Salvation's Sacrifice [Asuna & Codren]

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Ihr Abschied wurde jäh unterbrochen von einem fliegenden Etwas, das sich als zerschlagener Körper herausstellte, direkt von den Reihen der Brücke. Als wäre das der Startschuss gewesen, brandeten urplötzlich Schreie auf, die definitiv nicht glücklicher Natur waren. Wer auch immer dort wütete, er verschaffte sich binnen Sekunden gehörig Platz in der Menge.
      Die plötzliche Besorgnis, die in Zoras aufkeimte, angesichts der unmittelbaren Gefahr, die sich wohl näherte, aber auch angesichts des Scheitern ihres Plans, wurde von keinem anderen geteilt. Die Wachen zuckten kurz, als der Körper vor ihnen aufschlug, dann entspannten sie sich gleich wieder. Es schien wohl etwas zu sein, was sie schon gewöhnt waren.
      Lange dauerte es nicht, dann tauchte eine massive Gestalt auf der Brücke auf, etwas, das auf den ersten Blick wie ein Mann wirkte, wäre dort kein gewaltiger Kopf und zwei Hörner gewesen, die das Bild sogleich wieder zerstörten. Er trug auch keine Hose und seine Beine waren in die falsche Richtung eingeknickt. Zoras brauchte länger, um ihn als Minotaurus zu identifizieren und zwar als jenen, den er ein paar Mal in der Stadt als Statue gesehen hatte. Irgendwie war er nicht gerade wiedererkennungswürdig, wenn er in keiner erhabenen Haltung posierte und edle Klamotten trug, sondern sich mit einer gewaltigen Axt durch eine Menge Zivilisten pflügte.
      Zoras presste die Lippen aufeinander, als unweigerlich auch der Träger dieses Monstrums auftauchte. Der Mann wirkte jung genug, um in Teals Alter zu sein, wenn Zoras sich hätte erinnern können, wie alt Teal jetzt wohl sein musste. Dazu hatte er die unverfrorene Unbeschwertheit eines Mannes, der nicht gerade dabei zugesehen hatte, wie sein eigener Champion sich durch Menschen drängte, als wären sie Grashalme und er die Sense, die sie kürzte. Der ganze Anblick widerte ihn an. Junge Leute sollten keine Träger werden, so einfach müsste es sein. Das war fast so, als würde man einem Baby ein Schwert in die Hand drücken.
      Das Paar kam ohne eine Begrüßung heran, aber Zoras ließ sich nicht darauf ein. Er ging den diplomatischen Weg, als er sich notgedrungen vor beiden verbeugte.
      "Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen. Ich halte mich des Eviads würdig. Meinen Namen müsst Ihr bereits gehört haben."
      Er richtete sich wieder auf, als der Mann vorschlug, die beiden Götter dort draußen zu lassen. Ein sehr zahmer Ausdruck für die Tatsache, dass dieser Asterios einfach nur Wachhund spielen würde. Bis jetzt war Zoras noch fest davon ausgegangen, dass es keine Gottheit gab, die es mit der entfesselten Kassandra aufnehmen könnte, aber während er den Minotaurus so betrachtete, der mit seiner gewaltigen Axt näher kam, um sich neben der zierlichen Phönixin aufzubauen, beschlichen ihn gleich andere Gedanken. Womöglich war das hier ein Fehler. Womöglich war das hier ein Fehler von solch katastrophaler Art, dass sie auch das Glück der Moiren nicht mehr retten könnte.
      Aber was für eine Möglichkeit hatten sie hier noch? Umdrehen und Kuluar verlassen? Die einzige und einmalige Gelegenheit verstreichen lassen, wieder einen Titel aus seinem Namen zu machen und genug Einfluss auszuüben, um den Himmelbruch aufzuhalten?
      Notgedrungen schluckte Zoras seine Zweifel und Sorgen hinab und neigte in gespielter Demut den Kopf.
      "Ich danke für das gütige Angebot."
      Als der Mann zu ihm kam, erlaubte er sich einen letzten Blick auf Kassandra, einen letzten Blick in die tiefen, feuernden Augen, die zu ihm aufsahen. Vielleicht war es das letzte Mal, das er sie erblicken würde. Wenn es einen Wunsch gab, den er frei hatte, dann wäre es, dass es nicht das letzte Mal sein würde.

      Der Palast sah innen gänzlich anders aus als in Theriss, aber ehrlicherweise hatte Zoras wenig Aufmerksamkeit für die Architektur übrig, wenn er viel zu sehr darauf konzentriert war, dass einer der Träger neben ihm ging und Kassandra bei dessen riesigen Schoßhund draußen bleiben musste. Wachen gab es kaum - wozu auch. Bei fünf Champions kam niemand ungesehen in den Palast und richtige Soldaten wurden wenn dann draußen beim Volk benötigt. In den Gängen huschten ausschließlich Bedienstete vorbei, wenn überhaupt.
      Zoras schwieg eisern, bis sie eine Tür erreichten, die zwar wichtig aussah, aber genauso wenig bewacht wurde. Der Mann öffnete sie mit Schwung, so als würde er es jedes Mal genießen, dass die Tür seinem Willen gehorchte, und leitete den potentiellen Eviad hinein.
      Der Saal war rund und hoch und hatte zehn steinerne Stühle in einem Halbkreis stehen, alle von ihnen auf einer kleinen Erhöhung. Von hinten warf eine Fensterfront ein Licht hinein, das den Bereich der Stühle wohl zu jeder Tageszeit irgendwie erhellte. An den Seiten waren verschlossene Türen.
      Acht von den zehn Stühlen waren besetzt und jeder einzelne von den Anwesenden sah aus, als hätte er mal vor Urzeiten in einem Buch gelesen, wie man sich richtig präsentierte, es aber irgendwo auf dem Weg dorthin wieder vergessen und sich nicht die Mühe gemacht, das Gelernte wieder nachzuholen. Es reichte von unangemessenen, gewöhnlichen Klamotten zu einer schiefen, unpassenden Sitzhaltung und einem schlichtweg gelangweilten Gesichtsausdruck. Zoras kam sich vor, als hätte er gerade ein Familientreffen unterbrochen und keine Ratssitzung für den zukünftigen Herrscher von Kuluar.
      Eine Frau, die als eine der wenigen aufrecht saß und sogar recht würdevoll gekleidet schien, fauchte sie gleich als erstes an:
      "Esho! Nun komm endlich und setz dich hin! Wo ist Asterios?!"
      Sie schien Anfang 50 mit dem Beginn von tieferen Sorgenfalten im Gesicht. Zoras schätzte mal, dass sie keiner der Champions war.
      Sein bisher namenloser Begleiter ließ sich jetzt wohl auch dazu herab, einen der freien Plätze zu besetzen, während Zoras etwas unschlüssig vor dem Halbkreis zum Stehen kam. Einige Augenpaare sahen auf ihn herab, manche sahen auch Esho an - und manche einfach irgendwo anders hin. Nach einem Moment der Irritation verneigte er sich.
      Bevor er etwas sagen konnte, sich etwa vorstellen oder derartiges, beugte sich ein alter, knochiger Mann nach vorne und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen.
      "Das ist er? Das soll er sein?"
      Er starrte Zoras für einige Sekunden prüfend an, dann verzog er das Gesicht missmutig, lehnte sich zurück und flüsterte seiner Sitznachbarin etwas zu. Seine Sitznachbarin hielt es nicht für notwendig, auf ihrem Stuhl gerade zu sitzen, sondern lag mehr, alsdass sie saß.
      "Das soll er sein!", bestätigte die erste, ältere Frau. Zoras sah sie an, denn sie schien von allen hier am meisten anwesend zu sein. "Los doch, stellt Euch vor!"
      Demütig neigte er den Kopf und verbeugte sich erneut.
      "Mein Name lautet Zoras Luor. Ich stamme aus -"
      "Ja, ja, ja", unterbrach sie ihn gleich wieder, "bla bla; Ihr wollt Eviad werden, ja? Dafür bringt Ihr eine entfesselte Phönixin mit hierher - was hat das auf sich? Wie ist das geschehen? Was tut sie hier? Was macht sie an Eurer Seite?"
      Zoras war überrascht über diesen plötzlichen Wechsel, aber das schien doch zumindest Fragen zu sein, die auch die anderen interessierten. Plötzlich lagen alle Augenpaare auf ihm.
      "Phönixin Kassandra ist mein Schwurpartner. Sie wird bis an mein Lebensende an meiner Seite sein."
      Ein bisschen Geflüster erhob sich, aber über das Gerede heraus schlug die Frau die flache Hand auf die Armlehne und fixierte die andere Frau, die so schäbig auf ihrem Stuhl gammelte.
      "Schwurpartner! Wie hast du das nicht herausfinden können?!"
      Diese Frau war plötzlich hellwach und richtete sich mit anklagender Miene auf.
      "Weil sie nicht ganz rein zufällig darüber geredet haben!! Da hat keiner gesagt "Hallo Eviad, ich bin Kassandra, dein Schwurpartner"!"
      "Du hättest es herausfinden können!"
      "Nein, hätte ich nicht!"
      "Doch, hättest du!"
      "Hätte ich nicht!"
      "Weiber", stöhnte ein Mann in seinen dreißigern, der ähnlich schräg auf seinem Stuhl saß und einen Weinkelch in der Hand hielt. Er hatte den Kopf auf einer Hand abgestützt und sah absolut sterbensgelangweilt aus. "Ist doch völlig egal. Er ist abgelehnt, nächster bitte."
      "Er kann nicht abgelehnt sein, wenn dort eine ganze entfesselte Phönixin vor unserer Tür steht!", tobte wieder die ältere Frau.
      "Dann ist er sogar super-abgelehnt. Phönixe lassen nur überall ihre Federn rumliegen und brennen alles nieder. Kann Asterio sich nicht darum kümmern, wenn er eh schon draußen ist?"
    • Kassandra sah ein einziges Mal zurück. Ihr war klar, dass ihre gedanklichen Worte ihn erreicht haben mussten und die Garantie, dass sie umgehend da sein würde, sollte sich auch nur das kleinste Bisschen negativ zu ihren Gunsten wenden, dürfte genügen. Sie wirkte rein von der Größe her verschwindend klein neben dem gewaltigen Minotauren. Doch der Schein und die pure Präsenz hoben ihre schmale Gestalt deutlich von dem Muskelprotz neben ihr ab. Sicher, wenn sie auf ihr Feuer zurückgriff, dann war Asterios schneller gebraten als man schauen konnte, aber das war hier nicht Sinn und Zweck. Die Menschen zeigten sich erschüttert über die pure Gewalt, mit der das Wesen umherwanderte und auch sein Träger schien dies billigend in Kauf zu nehmen. Er schien mit Asterios genau den richtigen Champion erwischt zu haben und der Blick, den der Mann ihr kurz zugeworfen hatte, war nicht nur abschätzend gewesen. Da war noch etwas anderes gewesen, was sie in dem kurzen Augenblick nicht hatte lesen können.

      Esho schlenderte sichtlich entspannt die Gänge entlang, immer in greifbarer Nähe zu Zoras. Seine nussbraunen Haare waren bis auf wenige Millimeter getrimmt worden und betonten die harten Gesichtszüge des Mannes. Auch er trug bereits Narben in seinem Gesicht, die sich aber Größtenteils auf seine Wangenpartie beschränkten. Auch die Nase musste mindestens einmal gebrochen gewesen sein, denn schön war dieser Mann mitnichten. Er trug eine Schwertscheide samt Klinge an seiner rechten Hüfte und die Kleidung, die er trug, war eher praktischer als förmlicher Natur. Ausgestattet mit mehr Leder als Kette, aber dem gleichen Braunton wie die Soldaten, führte er Zoras zielsicher durch den Palast.
      An der großen Flügeltür angekommen, stieß Esho sie ganz Prolet auf und gestikulierte mit einer übertriebenen Geste zu Zoras, er solle doch eintreten. Hinter ihm zog er die Türen wieder zu und folgte langsam im Rücken des Hochstaplers. Seine Stimme hallte hinter Zoras auf, tief und vibrierend, als er auf die Frau antwortete. „Draußen. Im Gegensatz zu euch Banausen lass ich die Dame nicht alleine stehen.“
      Irgendwas klang falsch an dieser Aussage. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der er es sagte, ließ keinen Spielraum für Diskussionen. Er trat aus Zoras‘ Schatten heraus und steuerte seinen Platz am Tisch an, ganz am Rande, so als wolle man ihn gar nicht unbedingt näher dabeihaben. Er fläzte sich nicht auf seinen Platz, sondern stellte die Ellbogen auf dem Tisch auf und bettete sein Kinn auf die verschränkten Hände. Bei der Erwähnung des Schwurpartners tat sich etwas in seiner Mimik, was sich nur als ein Zucken seiner Augenbrauen zeigte. Er schien sich auch nicht davon ablenken zu lassen, dass zwei Frauen sich gegenseitig an die Gurgel gingen. Sein Blick lag offen und lauernd auf dem Mann im Halbkreis, der ohne die Göttin hier eingetreten war. Einfach so. Inmitten von 4 anderen übermächtigen Einheiten.
      „Hast du auch nur einen Blick nach draußen riskiert, raus aus deinem Sitz und weg von deinem Wein?“, fragte Esho, ließ seinen Blick aber auf Zoras liegen, während er mit dem fläzenden Mann sprach. „Der Pöbel schreit ihre Namen. Wir können ihn hier ablehnen, aber sie werden sich fragen, wo er abgeblieben ist. Wir kriegen die Phönixin schon irgendwie weg, aber die ganze Stadt in Aufruhr? Schwierig. Ich mein, ich hab wohl hier das geringste Problem mit einem wütenden Mob an Menschen.“ Er lehnte sich zurück, selbstgefällig, und hob die Arme über seinen Kopf nach hinten, um sie dort zu verschränken.
      „Würde bestimmt spannend aussehen, wenn Asterios gegen sie antreten soll, dann aber nur mit Handicap. Das ist sonst echt ein bisschen unfair. Ich mein, wir haben ja schon ein Druckmittel da stehen. Ich denke nicht, dass sie ihren Schwurpartner einfach so verlieren will, oder?“ Esho zwinkerte Zoras zu.
    • "Oh bitte", kam die Retoure von dem Mann mit dem Wein, der aber nicht genervt wirkte. Lediglich unheimlich gelangweilt. "Der Pöbel schreit immer irgendwas. Am einen Tag ist es Revolution, am nächsten ist es Aufstand und heute ist es halt... wie war noch gleich der Name?"
      "Zoras."
      "Zoras." Er sprach den Namen perfekt aus. "Kurz und knackig. Sowas lieben doch die Leute."
      "Das ist aber schlecht für uns", keifte wieder die erste Frau, die alte. "Wenn sie ihn schon so verehren, wird man Fragen stellen, wenn er nicht wieder auftaucht. Wie Esho schon sagt"
      Zoras sah wieder zu Esho und begegnete seinem selbstgefälligen Blick mit einem düsteren Ausdruck. Ihm gefiel diese ganze Diskussion ohne Ausweg schon nicht und jetzt auch noch zu hören, dass Kassandra gegen Asterios antreten sollte - mit Handicap - war definitiv zu viel des guten. Aber was sollte er machen? Diesem Haufen ins Wort fallen und ihnen die Gelegenheit bieten, ihm vorzuwerfen, ihnen nicht den gebührenden Respekt entgegen zu bringen?
      Auf der anderen Seite war die junge Frau plötzlich hellauf begeistert.
      "Oh, ja! Ein Kampf! Zwischen Asterios und Kassandra! Kassandra wird sterben und damit ist der Eviad leider nicht mehr würdig, wie schade."
      "Und wie wird Kassandra bitte sterben?" Wieder die erste Frau.
      "Sie wird sterben, sonst wird er sterben." Unverfroren deutete sie auf Zoras, der die Stirn in noch tiefere Falten verzog.
      "Ich weiß nicht. Das ist zu undurchdacht", kam es von einem Mann, der neben einem Ungetüm zu sitzen schien. Auch er hatte den Kopf auf einer Hand aufgestützt, aber auf seiner Stirn zeigten sich deutlich nachdenkliche Falten. "Seht ihn euch an, nur weil der Schwur endet, ist er noch lange nicht unwürdig. Er hat noch genug andere Brandmarken, die ihn auszeichnen."
      "Und wenn wir sagen, dass aber nur der Schwur gültig war?"
      "So lautet aber nicht die Prophezeiung. Außerdem hatte der letzte Eviad auch keinen Schwur."
      "Dann muss er eben anders unwürdig sein."
      "Wie soll das glaubhaft aussehen?"
      "Woher kommt Ihr, hattet Ihr gesagt?"
      "Aus Theriss."
      "Kenn ich gar nicht. Dann war er eben in Theriss ein König."
      "War ich nicht."
      "Jetzt schon. Herzlichen Glückwunsch."
      "Ich war Herzog und die Leute wissen das."
      "Was war er?"
      "Herzog", wiederholte der Weinmann im perfekten therissisch und grinste dann, weil ihn die Menschen unwissend anstarrten. "Wisst ihr denn nicht, was ein Herzog ist?"
      "Wenn du es mal übersetzen würdest!"
      "Dafür gibt's keine kuluarische Bezeichnung. Sowas kennt ihr hier nicht."
      "Na toll. Dann ist Herzog eben ein König."
      "Ist er nicht."
      "Ihr werdet reden, wenn wir Euch eine Frage stellen!", donnerte die Frau plötzlich und unvorbereitet. Jemand stöhnte theatralisch und ein anderer rollte mit den Augen.
      "Darf ich auch eine Frage stellen?"
      "Nein!" "Klar, wieso nicht?" "Nö." "Fragt." "Weiß ich nicht. Könnt Ihr das?"
      Zoras verzog das Gesicht. Weil eine knappe Pause entstand, entschied er sich dazu, sie einfach zu nutzen.
      "Gibt es kein Prüfungsverfahren für den Eviad?"
      "Warum sollte es sowas denn geben?" "Soweit kommt's ja noch." "Nein, kein aktuelles." "Nicht, dass ich wüsste."
      "Wir sind der Ansicht", erhob sich die ältere Frau wieder über dem Rest, "dass es keinen Eviad benötigt. Wir kommen auch sehr gut ohne aus."
      Das konnte man ja sehen. Den Gedanken behielt Zoras aber für sich.
      "Dann ist das nur eine Farce?"
      Die Frau nickte. "Um das Volk zu unterhalten. Es will einen Eviad haben, dann muss es eben den richtigen geben. Den gibt es nur leider nicht."
      Sie lehnte sich ein Stück in seine Richtung und kniff warnend die Augen zusammen. Betont langsamer wiederholte sie: "Den gibt es nicht."
      "... Schon klar."
      "Deswegen können wir ihn aber nicht einfach wieder nachhause schicken." Eine Frau neben dem Weinmann. "Er hat schon Anhänger und alles."
      "Das Volk muss ihn eben ablehnen", verkündete die ältere Frau stolz, als hätte sie gerade einen schwierigen Schluss gefolgert. "Wenn es glaubt, er ist doch nicht der Eviad, wird es sich auch nicht beschweren, wenn er es nicht wird."
      "Und wie bringen wir ihn dazu, dass er abgelehnt wird?"
      "Wir lassen ihn beweisen, dass er die Tore zum Himmel kennt." Wieder der nachdenkliche Mann. "Nur wird er sie aus versehen öffnen. Zu weit reingeschaut."
      "Ach. Und das machen wir wie?"
      "Kassandra muss sterben, das ist die erste Hürde. Wenn sie sich nicht opfern will, wird er eben sterben. Wir lassen es so aussehen, als wäre es ihre Schuld."
      "Kassandras Schuld? Und wie sollen wir sie dazu bringen?"
      "Sie ist eine Phönixin. Ein bisschen Feuer zu viel aus der falschen Richtung und es sieht sicher so aus, als hätte sie ihn selbst verbrannt."
      Zoras traute seinen eigenen Ohren kaum, was er hier zu hören bekam.
      "Und dann?"
      "Dann wird er gegen Asterios antreten, der wird ihn zu den Toren des Himmels bringen und dann nunmal leider ein Stück zu weit. Wie schade, er hat die Tore geöffnet."
      "Das hört sich sehr vage an."
      "Die Alternative ist ein Aufstand. Und dann irgendwann ein Eviad. Wollen wir das etwa?"
      Die Frau seufzte.
      "Und Asterios kann sie umbringen mit genügend Handicap?"
    • Esho schloss sich nicht der restlichen Unterhaltung an. Ihm stand ins Gesicht geschrieben, dass er nachdachte. Sehr sogar und irgendwie nicht zu dem gewünschten Ergebnis kam. Seine Haltung sollte locker wirken, tatsächlich war sie eher ein wenig erstarrt. Nur einmal zuckten seine Augen zu dem Mann, der eine andere Sprache scheinbar perfekt sprach, was aufgrund dessen Herkunft aber nicht ungewöhnlich war. Erst als sich das Gespräch wieder in seine Richtung entwickelte, löste er seine Haltung und setzte sich ein wenig angenehmer hin.
      „Seid ihr alle völlig zurückgeblieben?“, fragte er, wobei er weniger die Champions sondern vielmehr die dazugehörigen Träger ins Visiert nahm. „Die Natur der Phönixin ist das Feuer. Sie wird damit nicht irgendwie aus Versehen jemanden einfach abfackeln. Außerdem ist er ihr Schwurpartner. Er wird immun gegen Feuer sein.“ Sein Blick zuckte zu Zoras. „Bist du doch, richtig?“
      Würde die Phönixin nur so mit ihm reisen, dann wäre es deutlich einfacher geworden. Aber ein Schwur zwischen ihnen verkomplizierte die Sache ungemein. Das machte ihn weniger leicht zu töten, machte ihn aber umso wertvoller als Druckmittel. Zu gern würde Esho diese Phönixin einmal im Kampf sehen, aber sicherlich nicht auf Kosten seines eigenen Champions.
      „Asterios würde sie in einem reinen Zweikampf ohne Magie in Stücke schlagen, ja. Die Vögel sind schön und alles, aber nicht auf Kraft ausgelegt. Nimm ihnen ihre Stärke und selbst das Waschweib könnte sie ertränken“, sagte Esho und wedelte kurz in die Richtung des lungernden Wesens, das außerordentlich hübsch war. „Aber wenn sie wirklich frei ist und ihm da aus eigenem Antrieb folgt, wird’s schwierig.“
      Er begann sich, sein glattrasiertes Kinn zu reiben. Sie konnten nicht daraufsetzen, dass die Phönixin einen Fehler beging. Sie mussten es anders bewerkstelligen und das ging höchstwahrscheinlich nur, indem sie auf unlautere Mittel setzten. Es war kein Beweis für die Würdigkeit dieses Kerls, wenn seine Göttin ihn verteidigte oder für ihn kämpfte. Er müsste eigenständig aktiv werden und…
      Ein breites Grinsen erschien auf Eshos Gesicht und seine Augen funkelten. Er schlug die Hände flach auf den Tisch und sprang vom Stuhl auf.
      „Nicht SIE muss im Kampf etwas beweisen! Lasst IHN direkt in einen Kampf gehen! Vor den Augen all seiner frisch gewonnenen Anhänger. Wir lassen nicht die Götter sich bekriegen und darüber entscheiden, ob der Kerl da ein Eviad sein soll oder nicht.“ Er zeigte auf Zoras, seine ganze Gestalt schien vor Ekstase zu vibrieren. „Er soll gegen mich in einem Duell antreten, ohne Hilfe seiner Göttin und ohne Asterios. Ohne den ganzen Scheiß drum herum. Ein Duell, Mann gegen Mann. Wie soll er würdig sein, wenn er gegen einen aus dem Rat bereits verliert? Außerdem haben wir die Chance, dass die Phönixin eingreift, sollte er fallen. Vielleicht ist sie ja schon so verklärt, dass sie sich auf einen Handel einlässt.“ Sein Grinsen bekam anzügliche Noten.

      Die Menge war mittlerweile nicht mehr so aufgebracht wie zuvor. Man hatte die Leiche abtransportiert und nur noch der Pegel normaler Unterhaltungen füllten die Luft auf dem Vorplatz. Kassandra hatte immer wieder Blicke zu dem Minotaur geworfen, der einfach wie eine Säule postiert dastand und wohl auf Anweisungen wartete. Sie hasste solch dümmliche Vertreter, die einfach nur dem niederen Drang folgten, Tod und Verderben über alle zu bringen. Mit ihnen konnte man nicht einmal ein Gespräch entwickeln.
      Immer wieder schickte sie ihre Aura aus und legte ihn über den Palast. Dionysus musste zumindest ihren Namen schon einmal gehört haben. Immerhin zählte er zu denjenigen, die sich immer köstlich darüber amüsiert hatten, wie sie auf Erden vor sich hinvegetierte. Wobei Kassandra nur allzu gerne wüsste, wie er sich hierher verirrt hatte. Hier unten hätte sie jedenfalls endlich die Gelegenheit, ihm für sein loses Mundwerk die Leviten zu lesen. Das musste nur nicht unbedingt jeder wissen.
    • Als der angesprochene Esho wieder sprach, wurde es kurz leise, als würde sich die Versammlung von seinen Worten beirren lassen, aber kurz darauf ging es schon wieder los.
      “Sei nicht so respektlos!” “Immun gegen alle Feuer?” “Das ist natürlich ungünstig.”
      Richtig.”
      Zoras selbst sah keinen Sinn darin, diese Tatsache zu leugnen. Esho schien es sowieso schon zu wissen.
      Auf der anderen Seite plusterte sich die Angesprochene in ihrem Stuhl auf.
      “Wen nennst du hier Waschweib!! Nimm das sofort wieder zurück, du respektloser kleiner -”
      “Oronia! Still”, knarrte der Alte neben ihr und was auch immer Oronia noch hatte sagen wollen, kam nicht mehr heraus. Aufgebracht warf sie sich zurück in ihre Lehne und strafte Esho stattdessen mit Blicken.
      “Wir können es sicher anders bewerkstelligen. Ein Unfall, die Tribüne kracht zusammen und Eviad genau darunter.”
      “Wir könnten auch -”
      Sie verstummten wieder, als Esho aufgeregt erneut sprach. Zoras wusste gleich, dass ihm dieser Ausdruck nicht gefiel, schon bevor der Mann sprach. Leider fand der Gedanke gefallen, als der Weinmann melodisch lachte.
      “Ja, wie lustig! Du gegen ihn, ein Kampf auf Leben und Tod. Der arme Asterios wird sich einen neuen Träger suchen müssen.”
      “Sei nicht so gehässig, Dionysus!” Zoras war überrascht, den Namen zu hören. “Aber recht hat er schon, Esho. Sieh ihn dir an, sieh dir diese Muskeln an. Irgendein Training hat er und das zur Genüge.”
      “Das sind aber keine Kampfnarben, zumindest nicht die auf der Brust. Und die am Bauch auch nicht. Die an der Schulter vielleicht.”
      “Nein. Die auf der Schulter kommt von einer Spirale.”
      “Von einer Spirale?”
      Dionysus bestätigte nickend und grinste Zoras dann an, dem es mit einem Mal fröstelte.
      “Er kann dir bestimmt erklären, wie das funktioniert.”
      Konnte er nicht. Zoras wusste, dass er es müsste, um seinen so offensichtlichen Schwachpunkt zu verschleiern, aber das konnte er nicht. Er präsentierte sich quasi auf dem Silbertablett.
      Nein.
      “Nein?”
      Dionysus trank von seinem Kelch. Dann stand er auf, schlenderte bequem um den Tisch herum und blieb neben Zoras stehen. Der Gott war ein bisschen größer, aber nicht viel.
      Zoras wappnete sich dagegen, was gleich kam, aber er war trotzdem unvorbereitet, als der Gott gegen Telandirs dunkle Narbe schnippte. Der Druck drang durch das verhärtete Gewebe und schmerzte nicht viel, aber der Schmerz entbrandete an einer Stelle, von der Zoras gleich übel wurde. Er zuckte und schluckte die Galle hinab, die ihm in den Mund schoss.
      Dionysus drehte sich zur Versammlung um, als hätte er gerade ein Kunststück vollbracht und lächelte.
      “Ich halte das für eine fabelhafte Idee. Der erste, der den anderen kampfunfähig macht, gewinnt. Im Zweifel bis zum Tod, für die zusätzliche Würze.”
      Zoras musterte Esho. Der Mann war jung, ganz eindeutig gesund und mit einem straffen Körper gesegnet. Er würde stark sein, zweifellos, aber ob er Zoras’ Kampferfahrung hatte? Ob er seine Stärke hatte? Zoras unterlag dem Glauben, dass Esho den Großteil seiner Zeit im Palast verbrachte. Zu wenig Training konnte Reflexe und Muskeln schwächen.
      Einverstanden.”
      “Du wurdest gar nicht gefragt.”
      Sowieso nicht.
      Dionysus schlenderte zurück zu seinem Platz und die ältere Frau nickte.
      “Dann ist das beschlossen. Jemand soll ihn zur Arena bringen und ihm eine Rüstung stellen.”
      Wird Kassandra mitkommen?
      “Natürlich. Asterios bringt sie sicher gerne, nicht wahr, Esho?”
      “Jemand muss außerdem den Leuten Bescheid geben, ich will hier keine Belagerung am Palast.”
      “Wie lange brauchst du zum Vorbereiten, Esho? Eine Stunde, zwei?”
      “Eine Kampfaufführung, wie schön”, trällerte Oronia. “Du wirst doch für Getränke sorgen, Dionysus?”
      “Aber selbstverständlich”, entgegnete der Gott des Weines feierlich. “Alles für eine gute Show.”

      So näherte sich einige Sekunden später eine stämmige, feste Aura dem Tor des Palastes und kurz darauf sprangen die Torflügel auf. Ein Riese von einem Zyklop kam herausgestampft, zwei große Schritte nur, bis er den Treppenabsatz erreicht hatte. Die Menge auf der Brücke wurde gleich unruhig, als er sein großes Auge blinzelnd nach oben richtete.
      “KAMPF. ENTSCHEIDET. EVIAD.”
      Seine Stimme donnerte über den Platz hinweg. Die wenigen Menschenwachen zuckten von der Lautstärke.
      “ARENA.”
      Mehr bekam das Volk nicht und mehr wollte es auch nicht. Aufgeregt schnatternd stoben die Menschen bereits in alle Richtungen davon.
      Der Zyklop senkte den Kopf, um ein träges Auge auf die Phönixin zu richten.
      Kassandra.”
      Er sprach ihren Namen in der Sprache der Götter aus. Dann machte er kehrt und schlurfte mit großen, langsamen Schritten wieder davon.
    • Esho ließ sich keineswegs von nur einem einzigen Kommentar verunsichern. Das listige Funkeln, das in seinen Augen lag, verglomm nicht ein kleines Bisschen während er weiterhin Zoras anstarrte, als hätte er die neue Liebe seines Lebens gefunden. Er ging nicht einmal auf die Sticheleien des Weingottes ein, der so manch einen sicherlich einen schnippischen Kommentar abverlangt hätte. Denn Esho war sich sicher, dass Asterion ganz bestimmt keinen neuen Träger gebrauchen würde. Mindestens zwei weitere aus dem Rat mussten mit absoluter Sicherheit wissen, dass dieser Träger nicht ohne Grund selbst in den Ring stieg anstelle seines Champions, der eindeutig für den Kampf ausgelegt war.
      „Ich hoffe doch, dass er ein Training erfahren hat“, setzte Esho nach und man hörte deutlich die Erwartung in dessen Stimme. Wüsste man es nicht besser, klang er schon nahezu lebensmüde, wenn er daraufsetzte, dass sein Gegner Kampferfahrung hatte. „Stimmt, die meisten sehen nicht nach Kampfnarben aus. Außer denen an seinen Armen, vielleicht.“
      Während der Träger selbst sinnierte, woher die Narben wohl stammen mochten, erleuchtete Dionysus die Menschen. Selbst Esho hob eine Augenbraue, als der Gott sich extra erhob, um sich dem Hochstapler zu nähern. Das Schnippsen, das eigentlich nicht viel bedeuten sollte, ließ den Mann zusammenfahren. Besonders viel Kraft hatte Dionysus nicht hineingelegt, das konnte Esho sehen. War es Angst, die den Kerl so reagieren ließ? Die Antwort bekam er auf dem Silbertablett kurz darauf serviert, mittels eines einzigen Wortes.
      Gier und Vorfreude färbten Eshos Augen umgehend dunkler.
      Zoras‘ und sein Blick trafen sich. Unverhohlen schien der Kerl ihn zu mustern, dann gab er sich einfach so zufrieden mit dem Vorschlag. Beinahe hätte Esho laut gejubelt. Wie dumm mussten die Anderen sein, ihm diese Chance durchgehen zu lassen?
      „Eine einzige“, verkündete er, richtete sich auf und rieb sich die Handgelenke. „Mehr wird nicht gebraucht.“

      Kassandra war herumgewirbelt und drauf und dran, den Stier beiseite zu fegen und den Palast zu stürmen. Sie hatte unmissverständlich den Schmerz, die Panik, von Zoras‘ Aura wahrnehmen können, auf die sie jederzeit gewartet hatte. Ihre Aura wallte bereits auf und Asterios schnaubte, schob sich zwischen sie und den Eingang, als einzige Bastion, die sie zu überwinden hatte. Gerade holte sie Luft und hob das Kinn, als sich eine andere solide Aura näherte. Kassandra hielt inne, als ein Zyklop erschien und sich durch den für ihn zu niedrigen Türbogen quetschte.
      Die Lautstärke, mit der er seine Kunde überbrachte, ließ Kassandra völlig kalt. Anders jedoch die Nachricht darin. Ein Kampf entschied also? War Zoras so schlau gewesen und hatte ausgehandelt, dass sie gegen einen oder gar mehrere der Champions in seinem Namen antreten sollte? Früher wäre sie darüber empört gewesen, doch das hatte sich mit der Zeit gewandelt. Nun war sie froh darüber, dass er so wortgewandt gewesen war und diesen Ausgang verhandeln konnte. Das war das Beste, was er hätte tun können. Ein wenig erleichtert erwiderte sie den Blick des einen Auges, nickte und folgte dann dem Weg, der sie zur Arena brachte.
      Ohne Zoras.

      Wie Kassandra es erwartet hatte, gab es Vorbereitungsräume zur Arena. Während oben die Bürger die Ränge der Arena besetzen mussten, durfte sich Zoras hier unten vorbereiten und, sehr zu Kassandras Gefallen, noch einmal mit ihr Rücksprache halten. Sie kam allein in den Raum, den sie beinahe gut gelaunt betrat, nur um noch im Türrahmen inne zu halten.
      Zoras stand im Raum. Mit Amartius und einer Rüstung ausgestattet.
      „Was tust du da?“, fragte sie ihn, ihre gute Laune wandelte sich binnen einer Sekunde in völliges Entsetzen. „Es wurde ein Kampf ausgehandelt. Ich dachte, du hast mich dafür vorgesehen.“
      Ihr Blick glitt über die Rüstung aus silbrigem Eisen, die ihm erstaunlich gut passte. In einer Ecke stand ein weiteres Schwert, das er wohl nicht nehmen würde. Mit entgeistertem Ausdruck im Gesicht kam Kassandra auf Zoras zu und fing sein Gesicht mit ihren Händen ein.
      „Gegen wen musst du antreten? Doch wohl nicht gegen einen der Champions! Das kannst du selbst mit dem Schwur nicht schaffen, wenn sich die Fähigkeiten noch nicht etabliert haben. Es ist zu früh!“
      Dort oben könnte sie nicht einfach so eingreifen. Dort wären ihr die Hände gebunden, wenn sie nicht all das, was Zoras sich bisher hatte aufbauen können, wieder zunichtemachen wollte. Sie wäre ein Zuschauer eines grausamen Spektakels, der darin gipfeln würde, dass sie die gesamte Stadt, ach was, den gesamten Landabschnitt von sämtlichen Landkarten strich. Wenn er fiel, fiel mit ihm ganz Kuluar. Und Theriss gleich mit.
    • Es wurde keine Zeit mehr vergeudet. Esho hatte eine Stunde verlangt und die war gerade mal dafür benötigt, dass die Stadt sich in der nahe gelegenen Arena einfinden konnte. Zoras bekam die besondere Ehre zuteil, von einem Ungetüm geführt zu werden, der kein Wort sprach und so große Schritte nahm, dass er fast laufen musste. Im Vorbereitungsraum überließ er ihn ein paar Bediensteten, die sich eifrig beeilten, seine Maße zu nehmen und ihn in eine Rüstung zu stecken. Ein Waffenstand mit Schwertern erwartete ihn, aber Zoras hätte nicht im Traum daran gedacht, nicht mit Amartius zu kämpfen.
      Er wärmte sich gerade auf, so gut es eben ging, als die Tür wieder aufging und Kassandra wie angewurzelt vor ihm stand. Eine ungemeine Erleichterung ergriff ihn, dass seine Phönixin wieder hier war. Nach all den Monaten zusammen hatte selbst ihre einstündige Abwesenheit einen Preis von ihm abverlangt, dessen er sich gar nicht bewusst gewesen war.
      Auf ihre Verwirrung hin schüttelte er den Kopf.
      Du warst auch erst dafür vorgesehen, aber nur um zu sterben, damit du keinen Ärger machst. Und es wurde auch gar nicht verhandelt. Du hättest dabei sein müssen, der Rat von Kuluar ist wie ein Kindergarten, der sich um ein Stück Kuchen streitet. Sie haben von Anfang an sehr unmissverständlich klargestellt, dass sie keinen Eviad zulassen werden und dass ich nur ein Druckmittel sein werde, um dich auszuschalten, nur um danach selbst daran glauben zu müssen. Das hier ist der beste Ausgang, den wir uns erhoffen können. Wir werden alle Zuschauer auf unserer Seite haben, ich muss nur gewinnen.
      Er schüttelte klappernd seine Arme aus. Die Rüstung war angenehm schwer und erdete ihn. Das Gewicht war so vertraut, dass es schon fast tröstlich wirkte. Wie lange hatte er schon keine Rüstung mehr getragen?
      Geprägt von unendlicher Sorge, die Zoras bei der Phönixin überraschte, kam sie zu ihm und legte die Hände an seine Wangen. Er verharrte in seinen Bewegungen und sah hinab in das Paar vertrauter roter Augen, die sein ganzes Gesicht musterten. Dort stand Angst um ihn geschrieben, die sie nicht verheimlichte. Es war auf gleichsame Weise tröstend und beunruhigend.
      Zu früh? Meinst du etwa, eines Tages könnte ich es?
      Er legte die Hände über ihre und zog sie sich vom Gesicht, nur um ihre Finger küssen zu können und sie festzuhalten.
      Es ist kein Champion, mach dir keine Sorgen. Es ist der Träger von Asterios. Er ist jung und sicher geübter im Duellieren als ich, aber ich habe mehr Erfahrung im Schwertkampf. Ich werde ihn gar nicht erst seine Tricks auspacken lassen.
      Er umfasste Kassandras Hände fester und sah sie eindringlich an.
      Das ist unsere Chance, einen fairen Sieg zu ergattern. Wenn wir vor einem hundertfachen Publikum gewinnen, haben sie gar keine andere Wahl, als den Titel anzuerkennen. Deswegen müssen wir auch damit rechnen, dass es nicht fair werden soll. Du musst dafür sorgen, dass die Champions und der restliche Rat sich nicht einmischen werden, okay? Das ist unsere einzige Chance. Wir müssen sie mit allen Mitteln ergreifen.
    • Sorge und Entsetzen wandelten sich erneut auf dem unwirklich schönen Gesicht und machten Platz Irritation. „Wie will eine winzige Ansammlung von Menschen darüber verfügen, ob ich aus dem Leben scheide oder nicht? Ich bin seit 500.000 Jahren auf dieser Erde und habe Situationen erlebt, wo ich tatsächlich nah am dahinscheiden gewesen war. Aber niemals, weil es eine Gruppe Menschen über meinen Kopf hinweg verfügt hat.“
      Ein spöttisches Schnalzen mit der Zunge ließ sich Kassandra dann doch nicht nehmen. Dass sich der Rat wie eine Ansammlung Kleinkinder aufführte, war genau in der Reichweite ihrer Berechnungen gewesen. Natürlich wollten sie ihre Macht nicht wieder abgeben, und dann setzte man eben alles daran potenzielle Störenfriede auszumerzen.
      Zoras legte seine Hände über die ihren und löste sie von seinem Gesicht. „Ja. Du könntest dich auf mentaler Ebene mit mir unterhalten wie ich es mit dir tat, kurz bevor du den Palast betreten hast.“ Er küsste ihre Finger, hielt sie eisern bei sich, als wolle er sie nie wieder gehen lassen. Eigentlich hätte es die Phönixin deutlich entspannter stimmen müssen, dass es nur ein Mensch war, gegen den Zoras antreten sollte. Aber es war ein Träger, und wenn sie es richtig einschätzte, dann war er alles andere als nicht kampferprobt. „Lass dich nicht von Äußerlichkeiten täuschen. Sein Champion ist ein Minotaure und als sein Träger erlangt er Fähigkeiten übermenschlichen Ausmaßes. Minotauren sind stark – es würde mich nicht wundern, wenn das ebenfalls auf seinen Träger zutrifft. Nutz deine schnelleren Reflexe, um tödlichen Streichen auszuweichen.“
      Das hatte rein gar nichts mit Tricksereien zu tun. In der Vergangenheit hatte Kassandra mindestens einmal einen Minotauren als Gegner vor sich gehabt, immer in wesentlich schwächeren Konditionen als jetzt, und sobald man sie von ihrer Magie getrennt hatte, war sie den Wesen nur noch dank ihrer Geschwindigkeit überlegen gewesen. Beim ersten Mal hatte sie es unterschätzt, wie stark sie waren, und hatte dafür mit einem Arm bezahlen müssen.
      „Gut. Dann erfülle ich oben meinen Teil und du unten deinen“, stimmte Kassandra zu, auch wenn sie das mulmige Gefühl in ihrem Inneren nicht abstreifen konnte.

      Die Phönixin durfte sich zu den oberen Rängen gesellen in einem abgetrennten Bereich, wo nur Ratsmitglieder und deren Gäste Platz nehmen durften. Die vier Menschen hatten auf ihren Plätzen Stellung bezogen wohingegen Kassandra direkt am Geländer stand, die Arme vor der Brust verschränkt und den Blick nach unten auf den Platz gesenkt. Sie hatte es Zoras nicht gesagt, aber sie liebte Arenen und Kolosseum. Die Rufe, die Stimmung und die Freiheit zu kämpfen wie man wollte, sprach etwas in ihrer Natur an. Dafür hatte sie nun jedoch keinen Kopf während sie ihre Aura um die gesamte Arena legte und jederzeit reagieren würde, wenn etwas aus dem Ruder lief. Sie würde als erstes die Champions töten und dann die Träger. Nacheinander, systematisch.
      Der Zyklop war selbstverständlich nicht hier, auch Asterios fehlte. Dafür lümmelten Dionysus, den sie mit Blicken strafte und der sich darüber köstlich amüsierte, sowie eine Wassernymphe und eine Gorgone neben ihren Trägern auf den Plätzen. Aha. Dann wäre damit geklärt, wer sie die ganze Zeit über beobachtet hatte.

      Unten auf dem Platz öffnete sich ein Tor und Esho schlenderte herein. Er trug deutlich weniger Rüstung als Zoras, die eher auf Flexibilität ausgerichtet war als vollflächigen Schutz. Er trug einen massiv geschmiedeten Brustpanzer, Oberschenkelplatten sowie Stahlkappenstiefel und beschlagene Handschuhe. Ein Helm fehlte ihm komplett. Mit großspurigen Schritten kam er auf Zoras in der Mitte des Platzes zumarschiert.
      „Ich hoffe, man hat dir einen ordentlichen Satz Rüstung gebracht“, grinste er schon von Weitem und die Menschlichkeit schien ihm mit jedem Schritt weiter abhanden zu kommen. „Ich freu mich schon wahnsinnig drauf, wenn deine hübsche Göttin um Gnade schreit. Hab gehört, Phönixe haben wunderschöne Stimmen. Die klingt im Bett bestimmt auch atemberaubend, was?“
    • Kassandra hatte es wohl nicht begriffen, doch Zoras klärte sie auch nicht auf. Hätte sie sich nicht freiwillig umbringen lassen, hätte man ihn umgebracht. Er wollte auch gar nicht wissen, wie ihre Entscheidung ausgefallen wäre.
      Die Information über Esho war dafür mehr als kostbar, denn mit Zoras’ therissischem Unwissen hatte er die Vorzüge eines minotaurischen Champions nicht bedacht. So wie er seine Immunität gegen Feuer und Gift genossen hatte, genoss Esho anderes. Deswegen war der Mann wohl so erpicht auf den Kampf gewesen; er rechnete fest damit, Zoras den Kopf einschlagen zu können.
      Zoras, dem sicher doppelt so alten ehemaligen Herzog, General, Heerführer. Der sich von einer Phönixin trainieren ließ und hauptberuflich Banditen köpfte. Der ein Schwert besaß, das mit keinem Stahl der Welt zu fertigen war.
      Ja, bis zur letzten Sekunde war er zuversichtlich. Die Chancen, dass Esho bekam, was er wollte, standen nicht sehr gut.
      Kassandra musste wieder gehen und schließlich öffnete sich die Tür in einen schwach beleuchteten Gang hinaus. Sogleich schwappte der Lärm einer vollbesetzten Arena herein, der nur noch lauter wurde, als Zoras sich dem Gatter näherte. Er wappnete sich, sammelte die Würde eines längst vergrabenen Herzogs ein und stählerte sich, als das Gatter sich nach oben hin öffnete.

      Oben auf dem abgegrenzten Bereich der Tribüne war der Lärm kaum auszuhalten, der nur weiter anschwoll, als die Gatter sich erhoben. Die Gorgone verzog angewidert das Gesicht, ihre Trägerin ähnlich, Dionysus hing dafür auf seinem Thron und grinste vergnügt. Er hatte die Phönixin mit einem trällernden “Kassandra” begrüßt und seitdem nicht mehr aus den Augen gelassen. Jetzt, als sie am Geländer Stellung bezog, hob er den Kopf in ihre Richtung.
      “Steh doch nicht so herum wie ein fressendes Huhn. Die Aufführung wird schon noch ein paar Minuten dauern. Komm her und setz dich, Vogel. Oder soll ich dir eine Stange bringen lassen?”
      Er grinste breiter, seine Trägerin, die einen ebenso großen Weinkelch in der Hand hielt, kicherte angeheitert und die Gorgone verdrehte die Augen. Der Träger des Zyklopen musterte Kassandra nachdenklich, während er sich wohl fragte, ob die Phönixin in ihrer anderen Form tatsächlich auf eine gewöhnliche Stange passte.

      Unten in der Mitte der Arena stand der Zyklop wie eine Statue. Er rührte sich nicht, als beide Männer heran kamen. Kaum war Zoras ins Tageslicht heraus getreten, erklang bereits Zeus’ Name, der sich über der Länge der Tribünen erhob. Mit einer einfachen Geste breitete er die Arme zu beiden Seiten aus und ließ sich feiern, erkannte die Stimmen an. Ein ganzes Jahr Arbeit steckten hinter der Lautstärke, die dadurch nur noch weiter anschwoll. Zoras hatte sicher die Hälfte der Zuschauermassen nur für sich.
      Esho wirkte unverfroren gelassen, wie er dort ohne Helm herein marschiert kam, während Zoras in voller Montur war. Seine Gesichtszüge waren entspannt und feierlich, wie zu einem besonders lustigen Anlass. Er trug auch ein Schwert und scherte sich überhaupt nicht um das Publikum. Stattdessen war er gleich mit Provokationen an Zoras interessiert, der sie an sich abprallen ließ. Der Junge wollte ihn ja nur reizen. Nur irritierte ihn, dass Kassandra nach Gnade schreien sollte, sie war doch schließlich nicht hier unten.
      Eure Mutter wäre enttäuscht von Euch, wenn sie Euch jetzt hören könnte”, gab er trocken zurück. Gedanklich streckte er sich nach Kassandras Farben aus, so wie sie ihn instruiert hatte.
      Er sagt etwas davon, dass du um Gnade schreist. Lass niemanden an dich ran.
      Vor ihm hob der Zyklop den Kopf zur Tribüne. Seine donnernde Stimme ließ Zoras' Ohren klingeln.
      “KAMPF… BIS… KAMPFUNFÄHIGKEIT. NACH… KULUARISCHEN… REGELN.”
      Kuluarische Regeln? Natürlich hatte ihn niemand über abweichende Duellregeln in Kenntnis gesetzt. Er schickte die Frage an Kassandra weiter.
      “ERSTER… KAMPFUNFÄHIGER… VERLIERT. ANDERER… GEWINNT.”
      Die Menge tobte. Zoras fasste das als Zeichen auf und stülpte sich den Helm über. Amartius zog er aus seinem Heft.

      Auf der Tribüne stieß die Nymphe einen anerkennenden Pfiff aus, als das Schwert zum Vorschein kam. Dann grinste sie fies, als ihr die Ähnlichkeiten der Auren in den Blick fielen.
      “Ach. Sag bloß, die große Kassandra hat sich niedergelassen - mit einem Menschen!”
      Die Träger kamen nicht ganz mit, aber die Gorgone grinste selbst abschätzig und Dionysus sah neugierig drein.
      “Willst du uns nicht die Geschichte erzählen, Vogel? Sie ist bestimmt spannend.”

      In der Arena stellten die Männer sich auf. Der Zyklop trat an den Rand zurück, verschwand aber nicht. Zoras fürchtete, dass er wenig Hilfe bieten würde. Er richtete Amartius gegen Esho und entschied sich für den ersten, einfachsten Vorstoß. Ein einfacher Test, um ein erstes Gefühl für den anderen Mann zu bekommen, um ihn kennenzulernen. Um einen seiner Schläge zu kosten.
    • Kassandra reagierte nicht auf die Sticheleien eines anderen Gottes. Vielmehr war sie damit beschäftigt, die Kontrahenten auf dem Platz unten ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Was halfen ihr hier oben Worte, wenn es Taten waren, die hier am meisten etwas bewegten? Jeder von ihnen spielte mit dem Feuer, im wahrsten Sinne des Wortes. Sollte sie auch nur in einer Sekunde die Kontrolle verlieren, ihre Beherrschung vergessen, dann stand hier mehr im Brand als nur ein paar Sitzplätze. Sie würde sich ganz ihrer Natur nach unten absetzen, ihre Flügel ausbreiten und alles, was sich ihr und Zoras näherte, in Asche verwandeln.
      Ihre Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, als sie spürte, wie Zoras ihre Verbindung aufrief. Sie spürte, wie er nach ihrer Aura suchte, wie er etliche von ihnen abtastete und schließlich den Weg gedanklich hoch zu ihr auf der Tribüne fand. Ihre Augen schmälerten sich leicht. Um Gnade schreien? Sie? Es gab nur einen Grund, warum sie….
      Es gibt nur einen Weg wie sie dafür sorgen können, dass ich nicht die gesamte Stadt niederbrenne.
      Das bedeutete, dass sie sich sicher waren, Zoras in die Knie zu zwingen. Wenn niemand eingriff und er tatsächlich das Duell verlor, dann gab es nichts, was ihn davor bewahren würde, den verfrühten Tod zu finden. Nichts außer der Phönixin auf der Tribüne und vielleicht dem aufgebrachten Volk, das bereits Zoras‘ Namen im Chor schrie. Allerdings musste sie auf die Frage hin nach den kuluarischen Duellregeln ebenfalls passen. Auch die kannte sie nicht.
      „Ach. Sag bloß, die große Kassandra hat sich niedergelassen – mit einem Menschen!“
      Die Stimme durchschnitt Kassandras Konzentration mit erstaunlicher Präzesion. Mit einer unglaublichen augenscheinlichen Gelassenheit drehte sich Kassandra um, hob das Kinn kaum merklich weiter an und richtete ihre rubinroten Augen auf die Nymphe. Im Gegensatz zu den Champions, die nur begrenzt auf ihre Fähigkeiten zugreifen konnte, war Kassandra auf einem gänzlich anderen Level. Weshalb sie auch keine Worte benutzt, sondern, ganz dem Motto Kuluars gleich, Taten sprechen ließ. Ihre Augen flammten auf, als sie auf ihre Magie zu griff und einen feurigen Pfeil direkt auf die Nymphe schoss. Er flog für das menschliche Auge unsichtbar und auch die Champions würden Schwierigkeiten haben, den unvorhergesehenen Angriff zu verfolgen. Mit einem zischenden Laut bohrte sich der Pfeil in den Oberschenkel der Nymphe, woraufhin das Wasser, das ihren Körper zum Teil bildete, schlagartig zu verdampfen begann. Flammen loderten unaufhörlich weiter auf, die roten, nicht die schwarzen. Dieses Feuer sparte sich Kassandra dafür auf, wenn sie wirklich Ernst machen musste.
      „Nimm den Platz ein, der dir gebührt und sprich mich erst an, wenn ich es dir gestatte“, herrschte Kassandra die Nymphe an und wandte sich erst anschließend ab, mit ihrer Bewegung verglühte auch langsam der flammende Pfeil.

      „Wie schön, dass meine Mutter längst unter der Erde ist“, gab Esho leichtfertig zurück und ließ Zoras den Vortritt, sein Schwert zu ziehen.
      Sofort lagen seine Augen auf der nachtschwarzen Klinge, die eindeutig wider menschlicher Schmiedekünste war. Er gab ein bewunderndes Geräusch von sich, offensichtlich nicht in Kenntnis darüber, wie solche Artefakte entstanden waren. Allerdings spürte auch er, dass dies keine gewöhnliche Klinge und somit nicht einfach zu zerbrechen war.
      „Wusstest du, was die kuluarischen Regeln sind?“, fragte er, nachdem er einen fragenden Ausdruck bei seinem Kontrahenten gesehen haben wollte. „Jeder Duellant hat unter anderem ein Wahlrecht. Tötet man seinen Kontrahenten nicht, fordert man einen Tribut von ihm ein, unabhängig des Grundes des Duells. Ich glaube, dass ich das Schwert da nicht haben können werde.“
      Esho zog sein eigenes Schwert; die Klinge war wohl geschliffen und deutlich kräftiger, als gewöhnliche Schwerter. Das war kein Einhandschwert, das war ein Breitschwert, das man nur beidhändig führen konnte. Doch Esho bewegte es so leichtfertig in der Luft, als würde es nichts wiegen. Seine Muskeln, die sich nun anspannten, zeichneten sich deutlich ab.
      „Ich will, dass deine Göttin mir hörig ist. Das wird sie bestimmt, wenn ich dich in die Knie zwinge.“
      Ein hungriger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht als er sich aufstellte, leicht schräg versetzt zu Zoras und eine makellose Ausgangspose demonstrierte. Keiner von ihnen verlor ein weiteres Wort, als sich Zoras für den Auftakt entschied und genau das tat, womit Esho gerechnet hatte. Er tat einen Vorstoß, den Esho mit einem Seitschritt und dem Querstellen seiner Klinge einfach von sich abfälschte. Seine Miene verrutschte nicht, als er die Bewegung nutze und sein Schwert mit der flachen Seite nach oben riss und damit gegen Amartius schlug.
      Es krachte, laut und deutlich, und jeder wusste, dass dieser Schlag ausgereicht hätte, um das Schwert seines Gegners entzwei zu brechen. Doch Amartius war nicht normal und hielt dem übermenschlichen Schlag stand. Dennoch wurden die Arme beider Männer nach oben gerissen, Zoras durch den Schwung und Esho wegen dem Fakt, dass das Schwert nicht gebrochen war. Sofort verstärkte er seinen Griff und ließ die Klinge von oben herab auf Zoras niedergehen. Mit einer Gewalt, die selbst Stahl spalten können würde.
    • Bis zur letzten Sekunde zeigte Oronia die Süßwassernymphe ein überhebliches Grinsen im Gesicht, mit dem sie die Phönixin absichtlich provozierte. Dann wandelte es sich mit einem Mal in unverhohlene Überraschung, als sich scheinbar aus dem Nichts ein brennender Pfeil in ihren Schenkel bohrte. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und auch der Alte neben ihr zuckte zurück. Auf der anderen Seite neben ihr lehnte sich die ältere Frau in die Richtung der Gorgone, die sich aber schon gar nicht mehr rührte. Auch Dionysus und dessen Trägerin blieben recht ungerührt, als Oronia laut kreischte und dann herumsprang, um die Flammen zu löschen. Es gelang ihr auch, aber nur durch Kassandras Barmherzigkeit. Als er verloschen war und sie sich den Pfeil herausgerissen hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als der Phönixin wortlose Morddrohungen an den ihr zugedrehten Hinterkopf zu werfen und sich tatsächlich wieder hinzusetzen. Ob sie aber der Forderung Folge leisten würde, war eine andere Frage. Der Alte war es, der es ihr wirklich aufzwingen konnte und der sich jetzt aber zu ihr beugte, um ihr zischend zuzuflüstern. Oronia ließ ihn nur reden und knirschte mit den Zähnen.
      Drei Plätze weiter kicherte Dionysus in seinen Kelch hinein.
      "Köstlich."
      Dann trank er, warf ein Bein über eine Armlehne und wippte vergnügt mit dem Fuß.

      "Wir haben noch nicht einmal angefangen. Werdet nicht überheblich mit Euren Wünschen."
      Zweierlei Dinge beunruhigten Zoras, die er schnell abzuhaken versuchte: Zum einen gab es sicher mehr als diese eine Regel, die ihm nun vorenthalten wurden. Es konnte zu seinem Nachteil sein, einen Regelverstoß zu begehen, auch wenn es hieß, dass Kampfunfähigkeit den Sieger entscheiden würde. Schließlich musste es einen Grund geben, dass das Ungetüm von einem Zyklop dort unten in der Arena stand und nicht wie die anderen oben saß.
      Die zweite Sache war recht offensichtlich, als Esho auch sein Schwert zog. So wie Zoras' Klinge war auch die des Ratsmitglieds nicht ganz normal, aber das lag viel weniger am Stahl und vielmehr, wie er seine Waffe hielt. Die wenige Rüstung offenbarte einen klaren Blick auf gewöhnlich wirkende Muskeln, die sich strafften, dafür aber das gesamte Breitschwert einhändig wie ein Langschwert führten. Der Nachteil eines Breitschwerts lag in seiner Trägheit und der Unhandlichkeit.
      Esho dezimierte diese Nachteile durch seinen Champion. Übrig blieb ein Langschwert mit doppelter Parrierfläche, größerer Reichweite, mehr Schwung und mehr Schlagkraft. Alles, was Zoras dagegen halten konnte, war nur ein Langschwert - zu seinem Glück ein unkaputtbares. Hätte er eines der Schwerter genommen, die ihm angeboten worden waren, wäre dieser Kampf hier schon entschieden gewesen.
      Umso schneller wagte er seinen Vorstoß, denn er dachte nicht, dass es dem anderen an Ausdauer fehlen würde. Mit seiner Kraft würde er vermutlich stundenlang sein Breitschwert schwingen können und da konnte Zoras nicht mithalten. Auf dem Schlachtfeld vielleicht, wo er sich zurückziehen und verschnaufen konnte, in einem Duell aber nicht. In diesem Duell musste er alles auf seine Kampferfahrung setzen.
      Sein erster Schlag kam damit leicht und ohne große Trickserei. Er tat einen standardmäßigen Ausfallschritt und stieß die Klinge nach vorne. Esho konterte mit einem genauso leichtfertigen Ausweichschritt und schlug die flache Seite seines Schwertes nach vorne. Zoras schluckte den Köder absichtlich und parrierte.
      Der Stahl krachte und selbst mit dem besten Griff an der Klinge fuhr Zoras der Aufprall als Druckwelle durch den gesamten Arm. Er wurde zurückgeworfen und unternahm gleich einen Ausfallschritt, weil ihn die Wucht, so sehr er sie erwartet hatte, trotzdem noch überraschte. Beinahe hätte er Amartius verloren, da war es nur ein geringer Lichtblick, dass der Stahl tatsächlich gehalten hatte. Dabei war das nur ein Aufwärtshieb gewesen, einen richtigen Schlag würde er so nicht parrieren können. Er wollte nicht das Risiko eingehen, es zu versuchen.
      Der richtige Schlag kam aber nur kurz darauf, als Esho gleich nachrückte und den entstandenen Schwung zu seinem Vorteil nutzte. Er wusste schon ganz genau, wie er das für ihn leichte Breitschwert nutzen musste. Zu Zoras' Nachteil wusste er es.
      Den Schlag hätte Zoras in einem normalen Gefecht parriert, weil er noch keinen Schwerpunkt gefunden hatte, um sich außer Reichweite zu drehen, aber er durfte nicht parrieren, unter keinen Umständen. Er würde sich den Arm brechen. Trotzdem ergriff er Amartius mit beiden Händen und begegnete der Klinge, beugte die Knie und neigte die Waffe. Stahl krachte aufeinander, kreischte lärmend und ohrenbetäubend, als das Breitschwert an Amartius zur Seite abgelenkt wurde, aber nicht viel. Die schiere Kraft drückte Amartius hinab und hätte Zoras beinahe entwaffnet, wenn er sich nicht rechtzeitig nach hinten gedreht hätte. Die Muskeln beider seiner Arme strengten sich bis zum Anschlag an, um dem Druck entgegen zu halten. Das Breitschwert glitt von Amartius ab und krachte auf den Boden, nur wenige Zentimeter von Zoras' Fuß entfernt. Er hatte keine Gelegenheit dazu, den Göttern dafür zu danken. Stattdessen versuchte er den kurzen Moment auszunutzen und wechselte sogleich in einen ernstgemeinten Kampf über. Das war nun kein Ausprobieren, kein Austesten mehr, diesmal meinte er es ernst. Er würde Esho das präsentieren, was therissische Kampfkunst für ihn bereit hielt.
      Er stieß nach vorne, täuschte einen unausweichlichen Seitenhieb an auf die dem Breitschwert abgewandte Seite, wohlwissend, dass Esho ihn niemals soweit kommen lassen würde. Der Mann schwang gleich sein Breitschwert, ungetrübt über die sonst träge Geschwindigkeit, aber Zoras hatte sein Gewicht schon verlagert und riss sich zur Seite. Er wich leichtfüßig der rasenden Klinge aus, überbrückte die eine Sekunde, in der nach Annahme hätte zuschlagen müssen, und ließ stattdessen seine Waffe in die Lücke unter dem Breitschwert fahren. Genau auf die Seite, die Esho jetzt für seine geschützte halten müsste.
    • Den Abwärtsschlag, den er mit voller Kraft ausführte und damit ausgenutzt hätte, sollte Zoras den Fehler begehen und ihm direkt begegnen, kam vorhersehbar. Seine Antwort auf das Abtasten seines Kontrahenten. Es kreischte erneut, als Stahl auf Stahl traf und Zoras allen Ernstes versuchte, zumindest ein wenig den Schlag abzulenken. Die Klinge, die in den Boden einfuhr, steckte tief im festen Grund. Doch Esho zog sie blitzschnell wieder heraus, Dreckbrocken flogen durch die Luft, als er sich direkt auf den Tanz einließ, den Zoras nun eröffnete. Binnen eines Wimpernschlages hatte er erkannte, dass der Hochstapler nun ernstmachte und weg von seinem Abtasten war. Offensichtlich, weil der deutlich jüngere Ratsherr den Vorteil der Ausdauer haben musste. Er sah den Angriff kommen und reagierte dementsprechend, indem er sein massives Breitschwert schwang. Dabei hatte er nicht auf Zoras‘ Stand geachtet und musste dabei zusehen, wie der ältere Mann zur Seite wegtauchte. Reflexe, die die eines Sterblichen überstiegen. Eshos Miene verzog sich in eine Grimasse der wilden Freude. Wie lange hatte er darauf gewartet, einen ordentlichen Gegner vorgesetzt zu bekommen?! Hier hatte er ihn endlich!
      Manch einer hätte mit Schrecken bemerkt, dass Zoras‘ Angriff nun eine empfindliche Stelle hätte treffen können. Jeder andere Duellant, der nicht die Erfahrung hatte oder den Bonus, mit einem Gott verbunden zu sein, hätte nun einen heftigen Schlag kassiert. Wie in Zeitlupe glitt die schwarze schlanke Klinge unter dem Breitschwert hindurch geradewegs auf Eshos Flanke zu. Das Grinsen in Eshos Gesicht wurde noch breiter, teilte beinahe das Gesicht und dann…
      Ließ Esho einfach sein Schwert los.
      Das Breitschwert, deutlich schwerer als jedes andere Schwert, fiel auf Zoras‘ Schwertarm. Das reine Gewicht verfälschte den Hieb so sehr, dass Amartius leicht nach oben abdriftete. Innerhalb eines weiteren Wimpernschlages war Esho einfach verschwunden. Ein kleiner Blick nach unten erklärte, wo der Mann hin verschwunden war. Er hatte sich fallen lassen, kaum hatte er das Schwert losgelassen. Sofort stützte er sich mit einer Hand am Boden ab, stellte ein Bein aus und drehte sich mit aufgestelltem Fuß. Seine Stahlkappenstiefel erwischten Zoras‘ Beine und zogen sie dem Möchtegern-Eviad unter dem Körper weg.

      Kassandra fasste nach dem Geländer. Ihre Lippen waren nur noch ein schmaler Strich als sie dabei zusah, wie Esho Zoras die Beine wegzog und sofort nachsetzte. Ein Raunen ging durch die Ränge der Zuschauer, als Zoras auf den Rücken fiel und Esho sofort auf ihm war. Das Breitschwert lag vergessen auf dem Boden, als das Ratsmitglied sich schon auf Zoras gestürzt und sein Knie auf den Ellbogen seiner Schwerthand presste. Das war kein einfacher Schwertkampf mehr. Ein ordentlicher Duellant ließ nicht von seiner Waffe ab, außer es gab gar keinen anderen Weg.
      Esho ballte die gepanzerte Handschuhfaust.
      Er hatte nicht eine Sekunde vorgehabt, nur auf den Vorteil seiner Waffe zu setzen.
      Das Geländer unter ihrem Griff knarzte bedrohlich. Wer konnte schon sagen, ob ein einziger Schlag, gut platziert von diesem Monstrum schon ausreichte, um Zoras beträchtlich zu zusetzen? Zoras durfte nicht verlieren. Wenn er aufhörte, sich zu wehren, war es vorbei. Er musste sich wehren. Er würde sich wehren.
      „Lass die vier Jahre nicht umsonst gewesen sein…“, hauchte Kassandra.
    • Hätte Zoras ein Fünkchen Aufmerksamkeit übrig gehabt, um sich auch anderen Dingen zuzuwenden, hätte ihn das plötzliche Grinsen des Mannes sicher irritiert. Es war so Fehl am Platz, so plötzlich, dass es gar keinen anderen Effekt hatte, als völlig furchteinflößend zu sein. Aber Zoras konzentrierte sich ganz und gar auf ihre beiden Körper, sodass ihm die Grimasse entging.
      Das Breitschwert schnitt aus seinem Augenwinkel heraus mit einem Mal einen völlig unnatürlichen Winkel an. Er hatte das Schwert beobachtet, den Schwung kalkuliert und wusste, dass er mindestens noch eine weitere Sekunde hatte, bis das Schwert ihn in einem Rückwärtshieb erreicht hätte. Aber es war jetzt schon da, unvorbereitet, und drückte ungeahnt auf seinen Schwertarm herab. Amartius verzog sich und die Klinge verfehlte. Zoras brach den Angriff ab und zog die Klinge in einer defensiven Haltung gleich wieder zu sich.
      Esho hatte seine Waffe losgelassen. Diese Entdeckung war dermaßen verwirrend, dass es ihn schon gar nicht mehr wunderte, dass der Mann nun auch verschwunden war. Es schien auf makabre Weise zusammenzupassen - er hatte seine Waffe losgelassen und war nun weg. Für den Armeesoldaten, der Zoras nun einmal war, passten diese beiden Dinge perfekt zusammen. Etwas anderes hätte gar keinen Sinn gemacht.
      Das Breitschwert fiel zu Boden und gleichermaßen wurden Zoras' Beine mit einem Mal weggerissen. Er schlug scheppernd auf dem Boden auf, geistesanwesend genug, um Amartius bei sich zu behalten, als sich schon ein Gewicht auf ihn warf. Die Waffe war jetzt unnütz, als ein scharfes Knie seinen Ellbogen unnachgiebig auf den Boden presste, stark genug, dass er ihn nicht befreien konnte. Durch das Visier seines Helmes konnte er sehen, wie der andere zum Schlag ausholte.
      Ein Faustschlag mit einer Kraft, die ein ganzes Breitschwert leichtfertig schwingen konnte, war stark genug, um ihm nicht nur den Kiefer, sondern gleich den ganzen Schädel zu brechen. Da würde ihm der Helm auch nichts nützen, denn der Stahl war nachgiebig und weich, nicht so verhärtet wie eine Brustplatte. So wenig wie er das andere Schwert parrieren durfte, durfte er einen Schlag ins Gesicht kassieren. Diese Erkenntnis kam im selben Bruchteil einer Sekunde, in dem er seine Möglichkeiten kalkulierte.
      Zoras stellte die Beine auf. Er angelte mit der freien Hand nach oben, die der andere sofort abfing. Aber darauf hatte er gesetzt. Er hielt sich selbst an ihm fest, zerrte den Arm in Richtung des Schlages und stemmte gleichermaßen mit den Beinen in die andere Richtung. Er wollte ihn von sich befördern und den wackeligen Halt zum Boden auf seinem Ellbogen ausnutzen. Es gelang ihm auch, aber nur, weil Zoras Kavallerist war. Seine Beine waren mehr Training gewöhnt als der Rest seines Körpers.
      Er stemmte den ausgewachsenen Mann mitsamt seiner Rüstung ein Stück in die Höhe und warf sich dann herum, um ihn um seinen Halt zu bringen. Der Schlag kam trotzdem, traf ihn aber nicht mehr am Kopf, sondern an der Schulter. Das Schulterstück verteilte den Aufschlag sehr zuverlässig auf die Gesamtheit seiner Schulter und bestätigte ihm gleichermaßen, was er schon geahnt hatte: Esho durfte ihn keinesfalls am Kopf treffen. Ein feuriger Schmerz entflammte in seiner Schulter und brachte unangenehme Hitze mit sich.
      Der andere fiel selbst auf den Rücken, war aber schnell genug, sich gar nicht erst von Zoras einfangen zu lassen. Hier wurde klar, dass er Duelle und Faustkämpfe schon gewöhnt war. Von einem einfachen Sturz ließ er sich nicht beirren.
      Aber Zoras hatte Amartius noch, der andere nicht. Er biss die Zähne zusammen und jagte ihm die Klinge gleich in einem Seitenhieb nach. So schnell würde auch Zoras sich nicht geschlagen geben. Solange er sich noch bewegen und atmen konnte, würde er versuchen, dem anderen Amartius durchs Herz zu rammen.
    • Eshos Schwerpunkt ruckte nach vorn, als Zoras seine Beine aufstellte. Da bröckelte das wilde Grinsen im Gesicht des Mannes marginal, der nicht wusste, dass Zoras einst Kavallerist gewesen war. Folglich hatte er seine Beinkraft unterschätzt und zahlte nun den Preis dafür. Mit seiner rechten Hand fing er die freie Hand seines Kontrahenten ab, der sich daraufhin an ihm festhielt, als hinge sein Leben davon ab. Was es buchstäblich auch tat, denn träfe der Schlag frontal das Visier, würde Esho ihm den Helm samt Schädel einschlagen. So viel Kraft hatte er hineingelegt.
      Dann verlor er plötzlich den Boden unter sich. Er schaffte nicht einmal mehr einen Ausruf, als Zoras ihn vom Grund hob und von sich beförderte. Allerdings war der Schlag schon in der Ausführung gewesen und was eigentlich sein Kopf hätte werden sollen, wurde zur Schulter. Unter seiner Faust spürte Esho, wie sich der Stahl verformte und in die Schulter seines Gegners eindrückte. Der Schlag musste auch so gesessen haben, dass er seine Schulter nicht mehr einwandfrei bewegen können dürfte. Außer, man hatte ihm die bessere Rüstung gegeben. Was Esho natürlich nicht veranlasst hatte.
      Für einen kurzen Augenblick sah Esho den blauen Himmel über sich. Dann blinzelte er und rollte geistesgegenwärtig von Zoras weg, um sich sofort wieder auf die Beine zu kämpfen. Er brachte mit seiner Rolle genug Abstand zwischen sie beide, damit Zoras ihn nicht direkt zu fassen bekam. Er holte gerade einen Zug Luft, da sah schon etwas Schwarzes durch die Luft sausen. Der Kerl war ihm doch tatsächlich direkt hinterher gestürzt und wollte ihm keine Gelegenheit lassen, sich zu sammeln. Das Grinsen schwächte etwas ab als er feststellte, dass sein Schwert doch noch ein ganzes Stück von ihm entfernt am Boden lag und er mit einem einfachen Ausfallschritt nur riskierte, dass Zoras ihm direkt nachstach.
      Also wich Esho nicht gänzlich aus.
      Er vertraute dem soliden Schmiedewerk seiner Leute und dass seine Oberarmplattierung einem Streich standhalten würden. Ganz bewusst ging er ein wenig in die Knie und drehte sich ein, damit die schwarze Klinge seinen Oberarm treffen würde. Zeitgleich mit dem Aufschlag drehte er sich weiter, lenkte mit einem grausigen Geräusch die Klinge ab und stieß sich anschließend mit den Füßen nach vorn ab. Er rammte seine Schulter gegen Zoras Torso und stieß ihn so von sich fort. Die gewonnene Distanz nutzte er, um zu seinem Schwert zu rennen, es vom Boden aufzusammeln und sich neu zu formieren.
      Gerade richtete Esho sich neu aus, als ein Jubel durch die Ränge ging. Irritation schlich sich in seine Mimik. Es war doch nichts passiert? Wieso jubelte das Volk, wenn ER doch klar die Oberhand hatte?
      Die Erklärung lief heiß seinen Schwertarm hinab. Dunkelrot, so rot wie Kassandras Augen oben auf dem höchsten Rang, tropfte es von seinem Ellbogen auf den hellbraunen Boden der Arena. Völlig irritiert folgte er der Blutung, hoch bis zu seiner Schulter, wo ihn schneidendes Entsetzen traf. Aus der Platte an seinem Oberarm war sauber eine Scheibe abgetrennt worden, ein dünnes Stück seines Oberarmes gleich mit. Mit geweiteten Augen richtete er seinen Blick wieder auf Zoras, dann auf das Schwert.
      „Was ist das für ein Schwert?“, fragte Esho, der keine Scheu zeigte, sondern eher eine Spur Wahnsinn, die sich in seinem Blick manifestierte. Er packte sein Schwert kräftiger, veränderte seine Haltung ein weiteres Mal. Auch er hörte jetzt mit den Spielchen auf.
    • Zoras gewann die Oberhand. Durch die Verkettung eines Überraschungsmoments, Amartius’ Göttlichkeit und reinem Glück, konnte er einen Treffer einfordern. Esho verblieb durch Unglück waffenlos, kam auch nicht an Zoras vorbei, um das zu ändern, und der ehemalige Heerführer ließ ihm auch nicht genug Zeit, um eine Alternative zu finden. Er sprintete gleich vor, wechselte auf ungeschützte Offensive und trieb Amartius mit Schwung nach vorne.
      Das Gefühl von reißendem Stahl unter seiner Klinge bescherte ihm einen Moment des Hochgefühls. Es gab Widerstand und es schepperte laut, aber Amartius blieb nirgends hängen, sondern riss die Platte einfach auf. Zoras sah es nicht, aber er wusste es. Ein abgeblockter Angriff, so wie Esho es geplant hatte, hätte sich anders angefühlt.
      Das Rumoren der Menge war seine Bestätigung, die ihm aber jetzt auch nichts brachte. Er musste schleunigst dafür sorgen, dass er den Vorteil nicht wieder verlor. Mit seiner gewonnenen Oberhand musste er so schnell wie möglich Druck ausüben.
      Er riss Amartius in einem kühnen Manöver gleich wieder in die andere Richtung, aber da kam Esho ihm plötzlich schon entgegen geschossen. Auch die besten Reflexe der Welt hätten ihn auf solch kurze Distanz nicht davor bewahrt, mit dem Mann zusammenzukrachen, der ihm ganz bewusst die Schulter in die Brust rammte. Es musste ein halber Verzweiflungsakt gewesen sein, denn dahinter steckte nicht annähernd so viel Kraft, wie er vermutlich hätte aufbringen können, aber den Kontakt spürte Zoras trotzdem. Telandirs Narbe begann zu brennen, als wollte sie ihn an sein letztes Versagen erinnern.
      Zoras versuchte, sich schnell abzufangen und dem Mann gleich nachzuhechten, da hatte der andere schon seine Waffe erreicht. Oberhand verloren - oder noch nicht? Zoras nutzte den kleinen Moment, in dem Esho wohl seinen malträtierten Arm entdeckte, um seine Schultern kreisen zu lassen. Seine linke Schulter schmerzte, wenn auch eher dumpf. Kein Bruch, nichts lebensbedrohliches. Das Adrenalin verdrängte den Schmerz nach hinten.
      Sein Kontrahent hatte dafür, lang und deutlich sichtbar, eine dunkelrote Blutspur. Zoras hatte auch ihn an der Schulter getroffen, aber wenn er darauf gehofft hatte, dass der Treffer den anderen behindern könnte, hatte er sich mächtig geirrt. In den wilden Augen seines Gegenüber stand mit einem Mal ein Wahnsinn geschrieben, der nichts Gutes verhieß. Zoras behielt keine Wahnsinnigen in seiner Armee, so gut sie noch sein mögen. Der Grund dafür würde sich ihm wohl jeden Moment entgegenstellen, wie er fürchtete.
      Ein Geschenk”, antwortete er schroff und schoss gleich wieder auf Esho zu. Er durfte seine Konzentration nicht verlieren und musste Druck aufbauen. Der jüngere Mann hatte einen Treffer erlitten und blutete. Er musste sich diese Schwächen gleich zunutze machen, bevor der andere sich etwas einfallen ließ, um sie auszumerzen.
      Zoras’ Schläge wurden härter, präziser. Er sparte nicht an Kraft ein, so wie er es auf dem Schlachtfeld hätte tun müssen, um länger zu kämpfen, sondern er kanalisierte seine gesamte Energie auf das Hier und Jetzt. Anstatt zu parrieren, verrichtete er Beinarbeit, die sogar seinen Muskeln zusetzten. Er flog vor dem Breitschwert regelrecht davon, bedrängte Esho von der Seite, täuschte vor, manövrierte in die andere Richtung, verwirrte ihn, zerschnitt mit Amartius die Luft, wo der Mann eben noch gewesen war. Er zielte auf seine offensichtlich verletzte Seite. Er zielte auf seine Beine. Er zielte auf seinen Schwertarm. Er nutzte das ganze Arsenal, das ihm zur Verfügung stand.
      Aber die Oberhand konnte er trotz allem nicht halten.

      Auf der Tribüne beim Rat war es still geworden. Dionysus’ Trägerin reckte den Hals um besser sehen zu können und die Trägerin der Gorgone flüsterte ihr angeregt zu. Nur Dionysus verblieb angeheitert und erfreut, als hätte er es gar nicht erst erwartet.
      Schließlich beugte sich die ältere Frau auch zum Alten.
      “Er wird es doch schaffen, oder?”
      Der Alte winkte ab.
      “Er hat doch kaum richtig angefangen. Jetzt legt er gleich los und dann wird auch ein Schnitt ihn nicht aufhalten.”
    • Was auch immer Zoras bei Esho gesehen haben mochte, es konnte nicht das Gleiche sein, was Kassandra feststellte, kaum hatte Esho seine Verletzung bemerkt. Was danach aussah, als würde er einfach nur seinen Stand ändern und nicht mehr länger locker kämpfen, war ein massiver Anstieg seiner Aura. Nur Kassandra sah, wie er seine Verbindung zu Asterios kanalisierte und die Kraft, die er von ihm erhielt, ins Unermessliche zu steigern versuchte. Jetzt war es egal, ob Zoras den nächsten Schlag parierte oder abfälschte – so viel Kraft konnte er nicht mehr ablenken.

      Esho schien sich erst einmal neu finden zu müssen. Seine Eleganz, die er bis dato an den Tag gelegt hatte, war merklich eingebüßt und mehrere Male entkam er einem schwarzen Streich knapper, als gut für ihn war. Es war nicht seine Haut, seine Kleidung, die nach einer Weile Schnitte aufwies, sondern seine ganze Rüstung. So wie Zoras keinen direkten Treffer einstecken durfte, galt das auch andersherum. Diese Waffe, die der Hochstapler da führte, war mit Sicherheit unbezahlbar und eine zweite Sache gesellte sich auf die Liste der Dinge, die er von ihm haben wollte.
      Bewusst zog Esho das Duell in die Länge. Er wusste, dass seine Kondition besser war, allein der Tatsache geschuldet, dass er mit seinem Minotauren in Verbindung stand. Er wartete einzig und allein auf einen Moment, eine Sekunde, in der er richtig ansetzen konnte und alles mit einem Schlag beenden konnte. Dass der Boden um sie herum besprenkelt war durch sein Blut kümmerte ihn nicht. Er hatte die Augen eins getriebenen Tieres, das darauf wartete, zuschlagen zu können.
      Der Moment kam, als eines von Zoras‘ Knien der Belastung nicht mehr gänzlich nachkam. Er verlor kaum merklich seinen Stand, aber das genügte Esho um Längen. Er tauchte unter dem Stich, den Zoras ihm nachgesetzt hatte, hindurch, riskierte dabei, dass er seine Schulter streifte und packte mit beiden Händen sein Breitschwert. Dann stieß er es nach vorn, sein Körper direkt hinterher, und die Spitze des Breitschwerts traf auf Zoras‘ Brustpanzer.

      Kassandras Herzschlag setzte aus. Das grässliche Knallen kam später, als dass Zoras ein paar Meter zurück und durch die Luft gestoßen wurde. Eshos Angriff hatte gesessen und mit einer Urgewalt den Kontrahenten von sich befördert. Der Therisser blieb auf dem Rücken liegen, sodass Kassandra sehen konnte, dass sein Brustpanzer massiv eingedrückt worden war. Dort, wo die Spitze getroffen haben musste, war ein kleines Loch zu sehen, also hatte er ihn nicht durchstoßen.
      Das war gut. Er hatte ihn nicht aufgespießt. Das war gut.
      Nicht gut war, dass er sich nicht sofort bewegte. Die Menge war erneut in ein Raunen verfallen, einzelne Rufe drängten den Eviad dazu, wieder aufzustehen. Kassandras Blick wurde hart, ihre Aura sammelte sich. Ihre Finger brachen das Material, aus dem das Geländer gefertigt worden war, wie Kekse entzwei, während sie sich immer stärker davon abhalten musste, dem Ganzen ein Ende zu setzen.

      Esho stieß einen langen Atemzug aus ehe er sich locker aufrichtete und die Schultern kreisen ließ. Er hatte sichtlich mehr Blessuren einstecken müssen als beabsichtigt, aber das war egal. Das Brennen, der Schmerz, das Pochen, waren allesamt Beweise dafür, dass er noch lebte. Dass er den Zweikampf gewonnen und seinen Standpunkt deutlich gemacht hatte. Mit lässigen Schritten kam er auf Zoras zu, der sich immerhin langsam am Boden regte.
      „Ich sagte ja, du wirst gleich deine Göttin da schreien hören“, lachte er und besah sich sein Werk, als er nah genug dran stand. Noch immer hielt der Kerl sein Schwert fest in seiner Hand. Abfällig schnaubte Esho, als er mit dem Fuß ausholte und Zoras Amartius aus der Hand trat. Nicht mit so viel Kraft wie er in seine Schläge gesteckt hatte, aber merklich zu viel.
      Er beging nicht den Fehler und hockte sich neben seinen Feind. Auch ließ er seine Aufmerksamkeit nicht eine Sekunde lang abschwächen. Dafür hatte er schon zu viele Duelle bestritten. „Was meinst du, macht deine Göttin, wenn ich dich der Himmelspforte nahe führe, hm? Meinst du, sie wäre bereit, etwas für dein Leben anzubieten? Ich verschone dich, wenn sie in meine Dienste tritt. Sämtliche Dienst“, grinste er mit einem wölfischem Ausdruck auf dem Gesicht, als er nach Zoras‘ Flanke trat.
    • Der Kampf dauerte lange, lang genug, dass Zoras bereits ins Schwitzen kam. Er konnte seine Leistung nicht noch länger aufrechterhalten, seine Muskeln schrien nach Pause und sein Körper verlangte Wasser. Er wollte sich eine Reihe zurückziehen und Atem fassen, bevor er sich wieder an die Front begab.
      Aber hier gab es nur ihn und Esho, der sich auch von leichten Treffern kein bisschen abbringen ließ. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er gesagt, der Mann spielte mit ihm. Er hielt sich zurück und wartete nur darauf, dass Zoras ihm in die Hände spielte.
      Und das tat er auch unweigerlich, als er irgendwann wieder eine Stufe zurückschalten musste. Seine Schläge wurden leichter und seine Beinarbeit wurde nachlässig. Immerhin hatten sie bisher lange genug gekämpft, dass er glaubte, sich auf die Schnelligkeit des Breitschwerts eingestellt zu haben.
      Eshos Ausweichmanöver kam daher gänzlich unerwartet. Zoras reagierte, aber Amartius war schon in vollem Momentum, als der andere eine andere Richtung einschlug und plötzlich auf ihn zugestoßen kam. Er sah das Breitschwert kommen, es hielt wie verlangsamt auf ihn zu, aber sein Körper war gelähmt, um rechtzeitig zu reagieren. Alles, was er tun konnte, war ein Stoßgebet an den Olymp zu schicken.
      An seiner Brust explodierte es und die Welt wurde für viele Sekunden auf den Kopf gestellt. Zuerst kam das Adrenalin, der Schreck darüber, keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben, als die Wucht des Schlages alleine Zoras’ Körper wie eine Puppe durch die Luft beförderte. Da konnte die Rüstung auch nichts aufhalten. Erst danach entflammte ein Inferno in seiner Brust, das ihm durch die Muskeln schnitt. Telandirs Narbe ging in einer gleißenden Höllenqual auf, die ihm den Verstand vernebelte. Er glaubte, dass das Schwert ihn durchbohrt haben musste, anders war es nicht zu erklären. Die Narbe brannte und tobte, als würde der Phönix mit seinen gewaltigen Klauen drauf eindreschen.
      Zoras schlug unversehens auf dem Boden auf und rollte scheppernd einen guten Meter weiter, bis die Rüstung sein Momentum versperrte. Die Welt drehte sich und wo vorher noch oben und unten, links und rechts gewesen war, war jetzt nur noch Schmerz in seiner Brust, der ihm die Luft abschnürte. Er konnte nicht atmen. Er konnte nicht atmen. Seine Lungen blähten sich auf, aber sein Brustkorb stieß auf Widerstand. Die eng angelegte Brustplatte war eingedrückt, übte einen konstanten Druck auf seinen Oberkörper aus. Sie drückte auf Telandirs Narbe ein. Ihm war speiübel davon.
      Die Welt kam nach und nach zu ihm zurück, ein blauer Himmel, Geräusche, die erst weit entfernt waren, aber dann näherkamen. Bis er begriffen hatte, dass er durch den Bauch atmen musste, sah er Esho schon auf sich zukommen. Er wusste, dass er weitermachen musste. Er wusste, dass er dieses dämliche Grinsen aus seinem Gesicht wischen musste.
      Ächzend rollte er sich auf die Seite, stöhnend unter der Qual, die Telandirs Narbe ihm bereitete, aber bis auf den Ellbogen kam er gar nicht, da trat der andere ihm Amartius aus der Hand. Ein scharfer Schmerz zuckte ihm durch den Handballen und breitete sich bis ins Handgelenk aus. Zoras fiel wieder, aber der neue Schmerz verdrängte Telandirs Schmerz. Das war ein normaler Schmerz, einer, mit dem er auskam, von dem ihm nicht übel wurde, den er herunterschlucken konnte. Zoras konzentrierte sich mit aller Macht darauf, während er durch sein Visier hindurch Esho fixierte.
      Hades soll dich höchstpersönlich quälen”, warf er ihm bissig auf therissisch entgegen, was der andere auch gut als Ablehnung auffassen konnte. Er trat erneut nach ihm und obwohl der Tritt stark genug war, um Zoras auf den Bauch zu befördern, war der Schmerz davon ein guter. Er war bekannt, Zoras konnte damit arbeiten. Er blieb auf dem Bauch liegen und versuchte, Telandirs Wüten unter dem Rest zu vergraben.
      Das Geschrei der Menge hob wieder an, als er sich erneut regte und sich diesmal bis auf die Arme hochstemmen konnte. Amartius lag zu weit entfernt, das war der einzige Grund, weshalb Esho den Fehler begann, sich Zoras wieder in derselben lockeren Weise zu nähern. Er hatte sein Breitschwert zwar in der Hand, war aber gänzlich entspannt. Zoras nahm tiefe Atemzüge und erdete sich, soweit er konnte. Er dachte an Kassandra. Die Vorstellung, ihre Präsenz bei diesem Kerl zu wissen, war genug, um ein anderes Feuer in seinen Muskeln zu entfachen. Telandirs Narbe brüllte, seine Hand fühlte sich an wie von Dornen gespickt, seine Flanke pochte unter einem neuen Schmerz, aber Zoras sammelte seine Kraft darunter. Er bewegte sich langsam, als er das Knie beugte. Die Rüstung verdeckte das Anspannen seiner Muskeln. Er hielt den Kopf gesenkt, wie von Schmerzen geplagt.
      Esho kam auf greifbare Distanz und da schoss Zoras empor, streckte seine Hand aus und schrie, nein, brüllte mit seinem ganzen Wesen nach Amartius, der sich binnen eines einzelnen Herzschlags in seiner ausgestreckten Hand formte und damit auf seinen Gegenüber niederfuhr. Es war ein Verzweiflungsakt, denn er wusste, so wie er Esho schon einmal überrascht hatte, würde der Mann nicht ein zweites Mal darauf hereinfallen. Er musste ihn jetzt treffen und er musste ihn hart treffen, andernfalls war es hier vorbei.
    • Esho verstand nicht, was Zoras ihm da an den Kopf warf. Aber das spielte auch keine Rolle. Alles was zählte, war, dass da zu seinen Füßen der ach so tolle Kerl lag, der sich als Eviad etablieren wollte. Einer, der nicht einmal in der Lage war, ihn zu bekämpfen. Er gab sich Mühe, das mit Sicherheit, aber ohne dieses tolle Schwert hätte er ihm nicht einmal eine Wunde zufügen können. Ohne das Schwert und ohne die Phönixin wäre dieser Mann hier gar nichts. Nicht einmal ein Goldstück wert.
      Mit großen Schritten folgte er Zoras, nachdem er ihn fortgetreten hatte, um ihm nachzusetzen. Er ließ sich von einer Menge feiern, die eigentlich gar nicht ihm galt. Doch die Rufe waren dieselben. Jetzt lag Zoras auf dem Bauch und bewegte sich nur noch marginal. Er hatte nicht einmal mehr die Muße, seinen Kopf anzuheben.
      „Was? Schon fertig, alter Mann?“, stichelte Esho weiter und hätte vielleicht einmal seine Kommentare sich verkneifen sollen.
      Mit einer ungeahnten Kraft explodierte der Therisser am Boden und stürzte auf Esho zu. Dieser wich ganz automatisch zurück, so verstand er doch nicht, was Zoras da gerade brüllte. Er verstand auch nicht, wie sich ein Schwert plötzlich in dessen Hand bilden konnte und er verstand auch nicht, wie viele beschissene Tricks der Sack noch im Ärmel hatte. Allerdings verstand er, dass sein Schwertarm nicht schnell genug oben sein würde und das Ratsmitglied dieses Mal einen satten Treffer nicht mehr entgehen können würde. Also verwarf Esho seine übliche Taktik und biss die Zähne zusammen.

      Der Schmerz der beiden Männer reichte bis zu Kassandra hinauf. Während der eine offensichtlich durch seine frischen Verletzungen geplagt wurde, suchten den anderen alte, nie verheilte Wunden heim. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, wie Zoras Amartius satt in Eshos Schulter trieb und die Klinge auf der anderen Seite durch das Schulterblatt hindurch wieder austritt. Der Schrei, der sich nun löste, stammte von Esho und war verzerrt durch Schmerz und Wut. Wieder hatte er sein Breitschwert fallen lassen, aber dieses Mal packte er mit einer unerbittlichen Bestimmtheit Zoras‘ Schwerthand am Gelenk. Der Mann hatte bewusst nicht versucht, auszuweichen. Er hielt das Schwert mit seinem Körper dort, wo es war, als er sich ein wenig eindrehte und es Zoras unmöglich machte, Amartius wieder zu ziehen. Stattdessen machte er nun kurzen Prozess, griff am Handgelenk um und brach es Zoras ohne weitere Umschweife.
      Der Schmerz, der Zoras durchfuhr, fühlte sich bei Kassandra so an, als teile sie ihn. Jetzt war es mit ihrer Beherrschung vollkommen geschehen. Sie ließ ihre Präsenz vollkommen fahren und die Menschen in den Rängen unter ihnen verstummten oder schrien auf, als sie von der Präsenz erfasst wurden. Kassandras Augen brannten, als Feuerzungen über ihre Gestalt leckten und ihr die Anmutung von Flügeln verliehen.

      Währenddessen nutzte Esho den Moment und rammte Zoras seinen Ellbogen gegen dessen Helm. Durch die schiere Wucht wurde er zurückgeworfen, doch Esho packte ihn noch in der Bewegung am Oberarm und riss so kräftig daran, dass er ihm höchstwahrscheinlich die Schulter ausgerenkt hatte. Der animalische Ausdruck in seinen Augen war getrübt von Schmerz, aber nicht weniger stark befeuert dadurch. Noch einmal würde er sich keine Blöße geben.
    • Ein Toben ging durch die Tribüne, als dunkelrotes, sattes Blut spritzte. Es spritzte auf den bereits fleckigen Boden, das Zeugnis eines Kampfes, unter dem nur einer zu leiden schien. Amartius hatte sich durch die Rüstung gefressen, wie ein Buttermesser Butter durchschnitt. Er ragte auf der anderen Seite heraus, als wolle er sich selbst noch einmal über sein Opfer lustig machen.
      Von der Tribüne her schallte Zeus' Name. Er brachte die Ränge zum Vibrieren und dröhnte in Zoras' Ohren, der schwer atmend Eshos Blick begegnete. Ein Kampf bis zur Kampfunfähigkeit, war es das? Würde er aufgeben mit einer durchbohrten Schulter?

      In den Rängen des Rats regten sich einige. Der Alte sah bestürzt drein, die ältere Frau hielt sich die Hände vor den Mund. Die Nymphe zischte und sah finster in die Arena hinab. Dionysus grinste und ließ seinen Blick umher wandern.
      Als Kassandra dann plötzlich ihre Präsenz vollkommen entfaltete, kippte die Stimmung sogleich. Die Träger fuhren zusammen, vier Paar göttliche Augen landeten auf der Phönixin, als auch der Zyklop von unten den Kopf hob. Bisher mochte der Haufen ein streitender Kindergarten sein, aber er war ein Kindergarten, der sein Land bisher erfolgreich vor sämtlichen Gefahren geschützt hatte. So stemmte sich mit einem Mal die Vereinigung vierer Auren gegen Kassandras, eine Einheit und Wucht, die nur ein eingespieltes Team zustande brachte. Die Träger bekamen davon nichts mit, die ältere Frau zischte die Gorgone an, die daraufhin etwas zurück schnarrte. Der Alte machte ein Handzeichen, woraufhin zwei Bedienstete verschwanden. Dionysus Trägerin redete leise auf ihren Champion ein, bis der schließlich die Augen verdrehte. Er stand auf und kam auf die Feuer züngelte Phönixin zu.
      "Na na. Böser Vogel."
      Er kam nahe genug, dass die Flammen nach ihm ausschlugen. Sie versengten sein Hemd und verbrannten seine Haut, aber mehr als eine Grimasse gab der Weingott nicht von sich.
      "Du willst dich doch benehmen, oder etwa nicht? Sieh nur, wo Asterios herumlungert. Selbst du bist nicht schnell genug, um herunter und wieder hoch zu kommen, ohne in seine Fänge zu fallen. Und dann ist dort noch der gute Halmyn, der schon so nahe steht. Wie viele Schritte braucht er wohl, denkst du? Drei kleine oder zwei große? Ein zusätzlicher Schritt, um den Kopf zu zermatschen? Wer wird wohl zuerst dran sein, Esho oder Halmyn? Sieh hin, Vogel. Sieh hin und sag mir selbst, ob du weiter herum züngeln solltest."

      Zoras brüllte, als lähmender Schmerz durch sein schon malträtiertes Handgelenk schoss. Vor seinem inneren Auge tanzten weiße Sterne, als er sich losriss und nach hinten weichen wollte. Ein gut platzierter Schlag gegen seinen Helm ließ die weißen Sterne in grelle Sonnen aufgehen. Sein Kopf wurde zurückgeworfen und sein Körper gleich mit, wenn ihn ein kräftiger Ruck nicht wieder nach vorne gezerrt hätte. Seine Schulter gab mit einem Knacken nach. Zoras brüllte noch einmal, als seine Welt in dichtem Schmerz unterging. Er konnte nicht klar denken, er konnte nicht klar sehen. Er schien unter Wasser abzutauchen und zu ertrinken. Er fiel doch noch, auf die Schulter, die ihn mit gleißendem Schmerz begegnete, und rollte sich gleich ab, auf das Handgelenk, das ihm wie eine Nadel in die Nerven einfuhr.
      Da umspülte ihn plötzlich Wärme, tröstliche, vertraute Wärme. Kassandra, die ihm durch den Körper fuhr und seine Sorgen linderte. Es ging ihm gut. Es ging ihm nicht gut. Er stöhnte, als auch die Wärme den Schmerz nicht verdrängte.

      “Sieh hin. Dein Mensch ist doch eine Kämpfernatur, nicht wahr? Er kann jetzt schon nicht mehr kämpfen, er muss aufgeben. Wird er das?”
      Halmyn setzte sich in Bewegung. Ganz langsam umrundete er die Kämpfenden nur, um einen guten Blick auf Zoras zu erhaschen. Vielleicht auch, dass sein gewaltiger Fuß dem ungeschützt auf dem Boden liegenden Kopf des Mannes näher sein konnte.
      “Wird er das, wenn du ihm zeigst, dass du hier bist?"

      Zoras versuchte, sich hochzustemmen. Er versuchte es über die gesunde Schulter und den Ellbogen.
      Ihm schwindelte. Sein Kopf pochte im Rhythmus seines Herzschlags und sein Atem kam gepresst. Sein Körper schrie ihn von drei Richtungen an, dass er unten bleiben sollte. Kassandras Richtung, die vierte, überschattete sie alle und feuerte ihn an, sich zu bewegen. Er kam strauchelnd auf die Beine.

      "Esho kann unbarmherzig sein. Er hat den Trieb eines Minotauren."
      Dionysus trank von seinem Kelch, als führten sie ein angenehmes Gespräch. Unten versuchte Zoras einen festen Stand zu finden, aber der andere gewährte es ihm gar nicht. Er landete wieder stöhnend auf dem Boden.
      "Und auch die Kraft. Er könnte ihm sicher auch den Kopf zertreten. Was wäre wohl lustiger?"

      Zoras streckte die Hand aus und Amartius materialisierte sich, viel zu langsam. Es bestand keine gute Chance, die Waffe mit der Linken zu schwingen, aber zumindest würde sie nicht mehr das klaffende Loch von Eshos Schulter verstopfen. Solange er noch bei Bewusstsein war, bestand eine Chance. Solange er noch Kassandras Präsenz spürte, würde er kämpfen.
    • In der langen, langen Zeit, in der Kassandra auf Erden wandelte, war es ihr nur ein einziges Mal untergekommen, dass sich mehr als ein anderer Champion gegen sie stellte. Umso unvorbereiteter traf sie die geballte Macht von vier Auren, die gegen ihre eigene prallte und die eigentlich so immens starke Präsenz immer weiter komprimierte. Ihre Finger hatten nun nichts mehr zum Halten, als sie das Geländer vollständig pulverisierte und der Druck ihr langsam den Atem nahm. Sie wusste es besser. Es war nur eine Sekunde, die sie benötigte, um sich von all dem hier zu lösen. Eine Sekunde, die sie aus ihrer Hülle lösen und in den Himmel aufsteigen lassen würde. Eine Sekunde, die dafür Sorge tragen würde, dass die vier Auren sie nicht mehr tangierten. Dass NICHTS mehr hier auf Erden sie tangierten. Es wäre so leicht, sich allem zu entsagen und all den Frevel hier zu pulverisieren. Wie war das Sprichwort, das sie einst gehört hatte?
      Asche zu Asche, Staub zu Staub?
      „Ich breche dem Stier seine Hörner mit bloßen Händen. Ich reiße dem Zyklopen mit bloßen Fingern sein Auge heraus. Es gibt nicht, was mich davon abhalten wird, wenn er stirbt“, warnte Kassandra den Weingott neben sich vor, ihre Stimme bei Weitem nicht mehr so schön weich und singend. Sie war erfüllt von kontrolliertem Zorn, der nur darauf wartete, freigesetzt zu werden.

      Esho hielt seine Schulter mit dem Schwert absichtlich still, um weniger Bewegung zu provozieren als unbedingt nötig. Aber er ließ es sich nicht nehmen, den am Boden liegenden Mann weiter zu treten. Er hatte wie jeder andere hier die Präsenz gespürt, mit der Kassandra auf das Geschehen geantwortet hatte und das befeuerte ihn ungemein. Er wollte sie haben. Er wollte dieses Wesen, was mit tödlicher Schönheit ihnen allen den Gar aus machen konnte, in seinen Fängen wissen. Mit einem Lachen trat er einen Schritt zurück, als sich Zoras wieder auf die Beine rappelte, den Zyklopen in unmittelbarer Nähe.

      „Er wird nicht aufgeben.“
      Die Worte waren in Stein gemeißelt. Solange Kassandra hier oben stand und Zoras bewies, dass sie bei ihm war, würde er nicht aufgeben. Er würde bis zu seinem letzten Atemzug sich dort unten beweisen und die Erkenntnis, dass er hier und jetzt womöglich tatsächlich fallen konnte, kam ihr dräuend in den Geist. Wenn er verlor und Esho siegte, dann war es um ganz Kuluar geschehen.
      „Wenn er fällt, wie auch immer, dann existiert kein Land mehr, das regiert werden kann. Wenn er fällt, dann gibt es nichts mehr, was mich zügelt. Weder Euer Einfluss noch sonst einer.“ Sie löste den flammenden Blick von den Männern in der Arena und richtete ihn auf Dionysus. Das Rot in ihrem Rücken wurde von schwarzen Flammen gespickt. Eine Drohung ganz ohne Worte. „Ich werde dafür sorgen, dass Eure Namen aus den Büchern verschwinden. Dass ihr alle nicht in den Zyklus eingeht und wenn ich dafür den gesamten Kontinent dem Untergang weihen muss. Dann sei dem so.“

      Esho strauchelte, als sich das Schwert aus seiner Schulter aufzulösen begann und die Hitze seinen Brustpanzer hinab strömte, kaum hatte er seinen Kontrahenten wieder zu Boden geschickt. Ächzend stellte er fest, dass das Schwert verschwand und sich in Zoras‘ Hand neu aufbaute. Das war also der Trick dahinter. Ein unglaublich lästiger Trick und obendrein ziemlich fatal in einer Lage wie dieser. Auch Esho war nur ein Mensch, der seine Erschöpfung nur gut zu kaschieren wusste und selbst merkte, dass Grenzen erreicht sein würden. Er ließ sein Schwert achtlos fallen und ballte erneut die Fäuste, woraufhin sich der Blutfluss nur noch verstärkte.

      Es gab keinen Weg wie Kassandra den Ausgang zu ihren Gunsten wenden konnte. Nie im Leben würde sich das Monster da unten im Ring abrufen lassen und das Duell als verloren bekannt geben. Er würde bis zum Schluss kämpfen, selbst wenn Kassandra im Anschluss über sie alle richten würde. Hier oben waren ihr tatsächlich die Hände gebunden. Bis zu dem Augenblick, wenn sich das Duell endgültig entschied. Der Ausgang bestimmte darüber, ob Kuluar noch existierte oder nicht. Mehr nicht.

      Es war nur noch ein einziger Streich, der sich in der Arena zutrug. Esho hatte sich über Zoras aufgebaut, wohl wissend, dass er dieses Mal keinen Ausfluch zu befürchten hatte, und hatte den älteren Mann am Kragen gepackt. Die Hand zitterte unter der schieren Anstrengung, als er die Faust hob und einen letzten Schlag in Zoras‘ Gesicht niederfahren ließ, dessen Scheppern eine Totenstille in der Arena heraufbeschwor. Zoras fiel regungslos in den Staub zurück und auch Esho taumelte rückwärts und fiel schließlich nach hinten über, hinein in die eigene, dunkelrote Spur, die er kontinuierlich hinter sich hergezogen hatte. Beide Männer atmeten, doch keiner von ihnen bewegte sich mehr.
      Mit angehaltenem Atem blicke Kassandra zu den beiden Kontrahenten hinab.
      Scheinbar würde Kuluar den nächsten Morgen noch erleben.