Salvation's Sacrifice [Asuna & Codren]

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    • Zoras zog sich in einen angrenzenden Salon zurück, um so zu tun, als würde er eine Antwort verfassen und um gleichzeitig das Schreiben noch einmal durchzulesen. Er drehte das Pergament um, musterte die Rückseite, fixierte das Siegel, die Unterschrift, die Anrede. Es dauerte bis zum zweiten Durchgang dieses Rituals, bis seine von Kassandra noch immer verworrenen Gedanken begriffen, wonach er eigentlich Ausschau hielt. Er wollte irgendeinen Hinweis darauf haben, dass Feris mit ihm einen inoffiziellen Kontakt herstellen wollte. Er wollte sehen, dass der Junge wusste, wer dieses Schreiben erhielt, dass er vielleicht sogar von Zoras selbst erfahren wollte, weshalb er getan hatte, was er getan hatte. Er würde es ihm sagen, dessen war er sich sicher. Feris bräuchte nur mit dem Finger schnippen und Zoras würde alles stehen und liegen lassen, um zurückzukommen.
      Natürlich war das Unsinn und in keinster Weise durchdacht, ein Schwachpunkt in Zoras, den er vor keinem anderen zugeben würde. Wahrscheinlich wusste Feris noch nicht einmal etwas von dieser Schwäche - keiner tat es, keiner bis auf Kassandra, vermutlich. Das war aber gut, nicht wahr? Zoras war sich seiner Schwäche bewusst und auch, dass sie vermutlich niemand ausnutzen konnte. Das war ein wertvoller Vorteil, richtig?
      Es machte die Sache trotzdem nicht leichter.

      Im Foyer starrte Ryoran dem Boten so lange nach, bis auch der letzte Fetzen seiner Kleidung verschwunden war, mit einem Ausdruck im Gesicht, mit dem er den Mann deutlich geringschätzte. Sein Sohn an seiner Seite erregte insoweit seine Aufmerksamkeit, als dass er auf Teal hinab sah und mit der Hand ein paar Strähnen in seinem Haar zurecht rückte.
      "Der Herzog könnte natürlich auch eine Antwort zurückgeben", stellte er leise fest, bevor er sich noch einmal nach dem Boten umsah.
      "Es muss nicht alles mit Gewalt beantwortet werden. Es kommt aber ganz darauf an, was für ein Bild er vermitteln will. So wie ich ihn kenne, wird er ihm also vermutlich den Kopf abschlagen."
      Er zögerte einen Moment, während er nachdachte, bis er sich nach Zoras umsah.
      "Kassandra herzunehmen ist eigentlich gar keine so schlechte Idee. Vielleicht ist er da ja selbst schon draufgekommen."
      Er wartete einen Moment, dann bedeutete er Teal mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen.
      "Komm mit nach draußen, dann lernst du vielleicht was."

      Die winzige Versammlung stand direkt auf dem kleinen Platz vor der Tür, als Zoras dazu stieß. Er kam nicht in Begleitung von Kassandra; beim Wachposten an der Tür blieb er stehen, um ihn leise darum zu bitten, ihm den schnellsten Reiter zu bringen, den sie zur Verfügung hatten. Der Soldat salutierte und verschwand, begleitet von einem misstrauischen Blick des Boten.
      "Also?"
      Zoras trat einen Schritt weiter vor und hielt ihm einen Lederbeutel hin.
      "Hier. Bring das zu Seiner Majestät."
      Der Bote nahm den Beutel entgegen, öffnete ihn und blickte hinein.
      "Da ist doch ni-"
      Seine Worte wurden abrupt abgeschnitten, als eine Klinge seine Stimmbänder durchtrennte. Zoras hatte sie einem der beistehenden Soldaten aus dem Heft gezogen und mit derselben, flüssigen Bewegung einen sauberen Schnitt durch den Hals des Mannes gezogen. Blut spritzte in einer Fontäne aus dem Stumpf heraus und der Kopf kullerte zielgenau in den Beutel hinein, der allerdings mit dem leblosen Körper zu Boden fiel. Ein paar Blutspritzer landeten auf Zoras und auf zwei der Wachen, die es gar nicht zu bemerken schienen. Zoras wischte die Klinge an dem Mantel der Leiche ab und gab sie zurück an ihren Besitzer; den Beutel mit dem abgetrennten Kopf überreichte er dem Reiter, der kurz darauf angelaufen kam, begleitet von einem majestätisch wirkenden Schimmel.
      "Zieh dir etwas unauffälliges an, nimm dir deine Uniform mit, reite zu den Toren der Königsstadt, zieh dir dort die Uniform an und lass den Beutel vor den Toren zurück. Man wird dein Wappen erkennen, man wird auf dich schießen und sehr wahrscheinlich versuchen, dich festzunehmen - gehe auf jeden Fall nur so weit, bis sie dich erkannt haben, und lass den Beutel zurück. Lass dich nicht umbringen und lass dich nicht festnehmen."
      Der Mann nickte ernst, übernahm die kostbare Fracht, band sie an dem Sattel des Schimmels fest und führte ihn dann ab, um sich für die Reise zu rüsten. Mit keinem Ausdruck seiner ernsten Miene ließ sich erkennen, was er von einem solchen Auftrag hielt, der sehr leicht mit seinem Tod enden konnte.
      Zoras drehte sich um, fixierte Ryoran und bedeutete ihm mit einem Nicken, mit reinzukommen. Sein Blick fiel weiter auf Teal und während sein Bruder bereits vorausging, wartete er auf den Jungen, um mit ihm zusammen hineinzugehen.
      "Teal, du weißt, warum ich dem Mann keine richtige Antwort gegeben habe, oder?"
      Sie gingen zurück ins Foyer und steuerten von dort die Treppe an, die Ryoran bereits anpeilte. Auf halbem Weg blieb Zoras allerdings stehen und beobachtete, wie sein Bruder verschwand, bevor er sich zu Teal umdrehte. Sein Gesicht hatte einen gezwungen ernsten Ausdruck angenommen.
      "Erinnerst du dich noch an Vorgestern, als wir über die fünfte Regel der Kriegsführung gesprochen haben? Was war nochmal die fünfte Regel?"
      Er musterte Teal eindringlich. Eigentlich war er sich nicht sicher, ob er das überhaupt sagen sollte; eigentlich war es eine dumme Idee. Die ganze Tatsache, dass er auf das Thema mit Teal zu sprechen kam, war außerordentlich dumm.
      Er redete trotzdem weiter.
      "Kannst du mir auch sagen, warum es die fünfte Regel ist? Und nicht die erste - oder vielleicht die dritte?"
      Ein dünnes Lächeln kräuselte seinen Mund, während er sich ein Stück zu Teal hinabbeugte - fast, um ihn an einem Geheimnis teilhaben zu lassen.
      "Ich weiß, dass das über deinen Unterrichtsstoff hinausgeht. Es ist auch nicht sehr wichtig, warum was wo steht, denn am Ende des Tages müssen wir sowieso versuchen, uns an alles mögliche zu halten. Aber der Vorsatz "Führe keinen Krieg, dessen Ausgang du nicht gewinnen kannst" steht deswegen nicht an erster Stelle, weil es manchmal wichtig sein kann, diese Regel zu brechen. Weil man manchmal Krieg führen muss, allein um des Krieges willen - oder sogar, um zu verlieren."
      Er deutete vage über seine Schulter nach hinten.
      "Der Bote eben, der Mann; der konnte sich denken, was mit ihm geschehen wird. Das hat ihn trotzdem nicht davon abzuhalten, herzukommen, oder? Und wegen ihm werden wir eine entscheidende Nachricht übermitteln."
      Er richtete sich wieder auf, das Lächeln diesmal aufrichtiger.
      "Die fünfte Regel ist deswegen an fünfter Stelle, weil sie manchmal gebrochen werden muss. Das macht den Krieg noch lange nicht unehrenhaft."
      Er machte eine Handbewegung.
      "Und jetzt geh und mach deine Hausaufgaben, ich muss deinen Vater ein bisschen belästigen."
    • Teal war ein schlauer, aber zeitgleich recht empathischer Junge. Niemals würde er die Blutlust entwickeln und sich darauf freuen, ein Massaker mit eigenen Augen erleben zu können. Deswegen folgte er seinem Vater wie ein Schatten, dezent und respektvoll, nach draußen, wo er in absolutes Schweigen verfiel. Die gesamte Situation war ein vollkommene Ausnahme und die Entscheidung seines Onkels wäre die erste ihrer Art, die er vor seinem Neffen treffen würde. Umso gespannter war Teal auf das Kommende.
      Allerdings war Teal irritiert, als er Zoras ohne Kassandra den Platz betreten sah. Mehrmals huschten seine Augen zurück zur Tür in der Annahme, gleich die Phönixin erscheinen zu sehen. Doch die Tür wurde geschlossen und niemand folgte dem Herzog. Er runzelte die Stirn bei dieser Herangehensweise. Warum hatte er seinen Champion nicht dazu geholt?
      Trotzdem kam der Junge drumherum zu bewundern, wie geschmeidig die Klingenführung seines Onkels gewesen war. Seine Augen folgten einzig dem Glitzern des Metalls anstatt sich anzuschauen wie der Kopf des armen Boten in den Beutel fiel. Nur einen Moment später schoss ein gleißender Schmerz in seinen Kopf und ein Geräusch hallte in seinen Ohren nach. Ruckartig schlug er sich die Hände an die Ohren in dem Versuch, das Geräusch zu ersticken. Doch er konnte nur warten, bis es von selbst verebbt war. Als er sich umblickte, schien sonst niemand das Geräusch gehört zu haben außer ihm.
      Ein Geräusch, das verdächtigt nach einem Klagelaut klang...
      "Teal, du weißt, warum ich dem Mann keine richtige Antwort gegeben habe, oder?"
      Er zuckte umgehend zusammen als Zoras ihn ansprach und ihn somit wieder ins Hier und Jetzt zurückholte. Er brauchte einen Augenblick ehe er geschalten hatte. "Naja, ohne Kopf braucht man nicht mehr sonderlich viel nachdenken."
      Er folgte seinem Onkel, der sich auf den Weg zurück ins Foyer gemacht hatte und entdeckte gerade noch den Rücken seines Vaters, die die Treppe empor gestiegen und aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Fast wäre der Junge in den Herzog gerannt, hätte er nicht eine Sekunde zu früh seinen Gang gestoppt und seine neugierigen Augen auf Zoras' Gesicht gerichtet. Sichtlich engagiert nickte der Junge mit dem Kopf und wusste, dass die Frage rein rhetorischer Natur gewesen war.
      "Warum es die Fünfte ist? Naja, als man sie damals aufstellte, erschienen andere Regeln wichtiger, würde ich sagen...", antwortete er mit einem nachdenklichen Tonfall. So hatte er noch nie darüber nachgedacht. Für ihn war die Reihenfolge ein gegebenes Gut, dessen Hinterfragung in nur noch mehr Fragen ufern würde.
      Als sich Zoras zu Teal hinabbeugte verschmälerten sich die Augen des Jungen minimal. Irgendetwas stieß ihm fade auf seit jener Sekunde, in der sein Onkel Ryoran abgepasst hatte, um mit seinem Neffen allein zu sprechen. Der Herzog wollte Worte an ihn richten, die nicht für die Ohren anderer bestimmt waren. Und sobald er die Worte gehört hatte, ahnte er direkt, wieso. Krampfhaft hielt der Junge seine Mimik in Schach um nichts von seiner Ahnung nach außen zu tragen.
      Folgerichtig war Teal mehr als dankbar, als sich sein Onkel wieder entfernte und den Jungen von Dannen schickte. Als Teal wie angewiesen sich aus dem Staub machte, peilte er jedoch nicht sein Zimmer an. Er hatte ein anderes Ziel, das seine unsicheren Augen bereits vor sich sahen.

      Kassandra hatte die Finger in den Sims des Fensterrahmens gekrallt und eisern nach draußen gestarrt. Zwar hatte sie keine Worte verfolgen können, aber ihr war durchaus aufgefallen, wie das Licht des Boten plötzlich erlosch und verging wie ein ausgezehrtes Flämmchen. Es hätte anders laufen können. Er hätte sie doch anschicken können ein Zeichen zu setzen. Stattdessen zog Zoras es vor, die Phönixin nicht weiter seiner Grausamkeit auszusetzen aus dem lächerlichen Glauben heraus, er würde ihr Leid ersparen. Doch die weißen Knöchel ihrer Hände sprachen eine andere Sprache.
      Da flog die Tür zum Kartenzimmer auf und wurde hastig wieder geschlossen. Kassandra warf nur eine halbherzigen Blick über ihre Schulter hinüber zu Teal, der völlig außer Atem mit dem Rücken an der Tür stand und sie anstarrte. Er hatte ein verzerrtes Gesicht, die Augen groß und die Lippen blass. Er war nervös und aufgeregt.
      "Sagt, will Zoras etwa den Aufstand verlieren?"
      Die Worte waren leise gesprochen aus reiner Angst, man könne sie draußen auf dem Flur hören. Gemächlich wandte sich Kassandra Teal vollends zu und verschränkte die Arme vor der Brust.
      "Wie kommst du darauf, Junge?"
      "Er hat gesagt, die fünfte Regel steht an jender Stelle weil ein Bruch eher zu verkraften ist. Wenn er die Regel brechen will, einen nicht gewinnbaren Kampf nicht zu bestreiten, dann will er den Aufstand ins Nichts laufen lassen."
      Kassandras Miene war völlig ausdruckslos. Vielmehr musterte sie den Jungen mit regem Interesse. Hatte sich Zoras aus Versehen bei ihm versprochen oder war es Absicht gewesen?
      "Wieso sollte er einen Krieg anzetteln den er nicht gewinnen kann?", stellte sie dem Jungen die Gegenfrage, woraufhin dieser kurz stockte. Man sah ihm regrelrecht an wie seine Gedanken rasten.
      "Es ist unlogisch. Er setzt das Leben seiner Leute und sein eigenes aufs Spiel. Aber er hat doch bessere Chancen mit Euch an seiner Seite. Er sollte die gesamte Armee mit Euch auf einen Schlag-"
      "Er will und wird mich nicht dazu einsetzen, Teal."
      Teal stand mit offenem Mund einfach nur sprachlos da. Es erschloss sich dem Jungen nicht, wieso Zoras diesen Weg wählte. Wie konnte er auch ohne das Wissen, wie der Herzog dem König gegenüber empfand? Es war nicht nur das Gefühl der Verpflichtung, das Zoras motivierte. Dahinter steckte so viel mehr, das sich dem Verständnis eines Vierzehnjährigen entzog.
      Das realisierte der Junge in diesem Moment, als er die Zähne aufeinander biss, die Augen von einer Seite zur anderen flogen und er die Fäuste ballte. Er wusste sich nicht anders zu helfen als kurz zu nicken und dann so schnell aus dem Raum zu flüchten wie er herein gekommen war.
      Kassandra verfolgte seine Aura bis zu seinem Zimmer, wo er sich scheinbar einschloss. Erst dann atmete sie tief durch und machte sich auf den Weg, ihren Träger zu suchen. Dieses Malheur musste geklärt werden.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"

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    • Die beiden Männer ließen sich in Zoras' Zimmer nieder, der Herzog an seinem Schreibtisch, der seit seiner Ankunft noch keine Ordnung gefunden hatte, und Ryoran an einem Sessel am Fenster, in den er sich plumpsen ließ, als wäre er steinalt und nicht drei Jahre jünger als sein Bruder. Er hatte seinen starren, noch immer leicht finsteren Blick auf Zoras gerichtet, der keinen Versuch unternahm, nach dessen Stimmung zu fragen. Er würde vermutlich zu hören bekommen, dass es eine Beleidigung sei, einen solchen frechen Boten zu schicken, wenn es doch auch sicherlich bessere gäbe und Zoras schließlich noch immer ein Herzog war. Das war eine Diskussion, die Zoras nicht anfangen wollte, denn sie diente nicht dazu, eine Lösung zu finden.
      "Ich gebe ihm einen Monat."
      "Hm? Für was?"
      Zoras tippte auf das königliche Schreiben.
      "Er hat die Formalitäten eingehalten, jetzt kann er einmarschieren. Ich sage, dass sie in einem Monat an der Grenze sein werden."
      Ryoran musterte ihn weiter für einen Moment, bevor er die Beine überkreuzte und es sich sichtlich im Sessel bequem machte.
      "Wahrscheinlich."
      "Und du wirst ihn aufhalten, denn ich werde schon weg sein. Ich muss sogar jetzt gehen, solange die Grenzen noch einigermaßen frei passierbar sind. Wenn ich zu spät losziehe, wird man mir vielleicht folgen wollen."
      "Du hast doch Kassandra? Dürfte doch kein Problem darstellen."
      Zoras zog die Stirn in Falten.
      "Ich nehme sie mit und keine ganze Armee, weil ich eine Konfrontation vermeiden will. Das gilt auch dafür, dass wir verfolgt werden könnten."
      Ryoran kniff die Augen zusammen und starrte wieder für einen Moment, ehe er sprach.
      "Wieso hast du sie eigentlich nicht dazu geholt?"
      "Wozu?"
      "Zu der Hinrichtung."
      Zoras rutschte auf seinem Stuhl ein Stück nach vorne.
      "Wieso sollte ich? Sie kann doch wohl nicht besser köpfen als ich?"
      "Vielleicht nicht, vielleicht schon, aber in jedem Fall hätte sie ein Zeichen setzen können."
      "Ein Zeichen, was sagt..?"
      "Dass wir einen Champion haben, dass wir keine Gnade walten lassen, all sowas."
      Zoras hätte viele Möglichkeiten gehabt - eine davon beinhaltete, Kassandra näher zu kommen, wenn Elive sie nicht unterbrochen hätte. Keine Möglichkeit davon war es, sie derselben Situation auszusetzen wie im Thronsaal. Er hatte verstanden, dass Kassandra den Kampf liebte, aber eine Hinrichtung war so wenig mit dem Schlachtfeld zu vergleichen, wie nur irgendwie möglich.
      Also zuckte er als Antwort mit den Schultern.
      "So einen großen Unterschied macht es sowieso nicht, eine Antwort ist eine Antwort."
      Ryoran brummte unwillig, dann stand er auf und schlenderte zu Zoras Rüstungsständer, um seine Teile zu inspizieren. Ausnahmsweise wies Zoras ihn nicht darauf hin, seine Sachen in Ruhe zu lassen.
      "Meinetwegen. Sie sind also in einem Monat hier und du bist in einem Monat weg. Wann gehst du, nächste Woche?"
      "Wahrscheinlich."
      "Und wann kommst du wieder? Vier Monate?"
      Zoras wog den Kopf hin und her.
      "Vermutlich eher sechs. Die Reise allein ist schon aufwendig und dann muss ich noch zwei Herzöge überzeugen."
      "Sechs Monate. So lange kann ich nicht vertuschen, dass du nicht hier bist."
      "Davon gehe ich auch gar nicht aus; du hältst die Stellung hier und sorgst dafür, dass die Grenzen verschlossen bleiben. Wenn Kerellin beschließt hier aufzumarschieren, nimmst du dir die Armee und treibst sie zurück. Wir brauchen noch keinen richtigen Krieg, nicht bevor wir nicht genau wissen, wie viele Ressourcen wir zur Verfügung haben werden."
      Sein Bruder schwieg für einen Moment, dann schien er etwas von seiner Steifheit fallen zu lassen, seufzte einmal und zwickte sich in den Nasenrücken, bevor er sich zu Zoras umdrehte. Der Herzog konnte diesen Ausdruck vollkommen nachempfinden.
      "Ich will ehrlich mit dir sein Zoras, ich habe keine Lust auf einen Aufstand. Wir haben genug zu tun mit der hesivischen Grenze, ganz zu schweigen davon, dass das Königshaus auch seine Probleme hat. Wir können uns keinen Aufstand leisten, so einfach ist das. Und jetzt sind wir die Verursacher dafür."
      Zoras wollte etwas sagen, aber Ryoran sprach gleich weiter.
      "Wir haben alle zu den Göttern gebetet, dass dein Putsch funktioniert, und es ist ja auch nicht deine Schuld, ich weiß das, aber ein Aufstand ist eben so viel riskanter. Sechs Monate! Und dann werden wir erst unsere Truppen sammeln und den König herausfordern und uns bekriegen. Das kann nicht unter einem Jahr geklärt werden und wenn die Seiten ausgeglichen sind, könnten es sogar zwei Jahre der Kämpfe werden. Das ist genug für sämtliche unsere Nachbarn, den Streit auszunutzen. Wann laufen die Verträge aus, hast du gesagt?"
      "Im Frühjahr, glaube ich. Aber -"
      "Das heißt, dass der König sich in Kriegszeiten mit Diplomatie auseinandersetzen muss. Wie sieht das denn aus? Genauso gut kann er allen sagen, dass sie herkommen und am besten schon die ersten Bauern mitbringen sollen, weil eh nichts mehr von unserem Land übrig bleiben wird. Sie können es unter unseren Füßen wegreißen, während wir noch damit beschäftigt sind, die Krone zu ersetzen."
      "Ich weiß doch, aber wir werden auch nicht -"
      "Versteh mich nicht falsch Zoras, ich werde bis zum bitteren Ende bei dir bleiben, wir werden uns irgendwie einen Weg zum Thron schlagen und dich darauf setzen, so wie wir ausgemacht haben, aber die ganze Sache gefällt mir einfach nicht. Ein Jahr bis zum Krieg! Weißt du wie viel in einem Jahr schiefgehen kann?"
      "Ich weiß doch! Ich weiß genau was du meinst, du bist hier nicht der einzige mit Bedenken!"
      Langsam wurde Zoras wütend; er hatte gehofft, Ryoran wäre ausnahmsweise mal eine Stütze für ihn. Aber sein Bruder wollte keinen Aufstand und auch wenn er behauptete, immer da zu sein, konnte er seine Meinung auch noch ändern.
      "Es ist ja nicht so, dass ich freiwillig so lange warte! Wir wussten, dass es passieren könnte und jetzt ist es nunmal so, also werden wir das auch irgendwie durchstehen, oder nicht? Ein Jahr, dann wird uns Kassandra den Sieg erkämpfen. Ich verspreche dir bei meinem Leben, dass wir die Sache so schnell vom Tisch kehren, wie es nur irgendwie möglich ist. Wir werden die Krone stärken und dann werden wir die Grenze stärken. Einverstanden?"
      Ryoran setzte dazu an etwas zu erwidern, was vielleicht in einem Streit ausgeartet wäre, dann wurden sie unterbrochen.
    • Suchen war eigentlich das falsche Wort für die zielstrebige Gehweise, die Kassandra an den Tag legte als sie sich auf den Weg zu Zoras machte. Es kostete sie nur ein paar Sekunden, dann hatte sie ihr Herz lokalisiert und zeitgleich erkannt, dass Ryoran sich mit seinem Bruder in einem Raum befanden. Vermutlich beratschlagten sie etwas, das nicht für die Ohren anderer bestimmt waren. Dies bedeutete widerum, dass sie das Thema Teal noch nicht ansprechen konnte. Denn seinem Bruder würde Zoras niemals verraten haben, welchen Plan er wirklich verfolgte.
      Kassandra kam vor Zoras's Gemachtür zum Halten und hörte dank ihres ausgezeichneten Gehörs direkt vor der Tür die Stimme des Herzoges.
      "So einen großen Unterschied macht es sowieso nicht, eine Antwort ist eine Antwort."
      Anstelle direkt einzutreten, verweilte die Phönixin vor der Tür und lauschte. Ihn einmal sprechen zu hören während sie nicht anwesend war und er sein übliches Verhalten an den Tag legen konnte, war Gold wert für sie. Also konzentrierte sie sich auf den Rest des Gesprächs, senkte ein wenig die Lider und lauschte.
      Bei den Zeitangaben stutzte Kassandra. Zwei Herzogtümer zu bereisen würde ein halbes Jahr in Anspruch nehmen? Zugegeben, sie waren ein paar Tage unterwegs gewesen um vom Palast nach Luor zu kommen, aber gleich Monate für eine diplomatische Mission? Mit den richtigen Maßnahmen wäre die Reise eine Angelegenheit von Stunden, sofern sie keine gesamte Armee mit sich schleppen müsste.
      Dann aber veränderte sich der Tonus des Gesprächs, der Wortführer wechselte. Der jüngere Bruder übernahm die Führung und macht nicht nur seinen Standpunkt sondern auch die des Landes deutlich. Unter diesen Umständen brach ein Aufstand ihnen wirklich das Rückrat. Es durfte doch nicht sein, dass Zoras all das für ein Kind riskierte, das nicht einmal sein Fleisch und Blut war. Scheinbar wusste niemand über seine Beziehung zu Feris, und das nutzte er schamlos aus.
      Allein schon der Kommentar, dass Zoras keine Schuld am missglückten Putsch trug...
      Kassandras Augenbrauen zogen sich immer weiter zusammen je mehr sie hörte. Je länger Ryoran sprach, umso wütender wurde auch sie. Selbst sein jüngerer Bruder hatte Bedenken und trotzdem fuhr Zoras weiter seinen ausgebauten Plan. Sah er denn nicht, dass es ihm nichts brachte alles und jeden in seinem Umfeld zu belügen? Er würde nicht den Märtyrertod sterben, wie er es sich erhoffte. Er würde als Verlierer eines Aufstandes eingehen, der im schlimmsten Falle sein gesamtes Land den Kopf kosten würde.
      Dann fiel allerdings ein Satz von Zoras, der das bisschen Contenance zersplittern ließ, das sie noch halten konnte.
      Mehr als nur energisch riss sie die Tür zu seinem Gemach auf und stand in der geöffneten Tür wie der leibhaftige Unheilsbote. Hätte Zoras nicht schon Bekanntschaft mit den vor Magie glühenden Augen eines Champions gemacht, dann hätten ihre rot flammenden Augen vermutlich mehr Eindruck geschindet.
      "Wie kannst du es wagen bei deinem Leben zu schwören?!", fuhr sie ihren Träger völlig kontextlos für Ryoran an, der bei ihrem Auftritt das erste Mal etwas wie Ehrfurcht zeigte. Sie musste höllisch aufpassen, dass sie sich nicht im Wort vergriff. Also ließ sie einen tiefen Atemzug zu ehe sie weitersprach. "Verspreche solche Dinge nur wenn du weißt, dass du sie halten kannst! Er hat es schon völlig richtig erkannt." Sie deutete mit dem Zeigefinger auf Ryoran. "Ein Krieg ist nicht berechenbar. Die Zeit bis dahin ist nicht berechenbar. Also versprich nichts, was du später mit ins Grab nimmst."
      Erst jetzt trat Kassandra vollends in den Raum und warf die Tür mit einem groben Stoß laut hinter sich in die Angeln. Noch immer waren die Augenbrauen zusammengezogen, ein Ausdruck ähnlich der Wut stand ihr ins Gesicht geschrieben. Teilweise rührte dies daher, dass Zoras ihr verboten hatten, Worte über seinen Plan zu verlieren. Und sie hoffte, dass er es bei ihrem bohrenden Blick auch wusste.
      Anschließend richtete sie ihren feurigen Blick auf den jüngeren Luor, die Hände demonstrativ in die Hüften gestemmt.
      "Ihr habt einen Phönix zur Verfügung und nutzt ihn nicht. Du denkst, das hier ist mein echter Körper?" Sie nickte einmal zu ihren Füßen ehe sich ein höchst spöttischer Tonfall in ihrer Stimme breitmachte. "Ich bin ein verdammter Feuervogel in einer fleischlichen Hülle eingepfercht. In meiner eigentlichen Gestalt kann ich innerhalb Stunden die Strecke von Tagen bewältigen. Macht euch diesen Vorteil doch einmal zu Nutzen."
      Zoras Wut färbte unbewusst auf sie ab und schürte den ohnehin schon angesammelten Frust nur noch weiter. Sie hatte es satt mit diesem Los zu leben. Sollte Zoras seinen Plan weiter verfolgen - sie wäre die Konstante, die ihm in die Berechnung fahren würde. Die nächsten Sätze gingen wieder an ihren Träger, den sie ebenso erzürnt anfunkelte.
      "Es ist also deine Wahl. Nimm ein Heer mit, dann reisen wir am Boden. Ohne Heer gibt es Alternativen. Aber es ist keine Alternative, deinen Bruder hier sechs Monate zu stationieren und zu hoffen, dass er schon die Grenzen hält. Denkst du wirklich, dass er es tut wenn er dir jetzt schon seine Zweifel entgegen bringt? Dass er es tun wird, wenn man ihm droht seine Frau und Kind vor seinen Augen zu richten? Glaubst du das wirklich, Zoras?"
      Möglicherweise hatte sie sich einfach ein wenig in Rage geredet. Aber erfolgreich den Disput zwischen den Brüdern konnte sie damit stoppen. Vielleicht war der Tag bis jetzt auch einfach von zu vielen Extrema geprägt gewesen. Die Kriegsplanung, der Bote, der Zwischenfall mit Teal und dann noch diese unterbrochene prekäre Lage zwischen ihr und Zoras. Vielleicht... und das wollte sie einfach nicht zugeben... war Kassandra auch einfach nur etwas überfordert.
      "Selbst Teal merkt, dass etwas nicht stimmt", schlug sie nun endlich versöhnlicher den Bogen und ließ die Hände aus den Hüften verschwinden. Etwas entspannter schritt sie zu Zoras Bett herüber und ließ sich dort auf die Decke fallen, die Hände links und rechts von ihr abgestützt.
      "Er kam völlig aufgelöst vorhin zu mir und fragte mich um Rat. Ein Vierzehnjähriger fragt mich um Rat statt seinen Vater. Führt euch das einmal zu Gemüte."

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    • Bevor Ryoran noch etwas erwidern konnte, was - seiner Miene nach zu schließen - alles andere als streitschlichtend gewesen wäre, wurde die Tür mit einem solchen Ruck aufgerissen, dass sie in den Angeln knackte. Die Luor-Brüder fuhren synchron herum und während selbst Zoras bei Kassandras Auftreten erschrocken zusammenzuckte, wurde Ryoran regelrecht kreideweiß im Gesicht und trat einen beherzten Schritt auf das Fenster zu, als plane er, sich bei einer zu ruckartigen Bewegung von Kassandra dort nach draußen zu werfen. Der Herzog selbst blieb an seinem Tisch sitzen, aber obwohl er das temperamentvolle Auftreten von Kassandra bereits beobachtet hatte, obwohl er um seine Unantastbarkeit wusste, hatte er doch einen äußerst wachsamen Blick auf den Champion gerichtet - den Blick eines Tieres, das noch nicht wusste, ob es kämpfen oder doch lieber rennen sollte.
      Er war schon besorgt darum, etwas getan zu haben, was die Phönixin ernsthaft verletzt hätte - nicht zuletzt schoss ihm ihre kleine Unterhaltung im Kartenzimmer dabei in den Kopf - aber als sie ihren aufwallenden Zorn in Worten aufdrückte, verflüchtigte sich dieses Besorgnis sogleich und wurde von einer gewissen Erleichterung ersetzt. Zumindest solange, bis er die Lippen zusammenkniff.
      "Hast du etwa gelauscht?"
      Eigentlich hätte es nicht wichtig sein müssen, ob sie lauschte oder nicht - Kassandra hatte vollkommene Bewegungsfreiheit im Anwesen und Zoras hatte sie sogar gerne dabei - aber er hätte selbstverständlich nicht sowas gesagt in ihrer Anwesenheit; dafür wusste die Phönixin zu viel. Sein Bruder schien dafür von ihrem Auftreten gänzlich überfordert und zuckte noch einmal, als sie die Tür hinter sich zuknallte. Beide Männer starrten den Champion auf ihre eigene Weise furchtsam an, während sie weitersprach. Ihr Einwand war berechtigt, interessant sogar - wenn man außer Acht lassen wollte, dass sie dafür ihre Essenz zurück bräuchte. Allerdings schien es Zoras in ihrem jetzigen Gemütszustand keine gute Idee, diesen Gedanken auszusprechen. Ein Blick zu Ryoran zeigte ihm, dass sein Bruder diesem Vorschlag aber durchaus zugeneigt war; als sich ihre Blicke trafen, gab der rothaarige ein ganz feines Schulterzucken von sich, das zu sagen schien: "Wo sie recht hat, hat sie recht."
      Zoras wandte sich von ihm ab und wieder Kassandra zu.
      Sein vorheriger Ärger, der eine kurze Unterbrechung gefunden und dann sogar ein Stück abgeflaut war, kam jetzt wieder in Wellen hoch, so stark, dass Zoras für einen Moment glaubte, der Zorn wäre von außerhalb weiter angefacht. Bevor er sich darüber allerdings Gedanken machen konnte, wurde er schon von dem Gefühl überwältigt.
      "Nein. Nein! Schluss damit, alle beide! Du hörst mir jetzt zu - ihr beide hört mir zu!"
      Er deutete zuerst auf Kassandra, bevor er aufsprang und den Tisch in zwei weiten Sätzen umrundete.
      "Ich habe es langsam satt, dass von allen Seiten ständig Zweifel kommen! Ich kann doch nicht dies machen, ich kann doch nicht das machen - denkt ihr etwa, ich weiß das nicht?! Denkt ihr etwa, ich sitze hier und überlege mir, wie ich das größtmögliche Blutbad anrichten kann, ohne irgendwelche Rücksicht auf Verluste?! Wenigstens du, Ryoran, solltest mich doch kennen! Und du", er funkelte auf Kassandra hinab, während er in der Mitte des Zimmers zum Stehen kam; eine breitschultrige, hoch aufragende Figur in dem weitläufigen Zimmer. "Ich weiß genau, was du da die ganze Zeit versuchst! Sogar du solltest mich mittlerweile genug kennengelernt haben, um genau zu wissen, dass ich nichts unüberlegt tue! Also hör auf damit, mich mit einem schlechten Gewissen abhalten zu wollen! Ein Jahr sitzen wir schon an der Sache, Ryoran, ein Jahr! Wir wussten damals schon, was auf uns zukommt, wir wussten genau, dass sich die Herzöge entscheiden würden; wir wussten nicht, dass Kassandra kommt und Kerellin die Seite wechselt, das ist die einzige Sache, die sich geändert hat!"
      Er konnte seine eigene Stimme in seiner Kehle vibrieren spüren und für einen furchtbaren Moment glaubte er, sie würde ihm brechen, ihn wieder zu dem stotternden, schmächtigen Jungen machen, der er einst gewesen war. Aber was auch immer für den Rückfall vor ein paar Wochen gesorgt hatte, es war jetzt nicht da.
      "Ich weiß, dass wir den Aufstand nicht in einem halben Jahr beenden können, ich weiß, dass die Truppen hier aufmarschieren und plündern und brandschatzen und das Volk geißeln werden, weil wir Hochverrat begannen haben und das eben ein Aufstand und kein gottverdammter Handelsaustausch ist! Wir sind im Krieg, habt ihr beide das verstanden?! Alles wird Verluste machen, egal wie ich mich entscheide!"
      Er nahm einen Moment, um Luft zu holen. Sein Ärger schwellte kurzzeitig ab und war dann nicht mehr stark genug, um wieder hochzubrodeln. Als er wieder sprach, war seine Stimme ein kleines bisschen moderater.
      "Wenn ich übermorgen auf dem Rücken eines Feuervogels auftauche, der mich vor den Türen der Herzöge absetzt und sich in eine unaufhaltbare, menschliche Phönixin verwandelt, die mit ihrem Feuer die ganze Stadt abbrennen kann, ist es kein mögliches Bündnis mehr, dann ist es Erpressung. Entweder sie schließen sich mir in meinem Krieg an, oder sie werden beobachten, wie ihre Verwandten und Freunde vor ihren Augen zu Asche werden. Ganz abgesehen davon, könnte es die Panik im Land schüren und ich will keine unüberlegten Handlungen Seiner Majestät provozieren."
      Er pausierte wieder und musterte beide, während sein Ärger deutlich weiter abflaute und einer tiefsitzenden Müdigkeit Platz machte. Wesentlich versöhnlicher setzte er hinzu:
      "Von allen Menschen auf dieser Welt, seid ihr mir am wichtigsten. Ich muss - nein, ich will mich auf euch verlassen können und mir nicht von euch anhören müssen, wie furchtbar und riskant und gefährlich alles ist. Wir führen Krieg und wenn wir es nicht tun, wird sich jemand wie Kerellin erheben, die zwar ordentlich kämpfen kann, aber kein Gespür für irgendwelche Diplomatie besitzt. Sie würde wie ein Wirbelsturm über das Land hinwegfegen und klaffende Wunden hinterlassen, in die hinterher nur andere Armeen einfallen müssen, um ihren neu erkämpften Thron nichtig zu machen. Versteht ihr das?"
      Er sah zwischen beiden hin und her und holte noch einmal tief Luft.
      "Wir sind auch nicht perfekt, das haben wir ja schon mit Bravour festgestellt, aber wir haben zumindest eine Chance darauf, diese ganze Sache sauber anzufangen und sauber zu beenden. Ich werde mir euren Vorschlag durch den Kopf gehen lassen, einverstanden? Ich möchte auch weiterhin euren Rat empfangen und eure Kritik anhören, aber bei allen Göttern im Olymp; werdet ihr aufhören, mir ständig in den Rücken zu fallen?"

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    • Kassandra wusste mehr als nur gut, dass beide Luor-Brüder taktisch alles andere als zurückgeblieben waren. Zoras musste nicht erwähnen, wie es in Zeiten des Krieges ablaufen würde. Dass jede Seite und jede Instanz ihre Verluste zu beklagen haben würde. Das war nun mal die Natur des Krieges, so grausam es erscheinen mochte. Trotzdem wurden Kassandras Lippen schmal als sie daran dachte, dass ihr Träger nur einen winzigen Moment lang in der langen Rechnung die Verluste sehen und spüren würde. Denn wenn sein Plan gelang, würde er nicht mehr auf der Erde weilen um sich einen Kopf darum zu scheren.
      Das Bild, welches der Herzog ihnen beiden gerade sinnhaft vermittelte, hatte etwas erschreckend angenehmes für die Phönixin. Es war schon Ewigkeiten her, dass ihre Gestalt für dergleiche Reaktionen gesorgt hatte und es war etwas, wonach sie sich wirklich sehnte. Aber jedes Mal, wenn sie danach die Hand ausstreckte, schien ihr Ziel durch ihre Finger zu rinnen wie ein Traum aus Nacht und Nebel. Also hatte sie damit aufgehört ihre Hand auszustrecken und ihr jetziger Zustand war das Ergebnis davon.
      In aller Ruhe ließ Kassandra Zoras seine Wut austragen und schließlich zu einem Fazit kommen. Sie musste ein Schmunzeln vertuschen, indem sie zur Seite sah und so tat, als würde sie etwas von dem Überwurf der Decke schnippsen. Er hatte sie gerade als Mensch bezeichnet. Als Mensch, der ihm viel bedeutete. Hatte er das nur im Eifer des Gefechts so gesagt oder steckte da mehr dahinter? Und wieso mukierte sie sich eigentlich nicht mehr darüber, dass er sie nicht als Gottwesen empfand? Oder eher... seit wann?
      "Bitte - ich falle dir nicht mehr in den Rücken", fand sie schließlich wieder ihren Einstieg in das Gespräch und fragte sich, ob er spürte, wie sie resignierte.
      Er hatte ihr nun mehrfach deutlich gemacht, dass er nichts an seinem Plan ändern würde. Dass er sein Geheimnis mit ins Grab nehmen würde und alles für einen Jungen tun würde, der nicht sein eigener Sohn war. Also ergab sich Kassandra just in diesem Augenblicke seiner Entscheidung und setzte dafür auf die drei Schicksalshexen. Auf dass sie ihre Fäden des Schicksals sponnen und jene durchtrennten, die zu diesem Ausgang führten. Das erste Mal setzte die Phönixin auf das Chaos, die Unbestimmtheit, die das Rad der Zeit mit sich brachte. Vielleicht geschah etwas, wie Ryoran es ganz richtig angemerkt hatte, während der Vorbereitungsphase oder gar dem eigentlichen Akte und entriss Zoras die Macht darüber zu entscheiden, wie sein Plan funktionierte.
      Kassandras Blick wanderte in aller Seelenruhe, nun ohne das furiose Glimmen in ihren Augen, über Zoras' komplette Gestalt auf und ab. Sie legte den Kopf etwas schräg während sie ihn so bedachte und schaute dann hinüber zu dem jüngeren Bruder. Wortlos hob sich ihre Hand in die Höhe und sie vollführte mit ihrem Zeigefinger eine Gestik die ihm bedeutete, weg von dem Fenster und näher zu ihnen zu kommen. Das hielt man ja sonst nicht im Kopf aus wie eingeschüchtert er da stand.
      "Vielleicht sollten wir für heute auch einfach einen Schlussstrich setzen. Ryoran, dein Bruder ist müde aber er kaschiert es gerade noch. Den ganzen Tag planen und dann noch der spontane Besuch des nicht mehr vorhandenen Boten war anstrengend...", bemerkte Kassandra lediglich nüchtern ehe sie wieder ihre Augen auf ihren Träger richtete.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Ryoran beobachtete seinen Bruder mehr mit einem ausdruckslosen Gesicht, den Blick nur manchmal von ihm abwendend und auf Kassandra werfend, wenn Zoras zu ihr direkt sprach. Es war kaum zu übersehen, dass er mit der ganzen Situation nicht einverstanden war; ob es aber der Wutausbruch des Herzogs war, dass er die Verantwortung einer prekären Lage übernehmen musste oder dass er immer noch nicht ganz begriffen oder verarbeitet hatte, weshalb sich Mensch und Phönixin duzten, war nicht ganz zu erkennen. Letzten Endes gab aber auch er nach und murmelte ein grimmiges:
      "Ich bin immer auf deiner Seite, Zoras. Immer."
      Der Angesprochene blickte zu ihm auf, um seine Worte zu registrieren. Für einen kurzen Moment starrten die Männer sich an, während Zoras darüber nachdachte, wie er überhaupt in diese Lage gekommen war. Ryoran war ihm immer ein guter Bruder gewesen, ein Freund sogar - sofern man mit Geschwistern überhaupt befreundet sein konnte - aber es war kein Geheimnis, dass das meiste seiner Loyalität daher rührte, dass er keinerlei Anspruch auf die Herrschaft geltend machen wollte. Wie viele Geschwister mochte es wohl in Theriss allein schon geben, die sich um ihr Erbe stritten, bis irgendwann die Waffen gezogen wurden? Und hier stand Ryoran und ließ sich von seinem gerademal drei Jahre älteren Bruder herumkommandieren, als wäre es keine Familie sondern schlichtweg der Landesherzog. Wäre alles anders verlaufen, wenn er sich jemals dafür gegrämt hätte, nicht der erste Nachkomme zu sein? Wahrscheinlich wären sie dann gar nicht so weit gekommen, wahrscheinlich hätte Zoras sich nicht halb so qualifiziert gefühlt, um etwas so riskantes zu reißen wie einen Putsch, geschweige denn einen Aufstand. Der Großteil seiner Sicherheit kam davon, dass er fähige Leute um sich hatte, denen er vertrauen konnte - und Ryoran stand dabei an erster Stelle.
      Ganz ähnlich dazu schien sich auch Kassandra auf seine Forderung eingestellt zu haben, ohne ein weiteres Widerwort zu erheben. Er fragte sich, ob diese resignierte Reaktion etwas natürliches war, oder ob sich unter der Oberfläche etwas anderes verbarg, was sie nur nicht zum Vorschein kommen lassen wollte. Im Nachhinein war es ihm schon beinahe unangenehm sie angeherrscht zu haben, als wäre sie nichts weiter als ein Teil seiner Männer, die er zu belieben herumscheuchen konnte. Vielleicht hätte er bevorzugt, dass sie seinen Zorn erwidert hätte, oder dass sie über seinen Tonfall eingeschnappt geworden wäre - irgendwas, um eine nachvollziehbare Reaktion darzustellen. Aber so unbeteiligt, wie sie auf dem Bett saß und ihn beobachtete, konnte er nicht einmal versuchen, sich einen Aufschluss über ihre Gedanken zu machen.
      Kassandra war es schließlich auch, die die Runde mehr oder weniger auflöste. Ryoran nickte nur, bevor er seine Sprache wiedergefunden hatte; auch er sah irgendwie müde aus, aber seine Erschöpfung hatte deutlich andere Ursprünge als Zoras' dunkle Augenringe.
      "Klar. Morgen ist auch noch ein Tag."
      Er wandte sich Kassandra zu und verabschiedete sich mit einer unbeholfenen Kombination einer Verbeugung und einem einfachen Kopfnicken, bevor er sich sichtlich verwirrt von ihr abwandte und die Tür anstrebte. Als er Zoras passierte, blieb er bei ihm stehen, klopfte ihm auf die Schulter und ließ dann seine Hand dort.
      "Wir schaffen das, hm? Wir haben bisher alles hinbekommen. Willst du nachher noch einen trinken? Das hilft, besser zu schlafen."
      Zoras nickte ihm zu und beide Brüder machten sich voneinander los, bevor Ryoran aus der Tür und Zoras zu seinem Schreibtisch marschierte. Als die Tür sich schloss, drehte er sich zu Kassandra um und lehnte sich rückwärts an den Tisch.
      "... Tut mir leid, dass ich laut geworden bin. Meine Geduld leidet ziemlich seit einigen Wochen."
      Er verschränkte die Arme vor der Brust, während er gekonnt den aufsteigenden Drang nach einer bestimmten Wärmequelle herunterschluckte. Zum ersten Mal seit vorhin fiel ihm auf, wie sehr er es bereute, die Frage im Kartenraum nicht zu Ende gestellt zu haben; jetzt wusste er nicht, wie die Antwort darauf lauten würde.
      "... Du brauchst dein Herz, um dich in deine ursprüngliche Gestalt zu verwandeln, richtig? Geht es auch... anders? Vielleicht würde es sich wirklich lohnen, zumindest für einen Teil des Weges."
    • Wieder einmal wirkten die beiden Brüder wie zwei Seiten einer Medaille. Während Zoras körperlich erschöpft war und man es ihm im Gesicht ansehen konnte, war sein jüngerer Bruder eher mental oder emotional ausgelaugt. Folglich konnte sich dieser auch nicht mehr zu solch Ergüssen wie vor ein paar Minuten aufraffen und gab sich stattdessen ihrem Kommentar geschlagen.
      Als er das Feld räumte war er sich scheinbar immer noch nicht sicher, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Die seltsam anmutende Verabschiedung erntete deshalb auch ein amüsiertes Schmunzeln, das sie dieses Mal nicht versteckte, und nickte ihm ebenfalls zu. Als Ryoran an Zoras' Seite das Thema Insomnia ansprach wurden ihre Augen jedoch unmerklich größer. Dass er davon wusste, verwunderte sie nicht sonderlich. Nur der vorgeschlagene Lösungsweg erschien ihr etwas fraglich. Wobei... in dieser Konstellation in diesen Zeiten war es vermutlich die einfachste Lösung. Sich in seinen Gedanken zu verlieren während der Alkohol einem die Sinne raubte - ein Laster, das die Götter niemals teilen würden. Sie konnten soviel Wein und dergleichen trinken wie sie wollten, es hatte rein gar keinen Effekt auf sie. Wenn man es sich recht überlegte, war dies vermutlich auch ganz gut so. Betrunkene Götter brauchte diese Welt ganz bestimmt nicht.
      Entspannt wartete Kassandra darauf, dass sich die Tür schloss und Zoras sich ihr zuwandte, um sich zu entschuldigen. Sie schürzte ein wenig die Lippen, schüttelte dann jedoch sachte den Kopf.
      "Kein Problem. Ich kann es ja nachvollziehen nach allem, was in letzter Zeit geschehen ist. Dass der Putsch durch ist nimmt dir nicht die Last von den Schultern, sondern macht es nur noch schlimmer, oder? Du hast den Boten getötet, also nehme ich an es war eine eher negative Erklärung Feris'..."
      Seit dem Augenblick, in dem Ryoran das Zimmer verlassen hatte, war auch etwas von der Neutralität der Phönixin mit ihm gegangen. Ihr Gesichtsausdruck war wieder offener als zuvor, der Wutausbruch war nicht mehr zu erkennen. Stattdessen hatte sich eine sanftere Miene bei ihr eingestellt mit der sie nun Zoras betrachtete. Dadurch entging ihr nicht, dass er schon wieder an irgendetwas zu kauen hatte. Doch ohne Nachfrage würde sie es nicht erfahren.
      Als er seine nächste Frage stellte, erhellte sich ihre Mimik zusehends. Wenn ihm das Kopfschmerzen bereitete, ließen die sich einfach aus der Welt schaffen. Sie überschlug die Beine, die sie die ganze Zeit brav nebeneinander auf den Boden abgestellt hatte und bedachte ihren Träger mit einem Blick, den man beinahe... schelmisch schimpfen könnte.
      "Mit meinem Herz bin ich wieder das, was ich bin. Ohne Einschränkungen, ohne Limit. Aber das Gestaltwandeln ist schon ab früheren Stadien möglich. Ich habe dir ja mal erzählt, dass ich nur auf begrenzte Anteile meiner Ressourcen zugreifen kann. Ab etwa 70 % kann ich eine teilweise temporäre Wandlung auslösen - die primär für den Kampf gedacht ist. Ab 90 % kann ich mich in meine Vogelform wandeln, wenn auch in abgesprecker Variante und nur temporär. Ich bin dann noch nicht so groß, nicht so ausschweifend... Du verstehst?"
      Sie gestikulierte dabei ein wenig mit ihrer Hand ehe sie sie wieder neben sich als Stütze platzierte. Kurz verfiel sie in Schweigen als sie Zoras eingehend musterte und dann scheinbar etwas fand wonach sie gesucht hatte.
      "Aktuell kann ich auf etwa 60 % zugreifen. Aber das sollte bei Weitem reichen um die geforderte Zahl an Männern in Schach zu halten, wenn alles nach deinem Plan läuft."
      Wusste er noch, wie das System funktionierte? Wie er dafür sorgen konnte, dass sie auf mehr zugreifen konnte? Fast, aber nur fast, hätte sich eine Augenbraue fragend den Weg gen Decke gesucht aber Kassandra hielt sie gerade noch so im Zaum. Vielmehr konnte sie beobachten, dass ihre Antworten Zoras scheinbar halbwegs zufriedenstellten, allerdings nicht das waren, was er sich erhofft hatte. Er suchte nach etwas anderem.
      "Weshalb ich dich eigentlich gesucht habe: Was hast du dem Jungen erzählt? Er kam ins Zimmer gestürmt mit der Frage, ob du den Aufstand absichtlich verlieren willst. Wie sonst soll ein Vierzehnjähriger darauf kommen? Was hast du dir dabei gedacht?"

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    • Das Zimmer wurde mit Ryorans Abgang eher verlassener als ruhiger. Es stellte sich zwar eine unterschwellige Entspannung zwischen den beiden Hinterbliebenen ein, aber eher fehlte Zoras' Bruder ihm, als dass er seine Abwesenheit genossen hätte. Vielleicht war es mal wieder Zeit, dass sie sich zusammensetzten, ohne dabei über irgendwelche Putsche und Allianzen zu philosophieren oder darüber zu streiten, ob Ryorans Familie wichtiger war als Zoras' Pflicht.
      Er streckte ein wenig den Kopf zu beiden Seiten, bis sein Nacken ein befriedigendes Knacken von sich gab.
      "Wenn der Putsch durchgegangen wäre, hätte ich die Last eines ganzen Königreichs zu stemmen, aber auch eine Beerdigung vorzubereiten. Wer weiß, vielleicht ist das hier ja tatsächlich die bessere Alternative."
      Er blickte kurz zu dem Schreiben des Königs hinab, das vereinsamt zwischen der Blätterlandschaft seines Schreibtisches lag.
      "Er hat nur die gewöhnlichen Floskeln geschrieben, dass ich Hochverrat begannen habe und meine Strafen zu erwarten hätte und dass er meine Aufgabe fordert. Ich hätte ihm auch eine Antwort zurückschicken können, aber mit einem geköpften Boten ist die Antwort unwiderbringlich."
      Und damit auch seine Entscheidung, aber das war wohl nichts, was er Kassandra erklären müsste. Zögernd hob er den Blick zu ihr in der Erwartung des nächsten Vorwurfs, wie er es nur wagen könnte an seiner Entscheidung festzuhalten, seinen Bruder oder sein Land im Stich zu lassen, aber es kam nichts. Kassandra schien wohl ernstlich zu ihren Worten zu stehen, ihn nicht weiter grundlos hinterfragen zu wollen.
      Über ihre nachfolgende Erklärung ihrer Gestaltenwandlung neigte er gedankenverloren den Kopf, während er die paar Möglichkeiten durchging, die sich ihm dadurch boten. Anscheinend war es wohl doch nicht ganz realistisch, mit Kassandras Hilfe ohne ihr Herz bis zu den Toren der Herzöge zu fliegen, aber ein temporärer Feuervogel war immernoch besser als gar nichts.
      Er nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte.
      Nachdem Kassandras Blick für einen Moment etwas eindringlicher geworden war, eröffnete sie ihm auch, wie es um ihre derzeitige Macht stand. Das war es dann also sowieso mit der Aussicht, den Hinweg zu einem Hinflug zu machen. Aber ja vielleicht die Rückreise? Wenn es wirklich so schlecht lief, wie Zoras prognostiziert hatte, indem sie sechs Monate bräuchten, könnte er vielleicht die eine oder andere Schwelle von Kassandras Zugriff noch überschreiten. Das war doch zumindest schonmal eine Aussicht.
      "Ich verstehe. Das werde ich im Hinterkopf behalten."
      Er löste seine verschränkten Arme und umrundete seinen Tisch erneut, um seinen ursprünglichen Platz wieder einzunehmen. Allerdings hatte er keine Lust, sich wieder den Unterlagen zu widmen, also lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, gerade zur selben Zeit, als Kassandra ihr eigentliches Anliegen äußerte.
      Eine fast unsichtbare Falte bildete sich auf seiner Stirn, während ihn ein mulmiges Gefühl beschlich.
      "Gar nichts habe ich ihm erzählt", verteidigte er sich, vielleicht ein wenig zu ruppig für seine Art, vielleicht ein wenig zu überstürzt. Zoras war nur ein ganz passabler Lügner, wenn er sich mental auf die Lüge vorbereiten konnte.
      "... Ich habe ihm nur erklärt, weshalb die fünfte Regel der Kriegsführung an fünfter Stelle steht. Wir hatten vorgestern darüber gesprochen und ich fand, dass der Vorfall mit dem Boten ein guter Zeitpunkt war, um ihm zu erklären, dass man manchmal einfach Dinge tun muss, auch wenn sie keinen guten Ausgang haben werden."
      Er kniff die Augen in ihre Richtung zusammen, auch wenn Kassandra noch gar kein Widerwort eingelegt hatte, auch wenn sie noch gar nichts getan hatte, als ihn nur weiter gelassen zu beobachten.
      "Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich den Aufstand verlieren möchte; keine Ahnung, wie er sich das zusammenreimen kann. Der Junge ist manchmal schlau genug, um selbst anzufangen, seine Putsche und Aufstände zu planen. Ich wollte ihm was beibringen, mehr nicht, er muss ja schließlich mal das Haus übernehmen."
      Er starrte Kassandra für einen Moment herausfordernd an, als wolle er sie dazu bringen, seine Aussage zu hinterfragen. Schließlich setzte er hinzu:
      "Was hast du ihm denn gesagt? ... Oder was hat er genau gesagt? Oder was denkst du was er... gedacht haben könnte?"
    • Ein weiteres Mal wurde Kassandra eines besseren belehrt. Als Zoras seine Arme löste rechnete sie felsenfest damit, dass er mit seiner neugewonnenen Freiheit zu ihr kommen würde und mit dem fortsetzte, was auch immer das im Kartenraum gewesen war. Stattdessen umrundete er wieder den Tisch und setzte sich wie zurvor an seinen Platz, was dann doch hochgezogene Augenbrauen seitens der Phönixin auslöste.
      "Gar nichts hast du... Hm hm....", machte Kassandra nur und das vage Schmunzeln breitete sich zu einem vollumfänglichen Grinsen aus. Zu gut erinnerte sie sich an den panischen Gesichtsausdruck Teals, als er hereingestürmt kam und nicht wusste wohin mit seinen Worten. "Ich gehe jetzt mal nicht weiter auf den Kommentar mit den Dingen, die getan werden müssen, ein, ja?"
      Nach dieser kleinen Erheiterung streckte sich die Frau einmal in der Länge. Während sie dies tat hatte sie ihre Augen geschlossen und ließ die Worte des Jungen noch einmal Revue passieren. Dass Teal ein helles Köpfchen war hatte sie ja auch unlängst bemerkt. Dass man dadurch vielleicht aufpassen sollte, welche Bröckchen man ihm zum Kombinieren hinwarf, schon eher. Auf Zoras Fragen hin schlug sie die Augen wieder auf und musterte ihren Träger ein paar Sekunden lang bevor sie bereit war zu antworten.
      "Ich konnte ihm nicht viel sagen. Du hast es mir verboten, also konnte ich nur seine Fragen hinterfragen. Im Endeffekt hat er ziemlich logisch erläutert wie er auf diesen Schluss kam. Frag ihn doch einfach wenn du ihn das nächste Mal siehst", schloss sie ihre Antwort darauf und schenkte dem Herzog ein beinahe liebenswürdiges Lächeln.
      Dann fiel das Lächeln plötzlich aus ihrem Gesicht so schnell wie es gekommen war. Ein Seufzen stahl sich über ihre Lippen als sie sich einfach hinten fallen ließ und die Hände auf dem Bauch faltete. Der Blick ging zur Decke, wo sie eigentlich einen Baldachin erwartet hatte. Natürlich war hier keiner - es war auch kein Gemach für eine Dame. Also untersuchte sie die Decke auf winzige Ungereimtheiten oder Spuren der Zeit.
      "Vielleicht wird der Junge mit er Zeit verstehen warum du tust, was du tust. Ich bleibe übrigens bei meinen Worten. Ich werde mich ab jetzt nicht mehr in deinen Plan einmischen. Wenn du so sehr daran festhältst, bitte sehr. Solange ich mein Herz dadurch zurückbekomme, wird das schon in Ordnung gehen."
      Ihr Tonfall klang beiläufig doch in Wahrheit war sie froh darüber, dass er durch ihre Positionierung ihr Gesicht nicht richtig sehen konnte. Sonst hätte er einen mehr als nur nachdenklichen Gesichtsausdruck entdecken können. Für ihn war seine restliche Zeit auf Erden bereits vollends verplant. Er würde sich vielleicht noch den ein oder anderen Gefallen erfüllen und dann mit der Gewissheit in den Krieg ziehen, seine ach so löblichen Absichten zu erreichen. Aber was war mit ihr? Wenn sie schon wusste, dass er den Tod suchte, hatte es dann einen Sinn, auch nur irgendeine Beziehung zu ihm aufzubauen? Es war wie ein Ablaufdatum, das ständig in ihrem Hinterkopf einen Platz haben würde und die vielleicht schöne Erfahrung trüben würde.

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    • Zoras war überaus erleichtert darum, dass das Thema keinen näheren Andrang fand. Kassandra schien gut gelaunt zu sein, trotz der Ereignisse des Tages, trotz der Wutausbrüche von ihnen beiden, die sich - im Nachhinein betrachtet - vermutlich gegenseitig hochgeschaukelt hatten. Es half Zoras dabei, selbst wieder ein bisschen auf die Boden der Tatsachen zurückzukommen. Nur weil Teal eine aus dem Nichts gegriffene, und zugegebenermaßen exakte Beobachtung gestellt hatte, war die Welt noch nicht verloren. Der Junge war wissensbegierig, das war nirgends ein Geheimnis, und seine Kombinationsgabe würde ihm irgendwann noch große Dienste erweisen.
      Als Kassandra dann auf seine Fragen antwortete, schoss bei der Wortwahl eine Augenbraue in die Höhe. Er musterte die Phönixin, die lässig auf seinem Bettende saß, der Rock ihrer beiden Kleider zu ihren Knöcheln ausfächernd. Wieso waren sie eigentlich so weit voneinander entfernt, schoss es ihm durch den Kopf. Und wieso störte ihn das gerade jetzt und nicht wannanders?
      "Ich habe es dir verboten?"
      Er versuchte ernsthaft sein Gehirn anzustrengen um sich daran zu erinnern, wann er ihr etwas derartiges verboten hätte. Soweit er wusste, hatte er bisher kein einziges Verbot ausgesprochen - vielleicht höchsten Bitten. Aber Verbote? Er wollte sich diese eine Fähigkeit ihrer Essenz nicht zu Nutzen machen und daran hielt er sich auch ausnahmslos, dessen war er sich sicher.
      "Was habe ich dir verboten? Ich habe dir gar nichts verboten. Du kannst tun und lassen, was du willst."
      Er fixierte sie, während sie sich auf der Matratze zurücklehnte und ihr Oberkörper auf der aufgeplusterten Decke beinahe verschwand. Seine eigene Müdigkeit drängte ihn dazu, die Weite des Bettes auszunutzen und sich selbst darauf zu legen, aber er rührte sich nicht, sondern beobachtete nur. Er beobachtete die Wellen ihres Rockes, ihre filigranen Hände auf ihrem Bauch, die Andeutung ihrer Haarpracht, das sich wie ein Nest hinter ihrem Kopf ausbreitete. Er hatte sie gerne um sich, fiel ihm auf. Auch wenn der Altersprozess sie irgendwann einholen und zu einer greisen Frau machen würde, er würde ihre Gegenwart schätzen, so wie er es jetzt schon tat. Er schätzte ihren Charakter, ihre Einstellung, ihre Meinung, ihr Temperament. In gewisser Weise war sie mehr als nur eine sehr nützliche Begleiterin mit absonderlichen Fähigkeiten.
      Er wandte den Blick ab und sah stattdessen auf das königliche Schreiben hinunter.
      "Ich werde es ihm schon irgendwie wieder ausreden", brummte er. Dann, nach einem weiteren Moment, stand er auf und kam vorsichtigen Schrittes in Richtung des Bettes. Etwa anderthalb Meter vor Kassandra blieb er wieder stehen, denn der Ausblick auf ihren liegenden Oberkörper bremste ihn so plötzlich in seinem Vorhaben, dass er gedanklich strauchelte. Es fühlte sich gänzlich falsch an, auf Kassandra hinab zu blicken, als wären sie nicht nur auf verschiedenen Höhen, sondern als hätte sich das ganze Raumgefüge dadurch geändert. Am liebsten hätte er sich selbst hingelegt oder sich sogar eher noch auf den Boden gesetzt, um eine gewisse übernatürliche Normalität wiederherzustellen. Stattdessen schluckte er das Gefühl runter und blieb einfach dort stehen, wo er war.
      "Kassandra...?"
      Sie bewegte den Kopf ein wenig, um ihn anzusehen. Das Glühen in ihren Augen war verschwunden und ihr Blick legte sich schon beinahe sanft auf ihn.
      Seiner Gedanken beraubt, setzte er sich doch wieder in Bewegung und nahm auch auf dem Bett platz, aber in einem sittsamen Abstand zu ihr. Es kam ihm irgendwie falsch vor sie berühren zu wollen, wenn er sich dafür nicht hinter anderen Vorwänden verstecken konnte.
      "... Ich lege viel Wert auf deine Anwesenheit, in der ganzen Sache hier. Ich weiß, dass das verstrickte Umstände für einen Außenstehenden sind und ganz besonders für jemanden mit deiner Erfahrung; aber deswegen bin ich umso erleichterter darüber, dass du hier bist. Ich weiß wirklich zu schätzen, was du tust - alles davon."
      Er schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. In seinem Hinterkopf erhob sich der Drang, seine Frage von vorhin zu stellen, aber irgendwas an der Situation war nicht ganz richtig. Vielleicht war es vorhin schon nicht richtig gewesen und er hatte es nur nicht bemerkt, jetzt war die Frage allerdings fehl am Platz.
      "Ich glaube, ich habe dich nie offiziell gefragt, aber ich finde, das sollte nachgeholt werden: Wirst du mich bei meinem Aufstand unterstützen, bis zum bitteren Ende?"
      Sein Lächeln blieb unbezwungen in seinem Gesicht.
      "Wenn es gut läuft, vielleicht für anderthalb Jahre. Bis du dein Herz zurückbekommst. Wirst du mich unterstützen?"
    • "Das ist so nicht ganz richtig. Du hast, und ich zitiere, ein offizielles Verbot ausgesprochen. Ich darf mit niemanden über deinen Plan sprechen und erst recht nicht, dass du deinen Fall zur Stärkung der Krone planst. Gestern Abend im Kartenraum, nachdem du den ganzen Tag mit deinem Bruder an der Aufstellung deiner Fraktionen geplant hattest. Bevor du mich fragtest, wie viel Mann ich zeitgleich trotzdem kann."
      Im Gegensatz zu Zoras hatte Kassandra die Situation noch fest vor Augen. Wie er mit einem anklagenden Finger auf sie gezeigt hatte und ihr untersagt hatte, ein Wort zu jemand anderem als ihm selbst zu verlieren. Dass er es schlichtweg vergessen hatte, warf sie ihm nicht einmal vor angesichts der aktuellen Umstände. Nur der Fakt, dass er es so beiläufig getan hatte und es nicht einmal als durchgreifendes Verbot erachtet hatte, stieß ihr ein wenig unwohl auf. Sicher, er hatte diese Regel ihrer Verbindung noch nicht genutzt und folglich wusste er vermutlich auch nicht um deren Macht. Sonst hätte er das Verbot richtig aufgehoben und nicht so lapidar wie gerade jetzt gesagt, wie es um ihre Freiheit stand.
      "Solange du das Verbot nicht wortgemäß wieder aufhebst, kann ich es nicht umgehen. Selbst wenn du sagt, ich habe alle Bewegungsfreiheit dieser Welt. Die habe ich nämlich nicht."
      Ihre Augen gingen noch immer starr zur Decke hinauf. Sie hatte oft genug die Grenzen von Worten ausgelotet und wusste, wo sie herumspielen konnte und wo nicht. Wie man Befehle, Verbote, wieder korrekt aufhob und wie nicht. Er hätte unter Zwang genau die gleichen Worte sprechen können und es wäre nicht zu ihr durchgedrungen. Ohne das Wollen dahinter würden normale Worte nicht ausreichen. Deswegen besaß sein Verbot solch eine immense Wirkung auf sie - er wollte unter keinen Umständen, dass ein Anderer von seinem Plan erfuhr.
      Sie hörte indes, wie sich Zoras im Raum bewegte. Er hatte seinen Sitzplatz verlassen und wenn ihre Ohren sie nicht täuschten, näherte er sich ihr. Doch sie schaute wieder gnadenlos zur geschlossenen Decke und machte keinerlei Anstand, sich zu bewegen oder allgemein zu regen.
      "Kassandra...?"
      Gemächlich zog Kassandra das Kinn etwas an ihre Brust damit sie Zoras in ihr Blickfeld bekam. Ihr Gesichtsausdruck war nunmehr entspannt, wenn auch mit einem fragenden Unterton in ihren Augen. Er stand noch so weit von ihr weg, dass er sie nicht anfassen können würde. Trotzdem war die Art, wie er sie gerade ansah, mehr als nur seltsam. Als würde etwas in seinen Augen nicht stimmen, wenn sie so auf seinem Bett lag. Wie ein... Fremdkörper?
      Dieser Moment hielt nur kurz an, da setzte er sich bereits wieder in Bewegung und schloss die Distanz zwischen ihnen auf. Er kam an ihre Seite, brachte das Bett ein wenig zum Wanken als er sich verhältnismäßig weit weg von ihr dazu setzte. Die Phönixin rollte sich auf die Seite, winkelte die Beine seitlich an, stellte einen Arm auf und stützte ihren Kopf mit der Hand ab. Eine alles andere als anmutig wirkende Geste, wenn man so wollte. In ihrem Gesicht spiegelte sich keinerlei Reaktion wider als sie seinen Worten lauschte und er ihr eine Frage stellte, die nicht weniger brisant sein konnte.
      Wenn sie ihm ehrlich antwortete, dann würde er wieder mit den gleichen Ausreden bezüglich ihrer Freiheiten kommen. Dann wäre rein gar nichts anders wie all ihre Aufenthalte bei anderen Herrschern, die sie wegsperrten und sich einfach nur an ihrem Äußeren erfreuten. Tatenlos würde sie hier hinter den Fenstern stehen, verdammt dazu untätig darauf zu warten wie die Zeit verronn.
      "Ja, werde ich."
      Ihre Augen banden Zoras' Blick mit einer Eindringlichkeit, die keinen Spielraum für Zweifel übrig ließen. In diesem Moment, wo ihre Bindung noch nicht so stark war, dass er ihre Regungen eindeutig lesen konnte, musste sie es ausnutzen und lügen. Sie war ihm nicht zur Wahrheit verpflichtet, solange er sie nicht dazu zwang. Jedoch würde sie ihn begleiten, obzwar sie sein Vorhaben wohl niemals gutheißen würde. Sie würde weiterhin dafür beten, dass das Chaos zuschlug und sie mitansehen konnte, wie sein sorgsamer Plan in sich zusammenfiel wie ein Kartenhaus.
      Schließlich seufzte sie leise und setzte sich anständig auf. Einen musternden Blick über die gesamte Erscheinung des Herzoges später wurde ihr Ausdruck weich. Er sah noch immer ziemlich fertig aus und auch diese Unruhe in ihm war noch immer spürbar vorhanden. Sie wusste nicht eindeutig, woher sie rührte, würde aber auch nicht danach fragen. Es war sein innerstes Gut und nicht ihres, selbst wenn sie es manchmal spüren konnte wie ihr eigenes.
      "Ich gebe dir gerne meinen Rat und teile mein Wissen. Ob es für deine Lage passend ist, steht allerdings aus. Sei dir nur gewiss, dass ich dich bis dahin schützen werde. Es wird kein Pfeil, kein Gift und keine Klinge den Weg an deinen Leib finden, das ist meine Aufgabe", fügte sie sanft hinzu und erlegte sich selbst eine Aufgabe auf, zu die ihr Herz an seiner Brust sie gar nicht zwang.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Zoras erhielt das, was er hören wollte, auch wenn er sich bis dahin nicht bewusst gewesen war, dass er es hören musste. Es hatte etwas eigenartig erleichterndes an sich von Kassandra persönlich zu hören, dass sie ihn unterstützen würde - ganz unabhängig davon, dass er sie mit ihrem Herzen dazu bewegen konnte. Er musterte ihre Miene für einen Augenblick, die so felsenfest war, dass es gar keinen Raum für irgendwelche Zweifel geben könnte. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, ein erleichterter Ausdruck, dem ein wenig Freundschaftlichkeit angehaftet war.
      "Das ist schön, wirklich."
      Vielleicht ließ sie sich von seinem Ausdruck anstecken, vielleicht war es etwas anderes das sie dazu verleitete, sich aufzusetzen und ihn mit einem zahmen Blick zu betrachten. Zoras' Herz stockte ein wenig in seinem Schlag; er glaubte nicht, dass er oft in den Genuss gekommen wäre, eine solche Emotion auf Kassandras Gesicht zu betrachten. Es war schön anzusehen.
      Sie bestätigte ihm ihre Unterstützung und Zoras ließ im Gegenzug sein Lächeln ein wenig weiter erstrahlen, bis seine Augen in den Fältchen seines Lachens eingedeckt waren. Er betrachtete Kassandra mit unverhohlenem Sanftmut.
      "Das ist alles, was ich brauche. Ich kann mich sehr froh schätzen, dich bei mir zu haben."
      Der Moment schien wieder ähnlich intim zu werden wie schon im Kartenraum, nur sie beide kaum einen Meter voneinander entfernt, die Aufmerksamkeit vollständig auf den jeweils anderen gerichtet. Zoras überlegte ernsthaft, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen war - aber je länger er darüber nachdachte, desto sicher war er sich, dass es nicht dasselbe war. Vielleicht war das ja der Ursprung des Problems, er dachte darüber nach. Im Kartenraum hatte er gerade mal den Gedanken konkretisiert, da hatte er ihn auch ausgesprochen. Jetzt kam es ihm nicht mehr richtig vor.
      "Wir werden es schon schaffen. Wie Ryoran schon gesagt hat: Wir haben bisher alles geschafft. Und mit deiner Hilfe kann es nur besser werden."
      Er stand wieder auf, um zurück zu seinem Schreibtisch zu gehen und Kassandra wieder in die Freiheit des Hauses zu entlassen. Allerdings wandte er sich ihr noch einmal zu.
      "Und was das Verbot betrifft, hebe ich es dir hiermit offiziell wieder auf, ich werde dir nichts verbieten. Aber ich werde dich höchst eindringlich bitten, es niemandem zu erzählen. Allein schon dafür, dass hier keine Massenpanik ausbricht, okay?"
      Er lächelte Kassandra doch noch zu und wandte sich dann zu den Unterlagen auf seinem Schreibtisch, nicht davon beeinflusst, ob Kassandra noch eine Weile bleiben, oder sich doch entfernen würde. Letzten Endes genügte es ihm zu wissen, dass sie da sein würde, wenn er sie brauchte.

      Am späteren Abend kamen die Brüder einem der kleinen Salons zusammen, einem gemütlichen, quadratischen Raum mit einigen Sesseln und einem Kamin in der Ecke, dem sie sich auch jetzt zugewandt hatten, der aber über die Sommertage kaum angefacht wurde. Ryoran hatte sich ein Glas Wein genehmigt und sich mittlerweile auch in etwas freizeitlicheres gekleidet, kaum mehr als das Hemd und die Hose, die Zoras bereits trug. Der Herzog hatte einen klobigen Krug Bier in der Hand und trank etwa doppelt so schnell wie Ryoran, um die Differenz des Alkohols auszugleichen.
      Die meiste Zeit redeten sie über Belanglosigkeiten, etwa über die Pferde, über die Ländereien, welcher Fürst sich in seiner Freizeit mit wem duelliert hatte, welcher Waffenschmied zur Zeit an Beliebtheit gewonnen hatte. Zoras berichtete ein wenig von dem Palast und den Herzögen, davon dass Eiklar sich wieder in den Kopf gesetzt hätte, die Lösung aller Dinge läge in Büchern, geheimen Schriften und schönen Frauen, davon dass Emjir ganz schön an Kraft zugelegt hatte, seit er ihm das letzte Mal begegnet war. Er erzählte nichts von Seiner Majestät und auch nichts von Meriah, und Ryoran fragte auch nicht nach. Schließlich beschwerten sich beide darüber, wie die jungen Leute von heute alle nur noch in ihren hübschen Kutschen fahren und nicht mehr reiten wollten und sie stellten fest, dass Ultroff in seinem höheren Alter immer noch einen ordentlichen Schwung drauf hatte. Irgendwann fühlte Zoras sich von dem Bier auf eine vertraute Art beruhigt und sogar irgendwie schläfrig, selbst Ryoran war auf seinem Sessel ein wenig herabgesunken und streckte seine langen, wenn auch irgendwie dürren Beine aus. Sie schwiegen sich wieder an, peinlichst darauf bedacht, nicht aus versehen ein Thema anzuschneiden, das zu heiß war. Schließlich schenkte Ryoran Zoras einen Seitenblick.
      Was hat es eigentlich damit auf sich, dass du Kassandra duzt?
      Zoras zuckte kurz mit den Schultern.
      Wieso nicht? Ist doch nicht verboten?
      Aber sie ist eine Phönixin.
      Zoras grinste und nickte.
      Ja, richtig. Gut erkannt.
      Ryoran wandte ihm den Kopf zu, die Augen zusammengekniffen.
      Sie. Ist. Eine. Phönixin.
      Das hast du schon gesagt.
      ... Wieso duzt du sie?
      Ich habe es ihr angeboten und sie hat zugestimmt.
      Okay… und wieso hast du es ihr angeboten?
      Weil sie nicht angebetet werden will. Das hat sie mir selbst gesagt, also habe ich es ihr angeboten.
      Die Höflichkeit anzuwenden ist noch lange kein Anbeten”, stellte Ryoran zweifelnd fest, bekam aber als Antwort nur ein Schulterzucken und ein Brummen. Der Rothaarige lehnte sich ein wenig weiter zurück.
      Ich weiß, dass wir das Gespräch schon einmal geführt haben. Die letzte Person, die du geduzt hast, hättest du auch nicht duzen sollen und du weißt ja, was daraus geworden ist.
      Zoras versteifte sich.
      Wird es genauso mit Kassandra werden? Wie mit der Königin?
      Natürlich nicht”, knurrte Zoras, ein bisschen zu defensiv. Natürlich entging es Ryoran nicht, dem Mann entging bei Zoras nur wenig.
      Sicher, okay. Deswegen strahlst du auch so, sobald sie in der Nähe ist, nicht wahr? Du könntest eine verdammte Sonnengöttin sein, so sehr leuchten deine Augen.
      Sei still.
      Aber hab' ich Unrecht?"
      Zoras schwieg und daraufhin gab Ryoran ein leidendes Stöhnen von sich.
      Kannst du dir nicht ein Mal eine normale Frau suchen? Eine Fürstin oder sowas? Meinetwegen eine Herzogin?
      Du hast gut reden, nicht jeder kann so viel Glück wie du haben und deine Zukünftige noch in Kinderjahren kennenlernen.
      Aber sie ist eine Phönixin, Zoras! Eine Phönixin.
      Ich weiß.
      Ryoran stöhnte erneut.
      Du kannst nicht mit einer Phönixin schlafen.
      Warum nicht? … Ich meine, das will ich ja sowieso nicht, aber warum nicht?
      Sie ist eine Phönixin! Wie soll das funktionieren? Du hast die nächsten zwanzig Jahre ein bisschen Spaß mit ihr, dann gibst du sie weiter an den nächsten?
      Natürlich nicht”, knurrte er zur Antwort und fügte gleich hinzu, bevor Ryoran etwas ansetzen konnte: “Ich tue nichts, was sie nicht auch will.
      Okay, meinetwegen. Dann nur mal angenommen, sie will es tatsächlich auch, wie soll das funktionieren? Sie bleibt bei dir, bis du ein alter Mann bist, bevor sie sich einen jüngeren sucht?
      Kassandra ist nicht so”, murmelte er in seinen Krug hinein, aber natürlich hörte Ryoran es trotzdem.
      Und wie ist sie dann?
      Sie ist… anders. Anders als das.
      Und wie ist sie anders?
      Zoras rutschte auf seinem Sessel herum und stellte den Krug auf seiner Armlehne ab.
      Ich glaube nicht, dass sie sich darum kümmert, wie jemand aussieht; höchstens, was jemand macht oder sagt. Sie hat eine gute Menschenkenntnis, da ist Alter nicht so wichtig. Sie kann Menschen gut einschätzen… sie ist schlau. Sie ist intelligent und sie ist weise.
      ... Okay.
      Sie würde sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten, höchstens mit dem Großen und Ganzen. Es kann ihr kaum wichtig sein, dass ich alt würde.
      Okay.
      Sie kann außerdem gut kämpfen - hast du sie mal gesehen? Nein, natürlich hast du nicht. Ich meine, natürlich kann sie mit ihrem Feuer erheblichen Schaden anrichten, aber sie hat auch eigene Waffen. Und wie sie die schwingen kann! Das hast du in deinem Leben noch nicht gesehen, das ist außerweltlich. Du hättest keine Chance gegen sie.
      Okay.
      Sie ist aber trotzdem würdevoll, selbst im Kampf. Es ist eigentlich viel weniger ein richtiger Kampf, sondern… ein Tanz, schätze ich. Kassandra kämpft nicht, sie tanzt.
      Hm.
      Es ist wie eine Hypnose, vielleicht. Ich weiß, dass sie in der Götterwelt nicht die stärkste und nicht die mächtigste und alles ist, aber bei Zeus’ Eiern, sie ist wirklich einzigartig. Kein Ares, aber… nah dran. Sehr nah dran.
      Hm.
      Und reiten kann sie auch, wobei die Pferde sie irgendwie nicht ganz mögen. Ich glaube sie spüren, dass sie kein Mensch ist, wobei ich auch nicht weiß, warum sie das interessieren sollte. Aber das lässt sich ändern, sie muss sich einfach mit ihrem Tier ein bisschen anfreunden. Ich werde ihr das schon zeigen.
      Hm.
      Kannst du dir das vorstellen, Kassandra auf einem Kriegspferd? Mit ihrer Waffe und ihren Flammen an der Spitze einer Armee? Kannst du das, Roran? Ich kann es mir gut vorstellen.
      Ryoran sah wieder zu ihm, in das Leuchten seiner Augen, in das Strahlen seines Gesichts, zu den vielen kleinen Fältchen an seinen Augen, die nichts anderes als Begeisterung verströmten. Als Zoras seinem Blick begegnete, seufzte Ryoran und zwickte sich in seinen Nasenrücken.
      Du bist unmöglich, Zoras. Eine Phönixin.
      Der Herzog nickte grinsend, das Gemüt vom Bier und von der Vorstellung Kassandras aufgelockert.
      Nicht nur eine Phönixin. Kassandra.

      Sie saßen noch länger beisammen und philosophierten darüber, ob es Zoras’ Verderben oder Erlösung sein würde, eine Frau anzuimmeln, die sprichwörtlich aus dem Himmel kam. Schließlich kamen sie auf das höchst komplizierte Thema, wie man eine Phönixin umgarnen sollte, ohne sich dabei lächerlich zu machen. Ryoran kam bald in einen Redefluss darüber, wie er um Elives Hand angehalten hatte, wie er ihr den Hof gemacht hatte, nicht lange allerdings, denn Elive war ihm schon von vornherein zugeneigt gewesen. Sie überlegten sich, was Zoras unternehmen könnte, um Kassandra genauso zu umgarnen, bevor sie sich schließlich trennten. Zoras wankte hoch in sein Zimmer, fiel in sein Bett und brauchte nur eine weitere Stunde, bis er eingeschlafen war.

      Am nächsten Tag passte er Kassandra ab, als sie gerade auf dem Weg war, ihr Zimmer zu verlassen. Es war nicht schwierig so zu tun, als sei er ohnehin in seinem Zimmer beschäftigt gewesen und hätte die Tür gehört, denn er hatte nur kurz geschlafen und sich dann an Briefe gesetzt. Als er jetzt Kassandra erblickte, hellte seine Miene sich deutlich auf.
      "Guten Morgen. Würdest du mich zum Frühstück begleiten?"
      Die Phönixin willigte ein und so gingen sie gemeinsam ins Esszimmer, wo sie in Abwesenheit der anderen Familie aßen. Zoras war gut gelaunt für den heutigen Tag, vielleicht sogar ein wenig zu gut für seinen Geschmack. Er verstrickte Kassandra in unwichtige Unterhaltungen über das Wetter und ihr Wohlbefinden in seinem Herrschaftssitz, bevor er gegen Ende des Frühstücks endlich seine eigentlichen Gedanken ansprach.
      "Würdest du dich mir heute auf einem Ausritt anschließen? Ich würde dir gerne die Landschaft zeigen, bevor wir wieder abreisen werden. Wenn wir in ein paar Monaten wieder hierherkommen, werden wir wohl kaum dafür Zeit haben."
      Seine Laune wurde selbst nicht von der Erwähnung seiner bevorstehenden Abreise getrübt, auch wenn der Gedanke in seinem dunkelsten Inneren wie ein Pestizid verweilte. Das hielt ihn aber noch lange nicht davon ab, Kassandra regelrecht anzustrahlen.
    • Es gab ein paar wenige Emotionen, die Kassandra von den Menschen nie wirklich annektieren konnte. Darunter fiel die Reue, die sie eigentlich empfinden sollte, wenn sie Zoras so dreist ins Gesicht log. Die sie spüren sollte, als sich sein Lächeln voll entfaltete und diese liebenswerten Lachfältchen an den Rändern seiner Augen hervorrief, die sie bei allen Menschen so gerne sah. Doch nichts dergleichen tat sich in ihrem Inneren nur ein Funken Elend wehrte sich gegen das Verdrängen.
      Wieder entstand dieser Moment der Stille zwischen ihnen, in dem sie sich einfach nur ansahen. Während Kassandra darauf wartete, dass Zoras endlich aussprach, was ihn beschäftigte, schien dieser seine derzeitige Lage gründlich zu überdenken. So lange bis er sich bei ihr für ihre Unterstützung bedankte und sich plötzlich vom Bett erhob. Entgegen ihrer eigenen Vermutung sah sie ihm nicht direkt hinterher sondern starrte den Platz an, wo er vor Sekunden noch gesessen hatte. Als hätte sie erwartet, dass er etwas täte. Dass er die Worte zuende formulierte, die Frage stellte, die er im Kartenraum angesprochen hatte. Denn wenn sie eines wusste, dann dass die Frage nach ihrer Unterstützung nicht dieselbe gewesen war.
      Ihre Lippen zuckten leicht bevor sie ihre Augen von dem Platz losriss und es Zoras gleichtat.
      "Ich habe dir doch versichert, dass ich dir nicht mehr in den Rücken fallen und deine Pläne sabotieren werde", erwiderte Kassandra schmunzelnd, doch im Gegensatz zu Zoras erschienen in ihrem Gesicht keine Lachfältchen.
      Während er sich seinen Unterlagen widmete, erstarb die Freundlichkeit in ihren Augen zusehends. Er hatte zwar das Verbot wörtlich aufgehoben und sah sich im Reinen aber die Wirkung bestand noch immer. Sobald sie in sich hörte und nach den Restriktionen suchte, fand sie seinen inhärenten Wunsch, dass niemand etwas von seiner Mission erfuhr. Selbst wenn sie es gewollt hätte - sie würde kein Wort darüber verlieren können. So sehr stand ihm sein Wunsch danach und den musste sie respektieren.
      "Wenn du mich brauchst kannst in Gedanken nach mir rufen. Das kann ich hören", fügte sie noch immer schmunzelnd hinzu als sie sich abwand und das Zimmer verließ.
      Die sonst so lebendig wirkenden Augen mit einer seltsamen Kälte ausgestattet.

      Kassandra stahl sich ungesehen und ungehört nach draußen in die Nacht.
      Wie ein Dieb auf geheimer Mission wich sie den Wachen und Landsleuten aus, die sich um die Ländereien und Tiere am Hause kümmerten indem sie weite Bögen um deren Auren machte. Auf halben Wege zog sie sich die Schuhe aus und lächelte, als sie den Boden und das Gras unter ihren Füßen spürte. Zwischen Gattern und Häusern hindurch entfernte sie sich immer weiter vom Haupthaus bis sie schließlich weit genug entfernt war, das man sie mit bloßem Auge nicht mehr sehen konnte. Einen Blick warf sie dennoch zurück über die Schulter, zurück zu den Lichtern, die die erhellten Fenster darstellten. Hier draußen unter dem Nachthimmel, der nur von Sternen und dem Mond erhellt war, fand sie die Ruhe, nach der sie sich sehnte. In der Nähe von so vielen Menschen war es wie ein ständiges Rauschen um sie herum, und erst recht in Zeiten der Verwirrung wie jetzt brauchte sie hin und wieder den Abstand.
      Ihre Augen wanderten zum Mond.
      Elives Worte kamen ihr wieder in den Sinn. Ob man wohl gerade von oben herab auf sie blickte und sich darüber lustig machte, wie sie wie ein Spielball zwischen den Menschen hin und her gereicht würde? Was war mit ihren Artgenossen, waren sie immer noch froh darum, dass man sie losgeworden war? Den Schandfleck nicht mehr sehen musste?
      Sie dachte an Terandil, der angeblich irgendwo auf dieser Welt sein sollte. Wenn man den Worten des toten Jägers Glauben schenken würde. Nur hatte sich Kassandra mit dieser Möglichkeit bereits abgefunden. Es gab keine logische Erklärung, warum sich einer der ihnen freiwillig auf die Erde hinabbegeben sollte. Keiner von ihnen würde den Fehler wiederholen, den sie einst getan hatte. Sie war das Mahmal für all jene, die mit dem gleichen Gedanken spekulierten. Scheinbar ein sehr gutes Mahnmal.
      Ein gedehntes Seufzen erklang in der sonstigen Stille während sie noch immer den Mond bewunderte, wie er groß und einsam am Himmel stand und alles überblickte. Sie hörte die Pferde in etwaiger Entfernung schnauben, Insekten zirpen und irgendwo einen Vogel schreien. Die Welt unter ihren Füßen würde sich nie aufhören zu drehen und sie war nun ein Teil davon. Vor dem Mond zog ein Schemen vorbei, der scheinbar zu dem Vogelschrei gehörte, den sie eben noch vernommen hatte. So verharrte die Phönixin fast eine Stunde lang ehe sie sich auf den Rückweg machte und Erdspuren auf den Wegen vor den Häusern hinterließ, die baldiger Regen wohl hinfortwaschen würden.

      Der nächste Morgen entpuppte sich als... gelinde ausgedrückt, spannend. Kassandra hatte die Lider nach einem traumlosen Schlaf aufgeschlagen und direkt gespürt, dass es in Zoras' Geist rumorte. Er war schon, Gott weiß wie lange, wach und arbeitete scheinbar an irgendetwas. Sie hingegen klopfte die restlichen Erdspuren von ihren Füßen, die leider eindeutige Hinweise in ihrem Bett hinterlassen hatten, und zwängte sich wieder in die schier endlosen Kleiderschichten und richtete ihre Haare.
      Noch bevor sie die Hand auf die Klinke legte wusste sie, dass er sie abpassen würde. Die Tür öffnete sich, sie ging heraus und wurde direkt von ihm abgepasst. Dieses Mal war es jedoch kein Lächeln sondern eine verwunderte Augenbraue, die er von ihr als Reaktion bekam. Seit wann passte er sie zum Frühstück ab? Sie hinterfragte es jedoch nicht weiter und willigte ein.
      Die nächste Überraschung wartete bereits im Esszimmer. Von Ryoran, Elive und Teal fehlte buchstäblich jede Spur. Doch der Tisch war reich gedeckt und irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass heute etwas nicht stimmte. Allerdings beschloss sie die weitere Entwicklung erst einmal zu beobachten und ließ sich von Zoras in scheinbar belanglose Gespräche verwickeln ehe er zum Kern dessen kam, was er heute vor hatte. Seine überaus gute Laune war dermaßen offensichtlich, dass sie nicht einmal auf ihr Herz zurückgreifen musste. Er strahlte sie an wie Re persönlich. Irgendetwas Gutes war ihm widerfahren und sie wusste nicht, was in ihrer Abwesenheit geschehen war.
      "Sicher. Es ist bestimmt hilfreich wenn ich ein wenig mehr von den Ländereien weiß. Solange ich an den Boden gebunden bin ist das sicherlich eine taktisch kluge Wahl", willigte die Phönixin ein und trank von ihrem Wasserbecher.
      Für so eine Frage hätte der Rest seiner Familie nicht fehlen müssen. Bisher hatten sie alle Mahlzeiten gemeinsam zu sich genommen und diese plötzliche Änderung irritierte sie zunehmend.
      "Gehen wir allein oder nehmen wir noch jemanden mit? Ich muss gestehen, ich bin ein wenig verwirrt wo dein Bruder und seine Familie sind. Bisher haben wir immer zusammen gegessen aber heute nicht. Wir sind doch weder zu früh noch zu spät oder irre ich mich?"

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Zoras ließ sich in seiner Stimmung nicht beirren, auch während Kassandra ihr offensichtliches Misstrauen zeigte.
      "Wir gehen alleine. Elive reitet in die Stadt auf der Suche nach einem angemessenen Schneider für deine Kleider, Ryoran habe ich ausgeschickt, damit wir die Boten der Grenzen abfangen und mit den neuen Befehlen zurückschicken und Teal hat heute den ganzen Vormittag Unterricht bei Ultroff und am Nachmittag kommt seine Hauslehrerin. Wir haben das Anwesen also, in gewisser Weise, den ganzen Tag für uns."
      Er strahlte sie an, als habe diese Tatsache etwas zu bedeuten und war nicht ausschließlich dafür da, dass sie nicht abgelenkt würden. Dann, ohne mehr Zeit zu verschwenden, stand er auf.
      "Also lass uns gehen, solange die Sonne noch scheint. Heute Abend können wir uns immer noch mit den anderen unterhalten."
      Er lächelte ihr zu, dann führte er sie nach draußen.
      Sie gingen zu den Pferden und sattelten auf, nicht aber ohne Zoras' Pflichtbewusstsein, Kassandra darin unterrichten wollte, wie sie mit dem Tier eine Freundschaft aufbauen konnte. Sie hatten sowieso alle Zeit der Welt, also nahm er sich auch den Moment, um gut gemeinte Ratschläge von sich zu geben. Hinter ihm stand sein gesattelter Fuchs und beäugte Kassandra misstrauisch, die Ohren zur Seite gelegt, der Schweif unablässig peitschend. Er wäre wohl nur halb so ruhig, wenn sein Herr nicht anwesend gewesen wäre; so war er sich nur unsicher darüber, was er von Kassandra und der Situation halten sollte.
      Zoras drückte Kassandra einen Zuckerwürfel in die Hand mit der fröhlichen Bemerkung, ein bisschen den Gaumen ihres Tieres anzusprechen.
      "Selbst Pferde lassen sich bestechen, man muss es nur richtig anstellen. Hast du überhaupt schon einen Namen? Das ist noch viel wichtiger, als irgendwelche Bestechungen. Damit kann erst alles so richtig anfangen."
    • Kassandra legte verdächtig langsam ihr Besteck neben den Teller. Das war kein Zufall. Zoras hatte absichtlich sämtliche Vertreter seiner Familie irgendwie beschäftigt, um mit ihr allein Zeit verbringen zu können. Wie ein Donnerschlag schwante ihr plötzlich, was das hier werden konnte. Warum er sie so losgelöst anstrahlte als gäbe es kein Morgen mehr. Vielleicht war es dann tatsächlich besser, dass sie ausritten anstatt hier zu bleiben...
      Bevor sie allerdings weitere Gedanken dazu verlieren konnte war Zoras bereits aufgestanden und animierte sie, das Gleiche zu tun. Letztendlich gab sie sich geschlagen und lächelte ein wenig als sie ihm nach draußen folgte. Was für ein schlechtes Wesen wäre sie, wenn sie ihm seiner Freude beraubte und seinen Plan völlig ruinierte? Solange er noch die Zeit hatte frei zu atmen würde sie ihm diese auch gewähren. Dies war ein Teil davon, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Seine mentale Belastbarkeit zählte schließlich auch dazu.
      Wie angekündigt steuerten sie die Ställe an. Kassandra hatte sich einen Schimmel ausgesucht gehabt, der als ehemaliger Rappe eher noch als Apfelschimmel durchging. Das bisher namenlose Tier starrte sie beide recht alarmiert an aber Kassandra hielt sich nicht sonderlich daran auf. Kein Tier schien sie wirklich zu akzeptieren, immerhin war ihre natürliche Aura meist zu viel für die feinfühligen Tiere. Allerdings konnte Kassandra irgendwann, nachdem Zoras den bestimmt fünfzehnten Tipp gegeben hatte, ein ausgewachsenes Grinsen nicht mehr zurückhalten.
      "Ich hab dir doch schon mal gesagt, dass Tiere mich nicht mögen", lachte sie und sorgte dafür, dass der Schimmel nervös den Kopf hochriss. "Sie spüren meine natürliche Aura und sie sind eben feinfühliger als ihr Menschen. Meine Aura fürchten sie."
      Trotzdem nahm sie sich das Zuckerstück und bewegte es verführerisch vor den Nüstern ihres Hengstes hin und her. Unsicher darüber, ob er es annehmen sollte, bewegte er nur seine Lippen bis er sich einen Ruck gab und den Wüfel annahm. Er koppte ein wenig während er den Würfel in seinem Maul umher bewegte.
      "Wir nennen ihn Solair. Nach der Sonne zu der er aufsteigen soll nach seinem Tod." Ein Seitenblick zu Zoras zeigte einen eher überrumpelten Ausdruck. Sie lachte kurz und leise ehe sie hinzufügte: "Quatsch. Er ist ein Schimmel und daher finde ich den Namen so passend. Also genug Pferde bespaßt, wir wollen doch los oder nicht?"
      Kurz darauf hatten sie beide ihre Tiere gesattelt und aufgezäumt. Kassandra musste ihren Hengst ein wenig manipulieren, der sich so unwilig unter ihr gebärdete, dass ein entspanntes Ausreiten fast unnmöglich erschien. Nach einem kleinen Aurenabgleich, indem sie ihre Magie wie einen kurzen Regenschauer über den Schimmel regnen ließ, wirkte er augenblicklich etwas ruhiger und gesammelter. Trotzdem tänzelte das deutlich jüngere Tier hinter Zoras' Fuchs hin und her während Kassandra einer Göttin gleich, die sie nun mal war, auf dem Tier thronte. Dann gab er die Richtung vor und Kassandra schickte ihren Schimmel an, dem Herzog zu folgen.
      "Wohin genau reiten wir? Ich nehme an, du hast ein konkretes Ziel vor Augen", fragte sie ihn nachdem sie zu ihm aufgeschlossen hatte und sie nun nebeneinander her ritten. Sie waren schon außerhalb des Gehöfts auf offener Fläche und der Wind kam nun ungezügelter.
      Er fegte über das Gras und wog es in gleichmäßigen Wellen umher. Ihre Haare, die sie in der Eile nicht zusammengebunden hatte, wirbelten wie Aschestürme um ihre Kopf herum, doch sie hielt sich nicht unbedingt daran auf. Das hier kam einem Ausflug gleich und es wäre höchstgradig gelogen wenn sie behauptete, sie fände keinen Gefallen daran. Diese Unbeschwertheit hatte sie schon lange nicht mehr verspürt und ein wenig schien sie zu verstehen, dass dieser Ausflug nicht nur für Zoras sondern für sie gleichmaßen gedacht war.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Mittlerweile schien auch Kassandra sich etwas gelockert zu haben, oder sie hatte einen Teil ihres Misstrauens abgelegt und sich dazu entschlossen, Zoras' Vorhaben blind zu vertrauen. Was auch immer es aber war, es brachte sie zum kurzen Auflachen und Zoras hätte sich ihr am liebsten angeschlossen.
      "Okay, vielleicht werdet ihr keine Freunde werden. Aber vielleicht Bündnispartner, wie wäre das? Selbst Bündnispartner kann man bestechen."
      Der Anblick der Situation, wie Kassandra versuchte dem skeptischen Tier ein würfelgroßes Angebot zu machen, versetzte ihn in eine merkwürdige Ruhe, die keinesfalls unwillkommen war. Es war beinahe so, als wäre die Zeit stehengeblieben oder als hätte die Welt für einen Moment aufgehört, sich zu drehen. Es gab nur Kassandra, Zoras und die Verpflichtung, ein Pferd mit einem Zuckerwürfel zu bestechen. Nichts anderes war wichtig mehr, nichts anderes existierte. Zoras lehnte sich ein wenig zurück und beobachtete mit einem stillen Lächeln das feine Wippen von Kassandras Haaren, die vorsichtigen Bewegungen ihrer Hand, das Zucken der Nüstern ihres Schimmels.
      Ein leichter Druck an seiner Hintertasche holte ihn wieder ein Stück zurück in die Gegenwart und er wandte den Kopf, um seinen Fuchs dabei zu erwischen, wie er ihn bestehlen wollte. Nach kurzem Zögern griff er nochmal in die Tasche seiner Reiterhose, holte das nächste Zuckerstück hervor und hielt es ihm hin. Der Fuchs schnappte es sich aus seiner Hand ohne Rücksicht auf Verluste und warf triumphierend den Kopf nach oben.
      "Eines Tages wirst du noch fett, mein Großer. Weißt du das?", murmelte er, bevor er hochgriff und seine Schnauze kraulte. Das Tier ließ es geschehen, während es an seiner Beute herumlutschte.
      Als Zoras sich wieder Kassandra zuwandte, hatte ihr Hengst bereits erfolgreich seine Bestechung erhalten und schien sich etwas mehr mit der Präsenz der Phönixin abzufinden. Ihre Antwort auf Zoras' Frage ließ ihn die Augenbrauen in die Höhe schießen, aber bevor er die Gelegenheit dazu hatte sich zu überlegen, in welcher Weise man einen solchen Namen gut finden könnte, löste sie die Situation schon wieder mit einem Lachen auf. Zoras war schnell dabei, zurückzugrinsen.
      "Solair, das ist ein hübscher Name - passt zu einer Phönixin. Solair und Kassandra, wirklich sehr passend."
      Er schmunzelte noch immer, während sie aufstiegen und in gemächlichem Tempo die Sicherheit der Ställe verließen. Solair war tatsächlich wenig angetan von Kassandras Gestalt auf seinem Rücken und so benötigte es zusätzlich magische Unterstützung, bis er sich soweit beruhigt hatte, um sie gemächlich hinter Zoras herzutragen. Zoras drehte sich ein paar Mal zu ihr um und beobachtete den Schimmel, entschied sich dann aber dazu, nichts weiter dazu zu sagen. Kassandra würde schon selbst herausfinden, wie sie mit ihm am besten umgehen konnte.
      Dann wandte er die Aufmerksamkeit wieder nach vorne und verfiel in einen gemächlichen Trab, der sie über den Platz zu der Begrenzung des Anwesens und von dort an auf einen Pfad neben den Koppeln führte.
      "Ich werde dir den Grund zeigen, weshalb unser Haus so fernab jeglicher Zivilisation liegt. Ich werde dich zum Herz meines Landes bringen, dem Lavaierstrom. Das ist ein sehr starker, sehr langer Fluss, der aus dem Süden aus Hesivien kommt und sich weiter westlich bis zum Meer hinaus schlängelt. Ohne ihn gäbe es hier nicht so viel Grünzeug und so viel Leben, er ist der einzige Grund, weshalb unsere Landschaft nicht so aussieht wie bei der Königsstadt. Abgesehen davon wirst du ihn sicherlich schon kennen, weil er schon so alt ist wie die Erde selber - nur vermutlich unter einem anderen Namen bekannt. Lavaier ist ein alt-riktorianisches Wort für Wildtier, weil man dort immer welches findet. Nur Fische nicht, für sie ist vielleicht die Strömung zu schnell. Sonst wäre ich auch kein Pferdeherzog, sondern ein Fischherzog geworden."
      Er schmunzelte zu Kassandra hinüber.
      "Da hört sich Pferdeherzog doch besser an, oder?"
      Sie passierten die weitläufigen Koppeln, auf denen die Pferde ihnen neugierig nachstierten, allerdings ohne näher an den Zaun heran zu kommen, nachdem sie Kassandra wohl schon vom weiten spüren konnten. Dahinter erwartete sie eine weite Ebene grasbewachsener Hügel, die sich in der morgendlichen Sonne dem klaren Himmel entgegen reckten, an einigen Stellen umsäumt von kleinen Wäldchen und moderatem Buschwerk. Der Übergang zur unberührten Natur war unmittelbar, denn während ihnen schon jetzt ein Schwarm Vögel über die Köpfe hinweg flog, tauchte in der Ferne bereits das erste Hirschrudel auf, mächtige Tiere mit noch viel prächtigeren Geweihen, die die Flucht ergriffen, kaum als das Hufgetrappel der beiden Pferde näher kam. Zoras hätte an einem solchen Tag gut jagen gehen können, aber das war mit Kassandra als Begleitung wohl keine allzu gute Idee. Stattdessen ignorierte er die Herde und ließ die Zügel seines Hengstes fallen; das Tier wartete gerade Mal einen Herzschlag länger, dann setzte es mit einem Sprung zu einem stürmischen Galopp an, als hätte es noch nie in seinem Leben Auslauf bekommen. Zoras ließ ihn unbeirrt machen, er sah nur einmal über die Schulter zurück, ob Kassandra auch mitauf war; dann beugte er sich ein Stück nach vorne, legte eine Hand lose auf den Sattelknauf und passte sich dem schaukelndem Rhythmus seines Tieres mit der Selbstverständlichkeit einer über 30 Jahre langen Erfahrung an.
      Der Wind war frisch an diesem Morgen aber nicht unangenehm. Er bauschte Zoras' Hemd auf, strich unablässig an seiner Haut entlang und pfeifte in den Ohren, ein beständiger Lärm, über den hinweg man höchstens das Getrampel von Hufen auf weichem Boden hören konnte. Kassandra war genauso davon ergriffen, wie ein Seitenblick auf sie zeigte: Der Wind zerrte an ihrem Rock und wirbelte ihre Haare auf, als wäre er lediglich da, um sie zu umgarnen. Für einen Moment war Zoras wie von dem Anblick getroffen, die aufragende Kassandra in majestätischer Haltung auf ihrem gefleckten Hengst, der Wind, der sich ihrem Willen fügte und zu ihren Gunsten peitschte, die schräge Sonne über ihr, die einen morgendlichen Schein über ihre Gestalt legte. Weder das Schaukeln des Pferdes, noch der Sturm ihrer Haare konnte ihren Glanz trüben, es bewirkte sogar einen leicht verwegenen Eindruck, der noch viel besser zu Kassandra passte, als alles andere. Es hätte in diesem Moment keinerlei Überzeugungskraft benötigt, um sich Kassandra als den Feuervogel vorzustellen, der sie war, die Herrin der Lüfte und eine eigene Naturgewalt, der sich sogar die Gesetze ihrer Umgebung unterwarfen. Sie war wie ein geschliffener Diamant in einem Meer von Kohle, aber zur selben Zeit war dieser Vergleich kaum stark genug, um ihrer würdig zu sein. Keine bildliche Vorstellung konnte jemals der Großartigkeit von Kassandra gerecht werden, kein Wort war jemals stark genug, um ihre Erscheinung artgerecht zu vokalisieren, kein Gemälde würde jemals ihrem Glanz entsprechen. Kassandra war Kassandra. Man konnte ihre Göttlichkeit erst erfassen, wenn man durch die Augen von Zoras blickte, der auf seinem vorneweg stürmenden Fuchs nach hinten blickte.
      Er wandte sich von dem Anblick mit einem Lächeln ab, das viel weniger auf seinem Gesicht, als eher in seinem Herzen widergespiegelt wurde. Er gab seinem Tier die Sporen, trieb es noch weiter an, um Kassandra das Gefühl ihrer eigenen Welt zu vermitteln, den sicherlich gewohnten Zug des Windes, das Gefühl von Schnelligkeit. Es würde wohl niemals einen wahrhaftigen Flug durch die Lüfte ersetzen, aber es war so nahe dran, wie ein Sterblicher jemals sein konnte. Er wollte sie zu einem Teil zurück in ihr Element bringen.

      Der Ritt dauerte in diesem Tempo kaum eine Viertelstunde, ehe sie das ferne Reißen des Flusses hören konnten. Zoras' Hengst wusste wohl auch so, wo es lang ging, ohne die Richtungsanweisung seines Herrn dafür zu benötigen.
      Der Lavaierstrom war ein wirklich gigantischer Fluss, der sich durch die Täler der Hügellandschaft hinweg schlängelte und dabei sämtliches Leben anzulocken schien. Seine Ufer waren von Strauchwerk, Pflanzen und florierenden Blumen durchzogen, die dem ganzen Verlauf des Flusses folgten und ihn zu beiden Rändern einsäumten. Bereits auf die Entfernung konnte man das rege Treiben von Leben sehen: Insektenschwärme, die durch die Pflanzen schwirrten, Vogelnester in den wenigen Bäumen, die dort empor ragten, kleine huschende Fellknäule im Gestrüpp, die das Strauchwerk zum Wackeln brachten. Der Fluss selbst maß etwa 10 Meter Breite und hatte eine ordentliche Strömung, die sich durch nichts einzudämmen lassen schien. An dieser Stelle gab es keinen Übergang zur anderen Seite, woanders hingen Brücken zwischen den Spitzen zweier Hügel, wenn sie nahe genug zueinander standen.
      Hier gab sich Zoras damit zufrieden, auf einer leichten Erhöhung anzuhalten, um die Idylle zu betrachten. Als Kassandra zu ihm stieß, lächelte er zu ihr hinüber.
      "Darf ich vorstellen? Das Herz meines Landes."
    • Kassandra lenkte ihren Schimmel neben dem Fuchs, um besser zuhören zu können. Schließlich offenbahrte Zoras ihr ihr heutiges Ziel und eine gemischte Gefühlskulisse breitete sich in der Phönixin aus. Auf der einen Seite freute sie sich darüber, an das Herz seines Landes geführt zu werden, so nah mit dem Leben in Kontakt zu stehen wie schon lange nicht mehr. Auf der anderen Seite wunderte sie sich jedoch, warum er es für nötig hielt, es ihr zu zeigen. Hoffte er darauf, dass sie sich in alten Erinnerungen verlor? Oder etwas aus vergangenen Zeiten erzählte?
      Oder tat er es ganz und gar aus einem anderen Grund: Einfach nur für sie?
      "Pferde klingen wenigstens majestätischer als Fische, richtig", schmunzelte sie ebenfalls, mitgerissen von Zoras' eigener guten Laune. "Beides schmeckt wunderbar aber nur Pferde eigenen sich für deine kriegerischen Neigungen. Welch ein Glück, dass deine Vorfahren sich auf multifunktionale Pferde festgelegt haben statt auf Fische."
      Der Übergang zur wilden Natur kam fast schlagartig. Man hatte unlängst das Gefühl bekommen, dass es wilder um sie herum zuging, man hörte deutlich mehr Tiere als zuvor und sah auch mehr. In Kassandras Augen begann die Welt vor ihr mit tausenden kleinen Lichtern zu glühen, wenn sie sich darauf konzentrierte. Alles die Auren und Lebenslichter der Tiere, die vor ihnen in den Wäldern und Büschen ihr Unwesen trieben.
      Im nächsten Augenblick machte der Fuchs einen Satz und preschte davon. Überrascht stockte Kassandra und ihre Kontrolle über ihren Schimmel begann zu schwanken. Sofort erwachte der Hengst unter ihr zum Leben und setzte seinem Artgenossen nach. Wenn vielleicht auch nur aus der Angst hinweg mit einer Gottheit allein gelassen zu werden. Als Zoras einen Blick zu ihr zurückwarf, funkelte sie ihn böse an auch wenn dies nicht ihr Ernst gewesen war. Sofort sah er wieder nach vorne und Kassandra lachte auf, das vom Wind verschluckt und fortgetragen wurde. Es dauerte einige Galoppsprünge bis Solair zu dem Fuchs aufgeschlossen hatte, es aber immer noch nicht schaffte, das ältere Tier einzuholen. Doch das war ihr in diesem Augenblick egal. In diesem Augenblick, wo die Morgensonne über ihr Antlitz glimmte, der kühle Morgenwind ihr die Röte ins Gesicht trieb und der Wind sein ganz eigenes Kunstwerk mit ihren Haaren gestaltete. Auch sie ließ die Zügel los, hielt sich nur am Sattelknauf zwischen ihren Beinen fest und gab sich dem Moment einfach hin. Einem Moment unter freien Himmel, wo sie niemand bewertete für das, was sie war. Einzig und allein Zoras' Augen waren es, die das losgelöste Grinsen in ihrem Gesicht sehen konnte. Wie sie sich geradewegs auf dem Rücken ihres Pferdes sich dem Wind ergab, die Augen geschlossen und völlig durchgerüttelt.
      Als sie die Augen wieder öffnete, sah Zoras schon lange nicht mehr zu ihr zurück. Auch das war ihr egal - sie konnte das Lächeln über ihre Verbindung spüren auch ohne ihn zu sehen.

      Gut eine Viertelstunde später hatte sich der wilde Ritt ergeben und sie trotteten gemeinsam über Pfade in eine unwirklich erscheinende Umgebung ein. Man hörte bereits jetzt die Wassermassen ihren Weg durch das Flussbett graben und es gab nicht einen Ort zum Anschauen, wo sich nicht etwas bewegte. Säugetiere, Insenkten, Reptilien, Vögel... Überall strotzte es praktisch vor Leben. Kassandras gesamter Körper schien leicht zu vibrieren, ausgelöst durch die pure Energielast in dieser Region. Solche Orte gab es mehrfach auf der Welt, doch nur selten waren sie so überfüllt und unberührt wie hier.
      Zoras hielt auf einer kleinen Anhöhe von der aus sie ein wenig mehr vom Fluss überblicken konnten. Ihr fiel auf, dass es keinen Übergang gab, vermutlich wurde er an einer anderen Stelle errichtet, die mehr Sinn für Handelswege ergab.
      "Ja, ich würde sagen, diese Beschreibung trifft es ganz gut", bekräftigte Kassandra Zoras in seiner Aussage und ließ den Anblick einen Moment auf sich wirken. Dann trieb sie ihren Schimmel wieder an um sich dem Flussbett zu nähern. "Lass uns mal ein bisschen weiter ran."
      Sie mussten durch eine Böschung mit kleinen Bäumschen und Buschwerk bis sie an einer Trasse direkt am Ufer zum Halten kamen. Schwungvoll stieg Kassandra von Solair ab, der sich sofort dem Gras auf dem Boden widmete, als gäbe es auf seiner Koppel nicht ansatzweise genug davon.
      Wie in der Nacht zuvor verabschiedete sich Kassandra blitzschnell von ihren Schuhen. Sie warf einen Schulterblick zu Zoras, ein wilder, fast schon verwegener Blick ungeachtet des Chaos auf ihrem Kopf, den der Wind hinterlassen hatte.
      "Kein Schuhwerk der Welt vermag es dich enger verbunden mit der Erde zu fühlen als barfuß sein", erklärte sie ihm und streifte ein Stück weiter durch das satte Gras, das ihre Füße fast zur Gänze verschluckte. Ungefähr vier Meter vor dem Ufer hielt die Phönixin an und fiel unverwandt auf die Knie. Sie legte den Kopf in den Nacken, wieder die Augen geschlossen und ließ die Sonne über ihr Gesicht ziehen. Die Arme hatte sie seitlich knapp über die Grasspitzen ausgestreckt und verweilte einen Moment lang.
      "Es ist ein Jammer, dass ihr den Puls des Lebens an solchen Orten nicht spüren könnt."
      Kassandras Oberkörper beugte sich nach vorne, sodass es beinahe so aussah, als wolle sie ihr Gesicht im Gras betten. Dabei ging sie nur soweit herunter, dass ihre ausgestreckten Arme und Hände, deren Innenflächen nun zum Erdreich zeigten, den Boden berühren konnten. Schon eine Sekunde später ging ein Puls von Kassandra auf und selbst für das menschliche Auge begann eine hauchdünne Schicht aus hellem Licht um ihren Körper herum zu erstrahlen. Das ganze Spektakel dauerte vielleicht gerade ein mal sechszig Sekunden, dann richtete sich die Phönixin wieder auf, führte die Hände in einer Kreisbewegung zum Himmel und schließlich in ihren Schoß. Es vergingen ein paar weitere Sekunden, dann erhob sich Kassandra und kam zu Zoras zurück.
      Von den Fältchen in ihrem Gesichts war nicht eine einzige mehr vorhanden und auch die grauen Strähnen hatten sich in Luft aufgelöst. Es wirkte, als wäre Kassandra spontan entliche Jahre verjüngt worden.
      "An Orten wie diesen kann ich ohne Verlust aus dem Überfluss etwas abziehen und meiner eigenen Zeit zuführen. Aber deswegen hast du mich nicht hergeführt, richtig? Wenn es ein netter Ausflug sein sollte, dann ist es dir geglückt", sagte sie zu Zoras, der sie noch immer von seinem Fuchs aus begutachtete, und lächelte ihn so frei wie noch nie zuvor an.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Nach einem Augenblick den sie damit verbrachten, aus ihrer erhöhten Position heraus den vorbeirauschenden Fluss zu beobachten, dessen Strom sich unablässig überschlug und hinfort raste, als würde er von einer unsichtbaren Macht unablässig angezogen, setzten sie sich wieder in Bewegung. Zoras ließ die Zügel seines Hengstes weiterhin hängen und drückte ihm nur die Fersen in die Schenkel, woraufhin das Pferd sich von allein in Bewegung setzte, zweifellos angezogen von dem saftigen Gras am Uferrand. Sie näherten sich dem Rand in einem gemächlichen Trott, bevor Kassandra unvermittelt abstieg und ihre Schuhe von sich trat. Zoras war so sehr davon überrascht, dass er sein Lächeln nicht verkneifen konnte.
      "Das wage ich gar nicht zu bezweifeln."
      Er blieb seinerseits lieber im Sattel, wo er einen Arm quer über den Sattelknauf legte und den anderen Ellbogen darauf stützte, um seinen Kopf auf seine Hand zu betten. In Gegenwart auch nur eines Soldaten hätte er sich eine solche nachlässige Haltung nicht mal nur träumen lassen, aber hier draußen, wo es nichts gab als das fließende Wasser und eine barfüßige Phönixin, deren Haare vom Wind so durcheinandergebracht waren, dass sie ihr wie ein Vogelnest auf dem Kopf thronten, erlaubte er sich durchaus die eine oder andere Nachlässigkeit. Das Lächeln war wie in seinem Gesicht eingemeißelt während er beobachtete, wie sie näher an den Fluss heranging und schließlich auf die Knie fiel. Von dem Moment ergriffen, der stark an der Grenze des surrealen kratzte, so wie die Phönixin auf dem Boden kniete, als wolle sie der Natur huldigen, wartete Zoras schweigsam ab. Er wollte nicht unterbrechen, was auch immer gerade geschah und selbst eine Bewegung schien ihm zu grenzwertig, als könne sie den Zauber durchbrechen. Sein Fuchs schien mittlerweile begriffen zu haben, dass sein Herr keinen Drang verspürte ihn zu lenken, weshalb er sich schon nach kurzer Zeit seinem Artgenossen anschloss und ein Stück zur Seite trottete, um einen Farn zu malträtieren. Zoras untebrach ihn dabei nicht, er war aber nahe daran, ihn zum Stehenbleiben zu bewegen.
      Eine Sekunde später entfachte die Phönixin irgendeine Art Zauber, die beide Pferde zu spüren schienen, denn sie hoben zeitgleich den Kopf, als Zoras den leichten Schimmer auf ihr sah. Beide Tiere starrten sie für einen Moment an in Abwartung des zweifellos erwarteten Unheils, aber als Kassandra kurz darauf aufstand, als wäre nichts geschehen, wandten sie sich auch wieder ihrem Mittagessen zu. Nur Zoras richtete sich bei ihrem Anblick ein wenig auf, ergriffen von der makellosen Jugend, die die Phönixin wieder zeigte. Sie war mit einem Schlag wieder 10 Jahre jünger geworden, wenn nicht sogar 20.
      Er grinste.
      "Wenn ich davon gewusst hätte, könnte ich jetzt mit Stolz behaupten, dich deswegen hergebracht zu haben. Beim nächsten Mal dann, ja?"
      Er zwinkerte ihr zu.
      "Ich hatte mir schon gedacht, dass dir die Landschaft besser gefallen könnte als große Häuser und hübsche Kleider. Du hast auf der Reise schon lieber in den Himmel geschaut, als auf Häuser und Menschen. Es wäre ein Verbrechen, dich in geschlossene Räume zu zwingen, auch wenn ich dir nicht versprechen kann, häufiger einen solchen Ausflug zu machen. Die Pflicht ruft schließlich."
      Er wollte aber nicht schon auf ihre bevorstehende Pflicht zu sprechen kommen, also nickte er einfach nur den Fluss entlang.
      "Möchtest du dem Strom folgen? Weiter vorne gibt es eine seichtere Stelle, auch wenn ich dir nicht empfehlen könnte, dort schwimmen zu gehen."
      Er nickte auch zu ihren Schuhen.
      "Zu Fuß? Dann vergiss aber deine Schuhe nicht."
      Alles mit einem unsterblichen Lächeln im Gesicht.

      Sie wanderten ein wenig am Fluss entlang, umgeben von beständigem Rauschen und dem Zirpen von zahlreichen Insekten. Zoras verließ den Pferderücken nicht, er setzte sich aber so gemütlich hin, wie es nur irgendwie möglich war und zupfte nur manchmal an den Zügeln, um seinen Fuchs wieder auf die richtige Bahn zu lenken. Der Hengst schien es sich für den heutigen Tag in den Kopf gesetzt zu haben, seinen Dienst zu verweigern, und als er zum fünften Mal ausschwenkte, um ein paar Blätter zu beschnuppern, fluchte Zoras leise, aber nicht sehr ernst.
      "Lass das endlich sein, Roran."
      Er zog an den Zügeln, um den Namensvetter seines Bruder zurück auf die richtige Spur zu bringen und der Fuchs schnaubte lauthals, als wäre er empört darüber, dass sein Reiter eine solche Schandtat an ihm beging.
      "Blamier mich nicht vor der Dame, Junge."
      Nach einem Blick in Kassandras Richtung, erklärte er schmunzelnd:
      "Ich benenne meine Pferde immer nach Leuten, die mir wichtig sind."
      Sein Fuchs schüttelte den Kopf, kaute an den Zügeln rum und schnaubte noch einmal, was auch immer das bedeuten sollte.

      Sie erreichten die seichte Stelle, an der Zoras auch endlich abstieg und ans Wasser trat, die Hände locker in die Taschen seiner offenen Weste gesteckt. Die Strömung war hier noch immer stark, aber lediglich in der Mitte des Flusses; am Rand, wo sie gerade waren, gab es mehrere Stellen, an denen das Wasser kaum tiefer als bis zum Knöchel war.
      "Gefällt es dir? Das müsste deinem... natürlichen Lebensraum doch ziemlich nahe kommen, oder?"
      Er sah erst zu Kassandra und dann zu den Vögeln am anderen Ufer, die in unregelmäßigen Abständen von den Büschen aufschwirrten und wieder zurückflogen.
    • "Auch Häuser, Städte und Menschen haben ihren Reiz, den ich absolut nicht verkenne. Aber nichts geht über das Ureigene, das du nur an Orten wie diesen erleben kannst. Mag sein, dass ich vor etlichen hundert Jahren über diesen Fluss gezogen bin aber von hier unten lässt sich das schwierig bestimmen. Man verfällt einem ganz anderen Reiz hier unten mit dem anderen Blickwinkel."
      Kassandra spazierte zu ihren achtlos weggetretenen Schuhen, um sie aufzusammeln und locker an zwei Fingern hängend mit sich zu tragen. Sie pfiff Solair zu, der den Kopf vom Boden hob, sie anstarrte und dann schnaubend der gleichen Richtung folgte wie sie ging. An ihrer Seite stapfte Zoras mit seinem Fuchs, der jedoch eher Augen für das angrenzende Blattwerk als den Weg vor sich hatte. Dass der Mann auf dem Rücken des Tieres die Phönixin mit einem festgeschweißten Lächeln regelrecht niederstarrte entging ihr selbstverständlich nicht. Allerdings fühlte sie sich nicht wirklich bedrängt sondern ließ sie nur leicht grinsend den Kopf schütteln. Er sollte Augen für die Umgebung haben und nicht für sie.
      "Du nennst deine Pferde wie Vertraute?", wiederholte Kassandra und ihr Grinsen wurde breiter. "Mir war schon aufgefallen, dass du deinen Bruder nicht richtig nennst. Ich dachte, ich hab da etwas missverstanden, aber du ziehst ihn damit auf, dass er wie dein Pferd heißt."
      Wenn sie es sich so richtig überlegte, hatte sie ihn noch nie danach gefragt, warum er das eigentlich tat. Diese Art, sich gegenseitig aufzuziehen war ihr nicht wirklich geläufig. Obzwar sie gespürt hatte, dass der jüngere Luor es seinem Bruder nicht unendlich übel nahm.

      Als sie die seichteren Stellen des Flusses erreichten hielt Kassandra nicht an sondern ging geradewegs auf das Ufer zu. Hinter ihr stieg Zoras endlich auch von seinem hohen Ross ab und näherte sich ihr. Vorerst schweigsam blickte sie den Fluss aufwärts, dann abwärts und ließ die Geräuschkulisse auf sie wirken. Als Zoras schließlich seine Frage stellte, fiel bei ihr der Groschen.
      "Ach, so ist das." Dieses Mal wandte sie sich ihm allerdings zu um ihm zu antworten. "Ich bin kein Tier mit einem erweiterten Bewusstsein. Ich stehe auf einer Stufe wie ihr, nur ist meine physische Erscheinung eine andere. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt der wie jener ist, wo wir erschaffen wurden. Ich kann ihn dir nur schwer beschreiben, wie kann ich auch wenn es Bilder sind, die nicht mit der menschlichen Auffassung vergleichbar sind?"
      Nun wandte sie sich doch von Zoras ab, stellte die Schuhe ins Gras und überwand die letzten Meter zum Ufer. Das Wasser war eiskalt, wurde es doch von Gebirgsquellen gespeist und bekam keine Zeit zum erwärmen dank der kräftigen Strömung des Flusses. Aber für Kassandra war diese Kälte, die ihr die Zehen betäubte, ein seeliges Gefühl. Als sie mit den Knöcheln im Wasser stand, drehte sie sich wieder halb zu Zoras um. Ein sanftes, gutmütiges Lächeln malte ihr die schönsten Farben dieser Welt direkt ins Gesicht.
      "Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, mit mir herzukommen. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Das hätte nicht jeder für mich getan. Wie kann ich mich erkenntlich zeigen, oh herrlicher Träger?"
      Man hörte sogar den Schalk in ihrer Stimme, als sie so wenig Achtung auf ihre Ausstrahlung gab wie noch nie zuvor. Es war ihr egal, dass sie hier nicht mehr wie der Phönix wirkte, der sie war. Dass ihre Worte nicht dazu passten, wie sich ein Gott zu verhalten hatte. Dass sie wie ein daher gelaufener Mensch sich an den kleinen Dingen, wie das Wasser um ihre Füße, erfreute.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"