Salvation's Sacrifice [Asuna & Codren]

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    • Ein Grinsen in Kassandras Gesicht konnte stets nur eine Sache bedeuten: Sie freute sich ganz ungemein. Wenn man nun aber die Situation um sie herum betrachtete, konnte man durchaus daran zweifeln, ob diese Freude auch auf Zoras überschlagen sollte.
      Er bezweifelte es. Besonders, als er glaubte, Flammen aus ihren Mundwinkeln ausschlagen zu sehen.
      Misstrauisch kniff er die Augen zusammen und sah zu, wie die erhabene, nackte Göttin dem Bett entstieg, die Hände hinter dem Rücken verschränkte, ihre Brüste dadurch offen präsentierte und zu ihm geschlendert kam. Es war ein sehr schöner, reizender Anblick - aber das Misstrauen verfärbte ihn. Zoras hatte unlängst den listigen Blick in ihren Augen erkannt.
      Wie gewünscht beugte sie sich nach vorne und bekam sein Hemd mit den Zähnen zu fassen. Dort verharrte sie und für einige Augenblicke rührte sie sich gar nicht.
      Dann stieg ein intensiver, schnell aufsteigender Gestank nach verbranntem Stoff von ihren Zähnen auf. Zu seiner Beschämung erkannte Zoras erst in diesem Augenblick, was ihr Ziel gewesen war, nachdem er weder Flammen noch Hitze wahrgenommen hatte. Es waren auch keine Flammen am Werk, zumindest keine sichtbaren, aber der Stoff verbrannte trotzdem. Unwillig wollte Zoras vor ihm weichen.
      "Kassandra...", raunte er warnend. Das hier war noch immer ein gefährliches Spiel, dessen hätte er sich bewusst sein müssen. Ein Spiel mit dem Feuer, ganz wortwörtlich.
      "Ich sagte nur die Zähne..."
      Er konnte ihre Antwort schon beinahe in seinen Ohren hören: Sie benutzte doch nur ihre Zähne, was konnte sie schon dafür, wenn dieselben Zähne eine gar feurige Wirkung auf seine Klamotten hatten? Es passte zu dem Glitzern, das in ihren Augen stand, als sie zurück zum Bett schlenderte und sich graziös wieder darauf niederließ um ihn zu betrachten. Jetzt war Zoras völlig nackt und auch, wenn er es nicht wollte, fröstelte es ihn, nachdem die Phönixin sich mit ihrer lockenden Wärme wieder entfernt hatte. Nicht, dass er sich die Blöße gegeben hätte, diesem Gefühl nachzugeben und ihr sofort nachzuziehen.
      "Mh..."
      Er warf einen Blick auf seinen Körper hinab. Die Asche hatte einen Ring um seine Füße gebildet, als wäre er die Flamme gewesen, und rieselte an vereinzelten Stellen noch an seiner Haut hinunter. Er fegte einen kleinen Rest mit einer knappen Handbewegung weg und kam dann mit langen, aber langsamen Schritten auf Kassandra zu. Das unsichtbare Feuer an seinem Körper hatte ihn nicht verunsichert, nicht wie es bloße Haut getan hätte. Vielleicht lag es daran, dass er das Feuer der Phönixin stets mit Wärme und Sicherheit in Verbindung gebracht hatte, oder aber, dass sie darauf bestanden hatte, die Brandwunden von seinem Körper zu tilgen. In jedem Fall hatte er im Moment noch ganz andere Bedürfnisse, als Abstand zu suchen.
      Knapp vor ihr blieb er stehen und starrte auf sie nieder. Wohlwollend hielt Kassandra weiterhin die Hände hinter sich, um ihm damit nicht zu nahe zu kommen.
      Mit einer schroffen Bewegung packte er ihr Kinn und zwang ihren Kopf in den Nacken, bis sie ihn ordentlich ansah.
      "Sag mir: Waren das nur die Zähne? Ja oder nein?"
      Knapp beugte er sich zu ihr hinab.
      "Keine Ausreden. Ja, oder nein?"
      Sie gab ihm ihre neckende Antwort, das Feuer in ihren Augen mit einer Leidenschaft flackernd, die er so lange vermisst hatte. Er kniff die Augen zusammen, noch immun gegen ihre wortlosen Verführungen. Mit dem Daumen strich er über ihr Kinn und schließlich über ihre Lippen.
      "Auf."
      Die vollen, wunderschönen Lippen teilte sich und sein Daumen verschwand im Inneren ihres Mundes, legte sich auf eine Zunge, die ihn zu umspielen versuchte. Das Gefühl ließ seinen Bauch kribbeln, die Wärme, die Feuchtigkeit, das Gefühl von Kassandras Zunge, die soeben mit großem Fleiß zu beweisen versuchte, wie beweglich sie war. Er wusste, wie beweglich sie war. Sein Glied zuckte neugierig. Er beugte sich noch näher zu ihr herab.
      "Wenn du nicht gehorsam bist, muss ich eben die Regeln verschärfen. Regel vier: Du tust genau das, was ich dir sage, wenn ich es dir sage. Ich sagte Zähne und nicht Feuer. Verstanden, meine Hübsche?"
      Er hielt ihr Kinn weiter fest, ohne ihr die Möglichkeit zum Sprechen zu gewähren. Die roten Augen bohrten sich so tief in ihn, dass er glaubte, bald von ihnen verschluckt zu werden.
      Langsam zog er den Daumen wieder heraus, bis er mit der feuchten Kuppe über ihre Lippen strich. Er beobachtete sie dabei, seine Göttin, wie sie vor ihm auf dem Bett saß und ihn mit ihrem Mund spielen ließ. Sie musste wissen, was der Anblick mit ihm anstellte und er sah keinen Grund darin, es vor ihr zu verheimlichen.
      "Küss mich."
      Er ließ sie los, richtete sich aber zur gleichen Zeit wieder auf.
      "Nur dort, wo ich keine Narben trage."

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    • „Kassandra…“
      Solche Tonfälle hätten sie in der Vergangenheit aufhorchen und regelmäßig zur Weißglut bringen lassen. Diesen Tonfall nutzten Träger, die nicht damit einverstanden waren, was ihr Champion gerade getan hatte oder im Begriff war, zu tun. Manchmal hatte sie ihn auch absichtlich beschworen, einfach nur um sich Luft zu machen.
      Aber bei Zoras war es etwas anderes. Bei ihm kochte die Wut nicht auf, die Frustration über unsichtbare Fesseln war nicht mehr da. Bei ihm befeuerte der Tonfall etwas anderes, das nicht aus negativen Emotionen entsprang und dafür sorgte, dass sie ihn nur noch öfter so von ihm hören wollte. Mit dem gleichen Tonfall spezifizierte er die Warnung, aber da war das Unheil bereits angerichtet gewesen. Sie hatte für alles ihre Ausreden parat, sollte er sie danach fragen.
      Vom Bett aus musterte sie den Eviad Kuluars mit hoch gerecktem Kinn. Seit Asvoß hatte sie ihn diverse Male ohne Bekleidung gesehen und die abgrundtiefe Abscheu gegenüber denjenigen, die ihm die zahlreichen Male am Körper zugefügt hatten, war eine milden Akzeptanz gewichen. Noch immer hatte er ihr nicht gestattet, seinen Körper vollends wiederherzustellen, und somit begnügte sie sich damit, wenigstens die Brandnarben geschluckt zu haben. Trotzdem war sie immer wieder darüber erstaunt, wie der Pferdeherzog mit seinen kräftigen Beinen einem Söldner gewichen war, der am Torso mittlerweile genauso kräftig, wenn nicht sogar mehr, geworden war.
      Dann kam Zoras mit langen Schritten zu seiner Göttin. Die Art, wie er seine Schritte tat, raumgreifend und langsam, erinnerte sie ein bisschen daran, dass er wie ein Raubtier auf Pirsch gerade näherkam. Sie wusste jedoch, dass ihr kein Unheil von ihm drohte, und hielt die Hände selbst dann noch brav hinter ihrem Rücken, als er direkt vor ihr zum Stehen kam und sie auf genau der richtigen Höhe für andere Schandtaten war. Ihr selbstzufriedenes Grinsen wurde breiter und sie holte bereits Luft, um etwas zu sagen, da packte er unvermittelt ihr Kinn und überstreckte ihren Nacken. Das kam dermaßen unerwartet, dass ihre Ellbogen in einer angedeuteten Vorwärtsbewegung zuckten. Ein Schutzmechanismus, den Götter gar nicht brauchten. Kassandra blinzelte, hörte seine Worte und seine Frage, aber verpasste den Moment zu antworten, weil sie noch aus dem Moment der Überraschung zurückkehren musste. Er wiederholte die Frage, beinahe auf Augenhöhe, und da erlangte sie ihre Fassung wieder.
      „Keine Lippen, keine Zunge, nur die Zähne haben deinen Stoff berührt. Magie wurde nicht direkt ausgeschlossen“, antwortete sie und Trotz flammte in ihren Augen auf. Einzig die Tatsache, dass er einen nackten Körper an seinem nicht ertrug, war in ihren Augen der Grund, warum er noch nicht klein beigegeben hatte. Nur das stellte sich zwischen ihnen, wobei Kassandra ernsthaft befürchtete, dass es auch daran scheitern würde. Also zog er mit seinem Daumen eine Spur über ihr Kinn, ihre Lippen. Mit dem Daumen verweilte er auf ihrer Unterlippe, die Augen kontinuierlich auf das Ziel vor sich gerichtet.
      „Auf.“
      Ihr Mund öffnete langsam, manch einer mochte dort ein Zögern hineininterpretieren. Das war neu, selbst für ihre Beziehung. Doch sie hinterfragte nicht, fing seinen Daumen mit ihrer Zunge ein und vermittelte ihm hoffentlich erfolgreich das Bild, wie es sich mit einem anderen Körperteil anfühlen könnte. Dabei schloss sie die Augen, brach den Blickkontakt und zwang ihre Lust, ihm doch seine Grenzen aufzuzeigen, nieder.
      Er beugte sich abermals zu seiner Göttin hinab und fügte eine neue Regel hinzu. Das bewirkte, dass Kassandra ihre Lider aufschlug und allein mit ihrem Blick ganze Armeen hätte versengen können. In einem günstigen Momentum drückte er seinen Daumen auf ihre Zunge und nahm ihr somit die Möglichkeit, etwas zu erwidern. Nicht einmal ein Nicken bekam er von ihr, bevor er seinen Daumen herauszog und Kassandra einen langsamen Atemzug machte, so wie Menschen, die gerade noch mal die Kurve gekratzt bekommen hatten, ehe sie etwas riskantes aussprachen. Ihr Blick zuckte von seinem Gesicht hinunter, wo sie sich vergewisserte, dass er immer noch im Spiel war.
      Seine nächste Aufforderung folgte ohne Umwege. Dieses Mal reagierte die Phönixin nicht sofort, sondern bedachte den Mann vor ihr mit einem abschätzigen Blick. Sie wusste ganze genau, wo er keine Narben trug und sie wusste ganz genau, dass sie jetzt er Erlaubnis gehabt hätte, ihn zu küssen. Aber dafür wollte sie ihre Hände benutzen, dafür wollte sie ihn auf den Rücken stürzen und ihn reiten, wie er es einst auf seinen Pferden tat. Sie würde ihn unter sich zucken spüren in einer Mischung aus Qual und Erlösung. Ein niederträchtiger Cocktail.
      Deshalb entschied sich Kassandra für die etwas radikalere Lösung, rutschte ein wenig weiter nach vorne und löste ihren Blick von seinem Gesicht. „Du hast nicht spezifiziert, wo und wie lange“, wies sie ihn im Voraus auf die mangelnde Anweisung hin, kurz bevor sie einen Kuss auf seinen hervorstehenden Teil des Beckenknochens setzte und dann der Linie zur Mitte hin folgte. Sie fragte nicht nach Erlaubnis, sie wartete auch nicht darauf, wie er es aufnahm, sondern zog ohne Umschweife eine erstaunlich sanfte Spur aus Küssen von seiner Scham über den gesamten Schaft bis hin zur Spitze. Keine Magie floss durch ihre Lippen und sie waren das einzige Fleckchen Haut, das Zoras berührte. Nach vollendeter Tat lehnte sie sich zurück, legte den Kopf wieder in den Nacken und sah Zoras an.
      „Hast du nicht gesagt, du würdest mich gut fühlen lassen und nicht andersherum? Du wirst mich doch nicht etwa enttäuschen?“
    • Trotz funkelte aus Kassandras hübschen Augen heraus und Zoras - Zoras war völlig hingerissen davon. Selbst nach all diesen Jahren hatte Kassandra noch immer diesen Schneid in sich, diese neckende, flinke, scharfe Zunge, die auf mehr als eine Weise mit ihm spielen konnte. Es war das Gleichgewicht, das ihn dabei so verführte, ihre neckende Art, die nie darüber hinausging, um ihn aus der Bahn zu werfen. Sie spielte mit ihm, aber gleichzeitig ließ sie ihn auch mit sich spielen, denn wirklich, alle der ihr gesetzten Grenzen waren nur scheinheiliger Natur. Vermutlich lag es daran, dass ihr Trotz einen solchen Reiz auf ihn ausübte.
      Erst nach einem kurzen Zögern gewährte sie ihm Zugang zu ihrem Mund, was Zoras aufmerksam zur Kenntnis nahm. Auch wenn die Göttin ihm einen derart großen Spielraum gestattet hatte, um ihrer - hoffentlich - beider Gelüste zu befriedigen, hieß das doch nicht, dass der Raum grenzenlos war. Allem Anschein nach hinterfragte sie in diesem Moment selbst, wo denn eigentlich diese Grenzen anzusetzen wären.
      Aber dann gewährte sie es ihm und Zoras fühlte ein Prickeln in seiner Magengegend bei dem Gefühl seines Daumens an ihrer Zunge. Sie war wirklich flink und wendig, genauso, wie er es in Erinnerung hatte. Ihre Augen schlossen sich und in dem unbeobachteten Moment erlaubte Zoras es sich, seiner stetig weiter anwachsenden Begierde ein wenig Luft zu lassen und die Zähne in seine Unterlippe zu graben. Er ließ den Blick auf ihren Körper fallen, auf ihr wallendes Haar, das zart über ihre Brüste strich, und auf ihr geschwungenes Becken, die langen Beine, die Andeutung ihrer Scham. Es war genug, um ihn steinhart werden zu lassen.
      Über die nächsten Sekunden hinweg wurde ihr Blick machtvoll genug, um auch den stärksten Mann in die Knie zu zwingen, und dann wurde er kalkulierend. Zoras rührte sich nicht, er gab ihnen beiden den kurzen Freiraum, um etwas Atem zu schöpfen. Allerdings beobachtete er genauso aufmerksam, wie sie schließlich ein Stück näher rutschte.
      "Ich weiß. Ich möchte dich doch nicht allzusehr beschränken."
      Seine Mundwinkel zuckten in einem neckenden Lächeln, als ihr Blick knapp zu ihm nach oben huschte. Ab dann schwand das Lächeln wieder, denn ihre brennenden, festen Lippen zogen eine Spur heißen Feuers über seine Haut, deren Ziel allzu leicht vorhersehbar war. Nur machte es die Sache umso verheißungsvoller, genau zu wissen, wo ihr Weg ihre Lippen als nächstes hinführte und wo er damit schon das Phantom ihrer Berührung erspüren konnte. Sehr schnell wurde ihm klar, dass er mehr hätte verlangen sollen, aber von diesem mehr hätte Kassandra sich auch auf eine ganz andere Weise mitreißen lassen können - auf eine ähnliche Weise, die nun schon seiner Unterkleidung das Leben gekostet hatte. Nein, eigentlich war es so genau im richtigen Maß, nur dass Zoras jetzt langsam in seiner Geduld schwankte. Er wollte Kassandra. Allzu schmerzhaft wurde ihm mit einem Schlag bewusst, wie lange er sie schon nicht mehr gehabt hatte.
      Langsam strich er mit den Fingerspitzen ihre Wange entlang, da lehnte sie sich ein weiteres Mal zurück. Augenblicklich vermisste er schon ihre Lippen.
      "Wenn du dich an die Regeln hältst - ja. Bisher hast du dich daran gehalten. Oder täusche ich mich?"
      Als er sich dieses Mal wieder zu ihr beugte, drängte er sie im gleichen Zug auch gleich zurück, auf die Matratze selbst, in das Nest zurück, das sie von ihren Klamotten hinterlassen hatte. Akzente von Türkis stachen unter ihren Haaren heraus, umschmeichelten ihr Gesicht mit kräftiger Farbe.
      "Du meinst, du hast dir deine Belohnung dafür schon verdient?"
      Jetzt spielte er ganz eindeutig mit dem Feuer, schließlich hatte er nie spezifiziert, wann Kassandra für diese Mühe auch entlohnt würde. Ein Schlupfloch, das er sich selbst gelassen hatte.
      "Hmmmm..."
      Er beugte sich zu ihr herab. Die Muskeln an seinen Armen traten hervor und wanderten zu seinen Schultern empor, als er sich dicht über ihrem Körper hielt, nahe genug um ihre Hitze zu spüren, nicht nahe genug für eine Berührung. Furchtlos blickte er in ihr tiefrotes Augenpaar hinab.
      "Halt noch ein bisschen für mich aus. Damit ich mir sicher sein kann, dass du die Regeln beachtest."
      Er erwartete eine Antwort. Sie beide erwarteten einen Kuss, der niemals folgte.
      Mit größter Vorsicht tauchte Zoras weiter zu ihren Brüsten hinab.
      Das war der kritische Teil, für den die Regeln von vornherein vorgesehen waren. Das war der Part, an dem sie in Espiahafen gescheitert waren, ehe sie sich anders zu helfen gewusst hatten. Nun wollte Zoras es auf eine andere Weise angehen, strategischer. Sich nach und nach an die Sache heranwagen, in seinem Tempo und zu seinen Konditionen. So sehr er Berührungen auch zu hassen gelernt hatte, er wusste, dass ein Teil von ihm sie bitter benötigte. Es war vermutlich derselbe Teil, dessen Gebete im Kerker niemals erhört worden waren.
      Telandirs Narbe kam zuerst in Berührung mit Kassandras Bauch. Sie füllte einen Großteil seiner Brust aus, die dadurch fast vollkommen haarlos verblieben war. Die Narbe flammte auf und ärgerte ihn mit tausend kleinen Nadelstichen, dort, wo Kassandras eigene wärmende Haut auflag.
      Er küsste die Wölbung ihrer Brust und neckte einen Nippel mit seinen Lippen. Er legte seine Konzentration auf das leichte Zucken ihrer Haut und die verhärtete Brustwarze, die er mit der Zunge weiter reizte. Er sah auf zu Kassandra und badete sich in dem kurzen Austausch ihrer gemeinsamen Blicke. Er tat alles, um sich von den mikroskopischen Stichen abzulenken. Telandirs Narbe kooperierte nicht.
      Auf seinem weiteren Weg nach unten waren es die Arme, die er an ihre Seiten legte, ohne den Druck zum festhalten, dafür mit der Vorsicht vor etwas zerbrechlichem. Seine Arme waren mit unerkennbaren Mustern aus gehärteter Haut übersät, aber es waren die Stellen dazwischen, an denen auch noch vereinzelte Härchen heraus ragten, die den Kontakt fühlten und davor zurückschreckten. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn seine ganzen Arme eine einzige Narbe geworden wären, damit er dort gar nichts mehr fühlen könnte. Vielleicht hätte es ihm den Stich an aufkeimender Unsicherheit erspart, der sich jetzt tief in seinem Inneren anpflanzte.
      Sein Mund spielte derweil ein anderes Spiel. Er glitt über warme, weiche Haut, er kostete Kassandra an ihrem Bauch, an ihrer Hüfte, an ihrem Becken. Er erreichte ihre Scham und weil die Phönixin ihn noch immer gewähren ließ, weil sie die Hände bei sich behielt und nicht ein einziges Mal zu ihm ausgegriffen hatte, entschied er, dass sie es sich wahrlich verdient hatte. Da ergriff er ihre Schenkel, spreizte sie soweit, wie die Phönixin es zuließ, und vereinte wieder Lippen mit Lippen. Doch über Telandirs phantomartigen Schmerz und das schreckhafte Schaudern seiner Arme, verköstigte er Kassandra auf eine ungehemmte, alles umgreifende Weise. Seine Zunge suchte nicht nur den einen Punkt heim, an dem die Göttin von einem ganzkörperlichen Zucken ergriffen wurde, sie schlug auch eine Spur über ihre Lippen und folgte der natürlichen Eingebung ihres Körpers zu ihrem Inneren. Und selbst dort hörte sie nicht auf: Zoras musste Kassandras Beine mit den Schultern offen halten, ein gar unangenehmes Gefühl, damit er Kassandra mit den Händen weiter öffnen konnte. Von dort aus zog er weiter, noch weiter runter, labte sich an einem anderen Muskel, die Finger an der Stelle, die er soeben noch verlassen hatte. Und Kassandra war beinahe genug, um ihn dabei von dem Pulsieren seines eigenen Körpers abzulenken. Sie war in jedem Fall genug, um sich vollständig nach ihr zu verzehren.
    • Selbstzufriedenheit stieg in der Phönixin auf, als sie schon Sekunden im Voraus ahnte, dass Zoras erneut die Nähe zu ihr suchen würde. Also zeigte sie sich offen, gerade zu einladend, als er sich zu ihr beugte und sie wieder zurück auf das Bett inmitten der verstreuten Kleidung drängte.
      „Ich finde, ich habe mir definitiv die Belohnung verdient. Andernfalls muss ich überdenken, wie lange ich deinen Regeln Folge leisten sollte“, kokettierte Kassandra, ihre Hände noch immer nicht an seinem Körper, sondern brav abgelegt auf der Decke des Bettes. Ihre Augen fanden seine, ihre Körper so nah, dass sich die Hitze des jeweils anderem auf ihm niederschlug, aber doch so weit entfernt, dass Haut nicht auf Haut traf. Einen einzigen, tiefen Atemzug würde es nur benötigen, dann träfen Kassandras Brüste auf Zoras‘ Oberkörper. Doch das tat sie nicht. Obwohl ihr Entschluss wankte bei Zoras‘ Worten, dass sie noch länger für ihn ausharren sollte. Dachte er etwa, ihre Geduld war grenzenlos? Anstelle einer gesprochenen Antwort schenkte sie ihm ein theatralisches Augenrollen und beide verblieben ungeküsst.
      Er verschwand aus ihrem Blickfeld, kurz zog sie das Kinn an die Brust, um ihm zu folgen. Zu ihrer Zufriedenheit stellte sie fest, dass er sie nicht verließ, sondern anderen Körperstellen seine Aufmerksamkeit widmete, und so ließ sie ihn ziehen und legte den Kopf einfach wieder ab. Ihr Blick ging kurz zur Decke, musterte das Muster. Dann schloss sie ihre Lider, um Zoras die Zeit einzuräumen, die er benötigte. Ohne ihre Augen verließ sie sich nur noch auf das, was sie fühlte, sowie das, was seine Aura ihr präsentierte. Das Erste, was sie aus ihr lesen konnte, war ein unvermittelter Schmerz, der zusammen mit der Berührung an ihrem Bauch entflammte. Stechend und sengend und schwelend, wie ein versteckter Brandherd, den man nicht vollkommen gelöscht hatte. Die Note, die sie regelrecht dazu erschmecken konnte, ließ sich zweifelslos einer anderen Einheit zuordnen. Sie war lange genug in Telandirs Händen gewesen, um seine Spuren mit absoluter Sicherheit nachsagen zu können. Demnach musste es die Narbe sein, das riesige, unansehnliche Geschwulst auf Zoras‘ Brust, die mit der weichen Haut der Phönixin in Kontakt gekommen war. Noch immer konnte sie das Fünkchen Wut nicht ersticken, die sie daran erinnerte, unter welchen Umständen er diese Narbe erhalten hatte.
      Notgedrungen schlug Kassandra ihre Lider wieder auf und sah zu Zoras hinab, der sich gerade ihrer Brustwarzen bemächtigte und scheinbar gegen den Reiz der Narbe ankämpfte. Indes wünschte sich Kassandra, dass die warmen Wogen, die er durch ihren Körper sandte, einfach auf ihn überspringen mochten und das auslöschten, was seinen Instinkt zu übermannen suchte. Dann setzte er unvermittelt seinen Weg fort und ihr Kopf fiel ein weiteres Mal auf den weichen Stoff zurück, dieses Mal jedoch begleitet von freudiger Erwartung. In ihren Gedanken malte sie seinen Weg bereits weiter aus, wie er nicht Halt machen würde und sein Ziel erreichte. Ihre Gedanken gerieten ins Stocken, als sie das Unwohlsein bemerkte, das in ihm anwuchs, kaum lagen seine Arme an ihrer Seite. Die Gedanken wurden von Rissen durchzogen und drohten zu splittern, während Kassandra darauf lauschte, ob das Gefühl in ihm weiter anwuchs oder nicht. Sämtliche Aufmerksamkeit darauf bezogen löste sich im Nichts auf, als Zoras plötzlich ihre Schenkel ergriff und sie allein durch diese bestimmte Aktion von weiterem Bedenken erlöste. Das überraschte Zucken ihrerseits, als er seine Lippen an ihre brachte, ließ sich unmöglich verstecken und das hätte sie auch gar nicht gewollt. Sie ging sogar soweit, ihn ein erleichtertes Seufzen hören zu lassen in der Hoffnung, dass es ihn auf seinen Wegen bestätigen würde.
      Der Gegensatz hätte nicht größer ausfallen können. Binnen weniger Bewegungen seiner Zunge hatte er eine Begierde in seiner Göttin entfacht, die den gesamten Palast verschlingen konnte. Über seine Aura hinweg spürte sie noch immer den Schmerz der Narbe, die Unsicherheit, das Trauma, die Abstoßung. Er kämpfte gegen das Gedächtnis seines Körpers an, für sie, für sie beide und war immer noch gefährlich nah dran, diesen Kampf doch noch zu verlieren. Aber jetzt konnte sie ihm nicht helfen, ihre Lider flatterten und ihre Finger knüllten den weichen Stoff, da sie noch immer an diesen lächerlichen Regeln festhielt.
      Eine weitere Bewegung ging durch seinen Körper, als er sich noch tiefer schob und ihre Beine nicht mehr mit den Händen, sondern mit seinen Schultern an Ort und Stelle hielt. Ihre Füße berührten das Bett schon nicht mehr und als er schlussendlich neben seinem Mund seine Finger einsetzte, war Kassandras Geduld und Kontrolle zum zerreißen gespannt. Er hörte nicht auf, auch dann nicht, als sie ihr Becken gegen ihn zu bewegen begann und das Stoff zwischen ihren Fingern sich von weiß zu schwarz verfärbte.
      „Du belohnst mich… mit… allem?“, brachte sie zwischen mehreren Atemzügen hervor, doch statt einer gesprochenen Antwort ließ der Mann lieber Taten sprechen. Es musste daran gelegen haben, dass so lange niemand sie mehr so berührt hatte. Dass es das erste Mal seit ihrer Trennung war, dass sie sich so nahe waren. Dass er der Einzige war, der diese Facette von ihr zu sehen bekam. Unaufhörlich machte Zoras weiter, trieb seine Göttin weiter an, die schlussendlich mit einem leisen, langen Aufstöhnen kam. Ihre Beine pressten sich ohne ihr Zutun aneinander und klemmten seinen Kopf zwischen ihnen ein. Sie spürte sofort die Gegenwehr in Zoras‘ Aura, aber jetzt gerade konnte sie darauf keine Rücksicht nehmen. Sie ritt die Welle aus, ließ sich von Zoras bis zum Ende begleiten und gab ihn alsbald wieder frei, sodass er sich von ihr zurückziehen konnte.
      Schon einen Augenblick später hatte sich Kassandra auf ihre Unterarme aufgerichtet und starrte Zoras durch ihre noch immer ausgestellten Beine hindurch an. Der dünne Faden der Kontrolle, an dem sie eisern festgehalten hatte, war ohne ihr Wissen gerissen. Ihre eigene Aura, sonst immer wohl bedacht, strömte jetzt nichts anderes mehr als Hunger aus. Die Haut in ihrem Gesicht hatte leicht Farbe bekommen und ihr Blick glich mehr dem eines Raubtieres, das seine Beute gestellt hatte. Ohne weitere Worte zu verlieren packte sie Zoras an seinem Oberarm, legte ein Bein an seine Seite und warf ihn in einer geschmeidigen Bewegung seitlich auf den Rücken, wobei sie auf ihm thronend zum Halten kam. Wie die Göttin, die sie war, ragte sie über ihm auf und saß auf seinen Oberschenkeln kurz seinem Zeichen seiner Begierde für sie. Gemächlich ließ sie ihren sengenden Blick von unten über seinen Bauch und die Brust mit der unschicklichen Narbe bis hin zu seinem Gesicht wandern. Seine Aura, sein ganzes Unterbewusstsein, begehrte unter ihrer plötzlichen Dominanz auf und ließ seine Panik in ihm aufsteigen, die Kassandra mit einem leisen, genüsslichen Seufzen kommentierte. Das Rot ihrer Augen wurde von einem ganz wortwörtlichen Funkeln gespeist, als sie sich an all den Emotionen bediente, die er ihr zur Verfügung stellte.
      „Wenn ich entlohnt wurde bedeutet das zeitgleich das Ende deiner Restriktionen“, sagte sie und strich dabei mit ihren Händen über ihre Schenkel, den Bauch und hoch zu ihren Brüsten. Wenn sie ihn jetzt auch noch weiter berührte, würde sie ein verfrühtes Ende dieses Spiels bewirken, das war ihr mehr als bewusst. Also gab sie ihm ein bisschen Zeit, sich neu darauf einzustellen, während sie nun damit beginnen würde, das Spiel zu ihren Gunsten zu drehen.
    • Eine Sache hatte sich selbst nach all der Zeit nicht geändert: Die Wirkung einer sich windenden und keuchenden Kassandra bei Zoras. Er hätte schon längst über das Stadium hinaus sein müssen, in dem die allzu menschlichen Reaktionen der Phönixin ihn reizten, aber es lag etwas unsagbar Verbotenes darin, wie die entfesselte Göttin unter seiner Zunge zuckte, ein Anblick, der selbst ihren Artgenossen nicht gewährt war. Ihre Stimme, sonst herrisch und eitel, verlor sich in keuchendem Atem, angekratzt von reiner Begierde. Ihr Becken bewegte sich mit ihm, eine gar instinktive Reaktion, wie er sich vorstellen wollte. Das hier war nur für Zoras, einzig für diesen Mann und für nichts anderes auf der ganzen Welt. Es war ein Geschenk, das selbst den Göttern vorenthalten blieb.
      Und Zoras labte sich daran, an allem, was Kassandra ihm zustand. Er war dieser besonderen, speziellen Macht ganz hilflos ausgesetzt, ein Sklave ihrer eigenen Begierde, der gar nichts anderes wollte, als selbst nur immer mehr und mehr davon zu bekommen. Wenn er könnte, hätte er diesen Moment eine ganze Stunde lang ausgekostet. Es war stark genug, dass er das Brennen in seinen Schultern für den Moment verdrängen konnte.
      Ihr Höhepunkt rollte über sie hinweg und Zoras beinahe mit ihm. Ihr Becken erzitterte und ihre Beine gewannen einen Eigensinn zurück, wanden sich von seinen Schultern und hielten ihn an Ort und Stelle fest. Ein Stich von Besorgnis durchfuhr ihn dabei, den er aber mit aller Kraft zurückdrängte. Wenn er jetzt Abstand suchte und erkannte, dass Kassandra ihn nicht ziehen lassen würde, würde der Stich sich ganz schnell in Panik ausweiten. Er ließ es also geschehen und begleitete die Göttin auf der Welle ihres Orgasmus hindurch. Als ihr Zucken verklang und ihre Beine sich von ihm lösten, richtete er sich endlich auf und leckte sich die feuchten Lippen.
      Kassandra hatte die Bettdecke verbrannt, das war das erste, das ihm auffiel, als er auf seine Geliebte hinab blickte. Verdächtig schwarze Flecken lagen genau unter ihren Händen.
      Das zweite, was ihm auffiel, war der zutiefst eindringliche Blick, mit dem sie ihn bedachte, als auch sie sich auf ihre Unterarme aufrichtete. Er schien durch Zoras hindurch zu gehen und ihn an Ort und Stelle festzunageln. Zoras konnte nicht sagen, weshalb er bei diesem Blick an einen Raubvogel dachte, der im Himmel noch einen letzten Kreis beschrieb, bevor er sich auf seine Beute stürzte.
      Und jetzt war Zoras diese Beute.
      Unmittelbar wich er ein Stück zurück, da schoss ihr Arm bereits nach vorne, ergriff ihn am Oberarm und brachte ihn mit einem gezielten Schwung des Beines zu einem seitlichen Fall. Die Berührung brannte auf seiner Haut und für den Augenblick seines Ungleichgewichts stieg ehrliche Angst in ihm auf. Er konnte ihn bereits spüren, den Phantomschmerz, der sich dieser Berührung anschloss, ein Gefühl von etwas scharfem oder auch etwas schwerem, das jeden Augenblick seine Haut durchtrennen würde. Er zuckte bereits. Kassandras Hand lag viel zu schwer und viel zu endgültig auf seiner Haut.
      Dann hatten sie die Positionen gewechselt und Kassandra saß nunmehr auf seinen Oberschenkeln. Wie eine Königin ragte sie auf, die Verletzlichkeit während ihres Orgasmus vollkommen aus der Existenz geschieden. Sie war wieder ganz die Göttin selbst und das Geschenk, nur jenes für Zoras, war vorbei.
      Er atmete bemüht tief und schluckte gegen die Angst an, die sich in seinem Magen eingenistet hatte. In diesen wenigen Sekunden, die sie sich nur anstarrten, seufzte Kassandra nur.
      Vorsichtig streckte er die Arme nach ihr aus und legte die Hände auf ihren Oberschenkeln ab. Ihre Haut war göttlich weich unter seinen rauen Fingern.
      Tut es das?”, gab er lauernd zurück, misstrauisch geworden unter ihrer aufgelebten Energie. Sein gutes Stück hatte unter dem plötzlichen Überfall bereits ein wenig der Steifheit eingebußt.
      Dennoch folgte er wie gebannt, wie ihre zarten Hände über ihre Brüste, ihren Bauch und ihre Schenkel strichen. Er wollte sie wiederhaben, damit er sie wieder genau dort küssen konnte; eigentlich wollte er sogar sehr viel mit ihr anstellen, allem voran das schöne Zucken von eben an seinem eigenen Körper spüren. Aber das konnte er nicht und das lag nicht daran, dass sie auf seinen Beinen thronte.
      Langsam fuhr er mit den Händen nach oben und schob den Daumen zwischen ihre Lippen. Er hatte dort unten eine Feuchtigkeit zurückgelassen, die ihm schier den Kopf verdrehte.
      Ich könnte dich auch ein zweites Mal entlohnen, wenn du dich daran hältst. Sogar ein drittes Mal.
      Zugegeben, es war ein kläglicher Versuch, sich seine Freiheit zu erkaufen. Aber die Göttin auf seinen Beinen machte ihn nervös und selbst jetzt konnte er noch immer ihre Hand auf seinem Arm spüren. Er wollte nicht noch einmal so überfallen werden.
      Sicher würde sie Nachsicht zeigen, wenn er darauf bestehen würde, dass es ihm zu viel wurde. Aber das tat er nicht, er ließ nur seinen Daumen zwischen ihren Lippen kreisen und setzte auf eine Verhandlung.
      Überleg es dir. Und küss mich.
    • „Wie schön, dass du die Güte besitzt, mit noch ein zweites oder gar drittes Mal zu gewähren“, erwiderte Kassandra schnippisch darauf, atmete jedoch einmal tiefer ein, als Zoras seinen Daumen wieder dort positionierte, wo das Pulsieren entsprungen war. Unweigerlich spreizte sie ihre Beine noch weiter, um ihm besseren Zugang zu gewähren, doch Anstalten seine Beine zu verlassen machte sie keine. Die Nervosität, die Zoras aus jeder seiner Poren verströmte, beruhte nicht auf der Tatsache, dass sie nackt aufeinandersaßen, sondern schlug sich auf Erinnerungen zurück, die so fest mit seinem Körper verwachsen waren, dass sie nur noch im Unterbewusstsein abliefen. Das waren Erinnerungen, die Kassandra nicht einfach ausbrennen oder überlagern konnte. In diesem Hinblick war sie machtlos und das frustrierte selbst die Göttin.
      „Überleg es dir. Und küss mich.“
      Von oben herab blinzelte die Phönixin den Mann an, der von selbstsicherer Dominanz zu vorsichtiger Diplomatie gewechselt war. Einfach nur durch die Tatsache, dass sie ihn übermannt und zu viel Körperkontakt provoziert hatte. Der Schmerz, der ihn noch immer vage durchzog, war nicht von ihr ausgelöst. Es war irgendein Kerkermeister gewesen und ein gewisser anderer Phönix, die sich womöglich auf ewig in sein Körpergedächtnis gebrannt hatten. Diese Pein war nicht jene, aus der Kassandra ihren Nutzen zog und die Unfähigkeit, es zu ihren Gunsten zu drehen, machte sie beinahe rasend.
      „Du hast nicht gesagt, wo.“ Ohne Ankündigung ließ sie sich nach vorn fallen, stützte sich seitlich ohne ihn zu berühren mit den Händen ab und platzierte einen eindringlichen Kuss auf der Narbe, die Telandir ihm hinterlassen hatte. Sofort spürte Kassandra das Aufwallen von Zoras‘ Aura, wie sie in Wellen explodierte in einer Mischung aus Schmerz, aus Zwang und aus Widerwillen. Es traf sie wie eine meterhohe Welle, die gegen eine unumstößliche Klippe brandete, doch Kassandra ließ den Augenblick nicht außer Kontrolle geraten. Sofort ließ sie von seiner Brust ab, streckte sich nach oben und fing mit ihren Lippen seinen Mund ein, noch bevor ein einziges Wort ihm hätte entkommen können. Unter ihr begehrte er auf, ohne Aussicht darauf, aus ihren Fängen entfliehen können. Sie hatte ihren Sitz auf seinen Oberschenkeln aufgeben müssen, um dem Kuss nachzukommen, und saß nun in etwa auf seinem Becken, wobei sie sein Glied an seinen Bauch drückte. Nur dort und an den Lippen berührten sie sich, die Phönixin noch immer darauf bedacht, ihn nicht weiter zu berühren als unbedingt nötig. Von ihm weichen wollte sie allerdings noch immer nicht. Immer wieder verwickelte sie ihn in Küsse und nahm ihm Stücke seiner Freiheit.
      „Fürchtest du dich vor meine Berührungen?“, hauchte sie zwischen mehreren Küssen, unsicher darüber, welche Antwort sie sich eigentlich erhoffte. Sie wünschte sich die Zeit zurück wie damals im Zelt, als sie sich ihn zu Untertan gemacht hatte. Wie er mit leuchtenden Augen zu ihr aufgesehen hatte, ein Wunder, das nur ihm allein gegolten hatte. Wenn sie jetzt in seine Augen blickte, war da zweifelslos das Funkeln, aber es wirkte trüb, wie durch einen leichten Nebel hindurch. Bisher hatte sie ihm helfen wollen, den Nebel zu klären, doch nun änderte sie ihre Taktik und beschloss, einfach selbst durch den Nebel zu gehen und ihn herauszuholen. Selbst wenn er dabei über Stock und Stein fiel.
      „Ich will, dass du mich wieder voll begehrst“, fügte sie hinzu und drückte ihr Becken gegen seines, wobei sie damit auf seine Erektion hinwies, die spürbar eingebüßt hatte. „Ich will, dass du flüchtest und ich dir nachstellen kann. Dass du meine Berührung gleichzeitig ersehnst und fürchtest. Weil nur ich dich so fühlen lassen kann.“ Sie ließ ihren Atem über seine feuchten Lippen streifen ehe sie Lippen und Zunge erneut beanspruchte.
    • Zoras’ Augen wurden ein bisschen größer, seine Hände auf Kassandras Schenkeln ein bisschen steifer. So schnell konnte es gehen; ein unachtsamer Moment und schon hatte Kassandra ein Schlupfloch ausgemacht. Was hatte ihn so unaufmerksam werden lassen? Etwa die Tatsache, dass er sich ohne die Regeln nicht mehr ganz so sicher fühlte?
      Aber selbst jetzt, nachdem sie ihm klar gemacht hatte, dass sie nicht mehr auf diese Weise spielten, hatte sie noch immer Rücksicht auf ihn. Es waren nicht ihre Hände, die ihn berührten, sondern ihre Lippen, die sich fest auf seine Narbe drückten. Der Schmerz kam kurz und knapp, doch er zuckte trotzdem - und hasste sich dafür. Wenn er nur Augen und keinen Körper gehabt hätte, wäre der Anblick mehr als reizvoll gewesen: Die schlanke Göttin, die sich zu seiner Brust hinabbeugte, die Haare wie Wasser um ihr Gesicht herunter fallend. Er hätte es genießen können, doch leider war Zoras mehr als seine Augen. Und dieses mehr überschattete alles.
      Er biss die Zähne zusammen, bevor er aber etwas hätte sagen können, richtete Kassandra sich schon auf, zog nach oben und presste ihre Lippen in einem köstlichen, lang ersehnten Kuss auf seine. Sie rutschte ein wenig, ihre Beine zwängten jetzt sein Becken ein, ein gar unangenehmes Gefühl, das gemischte Gefühle in ihm auslöste. Aber der Kuss - der Kuss war etwas anderes. Der Kuss war ein Aufwallen von Gefühlen, ein Sehnen, ein Verzehren, ein Lieben. Unweigerlich wanderten Zoras Hände ihre Schenkel empor, strichen über die Kurven ihrer Hüfte und zu ihrem Rücken empor, machten Anstalten, die Phönixin selbst einzufangen. In einem anderen Leben hätte er sie nun an sich gepresst, hätte nichts anderes zu spüren gewollt als die Phönixin und ihre Wärme, wie sie ihn am ganzen Körper vereinnahmte. In einem anderen Leben hätte er sich mit ihr herumgerollt und wäre unlängst in ihre betörende Hitze eingedrungen. Vieles hätte er in diesem anderen Leben anders gemacht.
      Doch in diesem Leben blieb es lediglich ein Phantom dieser Annäherung. Als Kassandra den Kuss nur einen Moment löste, um gegen seine Lippen zu hauchen, waren es noch immer gemischte Gefühle, die in seinem Inneren um die Herrschaft kämpften.
      Fürchtete er sich vor ihren Berührungen? Das war eine einfache Frage - oder nicht? Die Antwort war doch klar und eindeutig.
      Aber als er den Mund öffnete, um sie ihr zu geben, kam nichts dabei heraus. Sie küssten sich stattdessen wieder und in ihrem Kuss dachte Zoras darüber nach.
      Er dachte an ihre Hand an seinem Arm, deren Phantom er noch immer leicht wahrnehmen konnte. Er dachte aber auch an ihre Lippen, an die subtile Zärtlichkeit, die sie ihm aus Rücksicht entgegen brachte. Er dachte an den Schmerz, der aufflammte, wann auch immer sie ihn nur sachte berührte.
      Nach weiteren Küssen brachte er endlich die Antwort:
      Nein.”
      Aber es war nicht die Wahrheit, so wie es auch keine Lüge war. Sie mussten es beide wissen, dabei war nur Zoras sich bewusst, dass es vermutlich gar keine richtige Antwort darauf gab - und wenn doch, konnte sie nicht in ein einziges Wort verpackt werden.
      Kassandras Atem streifte ihn erneut. Ihre Worte beschworen eine Gänsehaut auf seinem Körper herauf, die ihn erzittern ließ. Ein Wärmeschauer wallte durch seinen Körper, ausgelöst von dem leisen Flüstern selbst, von den Worten, die nur ihm allein zustanden. Er wollte sie begehren. Er wollte… alles.
      Ein Atem entfuhr ihm, als er die Beine aufstellte und Kassandras Becken begegnete. Seine Erektion rieb an ihrem unteren Bauch entlang.
      So wie damals?”, hörte er sich zurück flüstern. So wie damals, nur mehr? Nur so, wie er es heute zustande brachte?
      Sehnsüchtig leckte er in ihren Mund hinein, kostete alles, was er haben wollte. Seine Arme wollten sich hinter ihrem Rücken schließen, öffneten sich aber wieder. Das Gefühl war unangenehm.
      Ich will es. Ich will dich.
      Er hob die Hände an ihr Gesicht, hielt sie kurz oberhalb seines eigenen fest.
      Ich kann es. Berühr mich.
      Und dieses Mal war er sich bewusst, dass er ihr keine Grenzen setzte.
    • Das Nein, das Zoras Kassandra entgegenbrachte, war ein überaus leeres Wort. Die Bedeutung des Wortes hatte er übermittelt, aber gefüllt wie sonst mit Überzeugung und Emotionen war es nicht. Es reichte nicht aus, um als vollwertige Antwort zu bestehen, doch das war auch nicht Kassandras Absicht hinter dieser Frage gewesen. Sie wollte wissen, ob er ein nicht zu ende gedachtes Ja oder doch ein leeres Nein wählen würde. Nun hatte sie darauf die Antwort bekommen.
      Auch ohne ihn zu berühren fühlte sie, wie ein Schauer ihn durchlief. Von oben herab, wo ihre Lippen ihn liebkosten, bis nach unten zu ihren Schenkeln, die ihn sicher an Ort und Stelle festhielten. Sie wollte ihre Finger in seinen Leib schlagen und sich daran ergötzen, welch bittersüße Reaktion sie ihm damit entlocken konnte. Nur war der Grat zwischen dem und dem völligen Wahnsinn noch immer verschwindend gering. So gering, wie es teilweise ihre eigene Kontrolle gewesen war. Die abermals in aberwitzige Tiefen stürzte, als Zoras seine Beine aufstellte und sie damit fast schon auf genau die richtige Höhe brachte.
      „Mehr“, war ihre knappe Antwort auf seine Frage hin, wohl bewusst über die Arme, die hinter ihrem Rücken verweilten und sich nicht trauten, was jede Faser in seinem Körper ihm bereits zuschreien mochte. Bereitwillig empfing sie seine Zunge, begrüßte sie, spielte mit ihr. Bot ihr Aussicht auf so viel mehr in der Hoffnung, ihn aus seiner Reserve zu locken.
      Dann waren da plötzlich Hände an ihrem Gesicht, rau und schwielig und so im Kontrast zu ihrer eigenen Haut. Sie würden die Hitze spüren, die ihre gesamte Haut ausstrahlte. Das Feuer, das gut versteckt unter Haut und Fleisch loderte.
      „Ich will es. Ich will dich.“ Kassandras Augenbrauen hoben sich, nicht überzeugend, anzüglich. Eine Prise Selbstzufriedenheit steckte in ihren Zügen, als sie seine Worte nicht anfocht. Keines seiner Worte wankte in seiner Aussprache, jede Silbe trug den Schein der Wahrheit mit, den Kassandra unweigerlich anerkannte. Er log nicht, er sprach das aus, was er sich wahrlich in diesem Augenblick so sehr wünschte.
      „Ich kann es. Berühr mich.“
      Ein Blitz Enttäuschung zuckte durch Kassandras Geist. Ohne es zu wissen hatte Zoras eine Lüge ausgesprochen und direkt daraufhin eine Aufforderung folgen lassen. In der Sekunde, in der er seine Lüge ausgesprochen hatte, war ihr die Erkenntnis gekommen, dass nur eine einzige Bewegung ausreichen mochte, um ihm seinen Fehler klarzumachen. Dass sie vielleicht eine Spur dessen erhaschen konnte, was sie über jeden Trieb hinaus befriedigen konnte. Nur, dass sie nicht wahrlich der Auslöser dessen sein würde. Dazu musste sie ihn konditionieren, bis er bereits ausbrach, wenn sie ihre Hand nur noch über seine Haut schweben ließ.
      „Auf Befehl des Eviad hin?“, sicherte sich Kassandra ab, obwohl man in ihren Worten hörte, dass sie auf keine Bestätigung warten würde. Stattdessen stemmte sie sich auf ihren Händen von Zoras weg, kehrte zu ihrer aufrecht sitzenden Position zurück und war sich wohl bewusst, dass sie sein Zeichen seiner Begierde unlängst unter sich spürte. Sie hüllte ihn in ihre glimmende Hitze ein, ließ ihn spüren, dass sein Vorspiel durchaus effektiv gewesen war, er sich aber noch weitab jeglicher Erlösung befand. Ihre Hände hatte sie zurück auf ihren Oberschenkeln platziert, als sie sich mit scheinbar größter Ruhe lasziv wenige Millimeter vor und wieder zurück mit ihrer Hüfte bewegte. Wie gern wäre sie einfach über ihn hergefallen, hätte ihn missbraucht, wie es manch ein Träger vor ihm mit ihr angestellt hätte. Wie sehr wäre sein Betteln wohl imstande, sie noch weiter zu befeuern? All solche Fragen geisterten in ihren Verstand, aber wenn sie dem Verlangen einmal nachgab, würde sie ihn höchstwahrscheinlich verlieren. Ein weiteres Trauma würde dieser Mann nicht durchstehen können.
      „Dann stellen wir mal auf die Probe, ob du es kannst.“ Sie stellte die Bewegungen ihrer Hüfte nicht ein, als sie ihre Hände anhob und sie ohne Umschweife auf Zoras‘ Brust ablegte, wo sie sich sonst für andere Schandtaten abstützen würde. Ein Härtetest, wie viel Wahrheit oder eher Wille in seinen Worten stecken sollten.
    • Kassandra brannte. Ihr ganzer Körper strahlte eine Wärme aus, das einem richtigen Feuer so unendlich nahe kam. In ihren Augen konnte man es lodern sehen, den Geist dieses Feuers, der alles in seiner Nähe verbrannt hätte. Alles außer Zoras.
      Ein Ausdruck, wie er für eine bildschöne Göttin wie sie verboten gehörte, huschte über ihr Gesicht bei seinen Worten. Es war der Beweis dafür, dass dieses Feuer nicht umsonst entstand und dass die Phönixin nicht unbedingt diejenige war, die es entfacht hatte. Von diesem Blick alleine hätten Welten umgeschmissen werden können.
      Kurz darauf fror er zwar ein wenig ein, aber Zoras dachte sich nichts dabei. Er lächelte sogar und reckte den Kopf ein wenig zu ihr.
      "Der große Eviad hat gesprochen."
      Nicht, dass sie ernsthaft auf eine Antwort gewartet hätte. Nicht, dass er ernsthaft die Meinung geändert hätte.
      Zielgerichtet setzte sie sich wieder auf und kehrte in ihre Ausgangsposition zurück, ihre Scham auf sein Glied gepresst. Unter ihrer sengenden Hitze prickelte es und Zoras konnte gar nicht verhindern, dass er die Hüfte nach oben presste und ihrer marginalen Bewegung folgte, sie anzustacheln versuchte, den Druck zu erhöhen probierte. Aber die Phönixin ließ sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen und in wenigen köstlichen Hüftbewegungen hatte sie ihn bereits so weit, dass er der Ungeduld zum Opfer zu fallen drohte.
      Aber das hier sollte eine andere Probe als das werden, das wussten sie beide. Und als sie kam, wappnete er sich mit Geist und Körper.

      Telandirs Narbe war die einzige Narbe, die noch ernsthaft schmerzen konnte. Im einen Moment konnte sie sich noch ruhig verhalten und im nächsten Moment, wenn zu plötzlicher Druck etwa durch schwere Kleidung - oder zwei ganze Hände - hervorgerufen wurde, konnte sie sich anfühlen wie ein Messerstich. Dabei war das Gefühl das unangenehmste, denn sie brannte nicht nur auf seiner Haut, ihre Qual reichte bis in seine Knochen hinab, die er niemals erreichen würde, die in gewisser Weise von der Narbe selbst verschlossen waren. Er wusste auch ganz genau wieso: Das schmelzende Eisen seiner Brustplatte auf seiner nackten Haut war der schlimmste Schmerz gewesen, den er bei seiner geistigen Gesundheit je ausgehalten hatte. Er war davon ohnmächtig geworden, ja, aber viel zu spät, als das Eisen sich schon durch seine Haut und in sein Fleisch gefressen hatte. Und dort schien es heute immernoch zu sitzen, es war wie ein großer Einschnitt in seiner Brust, der nicht sein Eigen war, ein Fremdkörper, der sich dort eingenistet hatte. Und dieser Fremdkörper tobte.
      Kassandra hielt die dunklen Augen auf ihn gerichtet. Ihre Blicke verharkten sich in der Luft, ohne dass einer geblinzelt hätte. Zoras war sich darüber im Klaren, dass die Phönixin seine Aura lesen können würde wie ein Buch und dass es nicht in seiner Macht lag, dort irgendetwas vor ihr zu verstecken, deswegen tat er es auch in der körperlichen Welt nicht. Er sog die Luft ein, er verzog das Gesicht. Er ließ sie den Schmerz sehen, den sie nicht spüren konnte.
      Es war nicht nur unangenehm, es war geradezu qualvoll. Er wollte nicht mehr; binnen Sekunden verpuffte seine Lust ins Nichts, wo er glaubte, sie nie wieder aufsteigen zu sehen. So sehr wollte er den Sex gar nicht, wenn das hier der Preis war, den er dafür zu zahlen gezwungen war. Nie wieder in seinem ganzen Leben bräuchte er den Sex für sowas, er könnte ein Leben einschlagen wie die Mönche und Abstinenz verinnerlichen. Er wollte nicht. Wenn er sich jetzt aufrichtete, würde Kassandra es ihm gewähren? Oder würde sie ihn zurückhalten, die Hände weiter auf seine schreiende Brust gepresst, ihr Becken genau auf dem richtigen Punkt, um ihn unten zu halten? Wie lange würde es gehen, ein paar Minuten, ein paar Stunden, bis sie ihn soweit hatte, dass er zu weinen und zu betteln angefangen hatte?
      Ein Zittern fuhr durch seine Glieder, dessen er sich nicht bemächtigen konnte. Seine Arme bebten wie unter einem großen Kraftakt. Er presste die Lippen aufeinander und wollte sich mit tiefen Atemzügen beruhigen, bei denen er versagte. Kassandra sah ihm weiter offen ins Gesicht und er war sich sicher, er war völlig überzeugt, dass sie ihn nicht gehen lassen würde, dass sie ihn für eine Ewigkeit hier behalten würde. Er würde sich nicht bewegen und nicht wehren können. Sie würde ihn hier behalten, unter Schmerzen, solange es nötig war, solange sie wollte, bis er ihr sagte...
      Bis er was sagte? ... Wo war dieser Gedanke nun hergekommen? Kassandra würde ihn loslassen, sie würde nicht bis in alle Ewigkeit warten, während er an seinem Schmerz verging, sie würde von ihm ablassen und sie wäre vermutlich enttäuscht, aber sie würde sich zu ihm legen, wenn er das wollte, sie würde ihn küssen wie gerade eben und sie würde sich von ihm in den Arm nehmen lassen, durch eine Decke hindurch, verstand sich. Sie würde sich mit aller Geduld sein nervenloses Gebrabbel anhören, würde sich mit Schmeicheleien übergießen lassen und dem Mann gewähren, dass er sie so fest hielt, dass es eine gewöhnliche Frau hätte zerbrechen können. Das war es, was passieren würde, wenn er jetzt die Nerven verlor. Nichts anderes.
      Da konnte er doch die Schmerzen aushalten, oder nicht? Nur kurz, nur für einen Moment. Für diese selbe Phönixin hatte er so viel mehr ausgehalten, jede einzelne Narbe an seinem Körper war in ihrem Namen entstanden und mit jeder einzelnen Narbe hatte er hinterher an sie gebetet, egal wie hoffnungslos er gewesen war, egal wie wenig er noch daran glaubte, dass ihn irgendjemand noch retten könnte. Er hatte es nicht ausgehalten ohne zusammenzubrechen, und das mehrfach, aber er war noch immer am Leben geblieben. Auf seine Weise hatte er es doch ausgehalten. Und später - später war er mit einer lächerlich kleinen Armee von zwei Leuten und seinem Sohn in ein fremdes Land einmarschiert, um es mit der Königin und ihren vermeintlichen Champions aufzunehmen. Nur für Kassandra, nur für die Phönixin. Manch einer mochte es als größenwahnsinnig beschreiben, doch Zoras hatte ein anderes Wort dafür.
      Er legte den Kopf ein wenig weiter zurück. Seine zuckenden Finger gruben sich in Kassandras Schenkel, um dort den Halt zu finden, den sie nirgendwo anders erwarten konnte.
      "Ich liebe dich."
      Seine Stimme war nicht mehr als ein Hauchen, aber die Intensität seiner Worte fand dadurch keine Einbuße. Er liebte sie. Darin lag alles von seinem ersten Handkuss, über sein erstes Liebesgeständnis, über die Zeit im Kerker, den Ausbruch von Asvoß und bis hierher, bis zu diesem Moment, als ihre Hände auf seiner Brust auflagen und sein Körper von dem Schmerz und dem Grauen unkontrolliert bebte. Er würde sie auch weiterlieben, egal was kommen mochte. Das war die einzige Sache, die in Zoras nicht gebrochen werden konnte.
    • Kassandra ahnte, dass ihre Hände auf Zoras‘ Brust das Unheil einleiten würde. Sie ahnte, dass seine Worte nicht ganz der Wahrheit entsprachen und dass er in alte Muster zurückfallen würde. Sie ahnte, dass sie allein ihn aus dieser Misere freigeben konnte, aber dafür musste sie zunächst einmal sehen, wie tief diese Misere überhaupt reichte.
      Vor ihren Augen wandelte sich alles in seiner Körpersprache. Von immenser Lust, dem Aufflammen alter Liebeleien und dem Damals, zum Jetzt und einem Schmerz, der ihn alles andere vergessen ließ. Ihre Hände allein auf seiner Brust konnten ihm doch niemals solche Qualen bereiten, das stünde gegen alles, was er jemals zu ihr gesagt hatte. Vor ihren Augen verlor er Kampf zwischen Willen und Körper und ergab sich dem Überlebensinstinkt, der ihn womöglich schon viele Male gerettet hatte. Noch immer war es nicht Kassandra an sich, die diese Reaktion auslöste, sie drückte nur die notwendigen Knöpfchen, die ein Anderer installiert hatte. Stattdessen spürte sie Enttäuschung in sich aufkeimen, dass dieser Mann, der alles in seinem Leben nach ihr ausgerichtet hatte, jetzt in seiner Überzeugung strauchelte. Irgendetwas ging ihm durch den Kopf – natürlich – aber der Inhalt entzog sich ihr. Vielleicht waren es Wahnvorstellungen, vielleicht versuchte er sich auch anders abzulenken. Nichts davon bewirkte, dass sie den Blickkontakt brachen. Bis er schließlich seinen Kopf in den Nacken legte, seine Finger so tief in ihre Oberschenkel gegraben, dass am nächsten Morgen blaue Flecke hätten zurückbleiben müssen. Aber nicht bei ihr, denn sie war nicht menschlich.
      Und diese nicht menschlichen Augen verschmälerten sich anhand der drei einfachen Worte, die nun seinen Mund verließen. Nicht, weil sie seine Worte im Geringsten anzweifelte. Auch nicht, weil sie fürchtete, dass er sie als Ausweg sprach. Es war eine Versicherung dessen, was sie kurz zuvor bereits gedachte und nun dafür sorgte, dass sie infrage stellte, was sie nun tun würde.
      Er war schon so weit gekommen, lag nun zitternd unter ihr und war noch nicht vollkommen zerbrochen. Es war ein Schritt in die richtige Richtung, ihn aus seinem Trauma zu holen und ihm die Zeit einzuräumen, die er brauchte, um sich von den Ketten der Vergangenheit zu befreien. Sie konnte ihn freigeben, ihm die Nähe gewähren, die gut für ihn war, und von da aus weiterarbeiten.
      Oder sie räumte ihm nicht so viel Zeit und Verständnis ein. Immerhin bekräftigte er ein weiteres Mal, dass er sie liebte und nach alldem, war er getan hatte, war dies ein unumstößlicher Punkt. Aber wäre dem auch noch so, wenn sie ihn im Prozess brach? Wenn sie sein Trauma so sehr nach oben zerrte, dass es alles andere überflügelte?
      Kassandra atmete einmal durch und löste dann die Hände von Zoras‘ Brust. Fast augenblicklich fiel die imminente Pein von ihm ab, doch der Schatten, die aufgestaute Welle, verblieb. Schweigsam musterte sie den Mann unter sich, der sich ihr ergeben und ausgeliefert hatte. Er war ihres. So wie sie die andere Seite der Medaille einnahm. Vorhin hatte sie gedanklich beschlossen, ihn mit Gewalt aus dem Nebel zu holen. Bewusst entschied sie sich gegen den Rückzug, gegen das Einräumen von Zeit. Denn noch mehr Zeit einräumen bei einem Problem, das eventuell nie eine Lösung fand, wollte sie nicht mehr.
      Sukzessiv begann Kassandra damit, Zoras‘ Finger an ihren Beinen zu lösen. Einen nach dem anderen klappte sie zurück, bis sie schließlich seine Hände in den ihren hielt. Das würde im wahrsten Sinne des Wortes ein Höllenritt werden, aber es war genau das, was einen sehr tiefliegenden Teil ihrer Natur gerade stimulierte. Ohne Ankündigung ließ sie sich nach vorn fallen, zog seine Hände mit sich und nagelte sie neben seinem Kopf fest, ihr Gesicht nur knapp über seinem.
      „Zeig mir, wie sehr du mich liebst und wie sehr du mir vertraust“, raunte sie ihm zu und erstickte alles, was ihm aus seinem Mund hätte entkommen können, mit einem intensiven Kuss. Sie wusste, dass es zu viel sein würde. Sie wusste, dass er aufbegehren würde. Sie tat es nicht aus Boshaftigkeit, sondern versuchte, seine krankhaften Gedanken mit neuen zu übermalen. Mit solchen, die nur von ihr geprägt waren. Und so legte sie sich sanft, nur hauchzart, auf seinen Körper ab und erwartete das Beben, das dem folgen würde.
    • Eine Bewegung fuhr durch Kassandra und dann, endlich, nahm sie die Hände von Zoras' Brust. Die Erleichterung der herabfallenen Last kam fast augenblicklich, wobei er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Einen gepressten Atemstoß konnte er sich aber doch nicht verkneifen und auch nicht das Zucken, das ihm flüchtig dabei durch den Oberkörper fuhr. Das Zittern, das war eine andere Sache und das würde wohl nicht so leicht wieder weggehen, nicht solange das Nachbeben von Kassandras Berührung noch in ihm wiederhallte.
      Er mochte das Gefühl nicht, aus dem einzigen Grund, dass selbst die Phönixin es hervorrufen konnte. Sein Körper machte keinen Unterschied, wessen Hand auf ihm lag, er war sogleich in höchster Alarmbereitschaft und das war ihm deutlich ein Dorn im Auge. Er wollte wieder zusammen mit der Göttin in einem Bett schlafen, er wollte sie an seine Brust drücken, er wollte sie spüren. Er wollte berührt werden. Wie lange war es schon her, dass ihn jemand auf eine liebevolle Weise berührt hatte? Ironischerweise musste das letzte Mal Kassandra gewesen sein, auf dem Schlachtfeld in Theriss. Jetzt sollte sie die erste sein, die das wieder tat, aber nicht, wenn er dabei solche Qualen durchmachen musste.
      Es herrschte Stille zwischen beiden, als Kassandra langsam damit begann, Zoras' verkrampfte Finger von ihrer Haut zu lösen. Sie stemmten sich unweigerlich gegen die Krafteinwirkung und Zoras musste sie dazu zwingen, sich zu entspannen, was ihm erstaunliche Mühe bereitete. Zumindest waren es immernoch nur seine Arme, die von unterschwelliger Angst bebten.
      Noch immer sprachen sie kein Wort, als Kassandra sich mit einem Mal nach vorne neigte und Zoras' Hände neben seinem Kopf auf die Matratze drückte. Was früher einmal eine reizende Geste gewesen wäre, war jetzt nicht einmal ein Schatten davon. Zoras war sich das Gefühl seiner festgehaltenen Hände deutlich bewusst und zuckte davon zusammen. Ein tiefes Unwohlsein setzte sich in seiner Magengrube fest.
      Die ersten Worte, die Kassandra dann zu ihm sprach, hätten herausfordernd sein können. Doch Zoras fasste sie lediglich als Warnung auf.
      Ich weiß nicht, ob -”, setzte er an, da verschluckte sie seine Worte mit einem Kuss, der intensiv genug war, einen Teil seiner düsteren Gedanken zu überschatten. Das funktionierte allerdings nur solange, bis die Phönixin sich federleicht auf seinen Körper sinken ließ.
      Rein rational betrachtet gab es nichts bedrohliches oder schlimmes an der Tatsache, dass er Kassandras Körper auf seinen Narben spüren konnte, das wusste selbst Zoras. Rein rational betrachtet war es nichts anderes, als die Hand auf ihrem Körper abzulegen, eine Geste, die er durchaus gerne tat.
      Aber Zoras war nicht zur Rationalität imstande, wenn jede einzelne Berührung mit seinem Körper brannte, als würde man ihm glühendes Eisen aufdrücken. Und selbst das war keine rationale Reaktion, es war lediglich ein Phantomschmerz, der aber bis in seinen Verstand reichte. Berührung bedeutete Schmerz. Man würde seine Hand auflegen und dann würde man schneiden, stechen, brennen, brechen, reißen und so vieles mehr und das war seine tiefe, unterbewusste Überzeugung.
      Selbst bei Kassandra. Die Erkenntnis darüber schmerzte ihm fast mehr, als körperliche Leiden es jemals zustande gebracht hätten.
      Er zuckte bei der ersten Berührung und dann, als es nur noch mehr davon wurde, als die Phönixin sich der Länge nach auf seinem Oberkörper ablegte, wand er sich regelrecht. Zuerst versuchte er noch, sich mit rücksichtsvoller Entschlossenheit aus ihren Händen zu befreien, aber als er merkte, dass sie kein bisschen nachgab, war es auch um Rücksicht geschehen. Er saß fest. Es machte keinen Unterschied, dass er weich lag, dass er die Wärme der Phönixin spüren konnte oder dass sie beide nackt waren, denn das waren alles rationale Erkenntnisse. Er saß fest und es würde unweigerlich schmerzen, irgendwo würde es anfangen und er konnte nicht einmal bestimmen, wo genau. Irgendwo. Überall.
      Sein Atem kam abgehackt und dann nur noch flach heraus. Seine Muskeln spielten sich auf, aber er konnte nicht aufhören zu zucken, was alles nur noch schlimmer machte. Sein Verstand überschlug sich, der Wahn lauerte unter der Oberfläche, nahe genug, dass er selbst davor zurückschreckte. Er wollte nicht. Kassandra sollte ihn nicht so sehen.
      Kassandra -
      Er schluckte, aber seine Kehle blieb trocken und pulsierend. Ein gehetzter Blick trat in seine Augen und er versuchte, sich rückwärts ins Bett zu drücken.
      Ich kann nicht -
      Er versuchte, die Hüfte gegen sie zu stemmen, aber weit kam er damit nicht. Sein ganzer Körper war mittlerweile einem Schüttelfrost erlegen, der ihm das Atmen erschwerte.
      Ich kann nicht. Ich kann nicht.
      Er stemmte sich gegen ihre Hände. Er stemmte sich gegen ihren Körper. Es gab keine Luft zum Atmen und ihm war brennend heiß. Vielleicht würde er verglüht werden? Ein Wimmern stahl sich bei dem Gedanken über seine Lippen.
      Lass mich - ich kann nicht -
    • Es dauerte nicht einmal eine volle Minute.
      Der Wandel, der sich die gesamte Zeit über schon angedeutet hatte und den Kassandra nun mit stählerner Hand aus den dunklen Tiefen ans Licht förderte, kam so heftig, dass es ihr eigenes Herz zusammendrückte. Unter ihrem eisernen Griff versuchte er sich mit Leibeskräften zu befreien, doch die übermenschliche starke Göttin gab keinen Millimeter nach. Am Ende wand er sich mit aller Macht unter ihr, wurde von der lächerlich zierlichen Frauengestalt regelrecht ans Bett gefesselt, und drehte den Kopf immer wieder von links nach rechts, sodass sie ihn nicht einmal mehr mit Küssen binden konnte. Also ließ sie es bleiben und hob den Kopf, um sich das Schauspiel unter sich genauer anzusehen.
      In diesem Augenblick waren Kassandras Gedanken zwiegespalten. Entweder, sie brachte ihn jetzt weiter durch diese Tortur wie geplant oder sie fragte das, was ihr immer wieder durch den Sinn geschossen kam, sie es aber nicht zur Sprache gebracht hatte. Vielleicht lag hier auch das Kernproblem vergraben, das es zu lösen galt, damit er seine Traumata überwinden konnte. Schließlich wurde er eingekerkert und gefoltert. Menschen folterten aus Hass oder weil sie Informationen wollten. Aufgrund seines Standes und seiner Aktion konnte nur letztes der Fall gewesen sein und wenn er dermaßen viel durchlebt hatte, musste er das Schweigen vorgezogen haben. Sie kannte ihn nicht gut genug, um sicher zu sagen, welche Information ihm teuer genug war, so viel Leid dafür zu ertragen. Aber von Vermutungen war selbst die Phönixin nicht frei.
      Dann sprach er ihren Namen aus und dieses Mal lag darin nicht die unendliche Zuneigung zu ihr. Das bodenlose Vertrauen oder gar das Feuer, das sie beide manchmal teilten. Jetzt war ihr Name keine Huldigung mehr, sondern vielmehr ein Ausruf um Erlösung zu erbitten. Sie sah, wie sich der Ausdruck in seinen Augen verändert, primitiver wurde, auf Überlebensinstinkt umschaltete. Und alles nur, weil er ihre Haut an seiner spürte. Dann begann er, immer wieder dieselben Sätze zu wiederholen und da hatte Kassandra die Grenze erreicht, nach der sie getastet hatte. Unter ihr stemmte er sich nun mit allem, was er hatte, gegen sie und machte keinen Unterschied mehr, dass sie seine geliebte Göttin war. Er hatte den Kampf gegen seinen Instinkt verloren und sein Wille war nicht ausreichend gewesen.
      Unverwandt gab Kassandra Zoras‘ Hände frei. Sofort krallte er die Finger in den Stoff, nachdem er unlängst realisiert hatte, dass er die Frau auf seinem Leib nicht weggeschoben bekam. Also versuchte er mit aller Macht, sich wegzuziehen und als sie schlussendlich hörte, wie der Stoff zu reißen begann, riss auch ihr eigener Geduldsfaden. Ihre Wange zuckte, die Lippen wurden hart, dann drückte sie ihre Schenkel fester an seine Seite und schob ihre Hände unter seinen Rücken auf seine Schulterblätter. Anschließend warf sie sich auf die Seite, hielt sich aber eng an Zoras wie zuvor. Sie würde ihn nicht gehen lassen, und wenn er auf sie einschlug und ihr den Rücken zerkratzte.
      „Dann kannst du eben nicht. Das ist mir egal. Wenn es sein muss, brenn ich dir alle schlechten Erlebnisse aus, bis du Nähe nur noch mit mir verknüpfst, wenn es das ist, was dir hilft“, sagte sie leise an seiner Brust, ihre Stirn gegen die verteufelte Narbe gelehnt, die sie ihm nicht hatte nehmen dürfen. „Ich habe dir doch gesagt, ich bin grausam.“
      Und das bedeutete, dass sie ihn nicht einfach gehen ließ. Nicht ein einziges Mal hatte Zoras diese Seite wahrlich zum Ausbruch vor ihr gebracht und jetzt in diesem Moment sah sie den passenden Augenblick dafür. Sollte er sich entladen wie ein Blitz, sie würde es spielendleicht aushalten, denn Menschen waren für Götter wie sie keine Bedrohung.
      Zoras wäre für sie nie eine Bedrohung.
    • Kaum lösten sich Kassandras Hände von Zoras' Handgelenken, spürte er einen ungeahnten Energieschub durch seinen Körper strömen. Es glich einer wahrhaft göttlichen Erlösung, diese unverhoffte Freiheit, die ihm plötzlich gewährt wurde, zum ersten Mal überhaupt. Die Erleichterung, die ihn ergriff, ließ ihn nach Luft schnappen. Für einen Moment war alles besser, für einen Moment glaubte er, sich etwas fassen zu können. Er musste nur noch - Kassandra war noch - nur ein bisschen dann war es -
      Er stemmte die Hüften gegen die Phönixin, die sich kein Stück bewegen ließ, und versuchte sie jetzt auch unmittelbar an den Schultern wegzudrücken. So schnell wie die Panik einem etwas kühleren Gefühl gewichen war, kam sie auch wieder zurück, als Kassandra sich trotzdem nicht bewegen ließ. Einer gewöhnlichen Frau hätte er sicherlich mit seinem Griff alleine schon Blutergüsse beschert, wenn nicht gar ihre Gelenke verletzt, aber die Göttin war anders. Sie war seine eigene, lebendige Fessel und sie spielte ein gar grausames Spiel damit, ihm den Geschmack von Freiheit zu geben, nur um sie ihm doch zu verwehren.
      "Kassandra -"
      Seine Stimme hörte sich rau an. Der Blick der dunkelroten Augen, die ihn sonst so faszinierten, bohrte sich unangenehm scharf in seinen Kopf ein.
      "... Bitte."
      Sie wich nicht. Zu der bodenlosen Panik, die ihn fest im Griff hatte, gesellte sich jetzt auch noch tiefste Beschämung. Der Kerkermeister war der einzige Mensch gewesen, der ihn je soweit gebracht hatte zu weinen und zu flehen und das sollte auch so bleiben. Er wollte sich nicht noch einmal die Blöße geben, nie wieder. Nicht vor Kassandra.
      Aber im Augenblick hätte er alles getan, um diese Sache enden zu lassen. So gab er den direkten Widerstand gegen die Göttin auf und versuchte stattdessen die Flucht. Windend und zerrend versuchte er unter ihr herauszuschlüpfen, egal zu welchem Preis. Ihre Beine hielten ihn weiter an Ort und Stelle und diesmal würde es wohl er sein, der sich von dem eigenen Druck gegen ihren Käfig Blutergüsse zuzog, aber das war ihm völlig gleichgültig. Er wollte nur noch weg, aber er wollte nicht betteln dafür. Alles, nur das nicht.
      Aber auch das gelang ihm nicht. Mit unerschöpflicher Energie wand er sich gegen sie, aber als ihre Gesichtszüge zuckten und sie ihre Lippen zusammenpresste, was ihn unweigerlich daran denken ließ, dass sie unzufrieden mit ihm war und ihm deswegen wieder die Hände aufs Bett drücken würde, wurde ihm fast schwindelig vor Angst. Schwarze Schatten tanzten in seinen Augenwinkeln von zu wenig Luft, die durch seine Lunge strömte.
      Sie schob ihre Hand unter seinen Rücken. Er zuckte und versuchte sie abzuwehren.
      "Nein - warte... warte -"
      Sein Gesuch blieb unerhört und mit Schwung warf Kassandra sie beide auf die Seite, ohne den Kontakt jemals zu unterbrechen.
      Zoras hörte, was sie sagte. Im Augenblick waren es die schlimmsten Worte, die er sich hätte vorstellen können.
      "Ich kann das nicht - Kassandra, ich - bitte, bitte."
      Sein Körper stand in Flammen. Er wollte hier raus und gleichzeitig wollte er, dass es endlich vorbei war, dass sie endlich tat, was getan werden musste, und er irgendwann in die Ecke seiner Zelle entlassen werden würde.
      Aber nichts kam und die Vorahnung darauf, dass es gleich geschehen musste, machte ihn schier wahnsinnig. Er drückte wieder gegen sie an, gegen ihre Schultern. Er versuchte, seine Beine anständig zu befreien und sich damit gegen sie zu stemmen. An einem Punkt war er sich undeutlich bewusst, dass er ihr das Knie irgendwo hin rammte und dass seine Finger zu stark über ihre Haut kratzten. Es war immernoch Kassandra bei ihm - aber was bedeutete das, wenn die Behandlung dieselbe war? Es bedeutete nur, dass er sich noch mehr anstrengen musste, weil sie eine Göttin war.
      Er kämpfte gegen sie. Er beschwörte sie. Irgendwann war seine Angst so weit fortgeschritten, so allgegenwärtig, dass er kaum etwas anderes als Bitte und Kassandra herausbrachte, während sein Körper gegen sie arbeitete. Er weinte stumm. Manchmal entfloh ihm ein Geräusch, das sich wie ein gepresstes Stöhnen anhörte.
      Und dann, schneller als er in Panik verfallen war, setzte die Erschöpfung ein. Es mochten bisher Stunden vergangen sein, die er schon damit zubrachte sinnlos gegen die Göttin anzukämpfen, und schließlich erreichte sein Körper eine Grenze. Sein Widerstand flaute ab und als Kassandra sich noch immer nicht rührte, nicht einmal die Hände an seinem Körper bewegte, da wagte er eine Sekunde, nur eine Sekunde, in der er Atem schöpfte. Sein Körper wurde so etwas wie ruhig, auch wenn das Zittern jetzt allgegenwärtig war, von Ermüdung alleine hervorgerufen. Einen Arm legte er auf der Matratze ab, den anderen, weil er nicht anders konnte, auf Kassandras Hüfte.

      Nichts passierte. Der Schmerz tauchte nicht plötzlich auf und niemand bestrafte ihn dafür, dass er ermüdet war. Kassandra war zu einer Statue gefroren, atmete vermutlich noch nichtmal, eine Puppe unter seinem Arm, die eine konstante Wärme ausstrahlte. Aus der einen Sekunde Pause wurden zwei und vielleicht auch drei, als Zoras Atem schöpfte. Mit einem Mal fühlte er sich nur noch schwer und neblig im Kopf. Sein Kampfgeist verpuffte, zurück blieb nur noch Erschöpfung.
      Einige weitere Sekunden lagen sie so beieinander, dann setzte er sich den abstrusen Gedanken in den Kopf, sie jetzt endlich loswerden zu können, weil er es jetzt nicht mit roher Gewalt, sondern mit Bestimmtheit versuchte, und hob den Arm an, um sie an ihrer Hüfte von sich zu drücken. Sein Arm alleine war allerdings tonnenschwer und als er ihn anhob, strömte eiskalte Luft dorthin, wo seine Haut gerade noch mit Kassandras in Berührung gekommen war. Er vermisste sogleich die Wärme, die von ihr ausging, mehr als er das Bedürfnis verspürte, sich zu befreien. Sein Körper brannte noch immer, seine Narben stachen ihn an tausend Stellen, aber keine neue Stelle kam hinzu. Er wurde festgehalten, aber niemand bemächtigte sich daran.
      Da legte er doch den Arm ganz vorsichtig wieder ab. Er versuchte, das Gefühl seiner Narben zu empfangen, die mit Kassandra in Berührung kamen. Es gefiel ihm nicht, aber er schien sich daran zu gewöhnen. Und als sie sich nach vielen Sekunden immer noch nicht gerührt hatte, da schob er den Arm vorsichtig an ihren Rücken und tat, wozu er vorhin nicht in der Lage gewesen war: Er schloss die Arme um sie. Er presste sie an sich, jetzt ganz behutsam, als bestünde sie mit einem Mal aus Glas.
      Die Tränen kamen wieder, liefen lautlos seine Wangen hinab. Er krümmte sich ein wenig um die kleinere Phönixin, bis er den Mund auf ihr Haar drücken konnte. Bergluft umhüllte ihn, weite Ebenen aus Gras und unberührter Landschaft. Seine Glieder bebten, als weitere Tränen herabrollten.
      Irgendwann, nach einer halben Ewigkeit, wagte er zu sprechen. Seine Stimme war heiser und kaum mehr als ein Flüstern.
      "Ich habe zu dir gebetet, dass du zurückkommen würdest. Dass du mich befreien würdest..."
    • Hatte Kassandra ihren Zoras jemals so bitten gehört? Sie wusste es jedenfalls nicht mehr. Für sie war dieses Bitten kein Zeichen der Schwäche, nichts weswegen er sich schämen musste... Aber warum eigentlich? Es gab in seinen Augen mehr als genug Gründe, sich durchaus dafür zu schämen, nur erachtete sie selbst diese Gründe nicht mit der gleichen Gewichtung. Sie sah nicht die Scham, die ihn begleitete, sie sah auch nicht die Bilder, die vor seinem Geiste zucken mussten. Sie befand sich im Hier und Jetzt, und selbst wenn nicht, dann hätte seine Erfahrung bei ihr nicht die gleiche Wirkung gehabt. Einfach nur aus dem Grunde, dass sie eine Göttin war und er nicht.
      Wortlos blieb sie dicht an seinen Leib geklammert, während er seine Finger in ihre Schultern schlug und versuchte, sie von sich zu schälen. Seine starken Beine suchten nach Halt, um sie von sich zu werfen, doch die Position reichte dafür nicht aus. Stattdessen wand er sich weiter, erwischte mit einem recht ordentlichen Knieschlag ihren Steiß, doch sie zuckte nicht einmal. Fahrige, verzweifelte Fingernägel schlugen sich in ihren Rücken und versuchten, sie notfalls Schicht für Schicht von ihm abzukratzen. Auch hiervon zeigte Kassandra sich unbeeindruckt, doch was Zoras nicht sah, waren die tiefen roten Striemen, die seine Züge hinterließen. Kassandra machte sich nicht unantastbar für ihn, nicht dort, sondern würde ihm später zeigen, was sein Wahn anrichten konnte. Zeugen dessen, was er durchlebt hatte.
      Alles, was Kassandra tat, war zu Stein zu erstarren. Denn die Zeit war ihr Mittel.
      Langsam bildete sich für sie jedoch ein neues Bild. Mit jedem Wort, mit jedem Geräusch, vermutlich sogar mit jeder ungesehenen Träne, verfestigte sich eine Vorstellung darauf, wie er in diesen Kerkern ausgesehen haben musste. Was er so sehr vor ihr hatte verheimlichen wollen, das ihm so fremd war. Es schürte den Zorn auf denjenigen, der das veranlassen konnte, er schürte die Abneigung gegenüber eines gewissen Kindskönig und erst recht gegenüber dieses politischen Debakels. Umso länger hielt sie an Zoras, auch als sein Widerstand starb und Erschöpfung seine Glieder schwer machte. Dann sandte sie ganz sanfte Wärmeimpulse aus ihrem Inneren aus, so als käme er zurück in eine wohlige, sichere Stube. Dass er dabei einen Arm auf ihrer Hüfte ablegte, ignorierte sie voraussichtlich.

      Dann kehrte eine Ruhe ein, die trügerischer nicht hätte sein können. Kassandra wusste, dass Zoras nun lediglich die nächste Stufe erreichte und sie noch nicht von ihren Bemühungen ablassen konnte. Also harrte sie weiter aus, auch als Bewegung in den Mann zurückkehrte. Sogar bis zu dem Augenblick, in dem er beide seiner Arme um sie legte und sie das erste Mal ganz ohne Trennschicht dazwischen wirklich an sich drückte. Da begann auch sie sich zu bewegen, doch er krümmte sich und legte ihr seine Lippen auf das Haupt, weshalb sie an Ort und Stelle verblieb. Noch eine ganze Weile blieb sie so, ließ ihn zittern, ließ ihn.... weinen?
      Bis sie schließlich ein Flüstern hörte, das niemanden in dieser absoluten stille hätte entgehen können.
      „Und ich habe dir gesagt, dass ich dich, wenn nötig, mit Gewalt herausholen würde. Dass ich grausam sei“, erwiderte Kassandra, die sich jetzt das erste Mal erlaubte, die wahnsinnige Anspannung abzulegen und eine Weichheit in ihren Körper einkehren zu lassen, die er nur aus ganz alter Zeit kannte. Sie löste den Klammergriff mit ihren Beinen um ihn und streckte sie lang, auch ihre arme holte sie zu sich zurück, schreckte aber davor zurück, ihn noch offensiver anzufassen. Vorerst. Aber sie musste soviel Abstand zwischen sie bringen, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Das Gesicht, das nass vor Tränen war, dessen Augen rot geschwollen waren und dessen Falten vielleicht sogar noch etwas tiefer geworden waren. All das förderte Kassandras sanftes Lächeln ans Tageslicht, als sie doch vorsichtig mit ihren Fingerspitzen seine feuchte Wange berührte.
      „Das war noch nicht alles, aber der erste Schritt. Ich dachte mir, dass dieser Weg vielleicht einen Schritt in die richtige Richtung lostreten kann. Aber dafür musst du erst einmal wieder an das dunkle Tal, aus dem du gekommen bist. Und da möchte freilich niemand wieder hin zurück. Nun habe ich einen besseren Eindruck davon, was sie dir im Kerker angetan haben... Es muss eine sehr wertgeschätzte Information gewesen sein, richtig?“
    • Zoras rührte sich nicht bis auf das ganzkörperliche Beben, das nicht weichen wollte. Seine Arme um Kassandra fühlten sich irgendwie falsch an, so als hätten sie verlernt, wie sie die Phönixin richtig umschließen sollten, aber loslassen konnte er sie auch nicht. Jetzt, als er sie zum ersten Mal richtig an sich drückte, sodass es auch ohne all die stechenden Narben unangenehm gewesen wäre, konnte er sich nicht mehr von ihr trennen. Ohne sie würde es eiskalt sein und er glaubte nicht, dass er jemals eine solche Wärme von sich aus erzeugen konnte.
      Sie war grausam. Sie musste gesehen haben, was die Berührung mit ihm anstellte und musste gewusst haben, wie tief seine Narben wirklich reichten. War sie nicht selbst in vergleichbaren Situationen gewesen? Hatte sie sich in all den tausenden von Jahren nicht ebenso foltern lassen, auf die eine oder andere Weise? Aber trotzdem ließ sie ihn die gleiche Angst noch einmal durchleben, um ihn herauszuholen. So wie Zoras das in seinem erschöpften Zustand feststellen konnte, saß er, wenn überhaupt, jetzt noch viel tiefer drin.

      Unter seinen Armen verlor die Phönixin an Härte und schien sich jetzt eher der unbeholfenen Umarmung anzupassen. Ihre so weiche, bekannte Haut fühlte sich unter seinen vernarbten Armen fremd an, sodass er sie, in dem Versuch, sich an das alte Gefühl zu erinnern, jetzt fester an sich presste. Es war ausnahmsweise nun die Phönixin, die den Abstand suchte, um ihm ins Gesicht zu blicken.
      Für einen Moment noch war ihre Miene so ausdruckslos und unlesbar wie sonst und das war gut. Es gab ihm einen Halt in dem Wirrwarr aus Gefühlen, das ihn heimzusuchen drohte und bloß nicht so recht gedeihen konnte, weil er sich sowohl körperlich, als auch mental völlig verausgabt hatte. Aber dann wurden auch ihre Züge weich und als ein gar liebevolles, sanftes Lächeln ihre Lippen bewegte, war auch dieser kurze Halt verschwunden. Er spürte die verräterische Hitze in seinen Augen, bevor sie seine Wangen hinunter kroch. Kassandra legte eine Fingerspitze auf seine Wange, als wolle sie die Träne aufhalten.
      Nur ein einziger Mensch hatte ihn je so weinen gesehen und es hätte bei diesem einen, einzigen Menschen bleiben sollen.
      Ihre Worte ergaben einen Sinn für ihn, aber er sperrte sich dagegen. Konnte sie ihm nicht den Frieden lassen, nicht einmal jetzt, als sie es endlich soweit gebracht hatten, wieder beieinander zu liegen? Er wollte was geschehen war vergraben und nie wieder damit in Berührung kommen. Ganz sicher wollte er die Information, die sie von ihm verlangt hatten, mit ins Grab nehmen. Kassandra würde nichts davon erfahren.
      "Vielleicht", krächzte er nur. Diesem Blick konnte er nicht standhalten, diesem warmen Rot ihrer Augen, das sie nur ihm gegenüber zum Vorschein brachte. Er hob selbst den Kopf und küsste ihre Stirn, bevor er ihren Kopf zurück an seine Brust lenkte und sie wieder versuchte, in seinen Armen zu beherbergen. Es war alles ungewohnt und fahrig und keineswegs entspannend. Wenn er die Augen schloss, hatte er Angst, beim nächsten öffnen zu entdecken, dass er immernoch im Kerker war und nur einer seiner Halluzinationen erlegen war. Wenn dem so wäre, dann wollte er diese Halluzination wenigstens soweit auskosten, wie es ihm möglich war, also hielt er die Augen geöffnet. Sein Blick fiel auf die verstreuten Kleidungsstücke um sie herum und er nahm sich einen hellen, Türkis gefärbten Stoff, einfach nur, um ihn in der Hand zu halten. Das war unsinnig, aber Rationalität war bisher noch nicht zu ihm zurückgekehrt. Vielleicht hätte er sie beide zudecken müssen, aber sie waren eigentlich auch nicht hier, um zu schlafen - noch eine Sache, die ihm zusetzte. Und wenn es nun immer so wäre? Wenn das, was sie in Espiahafen getan hatten, das beste war, wozu sie imstande waren?
      Er zog die Arme wieder mehr um sie und von dem Gefühl zitterten ihm die Muskeln.
      "Es tut mir leid. Ich kann nicht mehr der sein, der ich mal war."
    • Menschen, die Tränen vergossen, waren ein Anblick sondergleichen. Das stellte Kassandra jedes Mal aufs Neue fest, wenn sie bei den Sterblichen nicht nur ein paar Tränchen, sondern die richtig tiefgreifenden Ausbrüche miterlebte. Zigtausend Bilder flackerten vor ihrem geistigen Auge vorbei, wie eine ultra rapide Diashow, und zeigte die Ausdrücke von Trauer bis hin zu Hass und Erleichterung. Menschen weinten in so vielen Zusammenhängen aus tiefstem Herzen und ein jeder dieser Gründe war so absolut richtig gewesen, dass niemand jemals etwas dagegen hätte sagen können. Es war der Ausbruch einer Emotion in ihrer unverfälschten Echtheit und ein jedes Mal empfand Kassandra diesen Anblick nicht anders als wunderschön. Weil Menschen ein Spektrum an Gefühlen besaßen, das Göttern schlichtweg fehlte. Irgendwann mischten sich in diese Dias aber auch Bilder von ihrer eigenen, verschwommenen Sicht. Auch sie hatte nicht nur wegen ihrer heilenden Träne eben jene vergossen, sondern wegen ähnlicher Beweggründe. Nur wenn sie jetzt in diesem Augenblick darüber nachdachte, konnte sie es nicht mehr gänzlich nachvollziehen. Wieso sie generell auch nur eine Träne vergossen hatte.
      Oder warum dieser Mann unter ihr anhand ihres warmen Lächelns weinte.
      Schon die gesamte Zeit über erwuchs in der Phönixin ein seltsames Gefühl. Es ließ sich nicht greifen, nicht benennen, doch es fühlte sich dünnwandig und zerbrechlich an. Etwas, das von außen wunderschön erschien, aber einmal zerbrochen nie mehr zusammengefügt werden könnte. Während der vergangenen Minuten hatte dieses Etwas in ihr Risse bekommen, feine, dünne Haarrisse, die man nur im rechten Licht sehen konnte. Wie ein feines Spinnennetz hatte es sich ausgebreitet, ohne bemerkt zu werden. Und als Zoras auf ihre Frage hin auswich und nur mit einem vagen „Vielleicht“ antwortete, brach die erste Scherbe aus dem Etwas hinaus und zerschellte in tausend Teile.
      Als er ihre Stirn küsste, war das Lächeln bereits zu Eis gefroren. Als er ihren Kopf wieder an seine Brust holte, war das Feuer in ihren Augen kalt geworden. Als er seine Arme enger um sie zog und dabei erneut zu zittern begann, war jegliche Wärme aus Kassandras Körper gewichen. Unbeweglich lag sie in seinen Armen und fühlte nichts mehr von dem, was diese Arme einst für sie bereitgehalten hatten. Ihr Gesicht verlor jegliche Ausdruckslosigkeit, während sie von Zoras nur eine einzige Botschaft über seine Aura übermittelt bekam: Angst. Keine Angst vor, nein, dessen war Zoras gar nicht imstande. Aber nahezu alles andere um ihn herum schien dieses Gefühl in ihm auslösen. Die Wurzeln des Übels gingen so tief, dass sie sein Innerstes erreicht hatten und sie soeben mit aller Macht am sichtbaren Unkraut gerissen hatte. Dass sie dabei ganze Teile von ihm mit herausriss, war ihr so gar nicht bewusst gewesen. Sie hatte ihm helfen wollen, auf ihre Weise, nachdem Zeit scheinbar nicht das Mittel der Wahl gewesen war. Doch alles, was diese Tat gerade bewerkstelligt hatte, war eine einzige Frage in ihrem Verstand aufzuwerfen:
      Was unterscheidet Zoras dann von anderen Menschen?
      Liebe bekam Kassandra auch von ihren Huldigern, von den Anhängern ihres einstigen Kultes. Sie alle warfen sich ihr zu Füßen, hätten sich selbst nur für sie ausbluten lassen und schworen ihre Leben an sie. Sie vergötterten sie als die Sonnengöttin. Sie hatte Menschen getroffen, denen sie soweit vertraut hatte, dass sie ihnen Geschichten erzählte, die in keiner Aufzeichnung standen. Aber all das traf auch auf Zoras zu. Er hatte sein Leben nach ihr ausgerichtet, er war in der Brandschneise, die sie hinterlassen hatte, gefallen und aus der Asche wieder auferstanden. Er hatte seine verbrannte Haut abgelegt und war als neuer Mann ihr gefolgt, um sie am Ende zu finden und freizusetzen. Aber jetzt, wo sie an seiner Brust lag und die Risse bemerkt hatte, fiel ihr auf, dass Zoras einfach nur eine einzige Sache gebraucht hatte, um am Leben zu bleiben. Genau das hatte er ihr eben auch gesagt und sie hatte es metaphorisch aufgefasst. Er hatte zu ihr gebetet, dass sie ihn erretten käme. Gekommen war sie jedoch nie. Nur deshalb war seine Seele nicht vollends gebrochen, weil sie sein Grund war. Nicht, weil er sie liebte. Nicht, weil er ohne sie nicht sein konnte.
      Es war einfach nur, weil sein Überlebenswille sich einen Punkt hatte aussuchen müssen, und sie war lediglich am naheliegendsten gewesen.
      Eine weitere Scherbe löste sich aus dem Verbund und zerschellte. Zoras hatte seine Liebe falsch interpretiert. Liebe mit dem verwechselt, was ihm am Leben hielt. Bei diesem Versuch, ihn aus seinem Trauma zu befreien, war er vor ihren Augen so tief gefallen, dass sie endlich begriffen hatte, dass sie nicht genug. Dass eine Göttin nicht genug war, um einen Menschen aus einem Trauma zu befreien. Dass das, was er als Liebe beschrieb, nicht ausreichte, um Kassandra zu zeigen, was ihn von all den anderen Menschen unterschied. Er war neben Shrukan der Einzige, den sie je freien Stückes nicht nur ihr Herz, sondern auch ihren Körper gegeben hatte. Und diesen Punkt schlug er nun endgültig aus.
      „Es tut mir leid. Ich kann nicht mehr der sein, der ich mal war.“
      Stille. Einzig ihre Lider schlossen sich in stiller Resignation, als sie diese Worte mehrfach Revue passieren ließ. Doch der Inhalt, die Bedeutung, änderte sich nicht. Sie hatte nie um den Zoras vor fünf Jahren gebeten, nur lag hinter diesen Worten noch so viel mehr als das.
      „Nimm die Arme fort, Zoras.“ Die Unumstößlichkeit in ihrer Stimme glich einem Hammerschlag. Fort war die Wärme, mit der sie ihn soeben noch bedachte hatte, fort waren die Samthandschuhe, die sie manchmal in seiner Gegenwart trug. Ihre Kiefer mahlten, als er seine Arme ruckartiger als gedacht von ihr nahm und sie sich ohne einen weiteren Blick zu ihm aufsetzte. „Ich weiß.“
      Die bunten Kleider, die von ihr stammten, lösten sich im Nichts auf und materialisierten sich an ihrem Körper neu. Wie durch Zauberhand wickelten sich ihre schwarzen Strähnen eigenständig auf und fassten sich zu einer strengen Steckfrisur an ihrem Kopf zusammen. Währenddessen rückte sie von Zoras ab und als sie die Füße auf den Boden stellte, trug sie bereits leichtes Schuhwerk. Noch immer hatte sie ihm nur ihren Rücken zugekehrt, als sie ihre Sachen glattstrich und sich anschließend aufrichtete.
      „Ich wollte dich nicht so gnadenlos da durchtreiben. Verzeih.“
      Lüge.
      „Ich nahm an, dass jetzt ein Moment der Ruhe sei und wir beide entsprechend gerüstet seien.“
      Lüge.
      „Es war mit klar, dass du nicht mehr der Mann von damals sein kannst. Aber wenn nicht einmal eine Gottheit gegen dein Trauma bestehen kann und du mir nicht alles geben kannst, so wie ich dir, dann frage ich mich, was dich von all den anderen Menschen unterscheidet, die mich einst ‚liebten'.“
      Wahrheit.
      „Ich bin später wieder da. Sei gewiss, dass ich ein Auge auf dich habe und darauf achte, dass dir währenddessen nichts widerfährt, Eviad“, schloss Kassandra, wobei ihre Stimme nicht ganz so teilnahmslos klang, wie erhofft. Ohne eine Antwort abzuwarten verschwand die Phönixin innerhalb Zoras‘ nächsten Wimpernschlages im Nichts, so als hätte sie es in diesem Raum in seinen Armen gar nicht gegeben, und die Kälte eroberte sich den Platz zurück, wo sie gerade noch gewesen war.
    • Kassandra gab keine Antwort darauf und vielleicht war das auch besser so. Vielleicht waren die Worte, die Zoras ausgesprochen hatte, nicht dazu gedacht, aufgegriffen zu werden. Vielleicht sollten sie einfach in der Luft vergehen.
      Einige Sekunden später verlangte sie allerdings seine Arme zu entfernen und bei der Kälte, die plötzlich in ihrer Stimme lag, wurde es Zoras schlagartig eng in der Brust. Waren seine Worte doch nicht so leicht gewesen, wie er gedacht hatte? Ihre harte Stimme ließ fast darauf schließen.
      Er nahm seine Arme fort, aber sehr unwillig. Die Angst, dass er sie nicht wieder umschlingen könnte, wenn er sich einmal wieder zu weit von ihr entfernt hätte, setzte sich tief in seinen Knochen fest. Läge dort nicht dieses gewisse Etwas in ihrer Stimme, hätte er sich wahrscheinlich ganz gegen die Forderung geweigert.
      Sie setzte sich auf, ohne sich zu ihm umzudrehen. Zoras konnte ihre Miene nicht einmal erahnen, als die Kleidungsstücke vom Bett verschwanden und sich um ihren Körper legten, auch jenes, das er selbst noch in der Hand gehalten hatte. Im einen Moment waren sie zusammen im Bett gelegen, im nächsten stand sie schon davor, vollständig angezogen und ohne ein Anzeichen darauf, was soeben noch geschehen war. Sie sah ihn nicht an, kein einziges Mal.
      Ein Gefühl von tiefer Verunsicherung setzte sich in ihm fest. Mit seiner fast leichtsinnigen Aussage musste er einen Punkt bei ihr getroffen haben, der tiefer saß, als er angenommen hatte. Aber was sollte das sein? Sie musste doch wissen, dass er nicht mehr der Herzog von Luor war, oder? Machte das überhaupt einen Unterschied?
      Jetzt setzte er sich auch auf, denn zum vermutlich allerersten Mal in Kassandras Anwesenheit hatte er das Bedürfnis, seinen Körper bedecken zu wollen. Ohne ihre Wärme, aber hauptsächlich ohne ihren Körper, war ihm kalt und das war eine ganz unangenehme Kälte. Er fürchtete, dass sie sich auch dann nicht abschirmen ließ, wenn er sich selbst ankleiden würde.
      Mit möglichst steifem, nichtssagendem Gesicht lauschte er ihren Worten und versuchte das Gefühl zu verdrängen, das sich immer mehr in ihm breitmachte. Sie war zu weit gegangen, das war ihnen beiden wohl bewusst. Aber dann fiel eine Frage, mit der er selbst nicht gerechnet hatte. Was unterschied ihn von anderen, die Kassandra liebten? Die Frage erschütterte ihn zutiefst.
      Was hatte er jemals getan, um die Phönixin an sich zweifeln zu lassen? Wann hatte er ihr je nicht seine Liebe gezeigt, sie nicht auf Händen zu tragen versuchte, sie nicht verehrt und vergöttert, sowohl körperlich, als auch geistig? Wann hätte er ihr jemals nicht alles gegeben, was ihm möglich war? Lag es nur daran, dass er vor Berührungen scheute? Dass sie nicht mehr so leicht intim werden konnten? Daran? Ließ sie alles andere etwa außer acht, all die Jahre seiner unumstößlichen Treue, seiner Befreiung und dem Einhalten seines Versprechens, dass sie ihre Essenz wiederbekommen würde? Alles nur, weil... weil er im Kerker gelandet war? Weil er der einzige war, der ihren Aufenthaltsort hätte wissen können?
      Aber ganz anscheinend musste es so sein. Irgendetwas in der Phönixin war umgekippt und hinterließ nun eine Spur, in der Zoras einging. Sie verabschiedete sich von ihm mit einem Titel, der noch niemals so hässlich geklungen hatte, wie aus ihrem Mund zu diesem Augenblick.
      "Kassandra, was meinst du mit -"
      Aber da war sie schon verschwunden. Sie war nicht zur Tür gegangen, hatte sie geöffnet und war hinaus in den Flur getreten, sie war einfach weg. Hatte sich mit ihrer göttlichen Macht aus dem Zimmer befördert, ohne Zoras' Präsenz eine weitere Sekunde lang auszuhalten.
      Unbewegt starrte er auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte. Irgendwo in seinem Bewusstsein schaltete sich etwas um und er erriet ganz instinktiv, dass sie irgendwo oberhalb des Palastes sein musste. In der Luft? Nein, das war falsch. Sie war einfach irgendwo... oben.
      In seinem Inneren schwelten ihre Worte, als hätten sie ein Feuer hinterlassen, das ihn kühlte anstatt wärmte. Was unterschied ihn von allen anderen, die Kassandra liebten? Je länger er darüber nachdachte, desto mehr steigerte sich dieses Schwelen und wuchs zu einem langsamen, siechenden Zorn auf. Was ihn unterschied? Was sollte ihn schon unterscheiden? Kassandra hatte in ihrem langen Leben mehr Menschen kennengelernt, als Zoras sich jemals vorstellen könnte - natürlich bildete er sich nicht ein, dass er der einzige überhaupt war, der die Phönixin jemals angebetet hatte oder der sogar soweit gegangen wäre, ein Land wegen ihr zu stürmen. Natürlich nicht. Aber was sollte ihr diese Antwort dann bringen? Was wollte sie ihm damit sagen? Dass er ihrer Liebe nicht würdig wäre? Wegen was?
      Ein Zittern durchfuhr ihn und er stand ruckartig auf. Kassandra hatte es wohl nicht für nötig gehalten, in seiner Nähe zu bleiben, ihm aber doch versichert, dass sie auf ihn aufpassen würde. Wie man auf ein Kind aufpassen würde, das sich im Dunkeln fürchtete. Zoras war zwar kein Kind, aber er war labil, das wussten sie beide. War es also das? War er ihr zu... zu gebrochen?
      Er zog sich an, weil ihm kühl war und die abgebrochene Umarmung einen unangenehmen Nachhall auf seinen Narben hinterlassen hatte. In Kassandras Gegenwart hatte er sich die Schwäche eines Zusammenbruchs erlaubt, ohne mit dem Gedanken an seine Sicherheit streiten zu müssen, aber jetzt war dieses Gefühl verflogen. Eine Härte zog sich in seinem Inneren empor, welche die Narben wieder dort verschloss, wo sie hergekommen waren. Was unterschied ihn von allen Menschen, die Kassandra liebten? Warum stellte sie eine solche Frage? Ärger wallte in Schüben in ihm auf und ein Zittern folgte, das ihn mindestens genauso, wenn nicht gar mehr ärgerte. Wenn er nur gestorben wäre im Kerker, auf irgendeine Weise. Wenn nur der Plan aufgegangen wäre.
      Aber dann wäre Kassandra auch immernoch in Asvoß, nicht? Vielleicht wollte sie ja von ihm seine Loyalität haben, aber nicht mehr als das. Ihr dienlich sein, um ihr zurück zu alter Göttlichkeit verhelfen, ohne ihr zu nahe zu kommen. Was unterschied ihn denn immerhin von anderen?
      Je länger er darüber nachdachte, desto mehr entglitt ihm ihre Frage. Nach einer Weile, in der sie schon nicht zurückgekehrt war, rief er die Bediensteten, weil ihm sonst nichts besseres einfiel. Nachdem er den Butler instruiert hatte, kamen zwei junge Männer mit einem Bottich Wasser herein und begannen, die große Wanne im Badezimmer zu füllen. Das Wasser war nicht nur warm, es war geradezu heiß und als Zoras einige Minuten später seine Kleidung wieder ablegte und vorsichtig in die Wanne stieg, fühlte es sich anfangs so an, als würde er sich daran verbrennen. Das Feuer von außen kämpfte aber gegen das Feuer von innen an und als er es irgendwann ganz hinein geschafft hatte und sich in dem großzügigen Becken ausdehnte, fühlte er sich nur noch abgestumpft. Das Wasser vermochte zwar nicht die Wärme ersetzen, die Kassandra ihm gegeben hatte, aber es war wenigstens ein kleiner Ersatz dessen. Seine Wut verblasste und wich dumpfer Trägheit. Was unterschied ihn von anderen? Das war doch völlig irrelevant. Wieso sollte er einen geistigen Kampf gegen Männer und Frauen ausfechten, die in anderen Zeiten gelebt hatten? Irgendjemand hatte Kassandra sicher mal irgendwo befreit. Irgendjemand hatte sie bestimmt mal als Champion gehuldigt und verehrt. Irgendjemand - vermutlich Shukran - hatte sicher mal Sex mit ihr gehabt und dafür so etwas wie Liebe von ihr erfahren. Das ließ sich nicht ändern. Aber in diesem Jahrhundert hatte nunmal Zoras sie aus Asvoß geholt und sie vor dem Phönix zu verteidigen versucht, Zoras hatte sie gehuldigt und geehrt und geliebt, noch während sie ein Champion gewesen war, und Zoras hatte sein Versprechen ihrer Essenz eingehalten. Zoras hatte eine Folter in ihrem Namen ertragen, ohne von seiner Liebe abzuweichen. Aber wenn ihr das Opfer seines Zusammenbruchs - nun schon zum zweiten Mal in ihren Armen - nicht genug war, dann sollte sie es auch nicht mehr bekommen. Zoras würde sich von niemandem mehr anfassen lassen. Das war leichter, als sich auch noch an seinem schwächsten Punkt verletzen zu lassen.
    • Kassandra trieb es dorthin, wo ihr wortwörtlich die Decke nicht mehr auf den Kopf fallen konnte. Bei ihrem Rundgang hatte man ihnen gezeigt, dass es eine Dachterrasse gab, die allerdings eher vom Personal als von höher statuierten Menschen genutzt wurde. Aber genau hier, mit dem endlosen Himmel über ihrem Kopf und dem Wind, der ihr einzelne Strähnen dunkles Haar zu entlocken versuchte, fühlte sie sich richtig aufgehoben. Dort konnte sie einfach die Arme hängen lassen, die Augen schließen und für einen Moment die fahrigen Gedanken ziehen lassen, die es ihr vorhin im Bett nicht leicht gemacht hatten. Hier oben hatte sie ihre Ruhe, könnte zur Not auch einfach in die Luft aufsteigen und –
      Bei denACK, VERDAMMTE SCHEIßE!
      Die Ruhe wurde von einem zunächst erschrockenen und dann schmerzerfüllten Fluch zerrissen. Kassandras Lider öffneten sich und sie folgte dem Quell der Stimme. Hier oben war der Boden in der gleichen Farbe wie das Dach gefliest und der Rand war mit hohem Stein als Geländer aufgezogen. An einer dieser Wände lehnte jemand, der sich gerade höchst energisch etwas von der Hose klopfte, was ihm scheinbar Schmerzen zufügte.
      „Ich nahm an, die Terrasse hier werde vorzugsweise nur von den Bediensteten genutzt?“, fragte Kassandra den Mann, der ächzend ein kleines Porzellangefäß beiseitestellte und eine Art Pfeife missmutig betrachtete. Er hatte sich schwelenden Inhalt der Pfeife auf seinen Schoß gekippt, wobei ihm heiße Asche in den Spalt unter sein Hemd am Bauch gelangt war.
      „Kann man Euch dann nicht die gleiche Frage stellen? Ich wusste ja, dass Ihr schnell seid, aber nicht, dass Ihr praktisch aus dem Nichts erscheint“, sagte Esho und betrachtete seinen Bauch, den er sträflicher Weise schon ohne Bandage hielt und nun Brandspuren auf der Haut trug. „Bah, Brandwunden sind echt die Schlimmsten.“
      „Euch ist auch noch keine ungebundene Gottheit vor Augen getreten. Was sind schon Brandwunden? Tragt diesem Waschweib auf, Euch zu heilen. Das können sie wenigstens“, erwiderte Kassandra, verschränkte nun doch die Arme und sah zum Himmel auf.
      „Waschweib? Ach, Ihr meint Oronia. Tja, die mag mich leider nicht unbedingt und hat sich auch nach dem Kampf leider nicht erbarmen können. Also musste ich mich eigenmächtig hier hochschleppen.“ Er wackelte mit den Füßen, da zumindest seine Schulter noch steif von einem Verband wirkte. „Immerhin finde ich meinen Seelenfrieden und sehe nicht aus, als hätte ich gerade mein Weib in Flagranti erwischt.“
      „Was?“ Kassandras Reaktion kam scharf und prompt. Ungehalten über diesen Fakt zuckten ihre Nasenflügel, doch sie hielt den Blick aufrecht.
      „So, wie Ihr dasteht“, er gestikulierte mit seiner Hand, in deren Fingern die Pfeife noch lag, in ihre Richtung und grinste verschmitzt, „sieht es ganz danach aus. In vielen Facetten habe ich Euch bereits gesehen, aber noch nie dermaßen aufgebracht. Nicht mit der Inbrunst, die Ihr sonst als Feuer im Herzen tragt. Es ist anders. Kälter, wisst Ihr?“
      Ganz langsam glitt Kassandras glühender Blick zu Esho, der sie unverhohlen weiter angrinste und sich dann daran machte, ein Bein anzuziehen. Auf halbem Wege zischte er leise und streckte es doch wieder aus.
      „War Eure Rolle nicht die des Streitmeisters und nicht des Strategen? Ihr solltet generell eher bei den anderen Ratsmitgliedern sein, anstelle auf dem Dach des Palastes des neuen Eviads auszuharren“, fügte sie mit ebenjener Kälte hinzu, doch Zoras‘ neuer Titel kam ihr nun nicht mehr so geschmeidig über die Lippen. Er erinnerte sie an ihren letzten Satz vor einigen Minuten, und das wollte sie nur zu gern verdrängen.
      „Da! Das meine ich! Ich hör da doch heraus, wenn eine schöne Frau ihr Leid wegen eines Mannes klagt“, lachte Esho und klopfte die Pfeife neben sich auf dem Boden aus. Asche türmte sich als kleines Häufchen neben ihm auf. „Zu schade, dass ich das Duell nicht gewonnen habe. Immerhin wart Ihr der Einsatz, aber vielleicht muss ich einfach –„
      „Ich war der Einsatz? Scheinbar habt Ihr mehr am Kopf abbekommen als gedacht, aber ich bin kein Einsatz.“
      „Gut, so richtig wollte er auch nicht zusagen, weswegen ich wohl andere Wege einschlagen muss. Kassandra, was auch immer er für Euch ist, er wird Eurer nicht gerecht sein. Immerhin seid Ihr eine Göttin ohne Beschränkungen und ohne Regeln. Ihr seid frei und allmächtig wie jeder andere Gott, der sich nicht in Ketten hat legen lassen. Das macht es ja für mich so reizvoll, Euch in mein Bett zu bekommen. Ein einziges Mal würde mir durchaus genügen.“
      Ein Blinzeln war die einzige Reaktion, die seitens der Phönixin kam. An einer Phrasierung waren ihre Gedanken hängen geblieben und Esho hatte ohne es zu wollen einen beträchtlichen Punkt bei ihrem Problem beigesteuert: Sie war ein Gott wie jeder andere. Wie jeder… andere….
      „Was unterscheidet mich in Euren Augen von Oronia?“, wollte sie schließlich unvermittelt wissen und erntete eine nachdenkliche Miene des Kriegers.
      „Euer Element, ganz klar. Und dass Ihr eine Erhabenheit ausstrahlt, die diese Nymphe einfach nicht auf die Kette bekommt. Ihr beide seid schön, keine Frage, aber ich will eine Frau mit Feuer im Bett und kein zickiges Mädchen. Dass Ihr darüber hinaus noch unsterblich seid und es eine Sünde sein soll, von Sterblichen berührt zu werden, macht es für mich nur noch verlockender“, antwortete er mit einem anzüglichen Lächeln, wobei er seinen Blick einmal über ihre gesamte Erscheinung gleiten ließ.
      Esho urteilte anhand eines Kernaspektes, der einzig und allein dem Existenzgrund der Götter zuzuschreiben war. Doch alles, was er danach nannte, hätte genauso gut auf einen Menschen zutreffen können. Alles andere waren Beschreibungen, die auf sie, und zwar nur auf sie, als Person geltend gemacht werden konnten. Aber wenn Esho nun Areti zu Gesicht bekäme, dann würde er auf sie genau gleich reagieren. Weil Kassandra in seinen Augen ersetzbar war.
      Ohne es zu wollen hatte Esho ihr die Antwort auf die Frage geliefert, die sie sich selbst gestellt hatte. Was unterschied Zoras von all den anderen, die ihr einst gedient hatten? Nichts, dessen war sie sich jetzt auch im Klaren. Er war hingebungsvoll, er war loyal, er hatte alles für sie geopfert. Er hatte sich in sie verliebt, hatte sich um Amartius gekümmert und war am Ende gekommen, um sie zu holen, selbst wenn es das reinste Himmelfahrtskommando gewesen war. Die ganze Zeit über hatte Kassandra die Antwort in der Hand gehalten, mal als Amulett, mal als Anhänger und am Ende als die Flamme, die nun in ihrem Inneren zwei Hälften zu Einem fügte.
      Zoras war als Mensch mit seiner Art und mit seiner Geschichte unersetzlich für sie geworden. Und das war, was ihn von all den anderen Menschen, denen sie je begegnet war, unterschied.
      „Was raucht Ihr eigentlich da?“, erkundigte sich die Phönixin plötzlich zusammenhangslos und schlenderte langsam zu dem Mann am Boden herüber, um die Asche zu begutachten.
      „Getrocknetes Zarbenkraut. Soll wohl gut für die Sinne sein, aber mich macht es nur träge und lindert Schmerzen“, seufzte Esho, doch seine Augen wirkten nicht so vernebelt wie sie es der Beschreibung nach hätten sein müssen.
      „Ihr solltet es mal mit Tyuram-Rinde versuchen. Bisschen schwieriger zu importieren, aber bessere Wirkung“, sagte Kassandra und begann im Dunkeln leicht zu glühen, als ihre Magie auf Esho hinabträufelte und ihn einhüllte. Sofort versteifte sich der Mann und Argwohn trat in sein Gesicht, nur seine Glieder zuckten entgegen seiner restlichen Haltung.
      „Was tut Ihr?...“
      „Ein Dank für weise Worte, die keiner Weisheit bedürfen“, flüsterte Kassandra, die dabei zusah, wie sich die Brandwunden an seinem Bauch im Nichts auflösten und auch die restlichen Wunden und Prellungen deutliche Linderung erfuhren. Spätestens morgen würde keine einzige Bandage mehr benötigen.
      Seufzend erhob sich Kassandra und strich sich ihr Gewand glatt. Sie war noch immer viel zu weich. Das würde sie irgendwann ablegen müssen, denn Feinde sollten doch keine gute Behandlung erfahren.
      Aber wenn Mensch zu Mensch keinen Unterschied machte, wo lag dann der Unterschied zwischen gut und böse? Wo lag bei ihr der Unterschied zwischen einer guten Phönixin wie Areti und eben… ihr?
      Das alles erwirkte bei Kassandra lediglich ein Kopfschütteln. Sie hatte unfair gehandelt, das war ihr nun auch reumütig bewusst geworden. Stillschweigend war sie einfach aus dem Raum geflohen und hatte Zoras keine Möglichkeit zur Reaktion gelassen. Das war etwas, das sie ändern musste, und so war es Esho, der sich ein weiteres Mal furchtbar erschreckte, als die Göttin vor seinen Augen einfach im Nichts verschwand.

      Beim nächsten Wimpernschlag war Kassandra in Zoras‘ Gemach zurückgekehrt. Wie schon bei ihrem Austritt hatte niemand sie kommen sehen, zu schnell waren ihre Bewegungen für das menschliche Auge. Schon als sie den ersten Schritt auf dem Boden setzte, reckte sie ihren Kopf und erfühlte die Stimmung. Sie suchte nach der Angst, die vorhin den Raum dominiert hatte, doch schwangen nur noch leichte Ausläufer davon in der Raumstimmung mit. Ihr Blick ging weiter über das Bett, das unangetastet erschien, und dann traf sie die Emotion, die noch am stärksten in der Luft war: Wut.
      Ein Seufzen löste sich aus Kassandras Kehle und sie nickte mehrmals leicht mit dem Kopf. Natürlich war er wütend. Auf ihren Abgang, dass sie ihn genau in diesem empfindlichen Moment einfach zurückgelassen hatte. Dass sie ihm nicht einmal die Chance auf eine Reaktion gelassen hatte. Im Himmel, was hatte sie sich dabei eigentlich gedacht? Seit wann ließ sie sich dermaßen von Emotionen leiten und handelte so unüberlegt? War das schon bevor sie ihre Essenz zurückerhalten hatte oder erst seitdem sie wieder vollständig war? War sie so wankelmütig gewesen? Hatte Shukran sie so gekannt?
      Ein leises Plätschern ertönte, sodass die Phönixin ihren Blick zur Badtür richtete. Die Luftfeuchte war erhöht – er hatte sich ein Bad bereiten lassen. Ein Bad, um seine Emotionen abzuwaschen, so wie sie die Luft und den Himmel über ihrem Kopf gebraucht hatte. Auf leisen Sohlen näherte sie sich der Tür, die nur angelehnt war. Tatsächlich verebbte der Zorn hier und wich einer Art Taubheit, die ihr ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut bescherte. Eine Hand von ihr legte sich auf das Holz und schob die Tür langsam auf. Da sie sich nicht anschleichen wollte, unterdrückte sie das Knarzen der Scharniere nicht, sondern trat ein und schob die Tür hinter ihrem Rücken wieder zu.
      Zoras lag in dem aberwitzig großen Zuber, fast zur Länge ausgestreckt, Dampf stieg noch immer vom Bottich auf und sammelte sich in Schwaden an der Decke. Das tropische Klima erinnerte Kassandra direkt an die Zeit im Regenwald, wo man sie noch als Sonnengöttin wegschloss, aber anders als damals verschloss sie ihre Mimik nicht vor Zoras. Er sollte die Reue sehen, die sie fühlte. Dass sie sich der unschönen Aktion mehr als bewusst war.
      „Verzeih, dass ich vorhin einfach gegangen bin. Ich war etwas überwältigt“, fing sie an und verließ die Stelle an der Tür, um ganz langsam und unregelmäßig Fuß vor Fuß zu setzen und dabei allmählich einen Kreis um den Zuber beschrieb. „Ich gestehe, dass ich nicht weiß, warum mich diese Frage plötzlich so sehr von dir forttrieb. Du darfst so oft in meinen Armen brechen, wie du wünschst, und ich verspreche dir, dass ich nicht noch einmal dich allein lasse. Es lässt mich hilflos fühlen, Zoras. Dass ich, eine unsterbliche Göttin, es nicht vermag, dir das Trauma zu nehmen. Für jemanden, der alles haben kann, wenn er es wünschst, ist diese Hilflosigkeit unerträglich.“
      Ihre Kreise fingen in weitem Abstand zum Zuber an. Die Wand war dabei mehr eine Orientierung, eine Richtlinie, an der sie sich scheinbar hielt, doch mit der Strecke zog sie ihre Kreise enger, bis sie die Hand ausstrecken und den Rand des Zubers mit ihr entlangfahren konnte.
      „Die Frage zu stellen vorhin war nicht gerecht. Es gibt nichts, was dich von all den Millionen Menschen unterscheidet. Es gibt auch nichts, was mich von meinesgleichen unterscheidet, außer Name und Charakter. Es war Zufall, dass ich an jenem Tag in Theriss erschienen bin, aber es hätte auch nur eine gewöhnliche Dirne sein können, die dein Interesse geweckt hätte. Weil du nicht meine Göttlichkeit liebst und das stellt mich auf eine Stufe mit all den Menschen, von denen du dich auch nicht unterscheidest. Aber es gibt etwas Besonderes.“
      Kassandra hatte am Fußende des Zubers angehalten und sich davor aufgebaut. Ihre Hände umschlossen den Rand, ihre Fingerspitzen berührten beinahe das Wasser. Ihr Blick war auf Zoras gerichtet, der sich ihre Worte ohne eine einzige Unterbrechung angehört hatte, doch von dem sie auch spürte, wie ermattet er noch war. All den Nachdruck der Erkenntnis, die sie soeben erfahren hatte, legte sie in diese Worte und diesen Blick.
      „Der Unterschied ist, dass du für mich unersetzlich geworden bist. Unter all den Millionen Menschen mit ihren Millionen Namen kann ich mich bis heute an Shukran erinnern. Und ich werde mich bis zum Ende meiner Existenz an deinen Namen erinnern, Zoras, ehemals Luor und nun Eviad von Kuluar. Ich kann dich mit niemanden austauschen, der nicht deine Gesinnung teilt. Der mich so ansieht, wo du gerade. Dessen Lebenssinn mein Wiederfinden war. Der seine gesamte Existenz für mich aufgeopfert hätte. Du hast im Kerker um Rettung gebetet und ich bin dir nicht zur Hilfe gekommen, weil ich selbst gefesselt war. Ein weiteres Mal wird das nicht geschehen, das lasse ich nicht zu. Denn das wird es sein, was meine Liebe für dich bedeutet.“ Je weiter sie sprach, desto eindringlicher und kräftiger wurde ihre Aussprache. Ihre Finger bohrten sich in das Holz, das leise protestierte, sich aber nicht erwehren konnte.
      „Ich halte an meinen Worten aus Espiahafen fest. Ich lasse dich mich lieben und ich werde an deiner Seite bleiben bis du deinen letzten Atemzug nimmst. Sofern du das wünschst und eine wankelmütige Göttin noch Dein nennen magst.“
    • Das Knarzen der Scharniere kündigte sie schließlich an. Was sonst hätte normal sein müssen, war jetzt merkwürdig, denn nach Kassandras abrupten Abgang hätte Zoras gedacht, dass sie auch keine Hemmungen davor verspürte, genauso abrupt einfach wieder aufzutauchen. Aber das tat sie nicht. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund schob sie jetzt die Tür auf und beugte sich den weltlichen Naturgesetzen.
      Zoras wollte sie nicht ansehen. Er wusste nicht, was ihn in ihrem Gesicht erwartete und genauso wenig ahnte er, was er von ihrem Gesicht gebraucht hätte. Vielleicht etwas wie Reue? Auch wenn die Phönixin gar keine empfinden konnte? Oder brauchte er ihren emotionslosen Ausdruck, um die Mauern um sich herum weiter zu stärken?
      Schließlich drehte er sich doch nach ihr um. Auf ihrem Gesicht stand wirklich Reue geschrieben und das bewegte etwas in ihm, das er lieber wieder einsperren wollte. Zoras war jemand, der aus seinen Fehlern lernte und das sollte jetzt auch so sein. Er war aber auch jemand, der sich seiner Schwäche genau bewusst war, die jetzt langsam auf ihn zukam. Und das waren zwei Dinge, die sich in seinem Inneren jetzt um die Vorherrschaft bekriegten.
      Er beobachtete sie und lauschte ihr schweigend, als sie langsam um die Wanne ging. Sie kam ihm jetzt wieder menschlicher vor, so wie sie sich bewegte, so wie sie mit ihm sprach. Mehr wie Kassandra. Wann hatte sie aufgehört, Kassandra zu sein?
      Er wollte nicht wieder in ihren Armen brechen. Er hätte sich auch nicht eingebildet, dass die Phönixin in der Lage wäre, sein Trauma mit derselben Leichtigkeit zu heilen, wie sie seine Brandnarben geheilt hatte. Dachte sie das etwa? Wie war das so schnell entstanden, von einem einzigen Jahr der Freiheit?
      Er regte sich nicht, als sie die Frage von vorhin wieder zur Sprache brachte. Vorhin, als er noch seinem aufkeimenden Zorn erlegen gewesen war, hätte ihn vielleicht ihre Bemerkung aufgeregt, dass ihn nichts von anderen unterschied. Ihre Unverfrorenheit, das zu sagen, hätte ihn aufgeregt. Aber jetzt stimmte er ihr nur stillschweigend zu, denn er war nunmal nicht anders. Und Kassandra… die Göttin war auch nicht anders. Sie hätte eine Dirne sein können. Sie hätte eine Sklavin sein können. Er hätte ihre Hand geküsst und den Skandal mit offenen Armen empfangen, so wie er ihre Hand geküsst und es gewagt hatte, als Sterblicher einer Göttin den Hof zu machen.
      Ihm fiel Ryoran ein, der ihm an einem Sommerabend auszureden versucht hatte, dass er einer Göttin den Hof machte. Zoras’ Mundwinkel zuckten dabei, er wusste aber nicht in welche Richtung.
      Kassandra blieb vor ihm stehen. Ihr Blick, ihre Haltung, ihr ganzes Wesen war sehr menschlich. Zoras erforschte das Feuer in ihren Augen und wusste doch nicht, was er davon brauchte.
      Sie nannte ihn unersetzlich, dass sein Name noch in tausend Jahren in ihrem Gedächtnis bleiben würde. So wie Shukran. Sie versicherte ihm, dass seine Gebete nie wieder unerhört bleiben würden, denn sie würde gar nicht erst zulassen, dass es soweit kam. Sie zeigte ihm, dass das ihre Liebe für ihn war, und Zoras wollte es nicht, dass etwas in ihm dabei aufging, wie eine Sonnenblume, die sich den wärmenden Sonnenstrahlen zuwandte. Er wollte es nicht, doch er konnte nicht anders.
      Denn Kassandra war seine Schwäche. Er liebte sie mit allem, was er hatte, so wie er noch keinen Menschen je geliebt hatte. Seine Liebe überdauerte ihre Trennung und ihr Schicksal und daher würde diese Liebe auch diesen Vorfall überdauern. Letzten Endes war er schon fast verdammt dazu, mit Kassandra in seinem Herzen zu sterben, denn zu viele Fäden verbanden sie miteinander. Er war unersetzlich für sie geworden, aber vielleicht galt das aber für beide Seiten. Vielleicht würde er nie wieder so lieben, wie er Kassandra liebte. Aber im Gegensatz zur Phönixin hatte er keine Jahrhunderte, um zu diesem Schluss zu kommen, sondern nur dieses eine. Von dem eine Hälfte für ihn schon vergangen war.
      Er richtete sich ein Stück auf und Wasser perlte von seinen Schultern. Wenn sie ein wenig früher, oder auch später gekommen wäre, hätte er vermutlich die Hand nach ihr ausgestreckt und sie mit seiner typisch wortlosen Einladung zu sich gelockt, aber die Wunde war zu frisch, um sie zu berühren. Er blieb da, wo er war: Zwei Meter von ihr entfernt in der Wanne sitzend. Diesmal war dort aber nicht viel mehr zwischen ihnen außer genau diese Wanne. Diesmal war es kein zusätzlicher Ozean, der sie trennte.
      "Ich bin ein schwacher Mann, Kassandra. Vielleicht bin ich das schon immer gewesen, aber jetzt", er zog die Arme aus dem Wasser und legte sie hinter sich auf den Wannenrand, "ist es unbestreitbar. Ich werde vielleicht nie stark genug sein, eine Hand an meinem Arm zu ertragen, so zärtlich sie auch sein mag, denn es kommt von meiner einzigen Schwäche. Du bist meine Schwäche. Du warst mein einziger Lichtblick im Kerker, das einzige, weswegen ich durchhalten wollte. Mein Tod hätte ganz Theriss mehr genützt, aber ich habe nur an dich gedacht. Ich konnte gar nicht anders."
      Er sah ihr mit seiner Halbwahrheit unverwandt ins Gesicht. Trotz seiner Worte wollte er sie noch immer nicht zu sich holen.
      "Ich werde vielleicht nicht stark genug sein es zu ertragen, aber ich werde immer stark genug sein, dich zu lieben. Immer. Und das ist etwas, das bestimmt bald sehr viele Menschen von sich behaupten können, wenn sie sich vor die auf die Knie werfen. Du bist eine Göttin, es wird immer genug von meiner Sorte geben. Ich unterscheide mich nicht von den anderen, das hast du selbst gesagt, außer in der Tatsache, dass ich dieses Jahrhundert der einzige meiner Sorte bin. Oder auch der erste. Irgendwann werde ich sterben und du wirst sicher einen neuen finden, so wie du auch nach Shukran einen neuen gefunden hast."
      Ein harter Ausdruck trat in sein Gesicht; die Mauer, die er in der letzten halben Stunde um sich herum aufgebaut hatte.
      "Aber ich werde mich nicht aufreißen lassen, um mich selbst wieder zusammenzuflicken, nicht von dir, Kassandra. Das habe ich oft genug getan. Du bist gegangen, weil ich dir nicht das geben konnte, was du gern haben wolltest. Deswegen sagte ich, dass ich nicht mehr der Mann von früher bin. Wir werden nie wieder so wie damals zusammenliegen können. Diese Zeiten sind vorbei."
      Seine Stimme brach ein wenig auf, wenn auch nicht seine Miene.
      "Also mach es mir nicht schwerer, als es ohnehin schon ist."
    • Neu

      Ein weiteres Mal wurde Kassandra bewusst, wie vorteilhaft ihre Fähigkeit zur Erfühlung von Emotionen eigentlich war. Denn wenn sie es nicht gekonnt hätte, nicht die Farben Zoras‘ Aura hätte lesen können, dann säße hier ein Mann nackt in einer Wanne vor ihr und begegnete ihren Worten und Blicken mit einer außerordentlichen Gleichgültigkeit. Sie hätte nicht gewusst, dass ihre Worte in seinem Inneren die hellen Farben befeuerten, jene, die Wohlgefallen, Stolz und Zuneigung bedeuteten. Dann hätte sie den Eindruck bekommen, dass ihre Worte gegen eine Wand prallten und nichts von all dem auch nur den leisesten Effekt auf den Mann gehabt hätten.
      Als sich Zoras ein Stück weit aus der Wanne erhob, verharrte Kassandra regungslos am anderen Ende. Sie wusste, dass Worte wie diese ihn hätten erweichen müssen. Üblicherweise hätte er sie nun längst zu sich geholt oder hätte ihre Worte mit derselben Inbrunst beantwortet. Doch nichts von dem trat ein, sodass sie erneut vor Augen geführt bekam, wie sehr sich dieser Mann von dem vor vier Jahren unterschied. In dem Jahr der Reise hatte nicht nur sie sich zu ihrer Göttlichkeit entwickelt, Zoras hatte sich derweil den Schatten angenommen, die ihn klein zu Beginn gefolgt und nun seiner Selbst geworden waren. Dies verdeutlichten auch seine Worte, die er an sie richtete.
      „Ein schwacher Mann hätte nicht den Märtyrertod gewählt“, widersprach sie ihm sofort, „und er wäre erst recht unter Folter gestorben. Vergiss das nie. Ich bin nicht deine Schwäche, wenn ich dich genauso wenig wie alle anderen berühren kann. Das rührt woanders her. Im Kerker war ich das Einzige, das dich bei Verstand gehalten hat, aber behaupte nicht, dass du nur an mich gedacht hast.“ Denn dass das nicht stimmte sprach sie nicht laut aus. Sie kannte die Denkweise, zumindest ihre eigene, wenn man fernab des Tageslichts eingesperrt saß und ausharren musste. Man hatte ihr die Sonne genommen, man nahm ihr das Essen, man nahm ihr ihre Unversehrtheit. Und auch wenn sie sich daran klammerte, dass die Zeit für sie arbeitete und sie irgendwann wieder die Sonne auf der Haut spüren würde, so waren die Gedanken, wann der Foltermeister wiederkehrte, mindestens genauso präsent. Ob sie es wollte oder nicht, ihr Geist beschäftigte sich damit, welche Gräueltaten er als nächstes tun würde und das war mitunter ein Punkt, der die Folter und Gefangenschaft so grausam machte. Dafür brauchte Kassandra nicht einmal ihre Fähigkeit, Lügen zu erspüren.
      Den folgen Sätzen des neuen Eviads fügte die Phönixin vorerst nichts hinzu. Stattdessen sah sie dabei zu, wie sich die Ausdruckslosigkeit in seinem Gesicht verlor und einer Härte wich, die nur einen einzigen Nutzen verfolgte. Sie erwiderte es ebenso mit einer stoischen Gleichheit in ihrem Gesicht, ließ keine Regung darauf zu, während ihre Gedanken in Spiralen verfielen, die sie ihm am liebsten direkt um die Ohren geworfen hätte. Er behandelte sie wie ein Mensch, er vergaß, dass sie keiner war. Außer dem Punkt, dass sie seine Lebensspanne übersteigen würde, sah er scheinbar keinen Unterschied. Er sah nicht, wie viele Jahrhunderte vergangen waren, ehe sie eine vergleichbare Seele zu der Shukrans gefunden hatte. Dass es ein Frevel war, sich als Gott von Menschen auch nur berühren zu lassen. Und vor allem, dass sie nach dieser Erfahrung, dass dieser kleine Fehler sie in die Knechtschaft getragen hatte, ein weiteres Mal bereit war, sich einem Menschen zu verschreiben.
      Ebenso wie seine Stimme war es auch ihre, die nicht die zu ihrer Mimik zu passen schien. Man hörte die Anspannung, mit der sie ihre Stimme möglichst bedacht halten wollte, gut genug heraus. „Ich mache es dir schwerer, ja? Du denkst, ich sei gegangen, weil ich nicht das bekommen habe, was ich mir wünschte? Ich fürchte, du unterliegst da einem Missverständnis. Ich bin gegangen, weil du mir eine Grenze aufgezeigt hast, Zoras. Ich bin eine Göttin, ein übermächtiges Wesen, das ganze Landesabschnitte zerstören kann. Ein Wesen, das Lebewesen nach ihren Wünschen manipulieren kann, ein Wesen, das nicht auf Erden gehört. Und dann sehe ich, wie du unter mir brichst und ich nichts, rein gar nichts, dagegen unternehmen kann. Ausgerechnet ich, mit meinen herausragenden Heilfähigkeiten, kann nichts dagegen unternehmen. Deswegen bin ich gegangen und nicht, weil ich meinen Willen nicht bekommen haben.“ Die Wörter, die sie besonders betonte, spie sie beinahe wie Säure aus. Jede Silbe brannte auf ihrer Zunge und musste ihren Mund verlassen, um nicht noch mehr Schaden anzurichten. Anschließend richtete sie sich auf und ließ endlich den Rand des Zubers los, wo ihre Finger deutliche Spuren hinterlassen hatten. „Darf ich dir Gesellschaft leisten oder ist das auch schon zu viel?“
      Es war vielleicht eine Spur zu gehässig, doch es klang noch zu viel in ihr nach. Es laut auszusprechen kostete der stolzen Phönixin mehr Kraft als Zoras es vermuten konnte. Deswegen wartete sie, bis er ihre Frage stattgab, bevor sie sich die Kleider vom Leib streifte und an sein Fußende in den Zuber stieg. Statt die Beine lang auszustrecken zog sie sie an ihren Körper und legte einen Arm quer auf ihre Knie, um den Kopf auf ihm abzulegen.
      „Hast du eigentlich eine Ahnung, welches Privileg du genießt?“, fragte sie nach einem Moment der Stille, der dafür gesorgt hatte, dass die Angegriffenheit aus ihrer Stimme gewichen war und sie nun deutlich versöhnlicher klang. „Es ist ein Frevel, dass ein Sterblicher einen Gott auch nur berühren kann. Wir können uns dem in der Sklavenschaft nicht erwehren, aber in der Regel werden wir nicht berührt. Ist dir noch nicht aufgefallen, dass mich niemand außer dir angefasst hat, seitdem ich meine Essenz zurückhabe? Es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz, das von den meisten Lebewesen unwissentlich eingehalten wird. Dir als Schwurpartner kommt dieses Gefühl nicht in den Sinn, aber du bist erst der zweite Mensch in meiner gesamten Existenz, der mich aus freien Stücken berühren darf. Der mehr bekommt, als jeder andere. Das ist ein gewaltiges Zugeständnis, das ich dir mache, und dass du vorhin irgendwann gedacht hast, du willst mich gar nicht mehr anfassen oder berührt werden, macht es null und nichtig.“
      Sie suchte unter Wasser nach seinem Fuß, fand ihn und berührte ihn immer wieder beiläufig mit ihren Fingerspitzen.
      „Übrigens behaupten mit Sicherheit viele Menschen, dass sie mich lieben, wenn man den Kult befragt. Nur richten die wenigsten ihr Leben nach mir aus und werfen ihre Bekennung über Bord, sobald es Schwierigkeiten gibt. Du tust dies jedoch nicht, und das unterscheidet dich ebenfalls von einem Großteil der Menschheit, denn ich glaube deinen Worten…“