Zoras zog sich in einen angrenzenden Salon zurück, um so zu tun, als würde er eine Antwort verfassen und um gleichzeitig das Schreiben noch einmal durchzulesen. Er drehte das Pergament um, musterte die Rückseite, fixierte das Siegel, die Unterschrift, die Anrede. Es dauerte bis zum zweiten Durchgang dieses Rituals, bis seine von Kassandra noch immer verworrenen Gedanken begriffen, wonach er eigentlich Ausschau hielt. Er wollte irgendeinen Hinweis darauf haben, dass Feris mit ihm einen inoffiziellen Kontakt herstellen wollte. Er wollte sehen, dass der Junge wusste, wer dieses Schreiben erhielt, dass er vielleicht sogar von Zoras selbst erfahren wollte, weshalb er getan hatte, was er getan hatte. Er würde es ihm sagen, dessen war er sich sicher. Feris bräuchte nur mit dem Finger schnippen und Zoras würde alles stehen und liegen lassen, um zurückzukommen.
Natürlich war das Unsinn und in keinster Weise durchdacht, ein Schwachpunkt in Zoras, den er vor keinem anderen zugeben würde. Wahrscheinlich wusste Feris noch nicht einmal etwas von dieser Schwäche - keiner tat es, keiner bis auf Kassandra, vermutlich. Das war aber gut, nicht wahr? Zoras war sich seiner Schwäche bewusst und auch, dass sie vermutlich niemand ausnutzen konnte. Das war ein wertvoller Vorteil, richtig?
Es machte die Sache trotzdem nicht leichter.
Im Foyer starrte Ryoran dem Boten so lange nach, bis auch der letzte Fetzen seiner Kleidung verschwunden war, mit einem Ausdruck im Gesicht, mit dem er den Mann deutlich geringschätzte. Sein Sohn an seiner Seite erregte insoweit seine Aufmerksamkeit, als dass er auf Teal hinab sah und mit der Hand ein paar Strähnen in seinem Haar zurecht rückte.
"Der Herzog könnte natürlich auch eine Antwort zurückgeben", stellte er leise fest, bevor er sich noch einmal nach dem Boten umsah.
"Es muss nicht alles mit Gewalt beantwortet werden. Es kommt aber ganz darauf an, was für ein Bild er vermitteln will. So wie ich ihn kenne, wird er ihm also vermutlich den Kopf abschlagen."
Er zögerte einen Moment, während er nachdachte, bis er sich nach Zoras umsah.
"Kassandra herzunehmen ist eigentlich gar keine so schlechte Idee. Vielleicht ist er da ja selbst schon draufgekommen."
Er wartete einen Moment, dann bedeutete er Teal mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen.
"Komm mit nach draußen, dann lernst du vielleicht was."
Die winzige Versammlung stand direkt auf dem kleinen Platz vor der Tür, als Zoras dazu stieß. Er kam nicht in Begleitung von Kassandra; beim Wachposten an der Tür blieb er stehen, um ihn leise darum zu bitten, ihm den schnellsten Reiter zu bringen, den sie zur Verfügung hatten. Der Soldat salutierte und verschwand, begleitet von einem misstrauischen Blick des Boten.
"Also?"
Zoras trat einen Schritt weiter vor und hielt ihm einen Lederbeutel hin.
"Hier. Bring das zu Seiner Majestät."
Der Bote nahm den Beutel entgegen, öffnete ihn und blickte hinein.
"Da ist doch ni-"
Seine Worte wurden abrupt abgeschnitten, als eine Klinge seine Stimmbänder durchtrennte. Zoras hatte sie einem der beistehenden Soldaten aus dem Heft gezogen und mit derselben, flüssigen Bewegung einen sauberen Schnitt durch den Hals des Mannes gezogen. Blut spritzte in einer Fontäne aus dem Stumpf heraus und der Kopf kullerte zielgenau in den Beutel hinein, der allerdings mit dem leblosen Körper zu Boden fiel. Ein paar Blutspritzer landeten auf Zoras und auf zwei der Wachen, die es gar nicht zu bemerken schienen. Zoras wischte die Klinge an dem Mantel der Leiche ab und gab sie zurück an ihren Besitzer; den Beutel mit dem abgetrennten Kopf überreichte er dem Reiter, der kurz darauf angelaufen kam, begleitet von einem majestätisch wirkenden Schimmel.
"Zieh dir etwas unauffälliges an, nimm dir deine Uniform mit, reite zu den Toren der Königsstadt, zieh dir dort die Uniform an und lass den Beutel vor den Toren zurück. Man wird dein Wappen erkennen, man wird auf dich schießen und sehr wahrscheinlich versuchen, dich festzunehmen - gehe auf jeden Fall nur so weit, bis sie dich erkannt haben, und lass den Beutel zurück. Lass dich nicht umbringen und lass dich nicht festnehmen."
Der Mann nickte ernst, übernahm die kostbare Fracht, band sie an dem Sattel des Schimmels fest und führte ihn dann ab, um sich für die Reise zu rüsten. Mit keinem Ausdruck seiner ernsten Miene ließ sich erkennen, was er von einem solchen Auftrag hielt, der sehr leicht mit seinem Tod enden konnte.
Zoras drehte sich um, fixierte Ryoran und bedeutete ihm mit einem Nicken, mit reinzukommen. Sein Blick fiel weiter auf Teal und während sein Bruder bereits vorausging, wartete er auf den Jungen, um mit ihm zusammen hineinzugehen.
"Teal, du weißt, warum ich dem Mann keine richtige Antwort gegeben habe, oder?"
Sie gingen zurück ins Foyer und steuerten von dort die Treppe an, die Ryoran bereits anpeilte. Auf halbem Weg blieb Zoras allerdings stehen und beobachtete, wie sein Bruder verschwand, bevor er sich zu Teal umdrehte. Sein Gesicht hatte einen gezwungen ernsten Ausdruck angenommen.
"Erinnerst du dich noch an Vorgestern, als wir über die fünfte Regel der Kriegsführung gesprochen haben? Was war nochmal die fünfte Regel?"
Er musterte Teal eindringlich. Eigentlich war er sich nicht sicher, ob er das überhaupt sagen sollte; eigentlich war es eine dumme Idee. Die ganze Tatsache, dass er auf das Thema mit Teal zu sprechen kam, war außerordentlich dumm.
Er redete trotzdem weiter.
"Kannst du mir auch sagen, warum es die fünfte Regel ist? Und nicht die erste - oder vielleicht die dritte?"
Ein dünnes Lächeln kräuselte seinen Mund, während er sich ein Stück zu Teal hinabbeugte - fast, um ihn an einem Geheimnis teilhaben zu lassen.
"Ich weiß, dass das über deinen Unterrichtsstoff hinausgeht. Es ist auch nicht sehr wichtig, warum was wo steht, denn am Ende des Tages müssen wir sowieso versuchen, uns an alles mögliche zu halten. Aber der Vorsatz "Führe keinen Krieg, dessen Ausgang du nicht gewinnen kannst" steht deswegen nicht an erster Stelle, weil es manchmal wichtig sein kann, diese Regel zu brechen. Weil man manchmal Krieg führen muss, allein um des Krieges willen - oder sogar, um zu verlieren."
Er deutete vage über seine Schulter nach hinten.
"Der Bote eben, der Mann; der konnte sich denken, was mit ihm geschehen wird. Das hat ihn trotzdem nicht davon abzuhalten, herzukommen, oder? Und wegen ihm werden wir eine entscheidende Nachricht übermitteln."
Er richtete sich wieder auf, das Lächeln diesmal aufrichtiger.
"Die fünfte Regel ist deswegen an fünfter Stelle, weil sie manchmal gebrochen werden muss. Das macht den Krieg noch lange nicht unehrenhaft."
Er machte eine Handbewegung.
"Und jetzt geh und mach deine Hausaufgaben, ich muss deinen Vater ein bisschen belästigen."
Natürlich war das Unsinn und in keinster Weise durchdacht, ein Schwachpunkt in Zoras, den er vor keinem anderen zugeben würde. Wahrscheinlich wusste Feris noch nicht einmal etwas von dieser Schwäche - keiner tat es, keiner bis auf Kassandra, vermutlich. Das war aber gut, nicht wahr? Zoras war sich seiner Schwäche bewusst und auch, dass sie vermutlich niemand ausnutzen konnte. Das war ein wertvoller Vorteil, richtig?
Es machte die Sache trotzdem nicht leichter.
Im Foyer starrte Ryoran dem Boten so lange nach, bis auch der letzte Fetzen seiner Kleidung verschwunden war, mit einem Ausdruck im Gesicht, mit dem er den Mann deutlich geringschätzte. Sein Sohn an seiner Seite erregte insoweit seine Aufmerksamkeit, als dass er auf Teal hinab sah und mit der Hand ein paar Strähnen in seinem Haar zurecht rückte.
"Der Herzog könnte natürlich auch eine Antwort zurückgeben", stellte er leise fest, bevor er sich noch einmal nach dem Boten umsah.
"Es muss nicht alles mit Gewalt beantwortet werden. Es kommt aber ganz darauf an, was für ein Bild er vermitteln will. So wie ich ihn kenne, wird er ihm also vermutlich den Kopf abschlagen."
Er zögerte einen Moment, während er nachdachte, bis er sich nach Zoras umsah.
"Kassandra herzunehmen ist eigentlich gar keine so schlechte Idee. Vielleicht ist er da ja selbst schon draufgekommen."
Er wartete einen Moment, dann bedeutete er Teal mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen.
"Komm mit nach draußen, dann lernst du vielleicht was."
Die winzige Versammlung stand direkt auf dem kleinen Platz vor der Tür, als Zoras dazu stieß. Er kam nicht in Begleitung von Kassandra; beim Wachposten an der Tür blieb er stehen, um ihn leise darum zu bitten, ihm den schnellsten Reiter zu bringen, den sie zur Verfügung hatten. Der Soldat salutierte und verschwand, begleitet von einem misstrauischen Blick des Boten.
"Also?"
Zoras trat einen Schritt weiter vor und hielt ihm einen Lederbeutel hin.
"Hier. Bring das zu Seiner Majestät."
Der Bote nahm den Beutel entgegen, öffnete ihn und blickte hinein.
"Da ist doch ni-"
Seine Worte wurden abrupt abgeschnitten, als eine Klinge seine Stimmbänder durchtrennte. Zoras hatte sie einem der beistehenden Soldaten aus dem Heft gezogen und mit derselben, flüssigen Bewegung einen sauberen Schnitt durch den Hals des Mannes gezogen. Blut spritzte in einer Fontäne aus dem Stumpf heraus und der Kopf kullerte zielgenau in den Beutel hinein, der allerdings mit dem leblosen Körper zu Boden fiel. Ein paar Blutspritzer landeten auf Zoras und auf zwei der Wachen, die es gar nicht zu bemerken schienen. Zoras wischte die Klinge an dem Mantel der Leiche ab und gab sie zurück an ihren Besitzer; den Beutel mit dem abgetrennten Kopf überreichte er dem Reiter, der kurz darauf angelaufen kam, begleitet von einem majestätisch wirkenden Schimmel.
"Zieh dir etwas unauffälliges an, nimm dir deine Uniform mit, reite zu den Toren der Königsstadt, zieh dir dort die Uniform an und lass den Beutel vor den Toren zurück. Man wird dein Wappen erkennen, man wird auf dich schießen und sehr wahrscheinlich versuchen, dich festzunehmen - gehe auf jeden Fall nur so weit, bis sie dich erkannt haben, und lass den Beutel zurück. Lass dich nicht umbringen und lass dich nicht festnehmen."
Der Mann nickte ernst, übernahm die kostbare Fracht, band sie an dem Sattel des Schimmels fest und führte ihn dann ab, um sich für die Reise zu rüsten. Mit keinem Ausdruck seiner ernsten Miene ließ sich erkennen, was er von einem solchen Auftrag hielt, der sehr leicht mit seinem Tod enden konnte.
Zoras drehte sich um, fixierte Ryoran und bedeutete ihm mit einem Nicken, mit reinzukommen. Sein Blick fiel weiter auf Teal und während sein Bruder bereits vorausging, wartete er auf den Jungen, um mit ihm zusammen hineinzugehen.
"Teal, du weißt, warum ich dem Mann keine richtige Antwort gegeben habe, oder?"
Sie gingen zurück ins Foyer und steuerten von dort die Treppe an, die Ryoran bereits anpeilte. Auf halbem Weg blieb Zoras allerdings stehen und beobachtete, wie sein Bruder verschwand, bevor er sich zu Teal umdrehte. Sein Gesicht hatte einen gezwungen ernsten Ausdruck angenommen.
"Erinnerst du dich noch an Vorgestern, als wir über die fünfte Regel der Kriegsführung gesprochen haben? Was war nochmal die fünfte Regel?"
Er musterte Teal eindringlich. Eigentlich war er sich nicht sicher, ob er das überhaupt sagen sollte; eigentlich war es eine dumme Idee. Die ganze Tatsache, dass er auf das Thema mit Teal zu sprechen kam, war außerordentlich dumm.
Er redete trotzdem weiter.
"Kannst du mir auch sagen, warum es die fünfte Regel ist? Und nicht die erste - oder vielleicht die dritte?"
Ein dünnes Lächeln kräuselte seinen Mund, während er sich ein Stück zu Teal hinabbeugte - fast, um ihn an einem Geheimnis teilhaben zu lassen.
"Ich weiß, dass das über deinen Unterrichtsstoff hinausgeht. Es ist auch nicht sehr wichtig, warum was wo steht, denn am Ende des Tages müssen wir sowieso versuchen, uns an alles mögliche zu halten. Aber der Vorsatz "Führe keinen Krieg, dessen Ausgang du nicht gewinnen kannst" steht deswegen nicht an erster Stelle, weil es manchmal wichtig sein kann, diese Regel zu brechen. Weil man manchmal Krieg führen muss, allein um des Krieges willen - oder sogar, um zu verlieren."
Er deutete vage über seine Schulter nach hinten.
"Der Bote eben, der Mann; der konnte sich denken, was mit ihm geschehen wird. Das hat ihn trotzdem nicht davon abzuhalten, herzukommen, oder? Und wegen ihm werden wir eine entscheidende Nachricht übermitteln."
Er richtete sich wieder auf, das Lächeln diesmal aufrichtiger.
"Die fünfte Regel ist deswegen an fünfter Stelle, weil sie manchmal gebrochen werden muss. Das macht den Krieg noch lange nicht unehrenhaft."
Er machte eine Handbewegung.
"Und jetzt geh und mach deine Hausaufgaben, ich muss deinen Vater ein bisschen belästigen."