Salvation's Sacrifice [Asuna & Codren]

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    • Der Flammenschein flackerte über Kassandras Gesicht und verlieh ihm einen warmen Teint, gepaart mit den Schatten ihrer Haare, die sich zu den Bewegungen der kleinen Flamme wanden. Zoras konnte nicht ignorieren, dass sich das Feuer in ihren Augen spiegelte; er konnte den Blick nicht von dem Funkeln nehmen, das in ihrem Blick tanzte. Vielleicht war es der Flamme zuzuschreiben, die auf Kassandras Hand wie die Miniatur eines vollwertigen Feuers brannte, oder die Tatsache, dass er schon einmal ein Feuer in ihren Augen gesehen hatte, vor ein paar Wochen im Palast, aber der Anblick prägte sich tief in sein Gedächtnis ein, wo er ihn unbewusst abspeicherte. Kassandra mit dem tanzenden Feuer in den Augen. Es wirkte, als könne er einen Ausblick darauf erhaschen, wie sie in ihrer vollen göttlichen Pracht schien.
      Er blinzelte zwei, drei Mal, während er sich mehr auf ihre Worte konzentrierte als auf ihre Augen. Er glaubte sie zu verstehen, aber er glaubte auch, dass etwas in ihrer Erklärung fehlte, ein Teil des Gesamtkonstrukts, durch das erst alles Sinn machen würde. Allerdings hatte er keine Ahnung, was dieser Teil sein könnte, also musste er darauf vertrauen, dass Kassandra ihm schon die Wahrheit sagte. Die ausreichende Wahrheit.
      "Ich verstehe."
      Er nickte kurz und sah auf die Flamme hinab, als ihm doch noch etwas anderes auffiel, eine Bemerkung von Kassandra, die sich fehl am Platz anhörte, als wäre sie im falschen Kontext ausgesprochen worden. Da sah er wieder zu ihr auf und studierte ihren Blick auf der Suche nach Auskunft. Kassandra war schwierig zu lesen, schwieriger als alle Menschen die er kannte.
      "Hast du Angst, Kassandra?"
      Er neigte den Kopf leicht, zog die Augenbrauen zusammen.
      "Was gibt es, wovor sich Götter fürchten könnten?"
    • Obzwar Kassandras Mimik gleichbleibend neutral erschien, flackerte das Flämmchen in ihrer Hand kurz etwas unregelmäßig. Sie entzog sich Zoras' Blick nicht sondern schien ihn ihm spielendleicht standzuhalten. Im Gegensatz zu ihm würde sie niemals den Blick abwenden, außer es ging zu weit. Zu tief in die Abgründe ihrer eigenen Seele. Besaßen Götter überhaupt eine Seele, ein unsterbliches Konstrukt?
      "Vielleicht, wenn ich eines Tages meiner Auslöschung gegenüber stehe. Wenn ich eines Tages gegen einen Gott geschickt werde, den ich nicht bezwingen kann und der meine Existenz beenden wird. Dann, vielleicht dann, würde auch ich Angst verspüren", beantwortete sie seine Frage mit einer Stimme, die viel zu weich, zu zerbrechlich war für die Art, wie sie ihn niederzustarren suchte.
      "Wir Gottähnlichen fangen einfach an zu existieren, wir kennen es nicht, dass Unsereins plötzlich damit aufhört. Selbst wir können nicht hinter die Schleier des Todes blicken, außer vielleicht Anubis. Der Gedanke daran, dass uns unsere eigene Dummheit vergänglich macht, flößt den meisten Angst ein, ja."
      Fürchtete sich Kassandra selbst davor, dieser Vergänglichkeit zum Opfer zu fallen? Das konnte sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit bestimmen. Wie Zoras auch würde sie es erst wissen, wenn sie an der Schwelle stand und sich dann einem Selbst gegenüber sah, so fremd und unbekannt wie ein verlorener Zwilling.
      Allerdings zuckten ihre Augenbrauen leicht als sie verstand, dass ihr Träger versuchte sie ein wenig nachzuvollziehen. Sich versuchte, auf ihre Ebene zu stellen und das Konstrukt der Hierarchie aufzulösen. Was genau sie davon halten sollte, war ihr nicht ganz klar. Nur, dass der Anführer der Rebellentruppe schon auffällig lange verschwunden war. Mit einer schnellen Geste ballte Kassandra ihre Hand zur Faust und erstickte die Flamme. Ihrer beider Gesichter gingen zeitgleich in Dunkelheit über, beide unfähig bei dem jähen Wechsel das Gesicht des Anderen deuten zu können.
      "Meinst du nicht, dass deine Männer dich mittlerweile vermissen?...", setzte die Phönixin hinterher.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Es war nur logisch, dass Kassandra vor einer Bedrohung Angst hatte, die sogar für sie nicht bezwingbar wäre, aber die Absurdität der Tatsache, dass es Vergänglichkeit war, die ihr genauso zu schaffen machte wie den Menschen, war weitaus weniger gut verdaulich. Eine Schnittstelle mit einem Gott zu haben, der eigentlich wortwörtlich unsterblich war, war äußerst befremdlich. Zoras besaß zwar nicht die Fantasie sich vorzustellen, vor was ein Gott sich sonst fürchten konnte, aber er hätte gedacht, dass es etwas abstrakteres wäre, nachdem die Probleme der Götter sich von denen der Sterblichen sicherlich bis ins kleinste Detail unterschieden.
      Aber auch Kassandra hatte Angst vor dem Tod, wenngleich er bei ihr schwieriger herbeizuführen war. Irgendwie hatte es eine beruhigende Wirkung auf Zoras zu wissen, dass ein Wesen wie Kassandra mit denselben Gedanken kämpfte.
      Er lächelte ein wenig, was unter Kassandras schwerem Blick nicht leicht durchzusetzen war.
      "Eine merkwürdige Welt in der wir leben, wenn schon Götter Vergänglichkeit fürchten müssen."
      Schließlich musste er seinen Blick abwenden, damit ihn nicht noch das Gefühl überkam, Kassandra würde sich ohne Umwege in sein Gehirn bohren. Stattdessen musterte er die Flamme in ihrer Hand, die sie einen Augenblick später löschte. Die Dunkelheit, die ihm vorhin noch so hilfreich erschienen war, wirkte jetzt viel eher wie ein lästiger Schleier, den er gerne gelüftet hätte, um Kassandras Gesicht wieder sehen zu können. Natürlich war die einzig realistische Option zurück zum Lagerfeuer zu gehen.
      "Oh, das tun sie, ganz bestimmt."
      Er verweilte dennoch einen Moment länger um seine Gedanken zu sortieren. Wenn er könnte, hätte er länger mit Kassandra über diese Sache geredet, aber sie hatte recht und das wusste er. Er hatte Pflichten zu erfüllen.
      "Danke für deine Ehrlichkeit. Ich… glaube das hat mir geholfen."
      Er lächelte wieder, auch wenn sie es diesmal nicht mehr sehen konnte, und musterte ihre Silhouette in der Dunkelheit, bevor er sich schließlich von ihr abwandte. Der Weg zurück zum Feuer fühlte sich an, als würde er durch Wasser waten und je mehr Zoras in den Lichtschein kam, desto mehr wandten sich ihm die Blicke zu, als würden sie magisch angezogen werden. Ihm wurde anstandslos Platz gemacht und genauso selbstverständlich wurde er in die Gespräche mit aufgenommen, als er ankam und sich zwischen die Soldaten setzte. Es ruhten zu jeder Zeit mindestens drei Augenpaare auf ihm und mindestens zwei auf Kassandra, die noch in der Dunkelheit zurück geblieben war.
      Er wiederholte einen Teil seiner Ansprache von vorhin, bekam etwas Brot zum Essen und stieß erste Pläne an, wie sie sicher die Grenze überqueren konnten und an welchen Weg sie sich halten sollten. Seine Stimme war so klar und selbstbewusst wie auch sonst, ohne die Andeutung eines Stotterns oder einer Unsicherheit, und viele der Männer hatten ein Leuchten in den Augen, während sie ihm zuhörten, als würde er in ihren Augen so hell strahlen wie eine Gottheit.

      Sie hatten keine Zelte oder Schlafsäcke um für einen bequemen Untergrund zu sorgen, also mussten sie es sich wohl oder übel auf dem Boden bequem machen. Die Verletzten unter ihnen bekamen die meisten Decken, sonst robbten sich alle mehr oder weniger am Feuer zusammen, um von der Hitze Gebrauch zu machen. Zehn Wachen wurden abgestellt - unter denen sich auch Zoras befand - und zwei zusätzliche Späher, die sich etwas weiter vom Lager entfernen sollten. Sie wurden noch immer von Soldaten verfolgt und es war fraglich, ob sie genauso müde sein würden oder ob sie sämtliche Energien aufwenden würden, um den Verräter noch vor der Grenze zu erwischen. Es war längst kein Geheimnis mehr, dass Zoras den direkten Weg in sein Gebiet einschlug und es würde letzten Endes nur eine Frage davon sein, wer von ihnen die besseren Reiter waren.
      Zoras Truppe bestand aber ausschließlich aus erfahrenen Kavalleristen.
      Er nutzte die frühe Wache für eine eigene Pause, damit er einmal seinen Gedanken nachgehen konnte und nicht in ihnen unterbrochen wurde. Es gab viel, was seiner Aufmerksamkeit bedarf und worum er sich kümmern musste, davon war der Aufstand nur ein Teil. Er würde bald einen Boten zu Eilkar und Emjir schicken müssen um herauszufinden, ob sie es aus dem Palast geschafft hatten und wie ihre Einstellung bezüglich des Aufstands war - nachdem er schon Meriah verloren hatte, konnte er kein erneutes Risiko eingehen. Er musste sein Militär weiter ausdünnen, um die Grenzen zu sichern - jetzt nicht nur nach außen, sondern auch nach innen hin. Er musste sicherstellen, dass der Handel weiter funktionierte, auch wenn seine Händler Umwege beschreiben mussten, um nicht durch die Königsstadt zu müssen. Er musste seine Kämpfe vorsichtig und sorgfältig planen, denn jedes Gemetzel wie in Lindum diente nicht nur darum ein Zeichen zu setzen, sondern seinen Plan zu vervollständigen und die Krone zu sichern, auf die eine oder andere Weise. Er musste mit einem Feingefühl an die Sache heran gehen, das er noch nie zuvor verwendet hatte, nicht im Zusammenhang mit einem Krieg.
      Er musste sich um Kassandra kümmern. Er musste sie und ihre Art verstehen, nicht nur um von den Grenzen zu wissen, sondern um eine Zusammenarbeit überhaupt erst zu ermöglichen. Bisher hatten sie sich mehr schlecht denn recht miteinander auseinandergesetzt, aber es konnte doch nicht im Sinn des Amuletts stehen, das Verhältnis zwischen Träger und Champion wie das einer Sklavenhaltung aussehen zu lassen - schließlich hielt er wortwörtlich ihr Herz in den Händen. War es nicht viel eher dazu geschafft, eine Einheit entstehen zu lassen? Zwei Wesen, die sich zu einem zusammenschlossen?
      Er wusste es nicht und er merkte schnell, dass es unsinnig war ohne richtige Antworten darüber nachzudenken. Es gab zu viele Fragen, die Kassandra noch umgaben, als dass er ernsthafte Rückschlüsse ziehen könnte.
      Das war also auch etwas, um das er sich kümmern musste.
      Während Zoras also dem anbrechenden Morgen zusah, der den Schein des Lagerfeuers langsam im rötlichem Sonnenaufgang verschwinden ließ, und seinen Gedanken nachging, fragte er sich, ob sich Könige auch so fühlen mussten: Dass das ganze Land unter ihnen nach ihrer Aufmerksamkeit buhlte und es unmöglich genug Zeit gab, um sich um alles gleichzeitig zu kümmern.

      Die Soldaten holten auf.
      Sie merkten es direkt am zweiten Abend ihrer übereilten Flucht, als das Lagerfeuer nicht das einzige war, das eine Rauchfahne in den Himmel schickte. Sie sahen den anderen Rauch am Horizont, einen guten halben Tag entfernt.
      Zoras beobachtete den Standort ihrer Verfolger eindringlich und lange und als das letzte Sonnenlicht verschwunden und der Rauch in der Finsternis der Nacht verloren ging, drängte er die Truppe dazu, das Lager abzubrechen und doch noch eine Stunde lang zu reiten. Der Befehl wurde nicht mit sehr viel Verständnis befolgt, aber Zoras' zunehmende Nervosität verbreitete sich unter den Soldaten wie die Pest und schließlich waren allesamt erleichtert darum, doch noch etwas Boden zwischen sich und ihren Verfolgern zu schaffen.
      Am dritten Tag ging ihnen das Essen, von dem sie so schon nicht sehr viel in Lindum ergattert hatten, aus und nachdem Zoras sich mit seinem Hauptmann besprochen hatte, schlug er vor die nächste Ortschaft, die auf ihrem Weg lag, auszurauben. Seine Männer waren einverstanden damit, nur Kassandra war es anzusehen, dass sie alles andere als begeistert davon war. Er erklärte ihr die Lage - dass sie Verletzte hatten, dass sie nicht wussten was bis zur Grenze noch passieren könnte, dass die Soldaten ihnen eh auf den Fersen waren und den Bewohnern der Ortschaft helfen konnten - bis er sich auch ihr Einverständnis eingeholt hatte. Der Überfall fand mitten am Tag statt, beanspruchte zwei Stunden und hinterließ ein halbes Dutzend Tote und zwei Dutzend Verletzte - weniger als in Lindum, aber dafür war der Ort auch viel kleiner gewesen. Es hatte kaum eine Gegenwehr gegeben und der Tyrann von Lindum holte sich schnell den Beinamen als der Tyrann von Railan ein. Die Bewohner gewöhnten sich schnell an, das Herzogtum Luor nur in Verbindung mit einem Fluch auszusprechen.
      Am vierten Tag änderte sich die Gegend von steinigen Hügeln und brachen Feldern zu schmächtigen Bäumen und Unkraut, das sich ihren Weg durch den harten Boden kämpften und Risse verursachten. Die Gegend wurde grüner und deutete bereits aus der Ferne einen Flusslauf an, als die ersten richtigen Pflanzen sprossen und die Bäume an Größe und Breite zugewannen. Das Gras wurde dicker und gesünder und mit ihm wurde die Tierwelt lebhafter und energetischer. Das Gemüt der Männer steigerte sich und die Erleichterung wurde geradezu greifbar, als sie die Brücke erreichten und sehen konnten, dass die Wachposten bei ihrer Ankunft keine Waffen zückten. Zoras verlangsamte ihren Ritt und passierte das Brückentor, vorbei an salutierenden Grenzposten, die sich für ihn in die Brust warfen. Die Wachen auf der heimischen Seite waren seine eigenen, die Wachen auf der anderen Seite gehörten dem König. Er wandte sich an Kassandra mit der Bitte, sie möge mit den Verletzten die Vorhut übernehmen, da sie sich nicht mehr in feindlichem Gebiet befanden und somit ihr Tempo an die schwächsten Glieder ihrer Truppe anpassen sollten. Er wartete, bis Kassandra die Brücke passiert und bereits ein Stück Abstand zwischen sie beide gebracht hatte, bevor er den Rest seiner Truppe zurückholte und die Wachen auf der Königsseite der Brücke massakrierte. Er ließ die Leichen vor den Toren aufstapeln und anzünden, bevor er die Gatter verschloss und verriegelte. Seine eigenen Wachen zog er von ihren Posten ab, ließ ihnen Pferde geben und schickte sie als Boten los, um die Kunde zu verbreiten, dass das Herzogtum Luor den Aufstand begonnen hatte. Zwei ließ er als Späher zurück, damit sie ihm nur noch berichten würden, ob versucht würde, die Brücke zu stürmen. Er würde bei Zeiten den Wachposten wieder besetzen, um eben das zu verhindern, aber erst würde er herausfinden müssen, welcher seiner Fürsten sich dem Aufstand mit Herz und Seele anschlossen, um gegen ihren eigenen König vorzugehen. Erst dann wusste er auch, welche Truppen er dorthin entsenden konnte.
      Dann schloss er wieder zu Kassandra auf und sie traten das letzte Stück ihres Weges mit gemächlicherem Tempo an, während sich unter der Truppe bereits heimische Gefühlsbezeugungen breit machten.

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    • Kassandra blieb eine Weile allein in der Dunkelheit zurück. Ihre Augen gewöhnten sich schnell an das Dunkel, sodass der Feuerschein im Lager fast schon schmerzlich in ihren Augen stach. Sie hatte eindeutig Sympathie bei ihm fühlen können. Er fühlte sich von ihr verstanden, vielleicht sogar etwas hingezogen und der ihr einst gebührende Respekt war zwar in Spuren noch vorhanden, aber etwas hatte sich geändert. Ihr ging nicht direkt der Zusammenhang auf, dass er sie als ein wenig menschlicher wahrnahm als sie es eigentlich war. Für sie waren ihre Stufen klar von einander getrennt, auch wenn sie sich gegenseitig die Hände reichen konnten. Aber dieser Mann hatte mit seinen eigenen Problemen genug zu tun. Er konnte sich nicht noch mit jenen auseinandersetzen, die die Anwesenheit der Phönixin zwangsläufig mit sich brachte. Nicht umsonst fürchteten die Menschen einst die Götter. Sie waren nicht alle zuvorkommend und rein.
      Schließlich schloss Kassandra zum Feuer auf nachdem sie die Dunkelheit in ihrem Rücken hinter sich gelassen hatte. Entgegen der Meinung gesellte sie sich nicht direkt zu Zoras, der dabei war die Moral seiner Leute ein wenig weiter zu steigern. Folglich setzte sie sich wieder zu den Verletzten, um sicherzugehen, dass sie auch niemanden übersehen hatte. Dass man den Träger ihrer Essenz mit viel zu ehrfürchtigen Augen betrachtete fiel ihr jedoch umgehend auf. Deshalb hatte sie vorhin den Vergleich mit den Trypnäen gebracht - so weit ab waren sie hier nämlich gar nicht. Und das bereitete ihr größere Sorgen als es eigentlich sollte.
      So unwegsam ihre Reise auch erscheinen und der Boden hart sein mochte, irgendwann fand auch Kassandra in einen seichten Schlaf. Zu ermüdet war ihr Körper, den sie mehr getrieben als begleitet hatte. Den Zoll, den sie dafür zahlen musste, würde vermutlich erst dann richtig greifen wenn sie aufrichtiger Ruhe gegenüberstanden. Sie brauchte sogar einen Moment länger als üblich, als sie das Lager verfrüht abbrechen mussten, da sie Sorge wegen ihrer Verfolger hatten, die sich mit Rauchschwaden am Himmel bemerkbar machten. Doch sie sagte nichts, hielt sich an Zoras Anweisungen und war nicht mehr als eine aufmerksame Mitreiterin auf dem Wege in sein Herzogtum.

      Es stand außer Frage, dass die Vorräte das Erste sein würde, das ihnen ausging. Genauso logisch war die Konsequenz, die nächste Ortschaft zu plündern und die Spur der Verwüstung weiterzuziehen. Dieses Dorf war jedoch noch schwächer ausgestattet als Lindum, was dafür sorgte, dass der Missmut deutlich sichtbar in ihrem Gesicht wiederzuerkennen war. Per se hatte sie nichts gegen das Plündern, aber sie wusste, dass wieder gemordet werden würde. Selbst wenn sie außerhalb Railans, wie sie erfuhr, wartete, konnte sie ihre Augen nicht gänzlich verschließen. Als würde man kleine wärmende Kerzen ausblasen wurde ihr Stück um Stück kälter als sie fühlte, wie die Bewohner starben. Im Nachhinein ließ sie sich sogar bestätigen, dass Railan wirklich kaum wehrhafte Bürger hatte, geschweige denn ausgebildete. Doch was getan war, war getan.
      Der Wandel der Umgebung war das Markante, auf das Kassandra die ganze Zeit gewartet hatte. Ihr miserables Zeitgefühl bekam einen leichten Hinweis als die Natur um sie herum zum Leben erwachte und von kargen Steinlandschaften zu begrünten Flächen wechselte. Das spiegelte sich direkt in der Stimmung ihrer Mitstreiter wider, die deutlich besser eingestellt waren.
      Auf Zoras Worte hin reagierte sie jedoch kaum. Schlicht schüttelte sie nur den Kopf als sie mit den ehemals Verletzten vorritt und einen Blick auf die Soldaten warf, die sich nicht für Zoras brüsteten. Sobald sie aus der Sichtweite waren würde auch ihr Blut den Boden benetzen und als weitere Opfer in die Karteikarte niedergeschrieben werden. Dieses Mal hielt sie nicht an als sie es spürte sondern ritt sturr geradeaus blickend weiter. Das Ungleichgewicht traf sie mittlerweile mit einer solchen Härte, dass sie sich fragte, wie lange sie es noch neutral halten konnte. Kurz darauf schloss sich Zoras mit seinem Trupp wieder an und ritt nun neben Kassandra einher.
      "Hättest du sie verschont wenn sie dich angefleht hätten?", fragte Kassandra Zoras ohne ihn eines Blickes zu würdigen. "Ich denke, du hast genug Zeichen hinterlassen um den jungen König einen Weg aufzuzeigen. Aber gut, das ist jetzt vorerst wohl vorbei."
      Sie schwieg einen Moment ehe sie fortfuhr und sich weiterhin umsah.
      "Erzähl mir was zu deinem Herzogtum. Den optischen Unterschied kann ich ja schon erkennen, aber wie ist es zu diesem Herzogtum gekommen? Was ist deinen Eltern widerfahren und was hat es mit diese ominösen Schlacht von vor fünfzehn Jahren auf sich? Mir sind etliche Brocken nur ans Ohr gelangt ohne weitere Ausführung."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Zoras hatte bereits voraussehen können, dass Kassandra nicht glücklich mit seiner Aktion war - weshalb sonst hatte er sie vorausgeschickt, damit sie möglichst wenig davon mitbekam. Dass sie ihn trotzdem mit der kalten Schulter empfing schmerzte ihn ein bisschen, wobei er sich nicht erklären konnte warum.
      Und dann traf ihre Frage noch genau ins Schwarze, wie ein feiner Nadelstich, der sich direkt in seine Nervenenden bohrte. Er musste einen Moment darüber nachdenken, erkannte dann aber, dass die Antwort Kassandra nicht glücklicher stimmen würde.
      Sollte er versuchen zu lügen, würde Kassandra so etwas merken? Ein Seitenblick zu ihr sagte ihm, dass das alles andere als eine gute Idee wäre, auch wenn sie es nicht merkte.
      "Soldaten flehen nicht. Sie hätten sich ergeben, die Waffen niedergelegt und dann hätte ich..."
      Ja, was hätte er? Wäre es wieder eine Situation geworden wie mit Feris? Er bezweifelte, dass er jemals ähnlich starke Gefühle empfinden würde, geschweige denn sie jemals empfunden hatte. Die Antwort war demnach äußerst unbefriedigend.
      "...... Ich hätte es schnell gemacht. Ich habe es schnell gemacht, ich lasse niemanden leiden, nicht umsonst."
      Kassandras Resignation hing so schwer in der Luft, dass er beinahe selbst spürte, wie es an ihm nagte. Jetzt wagte er es nicht einmal ihr einen Seitenblick zuzuwerfen, also ritten sie für den Moment schweigend voran, die Tiere nicht schneller als in einem gemächlichen Trab. Sie entfernten sich stetig vom Fluss, der mittlerweile schon nicht mehr als ein gedämpftes Rauschen in ihrem Rücken war, und strebten die ersten Hügel an, die mit sattem Gras und wuchernder Vegetation bedeckt waren. Die Straße führte sie, aber der Übergang zur Natur war abrupt und so nahe, dass die Büsche an manchen Stellen über den Weg wuchsen. Bäume gab es hier noch nicht sehr viele, die Wälder lagen eher in nördlicher Richtung und sie marschierten geradewegs in den Süden.
      Schließlich durchbrach Kassandra die Stille und schlug einen sanfteren Tonfall an, beinahe schon einen versöhnlichen, bei dem Zoras doch wieder zu ihr sah. Sie schien sich von dem unliebsamen Thema ablenken zu wollen, oder aber sie hatte ernsthaftes Interesse an Zoras' Land - vielleicht auch von beidem ein bisschen. In jedem Fall war er schon fast dankbar für eine Frage, die er endlich beantworten konnte, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben.
      "Um das zu verstehen, muss ich von vorne anfangen, aber ich werde mich kurz fassen.
      Ursprünglich - also vor rund 300 Jahren und früher - bestand das Land von Theriss aus neun Kleinstaaten, alle mit einem eigenen Herrscher, mit eigenen Gesetzen und Grenzen. Diese neun Staaten haben sich ihr Land erkämpft, erobert, bebaut und schließlich wieder verloren, in Kleinkriegen gegeneinander und gegen andere. Die Grenzen verschoben sich häufig, alle paar Wochen sogar.
      Eines Tages rief ein Staat die anderen zusammen, setzte sie an einen Tisch und schlug ein Handelsabkommen vor. Grundlage sollte eine unabhängige Handelszunft sein, die zwischen den Staaten reiste, vermittelte und das Bekriegen abdämpfte.
      Aus einem anfänglichen Vertrag wurde eine wachsende Handelsstruktur, aus der sich bald ein eigener Handelsstaat erhob, der nirgends eigenes Land besaß, aber die Händler kontrollierte. Ich denke, ich muss nicht erklären, warum der Friede nicht lange hielt und bald wieder Krieg herrschte, nachdem alle sicher waren, der Handelsstaat würde sie betrügen. Allerdings war er damals schon mächtig genug, um die Händler einfach von den Ländereien abzuziehen. Er nutzte seine gewonnene Macht, um die Einzelstaaten zu binden und begründete eine Monarchie. Die Staaten mussten sich fügen, andernfalls würden sie aus dem Handel ausgeschlossen.


      Das Herzogtum Luor - oder besser gesagt das Land - war damals noch unter zwei Staaten aufgeteilt: Arlura und Riktor. Die Arlura hatten eine eigene Monarchie, die Riktorer waren so etwas wie ein Stamm - nicht primitiv, aber einfach.
      Arlura war ein selbstständiger, kampferprobter Staat, dem kaum jemand etwas anhaben konnte, der aber Güte zeigte, wo sie nötig war. Er hätte wohl alle Ländereien unterwerfen können, wenn er denn wollte, aber die Arlura kämpften nicht aus Freude, sondern weil es nötig war. Sie waren umsichtig und sie waren weise, ihre Stärke war nur ein Teil des Gesamtbildes.
      Der Stamm der Riktor war eher gegenteilig gestrickt. Sie wollten die Macht und die Stärke, die mit ihr kam, aber sie wollten sich nicht den Konsequenzen stellen, die eine solche Macht mit sich brachte. Ursprünglich wollten sie nicht mehr als in Frieden zu leben, aber ich muss dir wohl nicht erklären, dass das nicht möglich ist, nicht bei uns. Sie lernten also kämpfen, sie konnten es auch, und weil sie so gut darin waren kämpften sie viel und oft. Sie bekamen einen verruchten Ruf, der ihnen nicht zusagte - aber wie es beim Ruf so ist, kann man ihn schlecht beeinflussen, wenn er einmal in den Köpfen sitzt. Die anderen Staaten fürchteten sie ein bisschen, die Riktorer, die eigentlich aus Bauern und Viehzüchtern bestanden, aber die Waffen erhoben, als wäre jeder Kampf ihr letzte.
      Als das Handelsabkommen geschlossen wurde, sahen sich die Arlura und Riktorer gezwungen, ein eigenes Bündnis zu schließen, damit die Grenze zwischen ihnen nicht zum Nachteil wurde. Sie verbündeten sich, aber eine Freundschaft war es noch nicht, zu weit entfernt lagen ihre Weltanschauungen voneinander. Sie taten was nötig war, aber nicht mehr. Sie hassten sich nicht, aber sie liebten sich auch nicht. Sie konnten sich gegenseitig ertragen, kann man so sagen.
      Als sie durch das Bündnis gemeinsam mit einem Krieg konfrontiert wurden und Seite an Seite kämpfen mussten, steigerte sich erst das Vertrauen zueinander. Sie lernten sich gegenseitig den Rücken zu decken und dass ihre Weltanschauungen in vielen Fällen nicht viel voneinander unterschieden. Es entwickelte sich eine vertrauensvolle Bekanntschaft und dann eine feste Freundschaft. Sie lernten voneinander und sie wuchsen zusammen. Eines Tages verschmolzen sie die Grenzen und ihre Namen und wurden zu 'Luor'.


      Es gibt noch unzählige weitere Geschichten über beide Staaten, aber das war die Entstehungsgeschichte in ihren Grundzügen. Wenn du mehr hören willst, solltest du meinen Neffen danach fragen, der Junge ist eine lebende Sammlung aus Geschichten."
      Seine eigene Stimmung lockerte sich erheblich bei dem Gedanken an sein Zuhause und die wenige Familie, die ihn dort erwartete. Es war wohl kaum verwunderlich, dass die Hochstimmung der Soldaten ihn auch langsam ansteckte.
    • Selbst dreihundert Jahre erscheinen Kassandra erschreckend kurz. So kurz, dass sie ernsthaft überlegen musste, wo sie sich zu dieser Zeit aufgehalten hatte. Vermutlich war sie um die Zeit herum im Süden dieses Kontinentes angekommen nachdem man sie dem Osten beraubt hatte. Üblicherweise beinhaltete dies, dass sie sich wenig darum kümmerte, was auf dem Rest der Welt vonstatten ging solange es sie nicht direkt betraf. Sie fristete sowieso nur ihr Dasein bis sie entweder starb oder ihre Freiheit zurückerlangte.
      "Schade eigentlich. So eine Zunft als Bindeglied zwischen Mächten klingt in meinen Ohren eigentlich sehr vernünftig. Warum muss der Mensch nur so von Habgier und Misstrauen zerfressen sein? Es hätte wunderbar so laufen können wenn man der Zunft nichts unterstellt hätte", dachte Kassandra laut. "Wobei ich schon öfter gesehen habe, dass Reiche, die sich aus kleineren Fraktionen zusammenschlossen, meist die reizvollsten waren. Aus gemischten Kulturen entstanden neue, die noch viel komplexer waren als jene zuvor. Und die Menschen behandelten sich anders, ganz so wie du beschrieben hast. Sicher, es gab jene, die die Minderheit unterjocht haben, aber oftmals waren diese Zusammenschlüsse ein vorsichtiges Abtasten."
      Noch immer erschloss sich ihr nicht ganz, wie sich dieses Königreich solange ohne übermenschliche Hilfe hatte halten können. Der Einfluss muss immens gewesen sein, dass kein angrenzendes Land jemals auch nur daran gedacht hatte, Theriss anzugreifen. Während ihrer Reise mit Herantep hatte sie jedoch ein anderes Bild vermittelt bekommen. Die angrenzenden Länder begannen zu zweifeln, und wenn sie einmal damit begannen, dann wären die nächsten Schritte nicht weit ab. Dieses Reich war einem Angriff eines Gottes nahezu schutzlos ausgeliefert.
      "Ich höre, du hast einen Neffen? Wie viel Familie lebt sonst noch in deiner Stadt oder was auch immer mich erwartet? Wie ich erfahren habe, und ja auch sehe, seid ihr das Reitervolk dieses Reiches. Besitzt ihr eine Monopolstellung? Was ist mit Beziehungen zu den angrenzenden Ländern? Trefft ihr ebenfalls Liaisons oder obliegt das nur dem Königshaus? Spielt das hier generell eine Rolle? Entschuldige meine Fragen, aber es gibt doch deutliche Unterschiede zu den Gesellschaftsformen der südlichen Kontinente."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • "Viele Ereignisse hätten wohl abgewandt werden können, wenn wir nicht so habgierig werden, aber das wirst du von uns wahrscheinlich am besten wissen."
      Zoras warf noch einmal einen Blick zu Kassandra, einen den er etwas besser versteckte als die anderen zuvor. Zu gern hätte er genauer erfahren, was die Phönixin schon alles erlebt hatte - wie lange sie überhaupt schon auf der Erde wandelte, um das alles zu erleben. Sie hatte womöglich sogar wichtige Ereignisse in der Geschichte persönlich miterlebt, neben ihren Erfahrungen sah sein eigenes Leben schmächtig und unbedeutend aus.
      Ein weiteres Mal fragte er sich, in was er sie da überhaupt hineingezogen hatte; sie, den Bären, der sich mit Ameisen abgab. Wie schlimm musste diese Tortur sein, ein Leben nach dem anderen zu begleiten, nur um am Ende die Lage eines anderen Ortes kennenzulernen und das ganze zu wiederholen. Wie viele Herzöge hatten schon vor Zoras sie in ihre Streitereien hineingezogen, wie viele Könige, wie viele Händler, Bauern, Soldaten, wer auch immer auf dieser Welt noch alles leben sollte? Wie viele Male hatte Kassandra genau das erlebt, was sie gerade mit Zoras erlebte, nur mit anderen Namen und an anderen Orten? Er befürchtete, dass er selbst mit einer Antwort noch nicht das vollständige Ausmaß dieses Schicksals begriffen hatte.
      Sie tat ihm leid, so unendlich leid, aber dann wirkte sie auch wieder so sehr von der Sache ergriffen, als wäre sie ernsthaft interessiert an ihrer Umgebung. Vielleicht bildete er sich ihre Verzweiflung auch nur ein? Vielleicht stellte er sich das Leben eines Champions viel grausamer vor, als es eigentlich war?
      Er musterte sie noch einen Moment länger, auf der Suche nach einer Regung in ihrer Miene, die ihm Aufschluss über wenigstens eine dieser Fragen gegeben hätte, aber Kassandra war so schwer zu lesen wie sonst auch. Schließlich fügte er sich ihrer Fragen und tätschelte seinem Fuchs ein wenig den Hals.
      "Nicht viel Familie - beängstigend wenig sogar. Mein Bruder Ryoran wohnt bei mir - den, den ich krönen gelassen hätte - mit seiner Frau und seinem Sohn. Es gab mal einen Cousin mütterlicherseits und eine Cousine väterlicherseits, aber sie sind im Krieg gefallen, bei der großen Schlacht. Mein Vater ist auch im Krieg gefallen, meine Mutter wurde vor ein paar Jahren umgebracht. Ich war nicht Zuhause, sonst hätte ich es wohl verhindert."
      An dunklen Tagen, wenn es ihm besonders schlecht ging und sein Bruder seiner Laune zum Opfer fiel, warf er ihm vor, ihre Mutter nicht beschützt zu haben. Wenn es ihm dann wieder besser ging, erkannte er jedes Mal aufs Neue, dass Ryoran nichts anderes getan hatte als seinen Sohn zuerst zu schützen und dafür konnte er ihm wirklich nicht böse sein, nicht wenn er wusste, dass ihre Mutter es genau so gewollt hätte.
      Es geriet trotzdem manchmal zwischen sie und Zoras war sie sicher, dass es eine Narbe hinterlassen hatte, die sich mit jedem Mal ein bisschen mehr vertiefte.
      Er richtete sich in seinem Sattel wieder auf und sah zu Kassandra.
      "Entschuldige dich nicht für deine Fragen, das sind gute Fragen. Wenn nur einer meiner Fürsten ähnlich interessiert wäre wie du, hätte ich wohl nicht halb so viele Sorgenfalten.
      Die Pferde sind das Markenzeichen meines Hauses, wenn man so will, aber eine Monopolstellung haben wir nicht, nein. Auf meinen Ländereien gibt es viele Wildpferde - wir züchten nur und jagen nicht, deswegen können sie hier gut überleben - und haben deshalb schon vor etlichen Jahrhunderten den Riktor eine Verhandlungsbasis gegeben, um in das Handelskonstrukt aufgenommen zu werden. Das Züchten liegt uns im Blut, möchte ich behaupten, und das beweisen wir bis heute. Unsere Pferde sind nicht die einzigen im Land, aber unsere Tiere haben reines Blut und sind die stärksten."
      Er tätschelte seinem Fuchs wieder den Hals, der die Ohren nach hinten drehte und schnaubte, als wüsse er, dass über ihn geredet würde.
      "Bei uns lernen die Kinder erst zu reiten und dann zu laufen, weil es sicherer ist - und einfach. Die meisten hier", er machte eine vage Geste zu seiner Truppe, "sind ihr Leben lang schon im Sattel geritten. Das ist bei uns anders als im Rest des Landes, dort werden Rekruten erst im Schwertkampf unterrichtet und als Infanteristen eingesetzt, bevor sie lernen auf den Pferden zu kämpfen oder überhaupt erst zu reiten. Ich habe auch andere Truppen in meiner Armee, sie unterscheidet sich kaum von den anderen, aber meine Kavalleristen sind das Rückgrat meines Landes - und ich denke, das ist auch bekannt."
      Er richtete sich wieder auf und sein Pferd unterstrich diese Geste mit einer Bewegung seines Kopfes.
      "Und was den Rest deiner Fragen betrifft: Das hat sich seit dem Handelsstaat von damals nicht viel verändert. Der König ist derjenige, der offiziell die Macht des Handelns besitzt und das äußert sich dadurch, dass auch nur er Verträge mit anderen Ländern schließen kann. Wir Herzöge können und müssen den inländischen Handel aufrecht erhalten, aber alles was die Grenze verlässt, ist nicht mehr unser Aufgabenbereich. Wir schwören die Treue gegenüber der Krone, die Krone schwört sie allerdings gegenüber dem Land.
      Du hast eine Karte von Theriss bereits gesehen, nicht wahr? Der König sitzt darin ein bisschen mittig, an jeder Seite ist er von insgesamt drei Herzogtümern eingeschlossen. Vielleicht macht es Sinn, sich das Konstrukt wie eine Stadt vorzustellen: Die Königsstadt ist der Palast, das Herz der Stadt, das zu jedem Preis geschützt werden muss; alle Herzogtümer mit einer Grenze - meines zum Beispiel, oder das Herzogtum Tiumus - sind die Mauern und alles andere ist das Innenleben. Eiklar zum Beispiel, das Herzogtum Riev, hat keine Grenze nach außen hin und ist ein rein wirtschaftliches Land. Meine Ländereien sind größtenteils selbsterhaltend, weil wir uns mit Landwirtschaft ernähren und gleichzeitig über ein ausreichendes Militär verfügen, um die Grenze zu schützen. Wenn ich die Macht besäße Verträge zu schließen, würde sich das inländische Machtverhältnis schnell ändern, deswegen darf ich es nicht."
      Wobei ihm das auch nicht unrecht war. Sich auch noch mit Botschaftern herumschlagen zu müssen war definitiv nichts, wozu es ihn jemals gedrängt hätte.
      "Unsere Eide sind hier wichtig, weil sie unser Land erst möglich machen. Weil ich meinen Eid gegenüber dem König leiste, kann ich nichts tun, was gegen seinen Willen spricht, aber das gilt auch für alle anderen Herzöge. Wie viele Länder kennst du, in denen sich alle Herzöge gemeinsam an einen Tisch setzen und reden können, ohne dabei über Grenzen oder den Handel zu streiten? Alles nur, weil wir der Krone dienen. Es hat 200 Jahre schon funktioniert und wird es hoffentlich die nächsten 200.
      Beantwortet das deine Frage? Wie sah es denn dort aus, wo du vorher gelebt hast?"
    • Nüchtern betrachtet waren die Menschen voll von negativen Eigenschaften, die wie ein Schwelbrand jeglichen Frieden zu gefährden wussten. Gerade in ihrer Anfangszeit auf Erden hatte Kassandra mit eigenen Augen gesehen, wie sich über die Jahrhunderte die Menschen aus den wahnwitzigsten Gründen abschlachteten wie Vieh. Jedes Mal färbte menschliches Blut den Boden noch dunkler als er es ohnehin schon war, nur um all die Geschichte im Inneren der Erde zu versiegeln.
      In ihrem Kopf setzte sich langsam ein Bild zusammen. Sehr gut erinnerte sie sich noch an die Landeskarte, die in ihren Gedanken Farbe annahm und ihre Rollen nach Bedeutsamkeit zugeteilt bekam. Wenn alles so weiterlief wie gehabt, dann würde sich die Krone mit versammelten Mächten gegen Luor stellen, hier einfallen und alles dezimieren, das in Verbindung zu Zoras stand. Wenn auch nur einer dieser Soldaten wie Zoras gestrickt war, würde es keine Gefangenen oder Verschonten geben.
      "Ihr seht es als ehrenhaft an wenn Angehörige im Krieg sterben, richtig?", fragte Kassandra vorsichtshalber nach. Auch hier gab es gravierende Unterschiede je nach Kultur und Zeitalter. "Ich will damit überhaupt nicht anmaßend klingen. Es ist eure Einstellung, wie ihr das betrachtet. Aber was deiner Mutter widerfahren ist, klingt zumindest verwerflich. Was genau ist vorgefallen? Warum wurde sie ermordet und konntest du herausfinden, wer es war?"
      Sofort stahl sich eine andere Frage in ihren Kopf. Er war nicht daheim gewesen. Aber wenn sein Bruder mitsamt seiner Familie bei ihm lebte, musste doch irgendjemand anwesend gewesen sein. Etwas schien damals schiefgelaufen zu sein, sodass Zoras kein Wort darüber verlor. Als sie das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit den Blick zu ihrem Träger wandern ließ, sah er sie bereits an und erzeugte bei ihr ein überraschtes Blinzeln. Dann erschien ein Schmunzeln auf ihrem Gesicht als sie wieder nach vorne sah und sich von ihrer Stute dahertragen ließ.
      "Man merkt, dass etwas anders ist. Wir besitzen generell ein Feingefühl für unsere Umgebung, manche von uns noch stärker als andere. Im Palast fühlte es sich unglaublich angespannt an, die Luft fühlte sich trocken an, es wirkte teilweise wie erkaltet. Hier draußen ist es anders, wärmer und lebendiger. Friedsamer, freier, als könnte die Luft direkt durch unsere Körper gleiten. Daher verstehe ich, warum ihr mit euren Pferden so verbunden seid. Das gilt vermutlich auch für die restliche Umwelt."
      Ein naturalistisches Bündnis in Zeiten der Kriegsführung. Ähnliche Konzepte hatte sie schon häufiger in der Vergangenheit gesehen, manche mehr, manche weniger. Für die Gesundheit der menschlichen Bevölkerung war es bislang immer von Vorteil gewesen, so litt das Volk häufig seltener an Seuchen oder ähnlichem.
      DIe Phönixin hörte sich den Rest der Erklärung an wobei sie ein amüsiertes Schnauben nicht unterdrücken konnte. "Eure Eide sind wichtig? Vielleicht bin ich immer den falschen Angehörigen eurer Art begegnet, aber in den wenigsten Fällen hielten sie lange ihr Wort. Sobald sie einen größeren Nutzen erwägten, warfen sie ihre Worte über den Haufen. Du meinst, bei euch wird sich das länger halten? Du bricht doch gerade selbst diesen Eid oder sehe ich das falsch?"
      Scheinbar wusste Kassandras Pferd selbst welchen Weg es zu folgen hatte, wenn es zurück nach Hause wollte. Oder es folgte nur dem generellen Trott wie das brave Herdentier, das es nun einmal war. Dadurch konnte sie ihre Zügel allerdings vollständig lockern und ihre volle Aufmerksamkeit auf Zoras legen.
      "Bevor Herantep mich aufsammelte war ich bei einem Wüstenvolk im südlichen Kontinent. Es gab mehrere hochrangige Anführer, die jeweils nur ihren Familienclan geführt haben. Wie Nomaden zogen sie durch die Wüste von Oasen zu Oasen. Man kam gar nicht auf die Idee, mich gegen ein anderes Reich zu schicken, viel zu verzückt waren sie von meiner Optik und meiner Stimme. Ich war praktisch ihr Abendprogramm, losgelöst von Ketten und dergleichen. Eine recht angenehme Zeit, auch wenn ich noch immer nicht meine Freiheit zurück hatte. Durch Zufall war Herantep dort als das Gefüge plötzlich kippte weil es zu Zwisten unter den Clans kam und sie sich innerhalb einer Nacht fast vollkommen ausgelöscht haben. Der alte Händler bekam mein Amulett in die Finger und flüchtete sobald das Gemetzel seinen Höhepunkt erreicht hatte."
      Eine wahrlich angenehme, wenn auch langweilige Zeit für sie. Zwar wurde sie nicht misshandelt, wirklich unterhaltsam war es für sie dennoch nicht. Ihre Miene wurde kaum merklich dunkler als sie fortfuhr.
      "Davor war ich lange Zeit im Osten. Karges Land mit einer abnormen Luftfeuchte. Ich war die Kriegsbeute eines raubenden Volkes, die kurz darauf feststellten, dass sie in einer von Nässe geprägten Umgebung plötzlich eine Feuermacht besaßen. Sie ließen mich die nächstbesten Siedlungen niederbrennen, Menschen in Scharen verbrennen, nur damit sie an deren Besitz und Vorräte kamen. Obwohl es ihnen an nichts mangelte. Dadurch verlernten sie irgendwann sich auf ihre eigenen Kriegskünste zu verlassen und wurden von einer ihnen deutlich überlegenen Macht gnadenlos überrannt. So kam ich wieder in eine Palastanlage, wo man mich in Ketten legen ließ als die Feuermaid, die ganze Ländereien in unliebsames Ascheland verwandelt hatte. Von daher sei froh, wenn sich deine Mitmenschen an ihre Worte und Eide halten, solange es funktioniert. Ich gönne es euch wahrlich."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Zoras zog die Augenbrauen ein Stück weit zusammen. Er konnte sich nicht erklären, ob Kassandras Fragen daher stammten, dass sie vom Süden hergewandert war, oder dass sie eine Phönixin war. Vielleicht war es beides, aber das machte es nicht einfacher, manche der Fragen zu beantworten.
      "Wir sehen es nicht als ehrenhaft an im Krieg zu sterben", begann er langsam, wobei er sich selbst darüber erstmal im Klaren sein musste, wie er Kassandra in die Denkweise seines Volkes einweihen sollte.
      "Es gibt keine Ehre, die mit dem Tod zusammenhängt. Es hat nie jemanden gegeben, dessen Tod geehrt wurde, sondern nur seine Taten. Die Ehre kommt durch die Bedeutung des Todes."
      Er warf ihr einen Seitenblick zu, wollte sie an das Gespräch von vor ein paar Tagen erinnern, wagte es aber nicht, es laut auszusprechen. Schließlich versuchte er sich an einem milderen Beispiel.
      "Wenn ein Infanterist von 50.000 im Krieg stirbt, wird sein Tod nicht geehrt werden. Wenn er allerdings stirbt und sein Körper bringt den unmittelbaren Sieg ein, wird man ihn preisen."
      Oder wenn Zoras sein Leben gab, um die Krone zu stärken - nur mit dem Unterschied, dass ihn niemand preisen würde. Und das war es doch, was er Kassandra bereits vor einigen Tagen zu vermitteln versucht hatte: Er hatte keine Angst vor dem Tod, er hatte Angst davor als Verräter zu sterben. Sein Tod hätte Bedeutung, aber die Bedeutung würde nirgends anerkannt werden.
      "Ja, ich denke so kann man es am besten erklären."
      Er nahm sich einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen.
      "Meine Mutter ist bei einem Überfall gestorben, Zuhause. Wir wissen nicht wer es gewesen war oder warum - vielleicht war es ja ein Putschversuch."
      Er lächelte kurz zynisch über diese Ironie.
      "Sie haben die Wachen überwältigt und sind eingebrochen. Irgendjemand muss einen Grundriss besessen haben, denn sie sind unbemerkt beinahe bis zu den Schlafzimmern durchgekommen. Mein Bruder hat den Lärm bemerkt und hat seinen Jungen weggeschickt, bevor er sich dem Kampf der Wachen angeschlossen hat. Ich war nicht da, ich war zu Gast im Königshaus."
      Und zu dieser Uhrzeit höchstwahrscheinlich im Bett der Königin, aber das war eine Erkenntnis, die er mit ins Grab nehmen würde. Er schien ein außerordentliches Talent dazu zu besitzen, zur richtigen Zeit am falschen Ort zu sein, wenn die Menschen um ihn herum starben: Er war nicht da als seine Mutter starb, er war nicht da als die Königin starb, er war nicht da als sein Vater starb. Sein Unterbewusstsein schien verhindern zu wollen, dass er jemals irgendjemandes Tod verhinderte.
      Er starrte für einen Moment stur geradeaus und ließ sich von dem Auf und Ab seines Pferdes durchschaukeln, ein gewohntes, besänftigendes Gefühl. Kassandra lenkte das Thema wieder auf andere Gefilde zurück, was ihm nicht unrecht war, auch wenn er nicht mochte, dass sie stets so geradeheraus sprach. Es fühlte sich so an, als wäre sein so vorsichtig errichtetes Konstrukt um sich selbst so leicht durchschaubar, als existiere es überhaupt nicht.
      "Ja, ich breche auch gerade meinen Eid", brummte er und warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. "Und dafür werde ich auch die Konsequenzen zu spüren bekommen. Früher oder später."
      Kein sehr angenehmer Gedanke. Ja, er hatte auch Angst vor dem Tod, wer hatte das nicht? Doch Zoras konnte mit einigem Stolz behaupten, dass seine Angst ihn noch nie aufgehalten hatte. Vielleicht war er deshalb noch nicht dem Druck erlegen, der auf ihm lastete wie ein permanenter Begleiter, der sich an seinen Rücken geheftet hatte. Sicher, es gab viele Einschläge in seinem Leben, es würde auch noch weitere geben in den nächsten Monaten, aber er stand noch immer aufrecht und würdevoll. Es gab keinen Druck, der mächtig genug wäre ihn zu beugen, dessen war er sich über die Jahre beinahe sicher geworden.
      Als Kassandra von dem Ort zu erzählen begann, wo sie vorher gelebt hatte, überkam Zoras eine erneute Welle aus Mitleid für die Phönixin, die um ein weiteres Mal bewies, wie sehr sie zum Opfer der Menschheit wurde. Es war bereits grenzwertig gewesen, dass der Händler sie am Marktplatz tanzen gelassen hatte, aber natürlich war das nicht das schlimmste, was ihr jemals wiederfahren war, so wie sie wiedermal bewies. Und er glaubte ihr das Schicksal auch ansehen zu können, wenn es auch nur für einen Augenblick war.
      "Gibt es überhaupt einen Ort, an dem du jemals gerne warst? Oder eine... Zeit?"
      Er sprach nicht die Frage dahinter aus, ob sie es auch jemals genossen hatte durch die Welt zu wandeln. Bei dem, was sie ihm erzählte, konnte er es sich nicht vorstellen.
    • Dies war noch immer einer der Hauptpunkte, den Kassandra am Umgang mit dem Tod der Menschen nicht nachvollziehen konnte. Sie zogen eine Linie, wägten ab, ab wann man einen Verstorbenen nicht nur nachweinte. Ab wann man ihn pries, wie Zoras es nannte. Oder seine Taten, aber das war lediglich Wortklauberei. In ihren Augen gab es keinen einzigen Zusammenhang, in dem man das Erlöschen eines Lebens egal mit welchen Taten es verbunden sein sollte, preisen konnte.
      Kassandras Mundwinkel zuckten unweigerlich bei dem Gedanken daran, wie Zoras Mutter in seiner Abwesenheit ermordet worden war. Die Vorstellung, dass es geschah während er seiner Pflicht nachkam musste unerträglich sein. Vermutlich machte er seinem Bruder Vorwürfe ohne es offensichtlich in den Raum zu stellen. Die Fronten würden vielleicht verhärtet sein, aber das konnte sie erst bestimmen wenn sie die Brüder einmal zusammen sah.
      "Eine furchtbare Vorstellung gerade bei wichtigen Momenten nicht bei der eigenen Familie zu sein. Und dann nicht einmal zu wissen, warum es überhaupt geschehen war. Wäre ich an deiner Stelle hätte ich erst geruht wenn ich den Grund erfahren und diejenigen zur Rechenschaft gezogen hätte", erwiderte Kassandra und zeigte damit einen durchaus rachsüchtigen Charakterzug, den man einem Phönix vielleicht nicht nachgesagt hätte. "Zu Gast im Königshaus sagst du? Es gibt da sowieso noch eine Sache, die ich bei Gelegenheit mit dir besprechen wollte. Aber nicht hier unter den Massen an Zuhörern."
      Es gab da einen kleinen Punkt, den sie unbedingt nachforschen musste. Der Grund, warum Feris eine solche Abneigung gegen Zoras hegte lag tiefer und die wenigen Hinweise, die sie bekommen hatte, sorgten dafür, dass sie Zoras' Einschätzung bestimmter Ereignisse und Übereinkünfte mehr als nur infrage stellte.
      Sie machte ein abfälliges Geräusch als sie spürte, wie er Mitleid für sie empfand. Es stand ihm in keinster Weise zu, Mitgefühl für ein jahrtausend altes Wesen zu entwickeln, dessen wahre Umstände er nicht kannte. Würde er jemals erfahren, was sie über die Welt gebrachte hatte, würde er ihren Umstand vielleicht eher als gerechte Strafe empfinden. Aber so wie sie seine dunklen Abgründe nicht kannte, galt es auch andersherum.
      "Ja, gab es", bejahte die Phönixin die vorsichtige Nachfrage ihres Trägers wobei ihre etwas ungehaltene Stimmung dank der Erinnerung einem fast schon melancholischem Ausdruck wich. Ihr Blick war wieder nach vorne gerichtet, aber ihre Augen sahen etwas viel weiter Entferntes. So weit, dass kein menschliches Auge es wohl jemals sehen können würde.
      "Es war zu Beginn meiner Zeit hier auf Erden. Auf einem Kontinent, den es heute so nicht mehr gibt oder einen neuen Namen hat, den ich nicht kenne. Die Menschen damals lebten in einer Region, die geprägt war von Hitze und Sandstürmen. Sie hatten Behausungen aus Sandsteinen errichtet, die über die Jahrtausende vermutlich vom Wind erodiert worden sind bis heute. Ich war für sie eine herabgestiegene Gottheit, sie verehrten mich für etwas, das ich gar nicht war. Aber es war eine schöne Zeit, geprägt von Wohlstand und Frieden. Der Tanz, den du auf dem Marktplatz gesehen hattest, stammt aus dieser Zeit. Ich glaube, die Tänze aus dem Osten basieren auf jene dieses einstigen Volkes."
      Einen Moment schwieg sie, einen winzigen Augenblick lang trat ein warmes Lächeln auf ihr Gesicht, das kurz daraufhin wieder verschwand. Dann war ihre Miene wieder so unlesbar wie zuvor.
      "Wie immer nahm es ein ungutes Ende und ich wurde weitergereicht. Aber schenk dir dein Mitleid. Weder weißt du, welche Sünden Göttern begehen können noch verstehst du ansatzweise wie Zeiten der Gefangenschaft wirklich sind. Herantep war ein anständiger Mann, wir hatten uns auf einer getroffenen Vereinbarung bewegt. Es störte mich nicht, dass er mich für sein Geschäft benutzte. Aber lass mich raten." Sie warf Zoras einen scharfen Seitenblick zu. "Es kümmert den Mann jetzt auch nichts mehr, so wie ich deine Vorgehensweisen nun kenne."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • "Oh, wir haben alles erdenkliche getan, um die Mörder zu finden."
      Zoras sah zum etlichsten Mal zu Kassandra hinüber und musterte den Ausdruck in ihrem Gesicht. Es war entspannt wie schon die ganze Zeit und passte kaum zu der plötzlichen Rachesucht, die sie zeigte.
      "Aber wir hatten keine Anhaltspunkte, keine Namen, keine Orte. Alle jene, die überwältigt wurden und überlebt haben, haben sich in ihrer Zelle umgebracht, ohne ein Wort zu verlieren. Wenn man es genau nimmt, suchen wir sogar noch immer, aber ich bin zu beschäftigt um einen Mord aufzuklären und mein Bruder kann auch nicht mehr tun, als er bereits tut."
      Er knetete die Zügel in seinen Händen aus Abwesenheit einer besseren Beschäftigung. Kassandra sein Leben zu offenbaren war eine Sache - es gab kaum etwas, das nicht eh schon der Öffentlichkeit bekannt war - aber zu wissen, mit welchem Blick Kassandra die Dinge betrachtete, verunsicherte ihn. Sie konnte seine Gefühle erkennen und damit wahrscheinlich auch seine Gedanken, es gab wohl kaum etwas, was er vor ihr hätte verbergen könnte. Nicht einmal die Königin hatte er so tief in sich hinein blicken lassen, wie er es bei der Phönixin manchmal tat. Es war höchst verunsichernd.
      "Du bist ziemlich rachsüchtig für eine Phönixin", stellte er fest, nur um das Thema vom Königshaus wegzubringen. "Solltest du nicht eigentlich ein... friedliebendes Wesen sein?"
      Das war wohl eine höchst lächerliche Frage, wie ihm auffiel, nachdem Kassandra schon ein paar Palastwachen massakriert hatte.
      "... Wenigstens ein bisschen friedliebend?"
      Er blickte wieder geradeaus, lauschte ihrer Erzählung, versuchte sich einen Kontinent vorzustellen, der nicht nur unbekannt für ihn war, sondern wahrscheinlich gar nicht mehr existierte, alles unter dem Augenmerk, dass Kassandra es dort einmal gefallen hatte. Und das zu Beginn ihrer Zeit? Er zog die Augenbrauen nach oben.
      "Wie lange bist du schon hier unten, auf der Erde? Hat es denn keinen besseren Ort gegeben, nach diesem ersten?"
      Man hätte meinen können, es gäbe mit Fortschritt der Zeit auch einen Fortschritt in der Gesellschaft, mit der sich ein Champion besser fühlen könnte als noch Jahrhunderte zuvor. Ganz anscheinend hatte Zoras mit dieser Annahme falsch gelegen.
      "Das hört sich traurig an. Ich hätte gedacht, dein letzter angenehmer Aufenthaltsort wäre höchstens ein paar Jahrhunderte alt. Das hört sich so an, als ob die Völker von damals besser wären als wir, auch ohne ihren Fortschritt."
      Allerdings konnte er sich auch nicht erklären, warum er davon so ergriffen war. Hatte er etwa geglaubt, Kassandra könnte sagen, dass sie am liebsten in Theriss wäre? Wo Theriss doch im Vergleich kaum besser sein konnte als die tausenden von Ländern, die sie bereits besucht hatte? Ganz abgesehen davon, dass sie bisher nicht viel mehr als den Königspalast und ein Teil von Zoras' Herzogtum gesehen hatte, kaum genug um ihre Umgebung richtig einschätzen zu können.
      Er ließ einen Blick durch die Umgebung schweifen und nickte leicht.
      "Aber ich kann mir vorstellen, dass es eine schöne Zeit war. Das war ein schöner Tanz."
      Würde sie auch für ihn tanzen? Freiwillig?
      Ihre nachfolgenden Worte verwischten diese Vorstellung wieder und er verzog das Gesicht, als sie ihn mit ihrem Blick durchbohrte. Vielleicht war es doch an der Zeit herauszufinden, ob Kassandra eine Lüge erkennen konnte, denn er würde ganz sicher nicht frei heraus zugeben, dass er den Händler umgebracht hatte. Oder umbringen gelassen hatte.
      "Ich habe dir gesagt, was ich von Sklaverei halte - wenn du das, was der Händler mit dir gemacht hat, nicht für eine hältst, dann ist es wohl so. Ich werde nicht mutmaßen, was der Händler selbst davon gehalten hat; du wirst ihn fragen müssen, wenn du ihm das nächste Mal begegnest."
      Manchmal wünschte er sich, er hätte eher Eiklars Redekunst geerbt als das Reittalent. Der kleine Herzog hätte sich bestimmt wesentlich eleganter aus der Sache rausgeredet als er.
      Er wagte es nicht, Kassandras Blick standzuhalten, aus der irrsinnigen Angst, sie könnte geradewegs durch seine Augen hindurch in sein Hirn sehen und die schlecht getarnte Lüge entlarven. Stattdessen sah er sich nach seiner Truppe um, nur um zu entdecken, dass sie bereits seit Stunden in ihr Gespräch vertieft waren und kaum etwas von dem Ritt mitbekommen hatten. Der Hauptmann bemerkte wohl die kurze Ablenkung von Zoras und wagte einen vorsichtigen Vorstoß, um das Paar darüber zu informieren, dass sie in der nächsten Ortschaft rasten würden. Zoras hatte dagegen nichts einzuwenden, auch wenn er bevorzugt hätte, bis zur nächsten Stadt durchzureiten. Aber sie hatten Verletzte unter sich und wenn er es sich recht überlegte, war er sowieso nicht ganz so erpicht darauf nachhause zu kommen, denn dann würde er mit den Vorbereitungen des Aufstands anfangen müssen.
      "In Ordnung."
      Der Hauptmann nickte ihm zu und ließ sich wieder zurückfallen. Zoras sah kurz zu Kassandra und dann wieder geradeaus.
      "Wir sind bei diesem Tempo in vier Tagen Zuhause, vielleicht auch drei."
      Dann verfiel er in Schweigen und ging seinen Gedanken nach.

      Sie übernachteten in einem Dorf, das ähnlich groß wie Lindum war und Schafzucht betrieb. Anders als in Lindum wurden die Bewohner von der Ankunft ihres Herzoges im Voraus in Kenntnis gesetzt, was für nicht unerheblichen Trubel sorgte. Anders als in Lindum wurde Zoras mit großem Geschrei und Gedränge begrüßt, das seine Gardisten erst unter Kontrolle bringen mussten. Anders als in Lindum ritt er erhobenen Hauptes durch die Straße und ließ sich von dem Geplärre berieseln.
      Sie waren seit fünf Tagen unterwegs und dabei auch noch auf einer hektischen Flucht; Zoras trug noch immer seine nicht minder schmutzige Uniform, er hatte sich den Bart nicht geschnitten und die Haare lediglich mit Wasser gewaschen. Man konnte nicht unbedingt behaupten, dass sein Auftritt dem eines Herzogs würdig war.
      Allerdings schien das niemanden zu stören. Sämtliche Schaulustige drängten sich so nahe heran wie es nur möglich war, nur um Zoras' Aufmerksamkeit zu erhaschen oder sein Pferd zu berühren. Sie kamen nicht gänzlich nahe genug heran, um eines der beiden Vorhaben durchsetzen zu können, aber sie versuchten es doch mit einer Unnachgiebigkeit, als könne ihr Leben davon abhängen.
      Die hochrangigeren Truppenmitglieder wurden schließlich im einzigen Gasthaus im Ort untergebracht und der Rest bezog sein Lager in den umstehenden Gebäuden und am Dorfrand.
    • "Man sagt uns nach, dass wir friedliebend seien, ja. Wir alle wertschätzen den Zyklus des Lebens, das liegt auch mir nicht fern. Aber wie sagt man in eurer Sprache so gerne? Jede Familie hat ein schwarzes Pferd? Ah, nein. Schaf. Es waren Schafe. Warum eigentlich ausgerechnet Schafe?"
      Es war nur eine Frage der Zeit bis die Ungereimtheiten auffallen würden. Sie konnte sich nur deswegen so lange unerkannt und ungefürchtet in Theriss bewegen, da anscheinend niemand die Aufzeichnungen oder die Kenntnis besaß. Was Zoras' Neffen mit einem Mal zu einer nicht zu verachtenden Bedrohung machte. Kannte er sich nur gut mit der Geschichte dieses Landes aus oder reichte sein Interesse weiter? Kannte er die Sagen und Mythen um die Götter, vielleicht sogar das Große Lauffeuer von Uludan? Wenn ja, dann könnte es sein, dass Zoras auf die Worte seines Neffen gab und sie vielleicht mit anderen Augen sehen würde.
      "Wie lange ich schon hier auf Erden wandel? Das kommt ein wenig darauf an wo genau die Definition liegt. Wenn du meinst, wann ich aus der Götterbene verbannt worden bin, reicht das länger als eure Zeitrechnung zurück. Gebunden an meine Hülle, also nach der Entstehung meiner Essenz sind es ein paar Jahrtausende schätze ich. Zeitrechnung fällt mir schon immer schwer", erklärte Kassandra. "Versteh mich nicht falsch. Ich habe nicht alle Orte gehasst. Es gab nur keinen einzigen, an dem ich Glück verspürte. Aber die Zeit im Süden beispielsweise war ganz erträglich, wenn auch ziemlich langweilig."
      Kassandra zeigte Zoras ein dezentes Lächeln. Natürlich war es ein schöner Tanz gewesen. Anmut war eine der Stärken der Phönixe, die für beide Geschlechter galt. Nicht umsonst galten sie als Bezirzer, die nur von Sirenen und dergleichen übertrumpft wurden. Insbesondere fremdländische Traditionen wirkten auf die Menschen anderer Kulturen immer besonders ansprechend und das hatte sie sich seit je her zu Nutzen gemacht. Vermutlich stellte er sich gerade die Frage, ob sie jemals auch nur für ihn tanzen würde. Als ob sie sich auf diese niedere Stufe hinab begeben würde. Sie hatte es einmal für einen Menschen getan und sah von einer Wiederholung ab.
      Auf Zoras wirklich schlechte Lüge hin musterte sie ihn eingehend. Es stand kein Schmerz, kein Zorn oder Enttäuschung in ihrem Gesicht. Eine wohlgehütete, gleichgültige Maske, die sie ungern offen ablegte. Sie wusste, dass er sie anlog. Dass der dafür gesorgt hatte, dass Herantep diese Erde nicht mehr bevölkerte und in sein nächstes Leben gegangen war. Unfreiwillig.
      "Ich frage ihn, sofern ich ihm in seinem nächsten Leben begegnen sollte", erwiderte die Phönixin lediglich. Ein subtiler Hinweis darauf, dass sie seine Lüge durchschaut hatte und nicht einmal dafür auf die Verbindung zwischen ihnen zurückgreifen musste.
      Dann verfiel sie wie ihr Träger in Schweigen für den Rest des Weges. Sie hatten genug für einen Ritt geredet.

      So chaotisch ihr Überfall auf Lindum gewesen war, ihre Ankunft in einem Dorf, das sich als Anhänger Zoras betitelte, war eine Steigerung dessen. Kassandra hatte geahnt, dass Zoras viel zu sehr gefeiert wurde und das zeigte sich bei ihrem Eintreffen mehr als deutlich. Es war für die Bewohner völlig egal, dass der Mann aussah wie der Gehetzte persönlich. Die Leute drängten sich in Scharen um ihn, versuchten ihn oder sein Pferd zu berühren und hatten dadurch dankbarer Weise keinerlei Augen für den gestohlenen Champion. Folglich hatte sie alle Zeit der Welt die Lage zu beobachten mit objektiven Augen auf das Geschehen.
      Dies würde problematisch werden..., befand sie gedanklich als sie sah, wie sehr man einen einfachen Mann feierte.
      Kassandra wurde zu denjenigen eingeteilt, die einen höheren Rang genoßen und wurde demnach mit im Gasthaus der Siedlung einquartiert. Während Zoras damit beschäftigt war, die Planung zu übernehmen wie es den Folgetag weiterging und sich um die Versorgung seiner Leute zu kümmern, hatte Kassandra ein Wort mit den Wirten gesprochen. Für sie alle war sie nur eine Frau, die ihren Herzog begleitete und scheinbar eine gewisse Gunst seinerseits genoß. Nach ein wenig Verhandlung hatte sie erreicht, dass man ihr kein Einzelzimmer gab sondern es einem weiteren Soldaten freistellte. Stattdessen quartierte man sie in Zoras Zimmer mit ein, das sowieso das größte gewesen war und mit zwei Betten ausgestattet war.
      Sie nutzte die Zeit, um sich wieder ansehnlicher herzurichten und die lästige Tracht aus dem Palast abzulegen, die sie noch immer am Leibe getragen hatte. Sie bekam Kleidung gestellt, die angemessener zum Herzogtum Luor passten und sie nicht mehr ganz so aus der Menge hervorstechen ließ. So beschloss sie in dem Zimmer zu warten nachdem sie sowieso nichts weiteres mehr zu tun hatte. Außerdem wollte sie nicht unnötigerweise noch mehr Klatsch beschwören als sie es ohnehin schon getan hatte.
      Während ihrer Wartezeit hatte sie sich auf ihr Bett in dem Gasthauszimmer gelegt. Die Wände waren aus Stein, der Boden jedoch mit Holzdielen ausgekleidet und mit einem Läufer abgemildert worden. Ein kleiner Tisch mit einem Stuhl trennte die Betten voneinander, die mehr auf Funktionalität als Stil ausgelegt waren. Ein einfaches Gestell und einfaches Bettzeug.
      Ihr Rücken schmerzte allen Ernstes als sie sich ausgestreckt hatte und auch ihre Beine meldeten sich angesichts der ungewohnten langen Rittstrecke. Gedehnt seufzte sie als sie die Stille einfach nur genoß und für einen Moment die Augen schloss, um zu entspannen.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die Sonne verschmolz bereits mit dem Horizont, als Zoras sich auch endlich zurückziehen konnte.
      Er mochte Dörfer wie dieses nicht, auch wenn sie essentiell für sein Herzogtum waren. Hier wohnte niemand von Rang, kein Fürst, kein Graf, nicht einmal ein Offizier oder vergleichbares, höchstens ein Bürgermeister, Aufseher oder Landherr. Zoras' Ankunft war ein Spektakel, das die Leute nicht gewöhnt waren und dementsprechend hoch war das Bedrängnis.
      Allein aus diesem Grund ließ er das Gasthaus bewachen und zog sich darin zurück, kaum als seine Pflichten erledigt waren. Normalerweise hätte er womöglich den Abend ausklingen lassen und sein Pferd gepflegt oder wäre mit dem Hauptmann einen trinken gegangen, aber da es in diesem Ort sowieso keine andere Schenke gab, ließ er es bleiben.
      Dementsprechend verhalten war allerdings seine Begeisterung, als er sein Zimmer betrat und feststellen musste, dass Kassandra eingezogen war. Sie hatte sich auf dem zusätzlichen Bett - das sonst immer leer war und ihm höchstens als zusätzlicher Kleiderständer diente - ausgestreckt, ein irrsinnig langer Körper auf dem schmalen Bett, versteckt von einer sauberen Schicht Kleidung in sanften Farben. Zoras hob die Augenbrauen, als er die Farben seines Herzogtums erkannte und den unverkennbaren Schnitt an den Schultern, den kürzeren Ärmeln. Kassandra hatte sich in die landesübliche Tracht gezwängt.
      Wenn er nicht schon müde gewesen wäre - nicht unbedingt körperlich, aber ganz sicher geistig - hätte er sich wohl eleganter damit angestellt, sein Interesse bei diesem Anblick zu verstecken, aber so brauchte er einen Moment, bis sein Gehirn den Dienst wieder aufgenommen hatte.
      "... Hast du nicht ein eigenes Zimmer?"
      Er kam herein, schloss die Tür hinter sich und ließ etwas von der Steifheit seiner Schultern abfallen, wenn auch längst nicht alles. Eigentlich hatte er sich auf den ersten, ungestörten Frieden nach einer halben Woche gefreut, aber das konnte jetzt wohl auch einen weiteren Moment warten. Er warf einen weiteren Blick auf Kassandra - die Farben standen ihr, auf der anderen Seite hatte sie bisher noch nichts getragen, was ihr nicht gestanden hätte - und marschierte dann an ihr vorbei zu dem aufgestellten Spiegel und der Wasserschale davor. Er nahm sich das Rasiermesser und wusch sich den Bart, bevor er ansetzte seine Haare zu stutzen. Das war sowieso längst überfällig.
      Er warf Kassandras Spiegelbild zwischendurch einen Blick zu.
      "Was verschafft mir die Ehre? Hast du etwa noch mehr Fragen?"
    • Das immer näher kommende Amulett mit ihrer Essenz verriet Kassandra, dass Zoras auf dem Weg war. Noch bevor er den Raum betrat streckte sie sich ausgiebig und machte keine Anstalten, sich aufzurichten. Erst nachdem er hereingekommen war und die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, setzte sie sich auf und musterte den doch ermüdet wirkenden Herzog.
      "Ich hatte eines", stimmte sie ihm zu wobei ihr sicherlich nicht entging, dass er scheinbar Gefallen dran fand, dass sie luorische Tracht trug. "Aber man muss mir kein eigenes Zimmer zuteilen nur weil ich eine Frau bin. Außerdem liegt es in meinem eigenen Interesse ständig zu wissen, wo sich mein Herz befindet. Aber ich kann auch gehen, wenn dich meine Anwesenheit in irgendeiner Form... beschäftigt."
      Sie ließ das Wort ohne Erklärung einfach im Raum vergehen und sah dabei zu, wie er zu der Wasserschale mit dem Spiegel ging und endlich etwas gegen diesen entstellten Bart unternahm. In einer kurzen Bewegung zog Kassandra die Beine zu einem Schneidersitz heran und richtete sich auf dem Bett so aus, dass sie beide sich im Spiegelbild sehen konnten.
      "Du hast Feris nicht töten können weil er für dich wie ein Stiefsohn ist", brach sie schließlich die Stille und teilte ihre Gedanken offen mit, wobei sie anhand seiner Reaktion entscheiden würde, ob ihre Vermutungen richtig waren oder nicht. "Du hast hier keine Frau weil dein Auge auf einer anderen Dame lag. Der Königin, wie ich vermuten würde. Deswegen warst du häufiger im Königshaus und Feris wusste es. Was genau ist vorgefallen, damit der Junge einen solchen Groll gegen dich hegt? Einfach nur weil es der Standesunterschied war? Wie ist sie gestorben?"
      Dass der ehemalige König während einer Schlacht gefallen war, wusste die Phönixin mittlerweile. Aber das Mysterium um die Königin und ihren Sohn war nicht ganz klar. Dass Feris nicht Zoras Sohn sein konnte las sie aus der völlig andersartigen Aura ab, die sie beide umgab. Trotzdem hatte Kassandra über die Jahrhunderte gelernt, dass es immer mehr als nur gefährlich war, wenn Liaisons zwischen anderen Ständen eingegangen worden waren, seien sie nun öffentlich bekannt gewesen oder nicht.
      "Selbst diese Menschen hier betrachten dich wie einen Heiligen. Wenn du den Aufstand publik machst und die Planung dafür übernimmst, werden sie dir Folge leisten. Mehr als das, sie würden in Eigenregie handeln und eigenmächtig kämpfen wenn jemand es auch nur wagt, deinen Namen zu beschmutzen. Es werden wahnsinnig viele Menschen, Teile deiner Leute, sterben, Zoras. Für den lächerlichen Versuch die Krone zu stärken, die vielleicht längst überfällig ist. Hilf mir zu verstehen, warum man sich so sehr einer immateriellen Sache verschreiben kann."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Nun, eigentlich war es seine eigene Schuld. Zoras hatte gefragt und er hatte eine Antwort erhalten. Dass er mit dieser Antwort nicht glücklich war, konnte er kaum Kassandra in die Schuhe schieben.
      Sie hatte zu viel Erfahrung mit Menschen, das war das Problem. Sie hatte diese spezielle Situation mit Zoras und dem König sicher schon irgendwo in irgendeiner Weise erlebt, viel häufiger hatte sie sicherlich das Grund-Dilemma erlebt, ein Fast-Stiefvater, der mit seinem Fast-Stiefsohn nicht recht auskam. Nicht die Tatsache, dass ein solches Dilemma überhaupt bei Zoras existierte war das Problem, sondern dass Kassandra seine Gedanken lesen konnte, bevor er sich selbst darüber bewusst war. Es hatte keinen Zweck ihr etwas verheimlichen zu wollen und weil das nicht in seiner Kontrolle lag, fühlte er sich unglaublich verletzbar. Er mochte das Gefühl nicht.
      Das änderte aber nichts daran, dass er ihr trotzdem eine Antwort abliefern musste.
      Nach dieser Erkenntnis wandte er sich wieder seinem eigenen Spiegelbild zu und beschäftigte sich damit, sein Kinn von Haaren zu befreien. Er rasierte sich nie vollständig, das war ein Brauch, der von den Arlura übernommen worden war und an dem er festhielt.
      Er bestätigte ihre Vermutungen schließlich mit einem missmutigen Brummen, wusch die Klinge ab und setzte als nächstes an der Oberlippe an. Das hinderte ihn für einen Moment am Sprechen, aber Kassandra machte keine Anstalten, irgendeine ihrer Fragen zurückzunehmen.
      "Das hat alles seinen Ursprung in der Schlacht", begann er schließlich, wenn auch langsam. Sein Blick huschte einmal zu Kassandra hinüber, die ihn schweigend beobachtete.
      "Ich müsste dir eine Einführung in die Kriegsführung unseres Landes geben um die Hintergründe zu verstehen, aber schlicht gesagt ist es die Pflicht des Königs, seine Armee in den Krieg zu führen. Nicht in jeden Krieg und ganz sicher nicht in jede Schlacht, aber in diesem speziellen Fall in beides. Der König beginnt die Schlacht und der König beendet die Schlacht. Ein entscheidender Faktor dafür ist, dass alle Herzogtümer daran beteiligt sind und das war auch so."
      Er wusch die Klinge ab und fuhr sich anschließend mit der nassen Hand über den Bart. An diesem Abend war er zu müde, um Kassandra von der ganzen Schlacht zu erzählen.
      "Es gibt Vorschriften für den Fall, dass der König in der Schlacht fällt. Einfach gesagt muss der nächste ranghöchste das Kommando übernehmen, das ist im Regelfall ein Prinz oder ein vom König persönlich ausgerufener Vertreter. Für den Fall, dass der nächst höchste Rang dem eines Herzogs entspricht, wird diese Regel außer Kraft gesetzt. Sobald der König und seine Vertreter fallen, kämpft jedes Herzogtum für sich."
      Die Klinge machte ein leises Pling, als er damit gegen den Schalenrand stieß.
      "Das hat viele Hintergründe und nein, diese Regel war nicht der Grund für unsere Niederlage. Unser König ist gefallen, nachdem der Wendepunkt bereits eingetreten war. Ich spare mir die Details, denn sonst sitzen wir heute Nacht noch hier; du musst nur wissen, dass es an sich beinahe unmöglich ist, den König in einer solchen Schlacht zu ermorden. Man muss an sechs zusammengeschlossenen Herzogtümern vorbei, die allesamt den Eid leisten, ihren König zu schützen. Natürlich ist es nicht unmöglich, aber schon sehr nahe dran.
      Der König hatte also den Krieg begonnen und seine Armee in die Schlacht geführt und ich habe den Krieg schließlich beendet und die Armee nachhause geführt. Damals war ich 21 und noch kein Herzog, das wurde ich erst vor acht Jahren mit dem Tod meiner Mutter."
      Er sah ganz kurz zu Kassandra, um ihre Miene zu mustern.
      "Ja, ich weiß, dass sich das nach einer viel zu überspitzten Geschichte anhört. Aber es war eine blutige Schlacht, eine verlustreiche. Der König ist gefallen, seine Vertreter sind gefallen und die Herzogtümer wurden geschlachtet. Wir haben Boden verloren, mein Vater ist gefallen, Meriahs Schwester ist gefallen, Eiklars Heerführer ist gefallen. Es gibt eine Menge Vorschriften darüber was passiert, wenn der König fällt, aber wenn ein Herzog fällt gibt es so gut wie keine. Der höchste im Rang übernimmt das Kommando und das fängt wieder beim König oben an bis runter zum Truppführer. Ich denke, wenn es jemals in der Geschichte vorgekommen ist, dass sowohl Herzöge als auch Könige und Königsvertreter fallen, gibt es sowieso keine Hoffnung mehr. Deswegen kämpft jedes Herzogtum für sich, damit wenigstens sie sich den Rückzug sichern können."
      Er setzte das Messer wieder an, ließ es dann aber doch wieder sinken. Kassandra lauschte noch immer höchst aufmerksam.
      "Ich habe auch nicht mehr als das getan, aber ich habe mit meiner Reiterschaft den Rückzug der ganzen Armee gewährleistet, nicht nur meiner eigenen. Als wir also zurückkamen hieß es, dass ich die Schlacht beendet hätte. Vielleicht habe ich es auch, in gewisser Weise, aber primär hat es wohl alle verwirrt, dass ihr König seine Armee in die Schlacht und ich sie wieder nachhause geführt habe."
      Er konnte wohl mit Glück sagen, dass der Schock über die verlorene Schlacht groß genug gewesen war, um Vorschriften hintenan zu stellen. Das gesamte Königreich war glücklicher darüber nicht alles verloren zu haben, als dass es empört über den Bruch der Tradition war.
      "Ich habe eine Ehrung von der Königin persönlich erhalten und einen Titel den ich führen durfte, bis ich das Herzogtum übernehmen könnte. Ich wurde quasi wie ein Herzog behandelt, ohne überhaupt einer zu sein."
      Er schwieg für einen Moment.
      "Feris war damals zwei während der Schlacht. Als er sechs wurde und die ersten Dinge über die Geschichte seines Königsreich lernte, erzählte man ihm natürlich von dem Tod seines Vaters, welche Auswirkungen die Schlacht hatte und dass ich sie beendet hätte. Damals war ich 25 und hatte noch kein... Verhältnis zu seiner Mutter, aber ich war fast regelmäßig im Palast zu Besuch. Ich war jung und habe mich an dem Ruhm erfreut, wieso sollte ich ihn da nicht im Herzen des Landes auskosten.
      Die Königin und ich kamen uns näher, als Feris 11 wurde und ich denke, dass da zum ersten Mal der Gedanke gesprossen ist, dass ich einen Anspruch auf den Thron haben könnte. Mit 11 wusste er schon längst, dass er eines Tages die Krone übernehmen sollte und er wusste genauso viel, dass ich am selben Tag, an dem sein Vater starb, zum Held des Landes erklärt wurde. Er hat die Dinge im falschen Licht gesehen. Ich habe es schon einmal gesagt und ich stehe dazu, dass ich niemals König werden wollte. Ein Heldentitel ist schon genug, wie du dir vorstellen kannst - wie du dort draußen schließlich gesehen hast. Ich will nicht auch noch die Verantwortung tragen müssen."
      Schließlich legte er die Klinge beiseite und betrachtete sein Werk als vorerst beendet. Es reichte für den restlichen Heimweg.
      Er drehte sich zu Kassandra um und stützte sich auf dem Tisch hinter sich auf.
      "Die Königin ist vor einem Jahr an einer Krankheit gestorben, irgendein Pestizid, der sich in das Gehirn frisst und", er machte eine vage Geste, "die Blutadern anknabbert oder irgendwas. Ich weiß es nicht, ich bin kein Arzt. Sie hat drei Wochen lang gekämpft, dann war sie tot, vom einen auf den anderen Moment. Als der Bote uns mit der Nachricht erreichte, dass sie krank sei, habe ich sofort alles stehen und liegen gelassen und bin gekommen so schnell ich konnte, aber sie war schon tot als ich ankam."
      Ein Schatten huschte über sein Gesicht, der seine Augen verdunkelte und seine Falten hervorzuheben schien. Viele davon hatte er sich sicherlich nur durch die Trauer eingefangen.
      "Ich war bei Feris' Krönung anwesend und das hat ihn wohl paranoid gemacht, er dachte, ich würde ein Attentat auf ihn versuchen, um mir die Krone zu schnappen."
      Seine Mundwinkel zuckten in einem unglücklichen Lächeln.
      "Letzten Endes hatte er wohl recht damit. Es hat nur ein Jahr lang gedauert und eine rapide ansteigende Gefahr, die nicht unwesentlich auch durch den Tod der Königin hervorgerufen worden war."
      Er stieß sich vom Tisch ab, öffnete die Knöpfe seiner Uniform - eine Tätigkeit, die bei der schieren Komplexität der Knöpfung lange genug in Anspruch nahm, um an seinen Nerven zu nagen - und ließ sich schließlich auf sein eigenes Bett fallen. Langsam wurde er zu alt für dieses ganze Theater in seinem Land, dessen war er sich sicher.
      "Feris hat sein Volk enttäuscht und weil der nächste Krieg quasi vor der Tür steht, braucht es eine starke Führungskraft und muss geeint sein. Ja, ich weiß dass viele sich dem Aufstand nur anschließen werden, weil sie darauf hoffen, an meiner "Großartigkeit" teilzuhaben - aber deshalb ist mein Tod auch so wichtig. Feris kann beweisen, dass er stark ist, wenn er mich besiegt, ganz ohne dabei übermäßige Verluste zu erleiden. Wenn ich es richtig mache - wenn ich es gut mache - hat er nachher noch immer eine starke Armee, gefestigte Grenzen und ein Volk, das hinter ihm steht. Das ist in vielen Dingen wichtiger, als eine einzelne Schlacht zu gewinnen. Vielleicht ist es sogar genug, um den Krieg zu verhindern."
      Er musterte Kassandra, noch immer gänzlich niedergeschlagen von... allem. Aber ihre Meinung war ihm wichtig, realisierte er. Er wollte hören, was sie dazu zu sagen hatte.
      "Was sagst du dazu als weltbewandertes Wesen? Irgendwelche Weisheiten, die du mit mir darüber teilen möchtest?"
    • Kassandra verzog während keinem einzigen Satz ihre Miene als sie von Zoras ein wenig Einblick in das Chaos bekam, das diesen unsteten Staat erst ausgelöst hatte. Er war zu früh mit einem Rang und Namen betraut worden, der sich seiner Position eigentlich entzog und ohne es zu wissen hatte man ihm diese Rolle angedichtet. Sie hatte nicht gewusst, dass es solche Riten, Verläufe und Befehlsketten gab, deren Nichtbefolgen dazu führte, dass das einfache Volk in Verwirrung reagierte. Darüber hinaus hatte er in kurzer Zeit viel verloren und es wunderte die Phönixin aufrichtig, dass ein dennoch so solide wirkender Mann nun vor dem Spiegel saß und seinen Bart in Form brachte. Sie ließ ihn ohne Unterbrechung bis ganz zum Schluss kommen ehe er sich auf sein Bett fallen ließ und sie ein weiteres Mal um ihre Einschätzung bat.
      "Ich wusste nicht, dass es bei euch solche Abläufe gibt, die dazu führen, dass es das Volk verwirrt. Nach dieser Erzählung verstehe ich warum gewisse Gruppierungen dich so sehen und andere nicht. Du hättest dieses Recht eigentlich niemals bekommen dürfen, aber das Schicksal hat es dir in die Hände gespielt. Es ist verständlich, dass der Junge, der nur mit einem Vater bestehend aus Geschichte aufwuchs, beäugt wirst. Zwar hat er selbst keine Geschwister, aber allein durch deine Tat warst du schon ein Konkurrent, ob du wolltest oder nicht. Das ergibt Sinn..."
      War die Königin über den Verlust ihres Mannes dermaßen betrübt, dass sie sich sofort eine neue Schulter gesucht hatte, an der sie sich ausweinen konnte? Hatte es den jungen Zoras damals so sehr geschmeichelt, dass er die Avancen einer, nein, seiner Königin nicht ausschlagen wollte und konnte?
      Indes schüttelte Kassandra kaum merklich den Kopf während sie mit ihren Händen über ihre Oberschenkel rieb als wäre ihr kalt. Was definitiv nicht der Fall war. Dann wurde ihr Blick kurz nicht mehr ganz so entschlossen, Zweifel schienen sich in ihren rubinroten Augen breit zu machen. Als wüsste sie nicht, ob es ratsam wäre, diesen Punkt anzusprechen oder nicht. Letztlich entschied sich sich aber dafür.
      "Das war kein Pestizid, es war ein Parasit. Vermutlich aufgenommen durch verunreinigte Nahrung würde ich schätzen. Es steht mir wahrlich nicht zu soetwas zu sagen, aber wäre ich eher an den Hof gekommen... hätte man publik gemacht, dass sie unter einer angeblich unheilbaren Krankheit leidet..." Ihre Stimme wurde leiser, fast schon so samtig sanft wie eine schwerer weicher Umhang. "Hätte man sie vermutlich heilen können. Ich hätte es heilen können, ohne Zweifel. Aber das Schicksal hat scheinbar andere Pläne mit euch allen."
      Die Gewissheit, dass es einen Weg gegeben hätte, war schwerwiegend zu ertragen. Kassandra selbst stand einst mit einem ähnlichen Gedanken konfrontiert. Wäre sie bei einem bestimmten Ereignis vor Ort gewesen, hätte sie eine der wichtigsten Figuren ihrer Existenz nicht verloren.
      "Ich verstehe wenn du sagst, dass es für Feris ausreicht, dein selbsterrichtetes Bild zu zerstören. Dass ihm das eine Wertschätzung einbringen wird. Aber was denkst du, wie lange wird das halten? Wenn der Junge nicht selbst ein guter König wird, dann hilft dein Opfer ihm nur temporär und er wird wieder zurück in ein Muster verfallen, aus dem du ihm dann nicht mehr helfen kannst. Weil du schlichtweg gestorben bist, Zoras."
      Ein Nachdruck lag in ihrer Stimme, der daher rührte, dass sie sich selbst in Erinnerungen gegen ihren Willen verlor. Egal wie viele tausend Menschen ihren Weg schon gekreuzt hatten - an bestimmte Vertreter würde sie sich auf ewig erinnern. Erst recht wenn sie an deren Schicksal unmittelbar beteiligt war und das Bild nicht aus ihrem Gedächtnispalast tilgen konnte. Tatsächlich ließ sie sich in dieser unbeobachteten Umgebung dazu hinreißen, dass ihre Maske Risse bekam und der Nachdruck in ihrer Stimme sich als Sorge in ihrem Gesicht wiederfand.
      Ehe man sich versah war Kassandra aufgestanden und mit wenigen Schritten stand sie vor Zoras. Unwirsch fing sie seine rechte Hand am Handgelenk ein und zog sie ein Stück zwischen sie beide. Als Mensch konnte Zoras es nicht sehen, aber Kassandra sah deutlich, wie viel Zeit den Lebewesen noch auf Erden blieb. Manchmal sah sie sogar, wodurch sie auf natürlichem Wege starben und hatte in manchen Kulturen einen Titel erhalten nachdem sie diese Fähigkeit offenbahrt hatte. Dafür musste ihre Aura lediglich die des anderen berühren und je nach Lebewesen rief dies eine andere Reaktion hervor, die sie nicht bestimmen konnte.
      "Du hast noch so viel Zeit hier auf Erden", flüsterte Kassandra mit leicht flammenden Augen als sie auf den Träger ihres Herzens hinabblickte, "so viel Zeit, in der du mehr tun kannst als einen sinnlosen gewaltsamen Tod zu sterben. Lebendig kannst du mehr bewirken als es dein Tod je wird."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Das Thema, das die Königin und ihre Beziehung mit Zoras umfasste, war niemals angenehm gewesen, nicht zu ihrer Lebzeit und auch nicht nach ihrem Tod. Es war etwas, das eine Kehrseite zu jedem Aspekt besaß, egal wie man ihn hätte drehen und wenden können. Letzten Endes wäre es wohl für alle Beteiligten - für das ganze Land, wie sich herausstellte - besser gewesen, die Beziehung wäre nie zustande gekommen. Es hätte den Ausgang vollkommen verändert.
      Allerdings gab es viele Momente in Zoras' Leben, die mit einem "hätte" umgekehrt werden können und Zoras hatte bereits vor 15 Jahren gelernt, dass er nicht standhalten konnte, wenn er sich mit der Frage beschäftigte, was er anders hätte machen können, um den Ausgang zu verhindern. Die Antworten waren nämlich in jedem Fall weitaus unbefriedigend und nagten an seinem Verstand, um ihn zum Einsturz zu bringen.
      Oder eher nagten sie an seinem Gehirn wie ein Parasit.
      Kassandra wirkte in dem Moment, in dem sie ihm davon berichtete, dass sie die Königin vermutlich hätte heilen können, so mitfühlend, dass er beinahe der Überzeugung war, sie könne ihn verstehen, wenn er davon berichtete, nicht über die Vergangenheit nachdenken zu wollen. Ihre wandelnde Stimme zeugte davon, dass sie es sogar sehr gut nachempfinden konnte. Hätten sie nicht unbedingt über die Königin gesprochen, hätten sie über irgendetwas gesprochen das leichter zu verkraften gewesen wäre, hätte er sie auch danach gefragt. So zuckte er nur mit den Schultern.
      "Vieles hätte wohl anders laufen können. Im Nachhinein weiß man es immer am besten."
      Er musterte sie weiterhin, beobachtete ihre Miene, während sie zurück zu Feris kam, mit dem sich Zoras genauso ungern beschäftigte. Aber ihn lenkte etwas anderes daran viel mehr ab; war das etwa Besorgnis in Kassandras Gesicht, die er erkennen konnte? Ein beinahe menschliches Gefühl? Zoras war sich darüber bisher nie im Klaren gewesen, aber er hatte die Phönixin stets als kühl und reserviert wahrgenommen, nur soweit an den Umständen interessiert, wie es nötig war. Er hätte auch nicht gedacht, dass sie sich jemals um einen Menschen sorgen könnte, wenn es nicht im direkten Zusammenhang mit ihrer Essenz stand. Und eigentlich müsste sie sein Vorhaben in diesem Fall unterstützen, oder etwa nicht? Sie würde ihre Essenz zurückerhalten wenn er starb - vorausgesetzt sie war schnell genug, aber dagegen hatte er keine Zweifel. Wieso bereitete es ihr dann solche Sorgen?
      "Er sieht mich als eine Gefahr, er hört nicht auf mich - nicht jetzt, nicht davor und er wird auch sonst nicht auf mich hören. Er sieht als Angriff was auch immer ich ihm sage und das wird sich nicht ändern. Wenn er mich besiegt, hat er seinen ersten faktischen Triumph und mich gleichzeitig los. Er wird sich entspannen, hoffe ich. Er wird ein bisschen aus seiner... Schale herauskommen."
      Natürlich war das auch nur reine Spekulation, aber es stimmte zumindest, dass sich Feris niemals auf etwas anderes konzentrieren könnte, solange er Angst haben musste, dass Zoras ihm seine Krone wegschnappte. Die Götter allein wussten, wie viel Mühe Zoras sich dabei gemacht hatte, sich mit dem Jungen gut zu stellen, auf jede erdenkliche Art. Er hatte schon alles versucht, um ihm von seiner gegenteiligen Einstellung zu überzeugen, aber es hatte alles kein Zweck. Zoras war ihm ein Dorn im Auge und der musste entfernt werden. Zoras selbst hatte es gewagt, lieber den Wirt als den Dorn zu entfernen, aber daran war er kläglichst gescheitert, also musste er den Dorn eben selbst entfernen.
      Er schluckte, als Kassandra aufstand und zu ihm trat. Bevor er es sich versehen konnte, hatte sie sein Handgelenk gepackt und zog seine Hand zu sich. Einen kurzen Augenblick später wurde er von einer Wärme umhüllt, die von nirgends bestimmtes zu kommen schien und die er nicht auf seiner Haut, sondern darunter wahrnahm. Sie war ganz ähnlich der Hitze, die er bereits im kleinen Thronsaal gespürt hatte, als er Kassandras Flamme auf seiner Hand gehalten hatte, nur dass sie weit entfernt davon war heiß zu sein. Sie war warm und weich, ein Gefühl, das ihm merkwürdig intim vorkam, dem er sich aber nicht entziehen konnte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er das beinahe überwältigende Bedürfnis, sich diesem Gefühl gänzlich hinzugeben und loszulassen, was auch immer das auch bedeuten mochte. Er war so beängstigend knapp davor, dass er sich sicher war gleich abzustürzen und hinunter zu fallen, runter in ein Nichts aus Wärme und Geborgenheit, das ihn entweder auffangen oder zerstören würde. Es würde nur eine falsche Bewegung benötigen und er war weg.
      Stattdessen war das Gefühl kurz darauf wieder verschwunden und Zoras bemerkte, dass er Kassandras Unterarm ergriffen hatte. Er wich dem Blick ihrer leuchtenden Augen aus und sah stattdessen auf seine Hand hinab, die er wieder von ihrem Arm löste. Er machte allerdings keine Anstalten, seine Hand ganz zurückzuziehen.
      "Ich ha-ha-h..."
      Er verstummte wieder und zog die Augenbrauen irritiert zusammen. Beim zweiten Anlauf brachte er noch nicht einmal das erste Wort heraus und nachdem Kassandra beim dritten Mal noch immer mit einer Engelsgeduld darauf wartete, dass er einen Satz zustande brachte - bei allen Göttern, war er etwa 10? - rieb er sich schließlich mit der freien Hand über das Gesicht. Er war kurz dazu geneigt zu fragen, ob sie diese Wärme wieder heraufbeschwören könnte, die fraglos von ihr stammte, aber stattdessen nahm er sich einen Moment, um sich zusammenzureißen. Als er dann wieder sprach, langsamer und vorsichtiger, hatte er sich zumindest wieder unter Kontrolle.
      "Ich habe schon genug getan, finde ich. Man muss wissen, wo das Ende liegt, damit man nicht darüber hinausschießt und eines Tages unfreiwillig zerbricht. Kannst du das nicht verstehen? ...Vielleicht sogar nachvollziehen? ...Machst du dir etwa Sorgen um mich?"
    • Es war nicht einmal besonders viel Kraft im Spiel, so wie sich Kassandras zierlich wirkende Finger um Zoras Handgelenk geschlossen hatten. Zwar wusste sie nicht, wie es sich bei ihm anfühlte wenn ihrer beiden Auren sich berührten, aber dass er darauf reagierte war unübersehbar. Durch ihre Verbindung spürte sie bei ihm am ehesten etwas, das einer Faszination gleichkam. Oder ein Wohlgefallen, den sie in ihm ausgelöst hatte. Wenn es anfänglich einen Widerstand in ihm gegeben haben sollte, war er binnen Sekunden verflossen.
      Diese plötzliche Hingabe erschreckte Kassandra in einer Art und Weise, die kein Mensch, kein Gott jemals nachvollziehen konnte und nur ihrer höchst eigenen Art vorbehalten war. Als sie spürte, dass er kurz davor war sich zu verlieren, zog sie ihre Aura von ihm ab, brachte sorgsam wieder Abstand zwischen sie ohne jedoch sein Handgelenk loszulassen. Ihre Augen waren zu seiner Hand geflogen, die sich um ihren Unterarm geschlossen hatte. Dies fiel auch dem Herzog auf, der daraufhin seinen Griff löste und entliche Anläufe brauchte bis er seine Worte anständig artikulieren konnte. Indes hatte Kassandra ihn immer noch nicht freigegeben, hörte sich seine Worte an und zeigte daraufhin eine weitere neue Reaktion in einem für Zoras neuen Kontext: Erstaunen.
      Prompt gab Kassandra Zoras Handgelenk frei, als habe sie einen elektrischen Schlag erlitten. Sie rieb sich ihre eigene Handfläche, war jedoch keinen Schritt von ihm zurückgewichen.
      "Wir sind als unsterbliche Wesen konzipiert. Für uns gibt es eigentlich kein Ende, wie sollen wir ein solches dann erkennen?", erwiderte sie leise. "Ich bin ein Phönix, das Sinnbild vom Tod und der Wiedergeburt. Für mich markiert er kein Ende sondern den Anfang eines neuen Zykluses. Ich..."
      Nun wich sie doch einen Schritt von ihm zurück, einer ihrer Mundwinkel zuckte leicht.
      "Ich habe eigentlich nicht das recht mich einzumischen. Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein. Niemand von uns sollte es sein und euch beeinflussen. Ich darf mir keine Sorgen um einen einzigen Menschen machen wenn dort draußen Millionen weitere leiden. Das ist... das ist nicht richtig."
      Machte sie sich tatsächlich Sorgen um Zoras oder verfälschten Eindrücke gerade ihr Urteil. Dass sie in ihm einen sympathischeren Vertreter seiner Rasse gefunden hatte, war nicht abzustreiten. Aber sie durfte eigentlich keine Partei ergreifen. Denn wenn sie sich einmischte, verschob sie das Gefüge unter der Menschheit, so wie es andere Götter zu ihrem eigenen Spaß unlängst taten. Man würde auf ihre Kraft bauen, sich darauf verlassen welche Worte sie sprach und das alles ohne zu wissen, ob man ihr wirklich vertrauen konnte. Ob sie wirklich das war, was sie alle glauben ließ.
      "Wozu bin ich jetzt noch hier, Zoras? Du sagst, du hast genug getan, du siehst dein Ende bereits. Das kannst du ohne mich erreichen, dazu brauchst du mich nicht einmal. Gib mir mein Amulett zurück und ich werde dich nicht davon abhalten das zu tun, was du für richtig hältst", fügte sie fast noch leiser hinzu und wirkte dabei fast schon schmerzlich getroffen.
      Mit jedem Wort war die Phönixin einen weiteren Schritt nach hinten gewichen bis ihre Kniekehlen gegen die Bettkante stießen. Für ihre Verhältnisse sah es unglaublich plump aus, wie sie sich auf die Matratze fallen ließ, noch immer nicht gewillt ihren Blickkontakt zu brechen. Es war ihr egal, dass er die Verletzlichkeit in ihren Augen sehen konnte. Vermutlich spürte er sie bereits über ihr Herz an seiner Brust.
      "Zwing mich nicht dazu ein weiteres Mal zu sehen, zu fühlen wie einer meiner Träger stirbt."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Ein plötzliches Gefühl entsprang Zoras' Brust, das sich an seinen anderen Empfindungen vorbei direkt in sein Bewusstsein schob, ungeachtet dessen, dass es völlig fehl am Platz wirkte. Der plötzliche Umschwung überraschte ihn, genauso wie Kassandras zeitgleich veränderte Haltung. Die eigentlich so stolze, würdevolle Phönixin, die sich auch dann nicht unterworfen hätte, wenn man sie wortwörtlich auf die Knie gezwungen hätte, schien ins Wanken zu geraten, auch wenn Zoras nur durch das plötzliche Gefühl darauf kam. Er beobachtete sie mit seiner eigenen ansteigenden Besorgnis, die er nie wirklich vor ihr versteckt hatte.
      "Ist es nicht normal, dass sich auch Götter sorgen können? Wer sagt denn, was richtig oder falsch ist, wenn nicht du selbst? Wer sagt überhaupt, dass du dich um alle Menschen gleichzeitig kümmern müsstest?"
      Sie wich weiter zurück, sah dabei aus, als wolle ein Teil von ihr auf der Stelle umdrehen und weglaufen, auch wenn sie es nicht tat, wenn sie sogar niemand daran gehindert hätte es zu tun. Wie ein Geistesblitz erinnerte Zoras sich an den Tag vor ein paar Wochen im Thronsaal als Kassandra den Soldaten umgebracht hatte, den Ausdruck, den ihre Miene dabei gezeigt hatte. Er glaubte nicht, dass dieser Vorfall denselben Ursprung hatte wie diese Situation, aber es bestärkte ihn in dem Glauben - in dem Wissen, dass es etwas gab, was er nicht ganz nachvollziehen konnte, ein tiefes Unglück, das sich in Kassandras hintersten Gedanken festgesetzt hatte und durch irgendetwas hervorgeholt wurde. Durch die Konfrontation mit dem Tod? Es schien ein wichtiger Faktor zu sein, wobei Kassandra eine Phönixin war, der Tod war für sie etwas ganz natürliches, wie sie schon selbst gesagt hatte. Und trotzdem war es wohl nicht so einfach, wie sie zum Ausdruck zu bringen versuchte.
      "Kassandra, hey."
      Er war aufgestanden, als sie mehr oder weniger auf ihr Bett gefallen war und ging jetzt selbst zu ihr, setzte sich zu ihr. Sie war kleiner geworden, irgendwie schmächtiger, verletzlicher. Das Gefühl in seiner Brust war nur noch stärker und er wollte nichts anderes, als sie zu besänftigen.
      Wenn er nur gewusst hätte wie.
      "Ich brauche deine Hilfe Kassandra, jetzt mehr als zuvor. Ich..."
      Er zögerte, studierte den tief unglücklichen Blick, den sie nicht vor ihm verstecken konnte - oder nicht wollte. Alles an ihrer abwehrenden Haltung war so unglaublich erschreckend, dass er nicht wusste, ob es überhaupt Wörter gab, die angemessen waren.
      "... Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid."
      Er legte die Arme um ihre Schulter und zog sie in einer Umarmung an seine Brust. Wenn er gewusst hätte, was er hätte sagen sollen, hätte er es getan aber er fürchtete, dass er mit seinen Fragen schon genug Schaden angerichtet hatte. Stattdessen hielt er sie für einen Moment nur fest weil er glaubte, sie könnte es brauchen - weil er es selbst brauchte.
      "Ich werde sie dir geben bevor ich sterbe, ich verspreche es dir", murmelte er leise, aus Angst eine höhere Lautstärke könnte das wacklige Konstrukt ihrer beider Gemüter zerstören. Vorsichtig, wie um sie nicht zu erschrecken, streichelte er ihre Schulter.
      "... Hast du es oft mitbekommen? Den Tod deines Trägers? ... Wie fühlt es sich an?"
    • "Niemand schreibt uns vor was richtig oder falsch ist. Ich muss mich nicht um die gesamte Menschheit kümmern aber genauso wenig darf ich mir einen einzigen Favoriten unter ihnen aussuchen. Es darf einfach nicht sein."
      Denn Kassandra wusste aus eigener Erfahrung was mit demjenigen geschah, dem sie ihre Gunst zuteil werden ließ. Das war der Grund, warum sie keine Segen aussprach und niemanden auserkoren würde. Nicht weil sie unter Verlustängsten litt sondern weil sie nicht der Grund für das Leid des Auserwählten und seiner Angehörigen sein wollte.
      Starr sah sie zu, wie Zoras sich erhob kaum war sie selbst auf ihrem Bett zusammengesackt. Der Ausdruck in ihren Augen wechselte von der Verletzlichkeit hin zur sturen Abwehr - sie wollte nicht, dass er herüber kam. Dass er wieder sein schreckliches, menschliches Mitgefühl auf sie anwand und sie zu etwas machte, das sie nie sein wollte. Sie versuchte ihn anhand mit der Kraft ihres Blickes dazu zu bewegen, wieder von ihr wegzugehen, doch er hielt diesem Blick stand.
      "Ich brauche deine Hilfe Kassandra, jetzt mehr als zuvor. Ich..."
      Ihre Kiefermuskeln zuckten. Sie wusste es besser oder redete es sich zumindest ein. Ihre Rolle hier wäre maximal Zoras davon abzuhalten vollkommen durchzudrehen. Er war weder auf ihre Fähigkeiten noch auf ihr Wissen angewiesen oder würde es anwenden. Zu seinem Vorteil nutzen. War sie nur als mentale Stütze noch hier? War das der Preis, den sie zahlen musste um endlich ihr Herz zurückzugewinnen?
      "... Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid."

      Lügen. Es sind alles Lügen. Menschen sprechen Lügen sobald sie nur den Mund aufmachen. Würde es ihm wirklich leidtun hätte er dir dein Herz längst gegeben und darauf gehofft, dass du ihm aus freiwilligen Stücken beistehst. Er hält dich noch immer an der Kette wie alle anderen zuvor. Nur lässt er dir mehr Spielraum als die anderen.
      Kassandra versteifte unweigerlich als Zoras seine Arme um ihre schmalen Schultern legte und sie an seine Brust zog. Sie war buchstäblich auf Augenhöhe mit ihrem Herzen, spürte es selbst durch die Stoffschichten hindurch pulsieren und nach ihr schreien. Wie ein Kind, das zurück zu seiner Mutter wollte. Ein herzzerreißender Schrei, den hoffentlich nur die Phönixin selbst hören konnte.
      Wie lange war es her, dass ein Mensch sie so berührt hatte?
      Ihre Sinne waren wie geflutet. Er trug noch den typischen Geruch ihrer Reise an sich gemischt mit dem Geruch von Pferden und Waschwasser. Sein Herzschlag konnte sie beinahe fühlen und seine Stimme hatte aus dieser Distanz einen raspelnden Unterton, der womöglich vom lauten und vielen Reden stammte.
      "Ich werde sie dir geben bevor ich sterbe, ich verspreche es dir."
      Ungesehen teilten sich ihre Lippen als sie Widerworte geben wollte, doch sie erstickte sie rechtzeitig. Es waren wieder Versprechen, die er ihr machte. Leere Worte, auf die sie generell so wenig gab und wusste, dass es gerade in Anbetracht ihrer Lage jederzeit soweit sein konnte, dass er ihr das Amulett nicht rechtzeitig zurückgeben können würde. Und wenn Kassandra eines wirklich wusste, dass es in diesem Szenario kein Halten geben würde. Sollte er fallen und ein anderer ihrer Essenz bekommen würde sie jeden Erfolg, den Zoras vielleicht erreicht haben mochte, bis auf die Grundfeste niederbrennen. Selbst wenn sie dafür ihre derzeitige Hülle völlig auflösen müsste.
      Als er dann noch ihre Schulter leicht streichelte war die Anspannung regelrecht greifbar. Er sah ihre Augen nicht mehr, die unruhig hin und her zuckten in dem Versuch zu bestimmen, welche Aktion nun die richtige wäre. Sie zwang sich bereits dazu, gleichmäßig zu atmen und nicht ihre Kontrolle zu verlieren.
      "Was denkst du, wie mein Amulett in den meisten Fällen den Besitzer gewechselt hat?", presste sie schließlich hervor. "Ich war meistens Teilschuld an den Machtkämpfen weil ich ein gewinnbringender Faktor sein kann. Natürlich hat man den amtierenden Träger dann getötet, freiwillig gab dieser selten meine Essenz her. Also ja, ich habe es mehrmals erfahren. Du müsstest wissen, wie sich sterben anfühlt damit ich es dir vergleichbar erzählen kann. Der Tod ist für mich etwas gänzlich natürliches, aber ich erlebe ihn selbst eigentlich nicht. Dank der Essenz fühle ich was mein Träger erlebt. Das schließt seine Todesangst ein, wie bei Feris. Die Schmerzen, die einem den Verstand und die Sicht rauben. Wut gegenüber demjenigen, der Schuld am Tod sein wird. Trauer über all dem, was man nicht mehr erleben wird."
      Sie machte eine Pause. Wie sollte man einem Menschen erklären, was für göttliche Wesen regelrecht normal erschien?
      "Ich sehe die Lebensenergie von Lebewesen. Sie sind wie warme Lichter, mal stärker, mal schwächer. Stirbt jemand, verliert er dieses Licht, es wird immer dunkler, kälter. Allein das ist schon ein beängstigendes Gefühl jenseits eures Verstandes. Das ist für mich normal aber nicht die Masse an Emotionen, die ein Sterbender durchlebt."

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