A Dash of Luck [Asuna feat. Pumi]

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    • Innerlich zuckte Dane zusammen, als sein Begleiter seine Kleidung einfach so achtlos auf den Boden warf.
      "Gib mir ein bisschen Raum hier, ich fische immer noch ziemlich im Trüben. Entschuldige das Wortspiel."
      Er lauschte Ro's Ausführungen, konnte dem Drang aber nicht widerstehen, das Sakko aufzuheben und ordentlich über seinen Unterarm zu falten, nachdem er den Dreck ein bisschen davon abgeklopft hatte. Irgendwie musste er sich ja von dem athletischen Körper ablenken, den der Junge da präsentierte. Dem wohlgeformten, verlockenden Angebot auf zwei Beinen.
      Dane wollte sich gerade nach dem Hemd beugen, aber Ro kam ihm zuvor. Es war eine Sache, ihn mehrere Meter entfernt im Wasser stehend zu sehen. Es war etwas vollkommen anderes, wenn Ro direkt vor ihm stand, nahe genug, dass Dane seinen sanften Duft wahrnehmen konnte. Ein Schauer kroch seine Wirbelsäule hinab. Dane schluckte.
      "Meine Sinne mögen vielleicht nicht die Reichweite haben, die Drakin an den Tag zu legen scheinen, aber ich bin sehr gut im Umgang mit körpereigenen Energien", erklärte er, um den Faden nicht zu verlieren. "Darf ich?"
      Er hatte die Hand erhoben, hielt sie nur wenige Zentimeter vor Ro's Brustbein. Konzentrier dich, Idiot!, schalte er sich innerlich, als seine Gedanken in gewisse Gefilde abdrifteten. Er wollte Ro berühren, wollte wissen ob seine Haut überall so sanft war wie an seinen Händen. Er wollte wissen, ob Ro's Haut kalt von dem Wasser war oder noch so warm, wie sie sein sollte. Er wollte wissen, ob Ro's Herz schneller schlug, wenn er ihn berührte.
      Dane verdrängte all diese Gedanken mit roher Gewalt. Er hatte einen Deal mit Ro und er würde diesen Deal erfüllen. Es war vollkommen egal, wie gut sein Gegenüber aussah - oder roch - er würde nicht von seiner Aufgabe abkommen. Spielen konnten sie auch später noch, sollte es dazu kommen.
      "Es könnte allerdings etwas unangenehmer werden als das, was ich mit deiner Kopfverletzung gemacht habe. Ich muss mehr meiner Magie verwenden. Du kannst mich natürlich jederzeit stoppen, wenn es zu viel wird."
    • Seit dem Moment, in dem Ro sein Hemd aufgehoben hatte und sah, dass Dane sein Sakko säuberlich über seinen eigenen Unterarm geworfen hatte, fühlte er etwas. Er gab sich größtmöglichste Mühe keine Miene zu verziehen während er versuchte zu deuten, was Danes Aura versuchte ihm mitzuteilen. Auch ohne etwas zu fühlen entdeckte er in den Augen des Dämons, dass sein Verstand gerade ratterte.
      "Solange Sie mich nicht platzen lassen oder so, sicher. Aber ich hätt' gern ne' Erklärung, was genau Sie da machen", sagte Ro.
      Es wäre ein weiteres Indiz, mit dem er zukünftige weitere Dämonen kategorisieren konnte. Zwar hatte er von vielen Wesen gehört oder gelesen, aber auf sie zu treffen war jedes Mal etwas neues. Niemand konnte die Neugierde besiegen, die einem gesunden Lebewesen innewohnte. Demnach interessiert musterte er Danes Hand, die knapp vor seinem Brustbein schwebte.
      Da fiel dem Drakin etwas ein. "Es war nicht unangenehm im direkten Sinne. Nur überraschend", merkte er an als er sich daran erinnerte, wie die Rune aktiviert worden war. "Wir reagieren empfindlich darauf, wenn wir mit anderer Magie in Kontakt kommen. Keine Ahnung, ob wir instinktiv versuchen die fremde Einwirkung abzuwehren oder so." Ros Ausdruck wurde etwas verunsicherter. "Ich weiß nicht, was genau passieren kann. Mir hat keiner erzählt, wie stark sich gegenseitige Aurenwirkung äußern kann. Kam bisher noch nie vor..."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Dane lächelte sanft.
      "Keine Sorge, ich habe nicht vor, dich schmelzen zu lassen. Nicht auf diese Art. Was ich tue ist... ich nenne es gern 'meine Fühler ausstrecken'. In gewisser Weise könntest du es mit dem vergleichen, was du mir auf dem Weg hierher gezeigt hast. Nur dass ich es innerhalb eines Körpers anwende und nicht außerhalb. So gesehen bin ich ein wandelndes CT-Gerät. Das gestern Abend mit der Rune war eine kleine Manipulation deiner eigenen Magie. Ich habe die richtigen Impulse erzeugt, die deine körpereigene Heilung aktivieren. Ich bin kein Wunderheiler, aber ich kann dafür sorgen, dass der Körper eines anderen schneller die entsprechenden Prozesse beginnt. Ich kann diese Prozesse auch unterstützen, aber es ist immer noch alles du. Nehmen wir einmal an, du hast eine Menge Blut verloren. Ich kann deinen Körper dazu bringen, schneller neues Blut zu machen. Aber du würdest immer noch durch die Nährstoffe brennen, die dafür nötig sind. Sowas eben. Was ich jetzt vorhabe ist, im Kern, ein magisches CT bei dir zu machen. Vielleicht finde ich so direkt, wo der Haussegen schief hängt. Die Sache ist einfacher, wenn du dich entspannst und mich machen lässt. Ich habe das schon ein paarmal gemacht und ich habe es auch schon ein paarmal selbst erfahren. Daher kann ich dir sagen, dass es nicht wehtun wird, aber unangenehm sein kann. Du bist nicht daran gewöhnt, eine andere Präsenz in deinem Körper zu haben. Es ist ein bisschen so, als würde ich einen Eiswürfel in ein sehr volles Wasserglas werfen. Es ist gerade genug, dass das Glas nicht überläuft, aber nur, weil Wasser eine gesunde Oberflächenspannung hat. Um Abwehrreaktionen musst du dir keine Sorgen machen. Ich kann meine eigene Energie flexibel anpassen an alles, was mir deine Magie entgegenwerfen könnte. Deine Magie verteidigt sich mit lauten Schlägen. Meine verteidigt sich, indem sie sich in den Schatten versteckt."
      Er senkte den Blick auf das Brustbein des jungen Mannes.
      "Wenn dir schwindelig wird, halt dich an mir fest. Wenn wir den Kontakt unterbrechen, ohne dass ich meine Energie aus dir herausgezogen habe, wird das wehtun", warnte er noch.
      Dann legte Dane seine Hand flach auf Ro's Brust und sandte einen ersten, schwachen Puls seiner Magie in den warmen Körper des Drachen.
      Die Ablenkung war gut. Sobald er den Kontakt hergestellt hatte, konnte er sich nur noch auf die Magie des jungen Mannes konzentrieren. Dane navigierte seine Energie durch die Ro's ohne große Probleme. Die Macht, der er begegnete war enorm. Kaum zu glauben, dass er ein Schwächling sein sollte. Alles, was Dane fand, war pure, überwältigende Stärke.
    • "Moment. Was heißt andere Präsenz IN mir genau??"
      Jetzt war der Drakin doch ein wenig alarmiert. Das grenzte schon verdächtig nach an der Art der Privatsphärenverletzung, die er weniger gut umlenken konnte. Doch bevor er weitere Einwände äußern konnte, lag Danes Hand bereits kalt auf Ros Brust, die wie Feuer brannte. Beim ersten Magieimpuls war die Welt noch halbwegs in Ordnung. Es war wie ein elektrischer kurzer Schlag, der einen aus einem Dämmerzustand wachrüttelte. Anstatt sich großartig zu entspannen, versteifte sich der Körper des Jungen.
      Als Dane einen konstanten Magiefluss herstellte, schoss Ros Hand nach vorn und grub sich in die Schulter des Dämons. Er hatte den Blick auf den Boden gerichtet, wobei es mehr ein krampfhaftes Starren war. Die runden Pupillen waren wieder den Schlitzen gewichen, das Blau in seinen Augen waberte durch alle möglichen Blautöne. Er hatte alle Hände damit zu tun, seine Instinkte unter Kontrolle zu halten. Alles in ihm schrie danach, die Präsenz von sich zu weisen. Das Wesen zu zerstückeln, das es wagte, sich ihm so sehr zu nähern.
      Doch er biss sich auf die Zähne. "Ich geb' mir Mühe, Ihnen nicht den Kopf abzureißen", presste er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, wobei er selbst nicht wusste, ob er dazu wirklich in der Lage gewesen wäre. Er wurde allerdings das Gefühl nicht los, dass wenn er jetzt locker ließ, auf jeden Fall etwas problematisches tun würde.
      Stattdessen traten unterdessen Ros Knöchel weiß hervor. Was genau Dane auch sehen mochte, vielleicht verstand er das sinnbildliche Schloss, dass der Drakin seit je her in seinem Inneren vermutete. Aber so einfach würde man den Schlüssel nicht finden.
      Alles, was er jetzt wahrnehmen konnte, war der überwältigende Geruch nach Bernstein und .... Kohle? Ros Mundwinkel zuckten. Es fühlte sich in ihm an, als liefe schwerer Teer durch seine Adern und hinterließ heiße Spuren auf seinem Weg. Seine Muskeln begannen zu zittern unter der enormen Anspannung, die der Drakin sich selbst auferlegte.
      Aber es war nicht nur das. Tief vergraben unter der Anspannung, dem erstickenden Geruch und den brennenden Linien kämpfte sich immer wieder etwas anderes kurz an die Oberfläche. Dieser Eindruck war neu für Ro, unbekannt und in einer seltsamen Art und Weise aufregend. Diese kleinen Blitzer trugen keine Schwere mit sich sondern eine Leichtigkeit, die er auf Arenebene noch nie vernommen hatte. Als würde sein natürliches Wesen sich darüber freuen, Kontakt auf dieser Ebene zu bekommen.
      "Wie... lange dauert das noch?", musste er in Erfahrung bringen.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Dane sah sich um, so lange er konnte, aber der Junge wehrte sich zu sehr. Also begann er, seine Energie Stück für Stück wieder zu sammeln und aus Ro's Körper zu ziehen. Als der fragte, wie lange es noch dauern würde, war Dane schon so gut wie fertig.
      Schließlich hob er seine Hand, rückte einige Millimeter von dem Drakin ab.
      "Ich sagte doch, du sollst dich entspannen", schalte er Ro, halbherzig und ließ seine Hand zur Hüfte des Jungen sinken.
      Ro sah so aus, als würde er entweder gleich das Gleichgewicht verlieren und auf unangenehme Weise Bekanntschaft mit dem Terrain machen, oder sich übergeben. Wahlweise beides in unbestimmter Reihenfolge.
      "Aber es ist süß, dass du glaubst, mir Kopf abreißen zu können", lächelte Dane.
      Ja, der Drakin war mächtig. Aber das war er selbst auch. Wenn Ro es wirklich drauf anlegte, würde Dane zwar einiges an Sicherheitsmaßnahmen aufgegeben müssen, aber er war sich ziemlich sicher, dass er dem Drakin die Stirn erfolgreich würde bieten können. Und er hatte jetzt einen guten Eindruck von dessen Macht, auch wenn er noch nicht alles gesehen hatte.
      "Wenn ich dir helfen soll, dann musst du mir schon mehr zeigen als nur deinen Vorgarten. Ungefähr so viel konnte ich sehen, bevor ich wieder gehen musste."
      Dane tätschelte die Hand des Jungen, die sich noch immer in seine Schulter krallte.
      "Wir versuchen es wann anders nochmal. Vielleicht wenn wir nicht an einem Ufer aus schafkantigen Steinen stehen. Es kann helfen, wenn man es sich bequem machen kann. Aber für den Augenblick lasse ich dich damit in Ruhe."
      Auch wenn er Ro sehr gern in diesem Aufzug - ordentliche Hosen, offenes Hemd, strubbelige Haare - an einem bequemen Ort sehen wollte. Auf einmal war sich Dane der Position seiner Hand nur zu deutlich bewusst. Er könnte Ro einfach an sich ziehen, seine Arm um ihn schließen...
      Dane machte einen Schritt zurück und schüttelte das Jackett ein wenig aus, bevor er es so hielt, dass Ro wieder hineinschlüpfen konnte.
      "Rom wurde nicht an einem Tag erbaut."
    • Ros Atem ging schwer.
      Noch immer flackerten seine Augen in allen erdenklichen Blautönen, nur getrennt durch einen schmalen, schwarzen Abgrund. Diese Augen fixierten sich nun auf den Mann vor sich, der seine Hand auf der Hüfte des Jungen hatten ruhen lassen. Seine eigene Hand, die sich noch immer in Danes Schulter grub, zuckte zurück, als ihm dies überdeutlich auffiel.
      Erst als Dane einen Schritt vor dem Drakin zurückwich, gewann er seine Raison mehr oder weniger zurück. Sein Mund war trocken, ebenso wie seine Lippen, die er kurz befeuchten musste. Kaum hatte er das getan, schlug er seine Hand vor den Mund. Die funkelten Azurite wurden größer als Ro bemerkte, dass seine Zähne etwas... spitzer geworden waren.
      Am liebsten hätte er sein Sakko in Stücke gerissen und Dane angeschrien. Nicht aus Boshaftigkeit. Was auch immer Dane da gerade unabsichtlich ausgelöst hatte war viel näher dran als alles andere, was er selbst schon probiert hatte. Als Ros Hand abwärts sank, grinste er leicht. Es schwang zwar ein Hauch Wahn mit, das war allerdings nur mies ausgrdückte Freude. Man sah sogar, dass seine Zähnchen ein bisschen spitzer geworden waren und sich langsam abstumpften. Im Gegensatz zu seinen Augen, die immer noch wie blaues Feuer brannten.
      Unschlüssig, ob er hier nun wirklich den Schlussstrich ziehen sollte, ging Ros Blick erst zu seinem Sakko, das noch immer in Danes Händen hing, dann zu dem Mann selbst.
      "Was auch immer Sie getan haben war schon näher dran an allem, was ich probiert hab", klärte er den Dämon mit einem Wahnwitz auf, an den er selbst nicht geglaubt hatte. Wenn es nach ihm ging, dann wäre der Ort vielleicht ein anderer. Aber jetzt aufhören würde empfindlich an seiner Geduld kratzen.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Mit dieser Information konnte Dane hervorragend arbeiten.
      "Ein Grund mehr, dass wir das irgendwann wiederholen. Vielleicht ist das schon alles was es braucht: Jemanden, der den Knoten öffnen kann", lächelte er. "Allerdings scheint dich das Ganze mehr mitgenommen zu haben, als ich erwartet habe. Es dürfte sich also als schwierig herausstellen, tief genug einzutauchen. Und ich würde nur ungern die Wut eines frisch geschlüpften Drachens auf mich ziehen. Wir sollten also eher in kleinen Schritten vorgehen und deine Toleranz aufbauen. Dein Widerstand war durchaus nicht zu verachten."
      Dane dachte nach. Er hatte keine Referenzmenge um sagen zu können, wie lange sie für diese Konditionierung brauchen würden. Er konnte auch nicht sagen, ob sich Ro's instinktive Verteidigung intensivierte, wenn er tiefer ging als der imaginäre Vorgarten. Es gab einige Variablen in ihrem Unterfangen, die er gern gelöst hätte. Allerdings hätte er nichts dagegen, mehr Zeit mit Ro zu verbringen, um diese Variablen zu finden.
      Dane seufzte, als er zu einem Schluss kam, der seiner sonstigen Vorgehensweise vollkommen widersprach. Mace würde ihn schallend auslachen.
      "Ich habe ein Anwesen kurz außerhalb der Stadtgrenze. Das Grundstück ist sehr naturbelassen, mit einer großen Wiese direkt am Haus und einem kleinen, privaten Wald mit einem kleinen See, den ich mir mit meinen Nachbarn teile. Passenderweise handelt es sich bei diesem Rudel um die Familie meines Schwagers, also kann ich ihnen mit Leichtigkeit mitteilen, sich aus einem gewissen Bereich fernzuhalten, wenn du noch mehr Privatsphäre wünschst. Ich schlage vor, dass wir unseren nächsten Versuch dort starten. Sollte es zu etwaigen Zwischenfällen kommen, kannst du dich dort auch in aller Ruhe erholen."
      Dane hatte sich voll und ganz darauf vorbereitet, diese kleine Aktion erst morgen oder an einem anderen Zeitpunkt in der Zukunft durchzuführen, doch die Augen - diese wunderschönen Augen - des jungen Mannes sagten ihm etwas anderes, noch bevor Ro überhaupt den Mund aufmachte. Es sollte ihn nicht so sehr freuen, Ro mit zu sich nach Hause zu nehmen. Aber er konnte das Kribbeln in seinem Nacken nicht einfach abschalten. Also setzte er ein Lächeln auf und fischte sein Smartphone aus seiner Tasche. Ein Wunder, dass er hier draußen überhaupt Empfang hatte.
      Während sich Ro endlich wieder anzog, schickte Dane eine schnelle Nachricht an seine persönliche Assistentin. Sie musste jetzt ein bisschen jonglieren gehen. Aber das war dem Dämon ehrlich gesagt egal. Er teilte der Hexe mit, dass er für den Rest des heutigen Tages keine Anrufe mehr entgegennehmen, keine Nachrichten schreiben und keine Termine wahrnehmen könnte, weil er einen neuen Sonderkunden an Land gezogen hatte. Er arbeitete schon lange genug mit Sasha zusammen, sodass sie wusste, dass es sich hierbei um einen seiner dämonischeren Deals handelte und dass diese Vorrang hatten.
      "Nun denn", schloss er, als er sein Smartphone wieder wegsteckte. "Dann wollen wir diese grüne Hölle mal schnell verlassen."

      Der Rückweg erwies sich als angenehmer als der Weg zum See hin. Die Insekten nervten immer noch und Dane hasste auch weiterhin die Tatsache, dass er nichts einsehen und vorherbestimmen konnte, aber die Vorfreude, die er empfand, gab dem Ganzen wenigstens einen netten Beigeschmack. Sein Fahrer hatte brav am Waldrand gewartet.
      "Wir fahren zu mir", informierte Dane den Rotschupf, dessen Augenbraue kurz zuckte, doch er sparte sich alle Kommentare und kam seiner Aufgabe nach.
      Im Wagen sitzend fühlte sich Dane gleich sehr viel wohler. Eine gewohnte Umgebung wirkte wahre Wunder für seinen Kontrollzwang. Er nutzte die Zeit, um ein kleines Telefonat mit seinen Nachbarn zu führen. Das Rudel war es gewohnt, sich in unregelmäßigen Abständen von seiner Hälfte des Anwesens fernzuhalten, immerhin hatte hier bis vor einigen Wochen noch sein Bruder gelebt. Das Gespräch endete damit, dass Dane einmal mehr zum Abendessen eingeladen wurde. Wie immer sagte er, dass sein Terminkalender ziemlich voll sei - keine Lüge - und er es sich überlegen würde.

      Die Fahrt dauerte nicht besonders lang, da sie sich nicht erneut durch den Verkehr der Stadt wühlen mussten, sondern am Rande entlangfuhren. Irgendwann bogen sie dann ab und entfernten sich ein Stück von der Stadt. Der Wald schluckte sie nach nur wenigen Metern und für einige Minuten wirkte es so, als reisten sie durch einen Tunnel in eine andere Welt, bis sich die Bäume schließlich lichteten und ein Haus in Sicht kam. Der Architekt hatte eine seltsame Mischung aus dem gotischen und modernen Stil geschaffen, die niemals hätte funktionieren sollen, es aber dennoch irgendwie tat.
      "Du kannst für heute Schluss machen, Tiarnán. Und nimm dir morgen frei."
      Der Schotte nickte und nur einen Augenblick später waren Ro und Dane allein.
      "Willkommen in meinem bescheidenen Domizil", lächelte Dane, als er die Haustür mit einem Zahlencode öffnete.
      Seine Inneneinrichtung hatte er beinahe komplett von seinem Bruder übernommen. Wie das Haus bestand sie aus modernen Elementen - alle in schwarz und silber gehalten - und aus Relikten der Vergangenheit. Asa war schon ein Sammler gewesen, aber Dane ging diesem Hobby mit sehr viel mehr Elan nach. Dabei interessierte er sich allerdings weniger für Kunstgegenstände und mehr für Schriften und Bücher. Folglich war das Wohnzimmer am Ende des kleinen Flures mit massiven, gut gefüllten Bücherregalen versehen. Und das waren nur die Erstausgaben, die sowieso jeder kannte: Poe, Shelly, Bronte, dergleichen. Die wirklich seltenen und alten Texte ruhten in Danes Bibliothek - der einzige Raum, den Dane komplett umgekrempelt hatte, seit er hier eingezogen war.
      Er schlüpfte aus seinem Jackett und legte es ordentlich gefaltet über die Lehne eines der Barstühle an seiner Kücheninsel, auf der auch sein Tablet landete.
      "Entschuldige bitte, wenn meine Manieren als Gastgeber etwas eingerostet sind. Das letzte Mal, dass ich tatsächlich einen Gast in meinem Haus hatte, ist ein paar Jahrzehnte her. Willst du was trinken?"

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    • Erst als Dane und Ro wieder im Lexus saßen, erlaubte er sich das Lächeln aus dem Gesicht zu wischen. Nachdem seine eigene Aura wieder halbwegs unter Kontrolle war, kehrten auch seine Augen zu ihrer ursprünglichen Farbe zurück. Wäre er kein Drakin oder dergleichen, hätte er vermutlich mittlerweile trockene Augen.
      Stattdessen fuhr er jetzt mit einem Dämon nach Hause. War er sich darüber überhaupt im Klaren? Soweit er wusste, waren sie weniger terretorial als andere Wesen. Ro hing die Erinnerung nur allzu sehr in seinem Gedächtnis, wie Aimeric immer reagierte, wenn seine Frau ihn in seinen Privaträumen aufsuchte. Oder noch schlimmer - in den Unterwasserhöhlen.
      Ein anerkennendes Geräusch kam über Ros Lippen, als er das erste Mal Sicht auf Danes Haus bekam. Was auf den ersten Blick seltsam erscheinen mochte ergab eine spannend passende Kombination aus Stilen. Bis jetzt fand Ro auch noch nichts verdächtig - auch nicht, als Dane seinen Fahrer verabschiedete und ihm für morgen frei gab. Sogar das Zahlenschloss erschien im nicht befremdlich. Das kannte er schließlich aus seinem eigenen Zuhause wo sein paranoider Vater etliche Dinge und sogar Räume auf diese Art und weitere absicherte.
      Als Ro jedoch eintrat und die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, musste er sich einen Augenblick aklimatisieren. Damit hatte er bereits gerechnet. So wie das Domizil der d'Apchiers eine beeindruckende Präsenz verströmte, war dies auch hier der Fall. Plötzlich ergab es Sinn, dass er von Dane einen ähnlichen dunklen Eindruck wie bei Vampiren bekommen hatte. Die Atmosphäre hier war schwer, dunkel und samtig. Ein paar verbrannte Noten schlugen sich hier und da noch durch den Mix, aber alles in allem wirkte es hier schon regelrecht erdrückend. Man könnte auch sagen, geschwängert durch Magie. Das konstante Prickeln auf Ros Haut untermalte diese Wahrnehmung lediglich.
      Eilig folgte er Dane, der sich gerade in seiner Küche hemisch machte. Bevor sich der Junge irgendwie verloren fühlen konnte, schnappte er sich einen der Barhocker, damit wenigstens eine Hände etwas zum greifen hatten.
      "Ähm, ein Wasser", antwortete er. Seine Augen waren damit beschäftigt, die Einrichtung zu inspizieren und mehr Eindrücke über diesen Ort zu gewinnen. Menschen, nein, Lebewesen neigten dazu, sich anders zu verhalten, wenn sie sich in ihrer gewohnten Umgebung befanden. Das würde vermutlich auch auf Dämonen zutreffen.
      Allerdings war da etwas, das da immer noch in seinem Unterbewusstsein nagte. "Hier findet doch bestimmt ein Taxi hin, oder? Zum laufen wäre das ein ganzes Stück."
      Ro ohrfeigte sich gedanklich. Es war doch nicht beschämend zu fragen, warum der Damön seinem Fahrer freigegeben hatte. Oder niemand ihm gesagt hatte, wie er am besten von hier wieder nach Hause kam.
      Oder eher gesagt, wann.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • "Ich habe eine bekannte Adresse, ja", gab Dane mit einem Schmunzeln zurück.
      Er schlenderte rüber zu seinem Kühlschrank und holte einen Wasserfilter daraus, während er mit der anderen Hand zeitgleich in einen der Hängeschränke daneben griff, um ein Glas rauszuholen.
      "Du riechst schon wieder nach Angst, Ro. Ich habe dir doch schon mehrfach versichert, dass ich dir nichts antun werde, was du nicht willst."
      Immer noch lächelnd stellte er das Wasserglas auf die Kücheninsel. Nachdem er den Filter wieder weggestellt hatte, beschäftigte Dane seine Finger damit, die Ärmel seines Hemdes hochzukrempeln, womit er weitere ineinander verschlungene Tattoos enthüllte.
      "Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob du dazu in der Lage sein wirst, heute noch nach Hause zu gehen. Wenn du willst, dass ich in Runde zwei tiefer gehe, könnte dich das ganz schön umhauen, um es flappsig auszudrücken. Du warst vorhin schon ziemlich durch den Wind. Da habe ich dich lieber hier, wo ich ein Auge auf dich werfen kann. Aber wenn du lieber in den Armen deiner Familie sein willst, die keine Ahnung von der Manipulation der Energien in einem anderen Lebewesen haben, dann fahre ich dich auch gern selbst. Was ich nicht tun werde ist, dich gegen deinen Willen hier festzuhalten."
      Während seines kleinen Vortrages schlüpfte Dane aus seinen Schuhen und stellte sie in die Ecke, wo Flur und Küche aufeinander trafen. In seinem Haus hatte er sowieso die Angewohnheit, sich barfuß zu bewegen. Ob die Schuhe noch zu retten waren, konnte er allerdings nicht mit Sicherheit sagen. Dämlicher Wald.
      "Außerdem sind meine Frühstückswaffel grandios", fügte er grinsend hinzu, als er sich wieder zu Ro gesellte.
      Es war schon seltsam, wie wenig es ihn wurmte, einen Fremden in seinem Haus, seinem inneren Heiligtum, zu haben. Normalerweise waren Asa und Mace die einzigen Personen, die diesen Bereich betreten durften und das auch nur, weil er die beiden auf einem Level kannte, das niemand einfach so nachvollziehen konnte.
    • "Angst ist das falsche Wort dafür...", murmelte Ro mehr zu sich selbst als zu allem anderen.
      Mit langen Armen klaubte er sich das Wasserglas, das ihn irgendwie beruhigte. Vielleicht lag es auch einfach an dem magiegeschwängerten Ort, dass er sich selbst so aufgekratzt wahrnahm. Das alles war einfach so neu und aufregend, da konnte er nicht anders als sich wie ein Kleinkind zu verhalten.
      "Tragen alle Ihrer Art so viele Tattoos? Eine Art Ritus?", fragte Ro interessiert nach. Er hatte Ausläufer der schwarzen Kunst bereits an Danes Händen und Hals gesehen. Offensichtlich reichten sie aber noch deutlich weiter als dort. Sein Blick fiel dabei fast beiläufig auf die nun unbeschuhten Füße. Das musste nicht unbedingt rassentypisch sein. War womöglich nur eine Eigenart.
      "Mit wem leben Sie hier eigentlich?" Ro sah zu der Anrichte neben dem Kühlschrank. Auraspuren, die nicht Dane zuordbar waren, hingen wie alte Fetzen überall herum. Wer auch immer sich da aufgehalten hatte, hatte sich mit irgendwas besonders lange aufgehalten.
      Dann sackte der Drakin das Wasserglas ein und begann seinen kleinen Rundgang. Neugierde war etwas furchtbares. "Mittlerweile bezweifle ich zu wissen, was meine Familie wirklich noch alles kann oder weiß." Anstatt sich seiner Art immer enger verbunden zu fühlen und ein tieferes Verständnis zu entwickeln, warfen sich immer mehr Fragen auf. Immer mehr Aspekte, die für ihn fast schon selbstverständlich waren, fielen unter Tabuthemen seiner Familie.
      "Vielleicht freuen die sich ja sogar, wenn ich von der Bildfläche verschwinde."
      Seine Mutter nicht. Aimeric vielleicht schon. Wer wusste das schon.
      Ro wanderte weiter in ein scheinbares Wohnzimmer. Es hatte immerhin zwei Couches, große Fensteranlagen und wirkte allgemein etwas heimeliger. Auch hier standen etliche Regale mit Büchern und Gegenstände, die dem Drakin vom Aussehen nichts sagten. Dass manche von ihnen allerdings vor Magie nur so summten, klang wie ein nerviger Tinitus in seinen Ohren nach.
      Er ließ sich vorsichtig auf dem nachgiebigen Sitz der Couch, die näher am Fenster stand, sinken. Das Glas hatte er mit beiden Händen eingeschlossen während er dabei zusah, wie Dane zu ihm aufschloss.
      "Ich hab jetzt ja einen ungefähren Eindruck, was passieren wird. Ich lass mich nicht noch mal überrumpeln." Ein fast schon herausforderndes Lächeln blitzte kurz in Ros Gesicht auf.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Dane blickte auf seine Unterarme hinab und lächelte.
      "Nein, die gehören ganz allein mir. Mein Bruder hat ein paar ähnliche, aber ich bei weitem nicht so ausgeprägt wie ich. Es ist kein Ritus, aber es sind auch keine normalen Tattoos, so viel verrate ich."
      Dane schlenderte hinter Ro her. Einerseits, weil er den Fremden in seinem Haus im Auge behalten wollte, andererseits weil er sehen wollte, wie sein Heim auf jemand anderen wirkte.
      "Ich lebe allein", beantwortete er die zweite Frage des jungen Mannes, "Aber gelegentlich lädt sich mein bester Freund zu einer Portion Eiscreme ein. Er war gestern hier."
      Und könnte jetzt schon wer weiß wo sein. Mace hatte die unglaublich praktische - und unglaublich nervige - Fähigkeit, Portale zu erzeugen. Er konnte überall hin, wenn er nur wollte.
      Als Ro sich setzte musterte Dane ihn. Er wirkte definitiv gefasster als noch vorhin, als sie aus dem Wald gestolpert waren. Das natürliche Licht, dass durch die Panoramafenster fiel, verpasste seinem Gesicht einen geradezu ätherischen Schein. Ro war wunderschön...
      "Bist du dir sicher?" fragte Dane nach und setzte sich vor Ro auf den Couchtisch, der nicht viel mehr war als ein kompaktes, poliertes Stück Holz. "Ich werde nicht viel tiefer gehen als vorhin, aber ich werde länger drinbleiben, in Ordnung?"
      Er musste nicht auf seine dämonischen Sinne zurückgreifen, um die Nervosität seines Gegenübers zu erkennen.
      "Gib mir deinen Arm", forderte er, als er von Ro nur ein Nicken bekam.
      Mit geschickten Bewegungen krempelte er den Ärmel von Ro's Hemd bis zum Ellenbogen hoch. Dabei gab er sich Mühe, die Haut des Drakin nicht zu berühren. Ein letzter Blick zu dem jungen Mann verriet ihm, dass er keinen Rückzieher machen würde. Zur Sicherheit nahm Dane ihm also das Wasserglas ab, bevor er den Arm des Jungen ergriff, als würden sie sich wie alte Krieger begrüßen.
      "Denk dran: je weniger du dich wehrst, desto einfach wird es für uns beide. Wenn du aufhören willst, sag es mir."
      Sobald er das Okay von Ro bekam, sandte Dane den ersten, schwachen Energiepuls. Er ging so langsam vor, wie er konnte, suchte sich Stück für Stück seinen Weg in Ro's Magie hinein. Als er den gleichen Punkt erreichte, den er am See schon geschafft hatte, hielt er inne, damit sich Ro daran gewöhnen konnte. Es war schwerer als normalerweise, seine Energie stillzuhalten. Magie war lebendig und war stets auf der Suche. Insbesondere wenn man sie in einen anderen Körper sandte. Normalerweise nutzte Dane seine Runen und Siegel, um seiner Magie ein Ziel zu geben, bevor er sie von der Leine ließ. Aber das hier war etwas anderes. Direkter Kontakt über einen so langen Zeitraum war etwas anderes.
    • Dieses Mal war es anders.
      Nachdem der Drakin die Verbindung via Griff mit dem Dämon hergestellt hatte, fielen ihm die Augen zu. Da er wusste, was kam und mit was für einer Empfindung er rechnen musste, war der Überraschungsmoment verpufft. Stattdessen erhielt er den Eindruck, dass die Energie, die sich nun durch seinen Arm hoch in seinen Brustkorb schob, weniger gefährlich war. Vielleicht spielte es eine Rolle, dass Dane nun weiter weg von seinem Zentrum aus startete. Dass seine kühle Hand nicht auf seiner brennenden Brust ruhte.
      Außerdem fiel Ro auf, dass in diesem Gebäude eine andere Art der Ruhe herrschte. Noch immer fühlte er sich draußen am wohlsten, doch da wäre er immer ein wenig abgelenkt. Geräusche, Gerüche, Lebensenergien. Wie ein ständiges Feuerwerk prasselten die Eindrücke auf ihn ein, die er unterbewusst an den Rand seiner Aufmerksamkeit schob. Was sich am Rand befand war aber bei Weitem nicht vorhanden. Hier in diesem Haus, wo die Atmosphäre sich wie schwerer schwarzer Samt um ihn legte und nichts am Rande kratzte, war die Ruhe und Stille eine völlig andere.
      Das Resultat war ein relativ entspannt wirkender Ro, dessen Brust sich in gleichmäßigen Abständen hob und wieder senkte. Noch immer nahm er die Fremdeinwirkung wahr, noch immer stellte sich etwas Unbekanntes in ihm gegen die andere Präsenz. Sie war nur nicht mehr so extrem abwehrend wie zuvor am See. Nun verhielt es sicher so wie ein Türsteher: Bis zu einem bestimmten Punkt hatte Dane sogut wie keine Gegenwehr.
      Hin und wieder, wenn der Dämon über Punkte hinweg glitt, die empfindlicher waren, zuckten die Finger des Drakin. Zu gern würde er sehen, was der Mann ihm gegenüber aus seinem Inneren lesen konnte. Was der Drache dem Dämon somit preisgab.

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    • Ro war sehr viel ruhiger als noch zuvor am See, was seine Arbeit sehr erleichterte.
      Er hatte dem Jungen Zeit gegeben, sich an seine Anwesenheit zu gewöhnen, jetzt streckte er seine Fühler ein wenig weiter. Er gab seiner Magie keine Richtung, kein Ziel. Stattdessen ließ er sie durch Ro hindurchlaufen wie Wasser, das sich seinen Weg allein durch ein Flussbett suchen musste. Er ließ dieses Wasser langsam plätschern, um keine aggressive Reaktion hervorzurufen.
      Und dann trag er auf einen Stein, der den Fluss blockierte. Ihm fehlten besser Worte, um es zu umschreiben. Er wusste nicht, was es war. Aber es... beobachtete ihn? Wie war das möglich? Es war nicht die Art Blockade, die er vielleicht erwartet hatte.
      Dane zog seine Magie zusammen und wieder in sich zurück, dann ließ er Ro's Arm los. Er wusste nicht ganz, was er mit diesen neuen Informationen anfangen sollte.
      "Gute Nachricht: ich habe etwas gefunden. Weniger gute Nachricht: Ich habe keine Ahnung, was ich da gefunden habe."
      Der Arm, den er Ro gereicht hatte, kribbelte auf eine seltsame Art, was nur zu Dane's allgemeiner Verwirrung beitrug. Er rieb sich über die Handfläche, während er sprach. Das Kribbeln war nicht unangenehm, aber es war anders als das, was er bisher empfunden hatte, wenn er mit Ro zu tun hatte. Es war schwierig, das Gefühl einzuordnen.
      "Wie fühlst du dich?"
    • "Wie ich mich fühle? Ziemlich normal würde ich sagen."
      Tatsächlich sah man dieses Mal keinerler Reaktion bei dem Drakin. Er saß noch immer recht entspannt auf der Couch und sah auch aus wie ein gewöhnlicher junger Mann seines Alters. Nichts verriet, was da in ihm lebte.
      Dafür zuckte er nun mit den Schultern. "Na gut, immerhin haben wir eine Bestätigung, dass da definitv etwas nicht richtig ist. Besser schon mal als gar nichts."
      Diese Feststellung löste bei Ro nichts besonderes aus. Er wusste bereits, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Dass jemand ihm diese Annahme nun auch glaubte, war vielleicht eine minimale Erleichterung. Unterdessen inspizierte er seinen eigenen Unterarm und die Hand. Er schloss und öffnete seine Hand mehrmals, nahm aber keine besondere Veränderung wahr.
      "Was wohl heißt, wir sind doch nicht weiter als zuvor."
      Ein Hauch Enttäuschung schwang in seinen Worten mit. Natürlich keimte die Hoffnung in ihm auf nachdem er gefühlt hatte, dass der Dämon etwas in ihm ausgelöst hatte. Dass sie nun wie zuvor am Anfang standen, knickte den kleinen Trieb der Hoffnung gnadenlos ab.
      "Sie haben noch andere Fragen, die Sie mir nicht gestellt haben", bemerkte Ro dann aus dem Nichts, noch immer musterte er seinen Arm, "wenn es helfen könnte, stellen Sie sie. Mehr als nein sagen kann nicht passieren."

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    • Dane schmunzelte.
      "Ich habe so viele Fragen, mein junger Freund. Nur weiß ich gerade nicht, welche ich stellen muss."
      Dane erhob sich und ging zurück in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Das Kribbeln in seinem Arm wurde widererwarten nicht schwächer. Im Gegenteil, es wurde sogar ein bisschen stärker, als er Distanz zwischen sich und Ro brachte. Äußerst merkwürdig.
      "Sofern das den Rahmen nicht sprengt, könntest du mir verraten, wie die Beziehung von euch zu eurer anderen Form ist. Ich weiß von Wolf-Shiftern, dass sie eher zwei Seelen in einem Körper repräsentieren: Der Wolf und der 'Mensch'. Und dass es eine sensible Balance zwischen beidem gibt. Ist das bei euch auch so, oder muss ich mir das anders vorstellen?", rief er aus der Küche herüber, während er seinen Kaffee beobachtete, der langsam die Tasse füllte.
      Dane versuchte beinahe schon krampfhaft, das Kribbeln in seinem Arm zu ignorieren. Das war ein Gedanke, den er später auch noch verfolgen konnte. Ebenso wie die Frage, warum es sich diesmal so ganz anders angefühlt hatte als noch vorhin. Dieses Mal hatte er beinahe gar keine Gegenwehr verspürt, was angesichts der Aggressivität beim ersten Mal beinahe schon unmöglich sein sollte. Dass Ro so viel entspannter gewesen war mochte dazu beigetragen haben, aber es erklärte nicht diese vollkommen andere Reaktion auf das gleiche Vorhaben. Wer zum Henker war dieser Junge?
      Mit seinem frischen Kaffee ließ sich Dane auf der Couch gegenüber von Ro nieder. Er zog die Beine an und knotete sie in einen Lotussitz. Das Kribbeln in seinem Arm war tatsächlich wieder schwächer geworden, sobald er sich Ro genähert hatte. Der Unterschied auf den wenigen Metern zu seiner Küche war kaum spürbar, aber wenn man so darauf geeicht war, den eigenen Energiefluss zu stabilisieren, wie Danes es war, dann fiel einem sowas auf.
    • Bei Danes Frage hielt Ro inmitten seiner Bewegung inne. Das war in der Tat ein Aspekt, den er noch gar nicht so betrachtet hatte. In Windeseile ging er eine Punkte diesbezüglich in seinen Gedanken durch und beleuchtete sie neu unter einem anderen Standpunkt. Wenn er es sich so recht überlegte, war das nie zur Sprache gekommen.
      "Ganz ehrlich: Ich hab' keine Ahnung", fiel dementsprechend nüchtern die Reaktion des Drakins aus. Sein Tonfall war sehr überrascht, schon beinahe etwas schockiert, dass noch keiner ihm sowas gesagt hatte. "Es ist ein Teil von uns, das spüre ich auch so. Aber darüber hinaus... hm... gute Frage. Die Wandlungen, die ich bisher in meiner Verwandschaft gesehen habe, machen aus den Personen andere. Als wenn ihre menschliche Gestalt nur eine Farce ist, die sie der guten Sitten halber aufrecht erhalten."
      Das würde sich damit decken, dass alle Drakin in regelmäßigen Intervallen Urlaub machten. In ihrer menschlichen Gestalt zu wandern war anstrengend. Es beschnitt sie in ihren Fähigkeiten und irgendwann wurden sie unerträglich, wenn sie ihrer Natur nicht hin und wieder freien Lauf lassen durften. Er erinnerte sich lebhaft daran, als Aimeric wegen dem Krankenhaus seinen Urlaub streichen musste und regelrecht gewaltätig geworden war. Kaum war er aus seinem Urlaub zurück war es so, als sei nie etwas gewesen.
      Als Dane mit einem dampfenden Kaffee zurückkam und sich gegenüber von Ro auf das andere Sofa setzte, legte der Junge den Kopf leicht schief. "Wie ist das eigentlich bei euch? Wie sieht eure Wahre Gestalt aus?"
      Je nach Art fiel diese nämlich anders aus. Drakin wurden zu majestätischen Drachen, Shifter zur ihrer anderen Form. Vampire hingegen strömten nur eine ganz andere Aura und Präsenz aus, wenn sie ihre Gestalt offenbahrten. Hing also vom jeweiligen Wesen ab. Über Dämonen hatte Ro allerdings nie etwas gelesen.
      Sichtlich interessiert musterte er wieder die Tättowierungen, die unter Danes hochgekrempelten Ärmeln verschwanden. "Erzählen Sie mir, was genau sie darstellen oder muss man dafür auch etwas aushandeln?"

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    • Das Kribbeln in seinem Arm war vergessen, als es durch ein anderes in Danes Nacken ersetzt wurde. Ein geradezu teuflisches Lächeln schlich sich in sein Gesicht, als Ro so unvorsichtig war, ihm einen Handel anzubieten.
      "Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, Ro. Du bist zu Gast bei einem Dämon schon vergessen?", raunte er, bevor er sich davon abhalten konnte.
      Um sich ein wenig Zeit zu verschaffen, seine Gedanken zu ordnen, nippte Dane an seinem Kaffee, der eigentlich noch viel zu heiß sein sollte. Aber genau wie Schärfe machte ihm Hitze nur sehr wenig aus.
      "Die Bedeutung meiner Tattoos kann ich dir nur erklären, wenn du sie komplett sehen kannst. Für die Bedeutung musst du mir nichts bieten, aber für die Aussicht schon. Wobei das ein Deal ist, den ich gerne bereit bin einzugehen..."
      Er zwinkerte Ro zu und stellte seinen Kaffee auf den Couchtisch.
      "Was meine 'wahre' Gestalt angeht... die willst du nicht sehen. Im Gegensatz zu allen Magischen, denen ich bisher begegnet bin, ist der Übergang bei Dämonen nicht fließend. Man ist entweder das eine oder das andere. In dieser Dimension ist es einfacher, sich zu als Mensch zu bewegen. Dort wo ich herkomme wäre das ein Todesurteil."
      Grässliche Bilder aus seiner Kindheit drohten, an die Oberfläche zu sprudeln. Aber Dane hatte schon vor sehr langer Zeit gelernt, diese Erinnerungen zu unterdrücken und wegzuschieben, wann immer sie sich meldeten. Der Augenblick verflog schnell.
      "Ich für meinen Teil sehe das hier als meine wahre Gestalt an", sagte er und deutete an sich herunter, "Und es ist Jahrzehnte her, dass ich sie aufgeben musste. Du musst verstehen, Ro, wenn ein Dämon sich offenbart, dann ist es sehr schwer wieder zur Logik zurückzufinden. Unsere Instinkte sind schwer zu beherrschen und für andere sehr schwer zu ertragen. Dämonen haben ihren Ruf in der Geschichte der Menschen - und der Magischen - nicht umsonst. Aber genug von mir und meinen grotesken Artgenossen. Wenn du sagst, deine Verwandtschaft ändert ihre Persönlichkeit mit der Wandlung, meinst du damit die erste Wandlung oder jede einzelne Wandlung? Also ein Unterschied zwischen der 'menschlichen' Persona und dem Drachen?"
      Shifter wurden mit ihrer Dualität geboren, Vampire wiederum veränderten ihre Persönlichkeit, sobald sie das erste Mal Blut zu sich nahmen, was für ein ziemliches Glücksspiel sorgte: man wusste nie, ob die Person nach dem ersten Nähren immer noch die gleichen ideale hatte, wie die Person davor.
    • Danes Raunen ließ es Ro kalt den Rücken hinunter laufen. Er hatte ernsthaft angenommen, dass die Bedeutung das wertvollere Quäntchen Bedeutung besaß und nicht die angesprochene Aussicht. Entsprechend perplex reagierte Ro darauf: "Bisher find' ich alles noch ziemlich gesittet, wenn Sie mich fragen... Ich hab' zumindest nicht den Eindruck, dass Sie mir etwas ableiern wollen, das ich nicht rausrücken will."
      Allerdings konnte er nicht anders, als gedanklich die Linien, die sich von Danes Armen in nicht mehr sichtbare Bereiche erstreckten, zu vervollständigen. Mittlerweile starrte er den Dämon schon sehr auffällig sehr intensiv an. Als ihm das endlich auffiel, blinzelte er etliche Male und riss seinen Blick wieder nach oben in die Augenpaare seines Gesprächspartners. Da, wo sie auch hingehörten.
      Die folgenden Informationen waren dermaßen interessant, dass wieder so manche Fragen in seinem Kopf sich plötzlich in Luft auflösten. Deswegen kannte kaum ein Drakin die Beschreibung der Wahren Gestalt der Dämonen. Was nie passierte, konnte man nicht bezeugen. Wobei sich Ro langsam zu fragen begann, ob man in seiner Lehrstunde Dämonen mit Absicht aus dem Lehrprotokoll gestrichen hatte. Wenn er sich richtig zurückerinnerte, dann wusste er praktisch nichts von Danes Art. Weder die guten, noch die schlechten Aspekte. Das allerdings war eine Information, die der Junge tunlichst gehütet unter seiner Zunge versteckt halten würde.
      "Bei jeder Einzelnen. Kann man vergleichen wie im Theater. Ihre menschliche Gestalt ist eine Rolle, die sie einnehmen. Sobald sie aus dem Rampenlicht treten und dort sind, wo sie sich ungezügelt verhalten können, bringen sie ihren echten Charakter zum Vorschein. Ich hab einmal gesehen, wie sich mein Cousinen-Zwillingspärchen gewandelt haben. Sind ein Herz und eine Seele, wenn man sie so im Alltag trifft. Aber wenn sie zusammen in den Urlaub gehen und sich dann verwandeln, reißen sie sich gegenseitig die Schuppen aus. Neid auf den anderen und so. Total bescheuert eigentlich."
      Dane hatte Ro unlängst geködert. Er musste es irgendwie hinbekommen, dass er an die Signatur des Dämons kam. Dieses Wissen wäre etwas, das Generationen vor ihm nicht einmal in die Krallen bekommen hatten. Auch wenn es sich um kindisches Verhalten handelte, er war scharf drauf sowas zu erleben. Eigentlich war das zufällige Aufeinandertreffen mit Dane das Beste gewesen, was ihm bisher widerfahren war. Er hatte das Gefühl, langsam all das nachzuholen, was ihm seit seiner jüngsten Kindheit verwehrt worden war.
      Folglich schlug er einen fatalen Bogen ein.
      "Rein theoretisch natürlich.... Was wäre wertvoll genug für Sie, damit ich irgendwie einen Blick auf Ihre Signatur bekommen könnte? Ich kann Ihnen so sagen, dass Sie sich zwar in ihrer wahren Gestalt sehen, ich aber sagen kann, dass dem nicht so ist..." Seine Augen funkelten.
      Dummer Junge.

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    • Dane ordnete noch diese neuen Informationen in seinen mentalen Aktenordner, als der Ro's erneute Frage nach seiner dämonischen Form hörte.
      "Es gibt einige Deals, die ich nicht mache, Ro. Dieser gehört dazu", antwortete er direkt und ohne große Reden zu schwingen.
      In dem Punkt musste er eigennützig sein. Niemandem war damit geholfen, wenn ein Dämon frei in dieser Dimension herumrannte. Ein wirklicher Dämon.
      "Ich kann dir meine Tattoos zeigen, ich kann sie dir erklären. Gezeigt, wo ich wohne, habe ich dir ja schon. Aber ich werde niemals darüber verhandeln, wer meine dämonische Form zu Gesicht bekommt und wer nicht. Die Antwort darauf lautet nämlich: niemand."
      Dane zwang sich dazu, das Thema beiseite zu legen und sich zu beruhigen. Kein Grund, so aus der Haut zu fahren, der junge Mann hatte nur eine Frage gestellt, mehr nicht. Er atmete tief durch, dann wandte er sich wieder dem Thema zu, das hier eindeutig das wichtigere war.
      "Wenn sie eine Rolle spielen, dann verändert sich ihre Persönlichkeit nicht. Dann spielen sie eine Rolle. Das heißt, der Drache übernimmt, sobald sich jemand verwandelt, richtig? Und alles, was danach in menschlicher Form passiert, ist eine Imitation dessen, was vorher war."
      Wahrscheinlich sollte man Drakin allerdings nicht verraten, dass sie Vampiren in dieser Hinsicht überraschend ähnlich waren.
      "Wir könnten also von psychologischer Seite an die Sache herangehen: Was, wenn du unterbewusst Angst vor dieser Veränderung hast? Angst davor, dich selbst zu verlieren? Und das nicht nur temporär, was gelegentlich durchaus Spaß macht."
    • Ro betrachtete Dane, der gerade einen für seine Verhältnisse starken emotionalen Ausbruch hatte. Lediglich die Augenbrauen des Drakin wanderten ein Stückchen nach oben, alles andere verharrte regungslos an Ort und Stelle. Das war eindrucksvoll genug, sodass er vorerst nicht mehr danach bohren würde. Jeder hatte seine Grenzen, das war offensichtlich seine.
      "Niemand spricht darüber wie es ist, wenn man sich wandelt. Ich kann nur von dem berichten, was ich bisher erlebt habe. Also ob das nun stimmt oder nicht....hm..."
      Ro griff nach seinem Wasserglas, das einsam auf dem Beistelltisch vor ihm stand und auf ihn wartete. Wenigstens hatte er nun wieder etwas in der Hand. Wortwörtlich.
      "Angst wird es nicht sein. Ob ich mich dann verliere, weiß ich ja nicht sicher. Vielleicht setze ich mich auch zu sehr unter Druck. Ist sowieso beschissen, dass man so wenig erzählt bekommt. Als wenn die alle meinen, über Empfindungen und so spricht man nicht...", murrte der Junge während er sein Wasserglas aggressiv schwenkte. Wie sollte man denn herausfinden, wenn einem nie etwas erklärt worden war? Alle Fragen, die auf die innere Welt anderer Drakin abzielten wurden einfach umgangen. Einmal hatte Ro seinen Vater nach seinem -
      Ro hielt inne. Bevor er auch nur etwas falsches sagte oder sich ein Ausdruck in sein Gesicht schlich, suchte er Danes Blick. Völlig monoton hob er die Stimme an. "Mir ist was eingefallen. Aber das unterliegt den drei Sachverhalten, über die ich kein Wort verlieren kann. Das müsste ich abklären."
      Nachdem er geendet hatte, wühlte er mit seiner freien Hand in seiner Hosentasche nach seinem Smartphone. Es gab da etwas, was ihm tatsächlich fehlte. Vielleicht sollte er hier etwas intensiver nachhaken und das Thema nicht bei seinem Vater, sondern bei seinem Onkel, der weniger feindselig war, ansprechen. Dieses winzige Detail war allerdings von einer dermaßen Macht, dass sie in den falschen Händen als Waffe gegen die Drakin genutzt werden konnte. Sie war der Grund, warum vor Ewigkeiten einst Drachen als Reit- und Kampfmittel missbraucht worden waren.
      Ein paar Augenblicke später verschwand das Gerät wieder unter dem Stoff seiner Chino. Ro hatte erst einmal geschaut, wie lange ein Tai bis hierher brauchte um zu kalkulieren, ob sich eine Fahrt zu seinem Onkel heute überhaupt noch lohnte. Erst dann nahm er einen Schluck aus dem Glas.
      "Wie soll denn der Spaß darin aussehen, wenn man sich verliert? Ich muss gestehen, dass Alkohol auf uns nicht wirkliche Auswirkungen hat..."

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