der Schranke hervor sprang, so penetrant wie seine Note in der Luft lag. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass er Sierra so handlungsfähig machte? Das letzte Mal, dass sie sich so benahm, war kurz nach ihrer Verwandlung die dummen Missetaten eines Frischlings, der den Durst noch nicht kannte. All das nur aus reinem Zufall, weil er über gut riechende Körperflüssigkeiten verfügte? Sierra wagte es zu bezweifeln, schließlich zeigte der Duft auf die beiden anderen Vampire keine Wirkung. Sicherlich würde ihr Vater Antworten liefern können.

      Was sich wie Ewigkeiten anfühlte, waren nur eine Handvoll Stunden, die vorbei gezogen waren. Nicht mehr lange, bis ihre Wärter wieder nach Hause kommen würden und die Chance bestand, aus dem Fesseln befreit zu werden. Bevor es soweit kam, erklang das Quietschen der Tür früher als erwartet. Die Vorlesung war wohl ausgefallen oder den beiden war nicht länger danach, die Schulbank zu drücken. Nötig hatten sie es ohnehin nicht. Doch das Gesicht, dass vor der Blondine erschien, war ein anderes. Das Haar länger als das der jungen Frau und in einem verblassten Blond, dass den Glanz der Jungend im Vergleich zu Sierras nicht mehr in sich trug, glich einer Kopie der Zwillinge, wobei es genau das Gegenteil war. Sie waren seine Kopie! "Papa…" Der zerbrechliche Klang ihrer Stimme ähnelte einem verzweifelten Hilfeschrei und gleichzeitig der Erleichterung nach einem anstrengenden Tag. Mit strenger Miene musterte er seine Tochter. Santiago hatte das Familienoberhaupt kontaktiert und über die Situationen informiert, was ihn zu einer früheren Heimreise veranlasste. Einige Schritte trat Leonardo näher an das Kind heran, bis er schließlich seine Arme um den hängenden Körper seines Sprösslings legte. "Sierra mein Engel, geht es dir gut?" erkundigte er sich besorgt. Nichts ging über das Wohl seiner Kinder hinaus, da wich jede noch so bedrohliche Funken, den der Älteste in seiner Ausstrahlung trug. "Es tut mir so leid…" flossen die Tränen, da sie wusste, welches Risiko sie wieder mal über die Familie gebracht hatte. Natürlich wischte ihr Vater die Tropfen von ihrer Porzellan Haut. "Was stimmt nicht mit mir?" Die Frage quälte sie jede einzelne Minute, die sie in dem viel zu ruhigen Raum verbracht hatte. "Ich glaube, du bist verliebt." "WAS?!?"

      ___

      Nachdem die Veranstaltungen ihr Ende fanden, wartete draußen bereits die Mitfahrgelegenheit der Vampire. Leonardo ließ es sich nicht nehmen, die beiden persönlich von der Uni einzusammeln, allen voran, weil er einen Eindruck von dem Jungen gewinnen wollte, der seiner Tochter scheinbar sämtlichen Verstand raubte. Dieser Typ bedeutete Ärger für die de la Rosas und das mochte der Blonde eher weniger. Direkt in der ersten Reihe, in direkter Pole Position vor dem Eingang der Uni geparkt, lehnte der Vampir an seinem Sportwagen. Der dunkle Anzug, den er trug und die rote Krawatte ließen seine Haut blasser erscheinen als gewöhnlich - etwas was er ästhetisch fand - während die langen Haare zu einem lockeren Zopf zusammengeknotet waren. Seine Arme hatte er vor seinem Körper verschränkt und wartete ungeduldig auf die zwei Schützlinge, die nach einiger Wartezeit am Horizont erschienen. Bereits im Saal hatten sie ihn riechen können, was in Jago eine leichte Nervosität auslöste, da er nicht wusste, ob er in Schwierigkeiten steckte für die Taten seiner Schwester oder gar seine Alleingang, Sierra in die Kammer zu sperren. Als sie am Wagen angekommen waren, offenbarten sich ihnen die Absichten des ältesten, da er sich sofort erkundigte, wer der eine war. Da sein Duft stärker wurde, wandten die Kinder umher zur Quelle des Geruchs, ohne dass ein weiteres Wort nötig war. Der Mann war mit Blessuren übersät, sein Auge blau verfärbt und der Rest sah ebenfalls abgeschlagen aus, auch wenn Rikun versuchte, es zu verbergen. Das winzige Schmunzeln auf den Lippen der Schwarzhaarigen beim Anblick seines Begleiters entging Leonardos aufmerksamen Augen nicht, aber das war ein Thema für ein anderes Mal. Der finstere Blick, der das Gesicht des Jungen speichert und seine Note absorbierte, lag einzig und allein auf dem reichen Bengel. "Verstehe." nickte er den Vampiren zu, bereit aufzubrechen.
      A heart's a heavy burden.

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    • Während der Vorlesung fand der Schwarzkopf keine bequeme Sitzposition, die ihm die Schmerzen in seinem mitgenommenen Rücken erleichterte. Dennoch hinderte es ihn nicht daran, die Zwillinge und die Schwarzhaarige, die praktisch zur Familie de la Rosa gehörte, genau im Auge zu behalten. Kein Blick, keine Bewegung oder Atemzug entging dem misstrauischen Studenten, dessen müde Augen nach der gestrigen Aktion kaum Schlaf gefunden hatten. Gelegentlich spürte er immer noch den Phantom-Griff, der ihm fast erneut den Atem raubte. In Gedanken versunken, strich er mit Fingerspitzengefühl sanft über seine Brust und versuchte immer noch zu verstehen, woher die Kraft der gefährlichen Schönheit kam. Wenn er es nicht am eigenen Leib gespürt hätte, würde er seine eigenen Erinnerungen kaum glauben. Während er die Familie beobachtete, fragte er sich, warum die Blondie heute nicht erschienen war. Könnte es sein, dass sie aus einem anderen Grund als dem gestrigen Vorfall abwesend war? Und warum besuchte der Rest der Familie trotzdem noch die Universität, obwohl der Zwilling gestern Seiten von sich zeigte, die nicht vom menschlichen Ursprung waren? Mussten sie weiterhin ihr perfektes Trugbild aufrechterhalten und allen ihre Lügen im geübten Schauspiel auftischen? In Rikuns Kopf herrschte momentan Anarchie, und er hatte mehr Fragen als Antworten. Er war nie wirklich der Typ dafür, der an Übernatürliches glaubte und hielt das Fantasy-Genre für eine Zeitverschwendung. Er war überzeugt davon, dass Menschen, die sich damit auseinandersetzten, schwache Gestalten waren, die in der realen Welt den Bezug zur Realität verloren hatten. Aber jetzt war er sich nicht mehr sicher, ob er noch mit beiden Beinen in der realen Welt stand oder ob er seinen Verstand bereits verloren hatte.

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      Der Goldjunge, der sonst immer konzentriert der Vorlesung lauschte, wirkte heute unruhig und besorgt. Seine Gedanken schweiften ab und immer wieder warf er nervöse Blicke zu den Blutsaugern. Die gestrige Episode hatte einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen und er konnte die Geschehnisse nicht so einfach abschütteln. Einerseits erinnerte er sich an das innige Gespräch mit seiner Angebeteten, an das Kribbeln im Bauch und die Schmetterlinge, die er spürte, wenn sie sich an ihn schmiegte. Andererseits hatte er auch die finsteren Augen und raubtierhaften Zähne der Vampirin in Erinnerung, die sich beim flüchtigen Kuss an seines Anführers Halsbeuge enttarnten. Dieser Anblick verfolgte ihn und er fragte sich, ob auch die Schwarzhaarige ein Vampir war und darauf wartete, über ihn herzufallen.

      Verlegen röteten seine Wangen, als er sich an die Szene erinnerte, als sie ihm um den Hals gefallen war. Doch er war sich sicher, dass Mirai keine Vampirin sein konnte, da sie in der Nähe des Glücklichen keine Anzeichen von übernatürlichem preisgab. Trotz seiner Angst und Verunsicherung hatte sich seine Zuneigung zu seinem Schwarm nicht verringert. Als ihre Blicke sich trafen und sie ihm ein Lächeln schenkte, fühlte er, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Überwältigt von ihren schönen Augen und trotz müde wirkendem strahlenden Lächeln, konnte er nur verblüfft zurück starren. Keinesfalls Als er merkte, dass er zu lange gestarrt hatte, wurde er nervös und wandte seinen Blick ab, während er verlegen lächelte. Enttäuscht von sich selbst und von seiner Unbeholfenheit, riskierte er einen weiteren Blick auf sie, um sicherzugehen, dass sein seltsames Verhalten nicht aufgefallen war

      Er griff in seine Hosentasche, nachdem ihm sein Smartphone mit einer Vibration an eine eingehende Nachricht informierte. Beinah ließ der Goldjunge das Smartphone fallen, als er anhand des Inhalts schließen konnte wer der Absender war. Wahrscheinlich hatte die Schwarzhaarige seine Handynummer von ihrer besten Freund ergattert, nachdem er die persönliche Einladung von der gestrigen Party erhielt. Nach dem kurzen Schocker, lächelte der Junge erneut verlegen - er konnte sein Glück nicht fassen, dass das schönste Mädchen sich die Mühe gemacht hatte seine Handynummer zu erfragen und sich nun bei ihm entschuldigte. "Sowas würde ein bösartiger Vampir niemals machen", war der Gedanke der sich in ihm manifestierte.

      "Ach was, der Abend war super. An deinem gestrigen Gesichtsausdruck sah es nach einem Notfall aus.. alles gut! Markes hat es ganz schön erwischt und ist aktuell stationiert. Ich wollte ihn heute nach der Arbeit besuchen und nach ihm schauen. Was ist mit Sierra? Ist die Gastgeberin nach der besten Party ever zu ausgelaugt für die Vorlesungen heute?"

      _____

      Der Schwarzhaarige bemerkte wie sein Botenjunge sein Smartphone anlächelte, ehe er ihm das Gerät aus der Hand riss und die Textnachricht las. "Hast du dich doch endlich mal getraut sie anzusprechen?", überrascht blickte Bench ihn an. "Schau nicht so dumm. Mir ist schon seit wir uns kennen aufgefallen, dass du eine Auge auf sie geworfen hast.", erklärte er mit einem selbstsicheren Grinsen. "Aber das kommt mir sehr gut gelegen. Ich will das du die Chance nutzt und dich auch mit den beiden Blondinen anfreundest. Einen Informant in deren Mitte zu haben ist entscheidend". Bei den Worten kraute es dem Braunhaarigen sämtliche Nackenhaare. "Wa-Was warum? Das ist keine gute Idee. Wir sollten uns besser nicht mit ihnen anlegen", warnte er ihn panisch. Genervt schaute er zu Bench hinab, "Vor was hast du Angst? Du sollst dich nur mit ihnen gut verstehen und ihnen nicht das letzte Hemd rauben", unverständlich seufzte er als Antwort zu seiner Reaktion. Trotz weiterer Warnungen von dem Goldjungen, der mehr wusste als er zugab, blieb er bei seiner Entscheidung stehen.

      Heute entschied sich der Schikane niemanden das Leben schwer zu machen und er genießte wie der Vorlesungstag ohne Zwischenfäll verlief. Jedoch bemerkte er die flüchtigen Blicke seiner Kommilitonen aufgrund seiner mitgenommen Erscheinung. Normalerweise würde er solch Fehlverhalten nicht dulden, aber heute war einfach der Wurm drin und er hatte keine Energiereserven dafür. Abschließend der letzten Veranstaltung schlenderten die Vampirmagnete gedanklich abwesend zum Ausgang. Der Braunhaarige bemerkte sofort die hochgewachsene Gestalt in Begleitung seiner Lieblingsperson und der jüngeren Kopie, die mit finsterem Blick den Millardär im Fokus hatte. Ein eisiger durchfuhr ihn, der ihm unmittelbar durch Mark und Bein zu gehen schien. Der Anblick dieses unheimlichen Mannes, der ohne Zweifel der Vater der Familie war, schien in ihm eine unbeschreibliche Furcht auszulösen, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ und ihn beinahe paralysierte. Seine Kehle war wie zugeschnürt und er hatte das Gefühl, dass er sich kaum noch rühren konnte, während sein Blick fasziniert an der finsteren Gestalt haftete, die wie ein Schatten vor ihm stand. Obwohl er sich bemühte, sich zu fassen, konnte er den kalten Schauer nicht abschütteln, der ihn noch lange begleiten sollte. "Warum stehst du so dumm rum?", der Anführer war nach der gestrigen Aktion noch immer neben der Spur und bemerkte die strengen Blicke des Vaters noch nicht. "Rikun ist in ernsthafte Schwierigkeiten. Ich muss ihn warnen.. aber nicht in deren Anwesenheit.. sonst. Die dürfen nicht wissen, dass ich sie letzte Nacht beim Vorfall beobachtet habe", grübelte der besorgte Student vor sich hin. "Ich muss los!", überwältigt von der schieren Präsenz des Häuptling, eilte der Goldjunge zu seinem Fahrrad und strampelte in Windeseile davon.

      Freihändig fuhr Bench zur Arbeit, während er mit seinen Hände die folgende Nachricht abtippte und an Rikun sendete. "Du bist in ernsthafte Schwierigkeiten. Halt die Fern von Sierra und ihrer Familie! Wir reden später und ich erzähl dir alles".

      Der Milliardär verwirrt vom Verhalten seines Freundes, machte sich auf den Weg zu seinem Auto. Dort angekommen, schaute er sich ein letztes Mal um und bemerkte im Augenwinkel, wie ihn finstere Augen fixierten. Sein Körper wurde von einer Welle kalter Gänsehaut überflutet, dass ihm sein Atem raubte, als er anhand der ähnlichen Gesichtszügen und Haarfarbe erkannte, um wen es sich handelt. Der Vater der de la rosa Familie besuchte ihn mit seiner Präsenz und infiltrierte sein Reich mit seiner bloßen Anwesenheit. War das seine Art um ihn zu bedrohen und ihm zu deuten, dass er mit dem Feuer spielte und nun Abstand von der Familie halten sollte oder er es sonst mit dem Vater zu tun bekam? Im Schwarzhaarigen wuchs ein ähnliches Gefühl, dass er im alleine im Wald mit Sierra verspürte, als er sie mit ihrer selbstsicheren Art am Baum begegnete. Dieses Mal war das Krippeln im Bauch deutlich stärker, als bei der dominanten Schönheit. Der Vater schien ihn mit seinem Blick förmlich zu durchbohren, und jede Zelle in seinem Körper schrie ihn an, wegzulaufen, aber er konnte nichts anders als sein Blick zu erwidern. "Was glaubt er, wer er ist? Hier aufzutauchen und mich mit seinem Blick zu bedrohen, in der Hoffnung einzuknicken", erst als der Vater seinen Blick zuerst abwendete, stieg Rikun in sein Auto und fuhr nachhause.

      Am Parkplatz seines Apartments angekommen und bereit auszusteigen, wurde er von seiner Benachrichtigung am Smartphone unterbrochen. Es war sein Kollege Benjamin, der ihn von der Vampirfamilie warnte. Verunsichert von der Warnung, das Auftreten des Oberhaupts und der hübschen Blondine mit dem das ganze Theater angefangen hatte, blickte er besorgt zu seinem Apartment. Sollte er die Warnungen ignorieren und das Risiko eingehen, alleine im Apartment zu verbringen, wo er ein leichtes Ziel für die blonde Familie war? Letztlich entschied er sich seinen Vater in seiner Luxusvilla zu besuchen, die rund um die Uhr von Wachmännern und einem High Level Sicherrungssystem überwacht wurde. Der Schwarzhaarige wollte sowieso mit seinen Recherchen beginnen, um auf die Spur der Natur der Blondine zu kommen und im Anwesen hauste die größte Bibliothek der Provinz - der perfekte Ort seine Ermittlungen in Gang zu setzen.

      Das Anwesen des einflussreichsten und reichsten Mannes des Landes war eine Augenweide und ein Paradebeispiel für opulenten Luxus. Es erstreckte sich über mehrere Hektar Land und war von einer hohen Mauer umgeben, die es vor neugierigen Blicken und unerwünschten Eindringlingen schützte. Der Eingang des Anwesens war beeindruckend und majestätisch, mit riesigen Toren aus massivem Stahl und goldverzierten Ornamenten. Im Inneren des Anwesens befanden sich prächtige Gärten mit exotischen Blumen und Sträuchern, die von fachkundigen Gärtnern gepflegt wurden. Die Wege waren aus poliertem Marmor und schlängelten sich durch das Anwesen, vorbei an Springbrunnen und Wasserspielen, die das Anwesen mit einem beruhigenden Plätschern erfüllten. Das Haupthaus war ein imposantes Gebäude mit mehreren Stockwerken und einem Dach, das sich majestätisch in den Himmel erhob. Es war im Stil eines alten Schlosses erbaut und mit opulenten Verzierungen und Schnitzereien verziert. Die Eingangshalle war mit antiken Möbeln und kunstvollen Gemälden geschmückt, die die reiche Geschichte und Kultur des Landes widerspiegelten. Die Zimmer des Anwesens waren geräumig und luxuriös eingerichtet, mit weichen Teppichen, reich verzierten Vorhängen und opulenten Möbeln. Die Bäder waren mit Marmor ausgekleidet und mit goldenen Armaturen ausgestattet, die das Wasser in glitzernden Strahlen sprühen ließen. Alles in allem war das Anwesen des einflussreichsten und reichsten Vaters des Landes ein prächtiges Beispiel für Reichtum und Luxus, das die Augen der Besucher blendete und ihre Sinne betörte. Dem Sohn der das Anwesen erreichte, war der Reichtum bereits zur Routine geworden. Die Pracht und der Luxus, die das Anwesen umgaben, waren ihm vertraut und hatten längst ihren Glanz verloren. Er betrat das Anwesen mit einer gewissen Gleichgültigkeit, als wäre es nichts weiter als ein weiteres Gebäude, das seinen Vater beherbergte. Obwohl das Anwesen ein Symbol des Reichtums und der Macht war, die er innehatte, erkannte Rikun, dass es ihm nicht mehr bedeutete als ein anderer Ort auf der Welt. Die Pracht und der Luxus hatten ihren Reiz verloren, und er sehnte sich nach etwas, das nicht mit Geld und Reichtum zu kaufen war: die Freiheit, sein eigenes Leben zu führen, unabhängig von den Erwartungen und Ansprüchen seines Vaters.

      Die Beziehung zwischen dem Student und seinem Vater war von Anspannung und Enttäuschung geprägt. Der Vater hatte extrem hohe Erwartungen an ihn, die er für kaum erfüllbar hielt. Er wollte, dass er in die Fußstapfen seines Vaters tritt und ein ebenso erfolgreicher und einflussreicher Mann wird wie er selbst. Der Vater kritisierte ihn oft und zeigte ihm seine Enttäuschung, was ihn verunsicherte und frustrierte. Letztendlich konnte er die Erwartungen seines Vaters nicht erfüllen und die Beziehung zwischen ihnen wurde immer distanzierter. "Guten Tag, der Herr", begrüßte er seinen Vater in einem respektvollen Ton. Der Schwarzhaarige war in der Präsenz seines Vaters wie ausgewechselt. Der alte Herr hatte eine Art von Autorität über seinen Sohn, die ihn dazu brachte, sich zu beherrschen und seine Gedanken und Gefühle zurückzuhalten und seine Handlungen und Worte vorsichtig auszuwählen. "Hast du endlich dein lächerliches Studium endlich beendet und dich dazu entschieden in der Erwachsenenwelt anzukommen?", erwiderte er rhetorische ohne sein eigenes Fleisch und Blut anzublicken. "Vater, ist Ihnen eine Familie unter dem Namen "de la rosa" bekannt?", fragte er seinen Erzeuger in der Hoffnung mehr Informationen über Sierra und ihre Familie in Erfahrung zu bringen. Als er den Familienname erwähnte, bemerkte er, wie das Gesicht seines Vaters vor Freude aufleuchtete. Er erzählte ihm, dass die Familie tatsächlich sehr einflussreich und mächtig war und dass er die einzige Kopie eines alten Geschichtsbuchs besaß, in dem die wahre Natur der Familie beschrieben wurde. "Vor Jahrhunderten wurde die Welt von Vampiren beherrscht und die "de la rosa" war die mächtigste Blutlinie, die über etliche Länder regierte. Nachdem die Menschheit es schaffte die Herrschaft zurückzuerobern, zerstörten sie sämtliche Beweise über ihre Existenz und entfernte sie aus allen Geschichtsbüchern. Nur ein Exemplar hat den Büchermord vor über 100 Jahren überlebt und dieses ist in meinem Besitz", erklärte er stolz. Als der Vater sah wie überrascht der Rikun von der dunklen und mysteriösen Vergangenheit der alten Königsfamilie war, entschied er sich heute gutmütig zu sein und holte das beschriebene Exemplar aus seinem sichersten Tresor. "In spätestens 20 Minuten ist das Buch wieder in meinem Besitz", befiel er ihm, ehe er ihm sein kostbarstes Stück übergab.

      Das Buch war in altem Leder gebunden, das Cover war verziert mit goldenen Lettern, die den Namen "De La Rosa" hervorhoben. Die Seiten waren vergilbt und die Tinte verblasst, aber die Worte darin hatten immer noch eine tiefe Bedeutung. Es war ein Werk von unermesslichem Wert, das die Wahrheit über die de la rosa Familie enthielt - die einst mächtigste Familie in der Geschichte der Menschheit, die in Vergessenheit geraten war. Beim Durchblättern des Buches konnte man die umfassende Herrschaft der Familie de la rosa sehen. Es gab detaillierte Beschreibungen ihrer militärischen Kampagnen und politischen Intrigen, ihrer erstaunlichen Macht und ihrem Einfluss, der sogar weit über ihre eigenen Länder hinausreichte. Aber das Buch hielt auch eine dunkle Wahrheit über diese Familie verborgen - eine Wahrheit, die nur wenige kannten. Die de la rosa Familie waren Vampire - so lautete die geheime Enthüllung des Buches. Es beschrieb ihre unsterbliche Natur, ihre Fähigkeit, den Tod zu überwinden und die Kontrolle über die Sterblichen zu übernehmen. Es erzählte auch von den Kämpfen, die sie gegen andere Vampire ausfochten, um ihre Vorherrschaft zu sichern.
      Im letzten Kapitel des Buches war die Blutlinie der de la rosa aufgezeichnet mit Gemälden jeder neuen Generation. Beim Anblick der letzten Generation konnte der Milliardär seinen Augen nicht trauen. Die gemalten Figuren im Buch glichen dem Vater und den Zwillingen der heutigen de la rosa Familie aufs Haar. Sie hatten dieselben schmalen Gesichter, hohe Wangenknochen und zarte Haut, als wären sie aus einer anderen Zeit gefallen. "Ist das ein schlechter Scherz?", waren seine Worte als er das gravierte Datum unter des Bildes erblickte: 1878. Seine Adern gefrierten bei dem Gedanken, dass er alleine im Wald mit ihr war und sie für seine Zwecke zu manipulieren. Er wollte nicht glauben was vor ihm im Buche offenbart wurde, aber die Beweislast war erdrückend. Das abgedruckte Gemälde im Buch, ihre verdunkelten Augen in der Bibliothek, die Fähigkeit sich lautlos und sicher im finsteren Wald fortzubewegen und diese unglaubliche Kraft, dessen Auswirkung er immer noch am Rücken spürte. Es bestand kein Zweifel daran, dass die Familie vom vampiririschen Usprung war. Und nun waren sie an seiner Universität, um ihn zu entronnen. Auch wenn jedes Haar an seinem Körper sich sträubte bei der Vorstellung sich gegen die Familie aufzulehnen, würde er seinen Platz niemals kampflos aufgeben. Vor allem warum musste die blonde Vampirin auch so verdammt attraktiv sein - dies machte das Thema nicht einfacher. Bevor das Buch zurück in die Hände des Besitzers fand, fotografierte er das Abbild der Familie mit seinem Smartphone und sendete eine Textnachricht an seinen treuen Begleiter. "Es wird Zeit das wir reden. Secret location ASAP". Mit dem gewonnen Wissen, verabschiedete sich Rikun bei seinem Vater und verließ das Gebäude, um sich am Rande des Stadtparks mit Bench zu treffen, wo keine neugierigen Ohren ihr anstehendes Gespräch lauschen konnten.
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      Es war früh am Morgen, als der junge Bench sich auf sein Fahrrad schwang und sich auf den Weg zu seiner Arbeitsstelle machte. Der Berufsverkehr überfüllte die Straßen und die hohen Temperaturen sorgten für ein stickige Luft, während er sich durch die belebten Stadtviertel hindurchschlängelte. Er hatte bereits einen langen Tag voller Vorlesungen hinter sich gebracht und nun wartete eine weitere Herausforderung auf ihn - das Leben als Kellner in einem beliebten Nobelrestaurant. Als er ankam, begrüßte ihn das geschäftige Treiben des Restaurants. Die Kellner rannten hin und her, um den hungrigen Gästen gerecht zu werden, während die Köche in der Küche ihre Töpfe und Pfannen rührten. Bench trat schnell in seine Arbeitskleidung und begann, die Tische abzuwischen und die Menüs zu sortieren. Er wusste, dass er einen langen Tag vor sich hatte, aber er war bereit, sich der Herausforderung zu stellen.
      Stunden vergingen, und Bench arbeitete hart, um sicherzustellen, dass die Gäste zufrieden waren. Er lief von einem Tisch zum anderen, nahm Bestellungen auf, servierte Speisen und Getränke und räumte schließlich das Geschirr ab. Seine Füße schmerzten, und sein Körper war müde, aber er wusste, dass er durchhalten musste. Aber heute fiel es ihm besonders schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um den Abend zuvor. Der perfekte Moment mit seiner Traumfrau, der beinahe in einem Kuss geendet hätte, wenn es nicht zu der gefährlichen Situation zwischen den zwei Hitzköpfen gekommen wäre. Die Begegnung mit der Gastgeberin und ihrem dunklen Geheimnis, das er nun kannte, bereitete ihm große Sorgen. Einerseits war er überglücklich über den erfolgreichen Abend, andererseits quälten ihn viele unbeantwortete Fragen und Bedenken. Was, wenn sein Schwarm auch ein Kind der Nacht war? Die Arbeit half ihm zumindest ein wenig, sich von seinen Gedanken abzulenken.


      "Loneliness has followed me my whole life, everywhere." - Taxi Driver
    • Die Gedankengänge der beiden Männer, auf die das Familienoberhaupt seine Augen geworfen hatte, waren mehr als aufschlussreich. Leonardo hatte nicht erwartet, bei ihrem ersten Aufeinandertreffen direkt solch tiefe Einblicke in ihr Innerstes zu erlangen, und doch wurden ihm mehr Informationen zuteil, als er brauchte. Dem Braunhaarigen, dem Mirai Blicke zuwarf, als sei er ihr kleiner Prinz, war nicht zu trauen. Seine Loyalität war bemerkenswert, aber leider lag diese auf der falschen Seite in den Augen des Vampirs. Natürlich wäre sein Freund wichtiger als eine Frau, die er kaum kannte, doch das Leben als übernatürliches Wesen ermöglichte solch ein Risiko nicht. Mirai hatte keinen Spielraum für Fehler oder dafür, ihm einen Versuch zu schenken und ihm eine Chance zu geben. Die Folgen, würde er das Vertrauen zu Rikun über das der Schwarzhaarigen stellen, waren zu groß. Leider musste Leonardo sie warnen…

      Der Milliardär hingegen schien - wie bereits vermutet - eine größere Baustelle darzustellen. Mit seinem sturen Blick und dem Stolz, den er auf seiner Brust trug, hielt er dem blonden Vampir stand. Zu dumm, dass seine Gedanken eine andere Seite zum Vorschein brachten. Rikun fürchtete sich vor dem Wesen - immerhin war er nicht gänzlich auf den Kopf gefallen, trotzdem spielte er mit dem Feuer.

      Schweigend verbrachten sie die vergleichsweise kurze Fahrt von der Universität bis zum de la Rosa Anwesen. Durch die Innenstadt des Ortes hindurch, fuhren sie bis an den Ortseingang, ehe sie in eine unscheinbare Seitenstraße einbogen, die schlussendlich am Waldrand endete und das luxuriöse Anwesen ankündigte. Keiner von ihnen wagte es, die angespannte Luft mit Nachfragen bezüglich der Blondine zu durchkreuzen, nicht weil sie Leonardo fürchteten - er war der mächtigste und klügste Blutsauger, den sie kannten - sondern, weil sie sich für die gesamte Angelegenheit schämten. Jago konnte das Gefühl versagt zu haben nicht abschütteln und auch Mirai bereute es, nicht an der Seite ihrer besten Freundin gewesen zu sein, um schlimmstes zu verhindern. Schon immer sahen sie sich als Dreiergespann, das aufeinander acht gab. Keiner von ihnen trug alleinige Verantwortung, da sie als eine Gruppe funktionierten. Tanzte einer aus der Reihe, hatte jeder von ihnen seinen Part dazu geleistet. So hatten sie es schon immer Hand gehabt.

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      Das Haus war ungewohnt ruhig ohne das wilde Gestüm der Blondine, die den Ton der drei maßgeblich angab. Ohne Sierra an ihrer Seite hatte Mirai kaum ein Lächeln auf den Lippen oder freudige Worte zu verlieren. Wie ein Spiegel trug sie ihre Emotionen auf einem Silbertablett, für alle sichtbar, wie es in ihrem Inneren aussah. Obwohl es die Fähigkeit der Dunkelhaarigen war, den anderen Energien zu schenken und sie Emotionen spüren zu lassen, waren es ihre Liebsten, aus denen sie selbst ihre Kräfte bezog. Erst durch sie wurde Mirai zu der Person, die sie war. Die Folgen der ewigen Verbundenheit. Nachdem der Älteste sie an die Seite genommen hatte und seine Bedenken bezüglich des Studenten äußerte, wusste sie sich nicht länger zu helfen. Der Rat ihrer besseren Hälfte fehlte, da sie in den Tiefen des Anwesens an einem dunklen Ort ihren Rausch ausschlief. Es waren nicht die ärmlichen Umstände, aus denen Bench stammte oder der Fakt, dass er ein Mensch war, der für Unruhe sorgte, sondern seine Verwicklung mit den beiden Schwarzköpfen, was den Kontakt zu dem Burschen erschweren könnte. In solchen Belangen war der Familienvater sehr bodenständig und verurteilte die Menschen nicht für die heimischen Hintergründe, aus denen sie stammen. Im Gegenteil, ihm war ein hart arbeitender Mann ein dutzend mal lieber als ein verwöhnter Snob, nur leider half das in dieser Situation auch nicht weiter.

      Am liebsten wäre Mirai in den Keller gewandert, hätte die Kammer des Schreckens betreten und Sierra aus ihren schweren Fesseln, die ihre Handgelenke und Knöchel fixierten, befreit, doch auch wenn sie ihrer besten Freundin ihre Loyalität schwor, so würde sie sich nicht gegen die beiden älteren de la Rosas stellen. In dieser Familie liefen die Dinge nunmal anders. Aussichtslos und verzweifelt nahm sie ihr Glück selbst in die Hand. Ähnlich wie Sierra trug auch Mirai den Duft eines Menschen seit geraumer Zeit in der Nase, auch wenn es nicht der des Milliardären war und diesem würde sie nun zum ersten Mal folgen.

      Ihre Beine trugen sie in eine Gegend, die sie nicht erwartet hatte. Ihr erster naiver Gedanke war, dass Benjamin bereits in der Begleitung seiner Freunde war und sie zu spät gehandelt hatte, aber der Duft der anderen war nirgends zu vernehmen. Verständlicherweise lag Markes noch im Krankenhaus, ringte nach den schweren Verletzungen nach dem Leben, dass Rikun gerade so noch in seinen Lungen gelassen hatte und wo sich der mutmaßliche Täter herum trieb, war zumindest diesem Vampir egal. Im belebten Stadtteil angekommen, vermisste sie schnell die ländliche Umgebung, in der sie zuvor gewandert war. Der Schutz der Bäume ließ ihr den Freiraum, ihre tatsächliche Geschwindigkeit zu verwenden, ohne entdeckt zu werden, doch im Augenwinkel der vielen Passanten musste sie sich als eine von ihnen geben. Für einen Vampir war es kein Leichtes, einen schnelleren Schritt einzulegen, ohne dabei auszusehen wie ein völliger Trottel. Wenn man ein zu schnelles Tempo wählte, sah man aus wie ein Möchte-Gern Marathonläufer und bei zu niedriger Geschwindigkeit säte man ebenfalls schiefe Blicke. In der Hoffnung, nicht gänzlich bescheuert auszusehen, ging sie im strammen Schritt ihres Weges. Sie musste den Jungen einfach abfangen, bevor er einen großen Fehler beging.

      Mit einem Strauß Blumen in den Händen ließ sie sich auf der nächstbesten Bank nieder, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Lokals lag, in dem Bench gerade sein Unwesen trieb. Wer den unscheinbaren Studenten nicht kannte, würde nicht vermuten, dass er in dem Nobelrestaurant dinierte, auch die sanfte Note des Schweißes ließ nicht darauf schließen, wodurch Mirai der Annahme war, dass ihr Schwarm am arbeiten war. Wie lange sie noch warten musste, um ihn abzufangen, wusste sie nicht, aber jede einzelne Stunde wäre es ihr wert gewesen.

      Als nach einiger Zeit der junge Mann über die Türschwelle kam, erhob sich die Frau mit der schwarzen Mähne von ihrem Platz und hob winkend einen Arm in die Lüfte. Mit ihren Fingern fuhr sie zwischen die bunten Blumen, die im satten Gelb und Orange erstrahlten, und zupfte eine einzelne aus dem Strauß, um sie Benjamin zu reichen. “Hier für dich.” schenkte sie ihm eines ihrer warmen Lächeln, die einem wie das Ankommen nach einer langen Reise vorkam. “Die restlichen Blumen sind aber für Markes.” ließ sie ihn sogleich wissen und kündigte damit auch ihre Absichten an. “Ich dachte, wir könnten ihn kurz besuchen gehen und ihm Blumen vorbeibringen. Dann wird er sicherlich schnell gesund. Der Duft von Blumen ist doch um einiges schöner als das triste Krankenhaus, das nur nach Desinfektionsmittel riecht.” mit einem sanften Nicken und einem Lächeln auf den Lippen hoffte sie auf die Kooperation des Jüngeren. Auf dem Weg könnte sie das Gespräch mit ihm suchen und die Karten auf den Tisch legen - all in!

      Auch wenn es viel zu verarbeiten war, ausgesprochen zu hören, dass sie nicht von menschlicher Natur waren, so war es ihr wichtig, ihrem Gegenüber persönlich zu erklären, was es mit ihr auf sich hatte, bevor er es sich selbst zusammenreimte. Sie war friedlich, so viel wusste er und davon wollte sie ihn weiterhin überzeugen. Jahre lang lebten sie im Einklang mit den Menschen, nährten sich von Blutspenden und Tierblut, um nicht das Blut unschuldiger an ihren Händen zu wissen. All das musste doch seinen Sinn haben, es konnte nicht alles umsonst gewesen sein, wenn sie wieder nur als Monster galten. Die nötige Zuversicht traute sie Benjamin zu und wenn alle Stricke reißen würden, müsste Jagos Talent ein erneutes Mal herhalten…Doch diese eine Chance…Diesen kleinen Funken Hoffnung, wollte sie ihm gewähren…

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      Während Mirai ihr ganzes Herz in diese Aktion steckte, bemerkte keiner der weiteren Vampire, dass einer unter ihrem Dach fehlte! Die stählernen Ketten waren von den Kräften eines Vampirs nicht zu durchbrechen und selbst wenn, würde die schwere Eisentür den Weg nach draußen versperren, doch für Sierra schienen diese Faktoren keinen Abbruch zu leisten. Ein hungernder Blutsauger war unberechenbar…

      In den selben Klamotten des Vorabends, dem enganliegenden Kleid, dass in seinem silbrigen Schein ihren Augen glich, erschien sie in der Dunkelheit der Nacht, verborgen in den tiefen des Stadtparks, wo Rikun auf seinen Freund wartete. Ihrer Schönheit leistete der Hunger keinen Abbruch, auf ihrer blassen Haut hatte sich lediglich ein leicht gräulicher Kranz unter den Augen abgesetzt. “Tut es sehr weh?” erklang ihre sanfte, aber selbstbewusste Stimme hinter dem Milliardär. “Natürlich könnte ich den Fakt meinen, dass dir nun bewusst ist, dass du niemals eine Chance gegen mich haben wirst, aber…" mit einer Leichtigkeit umspielten die Worte ihre Lippen, als würden die beiden noch immer ein elegantes Tänzen führen, doch schnell wurde ihr Ton wie auch ihre Miene ernster, als sie erneut zu sprechen begann. “Deinen Rücken meine ich…” etwas beschämt wandte die Blondine ihren Blick zur Seite. Egal welche Spielchen die beiden trieben, ein Monster war sie nicht und Rikun zu verletzen lag nicht in ihrem Interesse, zumindest noch nicht…
      A heart's a heavy burden.

    • Die letzten Gäste verließen das Restaurant und nachdem die Lichter gedimmt wurden, wusste der Goldjunge, dass seine Schicht endlich vorüber war. Erschöpft zog er seine Schürze aus und ließ sich auf einen Stuhl fallen, um seine müden Füße auszuruhen. Ein erleichterter Seufzer entwich ihm, als er daran dachte, dass ein weiterer anstrengender Arbeitstag endlich geschafft war. Doch bevor er das Restaurant verlassen konnte, gab es noch einige Aufgaben zu erledigen. Zunächst musste er sicherstellen, dass alle Tische abgewischt waren und für die morgige Schicht glänzten. Sorgfältig nahm er einen Lappen und begann jeden Tisch abzuschrubben und die Stühle wieder an ihren Platz zu stellen. Anschließend überprüfte er, ob die Speisekarten ordentlich sortiert waren und begann damit, den Boden zu wischen, bis das gesamte Restaurant sauber und glänzend war.
      Sein nächster Halt war die Küche, um sich bei den Köchen zu bedanken und sicherzustellen, dass sie keine zusätzliche Hilfe benötigten. Während er zuschaute, wie die Köche die Küche aufräumten und die Geräte putzten, machte er sich auf den Weg zur Theke, um seine Abrechnung zu erhalten. Bench konnte es kaum erwarten, sich mit seinem besten Freund zu treffen. Er hatte sich sehr dafür interessiert, was es mit der Textnachricht auf sich hatte, die ihm zuvor geschickt worden war. Der Geheimspot, an dem sich die Jungs gelegentlich trafen, war nur für äußerste Notfälle reserviert. "Hoffentlich steckt er nicht in Schwierigkeiten mit der Vampirfamilie..", grübelte er besorgt. Als der Kellner schließlich seine Abrechnung in den Händen hielt, begab er sich zum Umkleideraum, um seine Arbeitskleidung auszuziehen und sich in seine Straßenkleidung zu kleiden. Beim verlassen des noblen Restaurant, spürte er die kühle Nachtluft auf seiner Haut und atmete tief durch. Der Gedanke an die bevorstehende Nacht brachte ihm ein Lächeln auf die Lippen. Obwohl er müde war, war er auch aufgeregt für das, was noch kommen würde.

      Zu seiner Überraschung stand die wunderschöne Schwarzhaarige gegenüber seines Arbeitsplatzes, die ihn winkend in Empfang nahm. Sein Herz schlug schneller vor Freude, als er sie sah. Er hatte nie damit gerechnet, dass sie zu dieser späten Stunde den weiten Weg auf sich nahm, um ihn unangekündigt zu besuchen. Doch die Freude wurde schnell von einem bitteren Beigeschmack überschattet. Wie hatte sie ihn gefunden? Niemand außer seinem engsten Freund wusste, wo er arbeitete. Bench war misstrauisch und fragte sich, ob Rikun nicht auf seinen Rat gehört hatte und von der Familie erwischt worden war. "Bin ich der nächste auf der Liste?", fragte sich der Kellner besorgt.
      Für einen flüchtigen Moment spielte Bench mit dem Gedanken, in einem der Seitengänge zu verschwinden. Doch als Mirai ihm mit einem bezaubernden Lächeln eine Blume vor das Gesicht hielt, verschwanden all die negativen Gedanken in einem Zug. Seine Wangen erröteten und er lächelte beschämt, als er die Geste dankend annahm. "Vi..Vielen Dank!", stammelte er. Der Glückspilz schämte sich, ihre Absichten für einen Moment falsch interpretiert zu haben. "Sie ist perfekt!", dachte er sich, als er erkannte, wie viel Glück er hatte, von einer so wunderschönen Frau mit einer Blume nach einem harten Arbeitstag begrüßt zu werden.

      "Wow, du bist wirklich beeindruckend!", rief Bench voller Bewunderung aus. "Obwohl du und Markes nie wirklich miteinander warm geworden seit, hast du dich dafür entschieden ihn mit mir zu besuchen.", für einen Moment dachte er an seinen Anführer, der allein im Park auf ihn wartete. Es wäre gefährlich, ihn mit der Vampirin an seiner Seite aufzusuchen, insbesondere wenn die Familie davon Wind bekäme und herausfinden würde, dass er beabsichtigte, vor seinem Anführer die Wahrheit zu enthüllen. In diesem Fall wären sie beide in Gefahr. Außerdem konnte er es nicht übers Herz bringen, seinem Schwarm nicht zu begleiten, nachdem sie ihn extra von der Arbeit abgeholt hatte. "Gute Idee! Die Blumen werden ihm bestimmt Freude bereiten und wer weiß... vielleicht werdet ihr danach die besten Freunde", scherzte der schüchterne junge Mann und versuchte so, die angespannte Stimmung zu lösen. "Das Krankenhaus ist ungefähr 15 Minuten in diese Richtung", erklärte er und deutete mit seinem Zeigefinger auf die Straße, die direkt zum Ziel führte. Während sie sich auf den Weg machten, fragte sich Bench immer noch, wie sie ihn hatte finden können. "Hey, ich will nicht undankbar klingen, aber... wie hast du herausgefunden, wo du mich finden konntest? Nur Rikun weiß, wo ich arbeite, und ich habe euch beide noch nie ein Wort miteinander wechseln sehen", wandte er sich mit unsicherer Stimme an Mirai, die an seiner Seite spazierte.

      ______

      In ungeduldiger Erwartung wippte der Schwarzhaarige mit dem rechten Fuß und wartete auf seinen Kameraden, der den Ernst der Situation offensichtlich nicht begriff, da er noch immer lange nach Feierabend nicht erschienen war. Der Milliardär hatte ihn bereits mehrfach kontaktiert, doch stets wurde er von einer schneidenden Mailbox empfangen, die ihn aufforderte, eine Nachricht zu hinterlassen. Der Blick des Schwarzhaarigen wanderte unbehaglich zu dem Porträt der ehemaligen königlichen Familie aus dem 19. Jahrhundert, deren Ausdruck keine Spur von Alterung zeigte. Noch immer konnte er nicht fassen, dass die Blondine, die er so leidenschaftlich begehrte, keine menschliche Natur besaß und gestern beinahe über ihn hergefallen war. Manchmal konnte er sein eigenes "Glück" nicht fassen..

      Gerade als der junge Mann sich von der Parkbank erhob, auf der er die letzte halbe Stunde wartend verbracht hatte, um sich auf den Heimweg zu machen, erklang unvermittelt eine weibliche Stimme in seiner unmittelbaren Nähe, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Langsam drehte der Protagonist seinen Körper in die Richtung der Stimme, um sicherzugehen, dass seine Ohren ihm keinen Strich spielten. Tatsächlich stand die betörende Schönheit in genau demselben Aufzug vor ihm wie bei der Party, auf der er sie zuletzt gesehen hatte. Sein Herz begann vor Aufregung zu pochen und ein stechender Schmerz durchzog seinen Rücken beim Anblick des Vampirs. Wie gewohnt ließ sich Rikun jedoch nichts von seiner inneren Unruhe anmerken. Nur das Solospiel seines Herzens verriet die Nervosität, die er bei der Begegnung mit der Blondine im Park unter dem Mantel der Dunkelheit empfand.
      Die beiden Fragen, die ihm durch den Kopf jagten, waren, wie zur Hölle sie ihn in diesem abgeschiedenen Ort aufgestöbert hatte und warum sie ihn zu solch später Stunde besuchte. "Hat sie von meiner Entdeckung erfahren?" flüsterte er fast unhörbar, als er sein Smartphone schnell und leise in der Innentasche seines Sakkos verschwinden ließ. Auf dem Display war bis eben noch das Porträt ihrer Familie zu sehen gewesen, aber er erinnerte sich nur allzu gut an den letzten Vorfall, bei dem die Vampirin ohne Vorwarnung nach seinem Handy gegriffen hatte. Ein Fehler wie dieser könnte hier tödlich enden. "Es ist unmöglich, dass sie davon erfahren hat. Dafür müsste sie meine Gedanken gelesen oder sich im Haus meines Vaters aufgehalten haben, als ich in dem Buch blätterte", dachte der Schwarzhaarige angestrengt nach. "Sie ist bestimmt hier, um die Aktion zu beenden, die sie gestern im Garten begonnen hat.", schlussfolgerte er schließlich. Er war sich bewusst, dass er seine Karten perfekt spielen musste, um unversehrt aus dieser Situation herauszukommen. Weglaufen war keine Option für ihn und passte sowieso nicht zu seinem Stil. Wenn er gehen müsste, dann mit Würde und seinem Ego intakt. Mit einer selbstbewussten Miene trat er auf sie zu, genau wie bei ihrem ersten Treffen in der Bibliothek. "Erneut treibst du dich nachts an Orte rum, an denen eine so hübsche junge Frau wie du zu dieser Stunde nichts verloren hat. Ich habe dir doch schon beim letzten Mal demonstriert, wie gefährlich es für dich enden kann", doch er spürte, dass er alleine mit ihr an diesem Ort, wo keine Augen sie beobachteten, in Gefahr schwebte. Er vermisste schmerzhaft seine Ignoranz, die ihn bisher, wie ein Schild von ihrer Natur beschützte.

      "Von welchen Schmerzen sprichst du?", entgegnete er mit betonter Ruhe, als er seine Arme ausbreitete und seine Unverwundbarkeit symbolisierte. "Ich bin der mächtigste Erbe dieses Landes. Niemand kann es mit mir aufnehmen. Besonders nicht eine kleine, freche Göre wie du", fügte er hinzu, während er sie langsam und in sicherer Entfernung umkreiste, um nicht erneut ihrem eisernen Griff zu verfallen. Seine Taktik war simpel: wie ein Tier imponieren, das sich größer und gefährlicher machte als es war, um sein Raubtier einzuschüchtern und die Oberhand zu gewinnen. "Ich bin mir zwar nicht sicher, was dein Ziel hier ist, aber wenn du nicht hier bist, um unter dem romantischen Mondlicht einen zarten Kuss zu teilen, dann verschwendest du deine Zeit", fügte er mit unverschämtem Ton hinzu. Noch einmal musterte er Sierra's Gesichtszüge und war verblüfft darüber, dass sie nach all den Jahrzehnten keinen Moment gealtert zu sein schien. Nur ihr grauer Kranz fiel dem jungen Mann ins Auge und war der einzige Unterschied zwischen der heutigen Vampirin und der jungen Frau auf dem Porträt. "Ist das der Grund, warum sie heute nicht zu den Vorlesungen erschienen ist? Aber warum würde sie, wenn sie krank ist, nachts hier im Park auftauchen?", fragte er sich verwundert über die seltsamen Adern unter ihren Augen. Trotz der verwirrenden Situation konnte er nicht leugnen, wie attraktiv sie auf ihn wirkte. Ihr scharfer Blick und die eleganten Bewegungen machten ihn nervös und fasziniert zugleich. Er wusste, dass er sich vor ihr in Acht nehmen musste, aber er konnte dennoch nicht umhin, von ihrer Schönheit angezogen zu werden. War das die Ambivalenz die man bei Vampiren verspürte? Sie waren verführerisch und gefährlich zugleich, und Sierra war keine Ausnahme.


      "Loneliness has followed me my whole life, everywhere." - Taxi Driver
    • Der Betrieb im Lokal schien schon eine Weile zur Ruhe gefunden zu haben. Die wenigen Gäste zur späten Stunde verabschiedeten sich, traten einer nach dem Anderen über die Schwelle, doch von dem Schönling mit braunem Haar war weit und breit nichts zu sehen. Seine Duftnote war nicht zu leugnen und die Geduld der Schwarzhaarigen, die selbst bei dem wechselnden Himmelsspektakel noch seelenruhig auf der Bank verweilte, zahlte sich schließlich aus. Benjamin war so gut herzig, das Strahlen, dass sich von einem Mundwinkel bis zum nächsten zog, schien aufrichtig. Mit einer angenehmen Wärme begrüßten sie sich, ehe sie den 15-Minütigen Weg auf sich nahmen.

      In ihrer Bewegung, inne haltend, kam Mirai auf ihrer Route zum nahegelegenen Krankenhaus zum Stehen. Die Fragen des Braunhaarigen waren angebracht, hinter Bench versteckte sich ein kluger Kopf, der wusste, welche Fragen er zu stellen hatte, um der Vampirin auf den Grund zu gehen.
      Seufzend wandte sie den Blick gen Himmel, grübelte für eine Sekunde über die Worte, von denen sie bereit war, sie auszusprechen, doch die Angst vor seiner Reaktion ließ ihre Knochen erzittern. Mit Knien so weich wie Pudding und völlig verunsichert von ihrer mutigen Entscheidung, überkamen Mirai nun doch die Zweifel, ob sie ihren Gefühlen so leicht klein bei geben sollte. Der Abend legte sich in den verschiedensten Farbtönen über den Horizont, erleuchtete die Nacht ein letztes Mal in Orange, bevor die Sonne sich gänzlich verabschiedete. Noch nie zuvor hatte Mirai einem Menschen so schnell und leichtfertig ihr Innerstes offenbart. Was, wenn sie einen riesigen Fehler beging und dem Jungen fälschlicherweise Toleranz zusprach, die er nicht aufbringen konnte? Leonardo hatte sie vor ihm gewarnt…Wäre es besser, dieser Warnung nachzukommen?

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      Die Szene im spärlich beleuchteten Teil des Parkes nahm ihren gewohnten Lauf. Das Spiel von Katz und Maus, in dem sich die beiden Milliardäre bereits als Meister erwiesen hatten. Augenrollend schüttelte Sierra ihren blonden Schopf und konnte sich das Schmunzeln, das sich auf ihre dunkelroten Lippen legte, nicht verkneifen. Wie töricht von ihr zu glauben, dass der noble Herr sich auch nur den kleinsten Funken an Schwäche eingestehen würde. Selbst im verlassenen Park, wo die beiden Gestalten in der Nacht die einzigen Menschenseelen weit und breit waren, hielt Rikun es noch immer für den richtigen Ansatz, Überlegenheit auszustrahlen. “Du hast heute meinen Vater kennengelernt.” stellte die Blondine fest, statt es in Frage zu stellen und erinnerte den Jungen an die Begegnung zum früheren Zeitpunkt des Tages. Den Hauch einer Verwirrung auf seinen Zügen ignorierte sie vorerst, da der Sinn dieser Feststellung sich noch früh genug offenbaren würde.

      “Weißt du, ich bin nicht sonderlich ein Fan von Fantasy-Romanen. Meiner Meinung nach stellen sie die Fakten viel zu verzerrt dar und vermitteln dieses..” Ein tiefer Atemzug entwich ihrer Lunge, während sie nach einem passenden Ausdruck suchend in die obere rechte Ecke ihrer Augenhöhlen schielte. “...unwirkliche Bild.” beendete Sierra ihren Satz, ohne sich nach dem Mann umzudrehen, der seine Kreise zog. Stattdessen erschien sie in Windeseile unmittelbar vor ihm, blickte ihm direkt in seine violetten Augen und war dabei nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Die Brise, die sie mit ihrer vampirischen Geschwindigkeit aufgewirbelte, zog an seinen kurzen Haarsträhnen vorbei und hinterließ auch bei der Blondine eine voluminöse Matte. Die übernatürlichen Fähigkeiten noch länger zu verschweigen, stellte sich weniger Sinnvoll heraus, da der Schwarzhaarige bereits auf den Geschmack gekommen war. Vergnügt zierte ein diabolisches Lächeln ihr auf Ewig junges Gesicht, während sie das Antlitz ihres Gegenübers betrachtete. Erstaunlich wie gekonnt ein menschliches Wesen seine innere Gefühlswelt unter Verschluss halten konnte. Rikun ließ es so leicht aussehen und würde sein aufgeregt springendes Lebensorgan ihn nicht verraten, hätte Sierra ihm sein Auftreten sogar abgenommen. “Auch wenn dein Tänzchen mich sehr amüsiert, schaue ich dir doch lieber in die Augen.” hauchte sie Rikun entgegen und dachte keine Sekunde daran, ihn nochmal aus ihrer Sichtweite zu lassen. Im Rausch seines steigenden Pulses legte sie den spitzen Nagel ihres Zeigefingers an sein Kinn, um es leicht zu heben. “Ein Kuss ist wirklich, wonach du dich gerade sehnst? Nicht etwa ein Dolch oder die Möglichkeit, die Flucht zu ergreifen?” Ihre Aufmerksamkeit lag auf seinen Lippen, denen die Frau gerne etwas Feuchtigkeit gespendet hätte, nicht weil sie spröde waren - im Gegenteil, das verführerische Rosa lud jede Frau ein, die Distanz zwischen ihnen zu schließen - sondern weil auch die Vampirin sich in der Frage verlor, wie er wohl schmecken würden.

      “Leonardo ist ein toller Mann, guter Vater und vor allem ein hervorragender Gedankenleser. Nur leider sind die Wände dünn, selbst unten im Keller und so bin ich in den Genuss von Informationen gekommen, die vermutlich nicht für mich vorgesehen waren.” Die Spannung zwischen ihnen auf ein anderes Thema zu leiten, war ein verzweifelter Ansatz, bei sich zu halten, statt dem Durst, der sich erneut wie ein Schleier vor ihre Augen legte, nachzugeben.
      “Du kennst unser Geheimnis und so bemüht, wie du das Handy weggesteckt hast, würde es mich nicht wundern, wenn du es bereits verbreitet hättest. Darf ich?” Die Frage war rein formeller Natur und kaum eine tatsächliche Bitte um Erlaubnis, denn bevor Rikun überhaupt eine Reaktion zeigte oder gar aussprach, wanderte ihre Hand schon in seine Hosentasche. Provokant und den Blickkontakt nicht unterbrechend, verweilte sie einen Moment in der Position, bevor sie letztlich das Handy zückte. Statt die Nachrichten zu überprüfen, würdigte Sierra dem Ding keinerlei Aufmerksamkeit, hielt es dem Mann lieber hin, damit er es selbst in die Hand nehmen konnte. “Wollen wir der Scharade nun ein Ende setzen?” gab sie ihm die letzte Chance, sein aufgeblasenes Verhalten einzustellen und ihr auf Augenhöhe, statt weiterhin von oben herab zu begegnen.

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      "Sierra war heute nicht in den Vorlesungen, weil es ihr… Sie ist zurzeit nicht ganz bei sich." begann sie das Gespräch noch immer verunsichert von der Wortwahl, die sie treffen sollte. Ihr Blick suchte den seinen. Das loyale Gold-Braun hatte nichts zu verbergen, wollte nicht verbergen, nicht vor ihm. Ein Teil von ihr wollte sich dem Studenten öffnen, ihn in die dunkelsten Geheimnisse einweihen, doch die Unsicherheit fuhr Mirai tief ins Mark. Sprachlos sah sie ihn an, scannte jeden einzelnen Zentimeter seiner makellosen Haut. Keine Spur der Offenbarung war in seinen Zügen abzulesen. Wie sehr sich Mirai wünschte, mit Leonardo die Kräfte tauschen zu können. In Momenten wie diesen kamen ihr die eigenen Fähigkeiten unheimlich nutzlos vor. Kopfschüttelnd verabschiedete sie all die Gedanken, um Sierras Abwesenheit zu begründen und schlug eine andere Richtung ein.

      Mutig den Entschluss gefasst setzte sie einen weiteren Schritt, um die wenige Distanz zwischen ihnen nichtig zu machen. "Spürst du das?" fragte Mirai schüchtern, während ihre Stimme nichts als einem sanften Windhauch ähnelte und ihre Hand die ihres Gegenübers ergriff. Natürlich bezog sich die Frage nicht auf die Wärme, die bei Körperkontakt entstand, sondern auf die Emotionen, die sie mit Benjamin zu teilen versuchte. Ein zierlicher Flügelschlag eines Vogels, der gerade das Fliegen lernte, ein Schmetterling, der frisch aus dem Kokon schlüpfte und die Freiheit der sich ausbreitenden Schwingen genoss, der Rausch einer elektrischen Energiequelle, die in den Fingerspitzen zu Kribbeln begann und anschließend jede Faser des Körpers durchwanderte. "So fühle ich mich, in deiner Nähe. Gruselig, aber aufregend. Wie der aufgeregte Herzschlag eines kleinen Kindes am Weihnachtstag." lief ihr ein Lächeln über die Lippen, während ihr Blick auf ihre ineinander gefalteten Hände lag. Erst jetzt hob sie ihren Schopf, sah ihm direkt in diese unvergesslichen Seelenspiegel.
      "Ich würde dir niemals etwas antun." Das war das erste, was ihr hinsichtlich ihrer wahren Natur über die Lippen kam. Wieso es ausgerechnet diese Aussage sein musste, konnte sie sich selbst nicht erklären. Mirai dachte nicht, dass Bench sie fürchten würde. Ihr reines Wesen konnte keiner Fliege was zuleide tun, das wusste er, oder? "Wir sind keine normalen Menschen…" Die immer leiser werdende Stimme sprach tatsächlich aus, was Mirai für Ewigkeiten unter Verschluss gehalten hatte.
      A heart's a heavy burden.

    • Die Frage brannte wie ein heißes Eisen auf den Lippen des gutherzigen Mannes und in dem Moment, als er sie aussprach, überkam ihn ein Schwall von Schuldgefühlen. Er zweifelte an der Notwendigkeit, die unangenehme Frage in den Raum geworfen zu haben und fragte sich, ob er nicht besser geschwiegen hätte. Auf der anderen Seite konnte das fleißige Bienchen nicht vorsichtig genug sein, nachdem er die wahre Natur der Milliardären im Garten des Anwesen zu Gesicht bekam. Vorsichtig blickte er rüber zu der jungen Frau an seiner Seite, um ihre Reaktion auf seine Frage zu erfassen. Das Gewicht der Frage schien in ihrem Gesicht geschrieben zu stehen und Bench bemerkte, wie sie damit kämpfte, eine passende Antwort zu finden. Ihm fiel in der Situation auf wie leicht es war die Gedanken und Gefühle der Frohnatur nachzuvollziehen. In diesem Moment erkannte Bench, dass die junge Frau eine ganz besondere Persönlichkeit war. Sie zeigte ihre Gedanken und Gefühle, wie ein offenes Buch, und das war ein Charaktermerkmal, das Bench zutiefst bewunderte. Denn in einer Welt, in der jeder versuchte, seine wahren Absichten zu verbergen und zu manipulieren, war es erfrischend, jemanden zu treffen, der so aufrichtig war wie Mirai.

      Bench spürte, wie sich ihr zierlicher Körper an ihn schmiegte und ihre Hand in seine legte. Ihr Körperkontakt hinterließ ein prickeln auf seiner Haut und seine Wangen glühten vor Nervosität. Schnell verflogen die eigenen Emotionen als eine Welle von Energie durch seine Adern floss und seinen Körper durchdrang. Ihr flüsternder Tonfall und ihre vage Frage nach den Empfindungen, die sie miteinander teilten, entzogen sich seiner rationalen Wahrnehmung. Stattdessen verband sich das Gefühl, das er in ihrer Gegenwart empfand, mit einer Art aufsteigender elektrischer Energie, die durch seine Adern pulsierte und seinen Körper mit einem Kribbeln überzog. Es war ein berauschendes Gefühl, das ihn sowohl erregte als auch beunruhigte. Die intensiven Empfindungen die Mirai versuchte mit dem Studenten zu teilen, ähnelten stark die der eigenen in der Anwesenheit seiner Traumfrau. Er gewann ein tiefes Verständnis über sie nachdem sie ihm einen Einblick in ihr wahres Inneres gewährte. Er verstand zwar in dem Moment nicht wie die Schwarzhaarige in der Lage war ihre Emotionen mit ihm zu teilen, aber die Ungewissheit die ihn seit der Entdeckung des Geheimnisses der de las rosa plagte, waren wie weggeblasen. Ihr reines Wesen war unverkennbar, und er wusste, dass er ihr gegenüber keine Angst mehr haben musste. Er sah sie nun in einem ganz anderen Licht. Nichts konnte seine Einstellung gegenüber ihr mehr ändern, auch nicht die Worte, die die schüchternde Dame im Anschluss über die Lippen verlor. Auf ihre Aussage antworte der junge Mann nicht mit Worten sondern mit einem leidenschaftlichen Kuss.

      Er legte seine freie Hand auf ihre Wange und zog sie sanft zu sich heran, seine Lippen schwebten über ihren. "Ich liebe dich", ein Atemzug später waren sie vereint, die Welt um sie herum verschwand und es gab nur noch sie. Ihre Lippen waren weich und sanft, und er spürte Mirais Erregung, als sie sich ihm hingab. Ein warmes Gefühl durchströmte ihn, als er ihre Lippen erwiderte und seinen Arm um ihre Taille legte, um sie noch näher an sich heranzuziehen.
      Der Kuss war voller Leidenschaft und Sehnsucht, ein Ausdruck ihrer tiefen Verbundenheit und des Verständnisses, das sie füreinander empfanden. Es war ein Moment der Magie, in dem die Zeit stillzustehen schien und die Welt um sie herum unwichtig wurde. Ihre Zungen verflochten sich spielerisch und es war, als ob ihre Herzen im gleichen Takt schlugen.

      Als sie sich schließlich voneinander lösten, blieb ein Gefühl der Erfüllung und des Friedens zurück. Ein Lächeln spielte auf Benchs Lippen, als er ihr in die Augen sah und eine tiefe Verbundenheit zwischen ihnen spürte. Sie hatten den Anfang einer wunderbaren Reise gemacht, eine Reise, die sie gemeinsam gehen würden trotz ihrer unterschiedlichen Natur. "Ich vertraue dir", versicherte er der Schwarzhaarige, die soeben ihr tiefstes Geheimnis mit ihr teilte.

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      Die Taktik des jungen Mannes schien anfangs zu funktionieren. Er hatte die nächtliche Dame durch seine meisterhafte Schauspielkunst in seinen Bann gezogen. Seine zögerliche Selbstsicherheit, die er durch geschickte Kreisbewegungen demonstrierte, hielt die Vampirin regelrecht gefangen. Der junge Mann dachte bereits an den bevorstehenden Triumph und grinste selbstgefällig vor sich hin. Er wusste, dass er auf seine Fähigkeit, die Oberhand zu behalten, vertrauen konnte. Mit einer einzigen Aussage durchbrach sie seine Gedankenströme mit einer Äußerung, die ihn abrupt aus dem Takt brachte. Sie hatte ihm mitgeteilt, dass der junge Milliardär heute dem Vater der Vampirfamilie gesichtet hatte. Sein Verständnis dafür, inwiefern der Vater eine Rolle in der gegenwärtigen Situation spielte, blieb ihm zunächst verschlossen. Dennoch erinnerte ihn allein die Vorstellung des Vaters an das unheimliche Gefühl, das ihn beim ersten Anblick des Oberhaupts überkommen hatte. "Ist das ihr lächerlicher Versuch, mich einzuschüchtern, indem sie mit ihrem Vater droht?", fragte er sich verwirrt. Bevor er seiner Vermutung auf den Grund gehen konnte, indem er die Dame zur Rede stellte, ereignete sich etwas, das ihn vollkommen aus der Fassung brachte. Kaum hatte er seine Augen von Sierra abgewendet, war sie wie vom Erdboden verschluckt. Der Abend im Park war ungewöhnlich windstill, doch plötzlich spürte er eine leichte Brise, die sein Gesicht streifte. Mit pochendem Herzen und einem Gefühl der Unruhe in der Brust drehte er sich langsam um, um der Windböe auf den Grund zu gehen. Als er seinen Blick nach vorne richtete, erstarrte er für einen Moment: Dort stand sie, die Blondine, die eben noch einige Meter entfernt gestanden hatte, war nun wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er sich fragte, wie sie sich so schnell und lautlos näherte. Eine Panik erfasste ihn, als er den vollkommen veränderten Ausdruck auf ihrem Gesicht bemerkte. Es war, als hätte sie endlich ihre Maske abgeworfen und ihm ihr wahres Ich enthüllt - ein gefährliches Wesen, begierig darauf, Blut zu vergießen und sich daran zu ergötzen. Adrenalin schoss durch seinen Körper und sein Herz raste bis zum Hals. Er versuchte, ruhig zu bleiben und seine Kühle zu bewahren, aber die Angst und Panik, die er in diesem Moment verspürte, waren von einem Ausmaß, das er nicht kontrollieren konnte. Der junge Mann zeigte zum ersten Mal mit seinen weit aufgerissenen Augen, wie sehr er sich vor der Blondine fürchtete. Ein kalter Schauer lief ihm über den Nacken und Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Dem Schwarzhaarigen wurde in diesem Moment klar, dass er ihr ausgeliefert war und wenn sie sich dazu entschied, sich an ihm zu vergreifen, würde er sich der Dame ausgeliefert sehen.

      Die Dunkelheit umgab den jungen Mann und die Vampirin wie eine undurchdringliche Mauer, die jegliches Licht und jede Hoffnung auf Flucht zu ersticken schien. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, während er nach einer Möglichkeit suchte, aus dieser aussichtslosen Situation zu entkommen. Die Antwort auf die Frage, wie er sich aus der Gewalt der Vampirin befreien konnte, blieb ihm verwehrt. Der junge Mann war vollkommen verwirrt von ihrer Erzählung. "Was meint sie mit Gedankenleser und dem Keller?", er konnte ihre Worte einfach nicht in einen sinnvollen Zusammenhang bringen. Doch als er den Farbwechsel in ihren Augen erblickte, erkannte er, dass es besser wäre, nicht weiter nachzufragen. Ihre Augen waren wie die Dunkelheit selbst, und er fühlte, wie sein Körper von einer unerklärlichen Furcht ergriffen wurde. Er konnte ihre Absichten nicht durchschauen, und das machte ihn noch unsicherer. Als sie ihn erneut anlächelte, spürte er die Grausamkeit in ihrem Blick. Es war ein Lächeln, das ihm zeigte, dass sie ihn als Beute betrachtete und bereit war, ihn zu jagen. Die Luft schien schwerer zu werden, als die Vampirin das Handy aus seiner Hosentasche zog und in die Hand nahm. Ihr finsteres Grinsen schien breiter zu werden und der junge Mann konnte beinahe hören, wie sich sein Herzschlag beschleunigte und seine Kehle austrocknete. Er fragte sich, wie sie auf das gespeicherte Familienporträt und die Nachricht an seinen loyalen Goldjungen reagieren würde, falls sie sich dazu entschied den Inhalt seines Smartphones zu durchsuchen. Eine Ahnung von Hoffnungslosigkeit ergriff ihn und seine Hände begannen zu zittern. Seine Halskehle zog sich zusammen, als Sierra ihm unmissverständlich deutlich machte, alle Karten auf den Tisch zu legen. Sie hielt ihm das Handy hin und er wusste, dass er keine andere Wahl hatte. "Du darfst mir nichts antun.", stammelte er verzweifelt. "Ich bin der mächtigste Erbe des Landes.", er trat vorsichtig einen Schritt zurück, um die Distanz zwischen ihnen zu vergrößern. "Wenn mir etwas zustoßen sollte", sagte er langsam und bedächtig, "dann wird euer Geheimnis der Welt offenbart werden und ihr werdet von allen gejagt. Wenn ich mich morgen nicht bei meiner Vertrauensperson melde, wird sie den Führern des Landes von euch erzählen und Beweise vorlegen." Der Milliardär versuchte mit dieser Lügengeschichte, sich Spielraum zu verschaffen und Sicherheit zu gewährleisten. Seine zittrige Stimme verriet jedoch seine Angst vor der bedrohlichen Lage. Zweifelnd an der Glaubhaftigkeit seiner eigenen Geschichte, entschied Rikun sich für die Flucht, obwohl er Augenzeuge des Schauspiels ihrer übermenschlichen Fortbewegung war. Mit einem flinken Dreh seiner Körperachse, setzte er sich in Bewegung und rannte los. Seine Beine fühlten sich schwer an und seine Lungen brannten vor Anstrengung, während er durch den Park rannte. Mit ängstlichem Blick über die Schulter, erkannte er, dass sie immer noch an derselben Stelle stand, ihr Gesichtsausdruck von entzückender Faszination geprägt. Er wusste, dass er schneller laufen musste, um der Vampirin zu entkommen. Er sprintete weiter und kämpfte darum, sich von ihr zu distanzieren. Schließlich schaffte er es, sich inmitten der dichten Bäume und Sträucher zu verstecken und sich vor ihr zu verbergen.


      "Loneliness has followed me my whole life, everywhere." - Taxi Driver
    • Sowie sich ihre weichen Lippen vereinten, schlug die zuvor sanft lodernde Flamme zwischen ihnen endgültig über und Mirai wusste, dass es nun kein Zurück mehr gab. Jede Faser ihres Körpers erbebte unter den Berührungen des so zartbesaiteten, der ihr sogleich die Liebe schwor. Es war der Dunkelhaarigen egal, dass jeder andere es an den Haaren herbeigezogen fände, so früh von so einer tiefen Verbindung zu sprechen, denn ihrem schneller tanzenden Herzen ging es ebenso, vor allem nach seinem Geständnis. Erleichtert entwich ihr ein freudiger Atem, der ihr eine Sekunde lang ein Lächeln aufs Gesicht zauberte und das Gold die Augen ihres Traumes fand, ehe die geschlossenen Lider wieder den Fokus auf andere Sinne lehnten. Benjamin war sanft, als hielte er ein zartes Blümchen in den Händen, ein zerbrechliches kleines Ding, deren Blüten bei zu starkem Ausatmen davon jagen würden, dabei versteckte sich hinter der Vampirin wohl die Robusteste Frau, die er jemals in seinem Leben begegnen würde. Immer wieder löste Mirai den Kuss, um heiser nach Luft zu ringen und dabei über beide Ohren zu strahlen. Noch nie zuvor hatte ein Mensch solche Gefühle in ihr ausgelöst und flüchtig erwischte sie sich in Sorge darüber, ob Bench dem Gefühlschaos bei jeder einzelnen Berührung zusätzlich zu seinen eigenen Empfindungen überhaupt gewachsen sei. So schön ihre Fähigkeit war, so anstrengend könnte sie nun auch für den Braunhaarigen werden. "Sag, wenn es dir zu viel wird." hauchte sie zwischen all den Küssen, ohne auch nur daran zu denken, sich von diesem Rausch, der all ihre Sinne einnahm, abzuwenden. Wieso hatte dieser unscheinbare Junge solch eine Wirkung auf das Wesen der Nacht? So viele Fragen, auf die Mirai keine Antwort brauchte, um zu wissen, dass ihr jeder Einwand egal wäre. Keine Sierra, kein Leonardo würde sich zwischen sie stellen können, dafür war es nun zu spät. Die Vampirin würde nicht zulassen, ihn zu verlieren, geschweige dessen, dass ihm etwas zustoßen würde. Verkehrt war es nicht ein mächtiges, übernatürliches Wesen auf seiner Seite zu wissen, statt es zum Feind zu haben. An den Strauß Blumen, den die kleine Frau für den Patienten geholt hatte, konnte sie schon längst nicht mehr halten. Die bunten Blüten von Orange und Gelb, gespickt mit einigen Blatt Grün, lagen ihnen zu Füßen, nachdem sie ihren zittrigen Fingern entglitten waren, um ihre Arme um den Hals des Größeren zu werfen. Um nichts auf dieser Welt hätte sie diesen Moment eintauschen wollen. Wenn sie konnte, hätte sie diesen in Endlosschleife abgespielt, bis ihre Lippen wund vor Leidenschaft und den kleinen Stoppeln des Mannes waren. "Ich bin so glücklich." Mirai war eine der wenigen Frauen, die keine Worte darüber verlieren mussten, um jemandem zu zeigen, wie es in ihrem Inneren aussah und trotzdem konnte sie nicht anders als es auszusprechen. Mit ihrer Stirn an seiner gelehnt versuchte sie, ihr aus der Brust springendes Herz einzufangen und zu Vernunft zu kommen. Sie waren irgendwo im nirgendwo und doch inmitten des Luxusviertels, lediglich die einbrechende Nacht und das flackernde Licht der Straßenlaterne zierten sie beide. Wahrlich nicht der beste Ort für solch eine Explosion ihrer Befindlichkeiten und doch bereute Mirai es kein Stück, sich so in seine Hände gegeben zu haben. Sie würde jeder Zeit erneut in seinen Fingern zergehen, während sie jede einzelne Berührung zum erbeben bringen würde.

      Schwer ausatmend akzeptierte sie die Distanz zwischen ihnen, als der Zeitpunkt gekommen war. Vermutlich war es besser so, schließlich waren sie eigentlich auf dem Weg einen Freund zu Besuch - besser gesagt Benjamins Freund, da Mirai dem verwöhnten Milliardär weniger abgewann. Würden sie noch länger ihren Gelüsten verfallen, würden sie es niemals innerhalb der Besuchszeiten schaffen, wenn sie diese nicht schon verpasst hatten. "Und ich vertraue dir." schenkte sie ihrem Begleiter ein unschuldiges Lächeln, ehe sie sich gen Boden neigte, um den etwas zerzausten Strauß aufzusammeln. "Ohje, ich hätte besser auf die Blumen achtgeben müssen." überkam ihre Lippen mit einem verlegenen Kichern. Mirai war nicht bekannt dafür, schludrig zu sein oder Materielles nicht wertzuschätzen. "Wir sollten uns beeilen. Vielleicht vergeben es mir die Blümchen ja, wenn wir sie zeitig ins Wasser stellen." Nickend ergriff sie mit ihrer freien Hand den Arm von Benjamin und verankerte ihre Finger mit seinen.

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      Von Zweisamkeit war hingegen bei dem anderen ungleichen Paar kaum etwas zu erkennen. Im Gegenteil, die Luft zwischen Rikun und der Blondine schien zum Schneiden dick, so wie der Milliardär sich endlich seiner Situation bewusst wurde. Amüsiert sah Sierra dabei zu, wie sein sonst entspannter, gar selbstbewusster Körper nicht länger dem Spiel standhalten konnte und die Nervosität langsam zu offenbaren drohte. Sein Gewicht von einem Bein aufs andere verlagernd, sah man ihm an, wie unbehaglich ihm die Nähe der Vampirin plötzlich war, was ihr nur ein diabolisches Lächeln auf die Lippen zauberte. "Dir darf nichts zustoßen?" äffte sie seine panischen Worte nach, schob dabei die Unterlippe weit nach vorn zu einer Schnute, während ihre Stimmlage der eines Erwachsenen glich, der sich mit einem Kleinkind unterhielt. Leider wurde die spaßige Showeinlage früher beendet, als Sierra es lieb war. Zu gerne hätte sie ihn noch ein wenig länger geärgert, ihn ein kleines Stückchen weiter aus seiner Komfortzone gerückt, da dies ja scheinbar kein anderer tat. Mit rollenden Augen sah sie dem Flüchtenden hinterher und verlor dabei ein schweres Seufzen, als sei sie enttäuscht von seiner Naivität. Hatte er noch immer nicht begriffen, dass sie schneller wäre, ihn über Kilometer riechen konnte, geschweige denn vom ohrenbetäubenden Takt seines Pulses? Sie hatte nicht vor dem Prinzen ein feines Haar zu krümmen, nicht solange sie noch Herrin über ihre eigenen Sinne war, aber die Wahl der Flucht war verständlich. Objektiv betrachtet würde wohl kaum einer gerne in der Gegenwart eines Vampirs verweilen, vor allem, wenn dieser Vampir nicht immer.. Bei sich halten konnte.

      "Schätzchen, das hast du falsch verstanden. Wir sind Freunde, du möchtest doch sicherlich, dass wir Freunde sind? Denn wenn wir keine Freunde sind, wären wir wohl das Gegenteil, oder?" schloss sie nicht nur in Windeseile auf, sondern überholte den Jungen, um seinen Weg zu kreuzen. Im Vergleich zu ihm sah man ihr keinen Funken der Anstrengung an, keine Schweißperlen, die ihre makellose Haut zierte, noch ein erschwerter Atem. Rikun schien entschlossen aus den Fängen der De la Rosa entkommen zu wollen und lief einfach an ihr vorbei, sodass Sierra für einen Moment tatsächlich daran zweifelte, ob er sie überhaupt gesehen oder gehört hatte. "Du schaufelst dir noch dein eigenes Grab." schloss sie erneut auf, nur um vom Dunkelhaarigen erneut stehen gelassen zu werden. Ihre Worte waren entwaffnend, auch wenn sie Interpretationsspielraum boten, meinte sie damit eher den wahnsinnigen Schritt über Stock und Stein, den Rikun an den Tag legte, wobei sein Herz schon beinahe zu explodieren drohte.


      Die Genugtuung, den unantastbaren Milliardären aus der Fassung gebracht zu haben, wich schnell der Enttäuschung. So hatte sich Sierra ihre Begegnung nicht vorgestellt. Ihre Absicht war reiner Natur, sie wollte sich für den Vorfall entschuldigen, die Wogen zwischen ihnen glätten, statt weiter eskalieren zu lassen, aber scheinbar war ihr nur das Gegenteil gelungen. Wohl wissend versagt, eher noch ihm final bestätigt zu haben, dass sie keiner menschlichen Natur entsprang, biss sie sich auf die dunkelroten Lippen und ließ ihn einfach ziehen. Mit der Panik in seinem Ausdruck war Rikun ohnehin nicht aufnahmefähig. Würde es ihr noch gelingen, ihm die Scheuklappen von den Violetten Augen zu nehmen oder musste sie nun auf jeden Schritt behutsam achten, als liefe sie auf Eierschalen? Eins stand definitiv fest - Rikun Sanchez wusste über das Geheimnis der Familie Bescheid und verfügte über belastende Beweise!
      Seufzend nahm Sierra den Heimweg auf sich und spazierte die verlassenen Straßen entlang.
      A heart's a heavy burden.