In his Thrall [Codren feat. Pumi]

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    • "Ich sagte nichts von nur einem Fehler," gab Vincent lächelnd zurück, verfiel dann aber in Schweigen und konzentrierte sich darauf, Thomas' Muskeln zu lockern, ohne ihm dabei Schmerzen zu bereiten.
      Mit Genugtuung lauschte er, wie sich der Atem des Mannes verlangsamte, als Thomas einschlief. Vincent gab sich große Mühe, ihn nicht zu wecken, als das Wasser kalt wurde und er Thomas aus der Wanne hob. Für ihn war es ein leichtes, einen erwachsenen Mann durch die Gegend zu tragen.
      Er legte Thomas in sein Bett und deckte ihn gut zu, musterte ihn einen langen Augenblick auf der Bettkante sitzend. Er war seinem Großvater wirklich ähnlich, aber sie zu vergleichen wäre unfair. Thomas war sein eigener Mann, das hatte er heute zur Genüge bewiesen.
      Vincent ließ Thomas einen Moment allen, als er ins Badezimmer zurückkehrte und den Anzug des Doktors ordentlich zusammenlegte. Hübsch gestapelt legte er die Kleidungsstücke auf den Sessel in seinem Schlafzimmer, bevor er alle Vorhänger ordentlich verschloss - auch die am Bett - bevor er sich zu Thomas legte. Er beobachtete den schlafenden Mann, bis das Morgengrauen seinen Tribut von ihm forderte und auch er einschlief.

      Nora weckte die beiden Männer am späten Vormittag. Oder vielmehr weckte sie Vincent, was zwangsläufig laut genug war, um jeden normalen Menschen ebenfalls zu wecken.
      "Vincent," tadelte sie. "Aufstehen. Es ist schon spät."
      Grummelnd rollte sich Vincent von seiner Haushälterin weg und vergrub das Gesicht in einem Kissen, dass herrlich nach Zimt roch. Nach Thomas. Doch Nora ließ das nicht auf sich sitzen und zog ihm das Kissen unter dem Kopf weg.
      "Ich steh ja schon auf," jammerte Vincent und setzte sich in seinem Bett auf.
      Die Haare standen ihm wild vom Kopf ab, die Müdigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er brauchte einen sehr langen Moment, um sich daran zu erinnern, sein Schauspiel aufrecht zu erhalten. Er griff auf die gleiche Taktik zurück, die er auch schon bei seinem Ball angewandt hatte: Das Vortäuschen eines Katers.
      "Ich sollte aufhören, abends so viel zu trinken," beschwerte er sich zu niemand besonderem und stand auf.
      Er kümmerte sich keine Sekunde darum, dass er splitterfasernackt war und Nora noch immer anwesend, als er zu seiner Morgenrobe schlenderte und sie sich überwarf.
      "Wenn ich mir jetzt einen Whiskey einschenke," setzte er an.
      "Dann haue ich dir dieses Kissen um die Ohren, ganz recht," beendete Nora den Satz für ihn.
      Vincent hob abwehrend die Hände.
      "Schon gut, schon gut."
      "Im Esszimmer habe ich ein paar Happen vorbereitet, aber da es bald Zeit zum Mittagessen ist, habe ich nichts großes vorbereitet," erklärte Nora.
      "Wundervoll. Danke, meine Liebe."
      Nora verschwand, nachdem sie Vincents Kopfkissen zurück ins Bett geworfen hatte. Er sehnet sich danach, wie das Polster einfach wieder ins Bett zu fallen und dort liegen zu bleiben, bis die Sonne unterging, doch am heutigen Tage war das keine Option. Stattdessen ging Vincent also zu seinem Schrank und zauberte eine weitere seidene Morgenrobe daraus hervor, die er Thomas reichte.
      "Es sei denn, du willst dich jetzt schon in deinen Anzug zwängen," kommentierte er.
    • Was Thomas in seinem schläfrigen Erwachen erst für eine Bekannte, wenn nicht gar Verwandte von Vincent gehalten hatte, entpuppte sich dann als die Haushälterin, die Vincent auf eine äußerst skurrile und vertrauensvolle Art aus dem Schlaf riss. Dass eine gewisse Härte dabei notwendig war, zeigte sich schon in dem Moment, in dem sich Vincent hartnäckig zur anderen Seite drehte - wie ein Kind das nicht aufstehen wollte, schoss es Thomas durch den Kopf, dessen Gehirn noch zu schläfrig war, um den Höflichkeitsfilter über seine Gedanken zu legen. Er selbst zog sich die Decke bis zur Brust; er hatte sich noch nie vor einem Bediensteten entblößt und plante auch nicht, bei Nora damit anzufangen. Beth hätte es niemals gewagt, ungefragt in sein Schlafzimmer zu kommen, auch dann nicht, wenn das ganze Haus in Flammen gestanden hätte.
      Aber Vincent schien auch ein anderes Verhältnis zu seinen Bediensteten zu haben. Vielleicht ja sogar ein intimes, aber darüber wollte Thomas sich gar keine Gedanken machen - wer war er schon, dass er sich in solche Sachen einmischte. Also verdrängte er die ihm jetzt unhöflich erscheinenden Gedanken und wartete geduldig, bis Nora gegangen war. Ein Blick auf Vincent ließ ihn schmunzeln.
      "Du siehst nicht schlecht aus mit deinen ungekämmten Haaren. Vielleicht solltest du diese Frisur öfter tragen."
      'Nicht schlecht' war dabei eher noch untertrieben: Vincent sah mit dem schläfrigen Blick und den chaotischen Haaren geradezu zum Anbeißen aus - nochmal anders, als der gewöhnliche Vincent im Morgenmantel. Nochmal echter. Thomas mochte es.
      Er stand auf, wobei er bemerkte, dass der erwartete Muskelkater ausblieb. Entweder das warme Wasser, oder die Massage - oder beides - mussten geholfen haben, seine Muskeln bereits wieder regenerieren zu lassen. Er fühlte sich noch immer angeschlagen, besonders am Handgelenk, aber alles in allem äußerst fit; mehr noch als Vincent.
      Er ging zu ihm herüber, nahm den Morgenmantel entgegen, streifte ihn sich nachlässig über und trat den letzten Schritt an Vincent heran, um den Arm seiner gesunden Hand unter seine Robe und um seine Taille zu legen. Er zog ihn zu sich und küsste ihn für einen Moment. Vincent duftete nach Schlaf.
      "Ist das etwa immer noch zu früh für dich, als Langschläfer?"
      Er betrachtete ihn und versuchte eine widerspenstige Haarsträhne auf Vincents Kopf zu glätten, die sich seinem Willen widersetzte und sich gleich wieder aufrichtete. Da kam ihm etwas anderes in den Sinn und er blinzelte verwundert.
      "... Wann sind wir überhaupt ins Bett gegangen?"

      Der Esstisch war gut eingedeckt mit seinen Happen, so wie es Nora genannt hatte, als die beiden Männer herunterkamen. Thomas setzte sich und vergewisserte sich, dass sein Morgenmantel fest genug zugeschnürt war, ganz anders als Vincent, der mehr wie eine lebendige Leiche herunterkam und bei jedem Blinzeln darum zu kämpfen schien, die Augen wieder zu öffnen. Er hatte Mitleid mit dem Mann, zwar hatte er keinen Vampir bekämpft, aber schien er doch von eigenen Dämonen geplagt zu werden.
      Während sich Thomas ein Brötchen nahm, musterte ihn verstohlen. Sein pochendes Handgelenk lag auf seinem Oberschenkel und erinnerte ihn sekündlich daran, dass er sich normalerweise nach einer Jagd nicht so fit fühlen würde.
      "Kommst du etwa immer so schwer aus dem Bett? Weckt dich Nora immer auf diese... Weise auf?"
    • "Lach du nur, mein guter Herr Doktor. Du warst nicht derjenige, der gestern einen erwachsenen Mann durch die Gegend schleppen musste," gab Vincent nur zurück und stahl sich einen weiteren, flüchtigen Kuss.
      "Wann wir ins Bett sind? Du etwa fünf Minuten nachdem ich zu dir in die Wanne gestiegen bin. Ich etwa eine halbe, dreiviertel Stunde später mit dir in auf meinen Armen."
      Er hakte sich bei Thomas unter und ging mit ihm hinunter in sein Esszimmer, wo sich Nora wirklich nur mit einem Leckerbissen beschäftigt hatte. Allerdings konnte Vincent bereits die Ansätze des Mittagessens riechen, an denen sie nun zu arbeiten schien.
      Vincent ließ von Thomas ab und schlenderte hinüber zur Minibar - natürlich hatte er auch in seinem Esszimmer einen Schrank voller Alkohol - und füllte ein weiteres Geschirrtuch mit Eis. Damit bewaffnet kehrte er an den Esstisch zurück. Er reichte das kleine Kühlpaket an Thomas weiter, dann ließ er sich in den Stuhl am Kopfende des Tisches fallen, schnappte sich einen Apfel. Er musste seine Zähne in etwas schlagen, um den Hunger zu bekämpfen, der sich durch seine Eingeweide fraß. Er konnte ja schlecht ein Glas Schweineblut runterstürzen, während ein Van Helsing ihm dabei zusah. Dazu der verführerische Duft besagten Van Helsings und die Tatsache, dass Nora die Vorhänge überall aufgezogen hatte. Ein paar dünne Gardinen waren alles, was Vincent vor dem einem äußerst schmerzhaften, langsamen Tod bewahrte. Das hieß allerdings nicht, dass nicht gerade das Gefühl hatte, seine Augen stünden in Flammen und schmolzen gerade in seinen Augenhöhlen.
      "Ja und Ja," antwortete er endlich auf Thomas' Frage. "Ich habe dir ja gesagt, sie kennt mich besser als ich mich selbst. Sie war die erste in meinem Haushalt. Wegen ihr mache ich, was ich nun einmal mache. Ihr vorheriger Arbeitgeber hat sie grün und blau geschlagen, sie beinahe getötet. Ich habe sie zu mir geholt, ihr wieder auf die Beine geholfen und irgendwie hat es sich dann ergeben, dass sie anfing, für mich zu arbeiten. Das war noch vor Harker Heights. Damals war es eher so wie hier. Nicht so viele Räume, nicht so viel Haushalt. Es gab nur sie und mich. Dann hatte ich meinen kleinen Anfall an Heimweh, habe mir Harker Heights gekauft und wir haben festgestellt, dass das Haus ganz schön groß ist und ganz schön viel Arbeit macht. Und dann habe ich angefangen zu sammeln. Wann immer ein Angestellter eines Hauses schlecht behandelt wurde, habe ich die Verträge gekauft. Wann immer ein junger Mensch rausgeworfen wurde wegen was auch immer, bot ich ihnen Arbeit in meinem Haushalt an. Allerdings muss niemand von ihnen den eigenen Körper verkaufen. Ich verbiete es sogar. Es steht jedem frei, zu lieben wen sie wollen, aber ich unterbinde derartige Geschäftsbeziehungen sofort. Und wenn ich verreise, dann können meine Angestellten tun und lassen, was sie wollen, solange ich zu einem ordentlichen Haus zurückkehre. Nur Nora nehme ich immer mit. Ohne sie würde ich wohl nicht überleben."
      Vincent lachte leise, dann nahm er einen großen Bissen aus dem Apfel, den er sich eben noch gegriffen hatte.
      "Und bevor du fragst: Nein, ich habe sie nie angerührt. Ich bin nicht ihr Typ. Genauso wenig wie Darcy dein Typ ist. Wenn du verstehst, was ich meine."
      Er legte die Beine auf den Tisch und überschlug sie an den Knöcheln.
      "Aber genug davon, wie geht es dir? Dass ich gerade die Höllenqualen der wachen Welt leide, haben wir ja schon festgestellt."

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    • Thomas lauschte, während er von seinem Brot aß. Das meiste davon hatte Vincent ihm bereits auf dem Fest mitgeteilt, aber nun berichtete er nochmal ausführlicher - und was er berichtete, war wirklich eindrucksvoll. Nicht einmal Thomas mit seiner Praxis und seiner Jagd handelte so selbstlos wie Vincent und mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte ihn jemand damit beauftragt. Er bewunderte ihn aufrichtig, Vincent schien das Ideal eines modernen Mannes zu verkörpern, auch mit seinen offensichtlichen Schwächen und der Unabhängigkeit von Religion. Wenn Thomas sich jemals einen Gentleman hätte vorstellen müssen, hätte er sich Vincent vorgestellt. Vielleicht nicht im Morgenmantel und verkatert, aber doch immerhin Vincent.
      "Das ist wirklich beeindruckend und äußerst löblich. Und das aus reiner Nächstenliebe? Langsam bezweifle ich, dass du tatsächlich unreligiös bist. Ein Samariter wie du hat sicherlich die Gunst Gottes auf seiner Seite."
      Dann verzog er das Gesicht.
      "Abgesehen davon tust du es schon wieder. Ich verbiete dir, dich in meinem Kopf einzunisten, du kannst dich mit deinen eigenen Gedanken befassen."
      Vincent beförderte seine irrsinnig langen Beine auf den Tisch und stimmte Thomas damit gleich wieder gütiger. Sein Blick wanderte von den Knöcheln hinauf über die Knie hinweg zu seiner Hüfte, wo der Morgenmantel nach oben gerutscht war und mit dem letzten Millimeter Vincents Privatsphäre bedeckte. Eine unsittliche Pose für das Frühstück, aber ein verlockender Anblick für Thomas, der sich mittlerweile ganz gut damit abfinden konnte, dass Nora nicht nur von ihnen wusste, sondern auch noch Stillschweigen bewahrte. Nach dem, was Vincent ihm erzählt hatte, glaubte er es sogar ohne sich noch einmal vergewissern zu müssen.
      Schließlich wollte er aber selbst nicht unhöflich sein und stellte den Augenkontakt wieder her. Zum Glück trug er keine Hose, die ihm zu eng werden könnte.
      "Besser, als ich gestern noch vermutet hätte. .... Dem Handgelenk, meine ich. Ich habe sehr gut geschlafen, das hat geholfen. Und länger als du habe ich auch geschlafen, wie ich verstanden habe."
      Es war ihm ein wenig peinlich, dass er Vincent nicht nur mit der Aufgabe zurückgelassen hatte, seinen geschundenen Körper zurück zum Bett zu befördern, sondern auch noch so fest dabei geschlafen hatte, dass er es noch nicht einmal bemerkt hatte. Dabei war er überrascht davon, wie stark der schlanke Mann war. Zugegeben, er war selbst nicht von Muskeln aufgebläht und hatte es mehr oder weniger geschafft Vincent hochzuheben, aber ihn dabei auch noch so sanft zu tragen, um ihn nicht zu wecken, schien ihm ein ganz anderes Kunststück. Er hatte seine Stärke wohl falsch eingeschätzt.
      Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und drehte das Handgelenk, um es von allen Seiten zu kühlen. Er würde es sich nachher ansehen müssen, aber im besten Fall ohne Vincent, nachdem er stark davon ausging, dass Charles' Hand einen Abdruck hinterlassen hatte. Sein Hals war ihm schon unangenehm, wobei er noch keinen Blick in den Spiegel gewagt hatte, und er dankte Vincent ein weiteres Mal dafür, die Sache nicht anzusprechen. Es trug nicht minder zu seiner Entspannung bei.
      "Was hältst du von einem Spaziergang, bevor das Mittagessen fertig ist? Frische Luft hilft bei einem Kater und sie hilft auch bei einer Verstauchung - ganz indirekt. Wir hätten beide etwas davon."
      Er lächelte und besah sich dann noch einmal flüchtig Vincents Beine, bevor sie sie sich wieder in eine Hose zwängen würden.
    • Vincent erhob sich und trat auf Thomas zu, legte ihm einen Arm um die Schulter und seinen Kopf auf die andere.
      "Deinem Handgelenk geht es also besser. Das freut mich zu hören, aber ich habe gefragt, wie es dir geht. Ich werde nicht fragen, woher sie kommen - ich bin definitiv nicht dafür verantwortlich - aber ich habe gesehen, wie diese blauen Flecken gewachsen sind. Also frage ich noch einmal: Wie geht es dir, Thomas?"
      Mit dem Daumen strich Vincent vorsichtig über die dunkle Linie, die sich deutlich auf dem Hals des Doktors abzeichnete. Wenn er genauer hinsah konnte er sogar die losen Ansammlungen von Blut direkt unter der Haut erkennen, die langsam aber sicher von Thomas' Körper absorbiert wurden. Der Prozess würde Tage dauern und Thomas' Hals würde erst noch schlimmer aussehen, bevor es besser wurde.
      "Was deine Frage nach einem Spaziergang angeht: Ich kann mir besseres vorstellen, als mir die Augen aus dem Kopf zu brennen. Und du willst mich nicht erleben, wenn ich an hämmernden Kopfschmerzen leide, glaub mir. Du hast gesehen, wie furchtbar meine Laune auf dem Ball war. Und ich will dir dein Wochenende nicht vermiesen. Ich will mir mein Wochenende nicht vermiesen."
      Vincent wusste nicht, ob es sein Hunger war oder seine Zuneigung für Thomas, die ihn dazu brachte, sich vorzulehnen und die Verfärbungen an Thomas' Hals hauchzart zu küssen.
      "Ich habe gehört, dass Ruhe das beste Mittel ist, um zu heilen," raunte er gegen die weiche Haut.
      Einen Herzschlag lang verweilte Vincent genau dort, dann hob er den Kopf und biss herzhaft in seinen Apfel und zog sich zurück, um sich wieder an seinen Platz am Kopfende des Tisches fallen zu lassen.
      "Lass uns faul sein. Lass uns unsere stille Zweisamkeit genießen. Willst du denn nie einfach nur... nichts tun? Pause machen? Ich habe nicht gelogen, als ich sagte, dass ich einen Monat Urlaub nach jedem dieser All Hallow's Eve Bälle brauche."
    • Froh darüber, dass Vincent ihm näher kam, nicht ganz so froh über seine Worte, legte Thomas die gesunde Hand an dessen Hinterkopf und fuhr ihm durch die Haare. Er spürte seine Berührung allzu deutlich, ein Zeichen dafür, dass die Verfärbungen schon sichtbar waren. Ihm verging zunehmends der Drang, tatsächlich in den Spiegel zu sehen.
      "Mir geht es gut", bekräftigte er, was aus seiner Sichtweise sogar stimmte. Sicher, sein Rücken schmerzte, wenn er sich bewegte, sein Handgelenk schmerzte sogar permanent, er fühlte sich empfindlich, als wäre sein ganzer Körper ein einziger, riesiger blauer Fleck und versehentliche Berührungen an seinen malträtierten Stellen spürte er umso deutlicher; aber für eine Jagd waren das alles äußerst kleinliche Beschwerden - besonders für eine Jagd, die er gänzlich unvorbereitet beschritten hatte, ausgerüstet mit einem einzigen silbernen Messer und seiner Kette. Die Alternative wäre wohl der Tod gewesen.
      "Wirklich. Mir geht es gut."
      Vincents nächste Worte ließen ihn schmunzeln. Seine Wortwahl war etwas sonderbar, passte aber doch unbeabsichtigterweise zum vorherigen Thema, als wäre er selbst ein Vampir. Dabei hatte Thomas ihn auf Harker Heights im Sonnenlicht gesehen.
      Er hakte den Gedanken schnell ab, um sich davon nicht wieder beirren zu lassen, und genoss für die kurze Zeit Vincents Lippen an seinem Hals. Womöglich ein bisschen zu sehr, denn als der andere sich wieder von ihm löste, spürte er eine Steifheit in seinem Schritt, als wolle sich sein Körper darüber beschweren, dass Vincent sich auf den Stuhl und nicht etwa auf seinen Schoß setzte. Er zog sich den Morgenmantel ein wenig zurecht.
      "Dann kein Spaziergang. Ich habe nicht vor, irgendjemandes Wochenende zu vermiesen."
      Mittlerweile war er darüber sogar recht froh, nachdem er sich keine Gedanken darum machen musste, wer seine Flecken zu Gesicht bekommen könnte. Wenn sie tatsächlich so sichtbar waren wie Vincent vermuten ließ, würde er sich den Hals pudern müssen.
      "Wenn ich die Zeit dazu hätte nichts zu tun, hätte ich wohl auch Klavier gelernt", entgegnete er, lächelte dabei aber, um seine Worte zu entschärfen. Da Vincent nicht wusste, oder vielleicht höchstens ahnen konnte, dass er Jäger war, konnte er sich wohl kaum den Zeitaufwand vorstellen, der damit verbunden war - allein die vielen endlosen Einladungen, denen er nachging, um allerlei Gerüchte zu verfolgen. Ohne Vincent wäre er schließlich am Abend auch wieder verabredet gewesen.
      "Also nein, ich will tatsächlich nie... nichts tun. Verstehst du darunter etwa deinen Urlaub für den Ball? Wieso gibst du ihn überhaupt noch immer, wenn er wohl so anstrengend ist? Versuchst du etwa, deinen verruchten Ruf weiter anzuheizen?"

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    • Vincent lächelte und betrachtete seinen Apfel für einen Augenblick.
      "Würdest du mir glauben, wenn ich sagte, dass ich versuche, jemanden anzulocken?"
      Er nahm einen weiteren, großen Bissen und ließ diese Aussage seinerseits im Raum hängen, bis er leergekaut hatte.
      "Der Ball ist im Prinzip der Wurm an der Angel. Ich kenne da jemanden, der noch schwieriger zu greifen ist als ich. Dieser Jemand lässt sich selten eine richtig gute Party entgehen. Ich veranstalte diesen Ball, um meinen eigenen weißen Wal zu fangen, wenn du so willst. Vergeblich, bisher."
      Er zuckte mit den Schultern und legte die Reste seines Apfels beiseite. Es hatte nur marginal geholfen, sich etwas zwischen die Zähne zu klemmen. Er war noch immer hungrig und er würde es auch bleiben, solange er nicht das zu sich nahm, was das Monster in seinem Inneren haben wollte. Einen Tag konnte er ohne vielleicht aushalten, aber mit jeder verstreichenden Stunde würde es schwieriger werden.
      "Mein guter Doktor, es ist aber nicht besonders gesund, sich keine Zeit für ein bisschen Entspannung zu nehmen," wechselte Vincent das Thema.
      Er hatte keine besonders große Lust darauf, näher auf seine kleinen Angelversuche jedes Jahr einzugehen.
      "Kein Wunder, dass deine Schultern ständig so verspannt sind."
      Er stand erneut auf, schlenderte zu Thomas hinüber und zog ihn auf die Füße. Dass der andere Mann dabei an seiner Brust landete, war natürlich reiner Zufall.
      "Ich denke es wird Zeit, dass der Doktor sich mal eine Pause gönnt," raunte er und küsste Thomas sanft, bevor er seine Finger mit denen des Doktors verschränkte und ihn mit sich zurück nach oben in sein Schlafzimmer zog.
      Dort angekommen, führte Vincent den anderen zum Bett, stellte sich hinter ihn. Er griff um Thomas herum, öffnete den Knoten der Morgenrobe an dessen Hüften. Mit hauchzarten Berührungen schob Vincent ihm die Robe von den Schultern. Er konnte es sich nicht nehmen lassen, einen weiteren Kuss in Thomas' Nacken zu platzieren.
      "Leg dich hin. Auf den Bauch," befahl er freundlich.
      Die Robe landete auf dem Sessel und sobald Thomas sich hingelegt hatte, bezog Vincent Position über ihm. Er kniete nur wenige Zentimeter unter Thomas' wohlgeformten Hintern. Doch der war gerade nicht Vincents Ziel. Noch nicht. Stattdessen strich er mit beiden Händen über Thomas' wüst aussehenden Rücken, bis er jeden verspannten Muskel gefunden hatte. Dann machte er sich an die Arbeit, diese Verspannungen zu beseitigen. Wann immer er an einem blauen Fleck ankam, wurde er noch sanfter als er bereits war. Wann immer Thomas' zusammenzuckte, hielt Vincent inne, bis er dessen Okay bekam, weiterzumachen.
    • Thomas runzelte die Stirn. Wenn es einen Grund für den Ball gegeben hätte, mit dem er nicht gerechnet hätte, dann war es genau der, den Vincent ihm vortrug. Er wollte jemanden anlocken, der sich sonst nicht blicken ließ? Und Thomas hatte gedacht, dass Vincent bereits ein Einsiedler war, aber ganz anscheinend gab es wohl noch härtere Fälle.
      "Noch pompöser als dein Ball kann es fast nicht mehr werden, um jemanden anzulocken. Vielleicht wirst du es mal mit einer anderen Taktik versuchen müssen."
      Es war nun doch deutlich ernüchternd zu wissen, wie wenig Mysteriöses hinter Vincent und seiner ganzen Aufmachung stand, wie in aller Öffentlichkeit ständig angenommen wurde. Zugegeben, es war etwas merkwürdig sich zu einer Sensation zu machen, nur um eine einzige Person damit anzulocken, aber es hatte in der Geschichte schon viel drastischere Maßnahmen für so etwas gegeben. Vielleicht galt der Aufwand ja einer Liebschaft? Abgesehen davon, dass Vincent keine Frau hatte, hatte Thomas niemals etwas über weitere Liebschaften erfahren, es wäre schon möglich. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Vincent jemals für eine Person einen solchen Aufwand betreiben würde, aber was wusste Thomas schon darüber.
      Aber er wollte sich keine Gedanken über irgendwelche anderen Leute machen und Vincent wollte wohl nicht weiter über seinen Ball reden. Also ließ er sich auf die Ablenkung ein, widerwillig zunächst, deutlich zugeneigter, als Vincent ihn zu sich zog, ein wenig zu stark, sodass Thomas gegen ihn stolperte. Er zögerte keine Sekunde, um sich den Kuss abzuholen, den Vincent ihm auf die Lippen hauchte und sein Herz damit beglückte. Gerne hätte er ein Widerwort dazu gegeben, was seine Pausen betraf, aber darüber wollte er nicht wirklich diskutieren, Vincents Geste war ihm schon Aufforderung genug. Er folgte ihm zurück ins Schlafzimmer, wo ihn weitere Zweifel wieder übermannten, als Vincent ihm die Robe auszog. Unruhig wartete er auf den Kommentar, der folgen würde, mit dem Vincent in irgendeiner Weise verlangen würde zu erfahren, was tatsächlich vorgefallen war, aber die Bemerkung blieb aus. Er warf ihm einen flüchtigen Blick zu, entschied sich dann, sein Glück nicht noch mehr herauszufordern, und legte sich bäuchlings zurück ins Bett. Vincent war nur zwei Sekunden später hinter ihm.
      Seine Finger wussten noch genau, die Behandlung vom vergangenen Abend zu wiederholen. Er musste es irgendwo gelernt haben, anders war es nicht zu erklären, dass er stets genügend Druck auf Thomas' Muskeln ausübte, um die Verspannungen zu erwischen und aus ihnen hinaus zu kneten. Thomas hatte nicht gewusst, wie steif seine Rückseite tatsächlich war, bis Vincent sie erst in die Entspannung zwang. Es fühlte sich an, als würde er Knoten in seinen Muskeln lösen.
      Nach der anfänglichen Unsicherheit über seine dunklen Flecken, ließ er schließlich gänzlich locker, nachdem Vincent ihn nicht nur an jeder einzelnen Stelle mit Vorsicht berührte, sondern auch noch äußerst aufmerksam gegenüber den Reaktionen seines Körpers war. Er schloss beglückt die Augen und gab ein wohliges Brummen von sich, als Vincents Finger einen weiteren Knoten wegdrückten. Er vergaß nach einem Moment sogar das Pochen in seiner Hand, so allumfassend war die Ruhe die ihn ergriff. Wenn das war, was Vincent als nichts tun empfand, wollte er für den Rest seines Lebens nichts tun.
      Vincent hatte den Griff schnell raus, welche Stellen auf seinem Rücken die empfindlichsten waren und welche er lieber ganz mied, sodass Thomas bald nichtmal mehr von Schmerzen abgelenkt wurde. Er gab behagliche Geräusche von sich, während er in dem Bett versank als läge er auf Wolken, Vincent hinter ihm, der ihn nur immer weiter in die Federn hineindrückte.
    • Es wäre so einfach. Er würde es nicht einmal kommen sehen. Er müsste sich einfach nur ein Stück nach vorne lehnen. Er könnte Thomas mit einem Kuss in Sicherheit wiegen. Vielleicht sogar mit einem harmlosen Biss. Nur ein bisschen...
      Vincent schüttelte leicht den Kopf, um die Gedanken seiner animalischeren Seite, die ihn zum Fressen drang, zu vertreiben. Stattdessen ließ er seine Hände noch ein letztes Mal über Thomas' Wirbelsäule gleiten, bevor er von ihm herunterrutsche und sich neben ihn legte.
      "Besser?", fragte er, ein triumphales Lächeln auf den Lippen.
      Er wusste selbst wie viele Verspannungen er da gerade gelöst hatte, mal ganz von der Geräuschkulisse abgesehen, die Thomas fabriziert hatte.
      "Vielleicht sollte sich der gute Herr Doktor selbst regelmäßig Massagen verschreiben?"
      Vincent streckte sich ausgiebig, dann blieb er einfach mit allen Gliedmaßen von sich gestreckt liegen. Die Müdigkeit, die ihn des Tages überkam, kroch bereits wieder in seine Glieder, legte sich schwer auf seine Augen und seinen Verstand. Hier zu liegen war gefährlich bequem.
      "Erzähl mir von dir", murmelte Vincent. "Ich weiß, dass du Arzt bist. Dass du hier aus Cambridge kommst. Dass du kein Klavier spielen kannst. Aber was machst du, wenn du Zeit für dich hast? Was hat dich dazu gebracht, Arzt zu werden? Woher kommt dieses Wissen über Vampire?"
      Er rollte sich auf die Seite und betrachtete Thomas' Gesicht mit ehrlichem Interesse.
      "Du hast mir gerade genug erzählt, um dich als äußerst interessante Person zu präsentieren. Lüfte deine Geheimnisse. Für mich."
      Mit einem Finger folgte Vincent der Linie von Thomas' Kiefer, ignorierte den Drang, seine Hand um dessen mitgenommene Kehle zu legen.
      "Wer bist du, Thomas Van Helsing?" wisperte er.
    • Das Gefühl von seliger Zufriedenheit wuchs nur noch mehr, als Vincent in Thomas' Blickfeld auftauchte. Bildete er sich das in seiner tiefen Entspanntheit nur ein, oder wirkte der blondhaarige so viel einladender, als würde sein ganzer Körper danach schreien, von Thomas geküsst zu werden? Vielleicht tat er das. Die Massage hatte eine gewisse Gleichgültigkeit in Thomas hervorgeholt, mit der er sich kaum anderen Gedanken widmete, als den guten. Vincent war einer davon.
      "Sehr viel besser", brummte er in den Laken hinein und blinzelte träge. Vincent war wirklich verdammt hübsch, wie ein Kunstwerk, mochte man meinen. Der Erschaffer musste sein Lebenswerk hineingesteckt haben, um so etwas vollkommenes zu schaffen. Er lächelte darüber.
      "Wenn die Massagen von dir kommen, verschreibe ich mir sogar zwei täglich - nur um sicher zu gehen."
      Er beobachtete, wie Vincent sich streckte, das Zittern, das ihm durch die Muskeln dabei huschte, wie sich die Rippen unter der Brust hinweg abzeichneten. Er beobachtete auch, wie lang sein Hals wurde, wie viel länger seine Beine, wie seine Hüftknochen zum Vorschein kamen. Sein ganzer Körper wirkte wie eine Vorführung, eigens dafür einstudiert, um Thomas in ihren Bann zu ziehen. Sie erreichte ihr Ziel und schoss sogar weit darüber hinaus.
      Er streckte seine Hand nach Vincent aus und legte sie ihm auf den Bauch, ehe der andere sich zu ihm drehte und die Hand damit über die Taille hinweg auf den Rücken wanderte. Da wandte er sich selbst ihm zu und ließ seine Finger sein Rückgrat nach oben hin wandern.
      "Ich habe keine Geheimnisse - zumindest keine, die es sich zu lüften lohnt."
      Er beobachtete Vincents Lippen für einen Moment, dessen Hand verursachte ein prickelndes Gefühl in seinem Kiefer.
      "Aber wenn du es möchtest, werde ich sie dir erzählen. Ich würde dir jeden Wunsch erfüllen; naja, fast jeden Wunsch."
      Er rückte ein wenig auf, schob Vincent zurück auf den Rücken und legte sich halb auf ihn, das eine Bein zwischen Vincents, den Oberkörper an seiner Brust. Auf dem geschundenen Arm stützte er sich auf, während er die andere Hand zu Vincents Kinn führte.
      "Wir fangen mit der einfachsten Frage und der einfachsten Antwort an: Ich bin Arzt geworden, weil mich Körper faszinieren. Wie sie funktionieren, wie sie arbeiten, welches Potential sie haben. Du wärst überrascht, wozu ein menschlicher Körper in der Lage sein kann, wenn die entsprechenden Umstände vorhanden sind."
      Er setzte seinen Zeigefinger auf Vincents Kinn an und fuhr dann langsam über seinen Kiefer hinab und seinen Hals entlang zu seinem Schlüsselbein.
      "Und vielleicht wozu er nicht in der Lage ist, oder niemals sein wird. Man muss das eine wissen, um das andere einschätzen zu können, und wie könnte man besser damit beginnen, als den Körper erstmal zu kennen, seine Stärken zu wissen, seine Schwächen."
      Er glitt mit dem Finger sanft über das Schlüsselbein zur Seite und hinab zu seiner Brust. Dort begann er der Kontur der Muskeln nachzufahren.
      "Wir sind ein in sich geschlossener Kreislauf aus dem Zusammenspiel hundert einzelner Stellen. Wenn eine davon kaputt ist, muss man sie finden und ausmachen, auf welche andere Stellen sie Einfluss nimmt. Das ist grundsätzlich erstmal bei jedem gleich, aber in den Einzelheiten wieder individuell. Was bei dem einen funktioniert, tut es beim anderen nicht und umgekehrt."
      Sein Finger glitt weiter hinab zu Vincents Bauchmuskeln und ließ sich von ihnen leiten.
      "Ich erschließe, welche Verbindungen bestehen und was für Auswirkungen sie haben. Das meiste geschieht in unseren Körpern ganz ohne unser Wissen oder unser Zutun. Wusstest du zum Beispiel, dass sich in manchen Fällen die Bewegung an den Muskeln ablesen lässt, bevor man sich darüber bewusst ist, dass man diese Bewegung vollziehen will?"
      Er strich weiter zu seiner Hüfte und folgte der Umrandung seines Hüftknochens. Er ließ sich besonders viel Zeit damit, dem Knochen möglichst genau zu folgen.
      "Wenn ich nur ganz genau hinsehe, kann ich aus deinem Körper deine Gedanken herauslesen. Nicht alle natürlich - aber besonders die, von denen du nicht einmal weißt, dass sie existieren. Ganz den Umständen entsprechend, natürlich."
      Seine Hand erreichte Vincents Oberschenkel und er streichelte zärtlich darüber, einen aufmerksamen Blick auf Vincent gerichtet.
      "Je mehr ich mich damit beschäftige, desto besser kann ich diese Zeichen lesen, die mir Auskunft darüber geben, was sonst nicht ausgesprochen werden würde. Das ist sozusagen mein Lebenswerk - ein bisschen zumindest."
      Er zog die Hand wieder hoch und setzte an Vincents Schulter erneut an, diesmal aus reinem Bedürfnis, weiter über seinen Arm zu streichen. Er genoss die spürbaren Muskeln unter dessen Haut, sein Blick folgte für einen Moment seiner Hand.
      "Wie könnte ich bei so etwas nicht Arzt werden wollen?"
    • Ein Teil von Vincent wollte den Menschen dafür bestrafen, dass er ihn einfach so herumschubste. Dieser Teil wollte Thomas gegen die nächste Wand werfen, sich auf ihn stürzten und ihm die Kehle herausreißen, bevor er wieder auf die Beine kam. Ein Teil der langsam mächtiger wurde. Ein Teil, der von Thomas' Worten genauso eingelullt wurde wie auch der ganze Rest von ihm.
      Vincent lauschte dem Erben der Van Helsings stillschweigend. Er wollte ihn nicht unterbrechen, diesen wundervollen Klang. Thomas hatte noch nie so viele Worte am Stück zu ihm gesagt und Vincent würde lügen, würde er sagen, er es nicht genoss.
      Ebenso genoss er die sanften Berührungen des Mannes. Er kam nicht umhin, das Selbstvertrauen zu bewundern, dass der Mann auf einmal an den Tag legte. Ein unglaublich attraktives Selbstvertrauen, das Vincent bereits in der vergangenen Nacht hatte bewundern dürfen. Nur, dass er es diesmal am eigenen Leib erfuhr. Auch die Anziehungskraft davon konnte und würde Vincent nicht leugnen.
      Thomas' erster Satz reichte aus, um Vincent davon zu überzeugen, keine einzige Reaktion auf das, was er mit ihm anstellte, zu verschleiern. Er gab dem anderen Mann jedes instinktive Zucken, jeden überraschten Atemzug. Thomas schaffte es sogar, ihm eine leichte Gänsehaut zu entlocken, als er über seine Hüfte strich.
      "Also, wenn du es so formulierst, klingt es doch spannender, als ich es mir vorgestellt habe," gab Vincent zurück. "Für mich wäre das trotzdem nichts."
      Lächelnd stahl er sich einen kurzen Kuss von Thomas, bevor er den Kopf wieder in sein Kopfkissen fallen ließ. Zwar waren die Vorhänge hier noch zugezogen, doch sein Hunger war mittlerweile stark genug, um trotzdem ein unangenehmes Pochen in seinen Schläfen zu verursachen.
      "Beantwortest du mir auch die anderen beiden Fragen? Oder muss ich betteln?"
    • Es war eine gewisse Genugtuung Vincents Reaktionen zu beobachten, als würde er sie absichtlich zeigen, um Thomas in seiner Erklärung zu bestärken. Nicht, dass er sich jemals darüber beschwert hätte - er mochte es, wenn seine Haut unter seinen Fingern zuckte. Vielmehr war es reizend mit anzusehen und ließ ihn schmunzeln.
      "Du möchtest betteln? Das würde mir ja hinterher keiner glauben, dass ich Vincent Caley Harker zum Betteln gebracht habe. Das hört sich an, wie eine sehr schlechte und noch dazu erfundene Geschichte."
      Er rollte sich das letzte Stück auf Vincents Körper hinauf, zum einen um Zeit zu schinden, zum anderen, um die verführerische Nähe ganz auszukosten. Bei Vincent musste er zumindest keine Angst haben zu schwer zu sein, Darcy beschwerte sich immer, dass er sie zu zerquetschen versuchte.
      "Ich bin mir nicht sicher, ob dir die Antworten gefallen könnten", begann er zögernd und legte die geschundene Hand vorsichtig auf Vincents Haar ab. Jetzt war er wirklich nur noch darauf aus Zeit zu schinden.
      "Du kannst mir ja andere Fragen stellen. Ich kann dir von..."
      Ja, was gab es in seinem Leben eigentlich, das nicht in irgendeiner Weise mit Vampiren zusammenhing?
      "... meinem Studium erzählen. Dafür bin ich extra nach London gezogen."
      Er beugte sich hinab und küsste Vincent erneut. Natürlich wollte er ihm nicht von so etwas langweiligem wie seinem Studium erzählen, so ein Unsinn. Gab es wirklich nichts, was interessanter war als sein Lebensverdienst? Worüber redete er denn mit anderen Leuten, die nichts davon wussten? Meistens über ihre Sachen, nachdem Thomas selbst nicht unbedingt viel redete. Er entsprach eher dem Zuhörer, bei dem alle anderen ihren Redebedarf decken konnten.
      Bis auf Vincent, der ganz eindeutig an der Antwort selbst interessiert war. Thomas war fast schon unwohl dabei im Mittelpunkt zu stehen, aber er konnte ihn wohl nicht davon abbringen. Wenn er es vielleicht ganz schön verpackte, würde es nur halb so schlimm rüberkommen.
      "Ich interessiere mich... sehr für den Vampirismus, so weit, dass ich mich in meiner Freizeit damit beschäftige. Es hat ein bisschen mit dem natürlichen Kreislauf des Lebens zu tun, die Nahrungskette der Organismen, wenn man so will. Kleine Tiere, manche größere Tiere auch, fressen Pflanzen, Raubtiere fressen Pflanzenfresser, Menschen essen beides und Vampire ernähren sich von Menschen. Und jedes dieser Glieder muss sich gegen das nächsthöhere verteidigen, sonst würde der ganze Kreislauf in sich zusammenfallen. Die Menschen haben sich schon gegenüber den Raubtieren behauptet, damit ist die nächsthöhere Bedrohung der Vampir, gegen den wir uns verteidigen müssen. Und da das aber kein gewöhnlicher Mensch schafft, muss das von jemand erledigt werden, der... darauf spezialisiert ist. In etwa wie eine Polizei, nur auf... Vampire getrimmt."
      Er kniff die Augen zusammen. Es war doch wesentlich schwerer Vincent darin einzuweihen, als er erwartet hatte.
      "Wie viel weißt du davon überhaupt? Bevor ich dich mit meinen Erklärungen langweile."
    • Instinktiv legten sich Vincents Arme locker um den Körper des anderen Mannes. Es wäre so einfach, ihn hier festzuhalten, während er seine Zähne in Thomas' Fleisch schlug und ihn bis auf den letzten Tropfen leer saugte. Er könnte ihn auch einfach zerquetschen; so lange zudrücken, bis die Rippen des Mannes nachgaben und brachen, sich die Splitter in seine Lungen bohrten und er entweder erstickte, weil seine Lungen keinen Sauerstoff mehr halten konnten, oder aber er an seinem eigenen Blut ertrank.
      "Dein Studium, hm?" lächelte Vincent. "Du und deine furchtbaren Ausreden."
      Er würde Thomas zuhören, wenn der von dieser Zeit erzählen wollte, aber wirklich interessiert war er nicht daran, wie Thomas Stunden damit zubrachte, Bücher in sich aufzunehmen und Leichen auseinanderzunehmen.
      Doch dann begann er endlich über sein Erbe zu sprechen, zumindest ein bisschen. Es war auf jeden Fall interessanter als Thomas' Ablenkungsversuch.
      Thomas sprach über Vampire von einem sehr wissenschaftlichen Standpunkt aus. Faszinierend, bedachte man den starken Glauben des Mannes und vom Rest seiner Familie. So abwegig war es aber gar nicht. Schon Thomas' Großvater war einem ähnlich dualen Weg gefolgt. Es lag wohl an der Art, wie Vampire entstanden, die einer gewissen höheren Macht Spielraum verschaffte. Kein anderes Lebewesen entstand aus einem anderen Lebewesen. Sicher, manche waren auf andere angewiesen, aber kein einziges Lebewesen wurde von einem anderen Lebewesen zu etwas neuem gemacht. Die Beziehung von Vampir und Mensch war eine völlig einzigartige.
      "Eigentlich gar nichts. Bevor du mir davon erzählt hast, waren diese Wesen Teil von Geschichten, die ich gelesen habe, die man mir erzählt hat. Ich habe schon früh gelernt, dass es 'übernatürliche' Wesen gibt. Mein Leben war schon immer voll von Geistern. Verona... ich wusste immer, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmt und sie sagte mir, dass sie ein Vampir war zu ihren Lebzeiten, aber verstanden habe ich es nie. Immerhin ist sie nun nur ein Geist."
      Vincent zuckte ein bisschen unbeholfen mit den Schultern.
      "Das gestern... meine Reaktion... Ich gestehe, ich habe meine Zeit seit dem Ball mit der Lektüre über Vampire gefüllt. Ich habe sogar ein paar weitere Werke erst diese Woche gekauft: Polidori's Vamypre, Carmilla von Sheridan Le Fanu. Ich habe mir sogar eine dieser kleinen, billigen Penny Dreadfuls besorgt: Varney der Vampir von Rymer und Prest. Wenn rauskommt, dass ich mir sowas gekauft habe, ist mein Ruf wirklich ruiniert. Wobei ich sagen muss, dass ich mir eine hübsche Originalversion sichern konnte, die mit ihren fast 900 Seiten wirklich sehr beeindruckend in meinen Regalen wirkt, auch wenn ich nicht vorhabe, diese Geschichte neben Werke wie Paradise Lost zu stellen."
      Vincent stoppte sich und lachte leise.
      "Entschuldige. Sobald ich über Bücher spreche, werde ich zu einem Meisterredner. Bitte, fahr fort. Ich höre dir gern zu."
    • Da war es, wovor Thomas sich insgeheim gefürchtet hatte. Die Existenz von Vampiren anzuzweifeln war eine Sache, mit der Thomas noch halbwegs klar kommen konnte, nachdem kaum ein Sterblicher jemals eine Begegnung mit einem Vampir überlebte, aber sie nicht ernst zu nehmen war eine andere. Vincent berichtete zwar nur von seinen Büchern, über die sie sogar schon beim Abendessen von vor zwei Tagen geredet hatten, aber er war doch gefährlich nahe dran, sie mit dem echten Leben zu vergleichen. 'Wieso braucht es Jäger, wenn Sonnenlicht sowieso der beste Schutz ist?', würde er fragen oder er würde hinterfragen, wie es moralisch vertretbar sein konnte, ein Lebewesen, das quasi ein Mensch war, deswegen umzubringen, weil es sich ernähren wollte. Er war so knapp davor, Thomas' Berufsbild ins Lächerliche zu ziehen.
      Thomas zog die Stirn in Falten.
      "Über die Bücher hatten wir schon einmal geredet und ich bleibe dabei, dass sie kaum wahrheitsgetreu sind. Vielleicht, ja vielleicht gibt es gewisse Details, die durchaus realistisch sind, aber dass sich ein Vampir in eine Fledermaus oder eine Katze verwandeln soll, ist nun wirklich viel zu überspitzt. Und dann werden die meisten Geschichten auch noch romantisiert, als ob sich ein Vampir jemals zu einem Sterblichen hingezogen fühlen würde."
      Er schüttelte missbilligend den Kopf und zog die Hand von Vincents Haaren.
      "Vampirismus ist keine Geschichte, die sich irgendjemand ausgedacht hat, um einer Shakespeare-Tragödie noch eine gewisse Spannung zu verleihen. Wenn du lieber das hören möchtest, wirst du deine Romane lesen müssen, für Dramaturgie habe ich nämlich wenig übrig."
      Er seufzte und richtete sich ein Stück auf. Er wollte nicht wütend mit Vincent werden, ganz sicher nicht, es störte ihn selbst, wie sensibel er mit diesem Thema geworden war. Etliche gleichlautende Unterhaltungen, die gleichen Fragen und die gleiche Skepsis hatten ihn über die Jahre hinweg aufgekratzt, sodass er gar nicht mehr das Bedürfnis danach hatte, sich mit jemandem darüber zu unterhalten, der nicht selbst ein Jäger war - oder zumindest schon einmal eine Auseinandersetzung mit einem Vampir überlebt hatte. Von beidem gab es allerdings zu wenig, um damit einen ordentlichen Bekanntenkreis zu schaffen.
      "Entschuldige. Meine Hand tut weh."
      Das entsprach sogar der Wahrheit, womit es nur zum Teil eine Ausrede war. Er rollte sich von Vincent herunter, streckte allerdings den Arm nach ihm aus.
      "Komm her zu mir. Lass uns doch über irgendwas anderes reden; wieso erzählst du mir nicht von deinen Büchern, das scheint doch dein Hobby zu sein, oder nicht? Das hört sich wesentlich ertragreicher an als meins."
    • Ein wunder Punkt? Das würde sich Vincent merken.
      Er rollte sich zu Thomas rüber, in seine Arme und kuschelte sich an Thomas' nackte Brust. Er ignorierte die neuste schlechte Ausrede.
      "Thomas," begann er ruhig. "Ich versuche, deine Welt zu verstehen, indem ich mir diese Bücher kaufe. Es gibt ja wohl kaum wissenschaftliche Erläuterungen zu dem Thema, oder? Wenn doch, bitte, nenne sie mir. Mir ist bewusst, dass ein Groschenroman niemals die Realität einfangen kann. Ich wollte dich damit in keiner Weise beleidigen. Sollte ich das getan haben, tut es mir leid."
      Vincent drückte einen sanften Kuss auf Thomas Brust. Er meinte seine Worte ernst, auch wenn er wohl sehr viel mehr über Vampire wusste, als Thomas. Er hatte all diese Romane erst in den letzten Tagen gekauft und gelesen. Er hatte sich jetzt erst, nach so langer Zeit, ein Bild davon gemacht, wie die Welt seinesgleichen sah oder sehen wollte. Und auch über Thomas' Sicht auf diese Dinge wusste er nicht viel, wollte aber mehr erfahren. Das hier war echtes Interesse - etwas, das Vincent schon lange nicht mehr empfunden hatte.
      "Bücher sind nicht nur ein Hobby für mich, weißt du? Sie sind mein Beruf. Auch wenn ich genug Geld habe, um drei Lebzeiten lang nicht arbeiten zu müssen. Ich handle mit Büchern. Mit Antiquitäten, wenn man so will. Dir würden die Augen aus dem Kopf fallen, wenn du wüsstest, wie viel meine frühe Ausgabe von Paradise Lost wert ist und wie viel manch einer dafür ausgeben würde, nur um es im Schrank stehen zu haben und damit angeben zu können. Bücher zu lesen ist eher ein Hobby. Damit fülle ich einen Großteil meiner Zeit. Nur deswegen habe ich so viele Sprachen gelernt. Damit ich noch mehr Bücher lesen kann."
      Er lachte leise.
      "Das klingt sicher lächerlich. Man lernt eine Sprache, um sich mit Menschen unterhalten zu können. Und ich? Ich will einfach nur Bücher lesen, die niemand übersetzt hat. Ich habe übrigens auch ein paar sehr teure Bibeln, falls du mal einen Blick auf wahre Kunst werfen willst. Kaum zu glauben, dass ein paar Mönche sich jahrelang an einen Tisch setzen, um sowas zu schaffen. Sowas gibt es heutzutage gar nicht mehr. Niemand nimmt sich mehr die Zeit."
      Vincent hob den Blick, betrachtete Thomas aus diesem Winkel. Er strich ihm mit dem Baumen über den Kiefer, den Hals.
      "Ich nehme mir gern Zeit, die Dinge zu verstehen. Sie und die Arbeit dahinter zu bewundern. Selbst die kleinste Blume ist harte Arbeit von Mutter Natur."
    • Thomas schlang die Arme um Vincent und schmiegte ihn an sich, ignorierte seine Hand dabei und zog schließlich die Decke über sie beide. Es dauerte keine zwei Sekunden, ehe er dem anderen schon wieder verziehen hatte und ihm im Gegenzug einen Kuss auf die Stirn presste. Sein Argument entschärfte schließlich die Situation vollständig.
      "Ich werde mich nach einem Buch dafür umsehen - nach einem richtigen Buch. Ich verspreche es dir."
      Eigentlich war es gar nicht mal ein so schlechter Gedanke, den Vincent ihm in den Kopf gesetzt hatte. Es gab tatsächlich keine wissenschaftlichen Bücher über Vampirismus, oder zumindest keine, die das Thema nicht in Zusammenhang mit einem kulturellen Mythos aufgriffen, aber wenn es ein Buch geben konnte, wieso dann nicht von den Recherchen der van Helsings? Thomas selbst führte schließlich schon Buch über seine Begegnungen, sein Vater hatte erst die nötige Ordnung in das Wirrwarr gebracht, das sich die Notizen seines Großvaters schimpfte, und der hatte schließlich die meisten Forschungen angestellt. Zumindest ein inoffizielles Buch ließ sich damit zusammenflicken, das er Vincent übergeben könnte. Es würde wahrscheinlich mehr nutzen, als einem Autor zu vertrauen, der einen Vampir mit riesigen Fangzähnen darzustellen versuchte.
      Er lauschte Vincents Erläuterung seiner Bücher, wobei ihm selbst schuldbewusst klar wurde, dass er dessen Lebenswerk genauso falsch eingeschätzt hatte, wie er sich bei anderen Leuten darüber ärgern musste, dass sie es bei ihm selbst taten. Er würde selbst aufmerksamer sein. Mit Antiquitäten zu handeln war durchaus eine Beschäftigung, die auch einen höheren Nutzen hatte.
      Er zog ihn ein Stück enger an sich.
      "Das klingt keineswegs lächerlich. Ich stelle es mir sogar bequemer vor, nicht darauf warten zu müssen, dass irgendein Dolmetscher die Bücher ins Englische übersetzt und dann womöglich auch noch den Sinn entfremdet. Du musst dir ein wahnsinniges Wissen aneignen können."
      Womit er sicherlich auch für viele andere Dinge offen war, wie er andeuten mochte - aber Thomas hatte sich schon zurückgezogen. Er würde seine Wunden lecken und dann würde er es vielleicht eines Tages wieder versuchen, Vincent darin einzuweihen. Vielleicht ja, wenn er tatsächlich ein Buch darüber zusammengestellt hätte.
      "Und was liest du, wenn du denn liest? Ich kann mir kaum vorstellen, dass du deine Sprachenkenntnis nur für Romane benutzt. Andererseits hätte ich mir auch nicht vorstellen können, dass ein Antiquitäten-Sammler unter 50 und dazu auch noch hinreißend hübsch ist. Wie kommst du überhaupt auf so eine Beschäftigung?"
      Er streichelte ihm sanft über den Rücken.
    • Vincent lächelte, hob den Kopf und küsste Thomas ob des Kompliments, das er ihm gerade gemacht hatte.
      "Alles Mögliche. Romane, ja, aber auch viele Philosophen, Poesie, Theaterstücke, wissenschaftliche Texte. Ich habe eine Originalausgabe von Darwin's Entstehung der Arten. Paradise Lost habe ich ja schon mehrfach erwähnt. Was dieses Werk angeht bin ich ein Sammler. Irgendwann will ich alle verschiedenen Ausgaben mein Eigen nennen. Die Geschichte, die Milton erzählt ist so... ursprünglich schön. Hast du es mal gelesen? Ich gebe zu, die Tatsache, dass es sich dabei um ein einziges, langes Gedicht handelt, macht das ganz ein bisschen schwer zu verstehen. Ich glaube, das war meine erste, größere Anschaffung... Weiß ich gar nicht mehr. Ich bin mit einer recht großen Sammlung aufgewachsen, aber für meinen Vater waren sie nur Dekoration. Ich habe mich noch nie wirklich wohl mit Menschenmengen gefühlt, also habe ich mich oft in seiner Bibliothek versteckt. Um mir die Zeit zu vertreiben habe ich mich durch seine kostbaren Regale gelesen. Bücher waren mir schon immer bessere Gesellschaft als Menschen. Ich habe schnell selbst das Sammeln angefangen und dann, als ich ein festes Mitglied in den richtigen Kreisen war, habe ich angefangen, zu tauschen. Irgendwann habe ich dann Bücher für die Sammlungen anderer gekauft. Ich muss gestehen, dass ich schon mehr als einmal ein bisschen geflunkert habe, um mir eine hübsche Ausgabe zu beschaffen, die von ihren eigentlichen Besitzern nicht geschätzt wurde. Bücher sind zum Lesen da, nicht um als Ausstellungsstücke zu dienen. Was du mit deinen Groschenromanen machst, ist mir egal. Aber wenn du eine vollständig gebundene Ausgabe von Shakespeare hast und sie nur auspackst, um vor irgendwelchen reichen Idioten anzugeben, die noch nie im Theater waren, um sich auch wirklich ein Stück anzusehen, dann werde ich mein Bestes tun, um dieses Buch von dir zu befreien."
      Vincent verbarg sein Gesicht grinsend an Thomas' Brust.
      "So sehr habe ich noch nie darüber geredet. Ich muss klingen wie ein unglaublicher Snob. Tut mir leid, ich habe nur sehr starke Meinungen zu dem Thema."
    • Thomas schmunzelte in sich hinein. Es war außerordentlich interessant diese Seite von Vincent kennenzulernen, ein weiterer Teil dessen, was sich sonst hinter öffentlichem Tratsch und der imposanten Aufmachung des All Hallow's Eve versteckte. Er konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie Vincent in seinem Salon saß - ob nun hier oder auf Harker Heights - umgeben von seiner Sammlung und einem dicken Wälzer auf seinem Schoß, nicht etwa um des Prestige Willen, sondern um sich wahrhaftig das Wissen dieser Seiten anzueignen. Ihn überkam schon fast der Neid, sich nicht selbst eine so noble Beschäftigung ausgewählt zu haben, ganz losgelöst von sämtlichen Gesellschaften und Verbänden, nur dem eigenen Zweck zu Nutzen. Kein Wunder, dass es mehr Gerüchte über Vincent gab als normal wären: Er hatte es geschafft, sich nicht im Netz der Gesellschaft einwickeln zu lassen und das war das Resultat davon. Die Leute versuchten ihn zu locken wie eine Spinne, die darauf wartete, dass die Fliege in ihr Netz flog.
      Thomas merkte in diesem einen Moment dieser irrwitzigen Vorstellung, dass er sich wirklich und ernstlich in Vincent verliebte. Alles an diesem Mann schien zu perfekt zu sein, um ihn nicht anzuziehen. Er wollte sich schon vorstellen wie es wohl war, wochenends nicht auszugehen, sondern die Leute ihren eigenen Gedanken zu überlassen, sich stattdessen auf ein Sofa sitzen und einfach nur lesen, an Vincents Seite, der in einen nachlässigen Morgenmantel gekleidet war.
      Er schob die Hand in Vincents Haare und drückte ihn kurz, ehe er sich zu ihm hinab neigte und ihn länger küsste, als er beabsichtigt hatte. Sein Herz machte einen spürbaren Sprung.
      "Das klingt wie ein Traum, wenn du mich fragst. Du lebst sicher nach deinen eigenen Vorstellungen, oder? Das muss schön sein. Ich bewundere dich."
      Er lächelte ihn aufrichtig an.
      "Jetzt muss ich nur darauf acht geben, dass ich keine kostbaren Bände Zuhause habe, sonst räumst du mir noch meine Regale leer. Wobei, das fände ich eigentlich auch nicht schlimm. Aber auch nur, weil du es bist."
      Er drehte sich auf den Rücken und zog Vincent dabei mit sich, zumindest so weit, wie es ihm ohne seine Hand möglich war. So konnte er ihn zumindest besser umarmen und das tat er auch mit dem vollsten Genuss. Vincent fühlte sich zu gut an, um ihn loszulassen.
      "Paradise Lost sollte ich also lesen. Ich muss gestehen, das habe ich noch nie in die Hand genommen, dabei sind mir Gedichte gar nicht so unrecht. Wenn überhaupt, lese ich manchmal für Darcy eins, aber eher von Dichtern aus dem Festland."
      Er blinzelte.
      "Aber auch nur, um damit anzugeben, wie mir auffällt. Verurteile mich bloß nicht dafür, wir können es ja nicht beide schaffen, der Gesellschaft zu entgleiten. Da fällt mir ein, möchtest du noch immer zu Abend essen, wenn Stephen da ist? Ich möchte dich zu nichts zwingen, nicht, wenn du lieber in deinen Büchern stöbern würdest. Im Gegenteil, ich glaube, ich bin fast ein wenig neidisch auf dich."
    • "For solitude sometimes is best society, And short retirement urges sweet return," zitierte Vincent.
      Hier so an Thomas gekuschelt wurde es zunehmend schwerer, die Augen offen zu halten.
      "Wenn du mich ihm vorstellen willst, dann komme ich gern mit. Aber ich will dir auch nicht den Abend mit deinem Freund ruinieren, wenn du nicht oft siehst. Wie du schon sagtest: Ich kann mich hier auch gut selbst beschäftigen."
      Ein sanftes Klopfen an der Tür störte die angenehme Ruhe zwischen den beiden Männern. Vincent wusste, dass es Nora war, die sie über das fertige Mittagessen informieren wollte. Allein der Gedanke an ein normales Essen ließ Vincents Kopfschmerzen neu aufflammen. Er war hungrig und kein Lunch der Welt würde etwas daran ändern können.
      Sein Blick glitt zu Thomas Hals. Auf einmal war er sich des Armes um seinen Oberkörper mehr als bewusst.
      "Wir kommen gleich," rief Vincent, ohne dass Nora überhaupt die Tür geöffnet hatte.
      Er konnte hören, wie sie sich wieder entfernte, jeder ihrer Schritte schmerzhaft laut in seinem Kopf. Beute, die wegrannte.
      "Nora ist wohl der Meinung, wir haben genug gekuschelt," scherzte er und setzte sich auf.
      Seine Haare waren ein einziges Chaos, seine Robe saß mittlerweile so locker, dass sie ihm einfach von einer Schulter rutschte. Er lehnte sich noch einmal vor, um Thomas zu küssen, dann stand er auf, streckte sich, und richtete den Seidenstoff wieder. Selbst dieses Bisschen an Bewegung tat gut, aber es war nicht genug. Sein ganzer Körper schrie nach Gewalt, nach einer guten Jagd, nach Beute. Beute, die gleich dort lag, in seinem Bett. Bereitwillige Beute, die er sich nur nehmen musste. Es wäre so einfach. Thomas war bloß ein Mensch, was konnte er ihm schon entgegensetzen? Selbst als Jäger... er hatte keine Waffen bei sich. Er vermutete nichts. Es gab keine leichtere Beute als diesen Mann...
    • "Wir werden sehen. Es sind ja noch ein paar Tage bis dahin."
      Ein Klopfen unterbrach sie in weiterer Unterhaltung und obwohl der Besuch sich mit keinem Ton ankündigte, schien Vincent bereits zu wissen, dass es sich um Nora handeln musste. Die freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden empfand Thomas noch immer als äußerst ungewöhnlich, aber er nahm es so hin. Viel lieber besah er sich den höchst unordentlich und nachlässig wirkenden Vincent vor sich, der sich aus dem Bett kämpfte und den schlanken Körper streckte. Thomas folgte ihm nur ein paar Sekunden später, zog sich seine Robe über und lächelte ihn fast schon träumerisch an. Ihm fiel nicht auf, wie steif Vincent mittlerweile wirkte.
      Zwei Minuten später saßen sie bereits am selben Tisch wie schon vorhin, der dieses Mal allerdings mit einem wahren Festmahl eingedeckt war. Thomas bedankte sich bei Nora, die weder davon irritiert schien, dass die beiden Männer noch immer in ihren Morgenmänteln herumliefen, noch davon, dass man bei ihrem Aussehen meinen konnte, sie wären sonst einer Aktivität nachgegangen. Sie bewahrte wirklich höchst professionelles Stillschweigen, was Thomas noch immer unterschwellig erleichterte. Beth hätte wohl auch nichts gesagt, wenn er sie darum gebeten hätte, aber sie hatte einen Blick drauf, der stark genug war, um Worte zu ersetzen.
      Nur mit einer verstauchten Hand zu essen, verlief nicht unbedingt wie geplant. Thomas griff nach dem Messer, ließ es auf halbem Weg fallen und beförderte es über die Tischkante. Aus reinem Reflex griff er danach, erwischte es auch, allerdings äußerst ungelenk an der Klinge. Es folgte ein pulsierendes Pochen in seinem Handgelenk, begleitet von einem schärferen Stechen, wo die Klinge ihn an seinen Fingern geschnitten hatte. Er verzog das Gesicht und beförderte das Messer eilig zurück an den Tisch, ehe er zuerst das Handgelenk und dann den Schnitt betrachtete. Es blutete nur minimal, war dafür aber umso lästiger. Die oberflächlichen Schnitte schmerzten immer mehr als die tiefen.
      "Ah. Nora? Könnten Sie mir wohl ein neues Messer bringen? ... Und vielleicht ein Tuch?"
      Er hielt die Handfläche nach oben, damit das Blut wenigstens nirgends hin tropfen würde.