In his Thrall [Codren feat. Pumi]

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    • Dominic grinste dieses Grinsen, das normalerweise bedeutete, dass er mehr wusste, als er ursprünglich zugegeben hatte und dass er eine genauere Nachfrage erwartet, wenn nicht sogar absichtlich provoziert hatte. Elender Spieler, dachte sich Vincent, verkniff sich aber ein Kopfschütteln.
      "Ich habe nicht gesagt, dass ich unbewaffnet jagen war, als mein Herz noch richtig schlug, Tommy. Unser Training begann ohne Waffen, um uns abzuhärten. Von Anfang an waren wir mit übermächtigen Gegnern konfrontiert: Unsere Lehrmeister, voll ausgebildete Jäger, gingen uns mit ihren Waffen an. Abgestumpft, ja, aber sie hielten sich nicht zurück, nur weil sie mit Kindern umgingen. Es brauchte einiges, um ein Tempelritter zu werden, und noch mehr, um dieser speziellen Gruppe angehören zu können. Ich habe nie nachgezählt, aber von all den Kindern, die mit mir dieses Training begannen, habe nur ich überlebt. Wie die genaue Statistik aussieht kann ich dir also nicht sagen."
      Dominic erinnerte sich noch an jedes Gesicht. Er zeichnete sie regelmäßig, um sie auch nach den Jahrhunderten nicht zu vergessen.
      "Du musst wissen, die Zeiten, in denen ich als Mensch jagte, waren einfacher und brutaler. Ich erlernte die Jagd zu einer Zeit, in der das Schwert sehr viel mächtiger war als das Wort. Du solltest dich nicht an diesem Teil meiner Geschichte festbeißen."
      Dominic grinste ob seines eigenen kleinen Witzes und jetzt konnte sich Vincent nicht mehr davon abhalten, den Kopf zu schütteln.
      "Bitte verschone mich mit dem, was du Humor nennst, Dom," kommentierte er, ein Lächeln dennoch auf den Lippen.
      "Aber das ist doch mein Charme, Vinny! Ohne bin ich nicht mehr als ein Vagabund in der Nacht!"
    • Thomas presste die Lippen aufeinander und brummte ein:
      "Thomas reicht", wohlwissend, dass er damit wohl genauso wenig Erfolg haben würde wie Vincent bei dem Versuch, Dominic Vinny auszutreiben. Damit musste er sich jetzt wohl abfinden - ein vergleichsweise geringer Preis für die Information, die er dennoch erhalten durfte.
      "Dann stammen deine Jagdkenntnisse von den Tempelrittern? Ich dachte, sie wären hauptsächlich zu geistigen Zwecken eingesetzt worden, darunter würde ich nicht unbedingt Vampire zählen. Und deine Waffen waren Schwerter? Armbrüste, Dolche? Ich habe meine eigenen oben, wenn du sie dir mit deiner Fachkenntnis ansehen willst, ich weiß allerdings nicht, wo mein Vater alle herbekommen hat. Und wie überwältigst du überhaupt Vampire, wenn du keine Waffen dabei hast? Ich meine, wie bringst du sie um, ohne Silber? Vielleicht könntest du mir das zeigen?"
      Nach einem kurzen Zögern wanderte ein äußerst vielsagender Blick zu Vincent hinüber, richtete sich dann wieder auf Dominic und wurde schließlich von einem leichten Lächeln begleitet.
    • Vincent musste zugeben, dass es faszinierend war, diesen unbändigen Wissensdrang von Thomas beobachten zu können, anstatt sich ihm stellen zu müssen.
      "Glaubst du wirklich, die Kirche ließe die Existenz von etwas so dämonischen wie Vampiren zu? Wesen, die sich vom Blute der Menschen ernähren? Wesen, die den Tod selbst überlisten? Warum wohl sind Jäger der Moderne der Meinung, dass ein Kruzifix einen Vampir fernhalten kann?"
      Dominic zog seinen Rosenkranz aus seiner Hosentasche. Er lehnte sich vor, stützte die Ellenbogen auf der Tischplatte ab und ließ die Kette von seiner Hand baumeln. Anstatt aus Perlen gemacht zu sein, bestand dieser Rosenkranz aus einer langen Reihe an spitzen Eckzähnen, das christliche Kreuz war aus einem alten Knochen gemacht.
      "Auch nach fünfhundert Jahren noch bin ich religiös. Ich fürchte mich aber nicht vor Gottes Rache oder davor, für meine Taten in die Hölle zu kommen. Ich bin mit mir im Reinen und für jede Sünde leiste ich Buße."
      Dominic wickelte den Rosenkranz wieder um seine Hand und lehnte sich wieder zurück, wobei seinen Apfel wieder in die Hand nahm und einen großen Bissen daraus nahm.
      "Ich bevorzugte mein Langschwert über den Speer, aber ich wurde in beidem unterwiesen. Dolche eigenen sich dieser Tage selbstverständlich besser."
      Er arbeitete sich schnell durch die letzten Bissen seines Apfels, bevor er das Herz auf einen leeren Teller legte.
      "Vampire, gerade die jungen, sind von Instinkten getrieben. Sie hinterfragen einen Artgenossen nur selten, sie wollen nur sichergehen, dass ihnen niemand die Beute streitig macht. Die meisten spreche ich einfach an, verwickle sie in ein Gespräch. Und wenn ich sicher bin, dass sie ihren Pfad der Zerstörung nicht aufgeben wollen, dann reiße ich ihnen das Herz aus der Brust. Manchmal auch die Wirbelsäule. Das Genick zu brechen, wie du bereits erwähntest, bietet sich auch an. Sich von einem gebrochenen Rückgrat zu erholen ist unglaublich anstrengend und kompliziert, ich habe also kein Problem, die Körper vorher zu verbrennen."
    • Thomas ließ sich bereitwillig von Dominic berieseln, jedes seiner Worte eine neue Weisheit, die er sich einprägte.
      "Die heutige Kirche leugnet alles, was auch nur ansatzweise übernatürlich ist und dem Menschen schadet. Täte sie das nicht, müsste sie zugeben, dass sie in all den Jahrhunderten keinen Erfolg in ihrer Bekämpfung erzielt hat."
      Abwehrend hob er die Hand ein Stück.
      "Versteh mich nicht falsch, ich bin selbst gläubiger Christ, aber in der Kirche war ich schon lange nicht mehr - hauptsächlich, weil ich nachts dämonische Vampire vertreibe und gerne ausschlafen möchte, aber auch, weil sie sowieso nur das gleiche predigt. Die Wege des Herrn ändern sich fortlaufend und sie werden sich auch in Zukunft anpassen, ob Kirche oder nicht."
      Jetzt doch in einem Thema gelandet, das fernab von ihrer eigentlichen Unterhaltung lag und bei dem Thomas es eigentlich nicht wagen wollte, mit Dominic darüber zu diskutieren - immerhin hatte er die Entwicklung der Kirche miterlebt - war er doch froh um die kleine Ablenkung. Sein Interesse an dem Mann nahm weiter zu, je mehr er ihm erzählte. Er hätte vermutlich den ganzen Abend mit ihm hier verbringen können und ihm wären immer noch mehr Fragen eingefallen, die er ihm hätte stellen wollen.
      Sein Blick wanderte kurz zu dessen Zähnen hinab, die sich in den Apfel schlugen, dann sah er wieder zu seinen Augen auf.
      "Speer, wirklich?"
      Das stellte er sich merkwürdig vor. Es wäre äußerst unhandlich zu bedienen und außerdem befürchtete er, dass er nicht ungesehen mit einem Speer durch die Stadt schleichen könnte, aber sein Interesse war allemal da. Vielleicht würde er sich ja mal an einem probieren, wenn er ihm in die Finger fiele und wenn er nicht unbedingt mitten in der Stadt jagte.
      "Das Herz herauszureißen muss aber auch sehr blutig sein. Wird dir das in der heutigen Gesellschaft nicht zum Verhängnis? Und was ist überhaupt, wenn du Gegenwehr erfährst; es wird doch sicherlich Fälle geben, die schnell genug waren, um sich gegen dich zu wehren? Was war deine schwierigste Jagd - ob als Mensch oder Vampir?"
    • "Der Kirche diene ich schon lange nicht mehr," antwortete Dominic urteilsfrei. "Ich diene Gott und allem, was er erschaffen hat. Die Kirche ist eine menschliche Institution und wie alle Menschen giert sie nach Macht. Ich habe am eigenen Leib erfahren, was passiert, wenn man sich aussucht, welchen Lehren man folgt und welche man ignoriert."
      Vincent bewunderte diese Eigenschaft seines Freundes. Nach all den Jahren, nach allem was er gesehen und erlebt hatte, glaubte er noch immer an eine höhere Macht. Gleichzeitig war er niemand, der anderen seinen Glauben aufzwang. Er behielt ihn für sich, bis jemand mehr darüber wissen wollte. Und selbst dann erzählte er nur von seinen Erfahrungen, anstatt jemandem irgendeinen Leitfaden aufdrücken zu wollen. Dominic konnte so scharf wie ein Schwert sein, aber er war auch so sanft wie eine Brise im Sommer. Eine wundervolle Dualität, wie Vincent fand.
      Dominic grinste wieder ob Thomas' nächster Frage.
      "Als ob Menschen darauf achten, was mitten in der Nacht in dunklen Gassen geschieht. Bisher musste ich mir noch nie wirklich Gedanken darum machen, gesehen zu werden. Die wenigen Menschen, die mich bei meiner Arbeit sehen, sind leicht zu manipulieren. Ich bin sicher, Vinny hat dir diesen speziellen Trick unsereins schon vorgeführt? Wenn ich nicht gesehen werden will, werde ich das auch nicht. Dafür hat ein Vampir doch diese Fähigkeiten. Ich nutze sie eben nur für eine andere Beute, das ist alles. Gegenwehr gibt es natürlich immer. Niemand lässt sich gern das Herz aus der Brust reißen. Schwierig wird es erst, wenn man mehr Gegner als Hände hat. Aber selbst dann..."
      Dominic schüttelte den Kopf während er ein halbes Jahrtausend an Jagden in seinen Erinnerungen durchging.
      "Ich lege mich nicht mit den Alten an. Das können andere übernehmen, die Spaß an der ganzen Politik dahinter haben. Ich konzentriere mich auf die Zurückgelassenen, die Einzelgänger. Junge Vampire müssen gehandhabt werden, aber nicht jeder tut das. Manche entstehen aus Versehen, manche werden mit Absicht zurückgelassen. Sie lernen nicht, wie man jagt, sie hören nur auf ihre Instinkte. Das sind die, die ich jage. Ich gebe ihnen allen die Möglichkeit, stelle sie vor die Wahl in den Schoß unserer Gesellschaft zurückzukehren. Erst, wenn sie sich gegen diesen Gedanken stellen, töte ich sie. Und dann gibt es natürlich noch die Unrettbaren. Manch ein Vampir verliert sich selbst, wird zum Sklaven seiner Triebe. Wenn das Biest erst einmal den Geist übernommen hat, ist es schwer, wieder zurückzukommen. In dieser Hinsicht sind Vampire ein wenig wie Katzen: Wenn man sie nicht rechtzeitig sozialisiert, werden sie für immer wilde Raubtiere bleiben. Ich kontrolliere lediglich die Population der Straßenkatzen, bevor sie zu viele Vögelchen fressen."
    • Thomas lauschte höchst aufmerksam und interessiert. Es hätte zu diesem Zeitpunkt wohl kaum noch etwas gegeben, was aus Dominics Mund gekommen wäre und was er nicht gleich aufgesaugt hätte. Die schiere Unmenge an Erfahrung, die der Jäger haben musste, reichte aus, um jeder einzelnen Aussage eine besondere Gewichtung zu verleihen, die Thomas mehr als spürbar war. Das Privileg zu besitzen, mit diesem Mann an einem Tisch zu sitzen und seinen Wissensstand mit ihm auszugleichen, feuerte ihn auch jetzt noch immer mehr an.
      Und er wusste bei Weitem kein Ende mit seinen Fragen. Er scheute keine Antworten auf Dominics Anstöße und auch keine Zwischenfragen, wenn ihm etwas unklar schien. Er scheute auch nicht die Diskussion mit ihm und nachdem der Vampir genauso wenig darauf verzichtete, Thomas' eigenen Denkanstöße entgegenzunehmen, brandete ihre Unterhaltung nur weiter aus. Was definierte Dominic als zurückgelassen? Was war ein Sklave seiner Triebe und was unterschied ihn von solchen, die wissentlich ihren Instinkten nachgingen? Wo zog er die Linie, welche Vampire zurück in die Gesellschaft konnten und welche nicht - etwa dabei, wessen Blut sie tranken? Woher sollte er Lügen erkennen? Welche Faktoren berechnete er mit ein, wenn er sich ein neues Ziel ausgesucht hatte? Und wie schützte er sich selbst, vor seinen Artgenossen und vor Jägern, die es sicherlich anderorts auch geben sollte? Welchem Dilemma setzte er sich aus, wenn er sich zwischen beiden entscheiden müsste?
      Und natürlich auch, ob ihm sein Leben gefalle, ob er das Menschsein vermisse, ob er jemals bereue, in seiner jetzigen Position gelandet zu sein. Noch bevor es allzu spät wurde, hatte Thomas alles andere um sich herum vergessen und war vollkommen auf Dominic fixiert, auf die Antworten, die er ihm lieferte und die Weisheit, die dahinter steckte. Wenn er gekonnt hätte, hätte er direkt in den Kopf des Jägers geblickt, um seine Antworten sofort zu erhalten. So musste er sich der eigenen Ungeduld und der Beschränkung der Zeit erst stellen, die dafür nur dafür sorgten, dass ihm nur noch mehr Einwände und Fragen einfielen.
    • Vincent beobachtete die Unterhaltung zwischen den beiden Männern mit einem sanften Lächeln im Gesicht. Da haben sich zwei gefunden, dachte er.
      Dominic beantwortete jede einzelne Frage, die Thomas ihm stellte, mit der Geduld eines Mannes, der seit einem halben Jahrtausend auf Erden wandelte. Gleichermaßen stellte Dom aber auch Fragen, die Thomas dazu brachten, ein bisschen tiefer in sich selbst hineinzublicken. Es war nicht das erste Mal, dass Vincent die Arbeit seines Freundes auf diese Weisebeobachten durfte. Dominic hatte dieses Talent, Leute dazu zu bringen, ihren eigenen Horizont zu erweitern, ohne dass sie es bemerkten. Hätte er damals gekonnt, hätte er Dominic und Thomas' Großvater einander vorgestellt. leider war Dominic zu dieser Zeit irgendwo in Russland unterwegs gewesen und damit weit außerhalb von Vincents Einflussgebiet.
      Irgendwann erhob sich Vincent, drückte Thomas einen kurzen Kuss auf den Scheitel, und entschuldigte sich. Er konnte die beiden allein lassen, ohne sich groß Gedanken darum machen zu müssen, dass der eine den anderen umbrachte, aus welchem Grund auch immer. Stattdessen gesellte er sich zu Nora und Esther in der Küche, wo die beiden Frauen sich gerade einen Tee gönnten.
      "Und? Haben wir bald noch einen Mitbewohner? Einen der das Gästezimmer tatsächlich auch benutzt?" fragte Nora.
      Esther lief ein bisschen rot an und versteckte sich hinter ihrer Teetasse. Sie hatte sich zwar schon an einiges in Vincents Haushalt gewöhnt, aber noch lange nicht an den offenen Umgang zwischen Nora und Vincent. Da war sie beinahe schon so wie Thomas.
      "Als ob Dominic jemals länger an einem Ort bleiben würde. Ich glaube eher, dass die beiden bald meinen Schreibtisch belagern und Notizen vergleichen. Vielleicht bringt Dom Thomas ja bei, ein Katapult zu bauen oder sowas."
      Vincent nahm sich ebenfalls eine Tasse und setzte sich zu den beiden Frauen.
      "Aber ich lasse ihnen gerne den Raum, wenn das heißt, dass Thomas ein paar bessere Strategien hat, um die Nächte zu überleben. Zumal er seit er mich kennt eine kleine Krise bezüglich seiner Arbeit als Jäger hat."
      Vincent konnte sich noch genau an den flehenden Unterton in Thomas Stimme erinnern, als er ihn gefragt hatte, ob er selbst ein Mörder sei. Wie dringend er die Bestätigung gebraucht hatte, kein Monster zu sein. Es hatte ihm das Herz zerrissen.
      Nora legte ihm eine Hand auf den Unterarm und holte ihn zurück in die Gegenwart.
      "Er muss sich eben noch an seine neuen Lebensumstände gewöhnen. Wer muss das nicht in deinem Haushalt?"
      Nora lächelte Esther zu, die einmal mehr rot anlief. Nun lächelte Vincent auch.
      "DOM!"
      Simon ruinierte nicht nur das Gespräch, dass Vincent gerade führte, sondern auch das der Jäger im Frühstückssaal, als er die Tür aufriss und sich lautstark auf Dominic stürzte. Der Vampir stand auf und fing den jungen Mann auf, bevor irgendjemand überhaupt blinzeln konnte, und wirbelte ihn kurz herum. Vincent beobachtete den letzten Schwung, bevor Dominic Simon wieder auf den Boden stellte.
      "Wow bist du groß geworden," kommentierte Dominic und verglich ihrer beider Körpergröße mit einer Hand.
      Simon war in den letzten zehn Jahren tatsächlich gewachsen, wie Menschen das nun einmal so an sich hatten, aber er ging Dominic immer noch nur bis zur Nasenspitze.
      "Und kräftig! Vinny muss dich gut füttern."
      "Ich füttere mich selbst ganz gut, danke der Nachfrage."
      Dominic zog Simon in einen Schwitzkasten und verpasste ihm eine Kopfnuss. Der junge Mann wehrte sich und schaffte es sogar, sich aus Dominics Griff zu befreien, was den Vampir überraschte.
      "Sag bloß...?"
      Er sah zu Thomas rüber.
      "Wir kümmern uns schon um den Nachwuchs? Sehr gut!"
      Im nächsten Moment tacklete Simon den Vampir und sie rollten ein bisschen über den Boden. Vincent schnappte sich die Vase, die drohte von der Kommode zu fallen, in die die beiden hineinkrachten, und sprang aus dem Weg. Er setzte die Vase auf dem Tisch ab und schüttelte nur den Kopf.
      "Könntet ihr das vielleicht draußen machen? Da habt ihr mehr Platz und ich muss mir weniger Sorgen um meine Möbel machen," kommentierte er.
      Einen Moment später wehte eine kalte Brise herein - Dominic hatte sich Simon geschnappt und war mit ihm nach draußen gehuscht, ohne das Fenster hinter sich zu schließen. Vincent schüttelte erneut den Kopf und schloss das Fenster wieder. Draußen rollten sich die beiden Männer im Dreck, laut lachend und spielerische Beleidigungen um sich werfend.
      Vincent seufzte, als er sich mit dem Rücken gegen das Fensterbrett lehnte.
      "Das war's dann wohl mit meiner geliebten Ruhe..."
    • Dominic war in jeglicher Hinsicht faszinierend, dessen konnte Thomas sich über eine Zeitspanne von vermutlich mehreren Stunden absolut vergewissern. Der Jäger hatte einfach eine Antwort auf alles - aber nicht auf die Weise, bei der man sich fragen musste, wo er das nun her hätte und ob das wirklich der Wahrheit entsprach, sondern auf eine Weise, die Thomas völlig in seinen Bann zog. So viel Wissen, wie Dominic zur Schau stellte, konnte es allerhöchstens in Büchereien geben und selbst da wäre Thomas sich nicht so sicher darüber. Es war einfach atemberaubend, er blühte in ihrem gemeinsamen Gespräch regelrecht auf.
      Vincent verabschiedete sich bald von ihnen, aber selbst der Kuss konnte Thomas nicht aus der Diskussion holen, die er mit dem anderen Vampir gerade führte. Er glaubte nicht, jemals zuvor so viel geredet zu haben - er glaubte nicht, jemals überhaupt jemanden getroffen zu haben, mit dem er ein solches Wissen austauschen konnte. Es war wie ein Traum und Thomas wollte nie wieder aufwachen.
      Es dauerte nicht lange, nachdem Vincent sich verabschiedet hatte, dass die Tür aufsprang, etwas energischer diesmal, und Simon hereingesprungen kam. Thomas hätte kaum ernsthaft böse über die Unterbrechung sein können, auch wenn es ihn interessiert hatte, was Dominic gerade zu sagen gehabt hatte. Aber die beiden kannten sich und so konnte er sich nicht von einem kleinen Lächeln abhalten, als der Junge sich überschwänglich in die Arme des Vampirs warf. Sein Lächeln weitete sich ein wenig aus, als er Vincent im Türrahmen stehen sah.
      "Ich habe keine eigene Kinder, wäre doch schade um das Wissen."
      Weiter kam es auch nicht, als Simon sich dazu entschloss, seine neu erworbenen Künste gleich einmal auszuprobieren, woraufhin sich die beiden Männer über den Boden wälzten. Thomas sprang ihnen aus dem Weg, bevor er auch noch unten gelandet wäre, und dann scheuchte Vincent sie in dem selben Knäuel, das sie boten, nach draußen. Noch immer lächelnd schloss der Jäger zum Fenster auf, widmete auf seinem Weg dem Raum und den Türen einen Blick und blieb dann vor Vincent stehen, dem er einen Arm um die Taille legte und sich an ihn lehnte. Sein Blick ging über dessen Schulter nach draußen, dorthin wo die beiden anderen gerade dabei waren, eine ziemlich wilde Vampirjagd zu betreiben - oder Menschenjagd, je nachdem, wie man es wohl sehen mochte.
      "Als Gastgeber hast du dein Recht auf Ruhe verwirkt, ganz besonders, wenn du so interessante Gäste einlädst. Gibt es noch mehr Jäger, von denen ich wissen sollte und die uns zu einem Abendessen besuchen möchten? Vielleicht mit einem ähnlich vielschichtigen Wissen? Ich glaube, ich habe noch gar keinen Vorteil aus deinem hohen Alter gezogen, das sollten wir mal nachholen."
      Er richtete seinen Blick auf Vincents blaue Augen, lächelte noch breiter, lehnte sich nach vorne und holte sich einen Kuss ab. Danach schob er sich halb an ihm vorbei, um anständig aus dem Fenster blicken zu können, ohne seinen Freund dabei loszulassen.
      "Simon macht sich aber gut, nicht wahr? Nur ein bisschen weiter so und ich kann ihn auf eine erste Jagd mitnehmen, sobald das mit Vlad vorbei ist - natürlich nur beaufsichtigt und ohne, dass irgendjemand anderes als der Vampir zu Schaden kommt. In seinem Alter habe ich schon eigenständig gejagt, ich hatte aber auch länger Vorlauf. Für die kurze Zeit macht er wirklich gute Fortschritte."
    • "Ich habe überhaupt niemanden eingeladen. Dominic lädt sich immer selbst ein, dieses Mal wusste ich nur ausnahmsweise, wann genau er vor meiner Tür steht. Beziehungsweise Fenster," kommentierte Vincent schlicht.
      Er trat hinter Thomas, schlang seine Arme locker um dessen Hüften und legte seinen Kopf auf dessen Schulter ab. Einen Moment lang beobachtete er Simon dabei, wie er versuchte, an Dominic heranzukommen. Natürlich ließ sein Freund dem jungen Mann viel mehr Chancen als wenn er es mit einem richtigen Gegner zu tun hätte, aber wie Thomas schon sagte: Simon schlug sich gut.
      "Ich weiß nicht, ob ich euch beide einfach so gehen lassen kann," gestand Vincent. "Ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst, aber Simon... Ich kümmere mich um ihn, seit er ein Kind war. Ich will nicht, dass ihm was passiert."
      Sein griff um Thomas verstärkte sich kurz. Obwohl er schon seit Jahren Leute in Not bei sich aufnahm, so war Simon doch der erste, den er wirklich aufgezogen hatte. Alle anderen Kinder, die auf die ein oder andere Art ihren Weg in Vincents Haushalt gefunden hatten, waren stets mit mindestens einem Elternteil bei ihm gewesen, sodass er eigentlich nur für sie hatte aufkommen müssen. Simon war da mehr ein Gruppenprojekt von allen gewesen - aber eben auch von Vincent. Er war es gewesen, der Simon Schlittschuhlaufen im Winter beigebracht hatte. Und im Sommer hatte er ihn im gleichen See schwimmen gelehrt. Er hatte ihm Abenteuerromane vorgelesen, wenn er nicht schlafen konnte und war sogar schon am helllichten Tag wegen einem wilden Jungen, der auf seinem Bett herumhüpfte, aufgewacht.
      Vincent hob den Kopf, lächelte sogar stolz, als Simon es schaffte, Dominic erneut von den Füßen zu holen und sogar in einen Klammergriff zu zwingen. Er machte sich wirklich wirklich gut. Als sei er dazu geboren worden.
    • Thomas ließ den Kopf gegen Vincents sinken und lehnte sich in die Umarmung. Für eine Weile sahen sie dabei zu, wie Simon über einen zugegebenermaßen langsamen, lahmenden und halbblinden Vampir triumphierte. Es war ja aber doch wenigstens ein Anfang.
      "Ich werde ihn zu nichts mitnehmen, was er oder du nicht möchte. Auch, wenn er eines Tages seine erste Jagd beschreiten wird, wenn er dabei bleiben möchte, daran können wir beide nichts ändern. Da sollte er lieber richtig vorbereitet sein."
      Die Arme um seine Hüfte verstärkten sich für einen Augenblick und da glaubte Thomas erst zu verstehen. Es ging viel weniger darum, dass Simon verletzt werden könnte, sondern dass Vincent Angst hatte, jemanden zu verlieren - jemand, der ihm sehr wichtig war.
      Sanft strich er ihm über die Hände auf seinem Bauch und schob dann die eigene Hand in Vincents Haar. Vor dem Fenster ließ Dominic sich gerade umnieten, was er immernoch recht grazil zustande brachte.
      "Er liegt dir sehr am Herzen, oder? So, wie du dir um ihn Sorgen machst, könnte er fast dein Sohn sein. Die Haare würden schonmal in die richtige Richtung gehen."
      Gelächter drang von draußen herein, ein zugegebenermaßen herzerwärmendes Geräusch. Thomas überkam fast ein Gefühl von Heimat.
      "Hattest du denn jemals eine richtige Familie, seitdem du gestorben bist?"
    • Vincent schüttelte den Kopf.
      "Ich habe meinen Haushalt," sagte er, als würde diese Tatsache über die fundamentale Einsamkeit hinwegtäuschen, die mit dem Leben als Vampir einherging.
      Fakt war nun einmal, dass Menschen starben. Immer. Vampire nicht. Jede Person, der sich Vincent annäherte, würde irgendwann verschwinden, manche früher, manche später, aber das Endergebnis war immer das Gleiche. Es gab Tage, da war es schwer, mit dieser Tatsache zu leben. Die würde es immer geben. Die Ewigkeit konnte ein Segen sein. Aber manchmal war sie nichts weiter als ein Fluch.
      Irgendwie schaffte es Simon, auf Dominics Schultern zu klettern, und wie zwei Zirkusathleten, kamen die beiden nun zurück zum Fenster. Simon grinste wie ein Honigkuchen Pferd und auch auf Dominics Gesicht war ein breites Lächeln. Vincent löste sich von Thomas und öffnete das Fenster, da sich Dom offensichtlich noch immer weigerte, Türen zu benutzen.
      Simon rutschte von Dominics Schultern auf den Fenstersims und gemeinsam mit Vincent halfen sie Dominic herein.
      "Seine Technik ist gut, Tommy, da hast du beste Arbeit geleistet. Aber viel Glück dabei, ihn leise zu bekommen," grinste Dominic.
      "Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?!"
      Simon boxte dem Vampir kräftig in die Schulter und verdiente sich damit eine herausgestreckte Zunge. Bevor die beiden sich aber schon wieder in irgendwelchen Scheinkämpfen verlieren konnten, schob sich Vincent zwischen die beiden.
      "Genug ausgetobt," meinte er und Simon ließ sich prompt auf einen Stuhl fallen.
      Der junge Mann wollte es vielleicht nicht zugeben, aber er war erschöpft. Simon würde heute Nacht gut schlafen. Und wahrscheinlich auch noch den halben Tag.
      "Ich hab mich letzte Nacht übrigens mit der Theaterdame gutgestellt," sagte Dominic da und lehnte sich gegen den Tisch. "Ich weiß zwar nicht, was ihr beiden vorhabt, aber wenn ihr ihr irgendwelche Nachrichten zukommen lassen wollt, lasst es mich wissen."
      Vincent stutzte.
      "Was ist aus deiner Neutralität geworden?" fragte er.
      "Ich spiele Botenjunge für dich, Vincent, nicht Soldat. Ich will, dass du mir diese Aufträge gibst, damit Simon nicht zwischen die Fronten gerät. Das ist der Kern meiner Neutralität: Außenstehende rauszuhalten, wenn sich die Alten in die Haare kriegen. Nur, weil ich deinen Plan nicht kenne, heißt das nicht, dass ich mir nicht vorstellen kann, was du vorhast. Und ich bin ehrlich: Ich weiß nicht, ob du die richtige Entscheidung triffst. Du hast dich von Vlad losgesagt. Er hat dich in Ruhe gelassen. Warum jetzt das Risiko eingehen?"
      Bevor Vincent antworten konnte, hob Dominic die Hand.
      "Ich will es nicht wissen. Das musst du mit dir selbst ausmachen. Ich bin nur hier, um den Schaden zu minimieren. Mehr nicht."
      Das ominöse Schlagen einer Standuhr hallte durch den Flur hinunter bis ins Esszimmer. Dominic stieß sich vom Tisch ab.
      "Ich muss dann auch mal wieder los, schließlich bin ich ein vielbeschäftigtes Bienchen. Wir sehn uns."
      Er ging zum Fenster und verschwand kurz darauf in der Nacht. Simon verabschiedete sich auch mit einem herzhaften Gähnen, als Vincent einmal mehr das Fenster schloss. Er lehnte sich mit den Fäusten auf den Fenstersims und ließ den Kopf ein wenig hängen. Warum musste Dominic immer den Nagel auf den Kopf treffen?
    • Thomas stockte, drehte sich dann in Vincents Umarmung um und richtete seinen Blick auf den Mann vor ihm.
      Er hatte nie darüber nachgedacht, dass Vincent keine Familie haben könnte - denn mit der Antwort des Haushalts gab er sich ganz sicher nicht zufrieden. Immerhin hatte der Vampir in seinem langen Leben sicher genug Möglichkeiten gehabt, so etwas wie eine Familie aufzubauen. Und ganz wegzudenken war es sowieso nicht; selbst Thomas, der eine große Familie höchstens in ihren Endzügen halbwegs hatte genießen können, bevor einer nach dem anderen weggestorben war, konnte sich nicht vorstellen, jemals nachhause zu kommen, ohne dass ihn jemand erwarten würde, der ihn mit offenen Armen empfing. Weshalb sonst drückte er sich so sehr davor, wieder in sein Zuhause zurückzukehren, wo ihn nichts dergleichen erwarten würde. Aber Vincent, der doch sicher alle Zeit der Welt hätte, um sich etwas derartiges aufzubauen? Warum tat er es nicht? Wieso sah er seinen Haushalt als Familie an? Wollte er keine? Wo sie doch so wichtig war?
      Die Frage lag Thomas auf der Zunge, aber sie kam ihm nicht über die Lippen, als im gleichen Moment die beiden Raufbolde zurückkehrten und er sich wohl oder übel von Vincent trennen musste. Noch immer abgelenkt von dem, was er soeben erfahren hatte, nickte er nur und murrte ein korrigierendes "Thomas" zurück, bevor er Abstand nahm. Sie unterhielten sich nur noch sehr kurz darüber, dass Dominic wohl freiwillig den Botenjungen mitmachte, dann verabschiedeten sich er und Simon in die jeweilige Richtung und ließen die beiden Männer alleine zurück. Vincent stützte sich auf dem Fensterbrett ab und Thomas betrachtete seinen Freund dabei.
      Es gefiel ihm nicht, nur so wenig von ihm zu wissen und dieses wenige vor allem nur so schlecht nachvollziehen zu können. Er hatte keine Ewigkeit zu leben, er hatte keine 200 Jahre verbracht mit einem Meister in seinem Rücken, der mehr Monster als Mensch war und er hatte sich auch nie mit Fragen auseinandersetzen müssen, die für ihn eigentlich selbstverständlich waren. Er hatte noch immer nicht gänzlich ergriffen, was Vincent alles hatte durchmachen müssen, aber er wusste noch ganz genau, was Nora ihm gesagt hatte, dass Vincent sich ständig um alle anderen kümmern wollte. Und jetzt wusste er, dass er selbst nichtmal jemanden hatte, der sich um ihn kümmerte.
      Langsam trat er zurück an Vincents Seite, legte ihm den Arm um die Schultern und ließ seinen Arm dann herunter gleiten, bis er den anderen Mann an seiner Hüfte zu sich zog. Er neigte sich nach vorne und platzierte einen sanften Kuss auf seiner Schläfe.
      "Wir schaffen das. Zusammen. Ich werde dir eine Familie sein und ich werde dich nicht im Stich lassen, solange ich lebe. Wir werden Vlad gemeinsam erledigen."
    • Instinktiv lehnte sich Vincent den warmen Körper, der an seiner Seite auftauchte. Er lächelte ein bisschen. "Solange ich lebe." Und danach war Vincent wieder allein. So wie immer.
      Vincent weigerte sich, sich von diesen dunklen Gedanken einnehmen zu lassen. Das konnte er in siebzig Jahren immer noch tun, wenn es so weit war. Für den Augenblick hatte er alles, was er brauchte: ein Dach über den Kopf, eine gute Freundin an seiner Seite, und Thomas.
      "Das weiß ich doch," sagte er also und drückte seinerseits Thomas einen Kuss auf die Stirn. "Wo wir gerade von ihm reden: Er erwartet eine Einladung von mir. Das sollte eher früher als später passieren, also sollten wir uns vorbereiten. Es ist gut möglich, dass er sich diesen James extra für dieses Treffen schnappt. Dann kann er seine eigenen, privaten Gladiatorenspiele mit ihm und dir veranstalten. James ist nicht deine übliche Beute. Er ist älter und er hat es geschafft, sich lange genug vor dir zu verstecken, um sich ein Nest aufzubauen. Dominic hat dir ein paar Tricks verraten, du solltest schnell lernen, die auch zu benutzen. Ich denke, du solltest das Training mit Simon morgen auslassen und das stattdessen mit mir machen."
      Vincent strich Thomas eine Strähne aus dem Gesicht und hinters Ohr, bevor er ihm die Hand an die Wange legte.
      "Aber erst morgen," sagte er lächelnd. "Jetzt ist erstmal Schlafenszeit für dich. Es ist schon nach eins."
      Ohne groß zu zögern hob er Thomas auf seine Arme und schlenderte in aller Seelenruhe hoch in sein Schlafzimmer. Er setzte ihn aber nicht auf seinem Bett ab, sondern ließ sich mit voller Absicht mit Thomas auf den Armen hineinfallen, sodass er halb auf dem anderen Mann lag. Lange sah er Thomas einfach nur in die Augen, ließ sich davon in den Bann ziehen.
      "Ich habe mich selten so zu Hause gefühlt wie bei dir," wisperte er dann, bevor er sich nach vorn lehnte und Thomas unendlich sanft küsste.
    • Ein wenig besänftigt von Vincents sanfter Zuneigung, die er ihm entgegen brachte, lächelte Thomas zurück und streichelte ihm über den Rücken. Er würde alles für diesen Mann vor ihm tun, ganz ohne jegliche Beschränkungen.
      "Gladiatorenspiele, was?"
      Er schmunzelte ein bisschen, bevor er wieder ernster wurde.
      "Ich weiß, womit ich es zu tun haben werde. Abgesehen davon hat er sich sicherlich nur so lange verstecken können, weil mich ein sehr attraktiver, charmanter Mann in sein Bett eingeladen hat. Wieso sollte ich da meine Abende mit etwas anderem verbringen, als dieser Einladung nachzukommen?"
      Jetzt grinste er ganz aufrichtig und für einen kleinen, kurzen Moment konnte er sogar ausblenden, dass sie sich noch immer im Salon, mitten in der Nacht befanden und die Angestellten vermutlich selbst noch nicht im Bett waren. Dann überraschte ihn Vincent damit, ihn in seine Arme hochzuheben, und weil es dieses Mal keine Ausrede dafür hätte geben können, weshalb ein erwachsener Mann einen ebenso erwachsenen, gesunden Mann tragen sollte, lief ihm die Hitze in den Kopf und er brachte einige fruchtlose Versuche, sich aus Vincents Eisengriff zu begreifen.
      "Lass mich runter, Himmel, Vincent!"
      Sein Widerstand war zwecklos und schließlich wurde er doch bis ins Zimmer getragen, wo der andere sich mit voller Absicht auf ihn fallen ließ. Thomas ächzte und schlang dann die Gliedmaßen um den Vampir. Ein Paar glitzernder, blauer, wunderschöner Augen sahen zu ihm auf und erstickten damit jeglichen weiteren Protest im Keim. Thomas ließ sich von dem Blick gänzlich vereinnahmen und als Vincent nach ein paar Sekunden sprach, spürte er eine Wärme in sich ausbreiten, die ihn vollständig ausfüllte und mit sich schwemmte. Sein eigenes Lächeln erstrahlte und er empfing Vincents sanften Kuss mit einer Zuneigung, die ihm selbst den Atem verschlug. Er würde wahrhaftig alles für diesen Mann tun, dem er sein ganzes Herz geschenkt hatte. Er liebte ihn mit allem, was ihm zur Verfügung stand.
      "Das freut mich", flüsterte er zurück und verstärkte seinen Griff um den Mann, um ihn vollständig auf sich zu ziehen und ihre Lippen miteinander zu vereinen. Er wollte nicht schlafen; wie könnte er jemals etwas anderes wollen, als seine Zeit an Vincents Seite zu verbringen? Also küsste er ihn, bis ihnen beiden die Luft zum Atmen ausging und bis er irgendwann seiner menschlichen Natur unterlag und ihm die Augen zufielen.

      Über den Tag hinweg widmete er sich tatsächlich den Dingen, in die ihn Dominic am Vorabend eingeweiht hatte. Es war schon verblüffend, wie viel der Mann ihm an einem einzigen Abend beigebracht hatte und Thomas war schnell damit, seine neuen Gedanken niederzuschreiben. Er widmete sich auch seinen Waffen, nicht nur zum Kampf sondern teilweise auch zur Optimierung und machte sich Notizen, wo er welche brauchte. Binnen weniger Stunden sah das Gästezimmer, das er mit seinen Utensilien okkupiert hatte, wie ein Schlachtfeld aus. Letzten Endes war wohl doch etwas von der Unordentlichkeit seines Großvaters auf ihn selbst übergegangen.
      Simon verstand den Trainingsausfall, auch wenn es ihn wohl etwas enttäuschte, und zur Wiedergutmachung trug ihm Thomas ein paar Übungen auf, die ihm wohl helfen sollten, beim nächsten Gerangel mit Dominic ein bisschen besser dazustehen. Das schien den Jungen ganz besonders zu motivieren, sodass er Thomas gänzlich in Frieden ließ. Das gab ihm wiederum die Zeit, in seinen Pausen in Vincents Schlafzimmer zu gehen, sich zu Vincent aufs Bett zu setzen, seinen Freund beim Schlafen zu betrachten und schließlich die Bettdecke zu richten. Am Abend kam er mit einem Glas Blut zu ihm, legte sich hinter Vincent ins Bett, zog ihn zu sich und übersäte ihn so lange mit Küssen, bis der Mann ein Geräusch von sich gab und aus dem Reich der Toten erwachte. Dann hielt er ihm das Glas hin, stand wieder auf, wartete bis der andere sein Abendessen eingenommen hatte und nahm ihm das leere Gefäß mit einem Kuss auf die Stirn wieder ab.
      "Ich muss auch noch essen, aber danach kannst du mir die Hölle heiß machen. Allerdings muss ich dich warnen, Dominic hat mich in einige sehr interessante Dinge eingeweiht, die ich gerne ausprobieren würde. Du musst dir vielleicht ein paar blaue Flecken gefallen lassen."
    • "Da ist aber jemand motiviert," grummelte Vincent und rollte sich auf die andere Seite, um sein Gesicht in einem Kissen zu vergraben.
      Für so viel Elan war es noch viel zu früh. Vielleicht konnte er sich damit herausreden, erst noch verdauen zu müssen? Wohl eher nicht.
      Er ließ Thomas ziehen, ließ den Mann sein Frühstück... nein, Abendessen einnehmen, während er selbst die Decke seines Schlafzimmers anstarrte. Irgendwann fand er dann seine eigene Motivation und kletterte aus dem Bett. Seine Lebensgeister kehrten erst zu ihm zurück, nachdem er sich im Badezimmer frischgemacht hatte. Er schlüpfte in ein paar bequemere Hosen als sonst und ein ordentliches Hemd, bei dem er die Ärmel gleich hochkrempelte. Und nur um Thomas ein bisschen zu ärgern ließ er auch einen Knopf zu viel oben am Hals offen. Seine Haare machte er auch nicht wirklich, schob nur schnell eine Hand hindurch. Wenn Thomas ihn freundlicher geweckt hätte, würde er das vielleicht nicht machen. Ach was, Vincent würde sich niemals eine Gelegenheit entgehen lassen, dem Mann die Schamesröte ins Gesicht zu treiben.
      Mit ein bisschen mehr Pepp im Schritt kam Vincent die Treppe herunter und holte Thomas im Esszimmer ab, wo er sich entspannt gegen den Tisch lehnte und sich einen Apfel gönnte.
      "Willst du, dass ich mich wehre oder willst du erst ordentlich verdauen?" neckte er Thomas nach dem ersten Bissen. "Könnte sein, dass du Noras überragende Kochkünste sonst gleich wieder ausspuckst."
    • Vincent kam und Thomas gaffte. Anders konnte man das wohl mit dem besten Willen nicht beschreiben und etwas anderes hatte Thomas auch sonst nie getan, wenn Vincent seinen unwiderstehlichen Charme spielen ließ: Er gaffte. Er gaffte und nach ein paar Sekunden, als er registrierte, dass sie im Salon und nicht etwa im Schlafzimmer waren, schoss ihm die Hitze in den Kopf, weil er erkannte, dass ihm der Anblick des zerzausten, lässig wirkenden Mannes etwas zu sehr gefiel. Also stand er auf, kam um den Tisch herum, blieb vor Vincent stehen und knöpfte ihm den Kragen zu.
      "Ich habe doch nichts davon, wenn du dich nicht wehrst."
      Er kämmte ihm außerdem mit den Fingern die Haare nach hinten, zumindest so ordentlich, wie es mit dieser Methode möglich war.
      "Außerdem glaube ich, dass du mir zu wenig zutraust."
      Er rückte ihm auch die Ärmel zurecht und strich die Falten weg, die sich gebildet hatten.
      "Immerhin habe ich bisher keinen Kampf verloren, auch wenn es manchmal knapp war. Sonst wäre ich immerhin nicht hier."
      Zufrieden darüber, jetzt etwas mehr Kontrolle über seinen eigenen Körper zurück erhalten zu haben, nachdem Vincent nicht mehr ganz so sehr aussah wie ein Leckerbissen, den es zu vernaschen galt, trat Thomas einen Schritt zurück und lächelte.
      "Du kannst aber gerne versuchen, mein Abendessen hervorzulocken. Nora wird bestimmt ganz begeistert davon sein."

      Sie gingen schließlich nach draußen, um das Haus mit ihrem Training nicht auf den Kopf zu stellen. Mit Simon ein paar Übungen zu machen war eine Sache, ein paar eigene Tricks an einem Vampir auszuprobieren, der sich kaum zurückhalten würde, war eine ganz andere. Zu ihrem Vorteil war der Hintergarten groß genug und außerdem angemessen beleuchtet.
      Thomas trug einen von Vincents Mänteln, nachdem er seinen eigenen verloren hatte und sich noch keinen neuen gekauft hatte - das Geld wurde langsam knapp, das musste allerdings ja niemand wissen - und auf Waffen hatte er verzichtet. Er traute sich zwar zu, Vincent nicht zu verletzen, wenn er es darauf ankommen lassen musste, aber die Gefahr allein könnte ihn aus seiner Konzentration holen, also verzichtete er darauf. Der Jäger war nicht anwesend, das hier vermittelte kaum das Gefühl einer richtigen Jagd, aber er hielt dennoch schon seinen Herzschlag auf einer kontrollierten Geschwindigkeit, allein, um den Vampir am Gedankenlesen zu hindern. Vincent hatte ja sowieso ein Talent dafür.
      "Wann bist du überhaupt das letzte Mal gegen einen Jäger angetreten? Soll ich dir die Regeln erklären?"
      Er grinste ein bisschen frech, dann stellte er sich auf. Die erste und einzige Regel, die selbst Dominic nicht hatte abstreiten können, war die, niemals als erstes anzugreifen. Wofür auch, wenn der Vampir ihn sowieso schon von weitem hätte kommen gesehen. Stattdessen senkte Thomas den Blick auf Vincents Brust und wartete darauf, dass der Körper den Vampir verraten würde.
    • Vincent ließ den Mann machen, kam sich aber ein bisschen bemuttert vor. Er konnte nicht anders, als leicht zu lachen und Kopf zu schütteln.
      "Da richte ich mich extra für dich her und du ruinierst meinen ganzen Auftritt," kommentierte er.
      Er stahl sich ganz frech einen Kuss von Thomas, bevor dieser es verhindern konnte, dann widmete er sich wieder seine Apfel. Danach machten sie sich an ihre Tagewerk. Nachtwerk?

      "Regeln? Wo sind wir? Auf dem Landsitz eines Dukes mit unseren Hunden, um ein paar Fasane zu jagen?" scherzte er.
      Er hatte sich einen Mantel übergezogen, ja, aber der saß heute Nacht genau so locker wie alles andere auch. Er musste sich bewegen können, wenn er Thomas wirklich eine Herausforderung bieten wollte. Er erinnerte sich noch genau daran, wie geschmeidig und schnell sich der Mann bewegt hatte, als er gegen Charles angetreten war. Und wenn Thomas heute Nacht wirklich ernst machen wollte, dann konnte Vincent dieses Wissen nicht ignorieren.
      Er schloss kurz die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Die Nacht roch nach frischem Schnee, den Bäumen, die sie umgaben. Vincent konnte das feuchte Gras, auf dem sie standen, riechen. Er konnte die kleinen Tiere hören, die sich im Unterholz seines Gartens versteckten. Als er die Augen öffnete offenbarten sich ihm eintausend Sonnen aus eintausend Welten.
      Vincent ließ den Kopf zur Seite rollen, sodass er Thomas ansehen konnte. Seine Augen waren beinahe weiß, und als er sprach, waren seine Fangzähne deutlich zu erkennen.
      "Dann mache ich mal ernst."
      Im nächsten Augenblick verschwand er. Seinen Mantel hatte er zurückgelassen, der fiel gerade in den Schnee. Doch anstatt direkt irgendwo in Thomas' direkter Umgebung aufzutauchen und ihm eine Möglichkeit zum Angriff zu bieten, versteckte sich Vincent in den Schatten der Nacht. Tatsächlich saß er auf einem Ast ein paar Meter zu Thomas' Linken und beobachtete den Mann. Das Monster in seinem Inneren machte Freudensprünge. Endlich durfte es mal wieder jagen gehen.
    • Vincents Fangzähne schälten sich zwischen seinen Lippen heraus - das konnte Thomas zwar nicht direkt sehen, aber er bemerkte die unnatürliche Bewegung in dessen Mund und der Jäger war sofort zur Stelle. Dieses Mal zwang er ihn nicht wieder zurück, das erste Mal überließ er in Vincents Gegenwart seinem Instinkt die Führung. Seine Pupillen weiteten sich und seine Sinne schärften sie sich, als sie sich vollständig auf den Vampir ihm gegenüber konzentrierten. Nur am Rande wusste er noch, dass es sich noch immer um seinen Freund handelte.
      Thomas blinzelte und Vincent war verschwunden. So schnell war es gegangen, so mühelos hatte er sich vom Schauplatz ihres Kampfes entfernt, ein Bruchteil nur und Thomas' Augenlider hatten den Vampir mit sich verschluckt. Das war wohl die erste Lektion, die er sich für einen reiferen Vampir merken durfte: Nicht blinzeln, zumindest so lange nicht, wie sie sich noch nicht in einen Kampf verwickelt hatten. Er würde es sich aufschreiben, für den Augenblick zuckte er allerdings zur Seite weg, erwartete einen Kontakt und wurde enttäuscht. Der Schnee knarzte ein einziges Mal unter seinem Ausfallschritt, den er zur Seite hingelegt hatte, dann wurde es still. Es ging ein leichter Wind, der die Kälte des Winters mit sich brachte, aber nicht stark genug war, um seinen Mantel zu bewegen. Der Garten lag still vor ihm, tiefschwarz in den Ecken, in denen kein Licht hinreichte, dunkel in dem Gebüsch und den Bäumen. Thomas stand still, erstarrt zu einer Säule, die selbst kein Geräusch mehr von sich gab, bis auf das langsame, stetige Schlagen seines Herzens. Vincent hatte ihm verraten, dass die Sinne eines Vampirs zum Reißen angespannt waren, wenn er sich selbst mit der Lautlosigkeit einer Brise bewegte. Also drehte er sich, langsam und bedacht, den Blick auf alles und gleichzeitig auf nichts gerichtet, aufmerksam gegenüber jeder Bewegung und jedem Geräuschs, das sich ihm offenbarte. Der Schnee knisterte unter seinen Schuhen, leise genug, dass es ihn selbst nicht störte, hoffentlich laut genug, um den Vampir an seinem Schleichgang zu hindern. Er hatte keine Ahnung, wohin Vincent verschwunden war, aber zum Haus hätte er sich nicht zurückziehen können, ohne von seinem eigenen Schatten im Licht verraten zu werden und damit blieb nur noch das lose Gebüch im Garten. Also drehte Thomas sich und wartete darauf, dass der Vampir sich selbst verriet.
    • Bubumm... bubumm... bubumm...
      Der Vampir rührte sich nicht, war regloser als der Baum auf dem er saß, und beobachtete seine Beute. Der Mensch hielt Ausschau nach dem Raubtier. Er wusste, dass es da war, aber er wusste nicht wo. Der Vampir lächelte.
      Bubumm... bubumm... bubumm...
      Das Knirschen von Schnee und Erde unter einem Schuh hallte durch die Nacht. In einem Busch reagierte eine Maus darauf und rannte schnell zurück in ihren Bau. Schlaues Tierchen, dachte der Vampir. Du weißt, wann du zu flüchten hast. Der Mensch rannte nicht weg. Der Mensch wartete ab. Der Mensch versuchte, ein Raubtier zu sein. Dummes Menschlein.
      Bubumm... bubumm... bubumm...
      Der Vampir spürte die Brise bevor sie zum Windstoß wurde. Mit dem Rascheln immergrünen Bäume bewegte er sich. Er sprang von seinem Aussichtsposten auf dem Baum, huschte durch die Schatten bis er hinter dem Menschen stand und schubste ihn stark genug, um ihn zu Fall zu bringen. Doch er blieb nicht lange genug, um sich seiner erniedrigten Beute zu erfreuen. Noch bevor er Wind verflogen war, trat der Vampir schon wieder zurück in den Schatten eines Baumstammes zur Rechten des Menschen. Er ging in die Hocke, bereit sich jederzeit wieder auf seine Beute zu stürzen.
      "Hast du mich kommen sehen, Thomas?" fragte er in die Nacht hinein, nutzte dabei die Natur um ihn herum, um seine Position zu verschleiern. "Hast du mich gehört?"
      Gleichzeitig warf er einen nicht unbedingt kleinen Stein weit weg, um weiter von sich abzulenken. Zur Sicherheit zog er sich dennoch zu einem anderen Punkt zurück. Er stand nun halb hinter dem Jäger, versteckt hinter einem anderen Baum, mit dem Rücken an den Rauen Stamm gelehnt. Er konnte den Mensch nicht sehen, aber das musste er auch gar nicht.
      Bubumm... bubumm... bubumm...
      Lächelnd erinnerte sich der Vampir daran, dass er dem Menschen etwas über sein Gehör beigebracht hatte. Zeit, sich auf einen anderen Sinn zu verlassen. Der Vampir atmete tief ein und suchte sich den so berauschenden Duft nach Zimt aus all den Gerüchen der Nacht heraus. Er wusste genau, wo der Mensch war, selbst mit den letzten Resten seines Duftes an den Kleidern des Vampirs. Ein so süßer Duft...
    • Thomas sah ihn nicht kommen, er hörte auch seine Schritte nicht. Der Schnee musste sich gegen ihn verschworen haben, dass er seine eigenen Schritte herausposaunte, aber die des Vampirs zu ignorieren schien. Der Jäger schlug aus, aber da war es schon zu spät und ein gezielter Schlag in den Rücken brachte Thomas zu Fall. Er musste sich der Schwerkraft fügen, zog allerdings die Schulter ein, drehte sich zur Seite und rollte sich ab, um mit demselben Schwung wieder auf die Beine zu kommen und in die entgegengesetzte Richtung zu blicken.
      Aber der Vampir war schon verschwunden. Der dunkle Garten breitete sich vor ihm aus, scheinbar unberührt von dem Lebewesen, das hier irgendwo durch die Schatten schleichen musste. Seine Stimme erklang, aber sie kam aus allen Richtungen gleichzeitig und war kaum ausschlaggebend. Er ließ seinen Blick über die Dunkelheit wandern.
      "Komm her und ich beantworte dir deine Frage."
      Ein dumpfer Aufschlag im Schnee hätte ihn beinahe zucken lassen, wenn er nicht genau gewusst hätte, mit was - beziehungsweise wem - er es zu tun hatte. Vincent wäre niemals tollpatschig genug, ein so lautes Geräusch zu verursachen, also verharrte er an Ort und Stelle, aufmerksam gegenüber seiner Umgebung. Wenn der andere aber schon seine Spielchen mit ihm treiben wollte, konnte er das genauso gut.
      "Traust du dich nicht?"
      Er drehte sich wieder ein wenig, versuchte alles gleichzeitig im Blick zu behalten.
      "200 Jahre alt und du fürchtest dich vor einem 32-jährigen Jäger? Ich habe nichtmal meine Waffen bei mir, ich bin ganz wehrlos."
      Wie zur Bekräftigung seiner Worte, ließ er seinen Herzschlag in die andere Richtung laufen. Er beschleunigte sich, schnell und rapide, bis ihm das Adrenalin durchs Blut schoss und seine Hände kribbelten. Lange wollte er ihn nicht so sprunghaft halten, weil mit der Unruhe auch ein gewisser Konzentrationsabbau kam, aber um den Vampir hervorzulocken, sollte es genügen.
      "Komm zu mir, Vinny."