In his Thrall [Codren feat. Pumi]

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    • Vincents Blick klebte förmlich an Thomas' Lippen, als dieser sich daran machte, seine Finger zu säubern. Er konnte sich nicht zurückhalten und leckte sich selbst über die Lippen. Er wollte diese Zunge, die da über seine Finger huschte, noch an ganz anderen Stellen spüren.
      Vincent empfing Thomas nur zu gern zwischen seinen Beinen und lächelte, als er seine Arme um den anderen schlang.

      Vincent hatte ein weiteres seiner Kissen auf dem Gewissen. Irgendwann während ihres wilden Liebesspiels hatte er es geradezu zerfetzt und jetzt lagen er und Thomas in einen Meer aus kleinen weißen Federn. Eine davon pustete Vincent dem anderen Mann aus den Haaren, bevor er ihn liebevoll auf die verschwitzte Stirn küsste. Trotz ihrer Aktivitäten fühlte sich Vincent fit und energiegeladen. Er war nicht müde. Wie könnte er auch nach einem solchen Festmahl, wenn er noch die ganze Nacht vor sich hatte?
      Sanft schob er Thomas von sich herunter und neben sich in die ruinierten Bettlaken. Sein Blick blieb an dem geröteten Abdruck seiner Kiefer an Thomas' Oberarm hängen und er lächelte. Vorsichtig strich Vincent mit den Fingern darüber.
      "Bleib noch ein bisschen wach, mein Herz," raunte er Thomas zu, bevor er aufstand und kurz im Badezimmer verschwand.
      Kurz darauf war das Rauschen von Wasser zu hören, als Vincent die Wanne füllte. Er hielt sich nicht lange dort auf, denn es zog ihn mit geradezu übernatürlicher Macht zurück zu Thomas. Auf dem Weg zurück zum Bett schnappte er sich seine seidene Robe und warf sie sich über. Vor dem Bett ging Vincent in die Hocke und strich Thomas eine Strähne aus dem Gesicht, die nicht einmal im Weg war.
      "Ich bin gleich wieder da," versprach er, "nicht einschlafen, ja?"
      Er beeilte sich, die Treppen hinunter zu kommen und in der Küche zu verschwinden. Nora hob nur die Augenbraue, als sie ihren Arbeitgeber und Freund sah, wie er in seiner Robe angetänzelt kam, ein breites, zufriedenes Lächeln im Gesicht.
      "Lebt er noch?" fragte sie scherzhaft.
      "Jap," antwortete Vincent. "Aber heute Nacht wird er sehr gut schlafen."
      Nora schüttelte den Kopf und reichte ihm ein Tablett, auf dem ein ordentliches Abendessen angerichtet war. Vincents frisch geschärfte Sinne verrieten ihm jede noch so kleine Zutat. Er konnte sogar riechen, wie frisch die Orangen waren, die Nora für ein Glas Saft gepresst hatte.
      Mit dem Abendessen bewaffnet, huschte Vincent wieder nach oben ins Schlafzimmer. Doch er richtete das Abendessen nicht auf seinem Nachttisch an, sondern im Badezimmer, wo er das Wasser für die Wanne auch gleich abdrehte. Dann ging er ein weiteres Mal zu Thomas zurück. Er erlaubte dem Mann gar nicht erst, aufzustehen. Stattdessen hob er ihn einfach hoch und brachte ihn zur Wanne, wo er ihn sanft wieder absetzte.
      "Iss," forderte Vincent und deutete auf das Tablett. "Du brauchst es. Ich geh schnell aufräumen."
      Er platzierte einen weiteren Kuss auf Thomas' Stirn, dann tat er genau das, was er angekündigt hatte. Vincent wusste, wie ungern sein Liebster Nora diese spezielle Aufräumarbeit überließ, also machte er das schnell selbst. Er brauchte nur wenige Minuten, bevor er an Thomas' Seite zurückkehrte und ebenfalls in die Wanne stieg.. Er wusch ihn, während er darauf achtete, dass der Mann brav sein Abendessen zu sich nahm, dann sich selbst. Und dann brachte er Thomas genauso zurück zum Bett, wie er ihn zuvor auch ins Bad gebracht hatte. Er legte sich zu ihm und zog ihn an seine Brust.
      "Schlaf, mein Herz," raunte er Thomas zu. "Morgen früh frühstücken wir zusammen und wenn du am Abend nach Hause kommst, habe ich ein Geschenk für dich."

      Dank Thomas' Blut konnte Vincent seine Augen so weit heilen, dass er endlich mehr als nur verschwommene Formen wahrnehmen konnte. Simon musste ihm dennoch helfen, die letzten Details in Thomas zukünftigen Büro zu richten, einfach nur weil er die zusätzlichen Hände brauchte. Vincent beschäftigte sich ein paar Stunden damit, dann ging er dazu über, seine Instrumente für Buchreparaturen zu reinigen. Er war noch nicht fit genug, um sich tatsächlich wieder seiner Arbeit zu widmen, aber er konnte sich darauf vorbereiten. Außerdem brauchten seine Werkzeuge wirklich mal eine Reinigung.
      Am Morgen dann saß Vincent am Bettrand und wartete darauf, dass Thomas zu sich kam.
      "Zeit zum Aufstehen, mein Herz," lockte er den Mann, bevor er ihn auf die Schläfe küsste.
    • Das letzte, was Thomas zustande gebracht hätte, war ernsthaft wach zu bleiben. Er hatte sich schon unlängst mit dem Gedanken abgefunden, dass er am Morgen zu dieser Unordnung aufwachen und einfach ein bisschen länger damit beschäftigt sein würde, sich selbst, das Bett und schlussendlich auch Vincent zu reinigen. Im Moment war ihm das ganz egal, er wollte einfach nur in diesem Traum versinken, der um ihn herum und in ihm herrschte. Er wollte der verführerischen Erinnerung an einen stöhnenden Vincent, der in seiner Ekstase sein Kissen zerriss, nachhängen.
      Aber für Vincent strengte er sich an, zumindest soweit, wie es ging.
      "Hmmm."
      Träge blinzelte er, während sein hübscher, nackter Freund sich aus dem Bett schälte und sich eine Robe überzog. Es war erstaunlich, mit welcher Natürlichkeit Vincent sich bewegte, während Thomas sich fühlte, als könnte er keinen Finger mehr rühren. Interessant daran zu denken, wie viel länger sie noch hätten durchhalten können, wenn es nur nach Vincent ginge...
      Aber selbst das reichte schon nicht mehr aus, um etwas in Thomas zu regen. Er war völlig ausgelaugt, als sein Freund in die Hocke ging und in einer liebevollen Geste eine Strähne aus seiner Stirn strich.
      "Mmmmmh-hm."
      Er würde wach bleiben, ganz sicher. Als Vincent dann aber verschwunden war und Thomas nur die Augen für eine Sekunde ausruhte, wurde er doch plötzlich unversehens aufgeweckt und streckte sich gleich.
      "Ich bin wach... ich bin wach."
      Vincent lächelte nur, beugte sich zu ihm herab und hob ihn mühelos nach oben. Dann trug er ihn ins Badezimmer hinüber, wo bereits ein herzhaftes Abendessen auf ihn wartete, gemeinsam mit einem vollen Bad. Thomas belächelte die Szenerie, als Vincent auch noch das Schlafzimmer aufräumen ging und danach zurückkam, um ihn gründlichst zu waschen. Daran könnte er sich schon fast gewöhnen.
      "Du bist ja schon wieder so anhänglich. Hat mein Blut eine solch starke Wirkung auf dich?"
      Er lächelte aber, während er das sagte, und ließ sich nach allen Regeln der Kunst von Vincent verwöhnen. Das war schon beinahe genauso gut wie all die Stunden zuvor, die sie nun im Bett verbracht hatten.
      Selbst der Rückweg wurde ihm erspart und Thomas lag kurze Zeit später schon wieder in einem frisch gemachten Bett, warm an Vincents Brust gekuschelt. Diesmal war er sogar müde genug, dass er gerade noch ein "Ich liebe dich" nuscheln konnte, bevor der Schlaf ihn endgültig übermannte. Er hatte noch nicht einmal die Gehirnkapazität sich zu fragen, was Vincent ihm denn schenken wollte.

      Wie versprochen wurde er aber zum Frühstück geweckt, eine ungewohnte Sache, nachdem er sonst immer alleine aufwachte. Der Anblick von Vincent an seinem Bettrand war aber wie der hellste Sonnenschein, den er jemals erblickt hatte.
      "Du bist ja noch auf."
      Lächelnd streckte er die Hand aus, bekam Vincents Kragen zu fassen und zog ihn zu sich, bis der Mann sich ganz hinlegte. Da lüftete er die Decke für ihn und zog ihn an sich.
      "Ein paar Minuten noch. Ich kuschel immer mit dir, wenn ich aufwache. Du siehst einfach zu gemütlich aus, um es nicht zu tun."
      Das ließ er sich auch jetzt nicht nehmen, als er ihre Gliedmaßen miteinander verschlang und Vincents kältere Haut küsste. So blieben sie eine ganze Weile lang liegen, in der Thomas kurz wieder eindöste, bevor sie sich aus dem Bett kämpften. Er zog sich an und bereitete sich schon auf die Arbeit vor.
      "Liegt es an dem Blut, dass du noch wach bist? Oder möchtest du mir einfach den Gefallen tun?"
      Er belächelte die Antwort und ließ sich von Vincent zu einem frisch gedeckten Frühstückstisch führen. Sie aßen in friedlicher Idylle, bevor der Mann ihn an der Tür verabschiedete. Dieses häusliche Leben, das sie sich miteinander hier aufbauten, traf auf mehr Gefallen bei Thomas, als er es sich jemals vorgestellt hätte. Er liebte es, Vincent einen Abschiedskuss aufzudrücken und genau zu wissen, dass er ihn am Abend schlafend in seinem Bett vorfinden würde, nur darauf wartend, dass Thomas ihn wieder weckte, um dann gemeinsam zu Abend zu essen. Er wollte nie wieder etwas anderes als dieses Leben führen.

      Dieses Glück hielt den ganzen Tag über hinweg an, bis er wieder nachhause kam - nachhause, in Vincents und sein gemeinsames Zuhause - Nora begrüßte und gleich im Schlafzimmer verschwand. Dort setzte er sich zu Vincent, wie der es bereits am Morgen für ihn getan hatte, und weckte ihn mit leichten Küssen, verteilt über sein Gesicht.
      "Liebling... aufwachen..."
    • Vincent ließ sich nur zu gern in Thomas' Arme und unter die Decke ziehen. Er schmiegte sich an den Mann, genauso wie sich dieser an ihn kuschelte. Er ließ es zu, dass Thomas noch einmal einnickte - je ausgeruhter er seinen Tag beging, desto eher würde er ihm des Nachts Gesellschaft leisten.
      Vincent gab ihm eine Viertelstunde, bevor er ihn erneut weckte. Dieses Mal scheuchte er Thomas geradezu aus dem Bett, so gern er ihn auch genau dort behalten hätte.
      "Beides," antwortete Vincent und nestelte an Thomas' Hemdkragen herum. "Mit dir in meinen Venen fällt es mir leichter, dem Tag zu widerstehen. Warum also nicht gemeinsam Frühstücken und ein bisschen mehr Zeit miteinander verbringen?"
      Er schloss den letzten Knopf - er selbst hätte ihn ja offen gelassen, aber Thomas schloss sein Hemd ja gern ordentlich - und stahl sich einen kurzen Kuss.
      "Ich kann schlafen, wenn du weg bist. Da habe ich ja eh nichts besseres zu tun."
      Er ergriff Thomas' Hand und schlenderte mit ihm hinunter ins Esszimmer.

      Vincent streckte sich, als er Thomas' Stimme vernahm. Er wollte nicht wirklich aufstehen, aber es fiel ihm auch nicht so schwer wie sonst, zu sich zu kommen. Noch so ein Vorteil einer richtigen Ernährung. Dennoch stellte er sich schlafend, bis sich Thomas noch einmal über ihn beugte, um ihn sanft zu küssen. Da schlang Vincent seine Arme um ihn und zog ihn zu sich ins Bett, rollte sich sogar auf die Seite, sodass Thomas quer über ihm landete. Nicht unbedingt die bequemste Haltung, aber das war ihm egal, als er seinen Liebsten anlächelte.
      "Guten Abend," raunte Vincent, bevor er Thomas in einen innigen, liebevollen Kuss zog, der eindeutig länger dauerte, als nötig.
      "Wie war dein Tag?" fragte er, als sie sich endlich voneinander trennten und Vincent den anderen Mann losließ, damit sie sich aufsetze konnten.
      Noch einmal streckte er sich, rollte kurz mit den Schultern. Er spürte durchaus Nachbeben von ihren Aktivitäten letzte Nacht. Und er genoss sie in vollen Zügen. Und ja, er hatte mit voller Absicht auf das Oberteil seines Pyjamas verzichtet, wohlwissend wie sehr Thomas den Anblick genoss, wenn sich Vincent streckte.
    • Vincent schlief schon fast länger als gewöhnlich, da schossen plötzlich seine Arme empor und fingen Thomas ein. Der hatte gerade noch Zeit, sich mit einem Arm abzufangen, bevor er Kopf voran auf Vincent gefallen wäre. Diesen Überfall quittierte er aber mit einem Kichern, während er sich in den unnachgiebigen Armen wand, bis Vincent ihm soviel Platz ließ, sich ordentlich auf ihn zu legen.
      So stürmisch heute. Hast du etwa gut geschlafen?
      Aber wirklich, würde er sich über Vincents gute Laune beschweren? Ganz sicher nicht. Er mochte dieses Glitzern in seinen Augen und ganz besonders das Lächeln, das sein Gesicht erhellte.
      Mein Tag war sehr ruhig eigentlich. Ein paar Erkältungen in der Praxis, aber das ist üblich für diese Jahreszeit. Das Sitzen war bei Zeiten unangenehm.
      Er grinste unbeschwert, während er sich aufrichtete und dabei zusah, wie sein Freund aus dem Bett kam. Dieses Mal hatte er auf ein Oberteil verzichtet, was sein eigener Fehler war, denn jetzt hatte Thomas freie Sicht auf die spielenden, geschmeidigen Muskeln, die dort neben ihm arbeiteten.
      Oh, komm her.
      Er schlang den Arm um seine Taille, bevor er die Arme wieder runternehmen konnte, und zog diesen Prachtkörper an sich. Neckend biss er ihm in die Halsbeuge.
      Denk nicht, dass du so einfach davon kommst, wenn du dich mir schon so anbietest.”
      Er ließ seine Hände über seinen Oberkörper wandern, anerkennend dabei ein “du hübscher, hübscher Mann” raunend, bis er sich doch noch von ihm trennte. Liebevoll strich er ihm durch die vom Schlaf verwühlten Haare.
      Aber erst essen wir. Und dafür wirst du dir mindestens ein Hemd anziehen.
    • Ein wohliges Brummen entwich Vincents Kehle, als Thomas ihn auf spielerische Weise biss. Dieser Mann wusste wirklich, wie er ihn um den Finger wickeln konnte. Vincent verwandelte sich in warme Butter, während Thomas' Finger seinen Oberkörper erkundeten.
      Grinsend stahl er sich noch einen Kuss, bevor er aus dem Bett kletterte. Allerdings zog er sich kein Hemd an. Stattdessen schlüpfte er in seine Abendrobe - schloss sie aber auch ganz brav. Der einzige Kompromiss, den er Thomas anbieten würde.
      "Es ist zu früh für richtige Kleidung," argumentierte er.
      Er streckte die Hand nach Thomas aus, küsste ihn, und schlenderte mit ihm hinunter ins Esszimmer. Selbstverständlich war er noch ein bisschen anhänglich. Wie könnte er auch nicht mit Thomas' Blut in seinen Adern? Sich nicht einfach auf den Schoß des Mannes zu setzen, war schon ein kleiner Akt der Willenskraft.
      "Um deine Frage von eben zu beantworten: ich weiß nicht, wie ich geschlafen habe, aber ich weiß, dass es mir aktuell sehr gut geht. Ich kann endlich wieder etwas sehen! Noch nicht genug, um mich wieder dem Inhalt meiner Bücher zu widmen, aber ich kann dein Gesicht wieder sehen und das allein ist Grund zum Feiern. Mein Rücken ist wieder so wie er sein soll - keine Spannungen, keine Narben."
      Er beugte sich über den Tisch und ergriff Thomas' Hand ein weiteres Mal.
      "Und das alles nur wegen dir."
      Er hob Thomas' Hand an seine Lippen und küsste sie sanft, bevor er sich wieder zurücklehnte.
    • Ein Hemd wurde es nicht, dafür aber die Robe, die zumindest den Großteil von Vincents Körper bedeckte. Thomas ließ es durchgehen, alternativ könnte er ja nämlich auch versuchen, einen Vampir in ein Hemd zwängen zu wollen. Den Kampf hätte er schon verloren, bevor er überhaupt angefangen hätte.
      Also kamen sie in der ungleichen Kombination aus Thomas im Anzug und Vincent in Abendrobe ins Esszimmer, wo der andere ihn erst losließ, als er sich auf seinen Stuhl setzte. Thomas amüsierte sich im Stillen über diese Anhänglichkeit.
      Ach wirklich? Dominic hatte also recht mit seiner Einschätzung, wie schnell es gehen würde. Lass mich einmal sehen.
      Er beugte sich zu Vincent über den Tisch, legte ihm die Hand an die Wange und zog mit dem Daumen das untere Augenlid ein wenig herab.
      Sieh mich an. Jetzt nach oben, soweit wie möglich. Bis an die Decke.
      Er besah sich Vincents Augen und nickte schließlich.
      Die Pupillen sind noch etwas geweitet, die Iris sieht noch leicht entzündet aus, aber mehr als Ruhe würde ich dir in diesem Stadium auch nicht verschreiben. Keine Bücher lesen versuchen, auch keine Zeitung.
      Er lehnte sich wieder zurück, behielt aber die Hand bei Vincent, als der in einer warmen Geste seinen Handrücken küsste. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er Vincents Hand drückte.
      Du meinst wohl wegen meines Blutes. Andernfalls könnte ich mir wohl den Titel des Vampirarztes verleihen, aber das scheint mir unangemessen dafür, dass ich doch gar nichts getan habe.
      Er ließ Vincent los und ergriff sein Besteck.
      Du kannst dich ja aber gerne bei mir erkenntlich dafür zeigen.
      Dann erlaubte er es sich sogar, Vincent auf eine eindeutig zweideutige Weise anzugrinsen und ihm zuzuzwinkern. Sein Blick huschte trotzdem einmal zur Tür, ganz konnte er es sich schließlich nicht verkneifen.
    • "Nichts getan? Thomas, du hast mir dein Blut freiwillig gegeben. Das ist das größte Geschenk, das du mir hättest machen können!"
      Vincent atmete tief durch, bevor er zu aufbrausend wurde. Thomas verstand ja gar nicht, wie viel seine Taten bedeuteten.
      "Ich habe dir doch schon gesagt, dass manche Dinge für Vampire eine ganz andere Bedeutung haben. Die Bisse, das Leben von Menschen. Blut. Blut ist die höchste Währung, und freiwillig gegeben ist es unbezahlbar. Wir können Menschen mit unseren kleinen Tricks oder mit Gewalt dazu bringen, uns zu geben, was wir wollen, aber wenn ein Mensch seine Venen vollkommen freiwillig anbietet... Du könntest mir nicht deutlicher sagen, dass du mich liebst. Also ja: ich bin fast wieder völlig gesund, wegen dir, Thomas."
      Noch einmal hob Vincent die Hand des anderen Mannes an seine Lippen und küsste sie sanft, hielt dabei den Augenkontakt, um seinen eigenen Worten noch einmal Nachdruck zu verleihen.
      "Und dafür bin ich unsagbar dankbar. Ich werde mich dafür erkenntlich zeigen. Angefangen mit dem Geschenk, das ich dir versprochen habe. Aber zuerst sollten wir essen. Insbesondere du. Du brauchst es."
    • Thomas schüttelte lächelnd den Kopf.
      "Ich weiß doch, mein Liebster. Aber mein Blut hat doch die ganze Arbeit getan."
      Er ließ sich noch einmal die Hand küssen, nicht nur, weil Vincent ihn dabei mit einem Blick bedachte, der ihm eine Gänsehaut bescherte. Wenn die Gabe von Blut bekräftigte, dass er ihn liebte, dann bekräftigte dieser Blick alleine, mit welcher Intensität diese Liebe erwidert wurde. Thomas kannte kein besseres Gefühl als dieses vollkommene Glück, das ihn dabei erfasste.
      "Wenn es nach mir ginge, dann würde ich dir zeigen, dass ich dich liebe, indem ich dich gesund pflege und Tag und Nacht an deiner Seite verbringe, um sicherzustellen, dass es dir auch an nichts mangelt. Das fühlt sich besser an, als nichts anderes tun müssen, als dich nur trinken zu lassen. Immerhin bin ich doch Arzt und... naja, Arzt eben, ich möchte dir selbst helfen und nicht anderen die Aufgabe überlassen. Auch nicht meinem eigenen Blut."
      Er schmunzelte und griff wieder sein Besteck auf.
      "Beschweren werde ich mich aber auch nicht. Du bist zu liebenswürdig, wenn du so verliebt bist."
      Er grinste Vincent an und begann dann, sein Abendessen zu verspeisen.
    • "Silber aus meiner Flanke heraus zu brennen und mir damit das Leben zu retten war dir also nicht genug?" gab Vincent halb im Scherz, aber auch halb ernst gemeint zurück. "Soweit ich weiß ist das noch nie auf solche Weise vorgekommen. Du bist also sehr wohl mein Arzt. Und um diese unsäglichen Verbrennungen hast du dich auch gekümmert."
      Auch Vincent ging nun dazu über, zu essen, anstatt Thomas mit weiteren seiner Heldentaten zu konfrontieren. Die ganze Zeit über lächelte er vor sich hin. Vielleicht gab es dafür einen Grund, vielleicht auch nicht.
      Nach dem Essen schnappte sich Vincent einmal mehr Thomas' Hand und zog ihn auf die Füße. Er küsste ihn liebevoll.
      "Bereit für dein Geschenk?" fragte er.
      Er führte Thomas die Treppen hinauf, trat hinter ihn, und legte ihm die Hände auf die Augen.
      "Es ist sehr gut, dass meine Augen wieder funktionieren, andernfalls würde das hier jetzt wahrscheinlich zu einem Desaster werden," scherzte er, während er Thomas mit verdeckten Augen den Gang hinunterführte. Er stoppte vor der Tür zu Thomas' zukünftigen Büro und Studierzimmer. Er hatte die Tür am Morgen nur angelehnt, sodass es nicht weiter als einen sanften Stoß mit dem Fuß bedurfte, um die Tür ganz zu öffnen.
      Als er die Hände von Thomas' Augen nahm, offenbarte sich ihm die Früchte von Vincents Arbeit der letzten Nächte: ein ordentliches Büro mit einem stabilen, schweren Schreibtisch, der mit dem Rücken zu den deckenhohen, schmalen Fenstern stand, hinter denen sich der gesamte, gut gepflegte Garten von Vincents Anwesen erstreckte. In einer Vitrine standen alte medizinische Werkzeuge, alle frisch gereinigt und definitiv nur zum Angucken gedacht. In den drei breiten und hohen Bücherregalen standen dutzende medizinische Bücher - manche aus alten Zeiten, manche aus anderen Ländern, manche ganz frisch veröffentlicht - und es gab genug Platz für noch mehr. Am anderen Ende des Raumes, gegenüber des Schreibtisches, gab es eine kleine Sitzecke, die sich um einen Kamin herum aufbaute, den Nora in weiser Voraussicht bereits angefeuert hatte. Zwischen den Sofas und dem Sessel der Sitzecke stand ein Kaffeetisch, auf dem eine Glasglocke stand. Under der Glasglocke: der Schädel eines uralten Vampirs, den Thomas und Vincent gemeinsam im Keller getötet hatten. Von Vlad war nichts weiter übrig, als dieser blanke Schädel.
      "Willkommen in deinem Reich."
    • Selbst ohne sich zu unterhalten sah Vincent noch immer glückselig aus, während sie ihr Essen verspeisten. Thomas fragte sich ehrlich, und das nicht zum ersten Mal, wie es sich für den Vampir anfühlen musste, sein Blut zu erhalten. Womöglich steckte hinter dem hemmungslosen Stöhnen, das er von sich gab, wann immer Thomas sich ihm anbot, ja doch viel mehr als der reine Geschmack des Menschenblutes.
      Vielleicht lag es aber auch an dem Geschenk, das er für ihn zu haben schien, dass Vincent noch immer so strahlte. Er ließ noch nicht einmal viel Zeit verstreichen, als sie aufgegessen hatten, sondern ergriff gleich wieder seine Hand. Thomas lächelte in den Kuss hinein.
      Immer doch.
      So langsam wurde er doch neugierig, was für ein Geschenk das wohl sein mochte, als sein Freund ihn wieder hinauf die Treppe führte. Einer leisen Vermutung folgend glaubte er, selbst mit verdeckten Augen das Schlafzimmer zu finden, aber Vincent führte ihn ganz woanders hin. Eine Tür öffnete sich vor ihnen und die Hände verschwanden von seinem Gesicht.
      Der Raum war ein mittelgroßes, stilvoll eingerichtetes Büro mit einem ausladenden, voll bestückten Bücherregal, einigen Vitrinen mit Werkzeug, das Thomas in moderner Ausführung mehr als bekannt war, und hohen, klassischen Fenstern, die er in dieser Form aus seinem eigenen Zuhause bereits gewohnt war. Neben einem gewaltigen Schreibtisch, der nur dazu einlud, mit den nächsten Forschungen bedeckt zu werden, gab es auch eine kleine Sitzecke mit eigenem Kamin. Das ganze Ensemble hatte etwas einstimmiges, als wäre jeder Bestandteil im Raum aufeinander abgestimmt.
      Thomas wusste gar nicht, auf was er zuerst seine Aufmerksamkeit lenken sollte; auf die vielen unberührten Bücher, die angesehen werden wollten, oder vielleicht auf die antiken Werkzeuge, die in erstaunlich gutem Zustand waren. Oder die heimischen Fenster, hinter denen sich der Garten von Harker Heights befand. Zuletzt wurde es Vincent, der seine ganze Aufmerksamkeit bekam.
      Mein Reich? Das hier - für mich?
      Zuerst begriff er gar nicht. Er hatte sich bereits im Keller häuslich gemacht, so wie er auch in Cambridge im Keller seiner Jagd nachgegangen war. Zugegeben, Jäger war er nicht mehr, aber er hätte seine Zeit durchaus auch unten verbringen können. Aber Vincent, mit seinem hübschen, einvernehmlichen Lächeln, bestätigte nur, was er ihm bereits gesagt hatte: Das hier war sein. Sein Büro.
      Thomas drehte sich wieder in den Raum um und dann bekam die Neugier endlich die Überhand. Er ging hinein, sofort zu den Büchern, ließ den Blick über die Einbände schweifen, stellte bewundernd fest, dass renommierte Ärzte darunter waren, wanderte zu den Vitrinen weiter, beugte sich zu ihnen hinab.
      Sind das etwa Originale? Hast du die aufgehoben? Funktionieren sie noch?
      Er hätte sie gern angefasst, aufgehoben, benutzt, aber so alt wie sie waren, konnte er sich schon denken, dass sie unter den Vitrinen am besten aufgehoben waren. Sein Blick blieb an den Fenstern hängen, als er sich wieder aufrichtete.
      Welche Himmelsrichtung ist das? Komm du mir nur nie tagsüber herein, ich werde die Vorhänge niemals zumachen. Oh -
      Jetzt sah er erst der blank polierte Schädel, der dort auf einem Kaffeetisch bei der Sitzecke stand. Thomas musste kurz lachen, als er zu ihm hinüberging.
      Nur weil ich Arzt bin heißt das doch nicht, dass ich Knochen gerne als Deko verwende. Außerdem ist doch viel interessanter, was in dem Schädel drin ist, als der Schädel selbst.
      Er beugte sich zu ihm hinab und musterte das Model.
      Das ist ein bisschen makaber, findest du nicht? Möchtest du etwa einen Shakespeare aus mir machen?
    • Vincent beobachtete, wie Thomas sich umsah wie ein Kind am Weihnachtstag. Er lächelte ob der offensichtlichen Freude seines Partners. Schließlich folgte er ihm hinein und ließ sich auf eines der Sofas sinken, überschlug die Beine und griff sich das kleine Zierkissen in seinem Rücken, um es auf seinen Schoß zu legen. Es war gelb, aber nur auf einer Seite, weil er Stoff nicht für mehr gereicht hatte. Nora hatte es selbst genäht und genau darauf geachtet, den letzten Rest von Beth's Vorhängen nicht auch noch zu zerstören.
      "Du musst ihn ja nicht behalten. Aber ich dachte, du hättest gern eine Trophäe von deiner erfolgreichsten Jagd."
      Vincent deutete auf die Eckzähne, die ein wenig länger und ein wenig spitzer waren als bei einem Menschen. Die letzten Spuren des Monsters, das Vlad gewesen war. Dieser Schädel bezeugte nichts von dieser Bestie.
      "Im Büro eines Arztes fällt ein Schädel weniger auf als eine Sammlung silberner Messer."
      Vincent zuckte mit den Schultern.
      "Die Fenster sind gen Westen ausgerichtet. So weißt du immer, wann die Sonne untergeht, wenn du hier drin arbeitest. Dieses Bisschen Eigennutz konnte ich mir leider nicht verkneifen. Die Werkzeuge sind nicht meine eigenen, die habe ich nur für dich besorgt und in Stand setzen lassen. Soweit ich weiß funktionieren sie, aber ich weiß nicht genau, wie viel sie noch benutzt werden sollten. In den Bücherregalen stehen einige ausländische Bücher, die ich dir übersetze oder übersetzen lasse, sobald meine Augen es wieder zulassen. Wenn es irgendetwas gibt, was dir hier in den Regalen fehlt, lass es mich wissen. Ich bin ziemlich gut darin, Bücher aufzuspüren. Das ist sowas wie mein Beruf."
      Vincent grinste.
    • Von meiner erfolgreichsten Jagd?
      Thomas runzelte verständnislos die Stirn. Immerhin war bisher jede Jagd erfolgreich gewesen… nun, bis auf das eine Mal, als die Polizei ihn und den Vampir auseinander gescheucht hatte. Aber ansonsten wäre er doch schließlich nicht am Leben.
      Und von welcher Jagd konnte Vincent denn den Schädel erhalten haben? Er war schon lange nicht mehr draußen jagen gewesen, das letzte mal…
      Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und sein Herz machte einen Satz, als er die Augen aufriss.
      Nein.”
      Mit einer ganz anderen Euphorie ging er neben dem Kaffeetisch in die Hocke, um mit dem Schädel auf Augenhöhe zu sein. Jetzt stachen ihm auch die viel zu spitzen Eckzähne ins Auge, der einzige Hinweis darauf, mit was er es zu tun hatte. Sonst war der Schädel ein ganz gewöhnlicher Menschenkopf.
      Unglaublich.”
      Fast schon andächtig berührte er die Glasglocke und sah dann zu Vincent auf, der es sich neben ihm auf einem der Sofa gemütlich gemacht hatte.
      Das könnte der Schädel eines der ältesten Geschöpfe der Menschheit sein, ist dir das bewusst? Und jetzt steht er hier und muss den ganzen Tag meine Bücher ansehen. Für den Rest der Ewigkeit.
      Ein Grinsen breitete sich über seinem Gesicht aus, das fröhlicher nicht hätte sein können. Thomas fühlte sich rundum, absolut glücklich. War das ein Traum, der gerade in Erfüllung ging? Es musste so sein. Es war einfach zu perfekt.
      Er stand auf, sah sich wieder nach den Fenstern um, nach dem persönlichen Wecker für Vincent, den er damit erhalten hatte, und weiter zu den Werkzeugen. Schließlich konnte ihn der Drang nicht weiter zurückhalten und er gravitierte fast schon zurück zu den Büchern. Vincents Anwesenheit alleine hielt ihn davon ab, auf der Stelle die ersten Einbände herauszunehmen und zu durchstöbern. Er konnte es sich aber nicht nehmen, zumindest ein Buch herauszuholen und aufzuschlagen.
      Marie Franc… Bichat.
      Er sprach den französischen Namen sicherlich völlig quer aus.
      Seine Texte über Gewebelehre werden in der Universität gelehrt. Durch ihn habe ich erst die richtige Mischung aus Silber und Kochsalz gefunden, die nur einem Vampir wirklich etwas anhaben kann. Das hier musst du mir unbedingt als erstes übersetzen. Oh!
      Er stellte es sorgfältig wieder zurück und griff sich ein neues.
      Henry Gray’s Anatomy of the Human Body. Das ist ein Klassiker! Ich habe erst durch ihn gelernt, dass es einen ganz bestimmten Punkt im Rücken gibt, durch den du das Herz erwischen kannst, mit einem gewöhnlich großen Messer. Die Neigung des Herzens ist dabei ausschlaggebend und interessanterweise auch die Anordnung der Rippen. Alternativ lassen auch sie sich brechen, hier vorne.
      Er tippte sich an die untere Brust.
      Das garantiert fast immer die Verletzung von Lunge oder Herz. Beides ausschlaggebend für den Kampf. Durch ihn habe ich schon ein paar Mal gewonnen, obwohl ich schon fatale Fehler begannen hatte.
      Er kicherte und lächelte verträumt - dann erinnerte er sich, dass er ja gar kein Jäger mehr war und stellte es zurück.
      Ach entschuldige, das liegt ja hinter mir. Ich will es mir aber noch einmal durchlesen, man kann immer noch etwas dazu lernen.
      Noch immer strahlend kam er zu Vincent zurück und bemerkte jetzt erst das Kissen, das auf seinem Schoß lag. Die Farbe passte nicht ganz, das Gelb war viel zu quietschig für diesen…
      Ist das etwa…?
      Perplex blieb er stehen und starrte das Kissen an, das einzige Überbleibsel nicht nur seines Zuhauses, sondern auch von Beth. Vielleicht auch das einzige Überbleibsel eines Lebens als einsamer Jäger.
      Oh, Vincent…
      Langsam setzte er sich zu ihm, nahm das Kissen von seinem Schoß und befühlte den ehemaligen Vorhang. Wenn er sich anstrengte, sehr stark konzentrierte, konnte er sich fast einbilden, den Rauch und Schutt seines eingestürzten Hauses zu riechen. Aber auch die Monate, Jahre eines Lebens in einem sonnenbeschienen, hellen, einladenden Haus, zusammen mit einer sich immer weiter ausdünnenden Familie.
      Vorsichtig sah er zu Vincent auf, zu dem Mann neben sich, der ihm alles gegeben hatte, alles und noch mehr, der sein Leben zuletzt erfüllt hatte, auf die beste Weise, die es gab.
      Oh, Vincent.
      Er rutschte noch näher, legte die Arme um ihn und zog ihn in eine feste, nachdrückliche Umarmung.
      Danke.”
      Er drückte das Gesicht an seine Halsbeuge.
      Das ist das beste Geschenk, das ich mir je hätte ausmalen können. Danke. Ich liebe es, Vincent. Ich liebe dich.
    • Auf ewig Bücher anstarren in dem Büro des Mannes, der ihn getötet hatte... Vincent fand, das war ein sehr treffendes Schicksal für Vlads Überreste. Ihm gefiel der Symbolismus darin.
      Vincent schmunzelte über die Erklärungen des anderen. Es war schon ein bisschen her, dass Thomas sich so in etwas verloren hatte. Sicher, er arbeitete im Ort als Arzt und ging damit seinem Beruf nach, aber er hatte sich von allen Themen der Wissenschaft entfernt, seit er sein Leben als Jäger aufgegeben hatte. Irgendwie störte das Vincent. Diese überschwängliche Neugierde war eine sehr charmante Seite an Thomas gewesen.
      Er schlang die Arme ähnlich fest um Thomas, als dieser ihn umarmte.
      "Das ist jetzt auch dein Zuhause, Thomas. Ich werde dich nicht in einem Keller versauern lassen oder - so verführerisch die Idee auch klingt - dich in meinem Schlafzimmer einsperren. Dieses Haus hat so viel ungenutzten Raum, du kannst so viel davon haben, wie du willst. Das hier ist dein Büro, dein Studierzimmer. Solltest du also jemals meiner überdrüssig werden, kannst du dich hier einfach verstecken."
      Er grinste, auch wenn Thomas es nicht sehen konnte.
      "Ich weiß, es ist keine eigene Arztpraxis," meinte er, als er sich von Thomas löste und sich wieder zurücklehnte. "Aber vielleicht kannst du hier deine Studien wieder aufnehmen? Nur, weil du nicht mehr jagen gehst, heißt das nicht, dass du nicht einen Teil beitragen kannst. Du könntest dein eigenes Buch schreiben, das eines Tages im Regal anderer Ärzte landet. Natürlich kannst du auch einfach nur aus dem Fenster starren, wer bin ich dir zu sagen, was du zu tun und zu lassen hast."
      Er küsste Thomas flüchtig auf die Wange.
      "Jetzt muss ich mir wohl leider eine neue Beschäftigung für meine Nächte suchen. Mein Arzt hat mir nämlich gesagt, dass ich meine Augen noch nicht mit so etwas trivialem wie Lesen überanstrengen darf."
    • Thomas ließ Vincent los, strich aber seinen Arm entlang hinab, bis er seine Hand ergreifen konnte. Das schöne, gelbe Vorhangkissen lag jetzt in seinem Schoß, warm und tröstend.
      Sein Studierzimmer. Das hier war sein und das nur, weil sie hier zusammen lebten, Vincent und er, in ihrem gemeinsamen Zuhause. So sah sein Leben jetzt aus und der Gedanke frischte das Lächeln in seinem Gesicht neu auf.
      Ich brauche auch gar keine eigene Praxis, die habe ich doch nur für die Jagd aufrecht erhalten. Ein Büro und die Gemeinschaftspraxis im Ort reichen mir vollkommen.
      Lächelnd nahm er den Kuss entgegen.
      Vielleicht werde ich wieder ein Buch schreiben, ein ärztliches. Vampirische interessieren doch niemanden als die wenigen anderen Jäger in England. Dafür brauche ich aber eine Struktur, beim letzten habe ich schließlich nur die Notizen meines Großvaters etwas zusammengefasst. Diesmal mache ich es anders - und ganz zufällig habe ich doch jemanden, der sich ganz wunderbar mit Büchern auskennt, neben mir sitzen.
      Er strahlte ihn an und drückte seine Hand.
      Hilfst du mir? Du musst auch nichts lesen, das verspreche ich dir als Arzt und Freund.

      Sie verbrachten den restlichen Abend damit, eine für Thomas angenehme Ordnung in das Bücherregal zu bekommen. Und danach, als er glücklich und zufrieden war, verbrachten sie die restliche Nacht doch noch im Schlafzimmer.
      Ein eigenes Studierzimmer in Vincents Haus vermittelte ihm eine eigene Art von Heimat. Er konnte nachhause kommen und gleich im Büro verschwinden, anstatt wie sonst etwa bei Nora herumzulungern oder sich direkt wieder zu seinem Freund ins Bett zu legen. Dieser Tage kam er gerade noch rechtzeitig, um den Sonnenuntergang mitzuerleben, ein einzigartiges, idyllisches Bild von sanftem Rot, das sich von den Fenstern bis in die hinterste Ecke des Zimmers ergoss. Es tauchte seine Bücher in ein malerisches Licht und erweckte Schatten in Vlads Schädel, die den Knochen aussehen ließen, als versuche er, sich der aufkommenden Nacht entgegen zu strecken. Die ersten Tage war Thomas so eingenommen von diesem träumerischen Bild, dass er glatt vergaß, Vincent rechtzeitig aufzuwecken. Er ging dann doch schnell hinüber, weckte ihn euphorisch und überschwänglich und beteuerte ihm, wie sehr er sein Büro liebte. Er tat es wirklich. Er fühlte sich dort mehr Zuhause als die ganzen letzten Monate in Cambridge.

      Als Vincents Augen eine Woche später wieder vollständig geheilt waren, feierten sie die Genesung mit einer ausladenden Nacht des Lesens gemeinsam in seiner Bibliothek, Thomas ausgestattet mit einem Buch über Genetik, Vincent ausgestattet mit einem ausländischen Wälzer. Es war eine der schönsten Nächte, die er in Erinnerung behalten sollte: Vincent neben ihm auf dem Sofa, ihre Beine miteinander verhakt, jeder einen Drink auf dem Beistelltisch. Er hatte nicht gedacht, dass er diesen Mann je mehr lieben könnte als ohnehin schon, aber er belehrte sich jedes Mal eines besseren. Er liebte diesen Mann und ihr gemeinsames Leben auf eine abgöttische Weise.

      Die einzige Sache, die sein fröhliches Gemüt irgendwann etwas dämpfte, waren die langen Tage in der Praxis. Mehr als einmal erwischte er sich in den kommenden Wochen dabei, wie ihn die Arbeit unterforderte. Sehr viel mehr als ein paar Erkältungen, leichte Beschwerden und der ein oder andere Knochenriss bei den Senioren des Dorfes ereignete sich nämlich nicht. Immerhin lungerten hier schließlich schon seit Vincents Einzug in Harker Heights keine Vampire mehr herum und das Dorf war auch nicht groß genug für lebensbedrohliche kriminelle Aktivitäten. Es war ein sehr beschauliches Örtchen mit einem sehr beschaulichen Arbeitsaufwand, weshalb Thomas bald anfing, sich nach seinem Studierzimmer zu sehnen. Einmal brachte er sogar eines seiner Bücher mit in die Praxis, aber er fand nunmal nicht dieselbe Ruhe dort wie Zuhause. Dann musste er also doch auf den Abend warten. In der Regel zahlte sich das Warten aber auch aus.

      Vincent begann, auf Wunsch seine Bücher zu übersetzen, und Thomas begann dafür, eine eigene Zusammenschrift zu erstellen, deren Schwerpunkt sich auf die Anatomie des menschlichen Körpers legte, ganz ohne, dass er weiter darüber nachgedacht hätte. Schließlich hatte er sich schon immer hauptsächlich damit beschäftigt, allerdings ausschließlich für seine Jagd. Dass er gar nicht anders konnte, als die beiden Dinge in einen Zusammenhang zu setzen, zeigte sich darin, dass er nach 20 Seiten plötzlich gänzlich in den Vampirismus abgedriftet war - dabei hatte er Vampire nicht einmal erwähnen wollen. So musste er von den 20 Seiten 14 als unbrauchbar abtun, wegwerfen und noch einmal anfangen. Es störte ihn aber nicht, wenn überhaupt sah er der Möglichkeit entgegen, seine eigene Niederschrift in Frage zu stellen.

      Es wurde zu einer einvernehmlichen, entspannenden Routine: Nachhause kommen, schreiben solange es hell war, von dem Sonnenuntergang in seinem Zimmer an Vincent erinnert werden, ihn aufwecken, gemeinsam zu Abend essen, weiterschreiben. Etwa zwei Mal die Woche dehnte sich das Abendessen zum Blut trinken aus, was beinahe immer auf höchst intensive Weise endete. Thomas beschwerte sich nicht; er mochte es, wenn Vincent ihn die kommende Nacht dann mit glitzernden Augen betrachtete, als wäre er der schönste Mann, den der andere jemals erblickt hatte. Letzten Endes zog er davon schließlich seinen eigenen Nutzen.

      Die Studien nahmen bald wieder sein Leben ein, aber so sehr, dass ihn schon tagsüber in seiner Praxis ein Sehnen ergriff, das er nur darauf zurückführte, endlich wieder nachhause in sein Büro zu kommen. Es wurde fast lästig, dieses Gefühl des Wartens, während er seinem Feierabend entgegen sehnte. Es war stets eine Erleichterung, endlich nachhause zu kommen.
      Die Blätter erwiesen sich aber nach ein paar Wochen der Arbeit als wirklicher Brocken. Es war ein Balanceakt, gerade so viel von seinem Wissen einfließen zu lassen, um seine Gedankengänge darzustellen, nicht aber genug, um den Vampirismus zur Sprache kommen zu lassen. Mehrmals gab er es abends, oder auch wochenends, doch wieder auf, und widmete sich einer anderen Beschäftigung.
      Doch das Sehnen blieb. Es wurde allgegenwärtig, ein Gefühl, als würde er gerade nicht das Richtige tun, als wäre dort etwas, dem er seine Aufmerksamkeit widmen müsste, auch wenn er einfach nicht darauf kam, was es war. Er schob es darauf, seine Studien beenden zu wollen, aber er war noch lange nicht soweit, sie auch nur halbwegs als vollständig deklarieren zu können. Es würde noch Monate, wenn nicht Jahre dauern, und das wusste er; dennoch sehnte er es sich herbei. Bevor er nicht fertig war, würde es ihm nicht die Erfüllung geben, die er benötigte.

      Das Studieren wurde zäh. Immer häufiger verlor er die Lust, eine Passage neu zu recherchieren, drehte sich stattdessen auf seinem Stuhl um und sah aus dem Fenster in den Garten hinaus. Es juckte ihn in den Gliedmaßen, nicht den ganzen Tag auf einem Stuhl zu sitzen, und so ging er tagsüber häufiger spazieren, bald auch nachts mit Vincent, als der Frühling eingetroffen war und die Nächte wärmer wurden. Für eine Zeit lang war es das richtige, aber dann war es nicht mehr genug. Dann kehrte das Sehnen zurück, das Warten, und anstatt spazieren zu gehen, setzte er sich doch wieder hinter den Schreibtisch. Unbefriedigt.

      Womöglich brauchte er eine Pause von seinen Büchern. In einem Versuch, sich anderweitig abzulenken, begann er wieder Zeitung zu lesen. Die Zeitung aus dem Ort war langweilig, nicht gerade lang, aber er fand heraus, dass der Postbote auch eine Zeitung aus Cambridge bringen konnte. Die ließ er sich regelmäßig bringen und begann, nach alter Gewohnheit, Todesanzeigen und Vermisstenmeldungen zu lesen. Das fand er interessanter als den restlichen Teil. Für eine Zeit lang war es das richtige, bis es das nicht mehr war. Er hörte dann auf zu lesen, als er eine verdächtig wirkende Vermisstenanzeige sah und sich dabei ertappte, eine Jagd planen zu wollen. Da rührte er die Zeitungen nicht mehr an, ließ sie sich aber trotzdem noch bringen.

      Die Tage in der Praxis wurden zu lang. Die Tage am Wochenende wurde zu lang. Die Nächte wurden zu lang und zu unentspannt. Thomas sah stets das Rot des Sonnenuntergangs in sein Büro fluten, drehte sich dann um und beobachtete, wie die Schatten länger wurden und der Garten nach und nach in Dunkelheit getaucht wurde. Dann ergriff ihn stets ein Gefühl, das er nicht beschreiben konnte. Nervosität vielleicht? Anspannung? Aber vor was? Es fühlte sich an, als hätte er irgendetwas vergessen, als gäbe es etwas, das er dringend tun musste, dann, wenn die Sonne untergegangen war. Und wenn sie das noch nicht war, wenn es taghell war, fühlte er sich, als müsste er die Zeit nutzen, um etwas anderes zu erledigen. Irgendetwas. Das Sehnen war stärker als je zuvor.

      Er verlor die Lust an seinen Studien. Er verlor die Lust an den Spaziergängen. Die Praxis wurde zu einer unwilligen Aufgabe, der er sich nur sehr mühsam widmete. Er verlor das Interesse an seinen Patienten und seiner ganzen Berufung. Meistens war er morgens viel zu müde, um sich aufringen zu können.
      Selbst Vincents Abendessen wurde zu einer Verpflichtung. Der Mann hatte noch immer einen Reiz, so wie er sich an seinem Arm bediente, aber mehr als einmal verspürte Thomas keine sonderliche Lust dabei, sein Blut zu teilen. Vincents Anhänglichkeit, die er anfangs noch so charmant fand, begann ihn zu reizen, geradezu zu nerven. Vincent war ausschließlich am zweiten Tag nach seinem Abendessen erträglich, sonst wurde er entweder zu anhänglich oder zu gereizt. Es zerrte an Thomas’ Nerven, mehr als er sich etwas derartiges vorgestellt hätte. Jedes Mal zog er in Betracht, ihn überhaupt nicht mehr zu verkostigen. Wer war er schließlich, sein persönliches Abendessen?

      Wer war er schließlich? Ein kleiner Arzt in einem kleinen Ort, der sich einbildete, berühmten Persönlichkeiten wie Henry Gray nachzueifern? Ein Mann unter der Macht eines Vampirs?
      Wer war er schließlich?

      Er fing an zu verpassen, Vincent rechtzeitig aufzuwecken. Der Sonnenuntergang kam in sein Büro und das war zumeist der Zeitpunkt, sich zu den Fenstern umzudrehen und die Schatten zu beobachten. Bewegungen auszuspähen. Das wurde seine Lieblingsbeschäftigung, auch wenn das nicht viel heißen mochte, denn sie erfüllte ihn nicht. Nichts erfüllte ihn. Er lebte in den Tag hinein und wartete. Auf irgendetwas wartete er.

      Vlads Schädel begann, ihn zu beobachten.

      Er stritt sich mit Vincent. Die Umstände kamen gänzlich ungelegen, denn Vincent hatte bereits seit drei Tagen schon wieder nicht gegessen und Thomas hatte gerade an diesem Tag den blühenden Einfall gehabt, seine Waffen mal wieder zu polieren. Er hatte allerdings das vermisste Gefühl von Sicherheit bekommen, als er sein altes Silbermesser in die Hand genommen hatte, weswegen er es eingesteckt hatte. Und nicht nur das, er hatte angefangen, damit in seiner Hand zu spielen. Vincent hatte ihn mit dem Silber erwischt. Ein sehr unschönes Streitgespräch war gefolgt.
      Er legte das Messer trotzdem nicht wieder weg. Er spielte damit, während er in die Dunkelheit der Nächte hinaus sah, wartend. Sehnend. Vermissend.

      Vlads Schädel stellte er sich auf den Schreibtisch. Von dort konnte er genauso aus den Fenstern schauen. Sich genauso sehnen wie Thomas es tat.
    • Als Vincent ein paar Tage nach seinem großen Geschenk an Thomas erwachte, war er schneller aus dem Bett als jemals in seinem langen Leben zuvor. Der Grund: Er konnte Thomas' Gesicht in voller Schärfe sehen! Er sprang auf, schlang seine Arme um Thomas und wirbelte ihn herum wie ein kleines Kind, bevor er ihn wieder auf den Füßen absetzte und enthusiastisch küsste - immerhin war es Thomas' Blut, das er letzte Nacht erst konsumiert hatte, das dieses Wunder überhaupt erst möglich machte.
      "Du!" rief er aus. "Du bist die beste Medizin!"
      Wieder und wieder küsste er Thomas, bis dieser ihn physisch davon abhielt.
      Thomas war es, der einen Abend in seiner Bibliothek vorschlug, was Vincent doch tatsächlich mit einem kleinen Freudessprung annahm. Er war sogar ganz brav und zog sich etwas ordentliches an, bevor sie zum Abendessen einkehrten. Und gleich danach verschwanden sie in Vincents Bibliothek, wo er doch tatsächlich Probleme hatte, sich für ein Buch zu entscheiden. Es war so lange her, dass er sich damit hatte beschäftigen können! Irgendwann fragte er einfach Thomas, der auf einen dicken, portugiesischen Wälzer. Vincent zuckte bloß mit den Schultern, dann befreite er den Schinken von seinem Gefängnis auf dem Regal und legte sich damit auf eines der Sofas. Thomas setzte sich mit einem der Bücher aus seinem Arbeitszimmer zu ihm und so verbrachten sie beide die Nacht, bis Vincent spürte, dass Thomas eingeschlafen war. Vorsichtig stand Vincent auf und nahm ihm das Buch ab, legte es auf den Beistelltisch und brachte dann den Mann nach oben ins Schlafzimmer. Er wusste, dass er heute ein wenig anhänglicher als sonst war und das eventuell Einfluss auf seine Wahrnehmung diese Nacht hatte, aber Vincent würde diese Nacht ohne zu zögern als eine der schönsten in seinem langen Leben bezeichnen.

      Der Frieden der nächsten Wochen war geradezu Balsam für Vincents alte Seele. Nach dem ganzen Stress mit Jägern und alten Meistern der vergangenen Monate fiel endlich von ihm ab. Es gab keine Wunden mehr zu heilen, keine Polizisten mehr zu belügen, keine Alpträume aus der Vergangenheit mehr zu fürchten. Und Vincent genoss es in vollen Zügen. Er verwöhnte Thomas, ließ sich von ihm verwöhnen, und ging in ihrem gemeinsamen Frieden auf. Die Routine, in die sie beide schnell verfielen, erfüllte ihn auf eine Art und Weise, wie er es kaum kannte. Das einzige Problem, dem er sich jetzt noch gegenüber sah, war seine neue Ernährung. Es war Jahrhunderte her, dass Vincent sich von menschlichem Blut ernährt hatte. Die Kraft, die ihm Thomas jedes Mal schenkte, wenn er Vincent erlaubte, sich an ihm zu nähren, war geradezu berauschend. Vincent wusste, dass er sich davon nicht mitreißen lassen durfte. Und er musste dringend seine Launen in den Griff bekommen. Mehr als einmal hatte er etwas zerschlagen wollen, wann immer er darauf warten musste, dass Thomas sich soweit entspannt hatte, dass er seine Fangzähne benutzen durfte. Also arbeitete er daran. Er hatte fast zweihundert Jahre mit einer strikten Diät überlebt, da würde er doch wohl seine Stimmungen in den Griff bekommen!

      Vincent nahm es als Kompliment auf, dass Thomas so viel Zeit in seinem neuen Büro verbrachte. Er schien seine Arbeit gut gemacht zu haben, wenn der Mann sich dort so wohl fühlte. Gerade jetzt, wo die Nächte langsam kürzer wurden, war es gut zu wissen, dass Thomas sich auch so wohlfühlte. Vincent hatte nicht vergessen, dass der Mann sein Heim und seine Arbeit aufgegeben hatte, um ihm hier her nach Harker Heights zu folgen.
      Als Thomas ihn eines Abends um eine Übersetzung bat, stimmte Vincent ohne zu zögern zu. Er hatte sowieso eine seiner Reparaturen gerade beendet und brauchte ein neues Projekt. Noch dazu war das Buch auf Französisch, also konnte er sich endlich einmal wieder auf seine Wurzeln berufen.
      Die Übersetzung war schnell gemacht, aber Vincent sah sich schon bald drei weiteren gegenüber. Der Wissensdrang dieses Mannes schien kein Ende zu haben. Ihm entging allerdings nicht das Stirnrunzeln, als er Thomas nach dem Fortschritt seines Manuskripts fragte. Also ließ er das Thema nach ein paar Nächten einfach fallen.

      Irgendetwas stimmte nicht. Thomas wirkte... niedergeschlagen. Seine ganze Motivation war irgendwann einfach verschwunden. Wann immer Vincent ihn morgens zur Tür begleitete, schien der Mann nicht gehen zu wollen. Wann immer er Vincent abends weckte, schien ihm etwas auf der Seele zu liegen. Aber er redete nicht darüber. Nicht mit ihm, nicht mit Nora, mit niemandem. Stattdessen schloss er sich immer öfter in seinem Büro weg und tauchte nur zum Abendessen auf. Selbst wenn sie intim wurden schien Thomas einfach nicht ganz bei der Sache zu sein. Und weil irgendetwas Thomas wurmte, wurmte das gleiche Etwas zwangsläufig auch Vincent, sobald dieser sich nähren durfte. Doch weil Thomas keinen Namen dafür hatte, hatte auch Vincent keinen. Es war frustrierend! So frustrierend, dass es an Vincents frischer Selbstkontrolle über seine Stimmungsschwankungen knabberte.
      Als er eines Nachts nach Thomas suchte und ihn dann unten im Keller fand, zerriss dieser feine Faden der Selbstbeherrschung. Eigentlich hatte er gar kein Problem damit, dass sich Thomas um seine Waffen kümmerte. Silber musste regelmäßig gereinigt werden, das verstand Vincent. Aber in dieser Nacht... Thomas hatte seit Nächten kaum ein Wort mit ihm gesprochen, Vincent war schon genauso oft allein aufgewacht, er war hungrig und das letzte Mal war Thomas beinahe vor ihm davongerannt kaum hatte Vincent den Kopf gehoben... es war einfach zu viel. Es platzte einfach auf ihm heraus. Er fuhr Thomas an, forderte ihn auf, irgendetwas zu tun, was ihn nicht in den Wahnsinn trieb. Am Ende warf er die Tür einfach viel zu fest ins Schloss und ignorierte Thomas für den Rest der Nacht. Auf dem Weg in sein Studierzimmer war er kurz davor gewesen, ein sehr teure Vase die Treppe runterzuwerfen, nur um irgendetwas mit seiner Wut anfangen zu können. Schlussendlich verbrachte er aber nur Stunden damit, durch seinen Garten zu laufen, bis der Morgen ihn ins Bett zwang. Er war sogar froh, dass Thomas nicht da war, um ihm einen guten Tag zu wünschen.

      Drei Tage später saß Vincent in seinem Studierzimmer, wie er es mittlerweile jede Nacht tat, und starrte in die Dunkelheit, die sich hinter seinen Fenstern erstreckte. Die Nacht hatte schon vor einer Weile Einzug gehalten und wie immer in seiner neuen Routine hatte er sich fertig gemacht, etwas gegessen, sich seiner Arbeit gewidmet - er übersetzte gerade ein Buch über Orthopädie für Thomas, auch wenn er sich gerade heute Nacht fragte, warum er sich überhaupt noch die Mühe machte, da der Mann sowieso nur rumsaß und nichts tat - und sich einmal mehr in seinen Gedanken verloren, ohne Thomas auch nur einmal zu sehen. Er wusste, dass der Mann noch immer in seinem Arbeitszimmer hockte. Wahrscheinlich starrte er genauso aus dem Fenster wie Vincent es gerade tat. Wahrscheinlich hatte er diesen unsäglichen Schädel seines Erschaffers auf dem Schoß wie ein Hündchen.
      Vincent knirschte mit den Zähnen. Wie zum Geier war er eifersüchtig auf einen Schädel?! Wie zum Geier schaffte es Vlad selbst im Tode noch, sein Leben zu ruinieren?! Aber das war eigentlich gar nicht sein Problem, oder?. Nein, sein Problem war ein gutaussehender Arzt, der urplötzlich an einem akuten Fall von Melancholie erkrankt war! Thomas konnte sich verstellen wie er wollte, Vincent wusste Bescheid. Er spürte es in seinen Adern, wann immer Thomas ihm erlaubte, sich an ihm zu nähren. Doch die Laune des Mannes tat mittlerweile mehr als nur an Vincents eigener Stimmung zu zerren; es ruinierte auch den wundervollen Geschmack. In den letzten Wochen, aber insbesondere vor drei Tagen, hatte Vincent gelernt, warum die Alten immer so viele Feiern veranstalteten und sooft ins Theater, in die Oper oder sonst wo hingingen: Sie hielten ihr Essen bei Laune, um den Geschmack zu wahren. Er hasste es, das zuzugeben, aber sie hatten Recht. Gelangweiltes Blut schmeckte fast so furchtbar wie das eines Schweins.
      Mit einem entnervten Seufzen stand Vincent auf und ließ sein Studierzimmer hinter sich. Ein Teil von ihm wollte bei Thomas vorbeischauen, ihn fragen, wie es ihm ging, sich mit ihm unterhalten, ihm etwas Gutes tun. Aber dieser Teil war heute Nacht schwach, also ignorierte Vincent die Tür geflissentlich, zog daran vorbei als sei der Raum noch immer leer wie früher, und verschwand die Treppen hinunter in den Salon, wo er sich großzügig einen Drink eingoss. Er betrachtete den detaillierten Globus, der dort stand, spielte daran herum. Frauen mit solch mieser Stimmung, wie Thomas sie dieser Tage zeigte, schickte man an die Küste. Sicher, das war hauptsächlich, um sie aus den Füßen zu haben, aber was sprach denn gegen eine kleine Reise? Was sprach gegen eine Flucht vor dieser öden Routine?
      "Nora!"
      Nora eilte schneller herbei als sonst. Der drängende Ton in Vincents Stimme hatte sie aufhorchen lassen.
      "Ja?" fragte sie, als sie vorsichtig in den Salon trat.
      Vincent stieß den Globus an und sah einen Augenblick dabei zu, wie der sich wild drehte, bevor er sich Nora zuwandte.
      "Besorg mir jede Zeitung aus den umliegenden Großstädten. Die aktuellen und die aus dem letzten Monat."
      Nora hob eine Augenbraue. Sie hatte die angespannte Stimmung im Haus ebenso wahrgenommen - ebenso wie Vincents Frustration, floss sein Blut doch auch in ihren Adern. Selbst sie lief dieser Tage ein wenig auf Eierschalen.
      "Und was genau willst du mir so viel Papierkram? Wir haben mehr als genug Feuerholz."
      "Darum geht es doch gar nicht. Ich muss diesen Mann da oben aus seinem verdammten Büro kriegen und anscheinend ist es nicht so einfach, kein Vampirjäger mehr zu sein. Also bewerfe ich ihn jetzt einfach mit diesen Zeitungen, bis er sich ein Ziel gesucht hat, dann reisen wir dort hin. Ein Jagdausflug, wenn du so willst. Aber wenn er weiterhin so vor sich hin...." Vincent gestikulierte wild herum, fand die Worte nicht, um seine eigene Frustration auszudrücken.
      Nora nickte nur. Sie hatte verstanden. Zum Glück.
      "Ein Haufen Zeitungen, kommt sofort."
      "Danke!"
      Nora verschwand und Vincent wandte sich wieder dem Globus zu. Gefiel es ihm, dass er Thomas wieder jagen lassen würde? Nein. Aber es war besser, als weiterhin dabei zusehen zu müssen - und fühlen zu müssen - wie der Mann langsam aber sicher zu einem Schatten seiner selbst wurde. So frustrierend diese ganze Situation auch war, Vincent liebte Thomas noch immer und er konnte einfach nicht dabei zusehen, wie ihr gemeinsames Leben den Bach runter ging.

      Nora brauchte ein bisschen, um die Zeitungen aufzutreiben und nach Harker Heights liefern zu lassen, doch ungefähr eine Woche später hatte Vincent mehrere Stapel davon in seinem Studierzimmer stehen. Er betrachtete sie, war drauf und dran, sie alle abzufackeln. Doch allein der Gedanke an ein größeres Feuer ließ seinen Rücken unangenehm kribbeln. Also schnappte er sich eines der Bündel und stürmte rüber zu Thomas - der einmal wieder Schlaf gegen Rumlungern eingetauscht hatte.
      Vincent klopfte nicht an, Vincent war nicht freundlich. Er riss die Tür einfach auf und ließ den Haufen an Zeitungen auf den Schreibtisch des Mannes fallen. Vielleicht war es ein bisschen zu viel, aber er war hungrig - nach mehr als nur Blut. Er wollte endlich wieder Thomas sehen, wollte wieder in dessen Liebe baden können wie andere im Meer.
      "Bitteschön," verkündete er. "Wühl dich da durch, mach dein Jäger-Ding. Ich habe noch mehr davon in meinem Büro. Einen Monat an Zeitungen aus allen Großstädten im Süden Englands. Das sollte reichen, um dir ein Ziel für einen Jagdausflug auszusuchen, richtig? Und stell diesen verdammten Schädel weg, ich bitte dich!"
      Vincent wollte das Ding am liebsten an die Wand werfen, wollte es in tausend Splittern sehen und in den nächstbesten Fluss werfen. Aber das tat er nicht. Noch nicht. Die Nacht war allerdings noch recht jung...

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Insane Pumpkin ()

    • Eine Woche war vergangen seit dem letzten Streit, seit dem Höhepunkt von Thomas' Depression, wenn er so wollte. Eine Woche, seitdem er das letzte Mal mit Vincent ein Wort gewechselt hatte, geschweige denn dem Mann überhaupt begegnet war. Mit den langen Tagen und den kurzen Nächten war es ein einfaches, seinem eigentlichen Partner aus dem Weg zu gehen, denn er ließ sich noch bei Tageslicht sein Abendessen von Nora servieren und verschwand dann in seinem Büro, bis er hörte, dass die Schlafzimmertür aufging. Damit musste Vincent unweigerlich nach unten verschwinden und manchmal hörte er später dann die Tür seines eigenen Studierzimmers gleich nebenan, manchmal auch gar nichts mehr. In jedem Fall kam Vincent nicht mehr hervor und so konnte Thomas sich irgendwann ungestört ins gemeinsame Schlafzimmer zurückziehen und sich schlafend stellen, nur für den Fall.
      Aber Vincent kam sowieso nie herein. Thomas schlief stets, wenn der andere sich hereinschlich.
      In der Nacht ihrer Auseinandersetzung hatte er ihn im Garten herumstreunen gesehen, eine einsame, dunkle Silhouette in dem sonst finsteren Gelände, die in den Schatten endlich die Bewegung hervorrief, die er auszuspähen versucht hatte. Er hatte mit seinem Messer herumgespielt, während er ihn beobachtet hatte, jeden Schritt, jede einzelne Bewegung.
      Tu es. Tu es.
      Er wusste nicht, was er sich davon erhofft hätte, dass Vincent gerade jetzt seine vampirische Seite mit einer zu schnellen Bewegung zum Ausdruck gebracht hätte. Der Mann hatte es sonst nie getan, selbst dann nicht, als sie sich wegen ein paar Silberwaffen angeschrien hatten. Es hätte schließlich nichts geändert, er wäre Thomas' menschlichen, zu langsamen Augen entglitten und mit der Finsternis der Nacht verschmolzen. Nichts wäre passiert.
      Oder?
      Thomas wusste es nicht. Er wusste gar nichts mehr. Nur die Tatsache, dass sich eine gewaltige Wand zwischen ihnen beiden aufgetan zu haben schien, dessen war er sich sicher.

      Als Vincent daher nach diesem Zeitraum des gegenseitigen Ignorierens in sein Büro gestürmt kam, wusste er nicht, was er zu ihm sagen sollte. Womöglich wäre hier der Moment gekommen, die Geste des anderen anzunehmen und etwas zu sagen, diese Situation zu beenden, auf welche Weise auch immer, aber Thomas fehlten die Worte.
      Vincent dafür nicht. Er knallte einen Haufen Zeitungen auf den chaotischen Schreibtisch, der Blätter zu Boden fegte und den bereits vorhandenen Zeitungsstapel - alte Zeitungen aus Cambridge - umwarf. Thomas drehte sich in seinem Stuhl zu ihm um und starrte düster auf das mitgebrachte Chaos hinab. Eine der Zeitungen war zu weit gerutscht und lag jetzt mit der Ecke auf Vlads Schädel; er schob sie mit seinem Messer in einer fast vorsichtigen Geste zur Seite.
      "Was soll das?"
      Es hatte mal eine Zeit gegeben, vor nur ein paar Monaten, als sie nur weiche Worte und liebevolle Gesten füreinander übrig gehabt hatten, als sie sich mit einer Liebe übergossen hatten, die jetzt ferner schien als alles andere auf der Welt. Vincents Worte waren kalt und hart, Thomas schoss scharf zurück. Wie ein Holzpflock, den er ihm durchs Herz gerammt hätte.
      "Der Schädel bleibt da wo er ist", brummte er unwillig, griff aber trotzdem nach der obersten Zeitung und warf einen Blick auf den Ort: Canterbury. Schlagzeile: Neue verlegte Eisenbahnstrecke. Aber weiter unten: Vermisste Touristengruppe aus Übersee. Verdacht auf Massenmord.
      Thomas verzog grimmig das Gesicht und zog die nächste Zeitung hervor, einfach nur, um eine Lücke in Vincents Forderung zu finden, um ihm vielleicht vorzuwerfen, dass es hier gar nichts zu finden gäbe. Ort: Oxford. Keine interessante Titelseite, aber bei den Vermisstenanzeigen: Verdacht auf Serienmörder. Junge, gesunde Menschen verschwinden mitten in der Stadt. Keine Spuren, keine Indizien.
      Die nächste Zeitung: Plymouth. Thomas' Hände fanden schon ganz alleine, was sie suchten, auch ohne seine Aufmerksamkeit: Mysteriöse Gasse lässt Leute verschwinden. Leiche gefunden, Kampfspuren, kein Blut. Keine Verdachtsperson.
      London: Blutspuren aber keine Leiche. Polizei ist ratlos. Vermeintlicher Serienmörder auf freiem Fuß. Regelmäßige Vermisstenmeldung aus dem Ghetto. Einbruch in Leichenhaus. Täter verschwindet von Tatort indem er sich "in Luft auflöst".
      Thomas warf die Zeitung wieder zurück und mehr Blätter segelten zu Boden, darunter eine von Vincents Übersetzungen. Er hatte schon seit mehreren Wochen nicht mehr daran gearbeitet.
      "Ich bin kein Jäger mehr."
      Er verschränkte die Hände im Schoß, das Messer nach vorne gerichtet. Kühl blickte er dem anderen ins Gesicht.
      "Wie stellst du dir das vor, ich packe meine Sachen, mein ganzes Arsenal, gehe nach - was? Bis nach Plymouth an die Küste? Lasse mich dort nieder für eine unbestimmte Zeit und gehe irgendwelchen fadenscheinigen Anzeigen nach?"
      Etwas regte sich bei dem Gedanken in ihm, aber Thomas' Gehirn wusste es besser. Er hatte schon keine Lust, nachts seine Spaziergänge zu unternehmen, da hatte er doch sicherlich auch keine Lust, durch halb England zu fahren, um in irgendeiner Großstadt Vampire zu jagen.
      "Abgesehen davon habe ich seit Monaten nicht mehr trainiert. Meine Reflexe sind völlig verkümmert, ich weiß nicht, ob ich meinem Instinkt vertrauen kann. Ein Sprössling könnte mir vermutlich den Kopf abreißen, bevor ich mich bewegt hätte."
      Seine Miene verfinsterte sich, aus seiner Stimme wich der Schneid. Eigentlich wollte er Vincent damit angiften, aber er wurde nur etwas leiser.
      "Wenn du mich loswerden willst, geht das auch anders."
    • Wie konnte ihn ein Mann - ein einzelner Mann! - so sehr zur Weißglut bringen?!
      Vincent drückte seine Fäuste gegen die Tischplatte und lehnte sich etwas vor. Das Monster in seinem Inneren - hungrig, wütend, einen Jäger sehend - knurrte und bereitete sich darauf vor, über den Tisch zu springen und diesem Menschlein die Kehle rauszureißen, wie dieser es gerade offen von ihm verlangt hatte.
      "Ich will dich nicht loswerden, Thomas. Aber wenn du nicht bald etwas tust, dann werden wir uns verlieren. Verstehst du das?! Du kannst so oft behaupten, dass du kein Jäger mehr bist, wie du willst, aber wir beide wissen es besser. Du kannst das Monster im Inneren nicht ignorieren, Thomas. Also ja. Pack deine Sachen, fahr nach Plymouth. Nach Oxford. London. Mir egal. Was du nicht tun wirst, ist hier in deinem Büro zu sitzen und dich mit diesem verdammten Schädel zu unterhalten, als wärst du Hamlet! Trainier mit Simon, wenn du der Meinung bist, dass du außer Form bist! Der hilft dir sicher gern."
      Vincent schloss die Augen und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Ihm stieg Thomas' altbekannter Duft nach Zimt in die Nase, aber anstatt ihn noch hungriger zu machen, zuckte das Biest zurück. Es hatte gelernt, dass dieser Geruch zu einem furchtbaren Mahl führte. Vincent richtete sich auf und sah auf Thomas hinab.
      "Du bist nur noch ein Schatten deiner Selbst, seit du versuchst, diesen Teil von dir zu töten. Es funktioniert nicht. Und ich bin nicht bereit, dich zu verlieren. Wenn du nicht selbst gehst, dann schleife ich dich eben irgendwo hin. Ich provoziere einen Kampf mit einem meiner Nachbarn, wenn es das ist, was du brauchst. Mir ist das vollkommen egal. Aber mir ist nicht egal, wie du hier versauerst. Du gehst ein wie eine Pflanze und... ich weiß, dass das mein Fehler ist. Ich weiß, dass das," er deutete auf Thomas' klägliche Erscheinung, "nur passiert ist, weil ich dich dazu gezwungen habe, dich zwischen mir und deinem Leben als Jäger zu entscheiden. Dafür entschuldige ich mich."
      Er nahm eine der Zeitungen und klatschte sie vor Thomas auf den Tisch.
      "Geh jagen. Nimm Simon mit, bring's ihm bei, lass ihn dir helfen. Um deine Instinkte musst du dir keine Sorgen machen; ich werde mich wieder von Schweineblut ernähren."
      Vincent machte auf den Hacken kehrt und ließ Thomas allein mit seinem neuen besten Freund. Er hielt es in diesem Raum nicht länger aus. Er hielt es in diesem Haus nicht länger aus. Thomas war nicht der Einzige, den es gerade nach einer Jagd verlangte. Die Herzschläge seiner Belegschaft brüllten in seinem Schädel.
      Vincent stürmte hinaus in den Garten und ließ sich von der Nacht einhüllen. Die Luft war kühl, der Himmel klar. Der Mond und die Sterne waren genug, um ihm die Welt seines Gartens zu enthüllen. Er hörte die Insekten und die Kleintiere, wie sie ihrem nächtlichen Leben nachgingen. Aber Vincent war hungrig, ein Hase würde nicht ausreichen. Er brauchte etwas größeres. Er wusste, dass es ihm auf den Magen schlagen würde, aber das war ihm egal. Er brauchte etwas, das er töten konnte, bevor all die Frustration der vergangenen Tage und Wochen aus ihm herausbrach und er die Kontrolle verlor.
      Vincent war einen Blick über die Schulter zu dem Büro, in dem sich Thomas schon so lange verschanzt hatte. Es war ihm egal, ob Thomas ihn sah, beschloss er in diesem Augenblick und seine Augen verloren alle Farbe. Thomas wollte nicht jagen? Ihm egal. Er wollte jagen.
      Die sanften Schritte eines Rehs irgendwo im Wald des Grundstücks erregten die Aufmerksamkeit des Vampirs. Er war nicht froh über die Wahl der Beute, aber der Vampir wusste, dass er nichts anderes bekommen würde. Also rannte er los, verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Heute Nacht würde er etwas töten.
    • In einer gar drohenden Geste lehnte Vincent sich über den Tisch nach vorne, die blanken Fäuste gegen das Holz gedrückt. Sein Gesicht war nicht verzerrt, aber der Zorn tanzte in seinen Augen, ließ das strahlende Blau flackern wie ein Feuer, das Thomas jeden Moment verbrennen könnte. Sein Kiefer war ganz starr und von den sonstigen Lachfältchen war keine Spur zu sehen, als hätte es sie nie gegeben, als hätte dieser Mann Thomas niemals mit einem warmen Lächeln angesehen. Und wirklich, dieser Ausdruck jetzt war ihm bekannter, diesen hatte er in letzter Zeit häufiger zu sehen bekommen.
      Dafür wollte er nicht wissen, wie er selbst zurückstarrte, wie sich seine Lippen streng aufeinanderpressten und wie sein Blick Vincents Augen wie Dornen zu durchstechen versuchten. So weich und warmherzig er seinen Freund einmal betrachtet haben musste, so hart und kühl war seine Miene jetzt.
      Er hatte keine Worte, die er Vincent hätte zurückschleudern können. Der Mann kämpfte sichtlich mit sich, mit allem hier, mit dem letzten bisschen Rest, womit sie es hier noch zu tun hatten. Das war mehr, als Thomas von sich behaupten konnte. Ja, er versauerte hier, aber er war auch kein Jäger mehr, er konnte keine halben Sachen machen. Er hatte sich dagegen entschieden und mit der Entscheidung musste er leben. Tat er es nicht, riskierte er den Tod. Jetzt hatte er keinen Großvater mehr, der ihn in die Jagd eingeführt hätte, keinen Vater, der ihn auf die Jagd mitgenommen hätte, keine Mutter, die sicherstellte, dass er auch wieder nachhause kam. Er war alleine mit all seinen Entscheidungen und die würden am Ende des Tages über sein Leben bestimmen.
      Mürrisch starrte er auf die Zeitung hinab, die Vincent ihm hinklatschte, bevor er sich endgültig aufrichtete. Die letzten Worte fielen wie Steine, dann war der Mann so stürmisch wieder aus dem Zimmer verschwunden, wie er gekommen war. Nur Thomas blieb zurück, missmutig in seinen Stuhl eingesunken und mit einem Haufen Zeitungen konfrontiert, die er gar nicht lesen wollte. Das meiste waren doch sowieso falsche Fährten! Aber konnte er es bei einer großen Stadt wirklich wissen? Wie hoch war denn die Chance, dass dort ein Vampir sein Revier hatte, so wie auch Vincent hier seins aufgebaut hatte?
      Sein Blick fiel auf Vlad, der ihn aus dunklen, leeren Augenhöhlen heraus anstarrte, ihn, seinen Bezwinger, der jetzt gar nichts mehr tat, außer tagein tagaus aus einem Fenster zu starren und sich vor dem Mann zu verstecken, wegen dem der Schädel überhaupt zu einem geworden war. Vielleicht verhöhnte er ihn ja, Thomas van Helsing, der gegen einen Vampirmeister bestand, nur um gleich im Anschluss seine Fähigkeiten verkümmern zu lassen.
      Thomas starrte zurück, gab ein abschätziges Geräusch von sich und drehte den Schädel vom Fenster weg. Dann drehte er sich im Stuhl um, reine Gewohnheit, und starrte wieder dumpf aus dem Fenster.
      Unten bewegte sich etwas. Eine Silhouette tauchte auf, ganz eindeutig Vincent, so selbstverständlich, wie sie in die Nacht hinaus marschierte. Der Mann drehte den Kopf und für eine winzige, gleichzeitig ewige Sekunde mussten sich ihre Blicke treffen, irgendwo da draußen, irgendwo im Dunkeln, das Thomas nicht ganz greifen konnte. Dann gab der Mann eine Bewegung von sich und war plötzlich, mit einem Blinzeln, vollkommen verschwunden.
      Thomas' Herz machte einen Satz.

      Er ging wie die Tage alleine ins Bett. Er hatte darauf gewartet, dass die Nacht wieder etwas hervorbringen würde, aber Vincent beehrte ihn nicht noch einmal mit seiner vampirischen Gestalt. Das stimmte ihn wütend; nur wegen ihm hatte er die Zeitungen noch einmal durchgelesen, aufmerksamer diesmal. Nur wegen ihm hatte er die Kraft, die Motivation aufgenommen, einen solchen Versuch zu wagen. Immerhin hatte er recht, es konnte nicht so weitergehen. Thomas kam sich selbst vor, als würde jeden Tag ein weiterer Teil von ihm sterben, den er nicht wiederbringen konnte.
      Aber dann war der andere in die Nacht verschwunden, hatte ihn alleine gelassen mit dieser Aufgabe und daher ging er wütend ins Bett. Sollte er doch sehen, was aus dieser grandiosen Jagd-Idee werden würde. Wenn er schonmal draußen war, konnte er sich ja gleich einen Platz für ein Grab aussuchen.
      Auf dem Nachttisch auf Vincents Seite hinterließ er eine herzlos gekritzelte Nachricht:

      LONDON.
      Du kommst mit.

      Immerhin war es seine Schnapsidee gewesen.
      Aus einer kindischen Sturheit heraus beharrte Thomas darauf, tagsüber zu fahren. Er sollte jagen gehen? Er würde jagen gehen. Zu seinen eigenen Konditionen.
    • Der Vampir stürzte sich mit vollem Gewicht aus dem Baum, landete so hart auf dem Reh, dass dem Tier die Beine brachen. Einen Moment später gruben sich lange, spitze Zähne tief in das muskulöse Fleisch am Hals des Tieres. Der Vampir inhalierte das Blut geradezu. Er trank so schnell in so großen Zügen, dass er den Geschmack kaum wahrnahm. Denn darum ging es auch gar nicht.
      Die Versuche des Rehs, sich aus seinem Griff zu befreien, wurden schwächer und schwächer. Der Vampir konnte spüren, wie das kleine Herz flatterte, bevor es langsamer und langsamer wurde. Noch langsamer. Dann: Stille. Er nahm einen letzten, tiefen Zug aus der zerfetzten Kehle des Rehs, dann hob er den Kopf und starrte den Himmel an. Den Mond. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er den Mond angebetet. Einen brutalen, unersättlichen Mond.
      Vincent schob da Reh von sich und stand auf, ging zurück zu seinem Haus. Er schaffte es fast bis zur Küchentür, bevor sich sein ganzer Körper verkrampfte. Er fiel auf die Knie und einen Moment später übergab er sich so heftig, dass er glaubte, seine Organe gleich mit hochzuwürgen. Doch er begrüßte den Schmerz. Körperlicher Schmerz war leicht zu ertragen und er übertünchte das, was tiefer schlummerte.
      Nora rannte nach draußen, strich ihm sanft über den Rücken, während er den Boden mit Blut bedeckte, das nicht seines war und niemals seines sein würde. Es kam einer Reinigung gleich. Die letzten Reste dessen, was ihn mit Thomas verband, wurden genauso herausgepresst wie das Blut des Rehs. Er würgte noch ein paarmal trocken, bevor sein Körper sich endlich beruhigte und ihn zitternd, hungrig und geschwächt wie schon lange nicht mehr zurückließ.
      Vincent brauchte Noras Hilfe, um wieder auf die Füße zu kommen. Sie half ihm ins Haus und setzte ihn an den Esstisch. Sie stellte keine Fragen. Sie eilte einfach davon, um ihm ein neues, nicht vollgeblutetes Hemd zu besorgen. Vincent ging an diesem Morgen nichts ins Bett. Stattdessen stieg er auf wackligen Beinen die Stufen in den Keller hinab und verkroch sich in dem kleinen Arbeitszimmer, in dem er auch schon seiner Silbervergiftung gefrönt hatte. Er rollte sich auf dem alten, durchgesessenen Sofa zusammen und hieß die Bewusstlosigkeit des Tages mit offenen Armen willkommen. Er versuchte, nicht an Thomas zu denken. Auszuhungern würde auch ohne den Mann schwer genug werden.

      Nora servierte Thomas kein Frühstück. Stattdessen stürmte sie am Morgen ins Schlafzimmer und riss die Vorhänge auf. Sie schnappte sich Vincents Morgenrobe und begann, ein paar bequemere Hemden und Hosen für ihn zusammenzusuchen. Dabei erblickte sie die kleine Notiz auf dem Nachttisch. Sie zerknüllte sie und warf sie Thomas gegen die Brust.
      "Sie werden keine Forderungen an Vincent stellen," informierte sie den Mann, den sie mit voller Absicht wieder siezte. "Ich habe Sie gewarnt. Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie auf sein Herz aufpassen sollen. Stattdessen haben Sie die Entscheidung getroffen, es ihm aus der Brust zu reißen. Erneut. Es gab einmal eine Zeit, in der Sie sich Sorgen darum gemacht haben, wie ich Sie sehe. Welche Meinung ich von Ihnen habe. Hier ist meine Antwort: Ich mag Sie nicht. Nicht mehr. Ich dachte, Sie befreien Vincent von seinen Dämonen. Stattdessen sind Sie zu einem weiteren geworden. Herzlichen Glückwunsch. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden: Ich habe mich um einen verhungernden Vampir zu kümmern. Und nein, er wird Sie nicht nach London begleiten. Zur Sicherheit aller."
      Mit diesen Worten verschwand Nora aus dem Schlafzimmer und überließ Thomas sich selbst. Sie richtete alles für Vincent im Keller her, während dieser schlief - die einzig sichere Zeit in seiner Gegenwart. Sie stellte eine kleine Servierglocke mit einem sanften Mahl auf den Schreibtisch, legte die Klamotten über einen Stuhl. Dann ließ sie auch diesen Mann allein, ging aber sicher, die Tür hinter sich abzuschließen und mit Runen zu versehen, die den Vampir auch wirklich einsperren würden. Danach ging sie zum Bedienstetenhaus, wo sie den Rest der Belegschaft darüber informierte, sich vom Keller fernzuhalten. Esther und Simon wies sie an, eine Reise nach London vorzubereiten, sie würden Thomas begleiten. Esther machte sich gleich daran, alles in die Wege zu leiten - von der Unterbringung bis hin zum Packen. Sie stellte keine Fragen. Simon auch nicht, egal wie sehr sie ihm unter den Fingernägeln brannten.

      Vincent erwachte bei Sonnenuntergang selbst ohne ein einziges Fenster in der Nähe zu haben. Seine Adern brannten - ein bekanntes Gefühl, dem er sich eine kleine Weile hingab, bevor er aufstand. Er sah sich in dem kleinen Kellerraum um. Das hier würde in den nächsten Tagen sein Zuhause sein. Er würde seine Zeit hier allein verbringen, hungern bis er beinahe den Verstand verlor. Wie lange würde es dauern? Was hatte Dominik dazu gesagt? Vincent erinnerte sich nicht mehr. Er vertraute darauf, dass Nora auf ihn aufpasste. Nora, nicht Thomas.
      Bei dem Gedanken an Thomas seufzte Vincent. Er war wütend gewesen, als er ihn gestern einfach so überfallen hatte. Er bereute es, wie er dieses Gespräch, falls man es denn so nennen konnte, geführt hatte. Seine Worte aber bereute Vincent nicht. Er hatte jedes davon auch genauso gemeint.
      "Ich schätze wir werden beide zum Davor zurückkehren müssen," murmelte er in die Dunkelheit des kleinen Raumes und setzte sich an den Schreibtisch. "Du bist wieder Jäger, ich ernähre mich wieder von Tieren. Vielleicht schaffen wir es dann ja auch zu unserem gemeinsamen Davor zurück..."
      Vincent hoffte es. Er wünschte es sich mehr als alles andere. So unterkühlt ihre Beziehung zueinander auch geworden war - er liebte Thomas noch immer. Und genau deswegen musste er das hier tun. Genau deswegen würde er das hier durchstehen, wie er auch alles andere durchgestanden hatte. Für Thomas.
    • Thomas wurde am Morgen aufgeweckt, aber nicht etwa von einem Vampir, der in ihr gemeinsames Bett gekrochen kam, sondern von Nora, die wie ein Wirbelsturm hereinfegte und ihn mit ihrer Geschäftigkeit aus dem Schlaf riss. Dabei wurde er gänzlich überrumpelt; die Vorwürfe schossen wie eine Salve auf ihn ab und Thomas konnte sich kaum davor schützen. Er war noch gar nicht richtig wach, aber diese Ausrede brachte wenig, denn auch wenn er sich eine Woche auf diesen Moment hätte vorbereiten können, wäre Nora doch immernoch über ihn hinweg gefegt. Sein eigener Zettel traf ihn an der Brust und dann war die Haushälterin auch schon wieder verschwunden, auf ihrem Weg sonst wohin. Erst, als die Tür hinter ihr bereits zugeknallt war, rief Thomas ihr nach:
      "Es war seine Idee gewesen!"
      Aber das Argument hörte sich lächerlich an, wenn er es so in den leeren Raum hinein warf. Leer, da er mit einem Seitenblick auf Vincent entdeckte, dass der Mann gar nicht ins Bett gekommen war. Dabei musste die Sonne längst aufgegangen sein.
      Sollte er doch schlafen, wo auch immer er wollte, das Haus war groß genug dafür. Es war sowieso fragwürdig, wieso sie noch so lange in einem Bett geschlafen hatten, wenn sie doch gar nichts mehr von ihrer Nähe hatten.
      Aufgewühlt verkroch Thomas sich wieder unter der Bettdecke und versuchte sich jetzt, im Nachhinein, zu überlegen, was er Nora hätte erwidern sollen. Nicht, dass er jemals die Gelegenheit dafür bekommen würde. Aber er hatte keine Lust auf London, keine Lust auf eine Jagd und überhaupt, keine Lust das Bett zu verlassen. Sollten sie sich doch alle zum Teufel scheren, das war ihm ganz gleich.

      Simon und Esther erwarteten ihn ohne jegliche Kommentare. Er hätte auch keinerlei Fragen beantwortet, hatte sich geschworen, dass er schweigen und sich in seinem eigenen Leid suhlen würde. Mit gepackten Taschen kam er herab und fühlte sich, als stünde ein weiterer Umzug bevor. Nora war nicht da, um ihn zu verabschieden, und Vincent natürlich auch nicht. Mit mürrischer Miene stapfte er nach draußen und bezog eine der Kutschen.
      Sie fuhren ab und er sah sich nicht noch einmal um.


      London war eine Großstadt, wie sie im Buche stand, aber Thomas war kein Großstadtmensch. Die Luft war hier verpestet von zu viel Fabrik-Rauch, die Häuser standen zu eng beieinander und die Straßen waren zu breit, die Menschenmassen waren zu groß und zu überwältigend und wohin auch immer man blickte, man sah die typische englische Eitelkeit, die vornehmen Anzüge und schicken Kleider, die auffallenden Läden an den Straßenseiten und die protzigen Kutschen. Das eigene Emblem von Harker Heights stand an anderen Orten zwar hervor, aber hier, im Herzen des Landes, verschwand es unter dem Prunk so vieler Symbole und Wappen, dass es fast schon unauffällig wirkte.
      Thomas mochte das nicht. Er war aber auch nicht in der Stimmung dafür, irgendwas zu mögen.
      Sie bezogen eine bescheidene Unterkunft, in der er seine Waffen ausbreiten konnte, ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen. Simon schien aufgeregt, seine erste richtige Jagd beschreiten zu können, aber Thomas war nervös. Es hatte mehrere Gründe dafür gegeben, dass er Vincent hatte mitnehmen wollen: Zum einen wollte er ihm beweisen, was für eine idiotische Idee diese ganze Sache war, einen quasi in den Ruhestand gegangenen Jäger wieder aufleben zu lassen, zum anderen wollte er sich aber auch mit ihm absichern, sich von ihm beschützen lassen. Seine letzte Bastion, bei der er einkehren konnte, wenn es ihm zu viel würde. Nun würde Esther die Aufgabe übernehmen, die beiden Männer zu erwarten, um im Fall der Fälle Wunden zu verpflegen, aber es war nicht das gleiche. Es wären keine sanften Worte, die ihn erwarteten, kein gemeinsames Bad, so wie es schon zur Tradition gewesen war, keine Sicherheit, wenn er endlich wieder in Vincent Armen liegen würde. Thomas mochte Simon und Esther bei sich haben, aber er war gänzlich auf sich alleine gestellt. Vincent war nicht hier, um ihn mit seiner Liebe gesund zu pflegen.
      Grimmig fing er mit seinen Vorbereitungen an. Wenn er schon das eine nicht haben konnte, konnte er doch wenigstens beweisen, dass die ganze Unternehmung ein Fehler war.
      Simon versuchte er von seiner Laune zu verschonen, der Junge war der letzte, der es verdient hätte, zwischen die Fronten zu geraten.

      London schien eine Brutstätte für vampirische Aktivitäten, was kaum verwunderlich war. Thomas mochte darauf wetten, dass es hier gleich mehrere fest ansässige Vampire gab, die gewisse Stadtviertel für sich beanspruchten und dort ihrer vampirischen Politik nachgingen - doch in diesem Sommer würden sie Bekanntschaft mit einem van Helsing machen. Für eine der beiden Parteien würde dieses Aufeinandertreffen das erste und letzte Mal sein.
      Es war viel einfacher, in dieser Großstadt einen Vampir zu finden, als irgendwo anders. Thomas wusste durch Cambridge bereits genau, wonach er Ausschau halten musste, und wurde schnell fündig. Mit Simon wartete er seinem Opfer auf, die Waffen unter seiner Weste versteckt. Die Nächte waren zu warm für einen ganzen Mantel, aber Messer und Spritzen würden es schon tun. Sie begegneten dem Wesen, einer alten, unscheinbar wirkenden Frau, und kesselten sie ein. Die Frau lachte sie und ihre Silbermesser aus und verschwand innerhalb eines Wimpernschlags in der Dunkelheit. Nun mochte Thomas seit Monaten schon keine Jagd mehr betrieben haben, aber Monate konnten doch lebenslange Erfahrung nicht völlig auslöschen. Sein Instinkt sprang an, warf sich auf dieses gefundene Fressen, als wäre es das einzige, das ihn am Leben erhalten konnte, und jagte seinen Puls in die Höhe. Seine Sinne waren so scharf wie schon seit Monaten nicht mehr und sein ganzer Körper prickelte in dem Verlangen, ein unmenschliches Herz zu durchstoßen. Seine Müdigkeit, seine Unlust waren wie ausgelöscht; es gab nichts mehr als die Jagd und den Jäger. Zwar waren seine Reflexe tatsächlich verkümmert, ein bisschen zu langsam, ein bisschen zu träge, aber dafür hatte er Simon. Der Junge machte sich gut, so schnell, wie er sich bewegte und so gezielt, wie er zustieß. Es machte Thomas stolz zu sehen, was der andere gelernt hatte und das in dieser kurzen Zeit. Er freute sich bereits darauf, Vincent davon zu erzählen.
      Zumindest ganz kurz. So lange, bis die Realität den Gedanken überschattet hatte.
      Der Kampf dauerte acht Minuten, doch als er vorbei war, war der Jäger gerade mal wach geworden. Er riss das Messer aus dem leblosen Körper und wies Simon mit einer scharfen Geste an, mitzukommen.
      "Wir sehen uns gleich den nächsten Fall an. Die Nacht ist noch jung und ich möchte wetten, dass irgendjemand diesen Kampf mitbekommen hat."
      Also zogen sie weiter.

      Esther hatte bereits angefangen sich Sorgen zu machen, doch die beiden Männer kamen im Morgengrauen wieder. Während Simon völlig erschöpft in sein Bett fiel und gleich eingeschlafen war, setzte sich der Jäger an den kleinen Tisch im Zimmer und breitete eine Londoner Karte aus. Er verzeichnete die Orte, an denen sie auf Vampire getroffen waren, und zeichnete sich gleich die nächsten Verdachtsorte ein, die er in der folgenden Nacht aufsuchen wollte. Noch war kein Muster zu erkennen, noch war es aber auch noch viel zu früh. Um zehn Uhr legte er sich erst schlafen, ruhte sich acht Stunden aus, ging mit Simon Abendessen und zog danach gleich weiter. Der Junge hatte noch Muskelkater vom vergangenen Abend und hielt nicht mehr die ganze Nacht durch, der Jäger kam dafür erst richtig in Fahrt. Noch nie zuvor hatte er sich so sehr auf seine Jagd konzentrieren können und noch nie zuvor hatte sie ihn so sehr belebt wie an diesem Abend. Drei Vampire fielen seiner Klinge zum Opfer, dafür zog er sich einen Muskelriss in der Schulter zu, eine Prellung im Bauch und im Rücken und etliche blaue Flecke, die ihn permanent plagten. Doch das hielt ihn nicht auf, die nächste Nacht dasselbe zu tun. Und die Nacht darauf. Londons vampirische Unterwelt war kaum gefasst auf den Tornado mit dem Namen van Helsing, der durch sie hindurch pflügte. Erst am fünften Tag, als sein Schlafrhythmus sich bereits vollständig darauf eingestellt hatte, nachts wach zu sein und tagsüber zu schlafen, kehrte so etwas wie ein Realitätssinn zurück. Er humpelte, nachdem ihm ein Vampir etwas zu hart auf den Fuß getreten war, und sah ein, dass er einen Gang zurückschalten musste. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er über zehn Londoner Vampire auf dem Gewissen.
      Als er mit Simon an diesem Abend beim Essen saß, war er sogar soweit heruntergekommen, um sich erst über die Situation klar zu werden.
      "Was mache ich hier überhaupt?"
      Das Hoch seiner intensiven Jagden verflog langsam und zurück blieb nichts als Sehnsucht. Er konnte klarer sehen, ihm wurde erst jetzt die verschwendeten Monate bewusst, was er doch riskiert hatte, nur für seine dumme Sturheit. Wie gut er es mit Vincent gehabt hatte, bis dahin. Wie sehr er ihn geliebt hatte - wie sehr er ihn immernoch liebte. Wie sehr es drohte, ihm aus den Fingern zu gleiten.
      "Ich sollte gar nicht hier sein! Was mache ich hier?"
      Er rieb sich über das Gesicht, raufte sich die Haare. An diesem Abend hatte er wenig Hunger; er wusste, dass er etwas essen sollte, bevor er jagen ging, aber jetzt beschäftigte ihn etwas anderes. Etwas, womit er sich schon längst hätte auseinandersetzen müssen.
      "Es hat doch funktioniert, zwischen ihm und mir! Oder nicht? Nein, wie komme ich... wie komme ich überhaupt auf die Idee, dass das funktionieren könnte! Er ist doch... und ich bin... wie soll das gehen! Soll ich ihn etwa jagen? Oder nicht jagen? Aber seine Zähne... ich kann nicht... ich lasse ihn von mir trinken! Wer bin ich denn, irgendein Schlachttier? Das ist doch absurd! Aber er kann ja auch nicht... und er muss, ich weiß das, ich sehe ihn doch, er ist doch so viel gesünder, so viel stärker seit er trinkt, aber es geht doch nicht. Oder schon? Was tue ich nur? Gott im Himmel!"
      Wieder raufte er sich die Haare und starrte Simon dann fast flehend an, als ob der Mann ihm jetzt alle Antworten auf seinen wirren Monolog liefern könnte.
      "Ich möchte, dass es funktioniert. Ich will nicht ohne ihn sein, nie wieder, ich liebe ihn. Wie soll das nur funktionieren?"