Salvation's Sacrifice [Asuna & Codren]

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Zoras runzelte auf Kassandras Worte hin die Stirn. 'Dafür geht es mir doch ganz gut' war nicht die Art von Antwort, die er sich erhofft hatte.
      Wenn Kassandra nicht so bleich im Gesicht gewesen wäre, wenn sie nicht am Sattel stand, als würde das Pferd einen temporären Gehstock für sie bieten, hätte er sich auch nichts weiter dabei gedacht - nur ein weiterer Teil des Temperaments der Phönixin. Aber er kannte den Blick kampfunfähiger Soldaten und Kassandra hätte er in diesem Moment ganz sicher keine Waffe in die Hand gedrückt.
      "Kassandra", murmelte er missmutig, wie um sie zu tadeln, bevor er einen Blick in ihre Umgebung warf. Der größte Teil der Truppe war damit beschäftigt, dem Hauptmann Auskunft für seinen Bericht zu geben, also trat er ein Stück näher, um die Stimme weiter senken zu können.
      "Es geht mir nicht nur um dich persönlich. Du bist Teil dieser Truppe und ich muss wissen, wo unsere gemeinsamen Stärken und Schwächen liegen. Bei einem Menschen könnte ich es vielleicht noch selbst erkennen, aber du bist eine Phönixin und ich weiß schlichtweg nicht wo deine Grenzen sind. Du musst es mir sagen, okay? Ich werde dich nicht verurteilen, aber ich muss einfach wissen, inwiefern ich mich auf meine Truppe verlassen kann und davon bist du ein nicht unwesentlicher Teil."
      Er stimmte einen sanfteren Tonfall an.
      "Wir werden noch einen Moment hier bleiben, damit die Pferde verschnaufen können, und dann weiterziehen. Möchtest du mit mir an der Front reiten oder an der Nachhut? Wir haben ein paar Verletzte, sie brauchen jemanden der dafür sorgt, dass sie nicht ins Gefecht gezogen werden."
      Zoras wusste nicht, ob Phönixe - oder besonders Kassandra - eitel waren, aber es gab viele Soldaten die Schwierigkeiten hatten zuzugeben, dass sie nicht mehr kämpfen konnten. Möglicherweise irrte er sich in Kassandra, möglicherweise ging es ihr tatsächlich gut, oder aber sie wollte ihm nicht so unverblümt mitteilen, dass sie eine Pause benötigte. In diesem Fall bot er ihr die Möglichkeit, seine Frage zu beantworten, ohne sie wirklich zu beantworten.
    • Die Art, wie Zoras ihren Namen aussprach, berührte Kassandra in einer ihr völlig fremden Art. Sie bedachte ihn mit einem Seitenblick als er ihr so nah aufrückte, dass sie nur ihre Hand nach ihm hätte ausstrecken müssen. Sehr deutlich sah sie die Falten in seinem Gesicht, die einzig und allein von der Anspannung herrührten. Unweigerlich wurde ihr harter, gezwungener Gesichtsausdruck sichtbar weicher.
      "Weißt du noch wie ich dir erzählt habe, das ein Trägerwechsel immer mit einer Umstellung einhergeht?"
      Nach eine leisen Seufzen zog sie die Arme von der Satteldecke, lehnte sich aber dafür mit der Schulter gegen das Tier, das noch immer keinen Zentimeter von der Stelle wich. Ohne den harten Ausdruck in ihrem Gesicht sah sie müder aus als sie sich eigentlich fühlte.
      "Wie gedacht habe ich prinzipiell weniger Einschränkungen mit dir als Träger. Aber trotzdem sollte man nicht Minuten nach dem Wechsel auf stärkere Magie zurückgreifen. Ich musste mich an Energiespeicher dieses Körpers vergreifen damit die Zauber Wirkung zeigen und das rächt sich jetzt."
      Die Frau am Pferde zuckte kurz mit den Schultern. Das war kein offenes Geheimnis, dass die menschlich erscheinenden Hüllen eine Reserve hatten, auf die man zugreifen konnte. In der Regel tat dies nur kein Champion, da sie damit ihre Hülle merklich schwächten. Kassandra als Phönix jedoch besaß eine Sonderrolle, die Zoras früher oder später selbst mitansehen durfte.
      "Ich kann mich im Notfall noch nützlich machen. Deine Nachhut schützen im Falle. Aber erwarte heute nicht noch weitere Spektakel wie im Innenhof. Dafür fehlt mir aktuell wirklich die Kraft."
      Vergeblich versuchte Kassandra über ihre Essenz jede kleinste Regung in Zoras' Gesicht zu deuten. Doch auch hier machte sich der frische Wechsel bemerkbar und somit bekam sie noch nicht die Menge an Informationen wie es bei Feris zuletzt der Fall gewesen war. Trotzdem konnte sie die Sorge so klar ausmachen wie ein Fremdkörper in einer ansonsten glatten Oberfläche.
      Die braune Stute hatte unterdessen den Hals lang ausgestreckt und einen Huf aufgestellt. Sie pumpte bei Weitem nicht mehr so stark wie zuvor, wirkte aber dennoch apathischer als alle anderen Tiere, die einen gewaltigen Bogen um sie zu machen schienen. Geistesabwesend kraulte Kassandra mit ihren Fingerspitzen den weichen, warmen Bauch des Tieres wobei sie ihren neuen Träger nicht aus den Augen ließ.
      "Was war das eigentlich mit Meriah? Ich war ein wenig überrumpelt als ich sie bei Feris gesehen habe. Ich dachte, sie teile deine Ansichten und unterstütze dich? Wieso hat sie den Jungen eigenmächtig retten wollen?"

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Endlich mit einer richtigen Antwort ausgestattet, einer brauchbaren noch dazu, nickte Zoras. Damit konnte er etwas anfangen.
      "Dann wirst du hinten bleiben, keine Magie mehr, keine Waffe. Du wirst dich nur vergewissern, dass niemand vom Pferd fällt, einverstanden? Wenn alles gut läuft, könnten wir in vier Tagen die Grenze überqueren, ab dann sind wir auf sicherem Gebiet. Nur solange musst du aushalten."
      Wenn er sie sich so recht besah, konnte er jetzt auch deutlicher die Erschöpfung in ihrem Gesicht ausmachen, als habe sie sich soeben dazu entschieden, ihn an dieser Empfindung teilhaben zu lassen. Wahrscheinlich war sie noch immer kräftiger, als es den Anschein hatte, aber er würde kein Risiko eingehen. Er lächelte aufmunternd.
      Der Ausdruck fiel bei der Erwähnung von Meriah allerdings in sich zusammen. Er hatte sich gedanklich noch nicht mit ihrem Verrat beschäftigt, hatte sich überhaupt noch nicht damit beschäftigt, was genau schief gelaufen war, woran sie letztlich gescheitert waren und wie es soweit hätte kommen können und er war sich nicht sicher, ob er die Ausmaße davon schon recht begriffen hatte. Sicher, sie waren auf der Flucht, sie hatten sich gegen die Krone gewandt, aber sonst? Sonst war alles hinter dem dünnen Schleier seiner Professionalität versteckt und er fürchtete, dass dieser Schleier einbrechen könnte, wenn er ihn zu früh berührte.
      Er spürte ihn jetzt schon bröckeln, dabei hatten sie Meriah nur erwähnt.
      "Ich weiß es nicht. Ich dachte auch sie wäre auf unserer Seite, aber vielleicht war das von Anfang an ihr Plan. Vielleicht hat sie ihre Meinung geändert, vielleicht hat sie sich kaufen lassen. Ich habe in den letzten Stunden viel gedacht, was sich nicht bewahrheitet hat."
      Dass sie einen ordentlichen Putsch mit einer Vorbereitungszeit von zwei Wochen durchführen könnten, zum Beispiel. Oder dass er einen König umbringen konnte. Einen Jungen, der mit einer Krone verflucht worden war.
      Nein, der Schleier musste aufrecht erhalten bleiben. Zoras musste sich und seine Männer in Sicherheit bringen, das war die höchste Priorität und das konnte er nicht, wenn er sich jetzt mit seinem Versagen beschäftigte.
      Er wich Kassandras Blick aus, der unangenehm eindringlich auf ihm lag, und tätschelte den Hals der Stute. Sie war auffällig unbeteiligt, aber dieser Gedanke wollte sich nicht in den Vordergrund schieben.
      "Ruh dich aus, in einer Stunde sind wir in Lindum. Dort wird es noch einmal hässlich werden, wir werden nicht vermeiden können, dass ein paar Zivilisten sterben. Wir werden sogar ein paar umbringen, das müssen wir; die Königsstadt und ihre Vororte müssen zusammenhalten, jetzt mehr denn je. Wir versuchen erst nach der Grenze die Ortschaften zum Aufstand zu bewegen."
      Er trat einen Schritt von der Stute weg, erleichtert darum, den Hauptmann in der Ferne bereits ausmachen zu können, wie er auf ihn wartete.
      "Brauchst du noch etwas? Sollen wir in Lindum nach geeigneterer Reisekleidung Ausschau halten?"
    • Während Zoras Kassandra an seinen Gedankengängen teilhaben ließ, musterte sie ihn pausenlos. Die ganze Aktion schien auch bei ihm noch nicht ganz angekommen zu sein. Beinahe fremd standen sie hier inmitten des Nichts und mussten erst einmal verstehen, wie sich der Weg vor ihnen nun auszubreiten schien. Ohen Frage würde er steinig und nicht ohne das Leben von Unbeteiligten von statten gehen.
      "Ich weiß doch nicht wie das Wetter oder allgemein das Klima in deiner Gegend aussieht", schmunzelte Kassandra, war der Idee jedoch nicht abgeneigt. Dann würde man sie immerhin nicht mehr direkt dem Königshause Theriss' zuordnen können.
      "Falls es etwas passendes geben sollte, warum nicht. Mehr brauche ich erst einmal nicht. Ich setzte mich dann nach hinten ab und achte darauf, dass niemand.... vom Pferd fällt."
      Sie winkte ihrem Träger lediglich beiläufig als er sich auf den Weg zurück zu seinem Hauptmann machte. Ein paar Mal streichelte sie dem Tier noch über den Bauch ehe sie sich wieder anlehnte und darauf wartete, dass der Zug weiterging.

      Wenig später hatte sich der Trupp wieder in Bewegung gesetzt. Dieses Mal ritt Kassandra bewusst am Ende, hatte sich aber zwischen die letzten Reiter eingereiht um nicht zu sehr hervorzustechen. Sie tat es ohnehin, einfach nur ihrer Gestalt geschuldet. Dort musste sie erst einmal den anderen Soldaten einbläuen, dass sie nicht absichtlich auf Abstand gehen sollten. Sie würde ihnen schon nichts tun sondern sollte nur nach hinten eine Absicherung darstellen. Dass sie dabei dankbar dafür war, nicht zugeben zu müssen, dass sie sich wirklich träge und geschlaucht fühlte, sah man ihr nicht an. Ein wachsamer Blick zeigte sich stets in ihrem Gesicht und wahrte ganz den Anschein. Hin und wieder ging ihr Blick hoch in den Himmel, wo einzelne Vögel hoch oben ihre Kreise zogen.

      Als sich der Trupp Lindum näherte, ließ sich Kassandra absichtlich noch weiter nach hinten zurückfallen. Sie wollte nicht sehen, wie Zivillisten einen Tod starben, für den sie gar nichts konnten. Einfach nur um ein Exempel zu statuieren. Und diese Schreie, dieses Leid konnte und würde sich die Phönixin nicht ansehen oder anhören. Diese Freiheit nahm sie sich einfach heraus und würde warten bis sich das Chaos gelegt hatte und Zoras auffallen würde, dass sie nicht innerhalb des Dorfes ihre Kreise zog.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Zoras nahm den Bericht seines Hauptmanns ungeduldig entgegen.
      Seine Truppe umfasste 56 Köpfe, allesamt vollumfänglich gerüstet, 56 Schwerter, 29 Bögen, 27 Schilde. Sie hatten 11 Verletzte und drei Schwerstverletzte, die nicht einmal zur Reserve eingesetzt werden konnten. Das war eine gute Statistik, allerdings war Zoras sich durchaus bewusst, dass sie viele schon bei ihrer Flucht zurückgelassen hatten. Wenn man bedachte, dass Zoras ursprünglich mit 120 Gardisten an den Hof gezogen war, war das sogar eine ziemlich bedrückende Anzahl.
      Sie hatten 50 Pferde, von denen zwar keines irgendwelche Verletzungen aufzeigte, aber die meisten waren ziemlich nervös und unruhig, was man ihren Reitern ebenso zuschreiben konnte. Zoras vergewisserte sich dieser Tatsache bei einem eigenen kleinen Rundgang, bei dem er versuchte sowohl Mensch als auch Tier gut zuzureden. Zum Schluss konnte er die Aussage des Hauptmanns zwar bestätigen, schloss aber auch, dass kein Lebewesen gänzlich zu verängstigt war, um nicht noch einen Kampf über sich ergehen zu lassen. Die einzige Sache, die ihm - verständlicherweise - zusetzte, war das Fehlen einer angemessenen Rüstung für die Tiere, aber die würden sie sowieso wohl nirgends bekommen, bis sie nicht mindestens die Grenze überquert hatten. Sie hatten ja nicht einmal die Zeit dafür, 50 Pferde vollumfänglich zu rüsten. Dementsprechend mussten sie aber auch vorsichtiger vorgehen, um nicht noch mehr Tiere zu verlieren.
      Zoras zog all diese Faktoren in Betracht, bevor er sich für einen Moment mit seinem Hauptmann zurückzog, die Lage besprach und die Truppe dann in drei Gruppen aufteilte: Vorhut, Plünderer und Späher. Die Vorhut - insgesamt 26 Mann mit Zoras und dem Hauptmann - würden Lindum stürmen, die erste Gegenwehr durchbrechen und den Platz freihalten, damit alle Plünderer sich aufstellen, den Platz sichern konnten und dann ihrem eigentlichen Zweck nachgehen konnten. Sie sollten mitnehmen, was sie tragen konnten - besonders brauchten sie Wägen, Proviant und Kleidung, alles andere war zweitrangig. Gold sollten sie auch mitgehen lassen, wenn der Platz dafür war, aber keine Waffen. Zoras wollte Lindum nur bedrohen und nicht terrorisieren, auch wenn die Grenze zwischen den beiden so verdammt dünn war, dass er sich selbst nicht ganz sicher war, ob er sie nicht schon überschritten hatte. Aber ihm blieb keine Wahl, die Soldaten der Krone waren sicherlich schon auf ihrer Fährte und wenn sie nicht in den ersten Stunden ihres Aufstands versagen wollten, mussten sie ein wenig drastisch vorgehen.
      Die Späher bestanden zuletzt aus 15 Leuten, darunter alle Verletzte und Kassandra, die rechtzeitig Alarm schlagen sollten, wenn die Soldaten zu ihnen aufgeholt hätten. Sie sollten nicht kämpfen, sondern hauptsächlich den Überblick bewahren.
      Nachdem er alle eingeteilt hatte zogen sie weiter, nicht aber bevor er sich nicht vergewissert hatte, dass Kassandra seinem Wunsch Folge geleistet hatte und hinten blieb.

      Lindum war ein Vorort wie jeder andere, in dem sich alle Arbeiter der Hauptstadt niedergelassen hatten, für die die Stadt selbst zu teuer zum wohnen war. Händler, Handwerker und Bedienstete hatten sich in dieser Ortschaft niedergelassen, die sich hauptsächlich von Wegezoll und dem daraus resultierenden Handel mit durchfahrenden Reisenden finanzierte. Sie war nicht groß genug für eine eigene Mauer und nicht weit genug von der Hauptstadt entfernt, um von ernsthaften Raubüberfällen bedroht zu sein. Damit war sie genau der richtige Ort für Zoras' Vorhaben.
      Seine Truppe stellte sich entsprechend seiner Befehle auf. So spät in der Nacht - oder eher so früh am Morgen - war noch keiner wirklich auf den Straßen, aber das Geklapper von Rüstungen, das Getrappel von dutzenden Pferdehufen und die gerufenen Befehle lockten bereits die ersten Neugierigen aus ihren Türen hervor. Zoras hätte ihnen gerne gesagt, dass sie wieder reingehen sollten; stattdessen gab er den deutlichen Befehl zum Angriff.
      Lindum brauchte einen Moment, um aus seinem Schlaf zu erwachen und die Gefahr zu realisieren. Zoras' Stimme donnerte durch die Straßen und verlangte, dass kein Widerstand geleistet werden solle, dass man ihnen alles wertvolle überreichen solle, dass er Gnade walten lassen würde, wenn man sich ihm kampflos unterwarf. Nach jeder zweiten Aufforderung brüllte er:
      "Das Herzogtum Luor wird sich nicht weiter von der Krone unterwerfen lassen! Wir werden eine eigene Nation!"
      Er stellte sicher, dass man das Wappen seiner Uniform erkennen konnte, dass alle Bewohner in ihren Häusern von seinem Herzogtum hörten, dass sie den Namen mit den bald aufkommenden Schreien in Verbindung brachten, die die ersten Opfer ankündigten. Er stellte sicher, dass auch das letzte Kind in Lindum wusste, wer er war und warum er hier war.
      Die ersten Soldaten, die sich ihnen in den Weg stellten, waren den Reitern haushoch unterlegen. Zoras pflügte mit seinem Schwert durch sie hindurch wie ein Bauer mit der Sense über ein Weizenfeld, eine Hand die Waffe führend, die andere um den Sattelknauf gelegt, um sich halsbrecherisch weit nach vorne zu beugen und die Soldaten aufzuspießen, bevor sie nach seinem Pferd schlagen konnten. Die meisten köpfte er, nachdem die größte Lücke in der Rüstung zwischen Helm und Brustplatte lag, und all jene, deren Lücken er verfehlte, wurden von dem Schwung seines Ansturms getroffen und entweder von seinem Nachbarmann niedergemäht oder gerieten unter die Hufe. Es war ein Massaker und es ging stets kurz, so kurz sogar, dass kaum ein Soldat die Gelegenheit bekam, nach Unterstützung zu rufen.
      Im Hintergrund legten die Plünderer bereits die ersten Brände, alles, hauptsache um die Soldaten des Königs zu sich zu locken, um gleichzeitig so schnell so viel mitgehen zu lassen, wie nur möglich war. Die Häuser brannten gut, die damit entstehende Panik war umso besser. Es waren keine zehn Minuten vergangen, da wimmelte es in den Straßen bereits von hektischen Bewohnern, von allgemeinem Trubel. Mehr Soldaten stellten sich ihnen in den Weg und Zoras brüllte ihnen ins Gesicht, dass er keine Gefangenen nahm, während er sie schlachtete. Das Massaker war einfach und das machte es gefährlich, die Grenze zwischen Aufstand und Terrorismus war dünn und Zoras war sich sicher, dass er sie so stark strapazierte, dass sie jeden Augenblick reißen konnte. Aber es war einfach und das machte es so gefährlich. Einfachheit machte unvorsichtig.
      Er hatte bereits das dritte Gemetzel gegen Soldaten veranstaltet - wobei ihm durchaus auffiel, dass die Männer schon seine Taktik durchschaut hatten und jetzt versuchten, ehe die Plünderer zu konfrontieren anstatt die Vorhut, nachdem diese den eigentlichen Schaden anrichteten - als er sich einen Moment der Ruhe nahm, um zu Atem zu kommen. Sein Hauptmann rief ihm über den Lärm der Brände und der Schreie hinweg zu, dass sie keine Verluste erlitten hätten, dass alles nach Plan verlaufe. Zoras nickte ihm zu, holte tief Luft und donnerte dann zum zehnten Mal über die Straße hinweg, dass das Herzogtum Luor sich gegen die Krone erhoben hatte.
      Für die Bewohner von Lindum war Zoras ein Reiter der Apokalypse, ein Tyrann mit Titel, der mit seinem geschwungenen Wappen, dem kräftigen Pferd und der langen, edlen Klinge den Frieden ihrer Heimat in Stücke riss. Für sie war er ein stolzer, großspuriger Reiter, der sich dafür in Schale schmiss, gegen die eigenen Landsleute in den Krieg zu ziehen und seinen Blutdurst in Schreien und Verzweiflung zu stillen. Er brachte Tod und Verzweiflung mit sich und hinterließ Asche und Leichen, seine Männer waren maskierte Häscher eines namenhaften Übels, die seinen Befehlen ohne sichtbare Gefühle folgten. Sie waren die Verkörperung des Todes und ganz Lindum würde sich ewig an ihre Anwesenheit erinnern.

      Die Retter dieses Massakers kamen, als der Tyrann von Lindum einen Moment der Pause nahm und sich nach seinen Männern erkundigte. Sie kamen aus der Ferne und sie kamen in einer hohen Anzahl, allesamt beritten, gefolgt von weiteren Bodentruppen, die allerdings noch ein wenig zurück blieben. Sie würden kommen, dem Hochverräter und seiner Truppe den Weg abschneiden und ihn so lange an Ort und Stelle halten, bis die Infanteristen nachgekommen und den Rest erledigen würden. Sie kamen in dem festen Vorhaben, die Helden von Lindum zu werden und spielten damit genau darauf an, was Zoras, der Tyrann von Lindum, von ihnen wollte.
    • Nüchtern gesehen stand Kassandra auf ihrer braunen Stute viel zu weit entfernt von den ersten Häusern und ordentlichen Wegen, die in Innere Lindums führten. Die vierzehn Mann um sie herum waren sich ihrer Sache ebenfalls nicht wirklich sicher, so waren sie doch der Meinung, selbst verletzt könne man sich nützlich machen. Auf einer bestimmten Art und Weise teilte die Phönixin diese Ansicht, hielt sich aber ihr Wort Zoras' gegenüber und verblieb regungslos in der Spähereinheit.
      Selbst, als der erste Warnruf Zoras ertönte.
      Selbst, als das erste Opfer fiel und der erste terrorisierte Schrei erklang.
      Selbst, als das erste Feuer seine gierigen Zungen in den noch dunklen Himmel reckte.
      Alsbald stand ein roter Schein über ganz Lindum. Das Geräusch der Hufe und einzelne Schreie waren einer Panik gewichen, die bis an den Spähertrupp reichte. So gern Kassandra auch behauptet hätte, es wäre ihr egal - sie konnte nicht anders als die Augen zu schließen und sich die Stimmen derer ins Gedächtnis zu rufen, die dort gerade ihr Leben ließen. Zoras hatte ihr ein paar Opfer angekündigt. Was dort gerade vor sich ging war mehr ein Massaker als alles andere.
      "Sie schlachten sie ab wie Vieh", stellte Kassandra missbilligend fest.
      Ein Soldat zu ihrer rechten antwortete. "So müssen sie es machen. Andernfalls reicht das Wort nicht weit genug und wenn Herzog Luor damit beginnt, zu früh Gnade walten zu lassen und Schwäche zu zeigen, war sein gesamtes Vorhaben umsonst.
      "Und das rechtfertigt all die Toten, die er dort gerade fordert?"
      "Sterben nicht auch in Kriegen zu viele Menschen einen sinnlosen Tod?"
      Kassandra stutzte und wandte sich auf ihrer Stute dem Soldaten zu, der mit ihr das Wort teilte. Man erkannte ihn nicht sehr gut in seiner Rüstung, der Großteil des Gesichts war von seinem Visier verdeckt. Seine Stimme ließ sie allerdings auf ein ähnliches Alter wie Zoras schließen, wenn nicht sogar noch etwas älter.
      "Warum habt Ihr Euch Zoras verschrieben?"
      Der Reiter verharrte in seiner Position. Nur sein Pferd wollte es ihm nicht gleichtun und wechselte immer wieder das Standbein. "Weil er, so kontrovers es nun klingen mag, das Wohl der Leute über sein eigenes stellt. Und er am nächsten an dem sitzt, das ich als rechtschaffend bezeichnen würde."
      Darauf erwiderte Kassandra nichts. Sie kehrte den Blick nun vollständig von dem brennenden Lindum ab, zurück zu den Hügeln von denen sie gekommen waren. Überdeutlich spürte sie durch ihre gemeinsame Verbindung, dass Spaß nicht ansatzweise in dem lag, was Zoras gerade zu verspüren mochte. Sicher deuten konnte sie es noch nicht, allerdings hatte sie mit Reue und einem schlechten Gewissen gerechnet. Es bestürzte sie fast noch mehr als sie hätte schwören können, einen winzigen Funken Freunde erspüren zu können, wunderbar versteckt unter dem ganzen Wust, der seine übliche Gefühlswelt darstellte. Wenn dem so war, dann würde sie ein dringendes Wort mit ihm wechseln müssen.
      Vielleicht kam dieser Moment auch eher, als sie es sich gewünscht hatte. Denn wenn sie sich nicht verguckte, tauchte etwas in der Dunkelheit auf. Grübelnd kniff sie die Augen zusammen und verfluchte sich für ihre Unfähigkeit, einfach die Gestalt zu wechseln. So dauerte es eigentlich viel zu lange bis sie die Silhouetten als Reiterstaffeln ausmachen konnte. Berittene Einheiten, die höchstwahrscheinlich Verstärkung im Rücken hatten und Zeit erkaufen sollten.
      Augenblicklich begann Kassandra damit, Befehle zu brüllen. "Stoßt zu der restlichen Einheit in Lindum! Teilt Zoras mit, dass feindlichen Einheiten anrücken und ein Rückzug angeraten ist. Lasst die Schwerverletzten hier!"
      Es dauerte einen Moment ehe sich die elf Späher in Bewegung setzten und die Kunde zu Zoras tragen würden. Die drei Schwerverletzten blieben zurück und fühlten sich sichtlich unwohl. Doch Kassandra konnte und würde sie nicht in das Dorf schicken. Die Gefahr, dort Schlaggut zu werden war einfach zu hoch. Da wusste sie sie lieber hier in freiem Felde in ihrem Rücken.
      Jener Rücken, der sich den Dreien offenbahrte als die schlanke Frau auf ihrem Pferd Mutterseelen allein gegen die anstürmenden Reiter ritt. Es war nicht viel Strecke, die sie zurücklegte, vielleicht einmal hundert Meter. Hundert Meter, die sie erst passieren lassen würde, wenn man ihr das Signal dazu gab. Bis dahin würde sie weder die Energie eines anderen Lebewesens nutzen noch einen einzigen Mann der feindlichen Einheit richten. Alles was sie tun würde, wäre Zeit schinden. Und selbst wenn dies auf eigene Kosten geschah.
      Hier draußen war der Lärm in ihrem Rücken nur noch ein fahles Wimmern im Wind, der ihre Haare zerstob. Mit dem brennenden Hintergrund musste ihr Umriss lächerlich schmächtig aussehen als sie die Zügel ihrer Stute losließ und das Pferd buchstäblich zu einer Statue wurde. Kassandra indes schloss die Augen und fühlte nur sich selbst. Deutlich bewusster dieses Mal griff sie auf die Reserven ihres Körpers zurück, das sich in einem Vibrieren des Amuletts in Zoras Brusttasche äußerte, als ihre Aura um sie herum zu glühen begann. Rhythmisch zu ihrem Pulsschlag bildete sich ein Flammenring um ihren Körper, der mit jeder Sekunde anwuchs und schließlich wie brennendes Wasser zu ihren Seiten hinabfloß. Weder sie noch dem Pferd geschah ein Leid als sich der züngelnde Rinnsal links und rechts von ihr eine gerade Linie zu ziehen begann und sich Meter um Meter über den steinigen Boden fortbewegte. Ein Glück, dass es hier recht wenig Vegetation gab um die sie sich Gedanken machen musste. So konnte sie ihr Vorhaben einfach planen und nach getaner Arbeit wie ein Geisterwerk alles unberührt zurücklassen.
      Als sich die Linien zu ihren Seiten in Windeseile über schier endlose Länge erstreckt hatte, öffnete Kassandra die Augen. Als wäre es ein stilles Signal gewesen, flammten die Linien hell auf und geißelnde Flammen ersteckten sich meterhoch in den schwarzen Himmel. Was als Lindum eben noch hell geleuchtet hatte wurde durch die schier kilometerlange Feuerwand gnadenlos in den Schatten gestellt. Völlig unbeweglich trennte nur die Phönixin auf ihrem Pferd die Wand während sie dabei zusah, wie die herannahende Reiterschaft urplötzlich in Stocken geriet. Eindruck schinden konnte Kassandra. Besonders in der Nacht, wenn ihr Feuer besonders hell brannte.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die Verteidigung war beinahe erbärmlich. Die Wachen waren ganz eindeutig von dem Angriff überrascht worden, waren nicht auf die Kaltblütigkeit vorbereitet, mit der Zoras und seine Männer über die Ortschaft herfielen, waren genauso wenig darauf vorbereitet, dass diese Rücksichtslosigkeit mit einer gewissen Strategie vollzogen wurde. Sie waren schlichtweg nicht bereit für den ganzen Ansturm.
      Zoras hätte die gesamte Ortschaft niederbrennen können, er hätte sogar so weit gehen können und die Bewohner als Geißeln nehmen oder etwa jeden gerüsteten Mann köpfen können, der sich ihm in den Weg stellte. Er hätte viel tun können, die Kornspeicher niederbrennen oder das Vieh schlachten, einen Scheiterhaufen errichten, der so lange brennen würde, bis alles Holz zu Asche geworden war. Nichts hätte ihn aufhalten können. Es war eine erschreckende Erkenntnis, mit der ihm ein weiteres Mal bewusst wurde, wie sehr er auf der dünnen Grenze balancierte.
      Er musste sich im Zaum halten. Er war Aufständischer und kein Terrorist.
      ... Bei allen lebenden und toten Göttern, bei der Macht aller Champions: Er war Aufständischer. Er hatte sich gegen die Krone gewandt; die Flammen hinter seinen Soldaten waren der letzte Beweis, den sein Verstand dafür gebraucht hatte. Er war ein Staatsfeind, ein Hochverräter, er hatte sein Land hintergangen. Natürlich war das alles Teil seines Plans, aber - verdammt, er kämpfte dennoch gegen seine eigenen Leute. Wenn das nicht trotz allem Hochverrat war, wusste er auch nicht weiter.
      Ein merkwürdiges Vibrieren an seiner Brust verhinderte, dass er weiter in diesem Gedankengang versinken konnte, der ihn unweigerlich runtergezogen hätte, und sich stattdessen auf das Hier und Jetzt konzentrierte. Er lenkte sein Pferd ein Stück zurück, hinter die Front seiner Vorhut, bevor er einen Blick auf ihr gemeinsam angerichtetes Massaker warf und seine Brust abtastete. Er griff nach dem Amulett, zog es heraus und starrte dann unbeweglich darauf.
      Es war dunkler geworden. Er konnte sich diesen Gedanken nicht erklären, so war er sich nicht sicher, ob das Amulett jemals eine Art Licht von sich abgegeben hatte, aber wenn es das getan hatte, war es jetzt dunkler geworden. Und es vibrierte in seiner Hand. Wenn er gewusst hätte, was das zu bedeuten hatte, hätte er damit sicherlich etwas anfangen können.
      Beinahe zur gleichen Zeit erreichte ihn ein Reiter, der von hinten kam und den Zoras auf den ersten Blick keiner Gruppe zuordnen konnte. Er preschte allerdings äußerst zielsicher auf ihn zu und kam erst ein paar Meter vor ihm zu einem schlitterndem Halt.
      "Sie kommen!"
      Die Nachricht sandte eine Welle der Erleichterung durch Zoras Körper, die eine bis dahin unerkannte Spannung in ihm löste. Er wusste sofort, was der Soldat meinte, und vergeudete keine weitere Sekunde.
      "Rückzug!"
      Die Vorhut reagierte, beendete ihr letztes Gemetzel und sammelte sich, um den Rückzug zu sichern. Zoras ritt weiter, brüllte diesmal seine Männer an, um den Ort zu verlassen. Es dauerte bis er den letzten Brand hinter sich gelassen hatte, bis er sie sah.

      Sie stand in einer monsterhaften Kreation ihrer eigenen Flammen, ein senkrechtes Meer aus züngelndem Licht, das sich bis in den Nachthimmel erstreckte. Von der Position aus, an der Zoras stand, wirkte es so, als zöge sich diese Linie bis in den Horizont hinaus, auch wenn er wusste, dass das unmöglich war. Trotzdem, die reine Einbildung einer solchen Dimension wirkte geradezu furchteinflößend.
      Und Kassandra stand direkt davor, nicht weit von ihr entfernt die schemenhaften Gestalten drei anderer Reiter. Natürlich war sie der Ursprung davon, eine solche Schaffung war gänzlich widernatürlich. Aber hatte sie nicht gesagt, dass sie bereits auf die Energie ihres Körpers zugegriffen hatte? Und das hier sah nicht so aus, als wäre es ein "einfacher" Zauber.
      "Verdammt, Kassandra!"
      Wieso hatte sie sich nicht an die Truppe gehalten? An seinen Plan? Er zog die Stirn in Falten, riss sein Pferd herum und preschte zurück, bis er seinen Hauptmann gefunden hatte. Der Reiter trommelte bereits die Soldaten zusammen.
      "Wir nehmen die Straße, direkter Weg! Bei Tripiol halten wir uns links, parallel zum Fluss! Treib alle zusammen und bilde du die Nachhut, ich werde Kassandra holen!"
      "Kassandra, warum? Wo ist sie? Ihr müsst mit uns kommen, Herzog, wir dürfen den Vorsprung nicht verlieren!"
      "Wir werden ihn nicht verlieren, es ist nur ein kurzer Sprint!"
      Er musste das Gesicht des Mannes nicht sehen um zu wissen, dass er damit ganz eindeutig nicht einverstanden war - aber er setzte den Befehl seines Herzogs nicht in Frage. Stattdessen salutierte er einhändig und die beiden Männer ritten getrennter Wege.

      Wahrscheinlich hätte es gereicht, Kassandra über ihr Amulett zu befehlen, zu Zoras zurückzukehren. Vielleicht hätte er sie auch zurücklassen können und darauf vertrauen können, dass sie wieder zu ihm fand. Vielleicht war Kassandra auch mit nur einem Bruchteil ihrer Kräfte eine erhebliche Gefahr für die Soldaten.
      So weit dachte Zoras allerdings nicht. Er sah lediglich eine zurückgelassene Truppe, die alleine auf dem Schlachtfeld stand und die er nicht zurücklassen würde.
      Die Soldaten beäugten ihn mit unverhohlener Erleichterung, als er sich ihnen näherte. Er hatte das Amulett noch immer fest in die Hand geschlossen und konzentrierte sich auf das Vibrieren, während er ihnen zurief.
      "Zurück zur Straße, südwärts richtung Tripiol!"
      Er erkannte erst auf kürzester Distanz die einsamen Gestalten, die sich allesamt mehr schlecht als recht auf ihren Pferden hielten. Zoras fluchte noch einmal, als sie ihre Pferde antrieben, nicht ganz so schnell wie er es sich gewünscht hätte, da sie sich kaum halten konnten. Er betete nur dafür, dass der Hauptmann sie aufgabeln würde, bevor sie den Soldaten zum Opfer fielen.
      Er umfasste die Essenz in seiner Hand fester und trieb seinen Fuchs ein Stück mehr an, bis er schließlich in Hörweite war, dass sein Ruf Kassandra erreichen konnte. Er verlangsamte seinen Ritt wieder.
      "Kassandra! Komm zurück, verdammt! Jetzt sofort!"
      Sein eigenes Tier begann bereits vor den riesigen Flammen zu scheuen und er war sich nicht sicher, ob er überhaupt nahe genug an Kassandra herankam, ohne dass sein Fuchs dabei durchdrehen würde. Auf der anderen Seite der Wand sah es wahrscheinlich nicht anders aus während Kassandras eigene Stute bei dem ganzen Schauspiel so unbeteiligt wirkte, als wäre sie zu einer Statue erstarrt.
      Zoras' Geduld hing an einem seidenen Faden.
      "Kassandra!"

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Codren ()

    • Es war nicht die Art wie sie ihre Flammen auf die Erde brachte, die Kassandra so viel Energie kostete. Es war die schlichte Reichweite, mit der sie die ganze Siedlung abzuschirmen suchte und gewillt war, es solange weiter zu tun, bis man ihr etwas andere vorschlug. Sie konnte die drei Schwerstverletzten nicht fortschicken. Nicht ohne ausreichend zeitlichen Puffer damit sie an Distanz gewinnen konnten. Also warf die Phönixin der Reiterschaft einen sichtlich missmutigen Blick zu. Von Weitem sah man es ihr nicht an, doch sie fühlte, was der Zugriff auf ihre körpereigene Reserve für Konsequenzen hatte.
      Ihre volle Aufmerksamkeit war nach vorn gerichtet, sodass sie zunächst nicht einmal hörte, wie Zoras nach ihr rief. Allerdings spürte sie einen deutlichen Ruck in ihrem Inneren, unmissverständlich als ein Befehl zu verstehen. Sie sollte sich dem hier abwenden, dessen war sie sich sicher, und trotzdem ging sie mit aller Härte gegen diesen innigsten Drang an. Mittlerweile hatte sie an aufrechter Haltung eingebüßt, hielt sich eher schlecht als recht auf dem Sattel während sie immer häufiger blinzeln musste. Erst dann, als wäre sie in einer Form des Diliriums, hörte sie eine Stimme hinter sich und der innere Drang verstärkte sich zu einem unhaltbaren Zwang.
      Als sich Kassandra samt Pferd von den Feinden vor sich abwand erkannte sie Zoras in einiger Entfernung stehen. Allein. Sämtliche Mitglieder ihrer Spähereinheit waren verschwunden, er hatte auch die drei Zurückgebliebenen bereits losgeschickt.
      Das dürfte ihnen genug Zeit gegeben haben, dachte sie zufrieden, wenn auch müde.
      Sie trieb ihre Stute an, die sich gemächlich in Bewegung setzte. Doch mit jedem Galoppsprung, den das Tier tat, schien etwas aus den Fugen zu geraten. Die schmächtig wirkende Frau im Sattel schien immer weiter in sich zusammenzufallen. Mit jedem Sprung war es ein Stückchen mehr bis ihr Kinn auf ihre Brust sackte und sie gefährlich weit zur Seite abrutschte. Mit jedem Sprung wurde das Tier schneller, hektischer, panischer. Mit jedem Sprung schrumpften die Flammen im Hintergrund.
      Bis die Stute in regelrechter Todesangst galloppierte und ihre Reiterin aus dem Sattel fiel. Kassandra kam unsaft auf dem unebenen Boden auf, rollte noch ein Stück mit ehe sie bäuchlinks auf dem Boden regungslos liegen blieb. Das Pferd bekam sich erst wieder in den Griff, als es an der Seite Zoras' Fuchs zum Halten kam und pumpte, als hätte es den Marathon seines Lebens gerannt. Getrieben durch die Feuerwalze in seinem Rücken und der erdrückenden Präsenz auf seinem Rücken, die nun nicht mehr auf das Tier wirkte, erwachte das Fluchttier im Pferd und beruhigte sich erst in Anwesenheit seines Artgenossen.
      Die ehemalige Feuerwalze war zu glimmenden Resten verkommen, einzelne Rauchschwaden stiegen von ihr auf. Allerdings fielen sie nicht sonderlich ins Gewicht angesichts der schwarzen Schwaden, die über Lindum emporstiegen. Kassandra lag nur noch wenige Meter von Zoras entfernt, unbeweglich sodass man kurzzeitig fürchten musste, dass es schlimm geendet hatte.
      Doch sie war unverletzt, hatte den Fall erstaunlich gut überstanden. Ihre Gedanken flossen zäh durch ihren Geist während sie gerade einmal genug Kraft manifestiert bekam, um mit den Fingern über den steinigen Boden zu kratzen. Zu gern hätte sie sich auf den Rücken gedreht und zumindest den Blick in den Himmel gerichtet. Aber nicht einmal das war ihr vergönnt.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Kassandra endlich reagierte - bis sie sich überhaupt bewegte. Zoras hatte schon vermutet, dass sie genauso erstarrt war wie ihr Pferd, als sie endlich an den Zügeln zog und die Stute nach hinten lenkte.
      Hätte er ihren Galopp mit einem Wort beschreiben müssen, wäre es etwas wie "holprig" gewesen, wobei ihm auch das nicht als vollkommen zutreffend schien. Es war nicht nur das ruckelnde Pferd, das mit jedem Satz nervöser wurde und kaum eine gerade Linie beibehielt, es war genauso viel Kassandra, die mit jedem Meter mehr wirkte wie die drei verletzten Soldaten, die er gerade weggeschickt hatte. Zoras trieb seinen Fuchs in dem Moment an, in dem er sehen konnte, wie Kassandras Oberkörper an Spannung verlor. Sein Verdacht bestätigte sich, als sie zur Seite rutschte und ihre Stute im selben Moment einen Sprung zur Seite machte und sie von sich schleuderte.
      "Scheiße, Kassandra!"
      Er wusste nicht einmal, auf was er wütend sein sollte, aber der Drang zum Fluchen verstärkte sich nur noch, als er beobachtete, wie die Phönixin beinahe leblos auf dem Boden aufkam. Er lenkte sein Tier um, beugte sich nach vorne und bis über den Hals, damit er zum einen seinen Galopp unterstützte und zum anderen dem Tier sanft zusprechen konnte, während es weiterhin auf die Feuerwand zulief. Er fing Kassandras Stute ab, die in seiner Nähe bereits langsamer wurde und es zuließ, dass das andere Pferd sich in ihren Weg stellte und Zoras nach den Zügeln angelte. Er brabbelte unsinnige Wörter in seiner ruhigen, besänftigen Stimme vor sich hin, die eine Nuance tiefer klang als seine normale Sprechstimme, während er die Stute zu sich lenkte, die Zügel um den Knauf seines Sattels wickelte und ihr rhythmisch den Hals tätschelte. Erst, als er sich einigermaßen sicher war sie beruhigt zu haben, überbrückte er mit den beiden Pferden die letzte Distanz zur Phönixin.
      Sie hatte sich noch nicht gerührt, zumindest nicht soweit Zoras sehen konnte, als er bei ihr absprang und sich zu ihr auf den Boden warf. Das Amulett vibrierte noch immer und dieses Mal war er fast der Überzeugung, dass das ein gutes Zeichen war - oder? Er stopfte sich die Essenz zurück in die Brusttasche und legte eine Hand auf Kassandras Schulter, mit der er leicht zudrückte.
      "Kassandra?"
      Sein vorher noch so herrischer Unterton verschwand und wurde von Fürsorge ersetzt, während er die Lage zu begreifen versuchte. Sie sah nicht so aus, als sei sie verletzt, aber das war auch eher seine geringste Sorge.
      "Hey. Kassandra? Hörst du mich?"
      Er warf einen kurzen Blick nach oben, auf die letzten Überreste des gigantischen Feuers, die langsam verglommen. Die Soldaten würden jeden Moment kommen und er wollte nicht herausfinden, ob sie die beiden Pferde auf dem Weg übersehen würden oder nicht.
      "Hey."
      Er drückte Kassandras Schulter leicht nach hinten, bis sie auf den Rücken rollte. Ihr Blick wirkte glasig und unstet, nicht die Art von Blick, die er sich gewünscht hätte, aber auch nicht die, die er gefürchtet hatte.
      "Kannst du mich hören? Ich werde dich jetzt hochheben, okay? Kassandra? Nur schön locker bleiben."
      Er wusste nicht, ob Kassandra überhaupt in der Lage dazu war nicht locker zu sein, aber es mochte ihr helfen sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Er schob den einen Arm unter ihren Rücken, den anderen unter ihre Beine, zog sie an seine Brust und stand mit ihr auf.
      Sie war leicht und sie war warm. Zoras wusste nicht, wie er diese Beobachtungen einzuschätzen hatte.
      Er eilte zu ihren beiden Pferden zurück ohne sich noch einmal umzudrehen, und zögerte für einen Moment, bevor er Kassandra in den Sattel seines Fuchses schob und sich hinter hinauf schwang. Beinahe wäre sie ein weiteres Mal vornüber gefallen, da schob er den Arm um ihre Hüfte und drückte sie an sich, während er mit der anderen Hand die Zügel ergriff und seinem Pferd die Sporen gab. Es war nicht das erste Mal, dass er zu zweit auf einem Pferd saß und auch nicht das erste Mal, dass er sich dabei in einer Art Gefecht befand, aber es war das erste Mal, dass seine Fracht so kostbar war wie diese - und dass sie sich so zerbrechlich anfühlte. Sein Griff um Kassandras Hüfte verstärkte sich, während sein Fuchs sie über den unebenen Untergrund beförderte, die Stute direkt neben sich. Ein kurzer Blick zurück zeigte Zoras, dass die Soldaten sich über die ehemalige Feuerwand hinweg gesetzt hatten.
      Aber sie strebten nicht das fliehende Paar an, stattdessen schien ihre Aufmerksamkeit ungeteilt auf dem brennenden Lindum in der Ferne zu liegen. Zoras dachte schon, dass sie ihn und Kassandra womöglich für Zivilisten halten könnten, als ihm aufging, dass die Soldaten soeben noch auf eine gleißende Feuerwand gestarrt hatten und nun wieder mit der Nacht konfrontiert waren. Sie sahen sie schlichtweg nicht und Zoras hatte nicht vor, das in irgendeiner Weise zu ändern.
      Er lenkte sein Pferd mithilfe seiner Beine, während er sich mit der Hand am Sattel festhielt, um Kassandra zusätzlichen Halt zu bieten. Sie strebten auf die Straße zu, den einzigen Fleck in dem steinernen Land, in dem es ein bisschen sowas wie Vegetation gab, und hielt gleichzeitig Ausschau nach seiner Truppe. Lindum verschwand langsam im Hintergrund und die Soldaten hatten ihren Weg noch nicht geändert.
      Sein Fuchs wurde langsamer und er ließ ihn gewähren, blickte stattdessen auf Kassandra hinab. Sie hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt und obwohl er ziemlich davon überzeugt war, dass sie sich langsam erholte, hatte er doch keine Ahnung, ob das auch wirklich stimmte.
      "Kassandra?"
      Er ließ den Sattel los, hielt sich für einen Moment lediglich mit seinen Beinen auf dem laufenden Pferd und legte die Hand an Kassandras Stirn. Sie war warm. Das war gut, oder?
      "Alles in Ordnung? Kassandra? Rede mit mir."
    • Fast hätte Kassandra die Augen geschlossen und sich einfach dem hingegeben, was nun kommen mochte.
      Doch etwas in ihr verweigerte sich. So starrte sie kleinste Kiesel vor sich an, das einzige, das sich wirklich in ihrem Sichtfeld befand. Bis sie einen Druck an ihrer Schulter wahrnahm, der viel zu entrückt für sie wirkte.
      "Kassandra?"
      Sie wollte ihm antworten, bekam aber nur Luft in ihre Lunge.
      "Hey. Kassandra? Hörst du mich?"

      Dieses Mal bekam sie immerhin ein Geräusch zustande, auch wenn es eher einem Stöhnen als allem anderen ähnelte. Sie ließ sich auf den Rücken drehen und sah endlich, endlich, den pechschwarzen Himmel mit den wenigen Sternen, die sich dem Feuerschein zu widersetzen schienen. Völlig entrückt starrte sie einfach nur hinauf in das endlose Nichts und fragte sich, wie lange sie eigentlich schon verbannt worden war. Irgendwann bekam die Zeit eine untergeordnete Rolle bis sie schließlich gar keine mehr spielte.
      "Kannst du mich hören? Ich werde dich jetzt hochheben, okay? Kassandra? Nur schön locker bleiben."

      Es war nicht so, als hätte Kassandra eine großartige Wahl. Sicher, sie hätte noch immer jeglichen Tropfen der Reserve aus ihrem Körper pressen können, aber das war ein absoluter Notfallplan. Der weder hier noch jetzt angebracht war. Wie eine Urgewalt hätte sie sich aufbäumen können und allen demonstriert, mit welcher Macht ein grottgleiches Wesen wirklich über die Welt herfallen konnte. Doch jetzt in Zoras Armen, nachdem er sie vom kalten Boden hochgehoben und sie zu den Pferden geschleppt hatte, wollte sie es gar nicht mehr. Einmal darauf verlassen, dass man nicht jedem Sterblichen die Stirn bieten müsste. Schließlich war er extra für sie hergekommen, egal aus welchem Blickwinkel man es betrachten mochte.
      Sie gewährte Zoras sogar, einen Arm um ihre Hüfte zu schlingen, damit sie nicht ein weiteres Mal vom Pferd fiel. So sprinteten sie los, eine Einheit auf dem Fuchs, weg von der ehemaligen Feuerwand und ihren Häschern. Die sie dank des grellen Feuerscheins nicht so schnell ausmachen konnten und ihnen somit die Flucht ermöglichten. Vor ihren halb geschlossenen Lidern flog die Umgebung dahin und mit ihr jegliches Gefühl der Räumlichkeiten.
      Erst als der Fuchs langsamer wurde und Zoras zurecht rutschte, ließ sie sich völlig gehen. Ihr Kopf sackte nach hinten ab, nur gestützt durch die männliche Schulter. Das bisschen Zeit hatte ausgereicht, dass sie wenigstens Sinn und Stimme wieder ihr Eigen nennen konnte. Als Kassandra das nächste Mal blinzelte, öffneten sich ihre Augen wieder vollständig und wirkten wacher als zuvor. Anstelle des Unwohlseins, das sie erwartet hätte, fand sie sich in einer doch recht angenehmen Lage wieder.
      "Kassandra?"

      "Ja?"
      Sie hatte das Wort gerade ausgesprochen, da legte Zoras ihr eine Hand an die Stirn. Fast augenblicklich versteifte sich der Körper der Frau. Mehr als das tat sie jedoch nicht und wartete ab, bis er seine Hand wieder von selbst löste.
      "Alles in Ordnung? Kassandra? Rede mit mir."

      "Jetzt geht's wieder, ja", antwortete die Phönixin wobei man deutlich hörte, das ihr ihr üblicher Schneid abhanden gekommen war. "Entschuldige. Ich weiß, ich sollte einfach nur Ausschau halten, aber ich konnte die Reiterschaft nicht durchlassen. Die drei Schwerstverletzten konnte ich nicht mit den anderen zu dir in die Siedlung schicken, das wäre ihr Tod gewesen. Also habe ich Zeit geschindet... und niemanden verletzt."
      Für einen Moment verlor sie sich regelrecht in dem gleichmäßigen Trott des Tieres und der Stabilität in ihrem Rücken. Wenn man davon absah, dass sie gerade mehr oder minder auf der Flucht waren, war das hier schon regelrecht idyllisch. Zumindest bis er ihr einmal ordentlich ins Gesicht blicken würde. Dank der Dunkelheit hatte Zoras noch nicht gesehen, dass sich das glatte, jugendliche Gesicht der Phönixin verändert hatte. Als wäre sie binnen Minuten rapide gealtert sah sie nun nicht mehr aus wie Anfang Zwanzig sondern gut zehn Jahre älter. Leichte Andeutungen von Falten würden in ihrem Gesicht sichtbar sein ebenso wie das ein oder andere weiße Haar. Das war der Preis dafür, wenn man an die Reserven ging.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Kassandras Stimme war beinahe nicht mehr als ein Flüstern und doch war Zoras mehr als erleichtert, als sie ihm eine Antwort gab. Zumindest schien sie geistig wieder einigermaßen anwesend zu sein, wenngleich ihr Körper noch immer recht schlapp wirkte. Zoras hielt sie an sich gedrückt, auch wenn er seinen Griff etwas lockerte.
      Er presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Er war wütend, in gewisser Weise; seine Sorge hatte ihn wütend gemacht, weil alles so einfach abwendbar gewesen wäre, wenn Kassandra sich nur an seinen Plan gehalten hätte.
      Aber wer war er, von allen Menschen dieser Welt, der sich darüber ärgern würde, dass ein Plan nicht richtig gelaufen war? Alle waren unversehrt, die Soldaten schienen noch immer auf Lindum zuzureiten, was konnte er sich anderes wünschen? Er könnte sich zu anderer Zeit Gedanken darum machen.
      "Schon gut. Du hast alles richtig gemacht."
      Er schwieg wieder, warf einen Blick über die Schulter zurück, blickte dann auf Kassandra hinab. Nach einem Moment des Schweigens fügte er hinzu:
      "Das war ein guter Zauber. Das hast du gut gemacht."
      Dann trieb er seinen Fuchs an und jagte die Straße entlang.

      Sie holten zuerst die anderen drei Reiter ein, die nicht besonders schnell gewesen waren, bevor sie zum Rest der Truppe aufschlossen. Die ganze Versammlung war unverhohlen froh darum ihren Herzog zu sehen und obwohl dem merkwürdigen Paar einige eindringlichere Blicke zugeworfen wurden, hinterfragte niemand ihren eigenartigen Auftritt.
      Zoras strebte gleich seinen Hauptmann an und informierte ihn in knappen Stichpunkten über die Bewegung der Soldaten. Die beiden Männer waren sich einig, dass sie noch einmal einen Sprint hinlegen mussten, um ausreichend Abstand zwischen sich zu bekommen. Zoras ließ Kassandra los, die mittlerweile sogar einigermaßen aufrecht saß.
      "Kannst du alleine reiten? Nicht mehr lange, eine Stunde nur noch, dann werden wir Lager aufschlagen."
      Er justierte sich mit Kassandra, bevor er ihr einen weiteren Blick zusandte. Mittlerweile hatte er sich von der Aufregung größtenteils wieder beruhigt, zurück blieb die Professionalität, mit der er die Lage zu bewältigen gedachte.
      "Geht es dir gut, brauchst du etwas? Wir haben jetzt Vorräte, oder?"
      Sein Hauptmann bestätigte seine Frage und drängte dazu, seinen Bericht abzugeben. Der Herzog vergewisserte sich, dass es der Phönixin an nichts mangelte, bevor er mit dem anderen Reiter ging, um einen Blick auf ihre Errungenschaften zu werfen.
      Es dauerte nicht lange, dann setzte sich die Truppe wieder in Bewegung.

      Die Nacht half ihnen zu größten Teilen unbeobachtet zu reisen. Sie konnten Dörfer, Patrouillen und aufgeschlagene Lager schon von weitem sehen und hatten damit den Vorteil, ihnen rechtzeitig ausweichen zu können. Zoras war sich sicher, dass diese Umgebung noch nichts von seinem Verrat mitbekommen hatte, aber das konnte sich minütlich ändern. Sobald ein Bote losgeschickt würde, würde man versuchen, ihn noch vor der Grenze zu erwischen.
      Diesen letzten Moment des Friedens mussten sie also noch genießen. Zu schade nur, dass sie nur nicht die nötige Sicherheit dafür hatten.
      Sie ritten so lange, bis ein Soldat zu Zoras aufschloss und verkündete, dass man eine Pause einlegen müsse, einige schwächelten bereits. Zoras musste nicht nachfragen um zu wissen, um wen es sich dabei handelte und bewegte seinen Hauptmann stattdessen dazu, Lager aufzuschlagen.
      Sie hatten zwei Wagen stehlen können, zwei Säcke voller Brot, Käse, Gebäck und Kleinigkeiten, ein Dutzend Wasserflaschen, zwanzig Decken und deckenartige Stoffe und ein paar Kleidungsstücke, hauptsächlich Westen, Handschuhe und Schuhe. Es war genug Proviant für einen Tag, gerade genug Verpflegung um es bis zur Grenze zu schaffen, nicht genug für angemessene Schlafplätze. Keiner der Soldaten hatte aber sowieso damit gerechnet, auf ihrer Flucht mit viel Luxus überschüttet zu werden.
      Die Folgen dieses notdürftigen Vorrats zeigte sich allerdings schon bei der Pflege der zahlreichen Wunden, die ursprünglich bereits nur halbherzig verbunden worden waren. Die Pferde hatten kein Heu, das war das nächste Problem, das Zoras ärgerte. Und sie hatten nichts dabei, um ihre Ausrüstung zu pflegen.
      Es würde irgendwie reichen müssen, es war ja nicht so, als ob sie eine besondere Wahl hätten. Zoras kümmerte sich um alles, soweit es ihm möglich war und sah sich dann nach der Phönixin um.
      "Kassandra, brauchst du auch -"
      Er stutzte, als er sie ins Auge fasste.
      Das niedrige Feuer, das sie bereits entfacht hatten, erleuchtete ihr Gesicht, das gar nicht mehr wirklich wie ihr Gesicht aussah. Zoras war sich sicher, er hätte schwören können, dass Kassandra viel jünger war, als es jetzt den Anschein hatte. Vielleicht war es dem wenigen Licht zu verschulden, dass auf ihrem Gesicht Falten erschienen, die vorher nicht da gewesen waren, aber irgendwie schien das nicht die Antwort zu sein. Er kniff die Augen zusammen.
      "... Geht's dir... gut?"
    • Selbstverständlich entgingen Kassandra die Blicker der anderen Reiter nicht als sie zusammen mit Zoras zu der Truppe stieß und sie sich sichtlich Fehl am Platze fühlte. Alles schrie danach, dass ihr Herzog ein schwächliches Weibsbild hatte erretten müssen und dafür fast seinen eigenen Kopf hingehalten hätte.
      "Ja sicher kann ich das. Du solltest lieber einen Überblick über die Beute bekommen, oder nicht?"
      Ihre Stimme war zu ihrer üblichen Stärke zurückgekehrt und ebenso leichtfüßig schien sie sich von dem Fuchs zu schwingen. Das bisschen Pause hatte gereicht, damit sie wenigstens nach außen hin nicht das gebrechliche Bild abgab wie sie sich fühlte. In Windeseile hatte sie sich auf ihre braune Stute gesetzt, die alles andere als begeistert davon war, eine Göttin auf dem Rücken zu tragen. Doch Kassandra machte sich nicht die Mühe, das Tier zu manipulieren. Sie musste sich noch immer schonen so gut es ging. Dann würde es eben ein wenig mehr Überzeugungskraft als gewöhnlich kosten, damit das Pferd so lief wie sie es wünschte. Unwirsch verscheuchte sie Zoras, der endlich seiner eigentlichen Aufgabe nachgehen sollte anstatt sich den Kopf über sie zu zerbrechen.
      Schließlich setzte sich die Einheit wieder in Bewegung und bestritten im Schutze der Nacht ein geraumes Stück Strecke. Aber die überstürzte Flucht und die zermürbten Gemüter forderten ihren Preis, sodass sie nicht bis zum Ende der Nacht durchreiten konnten sondern Rast einlegen mussten. Etliche der Männer hielten sich nur noch schlecht auf ihren Pferden und es war den Tieren allein geschuldet, dass sie nicht von der Gruppe getrennt worden waren.
      Kassandra indes machte sich auf andere Weise nützlich. Während Zoras versuchte den spärlichen Vorrat halbwegs sinnvoll zu verteilen hatte sie eine Feuerstelle errichten lassen und die Verletzten sich darum sammeln lassen. Sie hatte sich einmal vergewissert, dass ein kleines bisschen Heilkunde ihren dünnen Rinnsal an Magie nicht überstrapazierte bevor sie vor dem ersten Soldaten auf die Knie gegangen war und ihm die Hand aufgelegt hatte. Wie angekündigt reichte es nicht zur vollen Regeneration, allerdings konnte der Mann anschließend die notdürftigen Bandagen von sich weisen. Ein schmallippiges Lächeln lag ihr im Gesicht als der Mann ungläubig seine Schnittwunde betrachtete, die nur noch ein breiter rosaner Streifen frischem Gewebes war. So ging sie quasi reihum und egalisierte zumindest diesen Faktor.
      "Kassandra, brauchst du auch -"
      Sie hatte gerade eine übel aussehende Fleischwunde wie magisch wieder verschlossen, da wurde Kassandra von Zoras angesprochen. Sie wandte sich ihm halb zu, der Feuerschein tanzte über ihrem Gesicht und warf Schatten, die das nicht mehr so jung aussehende Gesicht nur noch älter erscheinen ließ.
      "... Geht's dir... gut?"
      Unweigerlich runzelte auch die Phönixin die Stirn bei dieser Nachfrage. Die Sorge, aber auch Skepsis, schwappte überdeutlich zu ihr hinüber und sie ahnte, dass ihr Gesicht schlechter aussehen musste als sie befürchtet hatte.
      "Sicher. Keine Sorge, ich strapaziere nicht noch weiter meine Reserven. Das hier ist nur leichte Kunst, das kostet nicht viel. Aber deine Männer brauchen diese Hilfe", sagte sie nachdem sie sich von dem Mann zu ihrer Seite abgekehrt und dem Soldaten vor sich wieder die Hand aufgelegt hatte. "Wie lange brauchen wir noch bis wir am Zielort eintreffen?"

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Zoras starrte die Phönixin einen weiteren Moment an, bis ihm bald selbst dabei unwohl wurde und er den Blick auf die Soldaten zu Kassandras Füßen warf. Die meisten starrten mit einem Ausdruck unverhohlener Verwirrung auf ihre Wundstellen, die nicht mehr halb so schlimm aussahen wie noch vor ein paar Stunden. Zoras musste ihr beipflichten, es war eine große Hilfe, noch größer sogar, nachdem sie nicht genug Bandagen mit sich führten.
      Solange Kassandra sich dabei selbst nicht benachteiligte.
      "... Nagut."
      Er studierte noch einmal ihr Gesicht, war sich ganz sicher, dass sie älter aussah als vorher. Er würde sie danach fragen müssen, aber nicht jetzt, nicht vor versammelter Mannschaft.
      "Vier Tage noch zur Grenze, zwei Tage wenn wir Tripiol hinter uns gelassen haben, aber ich werde es noch einmal in die Runde verkünden."
      Er trat einen Schritt näher und hielt dabei die Decke hoch, die er mit sich gebracht hatte.
      "Wir haben nicht viel Kleidung gefunden, aber im Wagen dort hinten sind ein paar Stücke - und wenn du nichts findest, kannst du die Decke nehmen."
      Er übergab sie ihr mit der unmissverständlichen Bemerkung, dass er kein Nein akzeptieren würde. Als sie die Decke entgegennahm, studierte er ihre Miene im Flackern des niedrigen Feuerscheins.
      "Ruh dich aus, Kassandra. Du wirkst... erschöpft."
      Als sie sich wieder trennten, nickte er bekräftigend.
      "Und keine Magie - das verbiete ich dir zwar als dein Herzog und nicht als dein Träger, aber daran solltest du dich genauso halten."
      Er warf ihr noch einen Blick zu, dann drehte er sich um, verließ den engen Kreis um das Feuer herum, nur um sich einen Meter daneben wieder zum Feuer zu drehen. Diesmal nahm er allerdings Haltung an, mehr noch als gewöhnlich und ließ den Blick über die Köpfe seiner Truppe schweifen, von denen ihm bereits einige zugewandt waren. Es wurde schon in reiner Erwartung etwas leiser, als könnten sämtliche Soldaten bereits ahnen was folgen würde. Und Zoras bestätigte diese Erwartung, indem er bald mit lauter Stimme zu sprechen begann.
      "Hört mir zu!"
      Jetzt wurde es ganz still.
      "Ich weiß, dass die letzten Stunden nicht gelaufen sind wie gehofft! Unser Putschversuch ist missglückt und bis ich mich nicht mit der Lage auseinandergesetzt habe, werde ich nicht davon berichten, weshalb er gescheitert ist! Ich möchte die Gelegenheit allerdings ergreifen und -"
      "Wegen Kerellin sind wir nicht durchgekommen!", rief einer, ein mittelgroßer Mann mit gewaltigem Bart, der sich vor einem Moment noch von Kassandra heilen gelassen hatte. Jetzt hatte er wenige Augen mehr für die Phönixin und wirkte stattdessen kampfeslustig. "Ich habe sie gesehen!"
      Zoras verzog die Miene nicht, als die Niedergeschlagenheit in ihm hochschwappte. Er war definitiv noch nicht bereit dazu, Meriah als Feind auszurufen, aber seine Soldaten waren es. Missmutige Geräusche erhoben sich.
      "Herzogin Kerellin hat getan, was sie für richtig gehalten hat, so wie wir getan haben, was wir für richtig gehalten haben! Ich werde niemandem die Schuld zusprechen, bevor ich nicht weiß, was der konkrete Auslöser für unser Versagen war! Herzogin Kerellin ist nur ein Faktor von vielen!"
      Sein schweifender Blick landete für einen Moment auf Kassandra, dann zog er unstet weiter.
      "Wir haben viele gute Männer verloren und auch wenn wir gescheitert sind, haben wir den ersten, notwendigen Schritt für eine sichere Zukunft geschaffen! Wir werden unser Land vor den Gefahren bewahren, die an den Grenzen und in unserem Inneren auf uns lauern und wir werden es nicht mehr von der Sicherheit unserer eigenen vier Wände tun, sondern wir werden dafür aktiv werden, wir werden den Wandel herbeiführen, auf den wir seit fünfzehn Jahren gewartet haben!"
      Zustimmendes Gemurmel erhob sich, hauptsächlich durch Erschöpfung gedämpft. Allerdings tanzte das Licht der Flammen in den Augen der Soldaten und sorgte für eine sehr intensiven Eindruck glitzernder Augen.
      "Wir werden Theriss zu seiner alten Pracht zurückführen und wir werden der Welt beweisen, dass mit therisser Streitkräften nicht zu spaßen ist!"
      Das Gemurmel wurde lauter, aufgeregter. Das Feuer flackerte.
      "Wir werden eigenhändig dafür sorgen, dass das Land unter einer Flagge vereint wird! Wir werden es einen! Wir werden Theriss wieder auferstehen lassen und an seine Spitze werden wir einen Herrscher haben, der den Ruhm unseres Landes aufrecht erhalten wird! Wir werden Theriss vor sich selbst schützen!"
      Manche Soldaten stampften auf die Erde. Es war ein relativ leises Geräusch, wo Zoras solche Reaktionen sonst von ganzen Kompanien gewöhnt war.
      "Es wird aber nicht leicht werden, es wird ein dreckiger, unmoralischer Kampf wie soeben in Lindum und wir werden es nicht aufhalten können! Wir werden morden müssen, brandschatzen und plündern, denn wir müssen diesem Land zeigen, wer der rechtmäßige Herrscher ist! Ich will einen Eid von euch haben, von euch allen, dass ihr nicht für das Herzogtum, nicht für die Krone kämpfen werdet, sondern alleine für das Land! Schwört, dass ihr in jedem Kampf für euer Land kämpfen werdet! Für euer Land und für niemanden sonst!"
      Eine Kakofonie aus gerufenen "Ich schwöre!" und weiteren Eidleistungen erschallte über den winzigen Lagerplatz, während Zoras mit aller Geduld darauf wartete, dass der Lärm versiegen würde. Sie waren zu laut, das wusste er selbst, aber er musste seinen Soldaten diesen einen Moment schenken, allein um es heil bis zur Grenze zu schaffen. Eine solche Ansprache war schon seit mindestens drei Stunden überfällig.
      "Ruht euch aus, wir werden in ein paar Stunden weiterreiten! Sobald wir Zuhause sind, werden wir die Ländereien auf den Kampf vorbereiten!"
      Weitere Rufe erklangen, dann legten sie sich langsam wieder, als Zoras sich vom Feuer entfernte. Er richtete seinen Blick gezielt auf Kassandra und nickte mit dem Kopf ein wenig, um sie dazu zu bewegen, ihm zu folgen.
      Er fühlte sich elend. Normalerweise gingen ihm solche Ansprachen ganz locker von den Lippen, nicht aber dann, wenn er seine eigenen Truppen anlügen musste. Sie würden nicht das Land einen - nicht direkt - aber die Krone stärken; wie konnte er das einem Soldaten mitteilen, der so unzufrieden mit seinem Herrscher war, dass er seine Waffe gegen ihn erhob?
      Die Grenze zwischen Aufstand und Terrorismus war dünn, aber Zoras wäre gerne auf der ganz anderen Seite dieser Aufstellung.
      Er wandte sich Kassandra zu, als sie ein wenig weiter weg waren.
      "Wie war das, glaubhaft?"
      Er studierte ihre Miene, die er im dunklen wieder nicht mehr ganz so klar erkennen konnte. Dafür konnte aber auch Kassandras seine Miene nicht gut sehen und das war wahrscheinlich der Grund, weshalb er ein wenig mehr sagte, als er sonst herausgebracht hätte.
      "Ich glaube ich kann das nicht, Kassandra. Ich bin kein Aufständischer, ich will auch keiner sein. Ich kann das nicht."
      Er presste die Lippen aufeinander und sah dann weg, als ob er ihrem Blick ausweichen wollen würde. Die Dunkelheit half sehr viel.
      "Hast du schonmal ein Land in dieser Lage besucht? Ein Land, das genauso gespalten ist wie wir? Was haben sie gemacht?"
    • Kassandra spürte noch immer, wie Zoras Blick auf ihr lag. Mit eienr Eindringlichkeit, die ihr selbst nicht wirklich gefiel. Es stand außer Frage, dass sie beide dieses heikle Thema noch einmal ansprechen würden und sie dann vermutlich keine bessere Ablenkung finden würde.
      Tage. Es würde Tage dauern bis sie an ihrem Zielort eintreffen würde. Über die Zeit hatte die Phönixin jegliches Gefühl für Distanzen verloren, erst recht nachdem sie jahre mit dem fahrenden Händler gereist war. Für sie war die Distanz nur abmessbar durch die Veränderung ihrer Umgebung, der Wechsel der Landschaften. Nicht die Tatsache, wie viele Nächte und Monde sie wirkich unterwegs gewesen waren.
      Kassandra richtete ihren Blick erst wieder auf Zoras, als dieser noch einen Schritt näher an sie herantrat und ihr eine Decke hinhielt. Für gute drei Sekunden blickte sie zwischen der Decke und dem Herzog hin und her ehe sie sich seiner Bestimmtheit beugte und seufzend die Decke in Empfang nahm. Natürlich wirkte sie erschöpft. Schließlich war sie noch weit ab von dem Zustand des Gleichgewichts, den erst die Zeit mit sich bringen würde.
      "Verstanden", sagte sie schlicht und selbst wenn er behauptete, ihr keinen direkten Befehl zu erteilen, spürte sie die Konsequenz bereits.
      Er würnschte sich wirklich, dass sie keine weitere Magie nutzte. Das spürte sie direkt über ihr Herz, das eingesperrt im Amulett in Zoras' Brusttasche ruhte. Selbst wenn sie es wollte - sie würde keine weitere Magie nutzen können.
      Seufzend setzte sie sich neben die Soldaten, die sie flüchtig geheilt hatte und genoß das Flackern des Feuers. Bis Zoras seine Stimme erhob und eine Ansprache hielt, die einzig und allein dem Zweck diente, seine müden Leute bei Laune zu halten. Sie selbst war von dieser Rede gänzlich unberührt und sah lieber dabei zu, wie die Männer um sie herum viel zu laut einstimmten und normalerweise ihre Tarnung förmlich in die Welt geschrien hätten. Hier allerdings im Nichts schien es glücklicherweise mit dem Wind zu verhallen und unaufspürbar in der Welt verstreut zu werden. Als die Ansprache geendet hatte war ein stetes Murmeln zu hören, das in sämtliche Themen abzudriften schien. Fast schon beiläufig fiel ihr Blick wieder auf ihren Träger, der ihr subtil zunickte und dafür sorgte, dass sich die Phönixin erstaunlich schwerfällig auf die Füße begab. Ob sie es zugeben wollte oder nicht - dieser Körper war menschlicher als es ihr lieb war.
      Zusammen entfernten sie sich vom Feuerschein und den restlichen Männern bis sie am Rande der Dunkelheit zu kratzen begannen. EIn Stück weiter noch, vielleicht hinter einem der spärlichen Bäume und man würde sie nicht mehr wiederfinden.
      "Glaubhaft für den geschundenen Mann durchaus", bestätigte sie lediglich, wusste aber, dass diese Worte genau den Kern der Angelegenheit trafen.
      Wenn seine Männer wüssten, was sein eigentliches Vorhaben war, dann würden sie ihm alle den Rücken kehren und ihre eigene Agenda verfolgen. Es waren jedoch seine folgenden Worte, die ihre Augenbrauen in Erstaunen in die Höhe trieben, gänzlich unbemerkt in der Dunkelheit. Bisher hatte sie diesen Mann als völlig gefestigt und vorallem richtig in seiner Position wahrgenommen. Dass er ausgerechnet jetzt zu straucheln begann war ein schlechtes Zeichen. So schlecht, dass er sein Gesicht von ihr abwandte obwohl sie beide nicht wirklich viel von einander ablesen konnten.
      "Man neigt dazu, sich an vergangenen Ereignissen zu orientieren unter der Prämisse, es besser zu machen. Aber willst du wirklich wissen, was die alten Völker in ähnlicher Situation getan haben?", fragte sie leise und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Dunkelheit machte sie müder und nahm ihr einiges von ihrer schnittigen Art, was sie widerstandlos weiter erzählen ließ.
      "Es gab einst das Volk der Trypnäen. Auch sie glaubten an einen König, den sie wie eine Gottheit verehrten. Als diese von Menschenhand geschaffene 'Gottheit' allmählich wahnsinnig wurde und anfing, unter anderem Gläubiger seines Kultes zu opfern und das Volk hungern ließ, wurde es aufmüpfig. Die schwergläubigen Kultisten ersehnten sich die Erlösung ihrer Königs herbei während das restliche Volk immer stärker darauf pochte, dass der Mann ein Ketzer sei. Am Ende dachten sie, sie lösen das Problem indem man des Königs Räume stürmte und ihn lebendigen Leibes ausbluten ließ."
      Sie verschwieg die Tatsache, dass sie diejenige gewesen war, die ihm damals die Pulsadern aufgeschnitten und vor den Augen aller hatte ausbluten lassen. Dunkle Zeiten und dunkle Taten.
      "Es kam zu einem Machtkampf zwischen den Stammeshäuptern, wer dem Gott am nächsten kam. Am Ende war es derjenige, der Macht über mich hatte und das führte zu dem nächsten Debakel. Am Ende brach Krieg unter dem gesamten Volk aus und das ganze Land schien sich gegenseitig zu massakrieren. Die Klugen sind damals geflohen, alle anderen haben sich niedergemetzelt. Ein Nachfahre eben jenes ersten Königs kam an meine Essenz und floh mit mir aus dem Land, das nicht einmal mehr in euren Geschichtsbüchern existiert. Also nein, eine wirklich gute Lösung scheint es nie zu geben. Aber du darfst jetzt nicht einbrechen. Wenn du jetzt schwach wirst, reißt du alle mit in die Tiefe, die dir Folge leisten würden, Zoras."

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Es war in der Dunkelheit kaum etwas an Kassandras Gesichtsausdruck auszumachen, was Zoras Aufschluss über ihre eigenen Gedanken gegeben hätte, aber ihre beinahe erschöpfte Stimme ließ ihn zumindest Vermutungen darüber schließen. Es passte besser zu ihr als ihre sonst so temperamentvolle Art, wie er fand, so als hätte sie für einen Moment ihre Maske ein wenig zur Seite gezogen, um seinem Wunsch entsprechend Auskunft zu leisten.
      Ihre Geschichte ließ ihn zynisch lächeln, wobei sie das sowieso nicht sehen konnte.
      "Die Trypnäen. Bist du dir sicher, dass das kein Ereignis aus dem letzten Jahrhundert ist? Das hört sich ganz wie etwas an, was heute genauso passieren könnte."
      Was in Theriss selbst passieren könnte. Zoras hätte fast gelacht, aber eben nur fast; das Lächeln überlebte auch nicht lange.
      Als er nach einem Moment wieder sprach, kamen seine Worte langsamer hervor, damit er sich nicht die Blöße gab, über sie zu stolpern.
      "Weißt du, was passieren wird, wenn wir versagen? Wenn der Aufstand niedergeschlagen und die Krone gefestigt wird? Dann werde ich sterben. Man wird mich dem Land vorführen, irgendwo aufhängen und von den Krähen fressen lassen, damit die ganze Nation weiß, was mit Verrätern geschieht, die sich gegen die Krone wenden. Das muss so sein, andernfalls ist der Aufstand nicht endgültig bezwungen.
      ... Und weißt du, was geschieht, wenn wir gewinnen, wenn wir dem Land zeigen, dass sein Herrscher nicht herrschen kann? Dann werde ich den König herausfordern, werde ihn persönlich auf das Schlachtfeld zwingen und in der letzten, alles entscheidenden Schlacht werde ich dafür sorgen, dass er uns vernichtet, dass er uns vollkommen ausradiert, damit das ganze Land weiß, dass Feris Nashek IV. dann stark ist, wenn er stark sein muss - dass die Krone allein das Land im Griff halten kann und kein kleiner Herzog, der ein bisschen Unruhe stiftet. Das ist der wichtigste Teil von allem hier, nichts was davor kommt, nichts was wir davor tun. Am Ende werde ich sterben und mit meinem Tod wird die Krone gestärkt werden, weil dieses ganze Land schon zu mir aufsieht als wäre ich eine verdammte Gottheit."
      Er verstummte wieder und schwieg einen Moment lang, während er darauf wartete, dass der Kloß in seinem Hals verschwand. Das Warten war vergeblich, also sprach er ein Stück leiser, als er wieder anfing zu reden, damit seine Stimme nicht brach.
      "Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich habe Angst davor, als Verräter zu sterben. Ich liebe mein Land, ich würde sprichwörtlich dafür sterben, aber ich will nicht als Verräter gebrandmarkt sein. Ich war immer loyal, mein ganzes Leben lang, ich war Feris loyal - bis es nicht anders ging - daran habe ich nie gezweifelt, aber jetzt bin ich nicht mehr als ein Rebell, werde in den Augen des Landes nie etwas anderes sein. Und als solcher werde ich sterben, als Mann, der versuchte den König umzubringen und stattdessen das Land gegen ihn aufbrachte, nur um am Ende doch zu scheitern, auf die eine oder andere Weise."
      Er stockte, dann nickte er zum Feuer zurück.
      Die Truppen können alle begnadigt werden, wenn es soweit ist. Sie schwören mir die Treue und nicht der Krone, deswegen können sie auch sagen, sie haben nur Befehle befolgt. Die anderen Herzöge können begnadigt werden, wenn sie sich eine gute Geschichte einfallen lassen, dass ich sie erpresst habe oder irgend sowas. Aber ich kann nicht mehr begnadigt werden. Das habe ich mir verspielt, als ich den Jungen nicht umgebracht habe.
      Er schwieg wieder für einen Moment, froh um die Dunkelheit, froh um das bisschen Sicherheit, das sie ihm gab. Andernfalls hätte er wohl schon zum Anfang des Gesprächs die Nerven verloren und sich jetzt damit auseinanderzusetzen, was dieser ganze Plan wirklich für ihn bedeutete, machte es auch kein Stück besser.
      Wie sieht es damit aus?”, fragte er dann, immer noch leise als würde er hoffen, Kassandra würde ihn nicht hören. “Hast du dafür auch eine Weisheit parat?
    • Im ersten Moment erwiderte Kassandra nichts. Sie hatte vergessen, dass Menschen ein anderes Zeitgefühl als sie besaßen und mit ihrer Lebensspanne völlig anders umgingen. Die Geschichte über die Trypnäen stammte nicht aus dem vergangenen Jahrhundert: Sie lag 638 Jahre zurück. Dass sich diese Tragödie so wiederholen konnte war einzig und allein ein Zeichen davon, dass die Menschheit in ihrem Kern immer gleich bleiben würde und sich schließlich selbst vom Antlitz der Welt tilgen würde. So wie es die Urgötter einst vorausgesagt hatten.
      Bevor Zoras auch nur ein weiteres Wort anstimmte, versteifte sich Kassandra. Eine erdrückende Schwere überfiel sie, nahm ihr die Luft zum Atmen und sorgte dafür, dass sie nur noch flach atmen konnte. Ein mulmiges Gefühl lungerte in ihrer Magengegend, das sie so niemals als ihr eigenes Gefühl beschrieben hätte. Wüsste sie nicht, dass es eine Spiegelung dessen war, was in Zoras vorginge, hätte sie ernsthaft ihre eigene Gefühlswelt hinterfragt.
      Erstaunlich war es jedoch für Kassandra, dass der Mann vor ihr seine Lage fast zu einhundert Prozent im Voraus vor sich liegen sah. Er schätzte sich erstaunlich gut ein, wobei auch er davon ausging, dass die Menschen gnädig sein konnten. In ihrer kurzen Zeit mit Feris war sie zu dem Entschluss gekommen, dass dieser Junge sämtliche Anhänger Zoras' hinrichten lassen würde, wenn sie in seine Fänge fielen. Einfach nur weil der Junge viel zu paranoid war. Er kannte keine Gnade und auch keine Konsequenzen für seine Taten. Schweigsam wartete sie darauf bis Zoras seine Stimme wiedergefunden hatte und fortfuhr.
      "Wieso hast du den Jungen dann nicht einfach geköpft?"
      Kassandras Stimme war vollkommen ruhig. Bewusst hatte sie kein stummes Anklagen hineingelegt oder die befremdliche Kälte in ihre Worte gepackt. Ihre Stimme klang einfach wie jemand, der verstehen wollte ohne Vorurteile das Bewusstsein trüben zu lassen.
      "Ich nehme an, du hast schon mehr Menschen getötet als du zählen kannst. Ist es wirklich nur weil er noch ein Kind ist? Du bist noch nie gegen Kindssoldaten angetreten? Auch wenn du direkt kein Kind bisher getötet hast, sei dir sicher, dass dein Handeln indirekt den Tod eben solcher verursacht hast. Hättest du Feris enthauptet, wären all diese Ausgänge nichtig gewesen. Du hättest mich ihn im Nachgang töten lassen können, Zoras."
      Das wäre die einfachste Lösung gewesen. Es erschloss sich nicht für die Phönixin, dass ein Mensch sein Leben als unwichtiger erachtete als das Wohlergehen eines Landes. Es widersprach gänzlich dem, was ein Lebewesen auszumachen schien. Es widerstrebte dem, wonach ein jedes Leben streben sollte.
      "Ich fühle, dass du deinen eigenen Worten glaubst. Dass du wirklich denkst, du hast keine Angst vor dem Tod, es rechtfertige die Stabilität dieses Landes. Aber ich kann dir mit Gewissheit sagen: Dein Verstand entscheidet etwas, das deine Instinkte über den Haufen werfen werden. In dem Moment, wo du dem Tod ins Auge sehen musst, wird dein ganzes Wesen sich dagegen sträuben. Ich habe in meiner gesamten Spanne auf dieser Erde nicht ein einziges Mal erlebt, dass ein Mensch völlig frei und unvorbehalten in den Tod gegangen ist. Das widerstrebt dem, was man leben nennt", fügte sie hinzu wobei sich nun eine Note Sanftheit zu der völligen Ruhge gesellte.
      "Wenn du wirklich an diese Ausgänge glaubst, dann stellt sich mir eigentlich nur die Frage, warum du mich noch an deiner Seite hast. Für das was dir bevorsteht brauchst du mich nicht. Alles davon kannst du auch ohne mich erreichen. Weißt du, warum du mir in Wahrheit meine Essenz nicht schon längst zurückgegeben hast?", fragte sie und trat einen Schritt näher nachdem sie ihre Arme gelöst hatte, um mit einer Hand nach Zoras Oberarm zu greifen.
      "Du lässt dir mit mir eine Hintertür offen. Dein Unterbewusstsein wehrt sich gegen die Vorstellung, dass dein Tod bald bevorsteht und der Grund dahinter lächerlich ist. Tief in deinem Kern willst du leben. Das weißt du vielleicht nicht, aber ich kann es spüren."
      Sie legte sie andere Hand auf ihre Brust. Ein Sinnbild dafür, dass sie mit ihrem Herz an seiner Brust mehr von ihm erspüren konnte als es ihm vermutlich bewusst war.
      "Bring das zerrüttete Land meinetwegen wieder in Ordnung, aber wirf dein Leben nicht einfach dafür hin. Du musst nicht hier in diesen Breiten bleiben, du kannst dich auch absetzen nachdem du das Chaos hier in Ordnung gebracht hast. Erfreue dich an der Gewissheit, dass durch deine Taten das Land wieder zusammengefunden hat. Aber dafür musst du nicht hier bleiben wenn der Preis dafür dein Kopf ist."

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Zoras warf Kassandra einen Seitenblick zu, von dem er nicht schlauer wurde, als wenn er weiter geradeaus geschaut hätte. Er hätte gern gewusst, was Kassandra dachte - was sie wirklich dachte, ob diese ganze Situation für sie so unbedeutend war wie ein Kiesel auf einem Berg oder ob eigene Gefühle hinter ihren Worten steckten. Konnte sie überhaupt nachempfinden, was Zoras versuchte zu erklären? Er bezweifelte, dass es in der Götterwelt so etwas wie Könige und Aufstände gab, obwohl er sich bei beidem natürlich irren konnte.
      Zumindest im Moment wirkte sie aufrichtig und vielleicht lag es daran, vielleicht war es die Einbildung, dass Kassandra ihn verstehen könnte, was Zoras dazu veranlasste, ihr nach einem Moment des Schweigens eine Antwort zu geben.
      "Ich konnte nicht."
      Er presste die Lippen aufeinander, verschränkte die Arme vor der Brust und griff sich dann in den Bart.
      "Auf dem Schlachtfeld ist das was anderes. Ich habe sicherlich auch schon gegen Männer gekämpft, die kaum älter waren als er, aber ich habe niemandem die Flucht verwehrt, wenn er sich ergeben hat. Und Feris hat... es ist nicht dasselbe. Er hatte nicht einmal eine Waffe dabei, ich glaube er wäre nicht einmal auf die Idee gekommen dich zu benutzen. Er hätte einfach... hast du nicht gesehen wie..."
      Er vertuschte seine plötzliche Schwäche, indem er einen Blick über die Schulter warf um zu sehen, ob ihnen jemand hätte lauschen können. Als die Pause zu lang und damit zu auffällig wurde, wagte er einen neuen Versuch.
      "Hast du gesehen, wie er auf dem Boden ge... gekrochen ist? Er war in Todesangst, die ganze Z... Zeit. Ich hätte ke-keinen K-König umgebracht sondern einen Ju-Jungen, meinen Sch-Sch-Sch..."
      Er presste die Zähne aufeinander und verzog das Gesicht. Er hatte seit zwanzig Jahren schon nicht mehr gestottert, aber jetzt schien es, als würde sich sein Mund quer stellen, damit er nur nicht den Satz vollendete.
      Vielleicht war es auch besser so. Er blinzelte mehrere Male und wartete darauf, dass sein Herz sich beruhigte.
      "Ich konnte nicht", schloss er schließlich und presste die Lippen aufeinander. Genug gesprochen für heute, er würde sich dem Verlangen seines Körpers fügen.
      Damit hörte er Kassandra schweigend zu, nahm ihre Worte sorgfältig auf, nicht nur weil sie von einer Phönixin stammten. Es lag etwas in ihrem Ton, eine unergründliche Sanftmut, die ihm - ob bewusst oder unbewusst - ein wenig zur Ruhe verhalf. Er wandte sich ihr sogar ein wenig zu, als sie die Hand an seinen Arm legte, obwohl ihm die Dunkelheit noch immer deutlich lieber war, anstatt sich die Blöße geben zu müssen, Kassandra sein Gesicht zu präsentieren.
      Schließlich seufzte er, als er sich einigermaßen sicher war, zu seiner Stimme zurückgefunden zu haben.
      "Ich dachte eine Weisheit sollte dafür sorgen, dass ich mich besser fühle. Das hätte ich wohl extra dazu sagen müssen."
      Er zögerte einen Moment.
      "... Vielleicht hast du recht und ich hoffe auf einen Ausweg. Vielleicht habe ich dich auch nur mitgenommen, damit ich mir den Sieg sichere und auf die Schmach einer Niederlage verzichten kann. Vielleicht wollte ich auch nicht, dass der König eine kriegslustige Phönixin in seinen Räumen versauern lässt?"
      Er lächelte ein bisschen, wobei es ein sehr schales Lächeln war und Kassandra es sowieso nicht sehen konnte. Dann wandte er sich ihr mehr zu.
      "Ich meine es zwar noch immer ernst, dass ich keine Angst vor dem Tod habe, aber du hast wahrscheinlich recht; wenn es soweit kommt, werde ich mich dagegen wehren soviel es nur möglich ist. Aber ich halte an mein Wort, Kassandra: Ich werde dir deine Essenz zurückgeben. Es wird eine letzte Schlacht geben und an diesem Tag wirst du sie zurückbekommen. Das ist alles, was ich tun kann und werde."
      Er hätte ihr die Hand gerne in einer ähnlichen Geste aufgelegt, empfand es dann allerdings als eine schlechte Idee.
      "Bis dahin werden wir zusammenarbeiten. Okay? Als ein Team. Das beinhaltet allerdings auch, dass du dich nicht mehr als nötig verausgaben wirst, egal aus welchem Grund; verstanden?"
    • Mit dieser Erklärung konnte Kassandra schon eher was anstellen. Es war ein Gefühl von Ehre, das Zoras davon abgehalten hatte, dem Jungen einfach den Kopf von den Schultern zu schlagen. Er erhob seine Waffe nur gegenüber jenen, die sich zu wehren wussten und wenn es jemand tat, dann ließ er Gnade walten. Eine üblicherweise großartige Eigenschaft, die in den falschen Kreisen allerdings schnell den eigenen Kopf bedeuten konnte.
      Dann jedoch warf er einen verdächtigen Blick hinter seine Schulter, so wie ein Verfolgter nach seinen Jägern Ausschau hielt. Als er dann weitersprach und zu stottern begann, konnte sie nicht anders als ihn mit geweiteten Augen ansehen, die in dem fahlen Licht nur spärlich als solche zu erkennen waren. Ein Herzog, der einen Putsch organisiert hatte. Der von einer Schar an Menschen regelrecht verehrt wurde, stotterte seine Sätze zusammen. Ein gestandener Mann in führender Position. Bekäme das seine Gefolgschaft mit, würde das empfindlich an seinem Status knabbern.
      "Ich habe nicht nur gesehen, wie er in Todesangst am Boden gekrochen ist. Ich habe es gefühlt, Zoras."
      Ihre Worte waren eine Nuance schärfer als geplant. Es war eine Sache einer Person mit einem solchen Gefühl gegenüberzustehen, aber ein völlig anderes diese Emotion mit ihm zu teilen. Gerade als ein übermenschliches Wesen, das keine Angst kannte oder kennen sollte. Noch immer hatte sie ihre Hand an seinem Oberarm, zu dem er sich mittlerweile etwas gedreht hatte.
      "Ich bin nicht zwangsläufig kriegslustig."
      Oh doch, das bist du.
      "Aber ich will nicht mehr tatenlos wie ein schönes Objekt gehandhabt werden. Das widerspricht meiner Natur."
      Du willst nur wieder das aufleben lassen, was du vor Jahrtausenden aufgegeben hast.
      "Und ich hoffe für dich, dass du dein Wort halten wirst. Wie ich schon damals sagte, werde ich mich nicht zur Gänze auf dein Versprechen stützen, aber ich möchte ihm vorerst glauben. Danach steht dir auch frei zu tun was du möchtest. Ich werde dich dann nicht mehr bekehren."
      Allerdings beschlichen Zweifel die Phönixin. Wenn sie in sich hineinhorchte, dann fand sie den Wunsch, diesem Mann seine selbstgesteckten Ausgänge zu zerschlagen. Ihm einen anderen Weg aufzuzeigen, der nicht in seinem baldigen Tode für eine größere Sache mündete. Doch wenn sie das tat, würde das Versprechen niemals eingelöst werden und er hätte niemals einen Grund, ihr ihr Herz zurückzugeben. Dann stünde sie genau da wo sie etliche Male bereits gescheitert war.
      Kassandra seufzte leise als sie ihre Hand von seinem Arm zurückzog und sie mit der Handfläche nach oben auf Brusthöhe zwischen sie beide hielt. "Schön, dass du mir dann überlässt zu entscheiden, was nötig ist und was nicht."
      Mit ihrem nächsten Augenblinzeln entflammte eine kleine, kräftig orangene Flamme auf ihrer Hand. Sie war hell genug und nah genug dran, dass sie ihrer beider Gesicht ausreichend beleuchtete und Zoras direkt erkennen dürfte, dass es nicht nur Erschöpfung war, die ihr Gesicht zermürbter wirken ließ.
      "Du bist erst seit kurzem Träger und dadurch muss sich der Magiefluss neu ausrichten. Für das Wirken größerer Magie bedarf es größeren Ressourcen, die ich noch nicht vollkommen durch unsere Verbindung beziehen konnte. Muss ein Gott oder gottgleiches Wesen wie ich trotzdem aktiv werden, können wir auf Ressourcen des jeweiligen Körpers zurückgreifen. Das bedeutet, wir verbrennen die Lebenszeit der Hülle aktiv und altern dadurch schneller. Wir alle sind im Teenageralter einst gestartet und je älter der Champion ist, auf den du triffst, desto sicherer kannst du sein, dass er genötigt worden war auf die eigene Lebenszeit zurückzugreifen. Deswegen sehe ich plötzlich etwas älter aus. Weil ich rapide gealtert bin."
      Das war lediglich der Teil, der für alle Götter galt. Sie war eine Sonderregelung, von der sie noch nichts weiter erzählte. Früher oder später würde Zoras es selbst sehen was es hieß, ein Phönix zu sein oder wie grausam es aussehen mochte. Aber je weniger er wusste, desto geringer war die Chance, dass er mit dieser Fähigkeit anfangen würde zu planen.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Es war doch ein wenig ignorant zu glauben, Zoras könnte Kassandra etwas davon erzählen, wie Feris sich gefühlt haben mochte, wenn sie es doch am eigenen Leib gespürt hatte. Entsprechend nachvollziehbar war ihre so plötzlich abgesackte Stimmung und hoch die Schuldgefühle in Zoras. Er konnte dabei selbst einen Hauch von Ärger verspüren, der sich merkwürdigerweise gegen sich selbst richtete und nicht ganz mit dem Rest seiner Gedanken übereinzustimmen schien. Das Gefühl schwand aber wieder, sobald Kassandra erneut zu sprechen begann, und wurde damit auch wieder aus seinem Gedächtnis getilgt.
      "Ich gebe dir mein Wort nicht leichtherzig, sondern weil es mir selbst wichtig ist. Sklaverei ist mir nicht geheuer, weil sie zu abstrakt ist - im einen Moment könnte ich Herzog sein, im anderen Sklave, nur weil ich eine Landesgrenze übertreten habe. Wenn ich dir nichts für deine Dienste zurückgebe, bist du nicht mehr als eine Sklavin, aber wenn ich dich bezahle bist du... eine Söldnerin? Das hört sich in meinen Ohren besser an - noch nicht gotteswürdig, aber besser."
      Er war kurz davor, jetzt doch nach Kassandras Hand zu greifen, seine eigene auf ihre zu legen um seinen Worten einen gewissen Nachdruck zu verleihen, als sie sich im selben Augenblick wieder von ihm löste. Eine kurze Enttäuschung durchfuhr ihn, als er mit seiner Hand, die sich bereits in Bewegung gesetzt hatte, stattdessen wieder zu seinem Bart wanderte und mit den Fingern durchkämmte. Die Stelle an seinem Arm, wo ihre Hand aufgelegen hatte, war jetzt auffallend kalt, wie er fand.
      Er wandte sich ihr vollständig zu, als sie eine winzige Flamme auf ihrer Hand erschienen ließ, kaum größer als ihre Hand selbst. Er konnte beim Anblick ihres Gesichts nicht verhindern, dass er überrascht Luft holte. Kassandra hatte sich definitiv verändert, sein Gedanke von vorhin, der ihm noch so komisch vorgekommen war, entsprach tatsächlich der Wahrheit. Ihre Haut war an manchen Stellen ledriger, warf deutlichere Falten um den Mund herum und auf der Stirn und er konnte sogar schwören, dass er ein paar weiße Haare unter ihrer Haarpracht sah, auch wenn der Schein ihn trügen konnte. Kassandra war gealtert.
      Ihre zusätzliche Erklärung ließ ihn ein weiteres Mal stocken.
      "Moment, ihr seid als Teenager herab gekommen? Verzeih mir aber du bist... das kann nicht das erste Mal gewesen sein, dass du zu viel Magie verwendest. Du warst doch schon... um einiges älter, als wir uns getroffen haben."
      Er suchte ihren Blick, wartete auf eine Erklärung oder zumindest auf einen Aufschluss darauf, was das alles heißen sollte. Würde sie sterben, wenn sie zu viel Magie verwendete? Oder würde nur ihre "Hülle" kaputt gehen und sie würde sich eine neue suchen? Zoras realisierte schnell, dass er eine Antwort brauchte.
      "Was passiert, wenn du zu alt wirst? Oder deine Hülle... nicht mehr kann?"
    • Selbst wenn man Kassandra für ihre Taten entlohnen würde, machte sie das noch lange nicht zu einem Söldner. Denn selbst Söldner besaßen die Freiheit zu wählen, welche Aufträge sie annahmen und welche nicht. Als Champion eines Landes, als Geißel der eigenen Dummheit, besaß sie nicht einmal diese Freiheit. Nicht solande jemand ihr Herz buchstäblich in Händen hielt.
      Die Enttäuschung, die Zoras plötzlich durchfuhr, ließ sie ein wenig straucheln. Das Timing, mit dem diese Empfindung zu ihr herüber geschwappt war, passte frappierend gut zu dem Moment als sie ihre Hand von seinem Arm gelöst hatte. Trotz ihrer Erschöpfung war sie zu schnell, zu findig, als dass sie übersehen könnte, dass ihre Berührung etwas bei ihm ausgelöst hatte. Und die Hand, die er nun weiter hochzog zu seinem Bart eigentlich für etwas anderes gedacht gewesen war.
      "Nun ja, kämen Götter als Kinder auf die Erde würde niemand sie für voll nehmen, oder? Jugendliche genießen immerhin etwas mehr Ansehen und im Austausch für eine größere Reserve wird das junge Erscheinungsbild inkauf genommen", erläuterte sie weiter und zuckte mit den Schultern während sie sich in aller Seelenruhe von Zoras begaffen ließ. "Und nein, es war nicht das erste Mal."
      Ihr Blick suchte den seinen, ein leichtes, kaum wahrnehmbares Glimmen lag in ihren Augen. Sofort fühlte sie seine Verwirrung, gepaart mit dem Drang nach Aufklärung. Der ganze Kontext drum herum war angesichts des Tages schlichtweg zu viel für ihn zum Verarbeiten.
      "Ich war nicht älter als wir uns getroffen haben. Ich sah jünger aus als jetzt. In den paar Wochen bin ich nicht auffallend gealtert, dir fällt nur jetzt der drastische Sprung auf."
      Die Flamme in ihrer Hand brannte stetig weiter, wurde weder kleiner noch größer. Der Lichtschein tauchte sie beide in einer beinahe intim anmutende Symbiose aus zwei Lebewesen, die erst noch ein Gefühl für das jeweils andere aufbauen mussten.
      "Wenn dieser Körper zu alt wird, stirbt er. So wie jeder andere Mensch auch. Wird er tödlich von Anderen verletzt, stirbt er. Wie jeder andere Mensch es ebenfalls täte. Das ist der Grund, warum wir überhaupt nach der Pfeife unseres Trägers tanzen. Durch unsere Dummheit haben wir einen Teil unserer Unsterblichkeit verloren und nun lernen die Götter die Emotion Angst kennen, die fernab ihres Wortschatzes lag."
      Wieder ein Stück mehr von der Wahrheit und doch tanzte Kassandra immer noch um ihre Rolle in diesem Kontrukt herum. Sie wusste nicht wirklich, was diesem Land über mythische Gestalten bekannt war. Im schlimmsten Falle wussten sie alle nicht einmal, was ein Phönix überhaupt verkörperte. Was Kassandra den Menschen über die Jahrtausende zu denken beigebracht hatte.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"