Salvation's Sacrifice [Asuna & Codren]

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    • Während Meriah noch mit sich zu hadern schien, ob sie es verantworten konnte dem Jäger Glauben zu schenken, merkte der König erst bei Caphalors direkter Ausdrucksweise, was vor sich ging.
      "Was?!"
      Er sprang wie von der Tarantel gestochen auf, bevor er mit schriller Stimme nach seinen Wachen rief. Die Tür bewegte sich nicht.
      "Sie werden nicht kommen", stellte Meriah überflüssigerweise fest, denn ganz anscheinend schien das Gehirn des Jungen nicht von selbst arbeiten zu können. "Sie unterstehen Zoras und haben ihre Befehle."
      Während der Junge in seiner aufkommenden Panik zu versinken drohte, dabei ganz weiß im Gesicht wurde und durch das Zimmer rannte, als könne er allein durch seinen Angstzustand dafür sorgen, dass sich die Welt wieder richtete, wandte die Herzogin sich wieder an den Jäger. Ihre Miene war noch immer wie versteinert, war wie krampfhaft gelassen, um den innerlichen Konflikt zu verschleiern, der ihr bis in die Knochen brodelte.
      "Ich werde Seine Majestät in Sicherheit bringen. Kommt mit mir oder bleibt hier, aber lasst Euch gesagt sein, dass dieser Raum der erste sein wird, den Herzog Luor aufsuchen wird."
      Sie wusste genau, in welchen Gängen die korrupten Soldaten aufgestellt waren und welche noch sicher waren und letzten Endes waren die Gardisten der Herzöge nur ein Bruchteil sämtlicher Wachmänner, die für den Palast arbeiteten. Natürlich hatte Zoras es geschickt genug eingefädelt, um so wenig Widerstand wie nur möglich zu haben, aber wenn sie nur genug von ihnen zusammentreiben konnte, könnte sie sie allein durch Überzahl überrennen.
      Den König versuchte sie einen Augenblick später ein wenig zu beruhigen, bis er bereit dazu schien, ihr hinaus in den Gang zu folgen. Sie zog ihr Schwert heraus und wandte sich der Tür zu. Ab diesem Zeitpunkt würde sie nicht mehr so entspannt durch den Palast marschieren können, wie sie hergekommen war.
      Sie öffnete die Tür und stellte sich den beiden Gardisten Zoras', die die Situation nicht recht zu begreifen schienen. Es folgte ein lärmender Schlagabtausch ihrer Schwerter, bevor die Herzogin allein durch die Überraschung ihres Auftritts beide niedergestreckt hatte. Sie blickte einmal den Gang hinunter.
      "Bleibt dicht hinter mir, Eure Majestät."
      Ihr König bestätigte mit einem mitleidserregendem Wimmern, bevor sich beide in die Dämmerung des Komplexes hineinfädelten.

      Als Zoras und seine kleine Truppe in den Gang der königlichen Gemächer einbog, konnte er bereits aus der Ferne erkennen, dass etwas nicht stimmte. Die unförmigen Haufen vor der Tür sahen nicht so aus, als wären sie dort absichtlich platziert worden.
      Die Truppe zog einheitlich ihre Schwerter und näherte sich dem Gemach, allen voran Zoras' Hauptmann, dicht gefolgt von Zoras selbst und Emjir. Sie waren leise, so leise wie es eben möglich war, als sie sich vor der Tür versammelten und die Leichname untersuchten. Es waren Zoras' Gardisten, daran bestand keine Zweifel.
      "Scheiße", murmelte er, während er sich bereits wieder aufrichtete und den Gang absuchte. Die nächste Patrouille würde laut Plan erst in 10 Minuten vorbeikommen.
      "Hat er davon windgekriegt?", fragte Emjir gedämpft, während er seine Klinge in der Hand drehte. Es schien ihn förmlich zu jucken sie zu benutzen.
      "Noch wurde kein Alarm geschlagen. Ich denke nicht."
      Aber wusste er es wirklich? Konnte er tatsächlich sagen, dass der König nicht längst hinter ihren Plan geschaut hatte?
      Zoras hatte sich selbstverständlich für jede mögliche Abweichung einen Notfallplan überlegt, aber die Ermordung seiner eigenen Leute war definitiv nicht darunter gefallen. Irgendetwas muss falsch gelaufen sein. Irgendjemand musste sich einzumischen versucht haben.
      "Caphalor", knurrte er, mehr zu sich selbst als zu allen anderen. Er wusste, dass der Jäger etwas im Schilde führte - jetzt hatte er den Beweis dafür, was es genau war.
      Er stieg über die Körper hinweg und öffnete die hohe Flügeltür, allerdings war der Raum, wie bereits erwartet, leer. Die Krone des Königs lag nachlässig auf seinem Sofa, ein paar seiner vergoldeten Überzüge lagen verstreut über den Lehnen seiner Stühle, aber sonst gab es keinen Anschein darauf, was vorgefallen sein konnte. Er war einfach nicht da.
      Zoras fluchte erneut, diesmal lauter. Die ganze Sache drohte ihm gerade aus der Kontrolle zu laufen und er würde sich beeilen müssen, so schnell wie möglich zurück zum Plan zu finden, bevor noch weitere Dinge schief laufen würden. Sie mussten binnen der nächsten 30 Minuten putschen, andernfalls drohte das ganze Gebilde auseinanderzufallen.
      "Wir müssen ihn suchen gehen, er kann noch nicht weit sein. Zieht die Leichen hier rein und teilt euch auf; Emjir, du kommst mit mir. Wenn einer den König findet, dann sofort festnehmen, wir dürfen uns keine Fehler erlauben."
    • Während Meriah eindeutig ihre Miene gewaltsam halten musste, war Caphalors Gesicht aufrichtig entspannt. Er hatte nichts gegen ein bisschen Action, erst recht wenn das Chaos ihm weitere Möglichkeiten eröffnen könnte. Sollte der junge König um sein Leben fürchten - das verleitete ihn nur zu fahrlässigen Handlungen.
      "Der Herzog darf mich gerne grüßen. Ich richte ihm Eure Grüße aus", gab der Jäger schmunzelnd zurück und ließ Meriah den Vortritt.
      Sichtlich amüsiert sah er dabei zu, wie sie versuchte, dem Jungen wieder ein bisschen Verstand einzubläuen und hatte sogar Erfolg damit. Nur schienen die Beiden nicht zu wissen, dass die Panik des Trägers höchstwahrscheinlich den dazugehörigen Champion auf den Plan rufen würde. Und da Kassandra ihren Träger blind finden konnte wäre es das ratsamste, ihm direkt zu folgen.
      Also schwang er sich aus seinem Sessel auf unf folgte den Beiden wie ein Schatten. Man wusste schließlich nie.

      Kassandra stolperte während ihres Sprints als die Angst Feris' sie wie ein Faustschlag traf. Er war sowieso sehr unstet, was seine Empfundungen betraf, aber die Angst glich einer Todesangst, die alles andere zu überschatten vermag. Angesichts der Abfolge der Emotionen konnte es nicht Zoras sein, der sie ausgelöst hatte. Es musste jemand dem Jungen gesteckt haben, dass man versuchte ihn zu töten und diese Person war überraschenderweise vor Ort. Kassandra konnte blind die Gänge entlang laufen, folgte einfach nur dem Gefühl, das sie immer wieder zielsicher zu ihrem Herzen bringen würde. Nach drei weiteren Gängen würde sie ihn sehen können, denn in seiner Kammer war er nicht mehr. Man hatte sich in Bewegung gesetzt und versuchte vermutlich den Jungen außer Sichtweite zu bringen.
      Als die Phönixin mit ihren Gardistinnen um die nächste Ecke bog, hielt sie abrupt inne. Etwa fünfzehn Meter den Gang runter stand eine Truppe aus drei Menschen. Vorweg stand Meriah, ihr Schwert gezogen und ebenso in Starre verfallen, als Kassandra um die Ecke gebogen war. Hinter ihr, klein und unauffällig Feris. Und hinter ihm folgte Caphalor.
      Diese Kombination so zu sehen missfiel ihr mehr als alles andere. Meriah konnte den Jäger nicht davon abhalten, sie zu überwältigen sobald sie die Mauern des Palastes verließen. Er folgte ihnen nur, um an ihre Essenz zu gelangen. Aber was machte die Herzogin dann hier? Sie sollte Zoras' Verbündete sein und ihn nicht als Verräter enttarnen. Der ganze Komplott drohte zu kippen.
      Kassandra reagierte umgehend. Sie beschrieb einen Halbkreis mit ihrem ausgestreckten Arm, in dessen Hand ein Bogen aus Flammen erschien. Passend dazu formte sich ein hellgelber brennender Pfeil, den sie annockte und sofort losließ, als sie das Ziel in Sicht hatte. Dem König würde sie keinen Schaden zufügen können, aber die anderen Beiden durften gerne brennen.
      "Oh, oh", kam es nur leise seitens Caphalors, der den Angriff hatte kommen sehen und schon wusste, dass ohne seine Hilfe sie Beide frittiert werden würden.
      Es zuckte kurz grün auf, als sich Caphalor in unmenschlicher Geschwindigkeit an Feris und Meriah vorbei schwang, einen versteckten Dolch zog und noch während der Bewegung von oben herab schlitzte, um somit punktgenau den gleißenden Pfeil in Zwei zu schlagen. Er verglimmte zu ihren Seiten im Nichts als Herzogin und König nicht mal einen Schritt getan hatten.
      Der Blick des Jägers richtete sich wieder nach vorne, nur um hinter dem Pfeil eine sichtlich erzürnte Kassandra zu entdecken. Sie war direkt nach dem Schuss losgesprintet, hatte ihren Speer in der Hand und eindeutig keinen Sinn für Gnade. Sie war nur noch ein paar Meter entfernt und er erachtete es als schlauer, sich aus der Schussbahn zu bringen. In Windeseile war er zurückgesprungen, sogar noch hinter den Jungen, und hob beschwichtigend die Hände.
      Kassandra hingegen wechselte das Ziel. Meriah hatte ihren Akt eindeutig als Angriff registriert und gedachte, sie mit ihrem Schwert niederzustrecken. Doch Kassandra lenkte den Schwertstreich mit ihrem Speer ab, drehte sich halb und trat der Herzogin mit aller Macht gegen den Rumpf. Die bullige Frau flog regelrecht zurück und prallte hart gegen die Steinmauern.
      Indes sah Kassandra gerade noch aus dem Augenwinkel, wie Caphalor den König zurückgezogen hatte und in einer eindeutigen Bewegung die Hand nach dem Amulett um seinen Hals ausstreckte. Der Junge bekam davon nichts mit, zu geschockt war er von dem, was sich da gerade vor ihm zutrug. Die Phönixin gab einen abfälligen Laut von sich als sie den Arm ausstreckte und einen Teil von Feris Gewand zu fassen bekam. Mit einem kräftigen Ruck riss sich den Jungen an sich, weg von dem Jäger, der einen weiteren Schritt auf Abstand ging. Die Klinge, versteckt in seinem Ärmel, war nun sichtbar für sie.
      Kassandra postierte sich vor Feris. Ein Blick ging zu ihrer rechten, wo Caphalor sie beide anstirrte. Der andere Blick ging links, wo Meriah sich bereits aufgerappelt hatte. Scheinbar stand sie nun zwischen zwei Fronten und die dritte ließ scheinbar noch auf sich warten.
      "Seid Ihr wahnsinnig?", fragte Kassandra Meriah wobei ihr Blick immer wieder zwischen den Beiden hin und her sprang.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die neue, merkwürdigere Königsgarde war mit ihrer wertvollen Fracht noch nicht weit gekommen, als ihnen unvermittelt Kassandra über den Weg lief - und mit ihr eine tödlich gefährliche Konfrontation.
      Herzogin Kerellin wusste zunächst nicht, wie sie mit dem Auftauchen des Champions umgehen sollte; sie mochte Kassandra persönlich nicht, aber sie war doch so etwas wie der Schutzpatron des Königs, daher war es wohl richtig und gut, dass sie hier war. Was allerdings nicht ganz so richtig und erst recht nicht gut war, war Kassandras Feindseligkeit, mit der sie ihnen plötzlich gegenüber trat.
      Meriah hatte etwa den Bruchteil einer Sekunde Zeit sich zu entscheiden, ob sie den König heldenhaft schützen, oder sich selbst in Sicherheit vor dem brennenden Pfeil bringen sollte und nach all der Zeit, nach all den Planungen, den Zweifeln und den Sorgen, brauchte sie nur einen Herzschlag, um sich für letzteres zu entscheiden. Vielleicht ging der Junge ja versehentlich doch noch drauf und sie könnte Zoras sagen, dass sie nur einen eigenen Ausweichplan umgesetzt hatte. Sie konnte es ja auf den Jäger schieben, die beiden Männer schienen sich sowieso nicht leiden zu können.
      Dass der König mit seiner Essenz von den Flammen unverletzt bleiben würde, bedachte sie in diesem einen Moment nicht.
      Während sie allerdings noch zur Seite sprang und das Schwert vor ihren Oberkörper hielt, konnte sie aus dem Augenwinkel beobachten, wie die Gestalt Caphalors an ihr vorbeihuschte, so schnell, dass ihr eigener Körper ihr viel zu träge vorkam. Das selbe Gefühl hatte sie noch einmal, als sie beobachten durfte, wie der Jäger mit scheinbarer Leichtigkeit den Pfeil in der Luft durchtrennte. Es war ja schließlich nicht so, als wäre das eine Möglichkeit für einen menschlichen Körper.
      Genauso schnell sah Meriah sich schließlich Kassandra persönlich gegenüber, als Caphalor wieder einen Rückzieher machte, so flink wie schon davor, und Meriah ihre ursprüngliche Position an der Spitze des Trios überließ. Jetzt eher davon überzeugt, sich Kassandra mit mehr Willenskraft zu stellen, erhob sie das Schwert und startete einen eigenen Angriff, nur um gar nicht dazu zu kommen, die Waffe überhaupt zu benutzen. Sie wurde binnen zwei Sekunden außer Gefecht gesetzt.
      Der König gab beim Anblick der beiden aufeinander prallenden Frauen ein verängstigtes Fiepsen von sich, zu sehr versteinert in seiner Angst, um irgendetwas um sich herum zu registrieren. Erst, als Kassandra ihn mit einigem Nachdruck von dem Jäger wegzerrte und sich mit ihrem schlanken Körper vor ihm aufbaute, kamen vereinzelte Gedanken wieder hindurch und er streckte die Hand aus, um scheu an Kassandras Ärmel zu zupfen.
      "Sie ist nicht", begann er kleinlaut, als Meriah sich unter einigem Grunzen wieder aufgerichtet hatte, ihr Schwert fallen ließ und abwehrend die Hände hob. Anscheinend gedachte sie, diesen kurzen Moment der Ruhe für einen Waffenstillstand zu nutzen.
      "Ihr habt mich angegriffen!", kam die Entgegnung, wobei Meriah auch einen Blick zu Caphalor warf. Das merkwürdige Dreieck, das sich soeben ergeben hatte, fühlte sich ganz und gar nicht gut an.
      "Sind wir hier nicht alle auf der gleichen Seite?!"
      Sie machte eine ausladende Geste zu ihnen allen, zum König.
      "Wir wollen alle Seine Majestät in Sicherheit bringen, ist es nicht das? Außer vielleicht er."
      Sie nickte zu Caphalor.
      "Aber er will ihn auch nicht nicht in Sicherheit bringen - in jedem Fall bin nicht ich es, gegen die Ihr Eure Waffe erheben müsst, Kassandra!"
      Sie fixierte Kassandra eindringlich.
      "Wir müssen in die dritte Ebene hoch, dort wird es sicherer sein, dort können wir uns verschanzen und den Alarm betätigen. Dort können wir die Sache auch aufklären. Werdet Ihr mit uns kommen oder nicht?"
      Der König hatte mittlerweile seinen ursprünglichen Satz aufgegeben und starrte panisch in die Runde. Er wollte sich in seiner Panik schon fast an Kassandra klammern, konnte sich aber gerade noch beherrschen, um sie nicht wirklich zu berühren.

      Zoras und Emjir hatten den ersten Wachposten erreicht, dessen Soldaten Eiklar angehörten und ihnen berichteten, sie hätten weder etwas gesehen noch gehört. Der König konnte dort nicht hindurch gekommen sein.
      "So wird das nichts", knurrte Zoras, der wusste, dass sie drei weitere Gänge hatten, die sie abklappern mussten. In der Zwischenzeit konnte der König schon seine eigene Leute erreicht haben, dann würden sie innerhalb des Palastes den Krieg anfangen müssen.
      Er drehte sich zu seinem Partner, der selbst mit finsterem Gesicht die Gänge entlang stierte. Zoras' Gehirn raste.
      "Wo würde ich hingehen, wenn ich Caphalor wäre?"
      "Was?"
      Zoras versuchte es sich bildlich vorzustellen, ein Jäger, der den König dazu drängte, mitten in der Nacht durch die Gänge zu marschieren. Wo glaubte er, dass es sicher sein könnte? Was wusste der Jäger von diesem Palast, um sich zurechtzufinden?
      Er erinnerte sich an die Karten, die der blonde Mann studiert hatte. Wahrscheinlich war das ganze schon länger geplant, als es Zoras lieb gewesen wäre.
      "Nach oben."
      Emjir warf ihm einen Seitenblick zu.
      "Er kann ihn nicht rausbringen, ohne Aufsehen zu erregen, er kann nicht weiter nach unten und - Kassandra!"
      Emjir schien drauf und dran, seiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen, als ihm selbst ein Licht aufging. Kassandra könnte vermutlich wissen wo er war, schließlich war sie mit ihrer Essenz verbunden - solange der König sie auch am Körper trug.
      Also gingen sie wieder in die andere Richtung, zielsicher diesmal zu Kassandras Gemach, wo sie die nächste Enttäuschung erwartete. Anstatt Kassandra fanden sie dort nur das Dienstmädchen - keine Spur von dem Champion und ihren Gardistinnen.
      "Wo ist Kassandra?", verlangte Zoras ein wenig atemlos zu wissen, der es nun selbst mit einer ganz anderen Art von Sorge zu tun bekam. Er hatte Kassandra gesagt, sie solle in ihrem Gemach bleiben - was, wenn der Jäger nun mehr angestellt hatte, als den König zu entführen? Was, wenn er auch noch Kassandra hatte? Zoras würde den ganzen verdammten Palast auf den Kopf stellen, um ihn zu finden.
    • Rima faltete die Decken des Bettes nun sicherlich zum siebzehnten Mal, als die Tür plötzlich aufgerissen wurde. Zu Tode erschrocken wirbelte das Mädchen herum und starrte in die Gesichter von zwei Herzögen sowie etlichen Soldaten. Ihr angsterfüllter Blick schoss zwischen den Parteien hin und her während sie ein wenig bekümmert auf dem Bett saß.
      "Ah....Kassandra? Sie...ehm... ist irgendwo im Palast fürchte ich...", druckste sie ein wenig herum und sah augenblicklich die Sorge im Gesicht des Mannes aufkeimen.
      "Sie hatte sich hier auf dem Bett zurückgezogen und war nicht mehr ansprechbar. Dann ist irgendetwas passiert, sie ist praktisch aus ihrer Starre erwacht und dann fast schon panisch aus der Kammer gestürzt. Mit den beiden Gardistinnen.... Vielleicht ist etwas mit dem König passiert?"...
      Mehr konnte die Zofe leider nicht beitragen. Woher auch? Niemand hatte sie eingeweiht in das Chaos, das sich gerade in den Gängen des Palastes abspielte und und entweder für die eine oder die andere Partei gut ausfiel. Dann allerdings ging ein Murmel durch den Soldatenstand, als sich die Gardisten teilten und einer weiteren Figur Platz einräumten:
      Kassandras Khadim.
      "Verzeiht, Herr", meldete sich der ehemalige Gardist zu Wort, der nunmehr schmächtig in seinen Stoffgewändern wirkte. Seine Stimmte war leise, fast schon zerbrechlich als er das Wort an Zoras richtete. "Ich kann Euch zur Göttin führen, wenn Ihr es wünscht. Ich würde ihre übermenschliche Aura überall erspüren können."
      Alle Augen richteten sich auf den Mann, der so unscheinbar wie irgendein Bediensteter zwischen den bewaffneten Männern stand und in den Gang hinter sich nickte.

      Kassandra stand fest wie eine Salzsäule. Sollte der Junge in ihrem Rücken ruhig behaupten, dass Meriah nichts im Schilde führte. Im Gegensatz zu ihm wusste sie, dass der Putsch geplant worden war und hielt sich nun hier vollständig allein mit dem Jäger und dem König auf.
      Ihr Blick glitt zu Meriah. "Wieso führt Ihr den Jungen allein des Nachts durch die Gänge? Oder eher noch schlimmer, mit dem Jäger hinter Euch?"
      Caphalor schnaubte abfällig bei der Bemerkung. "Wieso gehen alle Parteien davon aus, dass ich ihnen feindselig gestimmt bin?"
      "Weil du ein verdammter Söldner bist, der höchstwahrscheinlich für Dritte arbeitet."
      "Wenn Ihr das so gut wisst, wieso habt Ihr nicht dafür gesorgt, dass man mich schnellstmöglich los wird?" Der blonde Mann lächelte überschwänglich.
      "Weil der dumme Junge in meinem Rücken sowieso nicht auf mich gehört hätte", zischte die Phönixin ihn an und kehrte wieder zu Meriah zurück. "Vor was wollt Ihr ihn schützen? Für mich sieht es erst einmal so aus, als wolltet Ihr ihn zusammen mit dem Jäger außer Sichtweite kriegen um Gott was weiß anzustellen. Euch ist klar, dass der Jäger dort nur einen günstigen Moment abwartet, um an die Essenz zu kommen? Was denkt Ihr, passiert, wenn er sie in Händen hält? Glaubt Ihr, er weiß nicht sie richtig einzusetzen?"
      Das war ihre wahre Sorge in echte Worte verpackt. Es graute ihr vor dem Moment, in dem Caphalor ihr Herz in seine Faust schließen würde und genau wusste, wie er es einzusetzen hatte. Er würde sie dazu zwingen, jeden Menschen gnadenlos niederzustrecken, der es auch nur wagte sich in ihren Weg zu stellen. Sie musste Zeit schinden bis Zoras hier ankam. Lieber bekam er ihre Essenz als irgendwer sonst hier.
      "Klärt mich auf, worüber ich nichts weiß."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Anstatt auf ihre Bitte einzugehen, stellte Kassandra die nächste Frage an Meriah, die sichtlich ihre Ungeduld fütterte. Von ihnen drei wusste sie wahrscheinlich am besten, wie gefährlich nahe sie daran waren, Zoras oder einem seiner Männer in die Arme zu laufen. Binnen kaum einer Stunde hatten sich die sicheren Wände des Palastes in eine übergroße Falle gewandelt.
      "Das ist schwierig zu erklären", zischte sie ungeduldig. "Ich versuche ihn in Sicherheit zu bringen. Den Wachen ist nicht mehr zu trauen."
      Den folgenden Schlagabtausch zwischen den beiden Konkurrenten beobachtete sie ebenso verdrossen, sichtlich unzufrieden damit, so viel Zeit mit so wenig Wörtern vergeuden zu müssen. Ihr Geduldsfaden war sichtlich angespannt und trotzdem wagte sie es nicht, sie beide zu unterbrechen.
      Entsprechend schwierig war es allerdings, ihre Stimme im Zaum zu halten.
      "Der Jäger ist mir völlig egal - mit Verlaub, Eure Essenz ist mir egal! Man hat ein Attentat auf Seine Majestät geplant und ich gedenke es zu verhindern!"
      Der König wimmerte hinter Kassandra bemitleidenswert auf. Er sah sich in dem Gang um, paranoid gegenüber willkürlich auftauchender Attentäter.
      "Lasst uns nicht hier darüber sprechen, bitte", fuhr sie fort, etwas versöhnlicher dieses Mal. "Ich werde alles aufklären, jedes Detail das Ihr zu hören wünscht, aber nicht hier, nicht im offenen. Lasst uns doch…" Sie sah den Gang entlang. "... Der kleine Audienzsaal, der ist nicht weit. Lasst uns doch wenigstens dorthin gehen, er dürfte nicht bewacht sein - bitte!"
      Der König gab ein weiteres Geräusch bei der Erwähnung des Raumes von sich, in dem zuletzt Kassandra ihr Massaker veranstaltet hatte, beschwerte sich aber nicht, als Meriah sich in Bewegung setzte. Sowohl Champion als auch Jäger willigten schließlich unter weiterem Gedränge ein, den Raum aufzusuchen.

      Nachdem die Türen hinter ihnen verschlossen und ein paar Fackeln entzündet worden waren, hielt Meriah schließlich ihr Versprechen und klärte die Sache etwas deutlicher auf.
      "Herzog Luor hat den Putsch schon länger geplant. Er möchte Euch stürzen, Eure Majestät, Euren Platz einnehmen und das ganze soll heute Nacht geschehen - solange noch alle Herzöge im Palast anwesend sind."
      Der König starrte sie mit riesigen Augen an. Er stand noch immer hinter Kassandra, als wolle er sie als Schutzschild verwenden.
      "Erinnert Ihr Euch, dass die Wachen nicht kamen, als Ihr gerufen habt? Sie gehören zu Herzog Luor. Etwa ein Viertel der Wachmänner im Palast wurden von seinen und den anderen Gardisten ausgetauscht. Die gesamte erste Ebene - auf der wir uns im Übrigen noch immer befinden - wimmelt nur so von ihren Schergen, auf Teilen der zweiten Ebene sind auch einige positioniert. Die Bedienstetenräume sind infiltriert, der Zugang zur Waffenkammer blockiert, manche Ausgänge zu den Platformen sind frei. Die Patrouillen sind hinausgezögert worden. Wir sind hier nicht mehr sicher, deswegen ist es so wichtig, in die dritte Ebene zu kommen - dort wird es noch loyale Soldaten geben."
      Ein plötzliches Geräusch des Königs ließ sie unterbrechen und zu ihm schauen. Der Junge hatte angefangen bitterlich zu weinen.

      Zoras' Stimmung senkte sich ein wenig mehr, als auch das Mädchen nicht wusste, wo Kassandra hin gegangen war. Also doch wieder zurück und die Gänge absuchen. Sie könnten die ganze restliche Nacht damit verbringen, den König in seinem riesigen Komplex zu finden.
      "Nichts ist passiert", versuchte er die Bedienstete dann allerdings zu beschwichtigen und setzte eine neutralere Miene auf. "Ich muss sie nur sehr dringend sprechen, verstehst du?"
      Als er sich bereits frustriert wieder abgewandt hatte, sah er erst, wie sich ein weiterer Mann zu ihm hindurchschob. Seine Augen weiteten sich, als er ihn erkannte.
      "Du! Du kannst das?"
      Damit hätte er nicht gerechnet. Der Khadim sah mehr als unscheinbar aus, um eine solche Fähigkeit zu besitzen.
      "Dann führ uns hin, so schnell wie möglich. Wo ist sie, erste Ebene, zweite? Dritte?"
      Auf seine Antwort hin schickte er einen seiner Gardisten los, um seine Männer zusammenzutrommeln. Sie sollten Treppen besetzen, Durchgänge, Tore, alles, womit sie die erste Ebene hätte verlassen können. Wenn er richtig lag und Jäger als auch König bei Kassandra waren, würde er sie aufhalten können - sofern sie nicht zu spät sein würden. Ihnen blieben noch etwa 20 Minuten.
    • Kassandras Blick wurde finster. Offensichtlich nahm die Herzogin den Jäger zur anderen Seite wirklich nicht als Bedrohung wahr. Wie auch, wenn das gesamte Königreich noch nie in Kontakt mit diesem Thema gestanden hatte? Folglich wussten nur zwei der drei Erwachsenen im Gang, was Caphalor tatsächlich mit der Essenz in seinen Händen anfangen könnte. Er könnte die Phönixin den Jungen, der Herzogin, den gesamten Palast in Schutt und Asche legen lassen. Niemand wusste, welches Ziel er wahrlich verfolgte. Wenn ihm der Geduldsfaden riss, dann würde er erst die Herzogin und schließlich den Jungen meucheln, um an das Amulett zu gelangen.
      "Meinetwegen", gab sich Kassandra etwas kooperativer, setzte sich allerdings erst in Bewegung nachdem Caphalor hinter Meriah hergegangen war. Sie wollte alle Parteien vor und den Jungen hinter sich wissen. Nur für den Fall.
      Im Audienzsaal schnippte Kassandra lediglich mit den Fingern, um die leblosen Fackeln an den Wänden mit Flammen auszustatten. Wie angekündigt befand sich niemand außer ihnen in diesem Raum und selbst wo sie ihren Speer hatte verschwinden lassen, so stand sie noch immer mit verschränkten Armen vor der Brust dar als sei es ihr Geburtsrecht vor dem König zu stehen. Aufmerksam hörte sie Meriah zu und setzte den gedanklichen Palastplan mit den neuen Informationen zusammen. So wie es klang waren die Ausgänge in der Tat limitiert. Jede Sekunde die verstrich würde Zoras mehr Zeit geben zu reagieren. Wenn er schlau war, würde er die verbleibenden Wege blockieren und versuchen, sie dort abzufangen.
      Dann unterbrach ein Geräusch ihre angestrengten Gedankengänge. Fast schon perplex drehte sie sich um und fand einen bitterlich weinenden Jungen vor sich. Die Angst, deie ihn zu spalten suchte, kam überdeutlich bei der Phönixin an. Selbst wenn sie es versucht hätte; sie konnte das Mitleid nicht von sich weisen. Im Angesicht des drohenden Todes knickten selbst die stärksten Männer ein und dieser Junge von gerade mal siebzehn Jahren hatte nicht einmal das Selbstbewusstsein, im Saal vor seinen Untergebenen seine Meinung fest zu äußern. Wie sollte er mit einer Situation wie dieser anders umgehen können?
      Kassandras Miene wurde weicher als sie ihre Hände an Feris Oberarme legte und leicht drückte. "Ich kann dich hier rausbringen, auch ohne die Hilfe von Meriah oder wem auch immer. Ich bringe dich an einen Ort, wo dir niemand etwas kann. Aber dafür brauche ich den Zugriff auf meine volle Macht, verstehst du?"
      Ihre Worte waren von einer unglaublichen Sanftheit, als sie in die geröteten Augen des Jungen sah und ihn aufmunternd anlächelte.
      In ihrem Rücken bewegte sich Caphalor. Ein vorsichtiger Schritt nach vorne, als pirsche er sich an etwas an. Sollte der Junge so dämlich sein und ihr die Essenz überreichen wollen, musste er seine Prinzipien über Bord werfen. Entfesselt brachte Kassandra dem Jäger nicht eine Münze ein.
      "Caphalor wartet nur den richtigen Moment ab, um dir mein Amulett abzunehmen. Bringt Meriah dich hier raus wird er seine bisherigen Versuche als misslungen ansehen und vor Gewalt nicht mehr zurückschrecken. Du hast gesehen, was er kann. Ich brauche meine Essenz, wenn ich dafür sorgen soll, dass er keinen Finger an dich legt. Ich gebe dir mein Wort, dich anschließend hier raus zu bringen."

      Der Khadim zuckte lediglich mit den Schultern. "Ich bin dank ihr wieder auferstanden. Ich diene nur noch ihr, sie ist mein Lebensinhalt. Dann sollte ich doch wissen, wo sich sie aufhält oder nicht? Sie ist noch im ersten Stock, denke ich. Soll ich führen?"
      Rima starrte den Mann an, der so falsch in der Gruppe der Soldaten aussah wie ein Fremdkörper. Und doch schrie seine Körperhaltung danach, als sei er im vollsten Recht über das was er sagte und tat. Ein seltsamer Mann, wie die Zofe befand, doch sie würde hier verweilen, wie es die Göttin vorgeschlagen hatte. Denn kämpfen konnte das Mädchen mit Sicherheit nicht.
      Ein neuer Trupp an Menschen setzte sich in den Gängen in Bewegung. Angeführt von Kassandras Khadim liefen sie durch die Gänge einem scheinbar unsichtbaren Faden folgend. Der Diener erreichte schlussendlich den Gang, in dem sich Kassandra mit dem Dreiertrupp getroffen hatte, und hielt kurz inne. Er blickte den Gang hinab, als müsse er einmal nachdenken.
      "Sie hat sich hier einen Moment länger aufgehalten, ihre Aura ist hier präsenter als in den Gängen. Ich würde sagen....", er kniff die Augen zusammen, "sie ist in dem kleinen Audienzsaal dort unten."
      Er deutete den Gang hinab zu einer Tür, bei der am unteren Ende ein sachter Lichtschein durch den Spalt zwischen Boden und Tür drang.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Der König blickte mit von Tränen verquollenen Augen zu Kassandra hoch. Er schniefte laut und zitternd, während er den nächsten Heulkrampf zurückzudrängen versuchte, um sich auf Kassandras Worte zu konzentrieren. Sein Blick wanderte an ihr vorbei, wobei er den Jäger nicht mehr ausmachen konnte. Die Herzogin stand ein Stück weiter hinten, beobachtete alle drei, wirkte nervös. In diesem merkwürdigen Zusammenbund, in dem es keinen einzigen richtigen Halt zu geben schien, schenkte er Kassandras Worten mehr Glauben als alles andere.
      Er sah wieder zu ihr, nickte schüchtern, griff dann nach dem Amulett an seinem Hals. Seine Finger schlossen sich fest darum, geradezu zielstrebig.

      Zoras' Geschwader folgte Kassandras Khadim, bis dieser das Ziel feststellte: Der kleine Audienzsaal, in dem Fackeln zu brennen schienen. Eine Erleichterung durchwallte Zoras, die er nicht recht zuordnen konnte. Sie hatten Kassandra gefunden? Den König? Sie waren noch hier?
      Konnte der Khadim spüren, wenn Kassandra etwas zugestoßen wäre?
      Zoras traute sich nicht zu fragen, aus Angst eine ablehnende Antwort zu erhalten.
      Er drehte sich dem Khadim zu und nickte.
      "Danke für deine Hilfe. Bitte, geh zurück zu Kassandras Gemach, ich werde sie so bald wie möglich zu dir schicken. Es wird nicht lange dauern."
      Er wusste nicht, ob er die ganze Wahrheit sprach, aber so knapp vor dem Ziel durften nicht noch mehr Sachen schief laufen. Der Mann musste sich raushalten, bevor sein Einfluss Zoras' Pläne störte.
      Die Soldaten näherten sich der Tür vorsichtiger. Die Gardisten unter ihnen schwärmten wortlos zu beiden Seiten aus, positionierten sich neben der Tür und als Nachhut an beiden Enden des Ganges, bis nur noch Zoras, sein Hauptmann und Emjir übrig waren. Die drei Männer tauschten einen Blick aus, eine unausgesprochene Bestätigung, dass sie bereit waren. 15 Minuten zum putschen. Zoras hob die freie Hand zum Türgriff.

      Der König starrte Kassandra noch immer an, als er sich mit zittrigen Fingern die Essenz über den Kopf zog. Er hielt sie ihr allerdings nicht sofort hin, schien von anderen Gedanken besessen zu werden, haderte mit sich. Seine Hand bebte. Bevor er letztlich zu einer Entscheidung kommen konnte, sprang die Tür auf.
      Die drei Männer betraten den kleinen Saal in Unison, Zoras vorneweg, Emjir rechts hinter sich, den Hauptmann links. Sie hatten alle drei ihre Schwerter gezogen und die Tatsache, dass sie alle drei noch ihre makellosen Uniformen trugen, ließ den Auftritt viel eher wie ein Sicherheitsaufmarsch wirken als das Gegenteil. Wenn nicht bereits jeder schon von ihrem Vorhaben gewusst hätte, hätte man ihnen es womöglich auch noch abkaufen können.
      Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, stieß der König bereits einen spitzen Schrei aus, wirbelte herum und flüchtete sich in den Schutz des Thrones, wie er es bereits einmal getan hatte. Meriah drehte sich um, um den Männern gegenüberzutreten.
      Zoras bemerkte zuallererst Kassandra, bevor ihm auch der Jäger auffiel. Es brauchte eine lange Sekunde mehr, um Meriahs Anwesenheit zu realisieren.
      "... Meriah?"
      Das war definitiv nicht geplant. Was suchte die Herzogin hier?
      Emjir trat neben ihn, die Miene finster, das Schwert leicht angehoben. Er schien keine Zeit vergeuden zu wollen.
      "Eure Majestät! Kommt heraus und stellt Euch uns wie ein Mann!"
      Er hob das Schwert, um mit der Spitze auf Caphalor zu deuten.
      "Tretet beiseite Jäger, andernfalls seid Ihr der nächste!"
    • Wie erwartet dauerte es seine Zeit ehe der junge König reagierte. Sehr zu ihrer Erleichterung sah Kassandra, wie Feris nach dem Amulett um seinen Hals griff und ihr scheinbar glaubte. Langsam zog er sich das Schmuckstück über den Kopf, sie hätte nur die Hand ausstrecken müssen und würde ihr Herz bereits berühren können. So nah war sie ihrer Essenz schon lange nicht mehr. Wie hypnotisiert war ihr Blick auf die lodernde Flamme im Inneren des Kristalls gerichtet, sodass sie gar nicht merkte, wie sich Caphalor in ihrem Rücken bewegte und mehr als nur einen weiteren Schritt nach vorne tat.
      Doch bevor es zu irgendeiner Auseinandersetzung kommen konnte, flog die Tür zum Saal auf. Caphalor gefror auf der Stelle als sein Blick zur Tür schoss ebenso wie Kassandra, deren Blick eine Mischung aus Überraschung und Verdruss war. Ein einziges Mal hätte sich ihr Gespür doch täuschen können, ein einziges Mal hätte das Schicksal in ihre Hände spielen könne und ihr so einfach die Freiheit schenken sollen.
      Stattdessen quietschte Feris auf und flüchtete weg von allen Beteiligten hinter den einzigen Schutz, den er als solchen erachtete. Der jämmerliche Stuhl vor ihm würde weder Schwert noch Flamme sonderlich lange standhalten. Alles, was die Phönixin tun konnte, war dem jungen König und einer vertanen Chance nachzusehen. Sichtlich ungehalten drehte sich Kassandra den hereingeströmten Männern nur halb zu. Ihre Augen richteten sich auf Zoras mit einer ungeahnten Unterkühlung. Sicher, sie wollte ihre Essenz zurück. Aber nun, wo sie dabei zusehen müsste wie der Junge vor ihren Augen niedergestreckt wurde, erwachte ein Kernstück ihres Wesens zum Leben. Der Junge hatte nichts verbrochen - seine Zeit war noch nicht gekommen.
      Caphalor indes hob beschwichtigend die Hände und wich seine obligatorischen Meter zur Seite. Ganz offensichtlich hatte er wenig Lust, sich in ein Gemenge zu werfen, das ihn mehr Arbeit kostete als es letztlich Früchte trug.
      "Ich bin ein Jäger, kein Leibwächter. Ich habe keinerlei Interesse daran, den Jungen dahinten vor seinem Schicksal zu bewahren", sagte Caphalor laut, wobei er einen schwer zu deutenden Blick zu Zoras warf.
      Kassandra hingegen hegte andere Absichten. Noch immer stand sie im Profil zu Zoras, offenkundig zwischen ihm und dem versteckten Jungen hinter dem Thron wie eine unüberwindbare Mauer.
      "Offensichtlich scheint Meriah dem Jungen eine größere Treue zu schwören als Euch. Zwist unter den Herzögen, wie es scheint?", fragte sie und versuchte den Ausdruck im Gesichte Zoras zu deuten während er hin und wieder zu der Herzogin sah. "Was haltet Ihr davon, wenn Ihr sie mit dem Jungen gehen lasst? Sorgt dafür, dass er Euch meine Essenz überreicht, stellt sicher, dass der Junge niemals Erben haben wird und zwingt Meriah dazu zu behaupten, der König ist ermordet worden. Es muss kein Blut eines unreifen Kindes an Eurer Klinge kleben."
      Caphalors Gesichtsausdruck wechselte zur puren Verblüffung als er Kassandra angaffte. "Wieso schlägst du ihnen Alternativen vor? Du kannst spielend leicht dein Herz zurückbekommen!"
      Offensichtlich hatte der Jäger doch nicht so viel Verständnis für ihre Art. Langsam, beinahe träge wirkend, drehte sich die Phönixin weiter bis sie den Jäger ansehen konnte. Noch immer war ihre Miene kühl, aber es schwang eine Prise Schwermut mit.
      "Du hast immer noch nicht den Wert eines Lebens verstanden."
      Caphalors verblüffter Mund klappte zu während er sie stillschweigend anstarrte.
      Indes richtete Kassandra ihre Augen nun auf Meriah, die noch immer mit gezogenem Schwert dastand. In einer abfälligen Geste deutete sie zu den Männern hinüber ehe sie zu sprechen begann: "Was haltet Ihr von meinem Vorschlag? Andernfalls dürft Ihr Euch gerne allein gegen die drei Männer behaupten. Ich greife erst ein, sofern sie Hand an den Jungen legen wollen."
      Für das Schicksal eines anderen war sie schließlich nicht verantwortlich. Einen selbstgewählten Tod würde Kassandra niemals infrage stellen.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Erst Kassandras so beiläufige Formulierung ließ den Groschen in Zoras fallen. Seine Augen weiteten sich in Verblüffung als er Meriah wieder ansah, als er erst den Grund ihrer Anwesenheit richtig erfasste. Neben ihm schien Emjir ähnlich überrascht, aber nicht ansatzweise so entsetzt.
      "Meriah?", wiederholte er ungläubig, nicht fähig dazu, die dahinter versteckte Frage zu formulieren. Die Herzogin starrte ihn eindringlich an, unwillens die unausgesprochene Frage zu beantworten, ein leichtes, unscheinliches Beben auf ihrem Kinn. Er musste sich von ihrem Anblick losreißen, um Kassandra wieder anzusehen.
      Sein Vorhaben begann zu bröckeln, nicht etwa durch Meriahs Anwesenheit - wenn auch definitiv in gewisser Weise davon bestärkt - sondern viel eher durch den unerkannten Nerv, den Kassandra mit ihrem Vorschlag traf. Nun stand er endlich hier, einer Verbündeten - ja vielleicht sogar einer Freundin - gegenüber, die sich dazu entschlossen hatte ihm den Rücken zu kehren und war drei Meter davon entfernt, die Krone zu übernehmen. So hatte er es immerhin stets formuliert, aber was war es schon etwas anderes, als einem wehrlosen Jungen den Kopf abzuschlagen.
      Zoras war kein Kindsmörder. Er mochte ein Königsmörder sein, er mochte sich auch noch als gerechtfertigter Hochverräter sehen, aber ein Kindsmörder war er nicht. Bei allen lebenden Göttern, der Junge war nicht viel älter als sein eigener Neffe und wenn er schon nicht dazu gewillt war, seinen Neffen umzubringen, wie konnte er es dann rechtfertigen, den König umzubringen? Er konnte es nicht, das war die simple und markerschütternde Antwort. Er konnte keinen Jungen umbringen.
      Er wollte ihn laufen lassen, er wollte es mit jeder Faser seines Körpers. Laufen lassen, behaupten er sei tot, Krone übernehmen, weiterleben. Er wollte es.

      Aber er konnte nicht. Wenn er keine Leiche präsentierte, würde sich der Aufstand erheben, man würde ihm die Krone entsagen, bis das Verschwinden des Königs aufgeklärt worden war. Er würde nur den Zwiespalt des Landes erreichen, das, was er eigentlich versuchte zu verhindern. Es war unmöglich.
      Er konnte nicht.
      Meriah wandte sich Kassandra ebenfalls zu, sah wieder zu Zoras zurück, einen Funken von Hoffnung in den Augen. Ja sie wollte es, wollte diese ganze Auseinandersetzung so schnell wie möglich beenden, wollte, dass sie getrennter Wege gingen, ohne sich noch einmal in die Augen sehen zu müssen. Es war ein guter Vorschlag, ein friedlicher Vorschlag. Meriah könnte beiden Seiten helfen, das Land einen und den König beschützen.
      Als sie Zoras' Miene sah, verglomm dieser Funken an Hoffnung.
      "Ich kann nicht", murmelte er, leise genug, damit seine Stimme nicht brach. Er sah zwischen den beiden Frauen und dem Thron hin und her.
      "... Ich brauche seinen Kopf."
      Ein Fiepen ertönte hinter dem Thron, als der König in einen weiteren Heulkrampf ausbrach. Er hielt sich versteckt, während in seinem Rücken über sein Leben verhandelt wurde.
      Meriahs Miene verhärtete sich, als sie in die erste Kampfhaltung überging. Entweder der weinende König, oder Zoras' direkte Klarstellung hatte dafür gesorgt, dass sie sich in ihrer Sache bestärkt sah.
      "Wenn du ihn willst, musst du erst an meiner Leiche vorbei."
      Zoras verzog das Gesicht.
      "Tu das nicht, Meriah."
      "Ich werde nicht zulassen, dass du ein Kind umbringst."
      "Wir waren uns darüber einig!"
      "Jetzt nicht mehr."
      Zoras regte sich nicht, starrte nur. Sein Blick huschte zu Kassandra, aber die Phönixin hatte sich wohl fest dazu entschlossen, sich an ihre Worte zu halten und die galten für beide Seiten.
      Schließlich hob er sein eigenes Schwert, ein Akt, das ihn einiges an Mühe forderte. Er zwang dieselbe Härte auf sein Gesicht, die auch Meriahs Emotionen versteckte. Er würde kämpfen.
      "Dann sei es so."
      Sie holten die Waffen gegeneinander aus.

      Der erste Schlag ging in einem tiefen Glockenschlag unter, der sämtliche Beteiligte überraschte und die beiden Konkurrenten so schnell aus ihrem Kampf wieder herausholte, wie er begonnen hatte. Als sie sich trennten, erklang der Glockenschlag erneut, ein tiefer Basston, der durch die Böden und Wände des Palastes zu dringen schien. Der dritte Schlag folgte nur kurz darauf, ebenso wie der vierte.
      Der Alarm.
      Meriahs Mundwinkel zuckten, während Zoras' Herz in die Hose sank. Die ursprünglichen 30 Minuten waren vorüber, aus dem Putsch wurde in diesem Augenblick ein Aufstand.
      Sein Hauptmann reagierte auch ohne Zoras' Anweisung, er machte auf dem Absatz kehrt und rannte nach draußen, um die Truppen zu sammeln. Der Plan hatte sich soeben geändert, nun galt es, den Palast unter ihre Kontrolle zu bringen.
      Zoras sah kurz zu Emjir, dessen Miene sich verdunkelte. Die beiden Herzöge tauschten einen wortlosen Blick, dann wechselten sie schlicht den Platz. Emjir trat Meriah gegenüber, während Zoras sich dem Thron zuwandte.
      Die Herzogin war nicht erfreut darüber.
      "Wirst du mir noch nicht einmal die Ehre erweisen gegen mich zu kämpfen?!"
      Zoras zog die Stirn in Falten.
      "Für Ehre habe ich keine Zeit."
      Dann schritt er auf den Thron zu, wobei er sich unweigerlich Kassandra zuwandte. Er hoffte inständig, sie nicht auch noch darum bitten zu müssen, beiseite zu treten.
    • "... Ich brauche seinen Kopf."
      Kassandras Mimik veränderte sich bei diesem Satz nur marginal. Sie wusste ganz genau, dass jeder Zuhörer im Raum ihren Vorschlag als den einzig richtigen anerkannt hatte. Und trotzdem trat Zoras ihn mit Füßen, genötigt durch Gründe, die für die Phönixin keinerlei Rolle spielten. Wie eine Statue stand sie zwischen Thron und den anderen Beteiligten, gewillt, ihren Worten Ausdruck zu verleihen.
      An ihrer Stelle trat aber, wie angekündigt, Meriah als Erste vor. Sie sah den Blick, den der Pferdeherzog ihr zuwarf, aber zwang sich dazu nicht zu reagieren. Sollten die Beiden ihre Klingen miteinander kreuzen und fallen, wer auch immer fallen würde. Sie entschieden es selbst, verfolgten ihre eigenen Überzeugungen und das war etwas, dass Kassandra niemals anzweifeln würde.
      Trotzdem... ein wenig Wehklagen schwang in ihren rubinroten Augen mit als sich die Schwerter das erste Mal trafen und diesen typischen Ton erzeugten, den sie niemals wieder aus ihren Ohren verbannen können würde. Zeitgleich erklang ein Glockenschlag, der selbst Kassandra zusammenfahren ließ. Während Kassandra den Blick umherschweifen ließ, sichtlich unwissend was die Glocke bedeutete, hatte sich die kampfeswütige Gruppierung aufgelöst und der Hauptmann war bereits aus dem Saal gesprintet. Etwas perplex verfolgten die Augen der Frau verschiedene Reaktionen gleichzeitig: Unwirsche Blicke der Herzogin, der stumme Blickwechsel zwischen den anderen beiden Herzögen und schließlich den Platztausch eben jener. Sie konnte nur zu gut verstehen, wie angegriffen sich Meriah fühlen musste, als Zoras Emjir den Kampf überließ und sich dummerweise dem weitaus größeren Übel zukehrte: Kassandra.
      "Ich warne dich nicht ein weiteres Mal", grollte sie während mit dem Wisch ihres Armes der Speer in ihre Hand zurückkehrte. "Du kannst dafür sorgen, dass er der Krone entsagt und sie einem Nachfolger vermacht. Ich habe dir einen Weg vorgeschlagen. Wirf die Optionen nicht alle in den Wind!"
      Zu ihrem schweren Herzen musste die Phönixin mit ansehen, wie ihre Worte durchaus zu Zoras durchdrangen und etwas in ihm auslösten. Aber sein Entschluss war gefasst und sorgte dafür, dass er kontinuierlich einen Schritt nach dem anderen auf sie zu tat. Die Kälte in ihrem eigenen Gesicht wich einem winzigen Schimmer von Schmerz als auch sie sich dazu entschied, ihren Worten Nachdruck zu verliehen. Sie ging in eine Kampfhaltung über, ähnlich wie jene auf dem Übungsplatz. Nur war dieses Mal keine Spur der Verspieltheit mehr zu sehen.

      Caphalor indes nutzte die Gunst der Stunde. Er erkannte den Glockenschlag als Alarm und somit den missglückten Putsch. Was wiederum bedeutete, dass es nun offiziell ein Aufstand sein musste. Ein Aufstand, der Chaos verursachte und im besten Falle niedergestreckt wurde. Und nichts spielte dem Jäger mehr in die Hände als ein kleines bisschen Chaos.
      In dem Getümmel ging er fast schon zu selbstverständlich unter. Niemand hatte noch wirklich Augen für ihn was es ihm ermöglichte, ohne Probleme bis zum Thron zu schleichen. Dort sah er den blonden Jungen am Boden kauern, bitterlich am weinen vor Angst vor seinem potenziellen Tode. Caphalor seufzte genervt auf, als er auch die letzten Meter überbrückte und neben Feris in die Hocke ging.
      "Sieht ganz schön schlecht für dich aus", grinste der Jäger und demonstrierte sagenhaft, dass sein übliches Auftreten nur Fassade gewesen war. "Ungünstig, dass alle deine Beschützer gerade beschäftigt sind."
      Grob packte er den Jungen am Oberarm und riss ihn aus seiner gekauerten Haltung. Die grünen Augen schossen zu der schmächtigen Brust des König, nur um dort kein Amulett zu finden. Stattdessen baumelte es einsam und verlassen von der Faust, die der Jäger zu seiner linken in die Luft gerissen hatte. Das Funkeln in seinen Augen war allumfassend als er seine Hand nach dem Gold ausstreckte.
      Just in dem Moment katapultierte ein Schatten über den Thron.
      Wie ein herabfallender brennender Stern flog Kassandra in einem Schwall aus Rot über den Thron und fiel über Caphalor her. Gerade rechtzeitig hatte sie gemerkt, dass der Jäger verschwunden und der Junge in Gefahr geraten war. Gerade rechtzeitig hatte sie sich aus dem Stelldichein mit Zoras lösen können, um sich eher schlecht als recht über den Thron zu schleudern.
      Mit einem Ächzen schlug Caphalor mit dem Rücken auf dem Boden auf, Kassandras Speer erzeugte ein schmatzendes Geräusch als sie die Spitze in die Schulter des Jäger trieb. Wie eine Walküre kniete sie über ihm, beide Hände an den Schaft des Speeres gelegt, der sogar die Fliesen unter dem Schulterblatt zerschlagen hatte.
      Vor Schmerz stöhnend griff Caphalor mit dem gesunden Arm ebenfalls an den Schaft des Speeres und funkelte Kassandra böse an. Da schlief man einmal kurz und passte nicht auf - und schon hatte man einen wütenden Gott am Halse. Er hielt es jedoch für klüger, einfach den Mund zu halten und sie nicht weiter zu reizen als ohnehin schon.
      Denn Kassandra war nun wirklich ungehalten und das sah man in ihrem Gesicht. Als sie zu sprechen, oder eher leicht zu schreien anfing, war der Zorn nicht mehr aus ihrer Stimme wegzudenken.
      "Zoras, wage es nicht! Sonst bist du nach Caphalor der Nächste!"
      Caphalors Diebstahl war fehlgeschlagen, das Amulett befand sich noch immer im Besitz des Jungen.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Zoras' Befürchtungen bewehrten sich, als Kassandra nicht nur nicht zur Seite wich, sondern unmissverständlich ihre Waffe erscheinen ließ. Im Gegensatz zu ihrem göttlichen Speer, fühlte sein Schwert sich an wie ein überdimensionaler Zahnstocher. Wenn er Kassandras Kraft nicht schon erlebt hatte, wäre er vielleicht naiv genug gewesen einen Versuch zu wagen, aber das war eine Situation, die gänzlich aussichtslos war.
      "Er kann der Krone nicht entsagen", gab er daher zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Wenn er schon nicht gegen Kassandra antreten konnte, würde er es eben mit Worten versuchen.
      Hinter ihm kreuzten Emjir und Meriah bereits wieder die Schwerter, er musste über das helle Kreischen des Stahls hinweg die Stimme erhöhen.
      "Nicht ohne einen triftigen Grund. Ich weiß es, Kassandra; denkst du nicht, dass ich nicht alles schon überlegt habe? Sämtliche Möglichkeiten, in denen der Thron erhalten bleibt? Es gibt keinen anderen Weg, nicht, ohne einen Aufstand zu entfachen! Wir dürfen es nicht!"
      Die beiden Kämpfenden ächzten hinter ihm, ihre Schritte hallten schwer durch den Raum. Die Schläge kamen unregelmäßig, irgendjemand versuchte die Überhand zu gewinnen und scheiterte daran.
      "Bitte, Kassandra! Du wusstest, dass es passieren würde! Lass mich vorbei!"
      Er setzte zu weiterem Flehen an, hätte alles versucht, um Kassandra mit Worten allein zu überzeugen, damit er nicht eines sinnlosen Todes starb, als Kassandra sich ruckartig von ihm abdrehte und den Kopf in Richtung des Thrones warf. Bevor Zoras überhaupt realisieren konnte, was dort vorging, hatte sie sich bereits mit einem gewaltigen Satz in Bewegung gesetzt und warf sich regelrecht über das Möbelstück, um mit dem Jäger dahinter zu kollidieren. Der König stolperte, wurde von dem plötzlichen Zusammenprall zur Seite geschleudert, fiel außerhalb des Schutzes des Thrones zu Boden. Sein und Zoras' Blick begegneten sich.
      Für eine unerträglich lange Ewigkeit, die für Zoras nie zu enden schien, konnte er den tiefsitzenden, paralysierenden Horror in den Augen des Junges sehen, ein unendliches Grauen, das seine geröteten Augen zum hervorquellen und seine Wangen zum einfallen brachte. Es war eine Sache einem Feind gegenüber zu stehen, der eine Waffe besaß und nach dem eigenen Leben trachtete, und es war eine andere vor einem pubertierenden Jungen zu stehen, der sich in animalischer Furcht vor ihm auf dem Boden duckte und mit zitternden Gliedern Schutz in der Entfernung zu seinem Widersacher suchte. Er weinte noch immer, sein Gesicht war gerötet und nass, die Roben saßen schief auf seinem schmächtigen Körper. Er klammerte sich an die Essenz als wäre sie das einzige, was zwischen ihm und Zoras stand. In gewisser Weise stimmte das auch.
      Bei diesem Anblick wusste er, dass er es nicht konnte. Er konnte einfach nicht. Wie sollte er gegen diesen Jungen das Schwert erheben, ganz zu schweigen davon ihn damit zu köpfen? Wie konnte er in diese angstgeweiteten, unschuldigen Augen sehen und eigenmächtig das Leben in ihnen auslöschen? Der Junge war sein König, in gewisser Weise sein Stiefsohn, war es die letzten Jahre vor dem Tod seiner Mutter gewesen. Er konnte es nicht, nicht für Ruhm, nicht für Gold, nicht für sein Land, ja nicht einmal für sich selbst. Er konnte nicht.
      Er war drauf und dran sein Schwert fallen zu lassen, zu schwer erschien ihm die Waffe, zu sperrig um von seinen bebenden Fingern länger gehalten zu werden, als die Tür hinter ihm wieder aufsprang und sein Hauptmann zurückgestürmt kam. Aus dem Gang konnte man in der Entfernung bereits leise Kampfgeräusche hören.
      "Herr, die Plattformen sind gesperrt! Der Durchgang zum Tor ist besetzt!"
      Zoras brauchte einen Moment, bis sein Gehirn wieder richtig arbeitete.
      "Die Plattformen? Das ist doch..."
      ... Meriahs Gebiet. Ihre Soldaten waren für die Plattformen eingeteilt.
      Er warf der Herzogin einen Blick zu, die aber wenig von der Unterhaltung mitbekam und keinen Kommentar dazu ablieferte. Ihre Stirn glänzte bereits vor Schweiß und sie hatte in ihrer Anstrengung die Zähne aufeinandergebissen. Emjir sah gleichfalls angestrengt aus, wenn auch irgendwie wilder. Was auch immer es war, das ihn antrieb, es bewirkte mehr als bei Meriah.
      Er sah weiter zu Kassandra, die rittlings auf dem Jäger saß und ihn noch immer auf den Boden drückte. Sie schien einen erfolgreichen Angriff hinter sich gebracht zu haben, aber es war fraglich, ob der Jäger nicht noch ein Ass im Ärmel hatte. Wahrscheinlich sollten sie sich so schnell wie möglich von diesem Mann entfernen.
      Schließlich blickte er wieder zum König. Sein Kiefer malmte, seine Gedanken rasten. Er konnte spüren, wie der Blick des Jungen seine Eingeweide zum Verkrampfen brachte.
      "Kassandra", hörte er sich sagen.
      Er konnte nicht. Nicht für Ruhm, nicht für Gold, nicht für sein Land. Es war ihm unmöglich.
      "Ich gebe dir mein Wort. Vertraust du mir? Nur dieses eine Mal."
      Er warf ihr einen Blick zu, vergewisserte sich, dass sie zustimmte. Dann hob er das Schwert und trat auf den König zu.
      "Nein! Nein! B-Bitte!"
      Der König hatte seine Stimme wiedergefunden, aber sie war dünn, zittrig und brach in seinem nächsten Heulkrampf wieder ab. Er kroch rückwärts von Zoras davon, der den Anblick nicht länger ertragen konnte, die Distanz zwischen ihnen überbrückte und Feris am Kragen packte. Er kreischte aus reiner Angst, als Zoras ihn auf die Beine zerrte und das Schwert an seinem Hals ansetzte. Sein Hauptmann nickte ihm bekräftigend zu, Emjir war zu sehr auf seinen Kampf konzentriert. Er hatte einen Stich an der Hüfte einkassiert und Meriah dafür am Arm.
      "Allesamt auseinander!", brüllte Zoras so unvermittelt, dass die Kämpfenden tatsächlich auseinander sprangen. Froh darum, dass seine Stimme ihm nicht versagte, fixierte er sämtliche Anwesenden, das Schwert unbeweglich auf Feris' Hals gerichtet.
      "Wer nicht will, dass der König stirbt, wird uns passieren lassen."
      Sein Blick fiel nicht zuletzt auf Kassandra, von der er hoffte, dass sie seinen Plan erraten konnte. Die Ausgänge waren versperrt, wenn sie nicht einen Weg hatten, die Palastwachen zu untergraben, würde es keinen lebendigen Ausweg geben. Und sie waren schlicht zu wenig ohne Meriahs Truppen für die Palastwachen, also blieb nur noch die Flucht
      "Wir werden zu den Ställen gehen - unverletzt. Allesamt einverstanden?"
    • Kassandra stand zwischen zwei Stühlen.
      Unter ihr hatte sie den Jäger sicher fixiert, den Blick nicht einen Moment von ihm abgewandt um die Warnung unausgesprochen zu lassen. Weiter weg von ihr rutschte Feris in Todesangst rückwärts von Zoras fort, der sich ihnen unaufhaltsam näherte. Ihre Finger ballten sich nur noch stärker um den Schaft ihres Speeres, kaum hörte sie ihren Namen aus dem Mund des Herzogs und die Bitte um Vertrauen. Er hatte es bereits einmal erwünscht und mit dem heutigen Tage waren sie dem Einhalten dieses Versprechens einen Schritt näher gekommen.
      Caphalor hatte die Augen als stille Resignation geschlossen, sodass sich die Phönixin davon erlöste, den Jäger angestrengt anzustarren. Sie neigte den Kopf, um einen Blick zu Zoras zu werfen, der Zorn nun völlig aus ihrem Gesicht gewichen. Sollte der Mann sein Wort brechen, würde sie wie eine Feuerbrunst über ihn hinwegfegen und das gute Credo der Phönixe in den Schmutz ziehen. Also ließ sie ihn gewähren und wurde prompt von einer weiteren Welle Todesangst des Jungen getroffen. Es nagte schwer an ihrem eigenen Herzen und kostete einige Atemzüge, ehe sie sich wieder einigermaßen gelevelt hatte.
      Die folgende Aktion sorgte dafür, dass sich Kassandras Augen minimal weiteten. Sie war sich sicher, eine Mordabsicht bei dem Herzog gespürt zu haben, aber wenn sie jetzt genauer fühlte, war sie wie weggeblasen. Dermaßen im Zorn verfahren, überwältigt von der Angst des Jungen, hatte sie den Wechsel in Zoras' Motivation nicht mitbekommen. Er wollte mit dem Jungen abhauen. Er wollte nicht die Krone. Und er wollte den damit verbundenen Aufstand im Keim ersticken. Das war ein Plan, der ebenso gut funktionieren konnte und dafür sorgte, dass er draußen vor den Toren Feris die Essenz abnehmen konnte. Und das mit Gewissheit.
      Kassandra richtete sich etwas gerade auf und fand sich wieder, wie sie mit dem Plan sympathisierte. Just in dem Moment sah sie gerade noch ein Zucken in Grün unter sich, dann explodierte Schmerz in ihrem Arm. Caphalor bäumte sich unter ihr auf, drängte sie dazu den Speer aus seiner Schulter zu reißen und von ihm zu rollen. Als sie auf die Knie kam und schockiert ihren Arm betrachtete, klaffte eine tiefe Schnittwunde in ihrem Oberarm.
      Die nicht heilte.
      Kassandras Blick schoss zu Caohalor, der sich indes aufgerappelt hatte und leicht grün leuchtete. Nichts war mehr von der Eleganz auf seinem Gesicht zu sehen, die eitele Haltung war einer Lauerhaltung gewichen. In einer Hand trug er einen Dolch, dessen Schneide rot benetzt war von ihrem Blut. Die andere Hand hatte er an seine Schulter gelegt wo der Speer sie durchdrungen hatte. Der grünliche Schimmer sammelte sich dort, die Magie wuchs wie Ranken unter dem Umhang hervor und gruben sich in die Wunde, um sie zu schließen. Dies jedoch sah nur Kassandra.
      "Schluss mit dem Hinterhergelaufe", stellte der Jäger fest und schüttelte die freie Hand, nachdem die Magie ihre Arbeit getan hatte. Selbst seine Augen glühten ähnlich intensiv wie ihre eigenen roten. "Du bleibst jetzt schön da während ich mal ein Wort mit dem Beschäler dort wechsel."
      Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Zoras. Der noch immer mit dem Jungen im Arm dastand und den Jäger ebenso fassungslos ansah wie alle anderen Beteiligten.
      "Mir ist es freilich egal, ob der Junge da stirbt. Gebt mir die Essenz und Ihr seht mich nie wieder. Weigert Euch und ich muss handgreiflich werden."
      Eine offen ausgesprochene Drohung, die mehr als deutlich machte, dass der Mann für noch jemanden zu arbeiten schien. Kassandras Zorn entflammte wieder und trieb sie dazu an, sich ebenfalls wieder auf die Füße zu begeben. Das Blut ronn an ihrem Arm hinab, ein schlechtes Zeichen wenn man bedachte, dass Phönixe wie sie Heiler waren. Etwas stimmte nicht, und Kassandra wusste ganz genau wo das Problem lag. Im nächsten Moment mobilisierte sie alles an Reserven, auf die sie jetzt gerade Zugriff hatte. Ihr Körper hüllte sich wieder in die flammende Rüstung während das Blut auf ihrem Arm und in der Wunde zu verdampfen begann. Wie ein brodelnder Vulkan ergoß sich stetig kochendes Blut aus der Wunde, die sich einfach nicht schließen wollte.
      "Meinst du es ist so schlau, einen Gott zu übergehen?", knurrte sie und richtete den Speer aus.
      "Du bist kein Gott sondern nur eine billige Imitation. Weiß Gott warum ich dich beschaffen soll", kam die herablassende Antwort Caphalors, der zum Entsetzen aller selbst in den Angriff ging anstatt zu kontern.
      Er war übermenschlich schnell. So schnell, dass selbst Kassandra Schwierigkeiten hatte, seine Bewegungen vorauszusehen. Er hatte den Segen der Artemis aktiviert, der seine Waffen mit göttlicher Kraft ausstattete. Und nur diese Kraft war in der Lage eine andere gottgleiche Einheit so stark zu verletzen. So trieb er sie mit seinen schnellen Angriffen in die Defensive bis sie schließlich ihren Speer auflöste und zu Doppeldolchen wechselte, um Herr über die rapiden Angriffe zu werden. Immer wieder striffen seine Hiebe viel zu nah an ihrem Körper vorbei und durchstießen die Flammenrüstung. Nach und nach überzogen flache Schnitte Kassandras Leib, die in ähnlicher Antwort Teile seines Gewandes zersäbelte. Ganz offensichtlich schien der Jäger die Oberhand zu haben, was sich schließlich darin zeigte, dass er einen Magieimpuls erfuhr und so schnell agierte, dass Kassandra es einmal nicht voraussehen konnte.
      Zielsicher trieb Caphalor seinen Dolch bis zum Heft in ihren Bauch.
      Mit einem leisen Stöhnen sackte Kassandra in sich zusammen während Caphalor bereits den nächsten Dolch aus seinem Ärmel zog. Er wandte sich direkt von der Phönixin ab und Zoras samt König zu. Ohne weitere Zeit zu verschwenden schritt er auf die Beiden zu und streckte auffordernd eine Hand aus.
      "Also? Gebt mir die Essenz und ich erlöse Euch von diesem jämmerlichen Anblick, der sich Champion schimpft."
      Hinter ihm ertönte ein nicht eindeutiges Geräusch seitens Kassandras, das eine Mischung aus Schmerz und Wut war. Sie hatte ihren Kopf gehoben, das Gesicht schmerzverzerrt und die Hände an ihren Bauch gelegt. Die Flammenrüstung war erloschen und gab nun den Blick frei auf ihren geschwundenen Körper. Ihre Augen fixierten sofort Zoras. Der Junge war nicht stark genug, er limitierte sie zu sehr. So sehr, dass sie sich nicht einmal eigenmächtig heilen konnte. Es brauchte einen Wechsel oder jemand anders musste dem Jäger Einhalt gebieten, damit sie sich regenerieren konnte. Doch so eingeschränkt war sie dem Jäger in aktiviertem Zustand tatsächlich unterlegen.
      Und sie hasste sich dafür.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Von allen Anwesenden im Raum hätte es vielleicht Emjir sein können, der sich Zoras' Wunsch entsagte und in seinem Blutdurst den erneuten Kampf mit Meriah suchte - nicht aber hätte es Caphalor sein können, so wie Zoras überrascht feststellte. Er hatte doch geahnt, dass der Mann noch ein Ass im Ärmel hatte, als er beobachtete, wie er sich mit unmenschlichem Geschick von Kassandra befreite und auf die Füße sprang. Jetzt mehr denn je zuvor wirkte er wie der gesegnete Jäger der er war, ein grünlicher Schimmer auf seiner Haut, der so aussah, als wäre darunter etwas viel mächtigeres versteckt, das versuchte an die Oberfläche zu kommen. Artemis' Segen.
      Zoras spürte selbst eine Welle der Panik aufkeimen, als der Gesegnete sich ihm zuwandte, die Augen wie ein Raubtier aufgerissen, der Blick so durchdringend, dass es ihn fröstelte. Dieser Mann hatte sich soeben eigenmächtig von der Phönixin befreit, es wäre ihm ein leichtes Spiel, Zoras auszuweiden, bevor der überhaupt sein Schwert gehoben hätte. Gegen diesen Jäger konnte er nicht ankommen.
      Kassandra war die einzige, die eine ernsthafte Chance gegen ihn hatte und das schien sie auch zu begreifen. Zoras fiel jetzt erst auf, dass sie eine klaffende Fleischwunde am Arm hatte und obwohl er den Anblick von Wunden gewöhnt war, war er sich doch nicht sicher, weshalb sie bei Kassandra so fehl am Platz wirkte. Er hatte auch nicht die Zeit dazu, darüber nachzudenken.
      Die beiden göttlichen Wesen prallten wieder aufeinander, wesentlich wilder dieses Mal, ungezähmter. Zoras hatte recht mit seiner Vermutung gehabt, nichts gegen den Jäger ausrichten zu können, denn zu seinem großen Bestürzen wirkte selbst Kassandra nicht so, als ob sie ihn so leicht fällen konnte. Die Waffen der beiden prallten so rapide aneinander, dass er für einen Moment nur rötliche und grünliche Schlieren in der Luft erkennen konnte, der Nachhall ihrer göttlicher Kräfte, der in der Luft für einen Moment länger ausharrte, wenn die Waffen schon wieder weitergezogen waren. Es hatte etwas bitterschönes an sich, ein fast hypnotisierender Anblick, wenn man davon absehen konnte, dass die beiden Parteien versuchten, sich gegenseitig aufzuspießen.
      Es dauerte für göttliche Verhältnisse sicherlich lange, für menschliche allerdings nur kurz, bis Caphalor letztendlich triumphierte. Zoras zuckte zusammen, als er beobachten konnte, wie der Mann seinen Dolch in Kassandras Bauch stieß. Wenn er nicht gewusst hätte, dass Champions bis zu gewissem Grad unsterblich waren, hätte er sich in diesem Moment den Kopf darüber zerbrochen, wie er ihr helfen könnte, aber in seiner jetzigen Lage blieb ihm dazu nicht die Zeit. Caphalor wandte sich gleich ihm zu.
      Er zerrte den Jungen mit sich, als er ein paar Schritte nach hinten ging, weg vom Jäger, hauptsache ein bisschen Zeit schinden um nachzudenken. Sein Blick fiel auf die am Boden kauernde Kassandra, die seinen Blick mit einer gewissen Härte erwiderte. Sie hatte noch nicht aufgegeben, wäre wohl weit entfernt davon sich dem Jäger freiwillig zu unterwerfen, aber sie sah auch nicht aus, als könne sie eine weitere Runde mit ihm standhalten. Er versuchte ihren Blick zu deuten, aber Caphalor lenkte ihn ab.
      Schließlich richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann vor sich und verstärkte den Druck seines Schwertes auf Feris' Hals. Der Junge konnte nur leise wimmern.
      "Feris", knurrte er, ohne den Blick von Caphalor zu lassen. "Tu, was er sagt."
      Der Junge wimmerte wieder nur. Sein Körper war, seitdem Zoras ihn gepackt hatte, wie zu Stein erstarrt. Wenn der Herzog ihn nicht hochgehalten hätte, wäre er mittlerweile sicherlich schon eingeknickt.
      "Feris", drängte er etwas eindringlicher, "die Essenz."
      Wieder ein Wimmern. Zoras fluchte laut genug, damit Caphalor es hören konnte und griff barsch nach Feris' Arm, den Blick nie vom Jäger abgewandt. Er fand die Kette, das daran hängende Amulett und entriss es Feris' verkrampften Fingern.
      Mehrere Gedanken überfluteten ihn gleichzeitig. Er versuchte, sich an den soeben lose gesponnenen Plan zu halten und Caphalor bis zur letzten Sekunde in seiner falschen Absicht zu wiegen, während er gleichzeitig darüber nachdachte, ob es bereits nur ausreichte, das Amulett in die Hand zu schließen. Es hatte beim ersten Mal doch schon so funktioniert, oder nicht? Seine Gedanken rasten zu sehr, um sich daran erinnern zu können, er konnte nur hoffen, dass es nicht mehr benötigte. Wenn er eine Veränderung hätte spüren sollen, so spürte er keine.
      Er beförderte Feris mit einem Tritt seitwärts aus seiner Umklammerung - so wie er erwartet hatte, war der Junge zu schwach um irgendeinen Widerstand zu leisten und fiel plump zu Boden - während er im gleichen Zug das bereits ausgerichtete Schwert nach Caphalor schwang. Er hatte keine Hoffnung, den Jäger ernsthaft zu treffen, aber wenn er nur ein bisschen Zeit schinden konnte, damit Kassandra auch hinzu kam, hätten sie zu zweit womöglich eine Chance.
    • Caphalor hielt nicht einen Augenblick lang inne sondern setzte seinen Gang gnadenlos fort. Selbst als Zoras den Jungen in seinem Griff aufforderte das Amulett herauszugeben wich der Jäger nicht von seinem vorherbestimmten Weg ab. Zu sehr war er auf das Paar vor sich fokussiert, ließ die Dolchhand locker zu seiner Seite herab hängen. Auf die zweite Aufforderung hin geschah wieder nichts und Caphalor ahnte bereits, wohin dies führte. Selbst wenn der Herzog vor ihm wirklich den Plan verfolgte, ihm das Amulett auszuhändigen, so würde er die Essenz dafür von dem König lösen müssen und damit einen Trägerwechsel provozieren. Die Frage hier war dann nur, wie viel Einfluss dieser Wechsel haben mochte.
      Als Zoras nach der Kette griff, hatte der Jäger seinen entspannten Gang aufgegeben. Er begab sich direkt in einen Vorwärtsdrang, kaum berührten die Finger des Herzoges die Kette. Zu weit war der blonde Fremdling entfernt um zu verhindern, dass Feris seine Rolle als Träger verlor und sie dem Herzog Luor vermachte. Einen weiteren Satz schaffte Caphalor ehe er die Veränderung in der Atmosphäre bemerkte, stoppte und auf dem Absatz herumwirbelte. Er hatte sein Gewicht auf einem Bein bei der Drehung legen müssen und konnte es somit nicht mehr rechtzeitig entfernen, als ein Dolch geflogen kam und sich satt in seinen Oberschenkel fraß.
      Einige Meter entfernt stand Kassandra wieder aufrecht.
      Sie hatte sich den Dolch aus dem Bauch gezogen und ihn mit tödlicher Präzision nach dem Jäger geworfen. Die Schnitte und Stichwunden qualmten, als sie sich beim Zusehen bereits schlossen und sich das auf ihrer Haut verkrustete Blut in Asche verwandelte und von ihrem Körper einfach abfiel. Was vorhin noch eine Rüstung aus Flammen gewesen war, verwandelte sich unter den Augen aller in ein pechschwarzes glanzloses Metall. Ihr Kopf wurde fast vollständig von einem Helm eingeschlossen während der Rest der Rüstung einem deutlich stärker gepanzertem Gladiator ähnelte. Schlagartig wurde es kochendheiß im Saal und der Druck wurde unmenschlich stark.
      Jetzt, da Zoras ihre Essenz in Händen hielt, trat genau der Fall ein, den sie ihm vorhergesagt hatte. Schlagartig bekam sie Zugriff auf gut fünfzig Prozent ihrer Reserven, ausgelöst durch den Fakt, dass sich ihre Interessen in Bezug auf den Jäger zwischen ihnen genau auf Einklang befanden.
      Der Jäger musste fort.
      Als Kassandra einen Schritt nach vorne tat sah es für einen Moment so aus, als würden die Fliesen unter ihren Füßen schmelzen. Das Klappern ihrer Rüstung verdeutlichte auch dem letzten Mann im Raum, dass sie kein Hirngespinst war. Sie streckte den rechten Arm zur Seite aus, wo sich in der Luft wie beim ersten Mal eine Waffe aus Flammen zu bilden begann. Doch statt den Doppeldolchen oder dem Speer trat eine andere, neue Waffe in den Raum. Als Kassandras Finger sich um die Stange ihrer neuen Waffe schlossen, sah es im ersten Moment völlig deplatziert aus. Die fast anderthalb Meter große Hellebarde mit der Halbmondsichel am Ende wirkte viel zu klobig und zu schwer für die zierliche Frau. Als sie mit unglaublicher Leichtigkeit schwang erschien sie jedoch wie ein weiterer Teil dieser Frau, als bildeten sie eine Einheit und waren nur gemeinsam komplett.
      Dies war der erste Augenblick, in dem Caphalors Mimik Missmut wiederspiegelte. Er hätte sich direkt auf Zoras stürzen und ihm das Amulett entreißen müssen, doch wie die Karten nun standen würde er nicht die Zeit dazu bekommen. Sobald er der Phönixin auch nur den Rücken zuwandte würde sie ihn eiskalt enthaupten. Seine grün leuchtenden Augen sahen in ihren roten Rubinen ganz eindeutig, dass sie ihn für seine Torheit büßen lassen würde. Also ignorierte er den Träger und ging direkt in die Konfrontation mit Kassandra. Einen anderen Weg gab es nicht.
      Was sich in den nächsten Sekunden abspielte war viel zu schnell für das menschliche Auge. Anstatt sich wie beim vorherigen Aufeinandertreffen zurückdrängen zu lassen, behielt Kassandra ihren Standpunkt dieses Mal bei. Deutlich leichter und schneller parierte sie Caphalors Angriffe und schwang selbst ihre Waffe nach ihm, unter der er meist hinweg tauchte. Es sah in diesem Zustand aus, als seien sie ebenbürtig.
      Bis Kassandra schneller reagierte und Caphalors Unterarm nach einem verfehlten Stich zu fassen bekam.
      Augenblicklich ging sein gesamter Arm in Flammen auf. Ihr blitzschneller Kampftanz war jäh zum Ende gekommen als die Phönixin wie ein unheilvoller Todesbote unbeweglich vor dem Jäger stand, der nun auf die Knie gefallen war und versuchte, seinen Arm von ihr loszubekommen. Unbarmherzig hielt sie ihn fest, während die Flammen seine Leinen zerfraßen und das darunter liegende Fleisch verbrannten. Ein widerlicher Gestank erfüllte den Raum und schmerzverzerrtes Keuchen vermochte fast die gesamte Panik des Raumes zu schlucken. Er versuchte sich mit einem zweiten Dolch zu befreien, doch die Klinge prallte von Kassandras Rüstung einfach ab.
      Üblicherweise hätte sie dem Ganzen ein schnelles Ende bereitet. Ihren Kontrahenten mit einem satten Schlag den Kopf von den Schultern geschlagen. Diese Gnade würde dem Jäger nicht zuteil werden.
      "Eine Lehrstunde noch zum Schluss", verkündete Kassandra als sie Caphalor endlich losließ, nachdem sich die Flammen bereits auf seine Schulter ausgebreitet hatten und er versuchte, sie zu löschen. "Phönixfeuer wird als heiliges Feuer gehandhabt. Du kannst es mit normalen Mitteln weder löschen noch ausmerzen wie Höllenfeuer."
      SIe sprach den Punkt an, dass der Jäger vergeblich versuchte, mit Hilfe seines Segens die Flammen zu löschen. Doch nichts wirkte. Er quälte sich weiter durch jede Sekunde. Kassandras Augen verschmälerten sich etwas, als sie unangemeldet mit ihrer Hellebarde ausholte und dem am Boden sitzenden Jäger sein rechtes Bein unterhalb des Knies abhackte. Er würde keinen schnellen Tod bekommen, aber einen garantierten.
      Der Schrei des Jägers brach sich etliche Male im Saal, hoch bis zu der Decke hinauf. Entweder die Flammen verbrannten ihn oder er bekam einen gnädigeren Tod, indem er einfach ausblutete. Egal in welchem Falle - Kassandra stand wie ein Todesengel vor dem Jäger und sah dabei zu, wie sein Lebenslicht immer kleiner wurde. Es war eine Sache, einer limitierten Gottheit gegenüber zu stehen. Aber eine völlig andere, wenn diese Zugriff auf ihre Fähigkeiten erhielt.
      Irgendwann erstarben die Geräusche, die der Jäger von sich gab. Seine Bewegungen wurden langsamer bis auch sie sich endgültig einstellten. Die Blutlache, die sich unterhalb seines Beines gesammelt hatte, schlug in Kassandras Anwesenheit leichte Blasen, als würde sie köcheln. Erst als sie sicher war, dass das Leben vollkommen in dem Jäger erloschen war, hob sie ihren Blick und traf das erste Mal seit dem Trägerwechsel auf Zoras'. Als erwartete sie stillschweigend seine Befehle.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Ganz offensichtlich hatte die Entnahme des Amuletts bereits gereicht, um den Trägerwechsel zu provozieren. Hinter Caphalor hatte Kassandra sich in einer flüssigen Bewegung erhoben.
      Man hätte sie nicht einmal ansehen müssen, um die Veränderung der Macht zu bemerken, die sich wie der dazugehörige Hitzeschlag durch den Raum ausbreitete. Obwohl Zoras von der Hitze selbst unberührt blieb, konnte er es ebenso merken, als habe sich soeben im Raumgefüge etwas verändert. Kassandra hatte zu einem Teil ihrer Macht zurückgefunden und das war bereits genug, um einen deutlichen Eindruck zu hinterlassen.
      Caphalor wandte sich notgedrungen von Zoras ab, dennoch zu langsam, um der plötzlich auferstandenen Kassandra gegenüber zu treten. Ein weiteres Mal trafen sie aufeinander, ein weiteres Mal kreuzten sie ihre Waffen, ein weiteres Mal war nicht mehr zu sehen als der grüne und rote Schimmer in der Luft, doch dieses Mal konnte man selbst durch die verwaschenen Bewegungen der beiden Kämpfenden erkennen, dass etwas anders war. Kassandras rotes Glimmen schien kalkuliert und abschätzend, Caphalors Grün war hingegen abrupt und willkürlich. Wenn man etwas mehr hätte erkennen können, hätte man diese Information womöglich ihren Kampfstilen zuordnen können, aber so blieb nur die Vermutung darüber, was geschehen mochte.
      Der Kampf endete jäh mit einem hellen Flammenstich, als die beiden Parteien gleichzeitig zum Stillstand kamen und eine Flammenzunge in die Höhe schoss, angeregt von Caphalors eigenem Arm, der sich in Kassandras unbarmherzigen Griff befand. Der Anblick hatte schon beinahe etwas majestätisches, so wie der Jäger vor der aufragenden Kassandra kauerte, kaum etwas von seiner vorherigen Großspurigkeit übrig. Kassandras Worte verdeutlichten das auch noch, einmal in Brand gesetzt hatte er kaum eine realistische Chance, sich wieder davon zu befreien. Er war Kassandra vollumfänglich unterlegen.
      Die Phönixin verzichtete darauf, dem Jäger seine Erlösung zu schenken, und Zoras konnte es sehr gut nachvollziehen. Er wollte den Mann selbst leiden sehen, hätte womöglich an ihrer Stelle dasselbe getan, ihn bloß nicht zu schnell von dieser Welt scheiden lassen, damit er noch genug Zeit hatte den Tag zu bereuen, an dem er den Palast aufgesucht hatte. Der Anblick war mehr als befriedigend.
      Erst, als es vorbei war, als die leidenden Geräusche des Mannes verstummt worden waren und nichts mehr übrig blieb als eine riesige, blubbernde Blutlache auf dem Boden, riss Zoras sich von dem Schauspiel ab und lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf die Situation, zurück auf ihr Problem. Das Amulett in seiner Hand war angenehm warm, womöglich bildete er es sich aber auch nur ein. Er sah darauf hinab, sah dann zu Kassandra, begegnete ihrem Blick. Auch sie hatte sich letztlich von Caphalor gelöst und wirkte, in ihrer neuen, unmöglich glatten Rüstung, wie ein Soldat, der auf den Befehl seines Offiziers wartete. Zoras konnte für einen Moment nur starren, dann legte sich eine kühle Besonnenheit wie ein Schleier um seine Gedanken und dämpfte seine bis dahin brodelnden Emotionen, holte seine Rationalität an die Oberfläche. Sie mussten einen Weg hier raus suchen, wenn sie überleben wollten. Natürlich könnte er Kassandra darum bitten, den ganzen Komplex in Flammen zu stecken und ihnen damit den Fluchtweg zu sichern, aber er war wenn schon ein Aufständischer, kein Terrorist. Mit einem sauberen Abgang könnte er sich den letzten Rest an Ehre ersparen, der sowieso schon auf ein kümmerliches Etwas geschrumpft war. Er würde sich in der nächsten Stunde die ganze Stadt zum Feind machen und das wollte er nicht noch unterstützen.
      Er wandte sich notgedrungen von Kassandra ab, ließ die Essenz wie schon beim ersten Mal in seiner Brusttasche verschwinden und beugte sich zu Feris hinab. Der König weinte nicht mehr, aber nicht, weil er keine Angst mehr hatte, sondern weil er schlicht zu erschöpft dafür schien. Alles was von ihm übrig geblieben war, war nicht mehr als ein Nervenbündel.
      "Feris", murmelte er beinahe schon sanft und streckte eine Hand nach ihm aus. Der Blick des Jungen fokussierte sich auf ihn und seine Unterlippe bebte. Zoras senkte die Stimme noch ein wenig mehr, damit nur der König ihn hören konnte.
      "Es ist bald vorbei, okay? Ich verspreche es dir."
      Dann packte er ihn unwirsch am Kragen, zog ihn nach oben und nahm ihn in dieselbe Geißelstellung wie schon zuvor.
      Im Hintergrund hatte Meriah von selbst kapituliert und sich von Emjir in die Ecke drängen lassen, wo sie die Hände abwehrend erhoben ließ und er sein Schwert vor ihr Gesicht hielt. Der Hauptmann war wieder verschwunden, ohne dass es einer mitbekommen hätte. Von der geschlossenen Tür drangen die Kampfgeräusche gedämpft hinein, sie mussten sich bereits direkt vor ihnen befinden.
      "Emjir, geh voraus. Kassandra -"
      Er zögerte. Er war es nicht gewohnt, Kassandra einen Befehl zu erteilen, aber das erwartete sie wahrscheinlich von ihm. Außerdem war jetzt wohl nicht die Zeit, um sich über Höflichkeiten Gedanken zu machen.
      "Halte mir den Rücken frei. Bring niemanden um, wenn es nicht absolut notwendig ist. Ich glaube, wir werden noch genügend Ärger anrichten."
      Emjir setzte sich in Bewegung, nachdem er Meriah noch eine Warnung zugesprochen hatte und Zoras folgte ihm mit Feris vor sich. Der Junge konnte kaum von selbst laufen, es nagte an Zoras' Herz.
      Dann öffneten sie die Tür.

      Der Gang war bereits voll von Soldaten. Der Hauptmann war ganz offensichtlich Zoras' Plan nachgekommen und hatte die Truppen - Zoras' und Eiklars Männer, Meriahs fielen ja nun aus - auf der ersten Ebene versammeln lassen. Eigentlich hätten sie einen Fluchtweg freihalten müssen, der nun von Zoras und seiner Truppe zu benutzen wäre, aber entweder Meriahs Truppen hatten den Plan bereits ausgeplaudert, oder es waren schlichtweg zu viele Palastwachen, denn die nun aufständischen Soldaten hatten sich bis vor die Tür zurückdrängen lassen. Leichen säumten bereits den Boden, Blut klebte an den Wänden, einige Fackeln waren durch das heftige Gerangel ausgeblasen worden. Der Geruch von frischem, bleiernem Blut und Schweiß drang in ihre Nase, ganz der Geruch eines Schlachtfeldes in begrenztem Raum. Der Lärm war fast ohrenbetäubend.
      "Zurück!", donnerte Zoras über das Klirren der Schwerter hinweg und schob sich mit Feris ein Stück weiter in den Gang hinaus, während Emjir sich bereits der Front angeschlossen hatte und sich auf die Palastwachen warf. Zoras bekam eine Antwort, indem ein Befehl zum Rückzug durch den Gang hallte und die Wachen allesamt einen Schritt nach hinten taten. Die Rebellen bildeten sogleich eine Sicherheitsgasse, durch die sich Zoras mit Feris schob, die Klinge an den Hals des Kindes gedrückt, Kassandra in ihrer dunklen Gladiatorrüstung direkt hinter ihm. Sie würden auf direktem Weg zu den Ställen fliehen, hinaus auf die Plattform, wo sie unmittelbar unter dem Beschuss von Bogenschützen stehen würden - der allerdings nur so lange warten würde, wie sie den König in Gewahrsam hatten. Danach mussten sie sich darüber Gedanken machen, wie sie unter Beschuss und dem Gedränge der Palastwachen den Hof verlassen sollten, aber das war ein Problem, mit dem sich Zoras erst auseinandersetzen konnte, wenn er auch wusste, wie viele Männer ihm noch zur Verfügung standen - und das würde er erst auf der Plattform erfahren.
    • "Halte mir den Rücken frei. Bring niemanden um, wenn es nicht absolut notwendig ist. Ich glaube, wir werden noch genügend Ärger anrichten."
      Kassandra nickte kaum merklich. Diese Satz verdeutlichte ihr, dass die Wirkung, die ihr Auftritt gerade erzeugt hatte, nicht widerspiegelte, für welche Werte sie eigentlich stand. Auch wenn es so aussah, als hätte sie den Jäger ohne Reue getötet, traf es sie jedes Mal wie einen Pfeil ins Herz wenn sie sah, wie das Lebenslicht verglomm. Das war bei jeder einzelnen Wache der Fall gewesen, genauso wie bei Caphalor, egal, wie sehr sie ihn verabscheute. In ihren Augen sollte kein übermenschliches Wesen in den Lauf der Dinge eingreifen und das Leben eines Individuums künstlich verändern.
      Ein letztes Mal warf die Phönixin einen Blick hinüber zu Meriah, die sie eigentlich erst in diese Lage gebracht hatte. Die Hände waren immer noch erhoben als sie in ihrer Ecke stand und etwas von Emjir zugesprochen bekam. Zu gern hätte sie selbst noch ein Wort mit der Frau gewechselt, einfach nur, um den Hintergrund dieser Aktion zu erfahren. Doch dafür war nun keine Zeit mehr.
      Schweigsam wie ein imposanter Schatten folgte sie hinter Zoras, der Feris wieder in die Mangel genommen hatte und ihn mehr schleppte als wirklich mitlaufen ließ. Der Junge war am Ende, das sah ein Blinder aus mehreren Kilometern Entfernung. Zugegeben, Kassandra erkannte man im ersten Moment ebenfalls nicht in ihrer schwarzen Rüstung, da sie nun mehr wie eine schwer gepanzerte Einheit erschien. Zumindest bis man die rot glühenden Augen unter ihrem Helm erblickte.

      Als sie in den Gang traten verzog Kassandra das Gesicht. Der Gestank war fürchterlich, hatte nichts von der Mischung aus Eisen und staubiger Luft während einer Schlacht unter freiem Himmel. Die Wände waren stumme Zeugen von dem Blutbad und für einen Augenblick überlegte Kassandra ernsthaft, dem Ganzen hier ein Ende zu setzen. Die Kinder der Menschheit in ihre Schranken zu weisen und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht weiter sinnlos abschlachteten.
      Im Nachhinein konnte Kassandra nicht wirklich nachvollziehen, wie ein einziges gebrülltes Wort Zoras' ausreichen konnte, um die Meute zu trennen und ihnen tatsächlich einen Gang freizumachen. Ein leises Raunen mischte sich unter die schweren Atemzüge der Soldaten, als sich die schwarz gepanzerte Einheit hinter dem Geiselpaar einreihte und schweigend folgte. Es dauerte einen Moment bis die ersten bemerkten, dass es Kassandra war und der Rückschluss war nicht fernab, dass Feris die Essenz verloren haben musste. Andernfalls hätte es gar nicht so weit kommen dürfen, dass der Herzog den König in die Mangel nehmen konnte. Wie ein Unheilsbote leuchteten ihre Augen in dem dämmrigen Licht des Ganges, allein ihre Präsenz hätte ausgereicht, um die Soldaten in der Mitte zu teilen und einen Weg freizugeben.
      Mit scheinbarer Seelenruhe ließ sie Zoras seinen Weg bestreiten und den Plan ausführen, soweit er denn noch durchführbar war. Sie würde erst dann agieren, wenn unmittelbare Gefahr im Verzug war, und das dürfte schneller geschehen als es ihnen allen lieb war. So schoben sie sich durch den geschaffenen Gang von schweren Atemzügen und raschelnden Rüstungen bis sie schließlich die engen Gänge verließen und sich auf eine Plattformen wiederfanden, endlich unter freiem Himmel.
      Kaum konnte man den Himmel über ihren Köpfen erkennen, wandte sich die Phönixin zu der Brüstung hinter ihnen um. Wie vermutet standen dort bereits Schützen bereit, Pfeile bereits angeknockt und warteten auf Befehle. Ihre Augen verschmälerten sich marginal während sie rückwärts immer noch Zoras folgte, den Blick von den Schützen aber nicht abwand. Nicht töten war die Devise, das bedeutete aber nicht, nicht drohen zu dürfen.
      In einem eleganten Schwung wie vor knapp einer Stunde zuvor beschwor sie ihren Flammenbogen, dessen helles Licht wie ein Signalfeuer in der Dunkelheit wirkte. Den Bogen hoch erhoben sprach sie kein Wort der Drohung als sie auf die Schützen an der Brüstung zielte. Sollten sie ihre Pfeile ruhig schießen, sie würden alle in einer Feuerwand zu schnell verbrennen, als dass sie jemals die Phönixin passieren würden. Das Wissen, langsam auf etwas mehr ihrer eigentlichen Magei zugreifen zu können, zauberte ihr trotz der misslichen Lage ein dezentes Lächeln auf die Lippen.
      Oh, die Menschen wussten ja gar nicht, wie mächtig die Götter wirklich waren.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Zoras wusste, dass sie nur hindurch kamen, weil sie den König als Schutzschild nutzten. Er wusste, dass sie aus demselben Grund knapp davor standen, als Terroristen gesehen zu werden. Er wusste es und konnte doch nichts an dieser Sache ändern.
      Was war so schief gelaufen, dass sie sich in diese Lage manövriert hatten? Was war passiert, dass beinahe 8 Monate der Planung vollständig über den Haufen geworfen worden waren? Nicht eine Sache hatte funktioniert, nicht ein Plan war aufgegangen. Sie hatten keine Krone, sie hatten keinen Aufstand verhindert, sie hatten keine Einigung erzielt. Das Land war gespaltener denn je, jetzt, als sich Zoras - wenn auch ungewollt - gegen die Krone erhoben hatte. Selbst wenn er aufgeben würde, wenn er sich hier und jetzt festnehmen und hinrichten lassen würde, war der Schaden bereits angerichtet. Weitere Unmutsbezeugungen des Volkes würden folgen, weitere Aufständische, die sich erheben würden.
      Sie hatten versagt.
      Er versuchte sich mit anderen Gedanken zu beschäftigen, während er Feris vor sich her nach draußen drängte, vorbei an missmutigen Palastwachen, an gebrüllten Drohungen, an den Antworten seiner eigenen Truppen. Die Gasse, die sich für sie bildete, war stets von den eigenen Soldaten gesäumt, die dafür sorgten, dass auch weiterhin niemand zu nahe an Zoras herankam. Nicht, dass es jemand durch Kassandra überhaupt geschafft hätte. Er warf ihr einmal über die Schulter hinweg einen Blick zu, obwohl er wusste, dass sie nicht von seiner Seite wich.
      Sie erreichten die Plattform ohne weitere Zwischenfälle und wie bereits befürchtet, hatten sich die Schützen bereits über ihnen aufgestellt, die Bögen gezückt, die Pfeile bereits zwischen die Sehnen gespannt. Zoras warf einen Blick nach oben und suchte die Reihen nach dem Truppführer ab, dem Mann, von dem abhing, ob die Pfeile sie in den nächsten Sekunden durchbohren würden oder nicht. Er fand ihn auch, der einzige Soldat ohne einen Bogen, ein dünner Mann mit einer Hakennase, der ihn mit stechendem Blick beobachtete. Sicherlich hatte er ihn schon einmal gesehen, sicherlich hatte er mit ihm schon Worte gewechselt, aber das war nun vorbei, eine Sache der Vergangenheit. Sie würden nie wieder ein höfliches Wort miteinander wechseln, nicht nach diesem Tag, nicht nachdem Zoras den König vor sich her trieb wie einen Sklaven. Vieles würde nicht mehr so sein wie früher, aber damit sollte er sich nicht jetzt beschäftigen.
      Er sah sich erneut nach Kassandra um und beobachtete stattdessen, wie hinter ihnen ihre eigenen Truppen auf die Plattform hinausströmten und das Tor hinter sich verschlossen und bewachten. Sie würden bis zur letzten Sekunde dort verweilen, um die Palastwachen daran zu hindern hinauszukommen und wenn es nötig war, würden sie dafür sterben, dass Zoras dort hinauskam. Wie merkwürdig, eine solche Ehre zu erhalten und dabei keine Krone auf dem Kopf zu tragen.
      Er eilte mit Feris im Arm auf den Stall zu, während der Hauptmann schon an ihm vorbei lief, seine Befehle brüllte und dann den Stall öffnen ließ. Zoras' Fuchs wurde in Rekordzeit gesattelt, ebenso wie die anderen Reittiere, die sich dort befanden. Kassandra erhielt eine braune Stute, der Hauptmann schwang sich auf einen Schimmel und stürmte gleich voraus, um den Weg zum Haupttor zu sichern. Feris erhielt kein Pferd. Der König würde seinen Thron nicht zurücklassen.
      Zoras sah sich einmal nach allen Seiten um, vergewisserte sich, dass die Bogenschützen noch immer unbewegt an ihrem Ort standen, dass das Tor zum Palast noch immer verschlossen war, dass seine Truppen versammelt waren. Es gab Verletzte, er konnte sie am Rand des Stalls erkennen, wie sie eilig ihre Wunden bandagierten und die ersten Pferde zur Verfügung gestellt bekamen, bevor auch der Rest der Soldaten aufsaß. Dann ließ er den König los, drehte ihn zu sich um und beugte sich das letzte Stück zu ihm hinab.
      "Feris."
      Der Junge sah mit glasigen Augen zu ihm auf. Zoras konnte viele Emotionen in seinem Gesicht ausmachen und jede einzelne davon nagte ein Stück von seinem Gewissen weg. Er legte die Hände auf seine Schultern und drückte sie, der Junge zuckte.
      "Du musst jetzt stark sein, okay? Hörst du mich? Das ist keine Übung mehr, kein Was-wäre-wenn, das ist Realität. Der Aufstand hat soeben begonnen, wird sich weiter ausbreiten, das kannst du nicht aufhalten, das kann niemand aufhalten. Theriss braucht jetzt seinen König, mehr als in den letzten zehn Jahren, mehr als jemals zuvor. Du musst ein starker König sein, verstanden? Verstehst du mich?"
      Er schüttelte ihn ein bisschen, bis Feris ein Nicken zustande brachte. Mehr als vorher sah er jetzt verängstigt aus.
      "Du musst die Herzöge auf deine Seite bringen, das ist der einzige Weg. Du musst das Land einen, du musst beweisen, dass du herrschen kannst, dass du des Herrschens würdig bist. Hör auf Meri - auf Herzogin Kerellin, sie hat eine gute Phalanx, eine starke Phalanx, sie hat Erfahrung damit, an der Front zu kämpfen. Hörst du? Du musst stark sein, okay?"
      Feris brachte ein erneutes Nicken zustande, obwohl sichtbar war, dass keins von Zoras' Worten sein Gehirn wirklich erreichte. Er war viel zu verängstigt, viel zu verwirrt um Zoras zu verstehen. Es blieb nur zu hoffen, dass er etwas davon aufschnappen würde - oder dass die heutigen Ereignisse ihn wenigstens wachrütteln würden.
      Der Herzog ließ ihn los.
      "Ich vertraue auf dich, ich weiß du kannst das schaffen. Jeder Herrscher hat mal irgendwo angefangen."
      Er schnappte sich die Zügel seines Fuchses und schwang sich mit einem Satz in den Sattel. Er hätte gerne mehr gesagt, viel mehr, hätte dem Jungen klar machen wollen, was zu tun wäre, wie er den Aufstand zu bekämpfen hatte, was für einen Sinn Zoras' Taten hatten, wieso er ihm erklärte, wie Feris gegen ihn selbst vorzugehen hatte. Dass er ihn trotz der vergangenen Jahre in gewisser Weise liebte, so wie man eben einen potentiellen Stiefsohn, der einen selbst nicht akzeptierte, lieben konnte. Er hätte es gerne gesagt, aber er blieb stumm, sah sich nach seinen Truppen um, blickte zu Kassandra hinüber. Dann sah er in einer wortlosen Andeutung zu den Bogenschützen. Sie würden ohne den König versuchen müssen, heil aus dem Tor und durch die Stadt zu kommen. Durch die Stadtmauer. Sie waren noch lange nicht in Sicherheit.
      "Bereit machen!", brüllte er dann und lenkte sein Pferd herum. Sobald sie die Sicherheit des Stalls verlassen hatten, sobald die Schützen sehen konnten, dass der König nicht mehr unter ihnen war, würden sie das Feuer eröffnen. Sie mussten versuchen, so schnell wie nur möglich zu sein.
      Die Soldaten sammelten sich um Zoras und auch um Kassandra herum, allesamt beritten, die Schilder erhoben, die Visiere heruntergeklappt. Der schlimmste Teil würde noch folgen.
      "Auf mein Zeichen!"
      Er hob das Schwert an, sein Fuchs schnaubte nervös, als könne er bereits ahnen, was folgen würde. Zoras warf einen letzten, flüchtigen Blick auf Feris, versuchte sich den letzten Moment einzuprägen, in dem er dem Jungen friedlich gegenüber stehen würde. Das nächste Mal würden sie sich vermutlich auf dem Schlachtfeld wiedersehen.
      Als er sein Zeichen gab, donnerte seine Stimme über die ganze Plattform hinweg und setzte sämtliche Reiter gleichzeitig in Bewegung.
    • Die gesamte Zeit über stand Kassandra vor den Ställen und stierte hoch zu den zahllosen Bogenschützen. Noch immer hatte sie ihren Feuerbogen in den Händen während auch sie nach dem Truppenführer suchte und ihn schließlich erspähte. Sie richtete ihren Bogen auf ihn aus, absolut konzentriert um nicht den Moment zu verpassen, in dem sie doch ihre Defensive hochfahren musste.
      Das Pferd, das man Kassandra zur Seite stellte, war alles andere als begeistert. Die Stute war kurz davor sich von seinem Führer loszureißen und die Flucht anzutreten, je näher das Tier der Phönixin kam. Diese atmete einmal tief durch und ließ ihre Präsenz auf das Tier wirken, das daraufhin wie in eine Art Trance verfiel und völlig regungslos einfach neben ihr stand.
      "Bereit machen!"
      Zoras Stimme klang aus dem Stall hinter ihr und prompt begannen sich Soldaten um Kassandra zu sammeln. Sie schnaubte lediglich ungehalten, die berittenen Männer nahmen ihr enpfindlichen Freiraum.
      "Folgt eurem Herzog und geht mir aus dem Weg!", blaffte sie die Männer um sie herum an, die sie kurz perplex musterten, ihrem Befehl allerdings nachkamen und ihr endlich wieder mehr Freiraum einräumten.
      Für das, was sie gleich tun würde, brauchte sie so viel Platz wie nur irgendwie möglich und Zoras' Gefolgschaft musste ihm in einer einzigen Welle Folge leisten.
      "Auf mein Zeichen!"

      Kassandra stand als einzige Person zu Fuß auf dem Platz während es von Pferden und Beinen um sie herum nur wimmelte. Ihr Blick war noch immer stur auf den Truppführer der Schützen gerichtet während sich ihr Bogen in Luft auflöste und auch die Rüstung langsam im Nichts zu vergehen schien. Ein weiterer tiefer Atemzug, ein Anziehen ihrer Finger in ihre Hand, ein Gefühl von Sorge, das nicht ihr eigenes war. In dieser Nacht würde sie diesem Königreich entsagen und wenn der noch Herzog sein Wort hielt, war sie nicht weit davon entfernt ihr Herz zurückzubekommen.
      Dann kam schon das Zeichen und die gesamte Masse an Leibern in ihrem Sichtfeld setzte sich in Bewegung.
      Es lief in Kassandras Augen alles viel zu langsam ab. Ihr Blinzeln brauchte eine Ewigkeit, die Pferde waren viel zu langsam, bewegten sich wie in Zeitlupe in Richtung Tor. Und die Bogenschützen auf der Brüstung zogen ihre Sehnen ein Stück straffer während sich der Truppenführer straffte, um einen Befehl zu äußern. Noch bevor er eine Silbe formulieren konnte, legte sich eine rote Aura um Kassandra, die ohne die aschene Rüstung in der Menge beinahe unterzugehen schien. Sie hob ihre Hände gen Himmel, als die Meute schon von ihr gewichen war und der Truppenführer das eine Wort äußern konnte.
      Kassandra konnte regelrecht hören, wie die Sehnen surrten und die Pfeile durch die Luft flogen. Mit den erhobenen Händen machte sie einen Schritt vorwärts, ließ die Hände in einem kunstvollen Schwung sich drehen und ein Fauchen zerriss die Nachtluft. Hinter ihrem Rücken erhob sich eine Flammenzunge, die in einem Bogen über ihrem Kopf immer größer wurde und sich über den gesamten Platz zu erstrecken suchte. Die plötzliche Hitze ließ die kühlere Luft verpuffen und erzeugte das Fauchen, das allein schon bedrohlich klang. Die Pfeile regneten in die Feuersbrunst hinein und schafften es nicht einmal hindurch. Die stählernen Spitzen schmolzen fast augenblicklich und tropften glühend aus dem Rot wie hunderte fallende Sternschnuppen.
      Erst dann schwang sich Kassandra selbst auf die braune Stute und trieb sie dem restlichen Mob hinterher, der sich schon gänzlich aus dem Platz verabschiedet hatte. Sie musste darauf vertrauen, dass die Vorhut ihren Weg ebnen würde und sie ihren Rücken sicherte. Obwohl sie ernsthaft bewezifelte, dass es jemand wagte, ihnen nachzusetzen wenn sie die Nachhut bildete.
      Dementsprechend leicht kamen sie alle noch durch das Tor und weg vom Palast. Wie eine gewaltige losgelöste Lawine ergoss sich die Reiterschaft durch die Stadt, mähte auf ihrem Weg nebensächliche Karren und Kisten um. Allein der Lärm sorgte dafür, dass die meisten Zivilisten ihnen direkt aus dem Weg gingen und ihnen den Platz einräumten, den sie brauchten.
      Die Meute kam allerdings jäh ins Stocken als man sich den Stadtmauern näherte und feststellen musste, dass das Tor sicher verschlossen war. Die Kunde war bis hierher gekommen, dass man die Verräter nicht aus der Stadt lassen sollte. Vermutlich hatte zu diesem Zeitpunkt noch niemand gewusst, dass der Champion nun nicht mehr der des Königs war.
      "Macht Platz!", schrie Kassandra von hinten und preschte mit ihrem Pferd umgebremst weiter.
      Sie hatte ihre rechte Hand erhoben, ihren Speer in der Hand materialisiert. Er schien zu glühen, ein warmes Licht pulsierte durch das gesamte Konstrukt als sie ausholte, kaum kam das verschlossene schwere Tor in Sicht. Hastig machten ihr die Reiter Platz, teilweise gerade noch rechtzeitig. An der Spitze kam Zoras in Sicht, doch sie hatte keine Zeit einen Blick auf ihn zu werfen. Mit einem wilden Ausdruck im Gesicht warf sie ihren Speer mit einer unbändigen Kraft nach vorn, der in gerader Linie in die Streben des Tores flog und stecken blieb.
      Das Schnippsen ihrer Finger ging in dem Lärm völlig unter. Der Knall der Explosion hingegen schluckte alle anderen Geräusche.
      Der mit Magie vollgepumpte Speer explodierte auf Kassandras Befehl hin und sprengte das Tor mit einer unbändigen Gewalt. Es regnet Teile in aller Herrengottsrichtungen als die braune Stute die Phönixin durch das offene Tor trug und sich der Mob kurz danach wieder in Bewegung setzte.
      Damit hatten sie es zumindest schon mal aus der Stadt und ihren Mauern geschafft.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die Rebellentruppe preschte als eine Einheit auf die Plattform hinaus, raus aus dem Schutz des Stalles auf die offene Fläche, die von den Bogenschützen überschaut wurde. Der Truppführer der Palastwachen sah sie, vergewisserte sich, dass die schmächtige Gestalt des Königs nicht unter ihnen war und holte dann Luft, um seinen Befehl herauszubrüllen. Für zwei Sekunden drang das helle Surren der Bogensehnen über die Plattform hinweg.
      Die Reiter beugten sich ein Stück über ihre Pferde, erhöhten ihr Tempo, die Gardisten hoben ihre Schilde. Zoras selbst hatte keins, musste auf seine Männer vertrauen, darauf, dass ihre Rüstungen standhielten.
      Das Fauchen eines entflammenden Feuers hallte beinahe im selben Moment über sie hinweg, dicht gefolgt von einer starken Hitzewelle, als der Himmel in roten Farben unterging. Wenn sie nicht eh schon die Flucht angetreten hätten, wenn sie nicht eh schon so schnell geritten wären, wie es für die Tiere möglich war, wären sie jetzt noch schneller geworden, hätten sich vor der ausbreitenden Flammenzunge zu retten versucht. Schnell wurde aber klar, dass das Feuer nicht nach ihrem Leben trachtete - stattdessen kam kein einziger Pfeil zu ihnen durch, nur die rußschwarzen Überreste geschmolzener Spitzen. Sie verfolgten die Truppe bis zum Tor, ein ständiger Regen aus Flammenfunken, der wie ein Nachdruck zu ihrer Flucht wirkte. Es war wunderschön und grässlich zur gleichen Zeit.
      Die Vorhut hielt das Tor offen und der Rest preschte hindurch, hinaus auf die Straße dahinter, hinab den Hang. Das Trommeln der Hufe hallte laut durch die nächtliche Luft, beinahe so laut wie der dröhnende Glockenschlag des Palastes hinter ihnen, der noch immer nicht verklungen war. Sie lenkten ihre Pferde auf die Hauptstraße zu, hauptsache sie waren schnell, hauptsache es würde sich niemand in ihren Weg stellen. Zoras betete zu allen Göttern, dass sie keine Blockade erwischen würden.
      "Tor, Herr?", kam der Ruf von der Seite und er drehte den Kopf zu dem Reiter neben sich. Sein Hauptmann ritt mit einer Hand an den Zügeln, am anderen Arm trug er noch immer ein Schild, das er trotz der gelungenen Flucht noch nicht gesenkt hatte. Er ritt allerdings genauso schnell wie Zoras; in seinem persönlichen Stab gab es keine schlechte Reiter.
      "Westtor", rief er zurück, woraufhin der Mann knapp salutierte und zurückfiel, um den Rest der Soldaten entsprechend auszurichten. Zoras sah sich bei der Gelegenheit einmal nach Kassandra um und fand sie am Ende des Zuges. Er wusste nicht, ob sie seinen Blick erwiderte, ließ sich allerdings von ihrer Anwesenheit ein wenig beruhigen.

      Sie stießen auf keine Blockade, zumindest nicht, bis sie das Tor erreicht hatten. Zoras fluchte; sie waren schnell gewesen, aber anscheinend nicht schnell genug: Der Ausgang war verschlossen. Das war der Nachteil davon, wenn man nicht in der Stadt lebte, man konnte nicht von allen Nebenstraßen wissen, nicht von allen versteckten Tunneln, die in das Netzwerk eingefasst waren. Er hätte es auch nicht ändern können wenn er davon gewusst hätte, sie mussten aus den Toren raus und es war lediglich eine Frage der Zeit.
      Er verlangsamte seinen Galopp, hob das Schwert an, wollte damit beginnen, seine Männer zu beiden Seiten ausschwärmen zu lassen, damit sie sich formieren und das Tor zur Not zu Fuß stürmen konnten, als Kassandras Ruf hinter ihnen ihn stocken ließ. Er drehte sich um, gerade noch rechtzeitig, um seinen Fuchs zur Seite zu reißen, bevor Kassandra in ihn hinein gestürmt wäre. Ihr Anblick war, wie schon ihre Magie vorhin, gleichermaßen schockierend und wunderschön in einem, so wie sie als Verkörperung eines flammenden Pfeils herangerauscht kam, getragen von dem unermüdlichen Ansturm ihrer Stute, ihren glühenden Speer bereits im Anschlag. So musste der Tod aussehen, wenn er seine brennenden Opfer heimsuchte, schoss es Zoras durch den Kopf, der sich nicht ganz sicher war, woher dieser Gedanke kommen mochte. Wahrscheinlich hatte er wieder Gefallen an der Vorstellung gefunden, auf ein brennendes Schlachtfeld zu ziehen, dessen Flammen seinen eigenen Pferden nichts anhaben konnten, ein Gedanke, den er zuerst bekommen hatte, als er Kassandras Essenz zum ersten Mal in die Hand bekommen hatte. Er wäre dieser Vorstellung an diesem Tag ein Stück näher gekommen, vielleicht war sie ja doch nicht so weit hergeholt.
      Kassandra warf ihren Speer mit erstaunlicher Kraft, bis er sich in das Tor gefressen hatte und keine Sekunde später explodierte. Kassandra zögerte nicht, stürmte bereits noch unter dem Trümmerregen hindurch durch die künstliche Öffnung, die sie gezeugt hatten und Zoras war schnell damit, ihr nachzugehen. Aufsteigender Rauch empfing ihn und seine Soldaten, der sie alle für einen Moment blind machte, während ihre Pferde unter dem Torbogen hinweg durch die Trümmer sprangen und auf der anderen Seite ihren nächsten Sprint angingen. Sie würden die Tiere bald erholen lassen müssen, aber erst mussten sie von der Stadt weg, im besten Fall ihre Spuren verwischen. Ein Blick über die Schulter brachte keine neuen Informationen ein, aber es würde sicherlich nicht lange dauern, bis man die Verfolgung aufgenommen hatte.
      Das Gebiet um die Königsstadt herum war felsig und hügelig mit kaum großer Vegetation, geschweige denn ordentlichen Wäldern oder Wiesen. Sie folgten einem abgegrenzten Pfad, auf dem die Hufe der Pferde laut auf dem blanken Stein wiederhallten und preschten schließlich einen Hang hinab, auf dem sich das Geröll unter ihren Hufen beinahe löste. Als sie dann wieder ebenerdig ritten, verlangsamte Zoras sein Tempo und besah sich zum ersten Mal seine Truppe.
      Es waren etwa fünfzig Soldaten, die hinter ihm ritten, allesamt auf Pferden, wenngleich manche zu zweit auf einem ritten. Sie hatten Verluste gemacht, ganz sicher sogar und ganz viele und soweit Zoras erkennen konnte, gab es etwa ein Dutzend Verletzte unter ihnen. Sie hatten keinen Proviant, keine Verpflegung, keine Unterkunft. Die Pferde wirkten glücklicherweise gesättigt und kräftig, allesamt gut genährt und ausdauernd, gute Züchtungen, wie man wohl vom Königspalast erwarten konnte. Sie hatten gute Aussichten, es auf den Tieren bis nachhause zu schaffen.
      Das hieß, solange sie freien Weg hatten. Der Hügel, den sie gerade überquert hatten, versperrte die Sicht nach hinten, aber Zoras war sich sicher, dass die Häscher des Königs bald kommen würden.
      Die Häscher des Königs. Das war es dann also offiziell: Er hatte den Aufstand hervorgerufen. Sein Feind war von nun an die Krone. Er wusste jetzt schon, dass er es hassen würde.
      Sie ritten ein wenig langsamer daher, bis Zoras eine Ecke gefunden hatte, an der sie sich für einen Moment ungesehen niederlassen konnten. Er gab augenblicklich den Befehl zum Absteigen und winkte seinen Hauptmann heran, der gehorsam angelaufen kam.
      "Wir werden plündern, im nächsten Vorort. Wo ist der nächste in dieser Richtung, Lindum?"
      "Lindum, Herr. Eine Stunde von hier, schätze ich. Aber man wird voraussehen können, dass wir dorthin ziehen"
      "Sollen sie doch, das ist gut. Wir werden uns in Lindum unbeliebt machen, die Soldaten dorthin locken und dann werden wir den Eindruck vermitteln, dass die königliche Armee genau weiß, wo sie als nächstes helfen müssen. Wir sind Rebellen, aber keine Terroristen; vergiss das nicht."
      Sein Hauptmann nickte.
      "Gib mir einen Bericht über unsere Einheit, ich will eine Einschätzung darüber, wie weit wir es heute noch schaffen werden."
      Der Mann salutierte vor ihm und machte dann kehrt, um seinem Befehl Folge zu leisten.
      Zoras sah sich derweil nach Kassandra um. Er fand sie nicht allzu weit entfernt, die Stute wie eine Skulptur festgefroren an ihrer Seite. Er kam heran und tätschelte dem Pferd die Nüstern.
      "Das war gut, ein guter Zauber. Zwei gute Zauber."
      Jetzt, wo das Adrenalin langsam aber sicher nachließ, konnte er wieder klarere Gedanken fassen. Sie waren noch nicht in Sicherheit, aber für den Augenblick konnten sie sich eine Ruhepause gönnen.
      Er senkte die Stimme ein wenig.
      "Wie geht's dir? Ich meine... geht es dir gut? Du würdest es mir doch sagen wenn nicht, oder?"
    • Nachdem der Trupp aus dem Tor gebrochen war und sich schleunigst in Richtung eines abführenden Pfades begeben hatte, reihte sich Kassandra in den Reihen der anderen ein. Zwar fiel sie unter den vollkommen gerüsteten Soldaten Zoras' als einzige Frau ohne Plattenwerk auf wie ein bunter Hund, aber das machte nichts. Während sie sich einfach von der Menge mitführen ließ fuhr sie mit einer Hand durch ihre wehenden Haare, um anschließend einen Blick auf eben jene zu werfen.
      Sie hatte einige weiße Haare zwischen ihren Fingern, die asbald vom Wind davon getragen wurden.
      Nachdem sie einen Hügel überquert hatten und somit den direkten Blick auf die Königsstadt verloren, wurde das Tempo allmählich etwas langsamer. Bis sie eine Stelle erreichten, wo sie anhielten und größtenteils von ihren Pferden steigen. Kassandra verweilte einen Moment länger auf ihrer Stute, um dank der erhöhten Position etwas mehr zu sehen. Zum einen schaute sie immer wieder zu dem Hügel, den sie gerade überquert hatten. Zum anderen ließ sie den Blick schweifen um aus Ausmaß der Verletzten einschätzen zu können. Nicht ein einziges Lebenslicht flimmerte bedrohlich, aber die Verletzungen sprangen wir ihr kleine glühende Punkte in die Augen. Viele, zu viele um sie alle zu zählen.
      Erst dann ließ sich die Phönixin von ihrer Stute auf den Boden gleiten, wo ihr kurz die Knie wegsackten. Hastig drückte sie ihre Beine wieder durch, zog sich am Sattel etwas hoch und legte dann beide Arme über die lederne Sitzfläche. Das Pferd bewegte sich nicht einen Millimeter, als sei es zu einer Salzsäule erstarrt während Kassandra den Kopf in den Nacken legte und das Gesicht zum Himmel wandte. Ihre Augen waren geschlossen als der Wind über ihr Gesicht streifte. Zu viel ausschweifende Magie nach einem Trägerwechsel zu wirken kostete seinen Preis.
      "Das war gut, ein guter Zauber. Zwei gute Zauber."
      Sachte drehte sie den Kopf, um Zoras anzusehen, der sich am Kopf der Stute postiert hatte. Sie konnte nicht verhindern, dass sie ihn ein wenig träge anblinzelte, so als hätte sie sei Tagen nicht mehr wirklich geschlafen. Wäre sie ausbalancierter oder generell vollen Zugriff auf ihr Repertoire hätte sie mit Leichtigkeit sämtliche Verletzten in wenigen Sekunden wieder herstellen können. So war sie nur froh, dass ihre Beine nicht nochmals nachgaben.
      "Wie geht's dir? Ich meine... geht es dir gut? Du würdest es mir doch sagen wenn nicht, oder?"

      Abermals blinzelte sie den Mann an, der nun dank der Essenz an Kassandra verriet, dass das Adrenalin nun Sorge Platz machte. Fast hätte sich ein schnippisches Lächeln auf ihre Lippen gestohlen. Allerdings nur fast.
      "Ich habe doch einen angemessenen Teil dazu beigetragen, dass wir heile rauskommen, nicht? Ich würde sagen, dafür geht es mir doch ganz gut", erwiderte sie, noch immer unwillig die Arme von der Sattelfläche zu nehmen. Sie brauchte den Halt. "Außerdem solltest du dir keine Sorgen um mich machen sondern eher um deine Leute, die dir blind gefolgt sind. Das ist wichtiger. Ich kann ab jetzt eh fühlen, was in dir vorgeht. Also lenk deine Sorge an die wichtigeren Stellen um, ja?"
      Sie würde ihm nicht sagen, dass sie deutlicher angegriffen war als es den Anschein machte. Er konnte nicht wissen, dass ein Trägerwechsel immer eine Umstellung war, derer Zeit bedurfte. Und sie hatte gerade zu viel Magie durch das Nadelöhr gezwängt, das die Zeit Zoras' als Träger war. Als Konsequenz hatte sie auf Ressourcen zurückgreifen müssen, die sie meistens unberührt ließ.
      "Du brauchst mir nicht den Hinweis geben, dass ich niemanden töten soll. Das mit Caphalor war außer der Norm. Wir töten nur im äußersten Notfall, das gebiert unsere Herkunft üblicherweise so", klärte sie ihn weiterhin auf und richtete den Blick auf den Sattel direkt vor ihr. Ihr war schwindelig und die seltsame Haltung ihres Kopfes begünstigte es nicht unbedingt.
      Ihre Stimme wurde ebenfalls etwas leiser und trug sogar eine winzige Note Bekümmertheit mit sich als sie hinzufügte: "Normalerweise könnte ich deine gesamten Männer in Sekunden wiederherstellen. Aber dafür reichen meine Ressourcen nicht mehr aus. Tut mir leid."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"