In his Thrall [Codren feat. Pumi]

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    • "Ich mag dich aus sehr," gab Vincent mir einem Lächeln zurück.
      Es war ein Scherz, aber wenn Vincent ehrlich war, dann konnte er wirklich kein angemessenes Wort finden, dass seine Gefühle für Thomas passend beschrieb.
      Er seufzte in den Kuss hinein, genoss die Zuwendung. Er legte seine Hand auf Thomas', wollte sichergehen, dass sich der Mann nicht schon wieder aus Sorge zurückzog.
      "Warum liegst du eigentlich auf er Decke? Und das in deinem dreckigen Anzug?" fragte er. "Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Du solltest dir ein paar Minuten nehmen, um dich zu richten. Und vielleicht etwas zu essen. Es reicht, wenn einer von uns beiden nicht völlig auf dem Damm ist."
      Vincent stahl sich einen weiteren Kuss, auch wenn das Anspannen seiner Bauchmuskeln einen schmerzhaften Stich durch seinen gesamten Körper schickte.
      "Ich verspreche, ich bin noch da und am Leben, wenn du wiederkommst."
    • Thomas ließ sich von Vincents Worten nur insoweit ablenken, als dass er ein missmutiges Brummen von sich gab, weil der Mann ihren Kuss aufgelöst hatte. Aber er hatte ja recht, natürlich. Vincent hatte immer recht und Thomas wäre es nicht im Traum eingefallen, etwas gegenteiliges zu behaupten.
      "Hm. Okay."
      Er erwiderte seine Zuwendung und küsste abschließend seine Wange, bevor er sich - genauso vorsichtig wie schon zuvor - aus dem Bett robbte und Vincent einen letzten Blick zuwarf.
      "Ruf mich, wenn etwas ist. Ich brauche nicht lange."
      Dann ging er und ließ die Tür offen.
      Er aß etwas, wusch sich und wechselte die Klamotten. Die Abdeckung des Klaviers stand noch immer offen und obwohl er sie alleine vermutlich offen gelassen hätte, bis die Tasten unter einer Schicht Staub verschwunden waren, schloss er sie für Vincent. Beth bot an, dass Vincent ja etwas im Bett essen könnte und Thomas nahm etwas für ihn nach oben. Er schloss die Tür zu seinem eigenen Schlafzimmer, ging dann aber zu Vincent hinein und schloss auch diese Tür.
      "Hier, falls du essen kannst. Oder willst."
      Er war zurück an der Seite des Bettes, wo er Vincent kritisch musterte.
      "Ist dir zu warm, zu kalt? Brauchst du noch eine Decke? Kissen? Bist du dir sicher, dass du kein Schmerzmittel für die Nacht möchtest? Ich habe ganz leichte, keine sehr schweren. Liegst du bequem? Du sagst es mir, wenn es nicht so ist, oder?"
      Erst als er sich vergewissert hatte, dass es wirklich nichts gab, was er in irgendeiner Weise für Vincent tun könnte - auch wenn er gerne alles getan hätte, allein schon um sein Gewissen zu erleichtern - zog er sich schließlich aus und kroch zurück ins Bett. Er schmiegte sich an Vincents Seite, indem er den Arm unter dessen Kopf schob und sich an seiner Schulter anlehnte. Nicht die bequemste Position, aber es war noch immer besser als gar nicht bei ihm zu sein.
      "Okay?"
      Er legte die Hand auf seine Brust und streichelte sie sanft.
    • Thomas war wirklich nicht allzu lange weg, aber Vincent hatte trotzdem genug Zeit um sich ein paar Gedanken über seine Situation zu machen. Dass er heute Nacht hierbleiben würde, stand außer Frage. Wenn er jetzt einfach aufstand und das Haus verließ, würde Thomas ganz schön große Augen machen. Allerdings ließ sich Vincent davon nicht stressen. Nora war clever und schon lange genug bei ihm, um ihm aus einer solchen Situation zu helfen. Er vertraute auf seine Haushälterin und Freundin.
      Als Thomas zurückkehrte, brachte er einen Teller Essen mit sich, der alles andere als verführerisch aussah, auch wenn es sicherlich köstlich schmeckte für jemanden, der in diesem Jahrhundert geboren worden war. Normalerweise genoss Vincent gutes Essen, aber aktuell spielte sein Körper eher nach den Regeln seines wahren Wesens. Glücklicherweise schien Thomas nicht von ihm zu erwarten, dass er etwas aß und er konnte dankend ablehnen.
      "Es geht mir gut, Thomas," lachte Vincent. "Du benimmst dich ja wie eine Glucke."
      Er schob die Decke beiseite, als Thomas endlich bereit war, sich neben ihm im Bett niederzulassen.
      "Das sollte ich wohl eher dich fragen, so besorgt, wie du bist. Da ist diese Falte, genau da," Vincent küsste die Stelle zwischen Thomas' Augenbrauen, "Wenn du nicht aufpasst, dann bleibt die noch permanent. Mir geht es gut, wirklich. Den Umständen entsprechend, meine ich. Also hör auf, dir so viele Sorgen zu machen. Sowas hält dich nur unnötig wach."

      Vincent musste eine ganze Weile so tun, als ob er eingeschlafen war, bevor auch Thomas endlich die Augen zufielen. Die Falte zwischen den Augen des Doktors verschwand, als er sich entspannte. Vincent, gefangen zwischen Thomas' Armen und seiner eigenen Verletzung, blieb nicht viel mehr übrig, als seinen Liebhaber zu beobachten. Er verbrachte seine Nacht damit, sich das sanfte, friedliche Gesicht einzuprägen, Thomas' Herzschlag zu lauschen und sich vorzustellen, noch mehr Tage und Nächte auf diese Weise zu verbringen - selbstverständlich ohne mordlüsterne Vampirjäger, die ihn mit Silbermessern abstachen.
      Als die Sonne sich ihren Weg den Horizont hinauf erkämpfte, wurde Vincent endlich müde. Er wehrte sich nicht dagegen, ließ es geschehen und schlief ein, bevor Thomas überhaupt daran dachte, aufzuwachen.

      Um Punkt neun Uhr am Morgen klingelte es beim Anwesen der Van Helsings. Nora hatte eine beunruhigende Nachricht kurz nach Sonnenuntergang erhalten und sich sofort daran gemacht, das Leben ihres Arbeitgebers und Freundes zu retten. Sie hatte einen kleinen Koffer dabei, in dem frische Klamotten darauf warteten, getragen zu werden. Und unter den Kleidungsstücken hatte sie zwei Flaschen voll mit Schweineblut versteckt. Sie wusste nicht, wie schlimm es war, daher hatte sie lieber ein bisschen mehr mitgebracht.
      Als sie von einer älteren Dame begrüßt wurde, stellte sie sich flott vor: wer sie war, warum sie hier war, und dass sie gern ihren Arbeitgeber sehen würde. Beth, wie sich die Haushälterin vorgestellt hatte, ließ sie ein und versicherte ihr, dass es Vincent gut ging - der Herr Doktor habe sich gut um ihn gekümmert.
      "Den Anzug konnten wir leider nicht retten," erklärte Beth. "Thomas, ich meine Dr. Van Helsing, musste ihn leider zerschneiden, um die Verletzung versorgen zu können. Aber ich glaube, das Blut hätten Sie auch gar nicht mehr rausbekommen. Sowas ist hartnäckig, wissen Sie?"
      Nora lauschte dem Geplapper der alten Dame und fragte sich, wie viel sie wohl von der nächtlichen Arbeit ihres Hausherrn wusste. Jemand in ihrem Alter war für gewöhnlich auch schon jahrelang angestellt. Nora würde es nicht wundern, wenn Beth schon unter Thomas' Vater hier gearbeitet hatte. Sie musste lächeln bei dem Gedanken daran, dass diese Frau, die sie gedanklich ohne zu zögern als alte Dame bezeichnete, wahrscheinlich jünger war als sie selbst.
      "Möchten Sie einen Tee?" fragte Beth.
      "Nein, danke. Ich würde wirklich gern meinen Arbeitgeber sehen. Er ist sehr viel weniger freizügig, als es die Gerüchte vermuten lassen und aktuell dürfte er gar nichts anhaben."
      "Ah! Sicher doch, ja!"
    • Als Thomas am Morgen aufwachte - oder eher von einer Klingel geweckt wurde, wie ihm auffiel - hatte er eine verkrampfte Schulter und kein Gefühl mehr im Arm. Er befreite sich mit einem Ächzen von Vincent und rieb sich die tauben Muskeln, bis er das Blut wieder einigermaßen zum Laufen bekommen hatte.
      Der Anblick seines Liebhabers machte sämtliche Schmerzen allerdings wieder wett. Vincents Kopf war zur Seite gerutscht und die Haare hingen ihm unordentlich in die Stirn, aber auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck tiefster Ruhe. Für einen Moment fragte er sich, was ein Mann wie Vincent träumte und ob er in diesen Träumen vorkommen konnte.
      Er streckte sich und justierte sich dann, um den Arm um Vincent zu schlingen, wobei er unvorsichtig an den Verband fasste und zurückzuckte in der Annahme, er würde Vincent damit wecken. Der Mann schlief allerdings noch immer wie ein Toter - wie er schließlich selbst schon festgestellt hatte - und so schmiegte er sich vorsichtiger an ihn, bevor er ihm die einzelnen Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. Selbst im Schlaf schaffte Vincent es, absolut hinreißend auszusehen.
      Als die Stimmen von unten erklangen, musste er sich wohl oder übel mit der Realität abfinden, dass er wohl aufstehen musste. Es war keine gute Idee hier zu liegen, wenn Beth nach ihm suchen wollte und herausfand, dass sein Schlafzimmer leer war. Leer und außerdem auch noch unbenutzt.
      Also trennte er sich mit einem schicksalsergebenem Seufzen wieder von Vincent und stand auf, um sich fertig zu machen. Wer auch immer die Muße hatte, Thomas an einem Sonntag in einer solchen Frühe aus dem Bett zu scheuchen - er hätte noch früher aufstehen müssen um in die Kirche zu gehen; naja, vielleicht ja nächste Woche - sollte besser einen triftigen Grund haben. Vielleicht war es ja Stephen, der sich entschuldigen wollte.
      Er warf einen Blick auf Vincents Verband, an dem keine neuen Blutspuren klebten, und deckte ihn dann wieder ordentlich zu - außerdem strich er seine Decke glatt, plusterte die Kopfkissen auf und schob sie aneinander. Erst, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es absolut keine Möglichkeit für Vincent gab sich nicht wohl zu fühlen, verließ er das Zimmer und ging nach unten.

      Es war nicht Stephen, sondern Nora. Am Absatz der Treppe stieß er mit den beiden Haushälterinnen zusammen.
      "Guten Morgen."
      "Ah, guten Morgen!"
      Beth strahlte ihn an. Es gab keine Zeit am Tag, an dem sie nicht freundlich und zuvorkommend gewesen wäre.
      "Wir wollten gerade nach oben; Herr van Helsing, darf ich vorstellen, das ist -"
      "Ja, ich weiß, wir kennen uns schon. Guten Morgen, Nora. Sie haben die Nachricht erhalten, wie ich sehe?"
      Nora wiederholte für ihn, was sie bereits Beth gesagt hatte und mit einem Mal war Thomas heilfroh, das Bett verlassen zu haben. Mehr als rechtzeitig.
      "Ich habe gerade nach ihm gesehen, er schläft noch. Möchten Sie mir den Koffer überlassen? Ich kann ihn übergeben und werde gerne Grüße ausrichten.
    • Thomas Van Helsing sah verschlafen und ein wenig gestresst aus. Er hatte sich sicher damit beeilt, alle Beweise zu vernichten, die auf die eigentliche Beziehung zwischen ihm und Vincent hindeuten könnte. Es war nicht das erste Mal, dass Nora so etwas miterlebte. Für gewöhnlich behielt sie alle Vorträge über Vincents furchtbaren Geschmack in Sachen Partnersuche für sich, bis sie zuhause waren. Heute würde es nicht anders sein.
      "Wenn es möglich ist, würde ich ihn gern sehen. Es ist eine Sache, zu hören es geht ihm gut und eine andere, sich selbst zu vergewissern. Ich war schon immer ein Mensch, der letzteres bevorzugt," erklärte Nora, den Blick unterwürfig gen Boden gesenkt, wie sie es vor so langer Zeit gelernt hatte.
      In Vincents Haushalt wurde man dazu angehalten, dem Gegenüber ins Gesicht zu sehen, wenn man sprach, aber jeder dort wusste auch, dass es in jedem anderen Haushalt gefährlich sein konnte, so viel Selbstvertrauen zu zeigen.
      "Bitte, Herr Doktor," fügte Nora aus dem gleichen Grund hinzu.
    • Zu Thomas' Frust war Nora nicht gänzlich so leicht abzuschütteln, wie er gehofft hatte. Ihre Fürsorge hatte schon beinahe etwas familiäres an sich, von dem Thomas nicht wusste, was er davon halten sollte. Sicher war es in manchen Situationen hilfreich, aber doch auch ziemlich unhöflich. Vincent hatte nicht explizit nach ihr gefragt, nicht wahr? Also oblag Thomas diese Entscheidung.
      "Er schläft", wiederholte er daher, eine Spur ernster als noch vorher. Sollte er - als Arzt - nun wirklich mit der Haushälterin seines Freundes darüber diskutieren, ob sie ihn wecken durfte? Das war dann doch etwas zu viel des Guten an diesem frühen Morgen.
      Es war Beth, die Nora eine erneute Bitte ersparte.
      "Oh, nun seien Sie doch nicht so, Herr van Helsing! Herr Harker wurde gestern hinterhältigst malträtiert, in einem fremden Haus noch dazu! Er wird sich sicher freuen, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Nachher kann er doch weiterschlafen."
      Thomas sah zu Beth, die ihn offenherzig beobachtete, während Nora stattdessen die Stufen unter ihren Füßen musterte. Schließlich gab er ein Seufzen von sich; manchmal fragte er sich wirklich, wer von ihnen eigentlich der Hausherr war.
      "In Ordnung, fünf Minuten. Er muss schlafen."
      Er drehte auf den Stufen wieder um und führte die beiden Frauen wieder nach oben.
      Beim Gästezimmer angekommen machte er alle anstalten, Nora hereinzulassen und ihr nachzugehen, als Beth die Hand auf seinen Arm legte.
      "Ich habe schon das Frühstück vorbereitet, Sie sollten essen, solange es noch warm ist."
      "Nachher dann."
      "Herr van Helsing."
      Ihre Stimme wurde ein bisschen leiser, aber nicht weniger eindringlich.
      "Vielleicht wäre es angemessen, wenn Herr Harker einen Moment für sich hat - und für seine Haushälterin, ohne dass Sie die beiden bedrängen. Finden Sie nicht?"
      "Ich bedränge sie doch nicht, ich bin Arzt", gab er genauso leise zurück, als würde er sich über etwas unangenehmes mit ihr streiten.
      "Ja doch, und als Arzt haben Sie Ihren Patienten schon vollumfänglich behandelt, dessen bin ich mir ganz sicher. Jetzt wäre die Zeit für ein bisschen Privatsphäre."
      Sie lächelte aufmunternd und Thomas zog die Stirn in Falten. Ein bisschen lauter fügte sie hinzu:
      "Kommen Sie, Sie sollten das Frühstück vorkosten und mir sagen, ob ich es so Herrn Harker servieren kann. Das ist mindestens genauso wichtig."
      Sie brachte es tatsächlich zustande Thomas von der Tür wegzuscheuchen, bevor sie Nora ein herzliches Lächeln schenkte und die Tür schloss.
    • Nora betrachtete ihren schlafenden Arbeitgeber. Er sah genauso tot aus wie sonst auch immer.
      Sie wartete brav, zurückhaltend, bis sie die Schritte der beiden anderen auf den Treppen hören konnte. Dann eilte sie zur Tür, schloss sie leise und machte sich daran, Vincent aufzuwecken. Die zweite Backpfeife brachte ins Land der Wachen zurück.
      "Au!"
      "Schscht! Oder willst du, dass dein Liebhaber reinplatzt, während du was am Essen bist?"
      "Nora?"
      "Ganz recht. Und nur damit du es weißt: Ich lasse dich so schnell nicht noch einmal tagsüber irgendwo hin, verstanden?"
      Vincent beobachtete verschlafen, wie Nora einen Koffer auf den Boden stellte und Klamotten herausholte. Sie legte sie eilig neben den Koffer und förderte dann zwei Milchflaschen zutage, nur dass sie nicht mit Milch gefüllt waren.
      "Wie schlimm ist es?" fragte sie, als sie Vincent die erste reichte und ihm dabei half, sich aufzusetzen.
      Sie betrachtete den Verband mit Skepsis.
      "Halb so wild, laut dem guten Doktor. Aber mir bereitet das Silber Sorge."
      "Silber?"
      "Stephens Abschiedsgeschenk."
      "Wird das hier reichen?"
      Nora deutete auf die Flasche.
      "Muss es ja."
      Nora drehte sich um und griff sich den Anzug, den sie für Vincent mitgebracht hatte, während der sich die erste Flasche Schweineblut reinzwang. Sie legte die Klamotten auf einen einsamen Sessel und glättete nicht vorhandene Falten.
      "Er wird mich den Tag über hierbehalten wollen," meinte Vincent und legte die leere Flasche in den Koffer zurück.
      Er zögerte kurz, dann griff er nach der zweiten.
      "Ich werde versuchen, heute Abend nach Hause zu können. Morgen werde ich auf jeden Fall wieder da sein."
      "Dann komme ich morgen noch einmal vorbei. Ich wusste doch, dir nur einen Anzug zu bringen war die richtige Entscheidung."
      Nachdem Vincent auch die zweite Flasche geleert hatte, legte er sich wieder hin.
      "Ich glaube, er ist eifersüchtig auf mich," sagte Nora da.
      Sie kam zurück zum Bett und schloss den Koffer.
      "Eifersüchtig? Auf dich?"
      Nora stemmte die Hände in die Hüften.
      "Komm schon, du weißt wie ich das meine. Warum glaubst du, er ist eifersüchtig?"
      "Weil er aussah wie ein Fünfjähriger, als ich ihm gesagt habe, dass ich dich gern sehen würde."
      Vincent grinste.
      "Bezaubernd, oder?" fragte er.
      Nora schüttelte den Kopf.
      "Du bist ein hoffnungsloser Fall, hörst du?"
      "Das Messer ging in meinen Bauch, nicht meine Ohren. Komm her."
      Vincent griff nach Noras Hand und zog sie ein bisschen näher zu sich. Er platzierte einen sanften Kuss auf ihre Fingerknöchel.
      "Mir geht's gut. Und jetzt geh und genieße deinen freien Tag, hörst du?"
      Es dauerte einen Augenblick, aber dann nickte Nora.
      "Na gut. Aber lass die Dummheiten ab jetzt bleiben, in Ordnung?"
      "Versprochen."
      Nora lächelte, nahm sich den Koffer und verließ das Zimmer wieder. Ganz brav fand sie ihren Weg zum Speisezimmer.
      "Vielen Dank, Doktor. Ich habe Lord Harker einen Anzug zurecht gelegt ohne ihn zu wecken. Ich danke Ihnen im Namen seines gesamten Hausstandes für Ihr schnelles Eingreifen."
      Sie verneigte sich sogar leicht, auch wenn das vielleicht ein bisschen altmodisch war.
      Beth war so nett, Nora zur Tür und hinaus zu geleiten. Zum Abschied erwähnte Nora, dass sie morgen früh noch einmal vorbeischauen würde, sollte Doktor Van Helsing ihren Arbeitgeber am Abend noch nicht nach Hause lassen, woraufhin Beth ihr ein ja zu einem Tee abringen konnte.

      Nachdem Nora verschwunden war, hatte es sich Vincent wieder bequem gemacht. Die Tageszeit erledigte den Rest für ihn, auch wenn ihm das frische Blut ein wenig Energie zurückgegeben hatte. Er hielt seinen Körper weiterhin davon ab, die Stichwunde zu heilen, und konzentrierte sich stattdessen darauf, den Schaden, den das Sonnenlicht angerichtet hatte, zu heilen. Binnen einer einzigen Minute verschwand der Muskelkater, seine Augen brannten nicht mehr lichterloh und er fühlte sich allgemein besser. Um die Stichwunde würde er sich kümmern, wenn kein gutaussehender Arzt mehr draufgucken wollte.
      Nach dem Bisschen Instandsetzung erlaubte sich Vincent, wieder einzuschlafen.
    • Nora blieb, so wie von Thomas gemahnt, tatsächlich nicht länger als fünf Minuten und so konnte er wenigstens dem Drang nachgeben, nach seinem Patienten zu sehen. Mit einer gewissen Frustration, gepaart mit Erleichterung, musste er sehen, dass Nora Vincent tatsächlich nicht geweckt und stattdessen nur ein paar Kleider hinterlassen hatte. Er sah noch einmal nach dem Verband, dann schlich er zurück ins Esszimmer, um sein einsames Frühstück fortzusetzen.
      "Sie sollten sich nicht so viele Gedanken machen", kam es von Beth, welche das Tee-Set vom gestrigen Nachmittag aufräumte. "Da bekommen Sie Sorgenfalten. Genau da oben."
      Sie tippte sich gegen die Stelle zwischen die Augenbrauen und Thomas konnte sich ein breites, dümmliches Lächeln nicht verkneifen. Er stocherte auf seinem Teller herum, während er an Vincent dachte. Wann tat er das eigentlich nicht?
      "Er hat eine Stichwunde, sowas ist gefährlich."
      "Sie haben schon viel schlimmeres behandelt als eine Stichwunde. Ich würde mir Sorgen machen, wenn es Herrn Harker nicht gut gehen sollte."
      "Hm."
      "Man könnte meinen, Sie beide seien eineiige Zwillinge, so wie Sie sich um ihn sorgen. Ich habe Ihrem Vater ja immer gesagt "der Junge braucht einen Bruder zum Spielen - oder wenigstens eine Schwester", aber er wollte nicht. Unmöglich ist das! Selbst Ihr Großvater wollte noch einen Gefährten für Sie."
      "Hm."
      Bei Beth half es nie etwas, sie davon abhalten zu wollen, über seine Kindheit zu reden. Wie ein lebendiges Tagebuch, das willkürlich irgendwelche Seiten aufschlug, wenn ihm danach war.
      "Aber jetzt haben Sie ja Herrn Harker. Das ist ja so ein netter junger Mann! Sie mögen ihn gerne, nicht wahr?"
      "Ja. ... Schon."
      "Das kann ich sehen. Ihre Miene ist immer ganz entspannt, wenn er in der Nähe ist. Er hat sicherlich einen guten Einfluss auf Sie."
      Da sah er auf und beobachtete Beth dabei, wie sie die Gläser im Schrank zusammenstaute, um Platz für mehr zu machen. Dann reckte sie sich und fuhr mit dem Finger über die Decke des Schranks, bevor sie ihn kritisch musterte und scheinbar als noch nicht staubwedel-würdig hielt.
      Einem plötzlichen Gedanken folgend, spürte er einen kalten Schauer über seinen Rücken jagen. Was, wenn das nun nicht das einzige war, dass Beth bemerkt hatte? Wenn sie womöglich hinter die Fassade blicken konnte?
      "Beth...?"
      Es wäre doch nicht schlimm, oder? Beth war quasi Teil dieser Familie, sie hatte schon für sie gearbeitet, als von Thomas noch nicht einmal gedacht wurde. Sie hatte nur das beste für ihn im Sinn, egal in welcher Weise.
      Sie würde es doch verstehen, oder? Oder... unterstützen?
      "Ja?"
      Thomas' Mund wurde trocken. Eines Tages müsste er es doch irgendjemandem erzählen, nicht wahr? Er konnte doch unmöglich so weitermachen wie bisher und erwarten, dass auch alles so glatt lief wie bisher. Ganz abgesehen davon, lief wirklich alles so glatt? Er drückte sich vor einer Hochzeit und bekam Magenschmerzen wenn er daran dachte, mit Darcy ein Haus zu kaufen. Nach welchem Maßstab war das denn "glatt laufen"?
      "Ich..."
      Er glaubte sich zu erinnern, dass sein Großvater ein ähnliches... Interesse gezeigt hatte. Zumindest hatte er mal einen Streit zwischen seinem Vater und seinem Großvater mitbekommen, aber er war damals noch recht jung gewesen und hätte es auch sicherlich falsch verstehen können.
      Aber wenn es nicht so war, dann wusste Beth doch sicherlich davon, oder etwa nicht? Sie liebte seinen Großvater - nicht im wörtlichen Sinn, aber vielleicht auch? - und das hatte sich niemals geändert. Dann würde es sich doch sicherlich auch nicht bei ihm ändern.
      "Ja?"
      Sie drehte sich zu ihm um und Thomas schluckte. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie er so etwas vermitteln sollte.
      "..."
      Beths Lächeln wurde ein wenig kleiner, verschwand aber nicht.
      "... Geht's Ihnen nicht gut? Soll ich Ihnen eine Arznei bringen?"
      Herrgott, Thomas war ein Arzt, der in seiner Freizeit Vampire jagte und mordete! Und er konnte nicht offen zugeben, dass er in einen Mann verliebt war?
      "..."
      "... Thomas?"
      Aber er konnte nicht. Er konnte wirklich nicht. Die Worte blieben ihm im Hals stecken und er wusste, wenn Vincent da gewesen wäre hätte er sich womöglich überwinden können, aber es war nicht dasselbe. Er konnte nicht alleine.
      "... Kannst du mir noch ein Brot bringen?"
      "Aber sicher!"
      Das Lächeln trat wieder auf ihr Gesicht und wenn sie etwas von seinem Zögern bemerkt hatte, ließ sie es sich mit der Professionalität einer Haushälterin nicht anmerken. Stattdessen verließ sie das Zimmer und gestattete Thomas es, ein bisschen herunterzukommen.

      Den restlichen Tag verbrachte er in einer nervösen Routine, bei der er erst jede halbe, dann jede volle Stunde zu Vincent ins Zimmer schnupperte, seinen Verband kurz ansah, dann sicherstellte, dass er immer noch bequem lag - der Mann bewegte sich kein Stück, er schlief tatsächlich wie ein Toter - nur um dann wieder hinunter zu gehen und sich Gedanken darüber zu machen, was wäre wenn er aufwachte und Thomas nicht zur Stelle war. Nachdem er dieser sinnlosen Tätigkeit drei volle Stunden nachgegangen war, überredete Beth ihn schließlich dazu, etwas sinnvolleres mit seiner Zeit anzufangen und wenigstens seine Briefe durchzulesen. Oder vielleicht die Waffen im Keller zu polieren? Aber er hatte keine Lust Briefe zu beantworten und der Keller war vom Gästezimmer aus zu weit entfernt, also schloss er den Kompromiss, sich stattdessen in den Salon zu setzen und das Buch zu lesen, das Vincent ihm geschenkt hatte. Er hatte seit Wochen schon kein Buch mehr in die Hand genommen, aber zu seiner Überraschung waren ein paar ganz gute Berichte und Diagnosen drin, die sein Interesse weckten. Weitere zwei Stunden verflogen, dann ließ er sich von Beth zum Tee überreden und schließlich, als er seine nächste Kontrolle durchführte, hatte Vincent die Augen geöffnet.
      "Guten Morgen, Langschläfer. Oder sollte ich eher sagen guten Abend?"
      Er kam um das Bett herum, setzte sich auf die Bettkante und warf einen Blick auf den Verband. Ein feines, erleichtertes Lächeln hatte sich auf sein Gesicht geschlichen.
      "Du hast den ganzen Tag verschlafen. Wie geht's dir?"
      Er griff nach Vincents Hand und schloss sie in seinen eigenen beiden ein.
      "Nora war übrigens hier und hat einen Anzug vorbeigebracht, aber da hast du noch geschlafen. Möchtest du etwas essen?"
    • Mit einer Stichwunde aufzuwachen war bei weitem nicht die beste Erfahrung. Vincents erster Instinkt war es, den Schaden zu beheben. Das war es, was seine Art tat. Sie konnten sich im Großen und Ganzen keine Blöße leisten. Glücklicherweise war da ein hübsches Gesicht, das ihn von seinen Instinkten ablenkte.
      "Ich schätze, ich habe die Ohnmacht, die du mir gestern nicht erlaubt hast, auch noch nachgeholt," lächelte Vincent.
      Er beobachtete, wie Thomas seine Kontrolle bei ihm durchführte, spürte die warmen Finger auf seiner Haut. Dann setzte er sich vorsichtig auf. Ein Brennen zog sich durch seine Flanke, doch nach dem guten Frühstück, das er dank Nora gehabt hatte, verzog es sich schnell wieder. Dennoch presste er eine Hand an seine Seite und spielte den sterbenden Schwan, um Thomas nicht auf falsche Ideen zu bringen.
      "Wenn mich diese Stichwunde nicht umbringt, dann werde ich gleich verhungern," antwortete Vincent. "Hoffentlich hat Nora keinen von den Guten mitgebracht. Ich glaube nicht, dass ich in meinem Zustand viele Falten verhindern kann. Hilfst du mir mit dem Hemd? Ich will Beth keinen Herzinfarkt geben, wenn ich halb nackt in deinem Esszimmer auftauche."
      Vincent biss die Zähne zusammen und hievte sich auf seine Füße. Für einen kurzen Augenblick wurde ihm schwindelig, doch dann richtete sich die Welt um ihn herum und er konnte mit langsamen Schritten zu dem Sessel rüberschleichen, auf dem er seine Kleidung erspähen konnte.
      "Und bevor du Einspruch erhebst: Nein, ich werde nicht im Bett essen. Meine Beine sind ganz steif von dem ganzen Rumliegen. Ich werde im Esszimmer essen."
    • Anscheinend hatte Vincent es sich gleich in den Kopf gesetzt, nicht mehr verwundet zu sein, nachdem er aufgewacht war, denn er setzt sich überraschend unvermittelt auf, sodass Thomas beinahe nach vorne gehechtet wäre, um ihm zu helfen. Entsprechend groß schien seine Reue gegenüber dieser Bewegung zu sein, aber Thomas war zu besorgt für einen neckenden Kommentar.
      "Alles gut? Langsam, Vincent. Natürlich helfe ich dir."
      Er war schon drauf und dran aufzustehen, um seine Klamotten zu holen, allerdings kam ihm Vincent da zuvor. Thomas konnte sich ein Zischen nicht verkneifen.
      "Bleib doch liegen! Himmel, wo hast du denn plötzlich diese ganze Energie her?"
      Gar keine Energie hatte er irgendwo her, was Vincent meisterhaft bewies, als er etwas gekrümmt stehen blieb und für einen Moment blinzelte. Thomas, der den Ausdruck kannte, war schneller an seiner Seite, bevor Vincent protestieren konnte, und stützte ihn. Im Nachgang betrachtet war er vermutlich wesentlich gestresster als sein Freund, der sich in aller Seelenruhe zu seinen Klamotten auf machte.
      Er öffnete bereits den Mund, um Vincent daran zu erinnern, dass er durchaus im Bett essen konnte und keinen Finger dafür rühren müsste, als der Mann schon seine Gedanken gelesen und entsprechend beantwortet hatte. Da klappte er den Mund wieder zu und zog stattdessen die Stirn in Falten.
      "Du bist ein ganz miserabler Patient, weißt du das eigentlich? Hundsmiserabel."
      Er begleitete ihn dennoch zum Sessel, denn was sollte er anderes machen, als sich seiner Dickköpfigkeit zu fügen. Dort angekommen zwang er ihn in den Sessel hinein.
      "Setz dich, ich mach das schon. Ah!" Er hob warnend einen Finger. "Keine Widerworte! Wenn du schon meinen Rat als Arzt nicht akzeptierst, habe ich soeben beschlossen, dass Gäste mit einer Stichwunde in meinem Haus nicht ins Esszimmer gehen dürfen, ohne dass ich ihnen das Hemd angezogen hab. Du wirst keinen Finger rühren, das hast du jetzt davon. Der Arm zuerst."
      Er verpackte Vincent professionell in seinem Hemd, bevor er sich vor ihn kniete, um seine Knöpfe zu schließen. Er gestattete es ihm nicht, sich ein bisschen dafür zu bewegen.
      Der Blickwinkel war höchst interessant, wie er bemerkte.
      "So."
      Er richtete sich auf.
      "Jetzt langsam, komm her. Wenn du nicht willst, dass ich noch mehr Falten bekomme, dann tu wenigstens ein Mal, was ich dir sage."
      Mit diesen Worten nahm er seinen Platz an Vincent Seite ein, den er nicht so schnell wieder zu verlassen gedachte, und bestritt mit ihm die langwierige Reise zum Esszimmer. Als er ihn gerade zu einem Stuhl manövriert hatte, kam Beth in die Ecke.
      "Oh, ich wusste doch, dass ich etwas gehört habe! Geht es Ihnen gut, Herr Harker? Sie sehen schon sehr viel besser aus!"
      "Ist das Essen schon fertig?"
      "Ja, aber natürlich! Kommt sofort, die Herren! Setzen Sie sich nur!"
      Thomas sah davon ab, seinen Stuhl näher an Vincent heran zu rücken, was er eigentlich gern getan hätte. Stattdessen setzte er sich einfach nur neben ihn.
      Beth deckte ihnen reichlich auf - besonders Vincent - während sie dies und jenes vor sich hin plapperte.
      "Eine tolle Haushälterin haben Sie, Vincent!", sagte sie gerade, als sie das Wasser gebracht hatte. "So jung und so fleißig! Nora hieß sie, nicht wahr? Eine ganz bezaubernde Frau!"
    • "Ich bevorzuge eigensinnig, vielen Dank."
      Vincent ließ sich in den Sessel helfen und lernte, dass hinsetzen sehr viel schmerzhafter war als aufstehen.
      Es hatte schon etwas für sich, Thomas zwischen seinen Beinen knien zu sehen, während er selbst bequem in einem Sessel sitzen und sich entspannen konnte. Irgendwann sollten sie dieses Szenario wiederholen, aber unter besseren Umständen. Für den Moment musste sich Vincent also mit der Aussicht zufrieden geben.
      Nachdem er fertig angezogen war - Nora hatte tatsächlich einen seiner weniger teuren Anzüge rübergebracht - half Thomas ihm wieder auf die Beine.
      "Ich erinnere mich an mehrere Momente, in denen ich getan habe, was du gesagt hast," neckte er den Arzt, kurz bevor dieser die Tür zum Flur öffnete, wohlwissend, dass Thomas keine Zeit hatte, ihm auf diesen Kommentar eine Antwort zu geben.

      Unten im Esszimmer ließ sich Vincent nur zu gern in eine sitzende Position bewegen.
      "Beth! Das riecht ja wundervoll. Ich hoffe doch, es macht keine Umstände, dass ich die Nacht über geblieben bin? Das war wirklich nicht meine Absicht."
      Beth servierte ein wundervoll aussehendes Dinner und tatsächlich hatte Vincent auch Lust darauf, selbiges zu essen.
      "Mir geht es schon um einiges besser, ja. Ich schätze, mehr als zwölf Stunden Schlaf - und ein hervorragender Arzt - haben dazu beigetragen. Und Nora wird mir sicherlich eine ähnlich gute Behandlung zukommen lassen. Sie rettet mir regelmäßig das Leben, glauben Sie mir. Eine wahre Heilige, wenn auch nicht in den Augen der Kirche, so doch in meinen. Ich werde auch nicht müde, ihr das mitzuteilen. Beth. Hat Ihnen eigentlich schon einmal jemand gesagt, dass ihre Fröhlichkeit ansteckend ist? Eine wundervolle Angewohnheit. Darüber hinaus möchte ich Ihnen für dieses köstliche Abendessen danken. Und bevor Sie abwinken: Ich meine es ernst. Und Sie haben meine offizielle Erlaubnis, meine Komplimente anzunehmen. Mir egal, was Thomas sagt. Ich lenke ihn auch ab, wenn Sie wollen."
      Er zwinkerte der alten Dame freundlich zu und wandte seine Aufmerksamkeit dann völlig dem Essen zu, das praktisch seinen Namen rief.
    • Es war höchst erstaunlich zu sehen, dass nicht einmal eine Wunde Vincent daran hinderte, seinen Charme spielen zu lassen. Thomas überkam die Vermutung, dass er es selbst auf seinem Todesbett noch auf die Reihe bringen könnte, die Leute um sich herum um den Finger zu wickeln. Seine Zunge besaß ganz eindeutig ein Eigenleben.
      "Aber nicht doch, Herr Harker! Das Haus ist bei weitem groß genug, das können Sie mir glauben."
      Nicht einmal das Alter war dabei eine Grenze. Beth strahlte, als wäre sie zwanzig Jahre jünger und von Vincent vollkommen entzückt.
      Sie kicherte.
      "Das höre ich zum ersten Mal - wenn das stimmt, ist Herr van Helsing immun dagegen. Sie sollten mal sein Gesicht sehen, wenn er alleine Zuhause ist - wie drei Tage Regenwetter!"
      Wie auf Kommando verzog Thomas das Gesicht und Beth kicherte nur noch mehr.
      "So in etwa, ganz richtig! Sie sollten öfter kommen, Herr Harker, bei Ihnen sieht er immer ganz glücklich aus. Oder zumindest nicht ganz so traurig."
      "Ich sehe doch nicht traurig aus."
      "Da bin ich aber anderer Meinung. Wie ein nasser Pudel!"
      "Beth!"
      Sie zwinkerte Vincent zu und verschwand dann, noch immer mädchenhaft kichernd, in der Küche. Thomas konzentrierte sich lieber auf sein Essen.
      "Wissen Sie, früher war das Haus mal wundervoll gefüllt mit Leben", plapperte sie weiter, als sie das nächste Mal auftauchte. Manchmal glaubte Thomas, sie lief absichtlich so viel hin und her, damit sie weiter erzählen konnte.
      "Es ist so schade, dass Sie seinen Großvater nicht kennengelernt haben, Herr Harker, als er nämlich noch lebte, gab es eine große Familie. Drei Brüder waren das mit Cousins und Schwagern und allem drum und dran, da ging hier täglich jemand ein und aus. Da hätte ich Ihnen wohl kaum so kurzfristig ein Essen auftischen können, nicht mit zehn hungrigen Mäulern!"
      Sie zog an ihnen vorbei, räumte im Salon etwas um, kam dann wieder.
      "Jetzt gibt es ja nur noch einen Herrn van Helsing und die liebe Ms. Brooks möchte hier nicht einziehen. Aber das kann ich schon verstehen, das ist ein altes Haus. Ihr zwei solltet euch lieber was neues suchen, was moderneres. Wohnen Sie nicht auch in einem viel zu großen Haus, Herr Harker? Ich habe gehört Harker Heights soll sehr eindrucksvoll sein. Haben Sie denn wenigstens Familie, die dort mit Ihnen wohnt?"
    • "Ich würde ihn nicht einen nassen Pudel schimpfen," gab Vincent zurück. "Eher einen... Spaniel! Die haben ein freundlicheres Gesicht, wenn Sie mich fragen. Außerdem fehlt Thomas die Aristokratennase, um ein Pudel zu sein."
      Vincent amüsierte sich köstlich mit Beth. Allein schon wie sie Thomas mit einem einfachen Satz wieder in einen zehnjährigen Jungen verwandeln konnte! Sie war wirklich eine wundervolle Person. Sollte Thomas sie jemals loswerden wollen, Vincent würde ein Zimmer bei sich für sie finden.
      "Nicht blutsverwandt, nein. Aber ich gebe mir Mühe, eine ordentliche Beziehung zu meinem Hauspersonal zu haben. Ich habe nicht oft Besuch, aber wenn, dann sind die Leute immer überrascht darüber, dass ich meine Angestellten allesamt beim Vornamen ansprechen kann - und dass sie mich mit dem Vornamen ansprechen. Ich bestehe darauf. In meinem Haus ist jeder willkommen. Wahrscheinlich gleiche ich damit meine nicht vorhandene Familie aus. Ich glaube, ich habe noch einige entfernte Verwandte in Frankreich, aber ganz sicher bin ich da nicht. Wobei Harker Heights für zehn Leute auch noch zu groß ist. Zehn Leute... da schüttelt's mich allein bei dem Gedanken. Wie steht es mit Ihnen, Beth? Sie haben doch sicherlich irgendwo einen Mr. Beth versteckt, oder?"
    • "Die Aristokratennase?", murmelte Thomas missmutig und hätte sich dann beinahe darüber beschwert, dass er sehr wohl das Zeug dazu hatte, ein Pudel zu sein.
      Ihm fiel glücklicherweise rechtzeitig auf, was für ein ausgenommen schlechtes Eigentor es wäre, diesen Gedanken laut auszusprechen, also blieb er still.
      "Das ist ganz wundervoll! Man sollte sich mit seinem Personal verstehen, denn schließlich muss man den ganzen Tag mit ihnen verbringen. Sie haben sicher ein ganz wunderschönes Häuschen! Es ist fast zu schade, dass ich schon zu alt bin für solche Reisen."
      Ausnahmsweise blieb sie auch mal zum plaudern stehen und lehnte sich bei einem Stuhl an.
      "Oh, sind Sie etwa auch ein so armer, einsamer junger Mann? Die jungen Leute von heute haben alle das Pech, dass ihre Familien schrumpfen, bei dem ganzen Krieg der herrscht und bei der Armut. Damals waren die Zeiten alle besser, nicht wahr, aber die kennen Sie ja wahrscheinlich gar nicht mehr, Sie sind ja so jung."
      Sie verschränkte die Arme und kicherte dann wieder.
      "Mein lieber Mann versteckt sich unter der Erde, fürchte ich. Aber haben Sie kein Mitleid mit mir oder mit ihm! Er ist vor zehn Jahren schon verstorben, an einer Lungenentzündung. Der gute war schon über 60, so wie ich jetzt, da kommt das häufiger vor. Und der liebe Herr van Helsing war damals schließlich auch noch mehr auf seine Jagd als auf sein Studium fixiert, sonst hätte er ja helfen können, nicht wahr?"
      Thomas warf einen raschen, scharfen Blick zu Beth, den sie glücklicherweise verstand - wenn auch etwas holprig.
      "Oh, achso, auf die Frauenjagd natürlich. Er war schließlich auch mal jung. ... Ach, ich Dummerchen muss den Ofen noch ausschalten!"
      Sie flüchtete sich aus dem Raum und Thomas rieb sich den Nasenrücken.
      "Du machst mich noch verlegen, Vincent. Vor meiner eigenen Haushälterin. Bin ich denn jemals vor dir sicher?"
    • "Du hast überhaupt keinen Grund, verlegen zu sein, Thomas. Ich unterhalte mich doch nur freundlich mit Beth. Solltest du auch einmal ausprobieren, sie ist eine herzallerliebste Frau. Was deine Sicherheit angeht... Ich kann nichts garantieren."
      Er zwinkerte Thomas frech zu und nahm den letzten Bissen von seinem Abendessen, dann lehnte er sich vorsichtig zurück. Seine Flanke beschwerte sich nicht allzu sehr, dankenderweise.
      Einen langen Augenblick musterte er Thomas, versuchte den Schürzenjäger zu finden, von dem Beth eben geredet hatte, auch wenn er wusste, was für eine Art Jäger Thomas wirklich war. Vincent versuchte es wirklich, aber am Ende konnte er nur lachen, bis seine Seite zwickte, und dann noch ein bisschen.
      "Entschuldige," kicherte er. "Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie du dich von Ball zu Ball hangelst und dir die Junggesellinnen Englands einverleibst. War das deine rebellische Phase? Als das mit Darcy noch nicht völlig in Stein geschrieben war? Anders kann ich mir das nämlich nicht erklären."
    • Vincent bemerkte den Ausfall nicht, was Thomas nur gutheißen konnte. Dafür musste er sich nun eine Geschichte dafür einfallen lassen, weshalb er jemals freiwillig einer Frau den Hof gemacht hatte.
      "Wieso nicht? Denkst du etwa nicht, dass mein altenglischer Charme die Mädchen umgehauen hat?"
      Er beobachtete, wie sich in Vincents Gesicht die kleinen Lachgrübchen bildeten. Er lächelte selbst, auch wenn ihm das gar nicht auffiel.
      "Ich würde eher sagen, ich habe mein Studentenleben in vollsten Zügen genossen. Ganz abgesehen davon bin ich ja wohl ein ganz passabler Tänzer, oder etwa nicht? Was wünschen sich die Frauen da noch mehr?"
      Er beendete seinen eigenen Teller, bevor er Vincent anbot, ihm wieder nach oben zu helfen. In Windeseile war Beth auch schon wieder da, um sich in ihrer typisch engagierten Art darum zu sorgen, ob ihr Gast auch alles hatte, ob es ihm gut ging. Sie ähnelte in ihrer Art sehr der von Thomas und löcherte Vincent auch mit Fragen, bevor Thomas sie schließlich abwimmeln konnte. Er stützte seinen Freund wieder auf dem Weg nach oben, auch wenn das Essen ihm deutlich zu mehr Energie geholfen hatte.
      "Hände weg, ich mach das."
      Als sie zurück im Zimmer waren, hinderte er Vincent daran sein Hemd aufzuknöpfen, bevor er es selbst übernahm, es von seinen Schultern streifte und sauber faltete, bevor er es zurück zu den anderen Klamotten legte. Zumindest legte der Mann sich anstandslos zurück ins Bett, was es ihm erleichterte, sich zurück auf die Bettkante zu setzen und seinen Verband aufzumachen.
      "Du bist manchmal unmöglich, weißt du das?", murmelte er mit einer gewissen Theatralik, wobei er selbst nicht genau wusste, auf was er speziell hinauswollte. Eigentlich gar nichts, er genoss einfach nur Vincent bei sich zu haben.
      Er unterzog die Wunde einer stichprobenartigen Untersuchung, bevor er sich aufrichtete.
      "Es hat sich nicht entzündet, das ist gut. Wenn es weiterhin so bleibt, wird es in ein bis zwei - spätestens drei Wochen verheilt sein, schätze ich. Du musst für mindestens noch eine Woche einen Verband tragen, dann kannst du auf etwas kleineres umsteigen. Waschen musst du es ganz sicher täglich und nur mit sauberen Fingern berühren, wenn überhaupt. Okay?"
      Er packte schon den neuen Verband aus, um Vincent darin einzuwickeln. Er verschnürte ihn, dann deckte er ihn zu und konnte sich nicht davon abhalten, noch einmal seine Fragen zu stellen.
      "Bist du dir ganz sicher, dass du nichts brauchst? Vielleicht ein Wasser? Schmerzmittel?"
    • Vincent musterte den Mann vor sich noch einmal, aber er konnte es sich einfach nicht vorstellen. Das Bild von Thomas, der sein Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte, dessen Blick von Gesicht zu Gesicht huschte, der nicht wusste ob er Leute ansprechen oder höflich ignorieren sollte. Der Arzt hatte auf seinem Ball so verloren gewirkt, da war es schwer, sich einen Thomas Van Helsing vorzustellen, der sich durch die High Society bewegte wie ein Fisch im Wasser.
      "Ich tu jetzt mal so, als glaube ich dir," gab Vincent zurück, blieb dabei aber freundlich.
      Es war ja nicht so, als ob Vincent nicht auf das ein oder andere Geheimnis hütete.
      Er ließ sich von Thomas die Treppen wieder hinauf helfen. Er hatte sich kaum hingesetzt, da bevormundete Thomas ihn schon wieder. Vincent schüttelte lächelnd den Kopf. Er nutzte die Zeit, die Thomas brauchte, um seine Kleidung zusammenzulegen, um es sich selbst im Bett bequem zu machen, bevor seine Glucke schon wieder die Kissen aufschütteln wollte.
      Nach der Untersuchung, die einigermaßen schmerzlos gewesen war, hakte er einen Finger zwischen zwei Knöpfe von Thomas Hemd und zog ihn zu sich.
      "Was ich brauche, bist du. Neben mir in diesem Bett. Wie du jeden einzelnen deiner Muskeln entspannst. Es hilft, wenn du dich dabei an mich kuschelst und ich dich als Kamin ausnutzen kann."
      Er stahl sich einen Kuss von Thomas, dann ließ er den Mann los und klopfte stattdessen neben sich auf das Bett.
      "Ich kann dir zwar keine ärztlichen Anweisungen geben, aber ich kann dir trotzdem sagen, dass du dir einen freien Tag verdient hast. Wenn dir meine Worte nicht reichen, zitiere ich dir auch gern die Bibel über den siebten Tag und Pause machen und so weiter. Du darfst dir sogar die Sprache aussuchen."
    • Thomas ließ sich von Vincent heranziehen und erwiderte den Kuss zärtlich, bevor er aufstand und sich aus seinen Klamotten schälte.
      "Du hast aber eine komische Wortwahl für "ich werde dich foltern". Ist das etwa so eine französische Sache?"
      Er fügte sich allerdings seinem Willen und kletterte zurück ins Bett, wo er seinen prädestinierten Platz einnahm. Erst, als er sich an Vincent gekuschelt und seinen Kopf auf seiner Schulter abgelegt hatte, entspannte er sich tatsächlich. Wenn er nur den ganzen Tag dort verbringen könnte, wäre er vermutlich nur halb so gestresst, wenn überhaupt.
      "Ich mache mir nur Sorgen um dich", murmelte er schließlich während er wieder anfing, die Konturen von Vincents Muskeln auf seiner Brust nachzuzeichnen. Was für ein Traum es doch wäre, tatsächlich den ganzen Tag an dieser Stelle zu bleiben.
      "Dir soll es nicht schlecht gehen. Nicht bei mir."
      Er hob den Kopf und küsste seine Schulter, bevor er ihn wieder ablegte. Dann fuhr er für eine Weile damit fort, seinen Finger über seine Muskeln streichen zu lassen.
      "Ich muss morgen wieder arbeiten, aber Beth wird hier sein. Kommst du auch ohne mich zurecht? Sie kann auch einen Verband wechseln und ein bisschen Ahnung von Wundheilung hat sie auch."
    • "L’amour c’est être stupide ensemble*," gab Vincent grinsend zurück, ohne seine Worte zu erklären.
      Er legte einen Arm um Thomas, sobald dieser in seiner Reichweite war. Die Wärme des anderen übertrug sich sofort auf ihn und auch wenn es keinen Grund dafür gab, so fühlte sich Vincent doch gleich ein bisschen besser.
      "Mir geht es doch nicht schlecht," sagte er. "Du warst nicht derjenige, der mit dem Messer rumgefuchtelt hat. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass du den gegenteiligen Effekt auf mich hast."
      Vincents Hand fand ihren Weg in Thomas Haare, wo er seine Finger mit trägen Bewegungen durch die Strähnen schob.
      "Du könntest mir auch einfach als ersten Termin des Tages nach Hause helfen. Dann hast du eine Ausrede, früher Schluss zu machen: Du hast noch einen wichtigen Hausbesuch zu erledigen. Plus, Beth kann mir keine deiner peinlichen Kindheitseskapaden erzählen. Sowas werde ich gegen dich verwenden, glaube mir. Außerdem hätte ich dann meine eigenen Klamotten zur Hand - ich vermisse meinen Morgenmantel. Der überraschenderweise auch einfacher anzuziehen ist als ein Hemd. Und ich will nun wirklich nicht nackt mit Beth allein in deinem Haus bleiben. Was sollen denn die Leute denken, hm?"
      Er würde niemals müde werden, diesen Punkt über Thomas' Kopf zu halten. Er machte sich immer viel zu viele Sorgen um sein Bild in der Öffentlichkeit.
      "Und wenn du dir wirklich so große Sorgen machst, kannst du auch gern über Nacht bleiben," raunte er Thomas zu, bevor er ihm einen Kuss auf den Scheitel drückte. "Ich meinte es ernst, als ich dir sagte, dass dir meine Türen immer offen stehen. Du musst dir nicht einmal Klamotten einpacken - Nora ist nackte Haut gewöhnt."





      *Liebe ist, wenn man zusammen albern ist.
    • Thomas genoss die Berührung in vollsten Zügen. Er ließ sich von Vincents Zuneigung einlullen, ein friedliches, warmes Gefühl, das seine Finger an seiner Kopfhaut hervorrufen. Schließlich schloss er sogar die Augen, um sich vollständig davon berieseln zu lassen.
      "Hmm."
      Leider hatte er recht - wie immer. Thomas wollte weder, dass Vincent die peinlichsten Geheimnisse seiner Kindheit erfuhr, noch dass irgendjemand eines Tages herausfand, dass sein Gast allein in seinem Haus nackt herumlief, während seine Haushälterin Zuhause war. Aber natürlich gab es auch die Gefahr, dass Vincent sich entscheiden könnte, die einsamen Stunden damit zu verbringen, das vernachlässigte Klavier zu benutzen und Thomas wusste nicht, ob Beth so durchsetzungsfähig war, um ihn wieder ins Bett zu schicken.
      "Weißt du eigentlich, wie schwierig es ist, Nein zu dir zu sagen? ... Was frag ich eigentlich, natürlich weißt du das. Anders kann ich es mir gar nicht erklären."
      Er öffnete wieder die Augen, richtete sich auf und reckte sich, um erst Vincent, dann seine Wange und zuletzt seinen Hals zu küssen. Schließlich machte er es sich an seiner Halsbeuge bequem.
      "Dann also ein Hausbesuch. Von mir aus."
      Allerdings lächelte er fein und als Vincent wieder damit fortfuhr durch seine Haare zu streifen, schlief er schneller ein, als er es bemerkte.

      Vor Sonnenaufgang stand er auf, enttäuscht über das geendete Wochenende, frustriert, dass er Vincent verlassen würde. Es war schon beinahe lächerlich wie anhänglich er geworden war, wie ein Hund der an nichts anderes denken konnte als die Rückkehr seines Herrchens. Aber was sollte er dagegen schon machen, außer sich diesem Drang zu fügen? Vincent war nunmal ein atemberaubender Mann und Thomas war ihm mit jeder Faser seines Körpers verfallen.
      Er schlief noch, als Thomas sich anzog, das Bett umrundete und seine Arbeit von gestern wiederholte: Den Verband überprüfte, die Decke richtete, die Kissen zurechtlegte. Er würde ihn sowieso bald wecken, um ihn nachhause zu bringen, aber bis dahin sollte er ruhig noch schlafen.
      Unten informierte er Beth über seine Pläne, die kaum etwas dagegen einzuwenden hatte.
      "Dann kann ich endlich mal die Kissen waschen. Sie lassen mich ja nie, auch wenn das wichtig ist!"
      Ihr Kommentar erinnerte ihn daran, sein eigenes Bett ein wenig zu verwüsten, um unangenehme Fragen zu vermeiden.
      Als er schließlich wieder bei Vincent war, versuchte er ihn möglichst sanft zu wecken.
      "Vincent, hey."
      Der Mann sah so unglaublich friedlich aus, Thomas hätte sich gleich wieder zu ihm ins Bett legen können.
      "Aufwachen."
      Er strich ihm die Haare aus der Stirn.