In his Thrall [Codren feat. Pumi]

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    • Vincent bäumte sich auf, als sich Thomas nur ein kleines Bisschen in ihn eindrang. Er wollte mehr, brauchte mehr. Er spürte, wie der andere Mann ihn geradezu quälend langsam Zentimeter für Zentimeter nahm. Selbst mit der richtigen Vorbereitung war Thomas groß. Vincent fühlte sich vollkommen ausgefüllt, als sich Thomas endlich völlig in ihn gesenkt hatte.
      Vincent stöhnte, warf den Kopf zurück.
      "Gott hat damit nichts zu tun...," flüsterte er mit gepresster Stimme.
      Er stützte sich mit den Ellenbogen an der Wand ab, zu zittrig waren seine Arme in diesem Augenblick. Jeder einzelne Kuss, den der Mann auf seiner schwitzigen Haut hinterließ, war so sengend heiß. Es mochte Thomas' erstes Mal auf diese Weise sein - sein erstes richtiges Mal - doch seine Stöße waren präzise, tief und befriedigend. Vincents ganzes Wesen erbebte.
      Thomas rief so intensive Gefühle in ihm hervor, dass die erste Welle der Ekstase nicht lange auf sich warten ließ.
      Instinktiv richtete sich Vincent auf und griff hinter sich in Thomas' Nacken, um den Mann enger an sich zu ziehen, auch wenn ihn das mit dem Oberkörper gegen die Wand drängte. Es war ihm egal. Alles war egal, solange dieser Mann nur nicht aufhörte. Niemals aufhörte.
      "Ich will dich sehen," keuchte er an Thomas' Wange. "Ich will sehen... was ich mit dir anstelle..."
      Er wartete nicht auf Zustimmung. Stattdessen drängte er Thomas von sich, aus sich heraus und stolperte hinüber zum Bett. Etwas weniger elegant als er vielleicht wollte, ließ sich Vincent in die angenehm kühlen Laken sinken. Er stützte sich auf seine Ellenbogen, lächelte halb charmant, halb verträumt und streckte eine Hand nach Thomas aus.
      Er sagte nichts, hatte keine Worte mehr übrig. Aber er brauchte auch keine. Sein eigener Körper erzählte genug, berichtete Thomas absolut alles, ohne Zurückhaltung. Wieder und wieder.

      Als es vorbei war, schlang Vincent die Arme um den anderen Mann, hielt ihn fest, bis sich ihre Körper wieder beruhigt hatten. Thomas' Herzschlag allein hatte eine geradezu hypnotisierende Wirkung auf ihn. Dazu noch den Duft ihrer Vereinigung zu haben ließ Vincent glauben, doch noch einen Weg ins Paradies gefunden zu haben.
      Doch alles Gute musste einmal ein Ende haben. Bis zum Sonnenaufgang war zwar noch Zeit, doch es gab Dinge, die vorher erledigt werden wollten.
      "Ich könnte die fähigen Hände eines Arztes gebrauchen", raunte Vincent, ein Lächeln auf den Lippen. "Und sein Badezimmer. Warmes Wasser."
      Er küsste Thomas' Schulter, bevor er den Mann sanft von sich herunter - und aus ihm heraus - schob, um sich aufzusetzen. Vincent hatte in seinem langen Leben schon so einiges an Dreck von seinem Körper gewaschen, aber nichts war so zufriedenstellend wie ein Bad nach wirklich gutem Sex.
      "Hilfst du mir, Thomas?", fragte er, als er aufstand.
      Sein Körper war auf die perfekteste Weise ausgelaugt und tat an genau den richtigen Stellen weh. Vincent bereute nichts, absolut gar nichts.
      Wie schon vor einer kleinen Weile streckte er die Hand nach dem Erben der Van Helsings aus, ein charmantes Lächeln im Gesicht.

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    • Thomas verschwamm förmlich in der völligen Hingabe des Moments, wenngleich es trotz seiner Bemühungen viel früher endete, als es ihm lieb gewesen wäre. Er fühlte sich wie ein Junge, der zum ersten Mal einen nackten Körper zu Gesicht bekam: Über alle Maßen berauscht und kaum in Kontrolle über sich selbst. Er würde sich erst daran gewöhnen müssen, bis er sich einigermaßen im Griff hatte, aber - bei Gott - er wollte sich nicht daran gewöhnen, als wäre es eine Tagtäglichkeit - als wäre es nichts mehr als Darcy. Er wollte für den Rest seiner Tage in den vollen Genuss dieser Momente gelangen.
      Vincent roch nach Schweiß und Sex. Der Geruch war ganz prägnant, als Thomas sich schwer auf ihn legte, allgegenwärtig als wolle er ihn einlullen. Beinahe hätte er das auch geschafft, hätte ihn in eine Traumwelt geschickt, in der er Vincent genau wie gerade eben in der Luft schweben gesehen hätte, fast wie ein einladender Engel, der ihm alle seine Wünsche zu erfüllen versprach. Nur die Stimme des echten Vincents, süß und verführerisch an seinem Ohr, holte ihn in die Gegenwart zurück, erweckte seinen Körper zu neuem Leben. Seine Haut prickelte unter Vincents Kuss, schien die Berührung in sich aufzunehmen, um sie in einem Winkel seines Gedächtnisses zu lagern und später wieder hervorholen zu können. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er sogar einen Haufen solcher Erinnerungen, die nur darauf warteten, ihm Gesellschaft zu leisten, wenn er später einschlafen würde.
      Aber noch war es nicht so weit. Noch würde er sich auf den Beinen halten, solange dieser bezaubernde, gottesähnliche Anblick von einem Mann vor ihm aufragte und ihn weiterhin mit seinen strahlenden, neckischen Augen betrachtete. Mittlerweile wäre er ihm wohl überall hin gefolgt, ganz zu schweigen von seinem Bad.
      "Sowas brauchst du gar nicht erst zu fragen."
      Er ergriff seine Hand, ließ sich hochziehen und führte ihn zum angrenzenden Badezimmer. Er besaß sogar fließendes Wasser, wodurch er nicht erst Beth bemühen musste, allerdings dauerte es immer eine Weile, um die Wanne damit zu füllen. In der Zwischenzeit begnügte er sich damit, einen Waschlappen zu nässen und ihn Vincent zu reichen, bevor er es sich anders überlegte und ihm stattdessen selbst über die Schultern, über den Nacken, über die Brust damit fuhr. Er konnte jetzt schon erkennen, wie sehr er es mochte, die kleine Spur der Wassertropfen zu verfolgen, die Vincents Haut zum Glitzern brachte. Konnte es überhaupt irgendetwas an dem Mann geben, das ihn nicht entzückt hätte?
      "Wie lange wirst du in Cambridge bleiben?", fragte er unschuldig, als er sich von dem Anblick lösen konnte und stattdessen zu Vincent aufsah. Vincents Haare waren völlig zerzaust von ihrer gemeinsamen Zeit und verliehen ihm einen gewissen wilden, unzähmbaren Eindruck, der erstaunlich gut zu seinem Wesen passte. Wenn er sich entscheiden konnte, hätte Thomas diesen Look fast der sonst ordentlichen und gebürsteten Frisur bevorzugt.
    • Vincent lehnte sich auf den Wannenrand und beobachtete, wie das Wasser langsam aber sicher anstieg. Er erinnerte sich an Zeiten, in denen ein solcher Akt mehrere Bedienstete mit Eimern voller Wasser gebraucht hatte, einen großen Kessel über einem Feuer. Heutzutage war baden ein sehr viel entspannterer Prozess und sehr viel mehr Menschen zugänglich. Manchmal erinnerte sich Vincent an diese unscheinbaren Verbesserungen des Lebens und machte sich selbst klar, was für weitreichende Auswirkungen sie hatten.
      "So lange, wie mir danach ist," antwortete er auf Thomas' Frage. "Ich muss für eine Weile nirgendwo sonst auftauchen. Allerdings werde ich immer dem Ruf eines antiken Buches folgen, sollte sich die Möglichkeit ergeben."
      Er riss sich von dem Anblick des Wassers los und stand auf, machte den Schritt hinüber zu Thomas und nahm ihm den Waschlappen ab, schließlich war er nicht der Einzige, der sich hier heute Nacht körperlich verausgabt hatte.
      "Mich wirst du erst los, wenn ich die Möglichkeit hatte, deinen Flügel zu stimmen. Nur, weil du nicht spielst, heißt das nicht, dass man sich nicht um ein solch wundervolles Instrument kümmern muss."
      Seinen kleinen Tadel unterstrich Vincent mit einem frechen Lächeln und einem kleinen Klapps auf Thomas' Hintern. Er drückte dem Mann den Waschlappen wieder in die Hand, dann stieg er in die Wanne, auch wenn diese noch nicht ganz voll war. Das warme Wasser beruhigte seine ausgelaugten Muskeln augenblicklich und Vincent konnte ein wohliges Seufzen nicht zurückhalten. Er ließ sich nach hinten sinken, legte die Arme und seinen Kopf auf den Wannenrand und schloss die Augen.
      "Nach dem, was du heute mit mir angestellt hast, weiß ich nicht, ob ich es morgen aus dem Bett schaffe," dachte er laut nach. "Ich bin ja so schon ein Nachtschwärmer. Und du... du und deine magischen Fingerchen... So ausgelaugt war ich schon lange nicht mehr."
      Vincent sah auf, griff nach Thomas' Hand.
      "Das ist übrigens ein Kompliment," schnurrte er. "Du warst heute wirklich ein guter Doktor."
    • Thomas grinste; es war die Art von Grinsen, bei der man sich gar nicht über den Drang zu lächeln bewusst war, ehe es schon zu spät war. Wenn Vincent wegen dem Flügel länger blieb, hätte er ihn sogar verschrotten lassen, um ihn zum Bleiben zu bewegen, das genaue Gegenteil dessen, was der andere mit seiner flüchtigen Anklage hätte bezwecken wollen.
      "Wenn das so ist, werde ich wohl auch in Zukunft darauf verzichten, einen Klavierstimmer kommen zu lassen. Natürlich nur, solange du in der Stadt bist."
      Die Ungezwungenheit, mit der sich beide Männer bereits untereinander verhielten, schien noch surreal, wenn auch nicht unwillkommen. Mittlerweile hatte Thomas schon einen Großteil seiner Verlegenheit abgelegt, mit der er die Nacktheit des anderen Mannes begutachtete, und Vincent schien sowieso unbekümmert darüber, dass Thomas auch jeden noch so kleinen Fleck seines Körpers mustern wollte. Er präsentierte sich ja geradezu vor ihm, wie er in die halbleere Wanne stieg und sie mit seinen unerträglich langen Beinen ausfüllte. Die Wanne schien wie dazu gemacht seinen Körper zu beherbergen, sie hatte genau die richtige Rundung, damit Vincent sich an ihr anlehnen konnte. Der Anblick seines entblößten Halses rief eine hübsche Erinnerung in Thomas hervor, an einen Moment, der vor nicht allzu vielen Minuten erst verstrichen war.
      Er lächelte und schluckte, trat dann an die Wanne heran und setzte sich auf ihren Rand. Vincent ergriff seine Hand und er drückte sie, jetzt einen offenherzig enttäuschten Ausdruck im Gesicht.
      "Zu gut, möchte ich meinen. Eigentlich wollte ich dich zum Frühstück ausführen, aber daraus wird dann wohl nichts mehr, oder? Den restlichen Tag habe ich auch keine Zeit, mittags habe ich ein paar Besorgungen in der Stadt und abends bin ich eingeladen."
      Er hielt Vincents Hand weiter fest und streichelte mit dem Daumen sanft über seine Fingerknöchel. Das Wasser in der Wanne stieg an und wippte an Vincents Hüfte.
      "Du könntest natürlich mitkommen", hob er an, nachdem er für einen Moment beobachtet hatte, wie die feinen Wellen seinen Bauch empor krochen. Eigentlich musste er sich auch selbst noch waschen, aber für den Augenblick wollte er noch den Ausblick genießen, der von seiner Sitzgelegenheit aus wirklich einwandfrei war.
      "Es ist eine offene Gesellschaft, fünf oder sechs Männer, schätze ich. Der Gastgeber ist einer meiner Patienten, er kommt schon seit einigen Jahren zu mir. Wir werden wohl trinken und pokern, hauptsächlich."
      Er ließ Vincents Hand los, um seine eigene ins Wasser zu stecken. Bei der Wärme wurde ihm selbst bewusst, wie müde er eigentlich war, und er kämpfte ein aufkommendes Gähnen herunter.
      "Ich würde es ja absagen, aber das wäre nicht höflich, zumal er mich schon vor zwei Wochen eingeladen hat, bevor ich zu deinem Fest gegangen bin."
      Er zog die Hand wieder heraus und wischte das Wasser an seinem Bein ab.
      "Aber du musst nicht. Wir können auch Sonntag frühstücken gehen."
      Das Lächeln schlich sich wieder auf sein Gesicht.
    • "Willst du am Sonntag nicht in die Kirche? Ich dachte, du bist ein gläubiger Mann?" gab Vincent schlicht zurück.
      Im nächsten Moment richtete er sich auf, schlang seine Arme um Thomas und zog den Mann zu sich in die Wanne. Er platzierte den Doktor vor sich, bevor er sich wieder zurücklehnte, Thomas Rücken an seiner Brust, Vincents Arme locker um dessen Hüften.
      "Wenn es nicht zu unhöflich ist, wenn du mich mitnimmst, komme ich gern. Aber sei gewarnt: Ich bin ein miserabler Kartenspieler."
      Er platzierte einen sanften Kuss auf Thomas' Schulter. Er musste Instinktiv eine Stelle direkt über einer größeren Vene gefunden haben, denn er konnte den kräftigen Herzschlag des Mannes an seinen Lippen spüren. Und mit einem Mal wurde Vincent bewusst, wie hungrig er war. Als sein Zahnfleisch begann, unangenehm zu pochen, lehnte er seinen Kopf wieder nach hinten auf den Wannenrand.
      "Wie wäre es damit: Nach dieser kleinen Männerrunde gehen wir zu mir und wir können Sonntag bei mir brunchen. Mein Haus ist nur ein paar Straßen von einer Kirche entfernt. Ich fröne meinem sündigen Dasein als Langschläfer, während du deinem Glauben folgst. Und dann genießen wir ein gutes Essen. Ich weiß nicht, wie dein Tagesplan aussieht, aber von mir aus können wir auch zusammen zu Mittag und zu Abend essen."
      Vincents schlang seine Arme um den Oberkörper des anderen Mannes. Er drückte ihn fest an sich, vergrub das Gesicht in den dichten Haaren von Thomas' Hinterkopf, inhalierte dessen Geruch, diesen wundervollen Duft nach Zimt, tief.
      "Es ist schon sehr lange her, dass ich mich jemandem so verbunden gefühlt habe," flüsterte er. "Ich lasse normalerweise niemanden so nahe an mich heran. Körperlich, aber noch weniger emotional. Und du... du machst Dinge mit mir, Thomas. Dinge, die ich noch nie verstanden habe."
      Sanft küsste er Thomas Nacken. Er konnte es sich nicht erklären, aber alles in ihm sehnte sich nach diesem Mann. Nach Thomas Van Helsing. Und es war nicht nur Hunger, nicht einfach nur der Instinkt eines Raubtieres. Er wollte Thomas, nicht nur einen Teil von ihm. Er wollte ihn ganz, mit Haut und Haar, mit allen Fehlern und Vorzügen. Er wollte diesen Mann, ganz und gar.
      "Ich glaube, Herr Doktor, ich habe ein Suchtproblem," raunte er.
    • Bevor Thomas noch eine passende Ausrede einfallen konnte, wurde er bereits von Vincent in die Wanne gezogen, was er sich nur allzu gern gefallen ließ. Die Wärme des Wassers mit dem Körper des anderen Mannes hatte schon fast den Charakter ihrer gemeinsamen Zeit im Bett und empfing ihn wie eine süße Liebkosung seiner Sinne. Er ließ sich gegen Vincent sinken, tiefenentspannt bis auf die letzte Faser seines Körpers, und legte den Kopf zurück auf seine Schulter. Ein samtiger Kuss auf seiner eigenen Schulter folgte, bevor auch Vincent sich wieder zurücklehnte.
      "Ich nehme dich als guten Freund mit. Und außerdem glaube ich, dass schlechte Kartenspieler beliebter sind als gute."
      Er streichelte über Vincents Oberschenkel, während er ihm lauschte; er konnte seinen Hals leicht vibrieren fühlen, wenn er seinen Kopf dagegen lehnte. Vincent fühlte sich im Wasser himmlisch weich an.
      "Ein Kirchengang würde dir auch nicht schaden bei den ganzen Sünden, die du begehst."
      Er lächelte in sich hinein, wohlwissend, dass Vincent es sowieso nicht sehen konnte.
      "Sonntagabend bin ich auch eingeladen - aber das lässt sich verschieben. Das war so eine Darcy-Sache und wenn sie nicht da ist, habe ich sogar eine Ausrede um nicht hinzugehen."
      Damit war es wohl offiziell: Ein Wochenende voll Vincent, ein einziger Traum, der ihn erwartete. Hätte er nur früher von dieser Möglichkeit gewusst, hätte er kaum so lange gewartet, um ihn zum Essen einzuladen. Eine ganze Woche hatte er ihn sitzen gelassen und nur der Allmächtige konnte gütig genug sein, um ihn für diese Frechheit nicht zu bestrafen, sondern stattdessen zu belohnen. Aber trotzdem, eine ganze Woche, in der er das alles schon hätte haben können. So eine Chance würde er sich kein zweites Mal entgehen lassen.
      Vincent drückte ihn an sich, eine so schlichte Geste, die in Thomas allerdings das Gefühl auslöste, als wäre er am richtigen Ort angekommen. Er hob den Arm über den Kopf, fuhr mit der Hand durch Vincents Haare, genoss den Kuss auf seinem Nacken. Erst dann richtete er sich auf, drehte sich zu Vincent um, stützte sich mit den Armen neben dessen Hüfte in der Wanne auf, studierte sein Gesicht. In seinem Blick lag eine Weichheit, die zu den Worten zu passen schien, die er an ihn gerichtet hatte, leise genug, dass man glauben konnte, es würde ihm schwer fallen, derartige Gedanken auszusprechen. Das war es auch, was Thomas in seinem Blick herauszulesen glaubte, wenngleich er in solchen Dingen kein wirkliches Geschick hatte.
      Er rückte ein Stück näher, schloss mit Vincents Lippen auf und bedeckte sie mit seinen eigenen, ein geradezu liebevoller Kuss, der ihn selbst überraschte. Es blieb allerdings bei einem kurzen Kuss, ehe er den Kopf ein Stück anhob und Vincent in die Augen blickte.
      "Ich hätte dich anders eingeschätzt, für jemand der sowas… immer mal wieder hat. Du hast so selbstverständlich gewirkt, vor zwei Wochen, auf deinem Fest. Aber", er hob die Hand aus dem Wasser und fuhr mit den Fingern durch Vincents Haarsträhnen, "ich denke ich weiß, wie du dich fühlen musst. Mir geht es nicht anders."
      Das Lächeln war wieder da, aber dieses mal kam es nicht überraschend, sondern vielmehr aus seiner Seele, ein Teil seiner Gefühle, der sich seinen Weg durch sein Unterbewusstsein bis zur Oberfläche erkämpft hatte. Und es fühlte sich absolut gut und richtig an.
      "Und was dein Suchtproblem betrifft, mein lieber Herr Harker", er fuhr mit der Hand Vincents Hinterkopf hinab zu seiner Wange, "so verschreibe ich eine Überdosis. Das ist kein ärztlicher Rat, sondern vielmehr eine ärztliche Anweisung."
      Er küsste ihn erneut, intensiver dieses Mal, verlangender. Vincents Geständnis hatte ihn beflügelt, zu wissen, dass er nicht der einzige war, dessen Gefühle außer Kontrolle geraten waren. Es machte die ganze Sache ein wenig leichter, ließ ihn die Gedanken zurückdrängen, dass er sich zu viel auf diese ganze Sache einbildete, dass es zu schnell voranging. Nichts konnte zu schnell sein mit Vincent, ihm war alles recht, was mit diesem Mann in Zusammenhang stand.
      Nur Darcy, die hübsche, nervige Darcy ließ sich davon nicht verdrängen. Sie bildete sich in seinem Unterbewusstsein zu einem kleinen, dunklen Geschwür, das sich dort festsaß und auf seine Seele abfärbte. Dieses Problem, das er sich selbst eingebrockt hatte, konnte er wohl nicht mit allen Worten dieser Welt lösen, wenn überhaupt dann nur mit Taten.
      Aber nicht an diesem Tag, nicht in dieser Woche, wahrscheinlich nicht in diesem Monat. Er wollte nur Vincent genießen, solange es ihm nur möglich war.

      Sie wuschen sich gegenseitig und als ihre Haut von dem Wasser schrumpelig wurde und Thomas drohte einzuschlafen - Vincent schien auch müde, aber noch nicht ganz so sehr - stiegen sie heraus, trockneten sich ab und kamen in das Schlafzimmer zurück, das noch immer dumpf nach Rosen und Sex roch. Thomas richtete das Bettlaken ein wenig, machte sich eine gedankliche Notiz davon Beth morgen die Bettwäsche auswechseln zu lassen und zog Vincent zu sich in die Laken. Eigentlich hatte er ihm das Gästezimmer herrichten wollen, aber abgesehen davon, dass er viel zu müde dafür war, wollte er davon absehen, auf eine gemeinsame Nacht mit ihm zu verzichten. Also zog er ihn an sich, Vincents Rücken an seiner Brust, und schlang den Arm um seinen Bauch. Der andere Mann roch nach Badewasser, vermischt mit dem eigenen Geruch; noch etwas, was Thomas gefiel. Er lächelte darüber ein wenig.
      "Wie lange wirst du morgen schlafen? Ich kann dir etwas zum Frühstück mitbringen - oder zum Mittagessen, je nachdem."
      Er unterdrückte ein Gähnen, indem er den Mund an Vincents Schulter drückte. Er konnte sich nichts besseres vorstellen, als mit diesem Mann im Arm einzuschlafen und das benebelte ihm bereits die Sinne.
    • "Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen Nächten, die man mit irgendjemandem verbringt und Nächten, die man mit jemandem verbringt für den man sich auch wirklich interessiert. Es stimmt: ich habe genug körperliche Begegnungen, um mit der Zahl angeben zu können - oder als verrucht zu gelten. Ein Bordel ist es zwar nicht, ich habe da doch ein bisschen mehr Geschmack, aber ich kann mich nicht beklagen. Wenn es allerdings um interessante Begleitungen geht, dann Nein. Ich habe so etwas nicht allzu oft. Ich glaube, das letzte Mal, dass ich mich wirklich für eine Person interessiert habe, und nicht nur für etwas, was mir diese Person geben kann, liegt Jahre zurück. Was meine Selbstverständlichkeit angeht... nun, ich pflege ein gutes Selbstbewusstsein und lasse mir nicht gerne sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Sehr zum Leidwesen meiner Familie. Ich habe mir sagen lassen, dass ich ein ziemlich stures Kind war."
      Vincent lächelte an Thomas' Schulter, als er sich an seine Kindermädchen erinnerte, die sich immer über seine Wildheit beschwerten. Er sah es weniger als Wildheit an, und viel mehr als Freigeist.

      Vincent kuschelte sich nur zu gern in die warmen Arme des Van Helsing Erbens. Er fühlte sich viel zu wohl in einem Haus, das einzig und allein dafür designt worden war, seinesgleichen bei lebendigem Leibe zu verbrennen, und das bewohnt wurde von einer Familie der fähigsten Jäger seinesgleichen. Er war im wahrsten Sinne des Wortes in der Höhle des Löwen und hier war er das Lamm. Und dennoch...
      "Ich weiß nicht. Ich bin von Haus aus ein ziemlicher Langschläfer. Wenn du voraussagen kannst, wann du aufwachst, ohne dass dich jemand wecken muss, applaudiere ich dir, diese Fähigkeit besitze ich nicht. Aber mache dir um mich bitte keine Sorgen. Ich bin mir sicher, Beth wird sich während deiner Abwesenheit herrschaftlich um mich kümmern. Außerdem werde ich irgendwann auch nach Hause gehen müssen. Mein Anzug ist nun wirklich nicht mehr in einem ausgehfähigen Zustand."
      Mit einem leisen Lachen drückte Vincent seine Hüften ein wenig nach hinten. Dann jedoch drehte er sich in Thomas' Armen um und lächelte ihn an.
      "Es ist schon sehr lange her, dass ich den Armen eines anderes einschlafen wollte," beichtete er, während er mit dem Daumen über Thomas' Kiefer strich. "Küss mich."
    • Thomas vergrub den Kopf in Vincents Haarschopf, die Nase an seinen Nacken gedrückt. Bei Darcy hatte er nie das Bedürfnis danach gehabt zu kuscheln, bei Vincent wollte er es gar nicht erst wagen, sich von dem anderen Mann abzuwenden.
      "Fühl dich einfach wie Zuhause - fast wie Zuhause. Ich glaube ich bin nur noch etwas... aufgewühlt von unserer Zeit, da denke ich nicht richtig mit."
      Vincent hatte ein ganz hübsches, heiteres Lachen, das sich anhörte wie in einem Traum. Entsprach es tatsächlich noch der Realität, dass er mit diesem schönen, perfekten Mann in einem Bett schlafen konnte - dass er überhaupt so intim mit ihm wurde? Natürlich war das, was sie betrieben, keine Dauerlösung, aber solange es anhielt, fühlte es sich wie der wahrhaftige Himmel an. Wenn es nach ihm ginge, würden sie den Rest ihrer Tage in diesem Bett verbringen und das echte Leben vor die Türe dieses Zimmer sperren.
      Er begegnete dem Blick Vincents heller Augen und lächelte ihn an, aufmunternd. Was auch immer dafür sorgte, dass er sich wohl sonst von seinen so zahlreichen Liebschaften distanzierte, schien jetzt ein wenig an die Oberfläche durchzuscheinen und Thomas wäre der letzte gewesen, der ihn dabei unterbrochen hätte. Es gefiel ihm zu sehen, dass der Mann, der auf Harker Heights so perfekt gewirkt hatte - der ja immer noch so rundum perfekt war - auch eine menschliche Seite hatte, eine echte Seite. Es war eine ganz andere Art von Intimität, die sich körperlich nicht erzeugen ließ.
      Er schlang die Arme fest um Vincent, drückte ihn an sich und kam seiner Aufforderung mit einem zärtlichen Kuss entgegen. Halb drehte er sich mit ihm auf den Rücken, um Vincent dazu einzuladen, sich an seine Brust zu schmiegen. Er wollte so eng mit dem Mann sein, dass ihm selbst das noch immer zu weit auseinander vorkam.
      Als der Kuss sich schließlich auflöste, fuhr er mit den Fingern durch Vincents Haare und streichelte ihn den Kopf entlang zu seiner Wange. Der Drang, ihn ständig zu berühren, war zu groß, um ihm nicht zu folgen.
      "Wenn ich könnte, würde ich hier ewig mit dir liegen bleiben", flüsterte er und strich ihm die paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.
      "Nur du und ich. Du bist rundum bezaubernd, Vincent, weißt du das? Wie kommt es, dass jemand so reizendes wie du keinen... festen Partner hat? Ich bin doch sicherlich nicht der erste, dem du so nahe kommen kannst. Hast du dich denn niemals... festlegen wollen?"
    • Vincent konnte sich ein weiteres Lachen nicht verkneifen.
      "Ein Abendessen und ein bisschen Tächtelmächtel und schon willst du über meine Verflossenen sprechen, Thomas?"
      Er legte seinen Kopf auf die Brust des Mannes, ließ seine Hand sanft über dessen Bauch streichen, zeichnete kleine Muster auf dessen weiche Haut.
      "Natürlich hatte ich schon Beziehungen, die tiefer gingen als eine oder zwei Nächte. Natürlich wurde mir schon das Herz gebrochen. Vielleicht halte ich mich deswegen zurück. Meine letzte Beziehung... sie ging nicht gut aus. Eigentlich war sie von Anfang an nicht gut. Für mich zumindest. Aber damals habe ich das nicht gesehen. Nicht sehen wollen. Als es vorbei war... Ich brauchte einfach Zeit. Also bin ich zurück zu dem Ort, an dem ich geboren wurde und habe mir ein Haus gekauft."
      Vincent wusste auch nicht, warum er auf einmal aus dem Nähkästchen plauderte. Normalerweise war er sehr viel besser darin, seine Geheimnisse für sich zu behalten. Aber bei Thomas fühlte er sich einfach so sicher, dass er seine Wände nicht nur öffnete, sondern geradezu niederriss.
      "Ich nehme mal nicht an, dass du große Erfahrungen in der Liebe hast?"
      Er richtete sich ein bisschen auf, stützte sich auf seinen Ellenbogen, um Thomas in das hübsche Gesicht schauen zu können. Ihm gefiel der Gedanke, der Erste dieses Mannes zu sein, noch immer, auch nach über einer Woche, die nun schon vergangen war. Diese Tatsache rüttelte an etwas elementarem in ihm, einem sehr ursprünglichen Teil.
      "Glaube nicht, dass mich deine Unerfahrenheit abschreckt, Thomas. Es ist schwer, sich selbst zu finden in einer Welt, die so viel Wert auf Falschheit legt. Wenn du mich lässt, dann helfe ich dir, all das zu finden, was die Gesellschaft wohl Abgründe nennen würde."
      Vincent beugte sich vor und stahl sich einen weiteren, flüchtigen Kuss, bevor er sich wieder hinlegte, sein Kopf auf Thomas' Brust, genau über dessen Herzen.
      "Vielleicht kannst du mir ja auch mit meinen helfen...", murmelte er, bevor er die Augen schloss.
      Der Sonnenaufgang nahte, er konnte es fühlen. Vielleicht sollte er nervöser sein, in diesem Haus zu schlafen, während die Sonne hoch am Himmel stand. Vielleicht sollte er nervöser sein, im Heim eines Van Helsing zu schlafen. Aber das war er nicht. Thomas würde ihm nichts tun, selbst wenn er von diesem Abgrund Vincents erfahren sollte. Ihrer beider Leben waren bereits zu verstrickt für so etwas. Thomas war kein gnadenloser Killer. Er würde es nichts übers Herz bringen. Genauso wenig wie Vincent es übers Herz brachte, Thomas wehzutun.
      Vincent gab sich der übernatürlichen Müdigkeit mit dieser Gewissheit hin und mit dem Aufgehen der Sonne versank er in tiefem Schlaf.



      Er erwachte kurz nach Mittag. Warum, wusste er nicht. Doch er schlug die Augen auf und wusste sofort, dass die Sonne noch hoch am Himmel stand. Er brauchte einige Minuten um die Müdigkeit weit genug abzuschütteln, um sich überhaupt erst aufsetzen zu können. Er hasste es, tagsüber wach sein zu müssen. Aber jetzt, wo er schonmal wach war, konnte er das auch nutzen.
      Die Vorhänge waren glücklicherweise zugezogen, also konnte er sich relativ frei durch das Schlafzimmer bewegen. Thomas' Schlafzimmer, das so sehr nach ihm roch. Vincent grinste wie ein kleiner Junge, dem man Schokolade gekauft hatte.
      Er suchte sich eine Morgenrobe, bevor er das Schlafzimmer mit seinen eigenen Klamotten in den Händen verließ. Dank dem hohen Stand der Sonne schien aktuell nur indirekt Licht in das Haus, sodass Vincent nur ein bisschen herumtänzeln musste, um sich nicht zu verbrennen. Seine Augen tränten trotzdem, als er das Gästezimmer fand. Er huschte hinein, warf seine Kleidung achtlos auf einen Sessel und widerstand dem Drang, sich einfach wieder ins Bett zu werfen, als er es so verunstaltete, als hätte jemand darin geschlafen. Dann öffnete er die Tür wieder und rief nach Beth.
      Die fleißige, freundliche Haushälterin eilte sofort heran, auch wenn sie einen Moment brauchte, um das große Haus zu durchqueren.
      "Ach, hallo. Ich muss mich für meinen Aufzug entschuldigen," grüßte er Beth. "Wären Sie wohl so freundlich, eine Nachricht an meinen Hausstand zu schicken? Dann muss ich Sie nicht den ganzen Tag in einer Morgenrobe belästigen."
      Beth nickte lächelnd und bot ihm sogar etwas zu essen an, doch Vincent lehnte dankend ab und fragte nur nach einem starken Tee. Beth machte sich sofort an die Arbeit. Sie vergaß darüber beinahe, die Notiz mitzunehmen, die Vincent ihr reichte.

      Etwa eine Stunde später hörte Vincent, wie die Tür zum Haus geöffnet wurde und sich Nora mit Beth bekannt machte. Die beiden Frauen kamen hoch zum Gästezimmer. Nora, in ihrer Rolle als perfekte Haushälterin, reichte Vincent als erstes einen neuen Anzug durch die halb geöffnete Tür und wartete mit Beth darauf, dass sich ihr Arbeitgeber angezogen hatte.
      "Du bist eine absolute Lebensretterin, Nora. Wie habe ich nur ohne dich überlebt?"
      "Schlechter angezogen und mit weniger gutem Essen," gab Nora schlicht zurück, als sie das Zimmer betrat und Vincents abgelegte Kleidung einsammelte.
      Beth schien verdutzt angesichts des entspannten Umgangstons der beiden.
      "Beth! Vielen Dank noch einmal für den Tee. Thomas und ich sind für heute Abend für eine Männerrunde verabredet, aber ich fürchte, er hat meine hiesige Adresse gar nicht und ich weiß nicht, wo ich für besagte Runde hin müsste. Könnte sie ihm meine Adresse geben, wenn wieder da ist?"
      "Aber selbstverständlich, Lord Harker."
      "Bitte. Vincent. Lord Harker klingt doch viel zu aufgedunsen."
      Die ältere Dame reagierte genauso wie alle, die eine Stelle in Vincents Haushalt antraten. Niemand sprach den eigenen Hausherren einfach mit dem Vornamen an. Oder gar einen Gast des eigenen Hausherren.
      "Ich bringe Sie beide noch zur Tür," schloss Beth, um sich von ihren eigenen Überlegungen abzulenken.
      Vincent nickte lächelnd und ließ Nora den Vortritt. Draußen wartete eine Kutsche auf sie beide. Der Kutscher öffnete die Tür, sobald er Nora aus der Tür kommen sah. Vincent blieb stehen und wandte sich noch einmal an Beth, schüttelte ihr die Hand und verabschiedete sich überschwänglich, um ein bisschen Zeit zu schinden. Und dann huschte er mit schnellen, langen Schritten von der Tür zu seiner Kutsche. Nora schloss die Tür, der Kutscher setzte auf und schon machten sie sich auf den Weg zurück zu Vincents Stadthaus.
      "Du musst mich nicht so ansehen, Nora, ich weiß dass es eine blöde Idee war, im Van Helsing Anwesen zu schlafen."
      "Das Haus ist eine Todesfalle für dich."
      "Ich weiß. Und doch sitze ich hier, so lebendig wie ich nur sein kann."
      "Wie geht's deinem Nacken."
      Nora kannte ihn zu gut. Er hatte den Kopf unten gehalten, um nicht vom Sonnenlicht geblendet zu werden und mehrere Tage auf sein Augenlicht zu warten, also hatte sein Nacken das meiste Licht abbekommen. Die Haut zwischen seinem Haaransatz und dem Kragen seines Hemdes war stark gerötet und jede Bewegung seines Kopfes erinnerte Vincent an seine Lichtempfindlichkeit.
      "Ich nehme an, du hast Hunger?"
      Vincent nickte und lehnte sich zurück gegen die Kutschwand, die Augen geschlossen. Er war vor allem müde, aber er konnte seinen Hunger nicht verneinen. Es hatte Konsequenzen, wenn er das tat.
      "Ich nehme außerdem an, dass du dich weigern wirst, dich an mir zu nähren."
      "Kein Menschenblut. Du kennst meine Regeln."
      "Natürlich. Ich mache dir zuhause gleich ein Glas."
      "Danke."
      Den Rest der Kutschfahrt verschlief er. Nora weckte ihn auf, mit einem großen, dunklen Sonnenschirm in der Hand. Sie eskortierte ihn sicher in sein Haus, wo sie sich in die Küche verzog und Vincent auf direktem Wege zu seinem Schlafzimmer schlurfte. Nora war schnell genug, sodass er nicht noch ein drittes Mal aufwachen musste. Sie nahm das Glas gleich wieder mit, und kaum war Vincent allein, obsiegte auch schon wieder seine Müdigkeit.
    • Thomas hörte Vincent schweigend zu, während er mit den Fingern weiterhin durch seine Haare kämmte. Er versuchte sich vorzustellen, wie Vincent mit einem anderen Mann im Bett lag, in der gleichen Position wie sie beide und ihm die Dinge erzählte, die er ihm gerade zu erzählen versuchte, und das war eine sehr schleierhafte Vorstellung. Er kannte den Mann kaum genug, um sich ein Bild darüber machen zu können, wie er wohl sonst mit Leuten in seiner Umgebung umging oder nach welchen Kriterien er sich seine Partner aussuchte. Ganz anscheinend schien ihm ja etwas an Thomas zu gefallen, vielleicht sah sein früherer Mann ja ähnlich aus? Oder er hatte dieselbe Weltanschauung? Es war wirklich schwierig zu sagen, allerdings vermerkte er sich, was Vincent ihm erzählte, um sich eines Tages ein besseres Bild daraus machen zu können. Bis dahin begnügte er sich mit seiner Unwissenheit und ließ den anderen reden, bis er das Gefühl hatte, dass er alles wichtige gesagt hatte.
      "Das hört sich nach einer unangenehmen Beziehung an."
      Die streichelnde Hand verschwand von seinem Bauch und stattdessen beobachtete er, wie Vincent sich über ihm ein wenig aufrichtete. In seinen Augen glitzerte es, wenigstens das war etwas, was Thomas mittlerweile schon einigermaßen bekannt war.
      "Ich würde meine Erfahrungen nicht unbedingt mit Liebe betiteln", bestätigte er und kam sich fast schon töricht vor, dass er ein solches Geständnis abgelegt hatte - als wären die ganzen Mühen in seinem Leben, sein Gehirn darin zu trainieren Frauen attraktiv zu finden, letzten Endes vollkommen wertlos gewesen. Sicher, er brauchte eine Frau an seiner Seite, um nicht in unschönen Gerüchten schwimmen zu müssen wie Vincent es tat, aber es war eine Sache eine Frau zu heiraten und eine andere, auch zu dieser Frau zu stehen. Und der Allmächtige selbst wusste, dass er sich wirklich absolut Mühe dabei gegeben hatte, zu seinen Frauen zu stehen.
      Als hätte Vincent seine Gedanken gelesen, sprach er aus, was Thomas selbst nicht hätte in Worte fassen können. Sie küssten sich, als hätten sie damit eine Abmachung besiegelt und Thomas fühlte sich ein Stück weit erleichtert darüber, für die Gedanken in seinem Unterbewusstsein einen Ausdruck gefunden zu haben: Die Falschheit der Gesellschaft. Er hatte es doch selbst schon geahnt, oder etwa nicht? Als würde sich die Welt einzig und allein nur davon bewegen, wenn man so viele Lügen wir nur möglich an einem Abend auftischte. Ein Wettrennen, um der Wahrheit zu entgehen.
      "Wir können uns nicht ganz der "sündigen" Seite zuwenden, ohne dabei Rufmord zu begehen, aber wir können zumindest so weit gehen, um uns ein angenehmes Leben zu bescheren. Ein schönes Leben. Ich hätte nicht die Chance dazu gehabt, wenn du nicht gewesen wärst, Vincent."
      Er hatte wieder angefangen seinen Kopf zu streicheln und nachdem Vincent für den Moment ebenso still war, tat er es weiter, während er an die dunkle Zimmerdecke starrte. Ja, wenn Vincent nicht gewesen wäre, würde er alleine in seinem Büro sitzen und die Tage zählen, bis Darcy wiederkam und seinem Leben wieder ein Ziel verlieh. Wenn Vincent nicht gewesen wäre, wäre bereits vieles in den letzten beiden Wochen anders verlaufen. Dann würde auch jetzt alles weiterhin anders verlaufen.
      Er blickte hinab auf Vincent, der schon seit einer ganzen Weile nichts mehr sagte und schob seinen Kopf ein Stück nach oben. Vincent war eingeschlafen, das Gesicht völlig entspannt, der Mund leicht geöffnet. Thomas spürte bei dem Anblick eine Wärme aus seinem tiefen Inneren aufsteigen, eine Glückseligkeit, die ihn völlig ausfüllte. Er strich mit den Fingern vorsichtig Vincents Kiefer entlang, achtsam ihn dabei nicht zu wecken, und schlang dann schließlich beide Arme wieder um ihn. Behutsam hielt er ihn fest, glücklich über diesen friedvollen Moment, ehe auch er langsam abdriftete. Im Gegensatz zu Vincent brauchte er einen Moment länger, bis er in einen friedvollen, ruhigen Schlaf versunken war.

      Vincent schlief auch noch, als Thomas am Morgen - müde und wie gerädert - aufstand und sich anzog. Er hatte einen zaghaften Versuch gemacht den Mann zu wecken, indem er sich an ihn geschmiegt und seine Schläfe geküsst hatte, allerdings hatte er dann doch wieder aufgegeben und sich stattdessen leise aus dem Bett gestohlen. Sollte er doch schlafen, wenigstens würde dann einer von ihnen einigermaßen ausgeruht sein. Als er rausging, drehte er sich allerdings nochmal um, zog die Decke um Vincents Körper ein wenig zurecht und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. Dann ging er nach draußen und schloss die Tür leise hinter sich.

      Er ging als erstes seine Post durch, bei der es, bis auf ein Schreiben von Stephen, nichts Aufregendes zu finden gab. Manchmal erhielt er wunschgemäß ominöse Berichte seiner Bekannten über merkwürdiges Verschwinden oder ungeklärte Todesfälle, aber an diesem Tag waren es nur ein paar Höflichkeitsschreiben und eben Stephen. Er überflog den Zettel seines Freundes, in dem es hieß, dass er demnächst in Cambridge vorbeisehen würde; er habe etwas geschäftliches in London zu klären und wenn er schon einmal da war, könnten sie ja über den gescheiterten Vorfall mit Harker Heights reden und bei der Gelegenheit vielleicht nach einem neuen Ziel suchen. Thomas war es nicht unrecht, seinen Freund bei sich zu empfangen, allerdings würde er das Thema Harker Heights gerne auf sich beruhen lassen, nachdem der Hausherr nicht nur kein Vampir war, sondern auch noch in seinem Bett lag. Es wäre irgendwie schwierig gewesen die Sache zu erklären, zumal Stephen in seinen Jagden skrupelloser vorging als Thomas es tat. Er würde in Erklärungsnot darüber geraten, wie er den Mann so freundschaftlich bei sich aufnehmen konnte, wenn er noch nicht einmal alle Tests durchgeführt hatte. Es war das einzige Thema in seiner Freundschaft mit Stephen, bei der sie ein wenig auseinander gingen.
      Aber damit würde er sich erst zu geeignetem Moment beschäftigen. Er hatte das Gefühl, an diesem Tag schon viel zu spät aus dem Haus zu kommen und wollte sich nicht weiter mit solchen Belanglosigkeiten aufhalten.
      Auf dem Weg nach draußen unterrichtete er Beth davon, dass Vincent noch schliefe und nicht gestört werden solle. Am besten ginge sie gar nicht erst nach oben, sein Schlafzimmer könne sie auch später noch richten. Seine Angst, sie könnte den Mann in seinem Bett finden, war zu groß, um ein solches Risiko einzugehen. Aber Beth hinterfragte es gar nicht erst, sondern fragte, was Vincent gerne zum Aufstehen essen wolle.
      "Keine Ahnung. Eier und Speck?"
      "Rührei oder Spiegelei?"
      "Mach ihm einfach irgendwas. Solange ich weg bin ist er der Hausherr."
      Beth kicherte.
      "Na schön, Mister. Sonst noch Wünsche?"
      "Nein. Ich übernachte heute Abend bei einem Freund, rechne also vor morgen... oder übermorgen nicht mit mir."
      "Gut, gut."
      Er schnappte sich seinen Hut und ging hinaus, um seine Erledigungen zu machen.

      Gegen Abend fuhr er mit der Kutsche bei der Adresse vor, die ihm Vincent hinterlassen hatte, einem kleinen, unscheinbar wirkendem Haus in der Stadt, das wenig von dem Pomp des Anwesens auf Harker Heights in sich hatte. Trotzdem, zwei Häuser zu besitzen war wohl ein Prestige, das sich noch nicht einmal Thomas leisten konnte - zumindest nicht, wenn die Häuser auch einen gewissen Standard haben sollten.
      Er stieg selbst aus um Vincent abzuholen, beschritt den kurzen Weg zur Eingangstür, wo zu seiner Überraschung nach kurzem Klopfen die Haushälterin aus Harker Heights öffnete. Er hatte ihren Namen vergessen.
      "Oh - sind Sie nicht auf Harker Heights angestellt?"
      Er schüttelte gleich darauf den Kopf.
      "Verzeihung, wie unhöflich von mir. Van Helsing, ich würde gerne den Hausherren abholen. Ich erkenne Sie von dem Fest, ich hätte nicht gedacht, dass der Lord sie mit nach Cambridge gebracht hätte."
      Er spielte sein mechanisch-freundliches Lächeln auf die Lippen, während ihm in den Sinn kam, dass er ja noch nicht einmal mit Vincents Angestellten geredet hatte, als er seine Nachforschungen über ihn angestellt hatte. Stephens angekündigte Ankunft schien ihm noch immer im Gehirn herumzuspuken, andernfalls wäre ihm das gar nicht so plötzlich in den Sinn gekommen. Vielleicht war Vincent ja bis dahin mit seinem Hausstand schon wieder weg, sonst würde Stephen wahrscheinlich darauf bestehen, die Nachforschungen noch einmal aufzunehmen - und wie sollte er das nur Vincent erklären? Er runzelte die Stirn. Vielleicht würde sich ja alles sowieso von alleine lösen.
    • Nora trat beiseite, als sie das bekannte Gesicht des Van Helsing Erben erblickte, und ließ ihn hinein. Vincents Stadthaus war, verglichen mit Harker Heights, nichts besonderes. Die beiden Stockwerke waren hübsch und passend möbliert, auch hier standen und lagen überall Bücher herum. Die Eingangshalle nahm einen großen Teil des Erdgeschosses ein und war von Vincent mit Stücken aus der ganzen Welt gefüllt worden. Der Raum erinnerte ein wenig an ein Museum mit seinen Vasen und Statuen, die auf Sockeln zu beiden Seiten glänzten. Links öffnete sich der Raum in einen Salon, der von Vincent offenkundig auch als Bibliothek genutzt wurde, wenn man sich die deckenhohen, vollgestopften Bücherregale so ansah.
      Und genau dorthin führte Nora nun den Gast ihres Arbeitsgebers.
      "Wünschen Sie etwas zu trinken, während Sie warten, Doktor?" fragte sie höflich.
      Auch die Haushälterin, die Vincent so nahe stand, dass sie die meisten seiner Geheimnisse kannte, war geübt in aufgesetzter Höflichkeit. Immerhin verdiente sie damit ihren Lebensunterhalt.
      "Nora?" schallte es aus einem entfernten Teil des Hauses. "Ist das Thomas?"
      Mit einem freundlichen, nichtssagenden Lächeln machte Nora ein paar Schritte rückwärts, bis sie an der offenen Schiebetür ankam, die das Foyer von dem Salon trennen konnte, wenn man sie denn schloss.
      "Ja. Ich habe ihm gerade etwas zu trinken angeboten," rief die Haushälterin zurück.
      "Das kann er hier oben machen, ich brauche seine Hilfe. Thomas?"
      Nora bedeutete Thomas, ihr erneut zu folgen. Sie führte ihn lediglich zurück in die Eingangshalle und zu der Treppe im hinteren Teil des Raumes. Sie bedeutete ihm, nach oben zu gehen und sobald er den ersten Fuß auf die Stufen gesetzt hatte, verschwand sie, um das ungefragte Getränk zu besorgen.
      Am oberen Ende der Treppe wartete ein kurzer Flur und drei Türen. Eine davon stand speerangelweit offen und enthüllte den Blick auf ein großzügiges Schlafzimmer, das von einem großen Bett mit vier massiven Pfosten dominiert wurde. Auch hier hatte Vincents Bett ein eigenes Set Vorhänge. Aktuell waren diese an die Pfosten gebunden und Vincent stand vor besagtem Bett. Er trug bloß seine Morgenrobe, die ein bisschen zu locker um die Hüfte gebunden war, sodass sie seine Brust eher schlecht als recht bedeckte. Vor ihm auf dem frisch gemachten Bett lagen drei Anzüge, die er anstarrte, als wolle er ihre Verbrechen hören.
      "Thomas, komm her."
      Vincent kam herüber zu dem Doktor, schnappte sich dessen Hand und zog ihn mit sich, als er erneut Position vor den Anzügen bezog.
      "Welchen soll ich anziehen? Ich kann mich einfach nicht entscheiden."
    • Das Haus von Vincent entsprach geradezu provokant dem eines Sammlers, der seine Kunststücke über die eigene Lebensqualität stellte. Der wenige Platz, den andere mit zusätzlichen Ziermöbeln bedeckt hätten, wurde hier von einer regelrechten Museumsausstellung gefüllt. Die Stücke schienen zweifellos wertvoll und in Thomas' ungeschultem Auge einzigartig zu sein, auch wenn er das nicht anhand von Fakten beurteilen konnte.
      Er hätte sich gern den Moment genommen, um sich ein paar der Kunststücke genauer anzusehen, würde sich aber ohne Aufforderung nicht alleine in dem ihm unbekannten Haus aufhalten, also folgte er Nora bereitwillig und ließ sich in den angrenzenden Salon führen. Zumindest der hatte einen gewissen Flair von Harker Heights, nur auf geringeren Raum gestaucht und daher deutlich befüllter mit seinen Büchern. Thomas steuerte sogleich das ihm nächste Regal an, um nicht zu weit in den Raum hinein zu wandern, und betrachtete kurz die Einbände. Nora warf er einen flüchtigen Blick zu.
      "Nur ein Wasser, bitte. Ich denke ich werde heute noch genug trinken."
      Gleich darauf erklang schon Vincents Stimme von oben, unverkennbar für Thomas, der den süßen Klang überall hätte herausfiltern können. Er musste sich davon abbringen, mit allzu viel Hoffnung aufzusehen, um sich nicht selbst zu verraten. Zu seinem Glück schien Nora nichts zu bemerken, oder sie bewahrte ihre Professionalität bei. Er lenkte seinen Blick auf die Bücher zurück und las ein paar Titel, bevor er sich wieder Nora zuwandte und sich von ihr zurückführen ließ. Bei der Treppe beschritt er den letzten Weg alleine.
      Er kam in ein ähnlich großzügiges Schlafzimmer wie sein eigenes, wenngleich Vincents Bett sein eigenes bei weitem übertrumpfte. Es bot einen erstaunlichen Anblick, als könne man sich in einen Haufen Wolken hineinlegen.
      Vincent selbst war noch in seinen Morgenmantel gekleidet, der äußerst locker um seine Hüfte saß. Thomas begann den unverzeihlichen Fehler erst seinen Körper zu betrachten, bevor er ihm in die Augen sah. Wenn sie zusammen in die Öffentlichkeit wollten, durfte er sich sowas nicht erlauben; allerdings hatte es etwas anziehendes, Vincent ohne einen Anzug zu sehen, dem Thomas sich nicht entziehen konnte, so als hätte Vincent eine gewisse sittliche Distanziertheit vor ihm abgelegt. Der Morgenmantel war - egal wie modern der Anzug sein mochte - auf allen denkbaren Ebenen intimer.
      Vincent überbrückte die Distanz von sich aus und zog Thomas zum Bett, das mit drei Anzügen bedeckt war. Er starrte die Anzüge für einen Moment an.
      "Himmel Vincent, du kannst dich nicht entscheiden? Das sind alles erstklassige Anzüge, feinster Stoff, da gibt es nicht viel zu entscheiden. Ich würde ja nach der Farbe gehen, aber die stehen dir alle drei."
      Er sah von den Anzügen zu Vincent und drehte sich kurz zur Tür um, entschied sich aber dazu, dass es für Intimität zu riskant wäre. Also drehte er sich wieder zu den Anzügen, ergriff den Ärmel des einen und drehte ihn um, um die Manschetten zu betrachten.
      "Kommt ganz darauf an, was für einen Eindruck du machen willst, schätze ich. Der hier ist ja sehr schön, aber mit der zweifach Knöpfung ist er fast zu informell. Wenn du die Leute gekannt hättest, hätte es gepasst - ich trage ja selbst einen - aber für das erste Mal würde ich dir eher zu dreifach raten, wie der hier."
      Er deutete auf den nächsten.
      "Aber da funkeln die Knöpfe ein wenig zu sehr, das gibt dir den Flair eines Geschäftsmanns. Außerdem gehen wir nicht essen, sondern nur trinken. Und der hier wirkt zu neutral, der wird nicht in die Runde passen."
      Er schob die Hand in die Hosentasche.
      "Ich schätze jetzt weiß ich, wieso du dich schwer tust. Das ist wirklich eine schwierige Auswahl."
      Er musterte Vincent kurz verstohlen und musste grinsen.
      "Wobei ich finde, dass dein jetziger Anzug dir am besten steht."
      Er widerstand dem Drang Vincent zu berühren, nachdem er noch immer mit einem Ohr nach den Bediensteten lauschte. Von Beth wusste er, dass sie ihn nicht behelligte, wenn er nicht danach wünschte, aber bei Vincent konnte es andere Regeln geben. Ihm war nicht danach ein Risiko einzugehen.
      "Was hältst du von dem formelleren? Zumindest passt er farblich zu meinem und bei dem Jackett kannst du kaum etwas falsch machen."
    • Vincent seufzte entnervt.
      "Du bist wirklich nicht gerade hilfreich, Herr Doktor," sagte er und ließ seinen Kopf auf Thomas Schulter sinken.
      Die Frage nach dem passenden Anzug quälte ihn schon seit etwa einer Stunde. Vincent war aus dem Bett gerollt, kaum dass die Sonne sich dem Horizont zugeneigt hatte und nach einem Frühstück - oder Abendessen - in Form eines Glases ekelerregenden Schweineblutes hatte er sich gleich daran gemacht, sich auf seine Verabredung mit Thomas zu verabreden.
      "Informell aber nicht zu sehr. Auch nicht zu formell. Das ist genau der Grund, warum ich solche Veranstaltungen normalerweise meide. Bei meinem Ball kann ich mir wenigstens was pompöses aus dem Kleiderschrank ziehen ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Pompös kann ich."
      Mit einem weiteren Seufzen schnappte er sich alle drei der Anzüge auf seinem Bett und marschierte mit ihnen zurück zu seinem Kleiderschrank. Er warf die Kleidungsstücke einfach achtlos hinein, dann griff er sich zwei weitere Anzüge, die sowohl der Anzahl der Knöpfe entsprachen, die Thomas als gut befunden hatte, als auch farblich zu seinem Anzug passten. Er hielt sie beide hoch, einen fragenden Ausdruck im Gesicht.
      Kurz darauf kam Nora in das Zimmer und stellte ein einfaches Glas Wasser auf einen Beistelltisch neben einem kleinen Sessel ab.
      "Ihr Wasser, Sir," sagte sie zu Thomas, dann verschwand sie gleich wieder.
      Vincent starrte unterdessen abwechselnd seine Anzüge an. Er konnte sich einfach nicht entscheiden.
      "Wie viele Leute werden an dieser Veranstaltung teilnehmen?" fragte er beiläufig, aber interessiert, als er die beiden Anzüge über die Sessellehne legte.
      Er öffnete den schwachen Knoten an seiner Robe und ließ die teure Seide zu Boden gleiten. Er wusste vielleicht nicht, was er mit seiner Kleidung anfangen sollte, aber er wusste ganz genau, wie er Thomas in den Wahnsinn treiben konnte: natürlich trug er unter der Robe nichts.
      "Ich glaube, ich nehme den dunkelgrauen. Oder?"
      Er hielt sich den Anzug gegen die Brust und drehte sich damit zu Thomas um, um dessen Meinung zu erfragen. Den leicht beschleunigten Herzschlag des Mannes konnte er durch den ganzen Raum wahrnehmen. Nur mit Mühe konnte Vincent ein triumphales Grinsen unterdrücken.
    • Thomas versteifte sich ein wenig, als Vincent sich so vertrauensselig an ihn lehnte. Ein weiterer kurzer Blick zur Tür bestätigte ihm allerdings, dass sie noch immer alleine waren, also versuchte er sich nichts anmerken zu lassen.
      "Im Grunde kannst du anziehen, was auch immer du möchtest. Wir gehen ja auf keine Veranstaltung, sondern nur in eine private Runde. Aber wenn du mich danach fragst, achte ich auf sowas."
      Er musste lächeln.
      "Wobei du pompös wirklich kannst. Beim nächsten Mal lade ich zu einem dieser Schlossbälle ein, da wirst du dich wohl fühlen."
      Er beobachtete, wie Vincent zurück zu seinem Kleiderschrank schlurfte und sich der nächsten paar Teile widmete. Die Dramatik, mit der er sich diesem Problem widmete, brachte Thomas nur weiter zum Grinsen. In dieser Hinsicht war er wohl auch unter einem unsichtbaren Druck, der sich in diesem Fall durch Thomas äußerte.
      "Beim linken finde ich das Jackett ein wenig lang, das hätte vermutlich besser gepasst, wenn wir ins Theater gegangen wären. Der rechte ist doch ganz passabel - aber vielleicht ein anderes Hemd dazu...?"
      Er sah zu Nora, als sie hereinkam und verstummte, während sie das Wasser abstellte.
      "Danke, Nora."
      Als sie wieder weg war, wandte er seine Aufmerksamkeit erneut auf Vincent. Es war schon süß, was für ein Problem er in diesem eigentlich entspannten Abend sah. Fast tat es ihm leid, Vincent dazu eingeladen zu haben.
      "Fünf sind eingeladen, aber es werden vermutlich auch andere Gäste mitgebracht werden, also vielleicht... maximal 10, schätze ich. Andernfalls wird das Kartenspielen schwierig."
      Er verstummte gleich wieder, als er die Robe zu Boden gleiten sah. Für einen kurzen Moment war sein Gehirn noch rational genug, um eine gewisse Neutralität zu bewirken, dann wanderte sein Blick an Vincent entlang nach oben und um seine Neutralität war es geschehen - außerdem um seine Selbstbeherrschung. Die Kurven von Vincents Körper hatten etwas hypnotisierendes, als könnten sie ihn mit ihrer schieren Anwesenheit in ihren Bann ziehen. Sein eigener Anzug schien ihm mit einem Mal furchtbar eng.
      Er rettete sich zu dem Glas Wasser auf dem Tisch und lenkte seinen Körper damit ab es zu trinken. Als er Vincent einen flüchtigen Blick zuwarf, schien er auf etwas zu warten.
      "Oh - äh, ja. ...Was war nochmal die Frage?"
      Er konnte immer noch Vincents Hüfte an der Seite herausragen sehen, wo der Anzug an seiner Brust verrutscht war. Jetzt war ihm auch noch über alle Maßen heiß.
      "Himmel, Vincent, nimm doch einfach irgendeinen, es wird schon nicht so schlimm sein. Aber zieh dich an, in Herrgottsnamen."
      Er sah nervös zur Zimmertür, aus der er erwartete jeden Moment wieder Nora kommen zu sehen. Was sollte sie nur denken, wenn sie Vincent nackt sah? Was sollten die anderen Bediensteten denken?
      Er wandte seinen Blick vorsätzlich von Vincent ab, um das Innere seines Glases zu studieren und derweil ein wenig runterzukühlen. Leider konnte er ihn so immernoch aus den Augenwinkeln sehen und das half nicht wirklich, seine Gedanken zu beruhigen.
      "Außerdem kommen wir sonst sicherlich zu spät", murrte er, auch wenn er extra früher hergekommen war. Er hatte sich einfach nicht davon abhalten können.
    • Vincent hatte wirklich versucht, sich zurückzuhalten, aber er schaffte es nicht, als er Thomas Reaktion auf seinen kleinen Stunt zu Gesicht bekam. Er musste einfach lachen.
      Er legte die beiden Anzüge erneut beiseite und trat auf den anderen Mann zu, legte seine Arme locker von hinten um Thomas' Hüften, schmiegte sich an dessen Rücken und legte seinen Kopf auf dessen Schulter.
      "Du, mein lieber Thomas, musst dich ein bisschen entspannen," raunte er dem Mann ins Ohr. "Dir wird hier nichts passieren - deinem Image auch nicht. Hier gibt es keine Gesellschaft und niemand wird dich für irgendetwas verurteilen."
      Er platzierte einen sanften Kuss auf Thomas' Hals, dann ließ er von ihm ab, um sich wieder der Wahl seiner Kleidung zuzuwenden.
      "Aber du weißt, dass ich dir gern deine Wünsche erfülle, also will ich mal nicht so sein."
      Mit geübten Bewegungen schlüpfte Vincent in seinen Anzug, der - wie alles andere, was Vincent in seinem Kleiderschrank hängen hatte - wie angegossen passte. Seine Gedanken drifteten dabei von seiner gutaussehenden Begleitung zu der Anzahl der Gäste, mit denen er sich gleich auseinandersetzen musste. An sich war es kein Problem für Vincent, sich unter Menschen aufzuhalten. Er bevorzugte es einfach, solche Dinge nicht zu tun. Immerhin war er gut gesättigt mit dem ungeplanten Mittagessen nachdem er nach Hause gekommen war.
      Mit dem Hemd in der Hand wandte er sich wieder Thomas zu, der ich noch immer an seinem Wasserglas festhielt, als ob er ohne ertrinken würde. Das Gefühl, das Vincent durchflutete, wann immer er sehen konnte, welche Macht er über diesen Mann hatte, war unbeschreiblich.
      "Hat es einen Grund, warum du so früh hier aufgetaucht bist?" fragte er geradezu unschuldig.
      Er hatte die ein oder andere Idee darüber, was Thomas dazu bewegt hatte.
      "Sollte ich vielleicht langsamer machen beim Anziehen?"
      Das verführerische Lächeln konnte sich Vincent nicht verkneifen. Es war schlicht zu leicht, Thomas aus dem Konzept zu bringen und es entlockte ihm solch wundervolle Reaktionen. Von dem leichten Rotschimmer auf Thomas' Wangen, über dessen plötzlich trockenen Mund, bis hin zu der verräterischen Fülle in dessen Schritt.
      Vincent schlenderte in aller Seelenruhe hinüber zur Tür seines Schlafzimmers und schob sie mit einem nackten Fuß zu, bevor er sich mit dem Rücken dagegen lehnte.
      "Du solltest dich lieber um das da kümmern, bevor wir gehen," lächelte er und deutete ungeniert auf Thomas' Schritt. "Es könnte als unhöflich angesehen werden, wenn du so bei diesem Kartenspiel auftauchst."
    • Vincent hatte etwas magisches an sich, anders war es nicht zu erklären, dass seine Stimme an Thomas' Ohr ihn so verhexte. Er lehnte sich instinktiv rückwärts gegen den Mann und legte seine Hand über die des anderen. Sein einzelner Kuss rief eine Sehnsucht in ihm hervor, als stünde er an einem Wasserteich und würde sich daran erinnern, dass er am verdursten war. Nur leider war es viel schneller vorbei, um sein Bedürfnis zu befriedigen.
      Er blickte dem anderen nach, betrachtete eingehend seine Rückseite, solange er noch die Gelegenheit dazu hatte - wenn er sich bewegte, war Thomas ziemlich sicher, dass seine schwingende Hüfte mit ihm kommunizierte - und sah ihm dann beim Ankleiden zu. Es war ein hervorragender Anzug, der sich wunderbar an Vincents breite Schultern und die langen Beine anpasste und noch viel wunderbarer wirkte, solange er seine nackte Haut wie Geschenkpapier verpackte, die es nachher wieder zu entpacken galt. Thomas schluckte unwillkürlich; er hatte Vincent bisher fast nur in Anzug gesehen, aber nachdem er jetzt beobachtet hatte, wie sich sein Körper unter den Stoff zog, sah er darin um ein Vielfaches attraktiver aus. Eigentlich sah er sogar verführerischer aus als bisher - der Anzug stand ihm wirklich gut.
      Er sah zu ihm auf, wandte sich dann aber gleich wieder seinem Glas zu, das ihm jetzt keine Hilfe mehr war. Er hatte alles ausgetrunken und er würde sicherlich nicht freiwillig Nora herbeirufen, erst recht nicht für sowas lächerliches wie Wasser. Allerdings hätte er seinen Kopf gerne durch eine Beschäftigung abgelenkt.
      "Ich bin gerne pünktlich", antwortete er in dem selben unschuldigen Tonfall, den Vincent bereits an den Tag legte. Manchmal wünschte er sich, der Mann würde sich eher an seine Worte halten und nicht an das, was er ihm nicht mitteilte. Er schien ein Talent darin zu besitzen, Gedanken auf eine unangenehm präzise Art und Weise lesen zu können.
      "Außerdem weiß man nie, wie viel auf den Straßen los sein wird."
      Auf seine nächste Frage brauchte Thomas länger zu antworten. Sein Blick schoss bereits zur Türe und als hätte Vincent seine Gedanken erraten - oder eher gelesen mit seinem gruselig siebten Sinn - ging er schon hinüber und schob die Tür zu. Ein Teil von Thomas wollte bereits gänzlich seinem Verlangen nachgeben, ein anderer Teil, der rationale Teil, hielt ihn weiter im Zaum. Wie dick war die Tür, wie Geräusch durchlässig die Wände, der Boden? Wo war Nora, noch immer unten? Die anderen Bediensteten? Egal was Vincent ihm sagte, er konnte nicht einfach das Risiko ignorieren, das ihre Gemeinschaft für seinen Ruf darstellte. Zu viel hing von seinem guten Ruf ab, sein gesamter Lebensunterhalt um genau zu sein, und dabei dachte er noch nicht einmal primär an seinen Beruf als Doktor. Ein Jäger wie er, der ein Wesen jagte, an dessen Existenz viele noch nicht einmal glaubten, und der dabei auch noch das Risiko einging, eine falsche Person zu erwischen, durfte sich einfach keinen Flecken auf seinem Hemd erlauben. Zu viel hing von seiner Daseinsberechtigung ab, von seinem ganzen Vermächtnis; er durfte einfach nicht.
      Aber er wollte. Er wollte so sehr. Vincent zeigte ihm eine Seite des Lebens, in der es keinerlei Verpflichtungen gab, nur Gefühl, Liebe, Sex. Eigentlich hatte er immer geglaubt, dass er zu keinem davon fähig gewesen wäre, aber Vincent hatte alles drei in ihm hervorgeholt - und das in gerade mal zwei Wochen. Er hatte sein Leben auf den Kopf gestellt und jetzt wollte Thomas es nie wieder umdrehen.
      Er entschloss sich kurzerhand und überbrückte den Raum in drei langen Schritten, bis er Vincent erreicht hatte und die Arme um seine Taille schob. Die Nähe hatte einen sofortigen Effekt auf ihn, als würde er aus einem Traum erwachen. Er küsste Vincent sehnsüchtig, mittlerweile war ihm sogar schon ein Tag der Abwesenheit viel zu lange. Er konnte das Grinsen noch immer auf Vincents Lippen spüren.
      "Ich denke, wir haben noch genug Zeit um uns… um das Problem zu kümmern", murmelte er an seinen Lippen und fuhr mit der Hand über Vincents Rücken. Er strich den Konturen seiner Muskeln nach, die sich durch das Hemd hindurch abzeichneten, hinauf zu seinen Schulterblättern. Nach letzter Nacht war ihm der Weg schon fast bekannt, aber er genoss ihn trotzdem. Er wollte ihn auswendig lernen, einzig aus dem Grund, dass er dazu fähig war.
      "Und beim nächsten Mal könntest du dir wirklich mehr Zeit beim Anziehen lassen, das Ausziehen übernehme ich. Wie hast du gesagt, du erfüllst mir gerne meine Wünsche? Dann ist das ganz offiziell ein Wunsch."
      Er lächelte, er konnte einfach nicht anders. Dann küsste er Vincents Mundwinkel, seinen Kiefer. Die Tür machte ihn noch immer nervös, aber nicht mehr so sehr wie vorhin.
      "Ich glaube, ich habe dich einfach nur sehr, sehr vermisst. Du geisterst mir den ganzen Tag im Kopf herum, wie einer der toten Tänzer auf deinem Fest. Du würdest aber einen hübscheren Geist abgeben wie ich finde, Vincent Caley Harker."
      Er lächelte ein wenig voller und beugte sich hinab, um seinen Hals zu liebkosen, Thomas' bisher liebste Stelle. Er mochte es, wenn Vincent seinen Kopf in den Nacken legte und die Haut sich an seinem Hals so spannte, dass sie zu einem neckischen Biss einlud. Thomas tat ihr den Gefallen, bevor er wieder hoch zu Vincents Lippen wanderte und sie in Anspruch nahm.
      "Ich bereue es fast, das Haus überhaupt wieder verlassen zu müssen", murmelte er und schickte sich dazu an, Vincents Hose wieder zu öffnen. Korsetts konnte er blind binnen Sekunden entschnüren, aber die Hose eines anderen Mannes war noch immer ein nicht geringes Hindernis. Er hatte noch nie in seinem Leben einen Knopf von vorne geöffnet.
      Als er es nach ein paar qualvollen Sekunden endlich geschafft hatte, verschwendete er keinen weiteren Moment und verschaffte sich zugleich Zugang. Zumindest das konnte er einigermaßen, wenngleich er sich noch immer unbeholfen fühlte. Er berührte Vincent zaghaft und hauchte ihm weitere Küsse auf den Hals.
    • Lächelnd ließ sich Vincent von dem anderen Mann küssen, zu sehr genoss er die weichen Lippen des anderen auf seiner Haut. Doch als Thomas sich an seiner Hose zu schaffen machte und schließlich hineingriff, musste er dann doch einschreiten. Mit einem leisen Keuchen ergriff er Thomas Handgelenk und hielt ihn auf. Mit einem Kopfschütteln holte er die fremde Hand aus seinem Schritt, führte sie an seine Lippen und küsste die Fingerknöchel des Mannes.
      "Du hast es selbst gesagt: Wir könnten zu spät kommen," schnurrte er.
      Er zog Thomas enger an sich, küsste ihn innig. In einer fließenden Bewegung drehte sich Vincent um und drückte den Doktor gegen die Tür.
      "Aber keine Sorge: Ich helfe dir bei deinem kleinen Problem."
      Mit diesen Worten sank er vor Thomas auf die Knie. Er fand seinen Weg schnell zu der Stelle, die Thomas' Hose so eng machte.
      "Den Rest heben wir uns für später auf, ja?"
      Vincent wartete nicht auf eine Antwort. Er lehnte sich einfach vor, küsste Thomas' Schritt flüchtig auf die Spitze, dann nahm er ihn vollständig in den Mund.

      Vincent hielt sich nicht zurück. Im Gegenteil: Er bearbeitete Thomas hart und schnell, gnadenlos. Er verschwendete nicht einen einzigen Tropfen, sobald es vorbei war. Und dann stand er einfach auf, verpackte alles wieder, und tat so, als ob nichts geschehen war. Einzig sein leicht gerötetes Gesicht - und der leichte Schweißfilm auf Thomas' Stirn - verrieten, was hier gerade passiert war. Vincent fuhr sich kurz durch die Haare, um auch dort alles wieder zu richten.
      "Wir sollten deine Bekannten nicht länger warten lassen, findest du nicht? Man weiß nie, wie der Verkehr in der Stadt so ist," sagte er mit einem wissenden Lächeln.
    • Vincents Abweisung war schade, aber doch notwendig, wie Thomas einsehen musste. Vincent schaffte es trotzdem, ihm mit seiner allzu fähigen Zunge den Kopf zu verdrehen. Er konnte sich nicht zurückhalten, selbst wenn er es wirklich gewollt hätte, und so war er nach zwei Minuten nicht nur völlig befriedigt, sondern auch schwer atmend. Er ahmte Vincent Bewegungen nach, strich sein eigenes Jackett glatt, prüfte ob seine gekämmten Haare noch immer einigermaßen gezähmt waren und zog Vincent dann zu einem letzten, innigen Kuss zu sich.
      "Du bist unglaublich."
      Als sie das Zimmer verließen, war er dennoch froh Nora nicht zu begegnen, um sich etwas sammeln zu können.

      Die Fahrt dauerte etwa eine halbe Stunde, wobei Thomas die Zeit nutzte, um Vincent über die Gesellschaft zu informieren. Sein Freund hieß Hughes Purlles, ein Mann Mitte 30, der im Versicherungswesen tätig war und den Thomas seit 8 Jahren kannte, davon 7 Jahre als Patient. Er hatte, laut seinem Schreiben, die Runde auf Wunsch eines anderen Freundes zusammenberufen, Andrew Maston, der wohl bald ins Ausland gehen wollte und daher seine letzte Zeit in England genoss. Andrew war eher ein Freund von Hughes, aber sie hatten alle drei gemeinsame Bekannte wie Tony Hale, der außerhalb von Cambridge eine kleine, aber lukrative Pferdezucht besaß. Alles in allem kannten sich alle vier, manche mehr und manche weniger persönlich. Thomas selbst war nur wegen Hughes gekommen.
      Sein Haus war ein kleines Gebäude direkt auf der anderen Seite eines Pubs, der um diese Uhrzeit noch nicht sehr voll war. Die Kutsche ließ sie auf der Straße raus und fuhr gleich weiter, während die beiden Herren an der Haustür anklopften. Thomas erlaubte sich einen kurzen Blick auf Vincent, lächelte sogar zaghaft; dann ging die Tür auf und er setzte sein professionelles Doktoren-Lächeln auf. In der Tür stand Mrs. Purlles, eine kleine Frau mit einer Lockenmähne als Haaren. Sie sah Thomas und strahlte regelrecht zu ihm auf.
      "Thomas, auf die Sekunde genau! Komm nur herein; huch, entschuldige, dein Gast natürlich auch. Nur herein mit euch, sonst kühlt mir noch das ganze Haus aus!"
      "Danke, Anne."
      Sie schoben sich an ihr vorbei in den engen Hauseingang, wo Anne eilig die Tür zuschob. Die frühwinterliche Kälte wurde schnell von der Hauswärme verdrängt.
      "Anne, das ist mein Freund Vincent aus Harker Heights. Er bleibt ein wenig in Cambridge."
      "Freut mich, Mr…? Geht nur schon weiter, ich spiele zwar den Türdienst, aber für Plauschereien gibt es zu viel zu tun. Husch, husch! Cornelius lässt sich übrigens entschuldigen, Thomas. Eine Erkältung, hat er geschrieben - dabei bist du doch da! So ein Dummkopf. Beim letzten Mal war es ein verstauchter Finger, beim nächsten Mal wird es sicherlich die Pest sein. Du kennst den Weg?"
      "Sicherlich."
      Er lächelte ein wenig über die Ironie darüber, dass Anne keine Zeit zum Plaudern hatte und sie trotzdem im Hausgang festhielt. Ihr schien es gar nicht aufzufallen.
      "Dann runter mit euch, ich bringe gleich noch genügend Gläser und den Whiskey. Haben Sie einen besonderen Wunsch, Vincent? Wir haben noch Bier im Haus und einen Rotwein auch, das glaube ich zumindest, einen trockenen. Sagen Sie es mir nur, ich bin noch in der Küche beschäftigt, aber dann bringe ich alles hinab."
      "Danke, wir wollen dich nicht weiter aufhalten."
      Er bedeutete Vincent mit einem Blick, ihm zu folgen, bevor er ihn den Gang entlang und die Treppe nach unten in den Keller führte.

      Hughes hatte in seinem Keller einen eigens eingerichteten Raum mit einem großzügigen Pokertisch, einer kleinen Bar in der Ecke und einer minimalistischen Sitzgelegenheit, gleich neben dem winzigen Abstellraum im Keller. Es herrschten die üblichen Kellergerüche und natürlich bereits der Geruch nach Whiskey.
      Der Hausherr selbst war ein kleiner, glatzköpfiger Mann mit einem selbstsicheren, strahlenden Lächeln und Augen, die bei seinem haarlosen Kopf ein wenig zu groß wirkten. Er und die anderen Männer, von denen es insgesamt fünf gab, hatten sich bereits um den Tisch versammelt und vier davon, die Thomas zweifellos kannten, erhoben sich, um ihn zu grüßen. Mit Thomas umarmte Hughes sich halb.
      "Grüß dich, Thomas! Gut siehst du aus - vielleicht ein bisschen zugenommen. Treibst du etwa nicht genug Sport - du, von allen hier? Das will ich doch nicht hoffen!"
      "Ich bitte dich, ich habe doch nicht zugenommen. Vielleicht an Muskelmasse, höchstens."
      Hughes grinste. Er war in etwa so klein wie seine Frau.
      "Darf ich meinen Besuch vorstellen: Vincent. Vincent, das ist Hughes."
      "Sehr erfreut - jeder, der eine Karte halten kann, ist hier willkommen. Kannst du glauben, dass Cornelius abgesagt hat, Thomas? Ich glaube er drückt sich nur. Den Mann zu erwischen ist schwieriger als eine Audienz bei der Königin zu bekommen."
      Sie tauschten weitere Höflichkeiten in der Runde aus, schüttelten Hände und machten Vincent mit allen bekannt. Nur der letzte Mann, der ein wenig langsam dabei war den Höflichkeiten nachzukommen, war auch Thomas neu.



      Er stellte sich ihnen als Freund von Tony heraus, dem Mann mit den braunen Haaren neben ihn, den er erst vor etwa einer Woche kennengelernt hatte - also beinahe genau so wie Thomas und Vincent. Er hatte eine tiefe Bassstimme als er sprach, die deutlich aus der Menge heraussprang. Seltsamerweise schien er mehr Interesse an Vincent zu haben als an irgendjemand anderem.
      "Charles, Charly, was immer euch beliebt", brummte er, als er den beiden Männern die Hand gab, wobei er Vincent einen Augenblick länger festhielt. Sein Blick bohrte sich für einen Moment in den des anderen Mannes, dann lächelte er schief. Sein Grinsen wirkte halbherzig, nachdem er nur die eine Hälfte seiner Zähne präsentierte. Das Herz in seiner Brust setzte sich mit seinem tödlich langsamen Schlag deutlich von denen der anderen Männer ab.
      "Freut mich außerordentlich."
    • "Caley. Vincent Caley, sehr erfreut," füllte Vincent die Lücken der Dame des Hauses.
      Auch wenn es sich hier um eine privatere Angelegenheit handelte, verneigte sich ein wenig und platzierte einen höflichen Kuss auf den Fingerknöcheln der Frau, was ihr ein verhaltenes Kichern entlockte. Vincent begegnete dem mit einem freundlichen Lächeln.
      "Ich bin vollkommen zufrieden mit dem, was sie für richtig halten," beantwortete er die Getränkefrage, bevor er Thomas in den Keller folgte.
      Viele Menschen mieden Keller. Manchmal war es die Tatsache, dass man vollkommen unter der Erde eingeschlossen war, was die Menschen abschreckte, manchmal war es die Ungewissheit darüber, was wohl in der Dunkelheit lauern mochte. Aber nicht hier. Der Besitzer des Hauses hatte seinen Keller in einen Bereich verwandelt, der einladend wirkte. Vincent konnte sich gut vorstellen, hier einen Whiskeytest zu haben. Die Pokerrunde wirkte keinesfalls deplatziert.
      Ganz anders als einer der Männer in der Runde. Vincent behielt den dunkelhaarigen Mann in der Ecke unauffällig im Auge, während er die üblichen Höflichkeitsfloskeln austausche. Er musste sich mehrfach mit Namen vorstellen, weil niemand zuzuhören schien.
      "Und woher kennen Sie den guten Thomas?", fragte Hughes.
      "Aus Harker Heights. Wir haben uns dort anlässlich der Festlichkeiten zur All Hallows' Eve kennengelernt."
      "Ach! Sie wurden auch eingeladen? Ich habe Thomas ehrlich gesagt ein bisschen darum beneidet, als er seine formelle Einladung bekommen hat."
      Vincent schmunzelte.
      "Ich wurde nicht eingeladen, nein. Das Anwesen gehört mir."
      Ein anerkennendes Raunen ging durch den Kellerraum. Einer der Anwesenden pfiff sogar leise.
      "Thomas, du Schlawiner! Vergiss die Audienz bei der Königin oder eine Verabredung mit Cornelius! Du hast den legendären Lord Harker aus seiner Höhle bekommen! Nichts für Ungut, Eure Lordschaft."
      "Ach bitte, lassen wir die Titel. Ich finde es schon furchtbar, wenn man mich Mr. Caley nennt. Vincent reicht vollkommen. Nur, weil ich mir ein viel zu großes Haus gekauft habe, bin ich noch lange kein Hausgast der Royals."
      Es folgten noch ein paar Minuten freundliches Geplänkel, bei denen Vincent ein paar der üblichen Gerüchte aufklärte - unter anderem Auch, dass das kleinere Gebäude auf seinem Anwesen die Unterkunft seiner Bediensteten war und nicht etwa ein verruchtes Bordel.
      Und dann, endlich, erhob sich der mysteriöse Mann aus der Ecke und stellte sich selbst vor.
      "Charles, Charly, was immer euch beliebt. Freut mich außerordentlich."
      Vincent ergriff die Hand und erwiderte den festen Händedruck ohne zu zögern.
      "Vincent Caley. Ebenfalls sehr erfreut."
      Er kannte diesen Mann nicht. Er kannte die meisten seiner Art, die sich in England herumtrieben, auch wenn er sich wenig mit ihnen abgab. Die meisten seiner Art pflegten einen eher einzelgängerischen Lebensstil. Dieser Charles... Vincent fragte sich, wie alt er war und wie lange er schon auf der Insel weilte.
      Vincent selbst lächelte mit seinem üblichen Charme und ließ Charles' Hand los. Er würde den Mann im Auge behalten, bis er sich sicher war, wie er ihn einzuschätzen hatte. Vincent wusste durchaus, dass sein friedlicher Lebensstil selten unter seinesgleichen war. Die meisten hatten keinerlei Skrupel, Menschen zu verletzen und zu töten. Deswegen waren Menschen wie Thomas ja so wichtig. Die Frage war nur: Wie gut war Thomas darin, die Kinder der Nacht zu erkennen, wenn er kein Sonnenlicht oder Silber zur Verfügung hatte? Wusste dieser Charles, dass er einen Van Helsing vor sich hatte? Was dieser Name mit sich brachte? Es sah ganz so aus, als würde Vincent heute Nacht nicht nur Poker, sondern auch ein bisschen Schach spielen.
    • Thomas konnte nicht umhin zu grinsen, als sich Vincent sich schließlich als wahre Berühmtheit von England vorstellte. Er hatte so viel Intimität mit dem Mann ausgetauscht, dass er völlig und vollkommen verdrängt hatte, was für ein Ruf hinter ihm stand. Es war äußerst eigenartig, dem Geplausch über Vincents Gerüchte zuzuhören und zu beobachten, wie die anderen Männer den blonden Mann anstierten, während in ihren Köpfen das Bild von einem zurückgezogenem Einsiedler, der junge Menschen in sein Haus verführte um mit ihnen ein Bordell zu betreiben, sich in einen jungen Gentleman verwandelte, der weder ein Bordell besaß, noch einen krummen Buckel und schwarze Augen hatte, oder was man sich sonst noch alles über ihn erzählte. Tatsächlich war er ein sympathischer Mann, der sich mit seinem charmanten Lächeln sogleich in den Herzen der Runde einnistete, so wie er es auch bei Thomas getan hatte. Man konnte bei seinem Auftreten nicht anders als sich in ihn zu verlieben, so wie Thomas fand. Kein Wunder, dass sich da so viele Gerüchte über ihn erhoben.
      Nach einer endlosen Begrüßungsrunde, in der ein Gespräch kaum ausgelaufen war, bevor es in das nächste überging, kam Anne mit ihren Gläsern herein, scheuchte alle an den Tisch und huschte herum, um jedem eins hinzustellen und es dann auch gleich aufzufüllen. Endlich einmal von dem Redefluss unterbrochen, setzten sich alle auf die bereitgestellten Stühle, wobei Charles sich nach hinten lehnte, ein Zigarrenetui hervorholte und sich die längliche Zigarre zwischen die Zähne klemmte. Tony, der neben ihm saß, sah zu ihm und blickte gleich wieder zu Thomas.
      "Oh, Charly ist ein Raucher, das macht dir doch nichts, oder, Thomas?"
      Charles sah mit einer gewissen Verwunderung zu Thomas herüber, als ob er sich fragen würde, weshalb es irgendjemanden stören sollte, dass er rauchte. Sein Blick hielt allerdings nicht lange auf Thomas, sondern huschte weiter auf Vincent, ein Phänomen, das bei ihm ständig aufzutreten schien.
      Thomas winkte ab.
      "Bitte, ich bin doch nicht die Polizei. Rauchen Sie ruhig, Leute wie Sie bescheren mir schließlich meinen Lebensunterhalt."
      Tony kicherte und erläuterte auf Charles' recht verlorene Miene, dass Thomas Arzt sei.
      "Seine Praxis ist im Westend. Die gibt's aber noch nicht sehr lange, oder?"
      "Mein Vater hat sie eröffnet, vor zehn Jahren. Ist quasi ein Familiengeschäft."
      "Bei euch gibt es ja sowieso nichts anderes als Familiengeschäfte. Den van Helsings hat hier auch mal ein Schneider gehört und ein Stall und ich glaube sogar eine Fabrik, oder?"
      Thomas nickte, Charles starrte jetzt wieder ihn an. Die Zigarre hing steif zwischen seinen Zähnen, unbeweglich.
      "Ach. Ist das so?"
      Sein Gesichtsausdruck veränderte sich zum dritten Mal in diesem Gespräch und dann, als er wieder Vincent ansah, zum vierten Mal, als er die Augen zusammenkniff. Die Zigarre schien vergessen.
      "...Interessant. Vielleicht finden wir ja die Zeit dazu, dass Sie mir mehr davon berichten, Thomas."
      "Sicherlich. Wo kommen Sie überhaupt her, Charles? Auch aus Cambridge?"
      "Nein, nein."
      Er zog sich die Zigarre wieder aus dem Mund und hielt sie senkrecht zwischen den Fingern auf der Tischplatte.
      "Ich reise viel. War zuletzt in London, werde wieder weiter nördlich ziehen. Aber Cambridge ist ein ganz schönes Plätzchen."
      Wieder ein kurzer Blick zu Vincent. Langsam fand Thomas diese Affektiertheit zu Vincent merkwürdig, zumal er und Thomas Charles nichtmal direkt gegenüber, sondern leicht seitlich saßen. Allerdings kannte er den Mann auch nicht, weshalb er es vorerst ignorierte.
      "Da haben Sie etwas mit Vincent gemeinsam, das tut er auch. Entgegen der vielen Gerüchte, wie ich anmerken darf."
      "Ach." Und nachdem sein Blick wieder zu Thomas wanderte: "Ist das so."
      "Zumindest hin und wieder, oder?"
      Er blickte selbst zu Vincent, nur ein kurzer Blick, der ihm allerdings schon genügte. Er traute sich nicht, Vincent länger anzusehen, um sich nicht zu verraten; glücklicherweise konnte er bei dem Gespräch mit Charles sich ein wenig beschäftigen und kurz darauf eröffnete Hughes sowieso schon die Runde, indem er die Karten auspackte.
      "Kennt jeder die Spielregeln? Auch die beiden neuen Herren, Vincent, Charles?"