Long Lost Heritage [Countess & Codren]

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    • Long Lost Heritage [Countess & Codren]

      Die Versammlung der Wenkhils fand im Steinsaal statt.
      Trotz des marmornen Bodens und den dunklen Granitwänden, die sich hinter den Gemälden diverser vergangener Hausoberhäupter verbargen, rührte der Name nicht von der Verkleidung des Raumes her, sondern eigentlich von den hohen, thronähnlichen Sesseln, die in einem Kreis in der Mitte empor stachen und jeweils vorne und hinten über einen Satz Steinstufen zu erreichen waren. Die Ränder der Stühle bestanden aus unreinem Gold, das über die Jahre angefangen hatte Flecken zu werfen und die Farbe des Überzugs drohte bald auszubleichen, aber die Polster waren noch luftig und wenn am Morgen die Sonne auf der anderen Seite der Glasfront im Osten aufging, tauchte sie den Raum in ein einzigartiges, majestätisches Licht, bei dem sämtliche Sessel in all ihrer Pracht erstrahlten. Dann warfen ihre Lehnen lange Schatten in den Raum hinein, die wie die Geister vergangener Wenkhils in einem Kreis herum saßen und über die Zukunft ihrer Welt debattierten.

      Aber es war nicht Morgen, es schien auch nicht die Sonne und es wurde auch nicht über die Zukunft der Welt debattiert. Es war später Nachmittag, vor den Fenstern regnete es in Strömen und es wurde über die Zukunft des Hauses gestritten.
      Nala Wenkhil, eine kräftig gebaute Frau mit breiten Schultern, einer breiten Brust, blonden, schulterlangen Haaren und stämmigen Armen, lehnte sich in ihrem Sessel nach vorne. Sie war das zweite Familienoberhaupt, beschäftigte sich mit der Verwaltung der Ländereien der Wenkhil und neigte dazu, allzu herrisch zu sein.
      “Wir werden so nicht weitermachen wie bisher.”
      Sie hatte eine kräftige Stimme, die es gewohnt war, dass man ihr anstandslos Folge leistete. Dazu passte auch ihre Haltung: Sie saß nach vorne gelehnt wie eine Raubkatze, die darauf lauerte zuzuschlagen, und versuchte dabei, jeden um sie herum mit ihrem Blick einzuschüchtern. Nalas Muster bestand aus einzelnen Schlangenlinien, die sich in unregelmäßigen Abständen um ihren Körper zogen und dazwischen manchmal Platz für glyphenähnliche Zeichen ließen, die so wirkten, als habe jemand auf ihren Körper geschrieben. Für diese besondere Art der Versammlung trug sie ein leichtes, langes Kleid, das vorne und hinten weit ausgeschnitten war und geradeso die wichtigsten Bereiche bedeckte. Ihr Muster hatte sie in stundenlangem Aufwand von der Dienerschaft mit goldener Farbe umrunden lassen und nun stach es unter dem leichten Stoff geradezu hervor.
      Zu ihrer Linken saß Vathar, ihr Cousin aus dem zweiten Verwandtschaftsgrad, der genervt stöhnte. Er war ein Krieger durch und durch, hatte dicke, fleischige Hände und dazu passende, riesige Arme, die kaum Platz auf den schmalen Lehnen der Sessel fanden. Er saß in sich zusammengesunken, hatte die Beine gespreizt und stützte den Kopf auf seinen Pranken von Händen auf. Er trug eine maßgeschneiderte Weste, unter der sein Muster so wirkte, als würde es sich um die Weste schmiegen.
      “Wir können uns aber nicht einfach mit den Sarif verbünden, da können sie noch so viele Versprechungen machen. Und die Marrils sind ebenso ausgeschlossen - entweder die Nethan oder keiner. Und da würde ich lieber die Nethan nehmen.”
      Nala wandte sich ihm mit einem vernichtendem Blick zu, der ihn allerdings kaum beeindruckte. Nala war dafür bekannt, dass sie in ihrer Wut Familienmitglieder aus dem Anwesen schmiss, aber Vathar oblag die Führung ihrer Krieger und daher war er auch der einzige, der diese Situation ordentlich einschätzen konnte.

      Idras saß den beiden schräg gegenüber. Es gab insgesamt acht Sessel, von denen allerdings zwei unbesetzt waren, und er hatte genau einen erwischt, bei dem die Glasfront der Ostseite fast im Rücken lag. Er hörte das Plätschern des Wassers hinter sich, konnte sich aber nicht danach umdrehen.
      Diese “Situation” ging nun schon seit drei Wochen so. Im Norden war ein blutiger Krieg ausgebrochen, nachdem eine Kriegsmaschine der Menschen gefunden worden war und obwohl man sich noch nicht einmal davon erholt hatte, dass die Legenden über diese Maschinen der Wahrheit entsprachen, hatten doch alle damit angefangen, den Krieg zu planen. Dabei gab es nur eine Schwierigkeit: Es ging nicht mehr alle gegen die Menschen, sondern alle gegen alle, denn die Menschen hatten Verbündete und niemand war sich sicher, wer welche Seite ergreifen würde.
      So auch nicht die Wenkhils.
      “Die Nethan taugen zu nichts anderem als zu ihrem kleinen Steinbruch, den sie besitzen, Vathar”, fauchte Nala ihn an und lehnte sich dabei noch weiter vor, so als wolle sie ihn tatsächlich gleich anspringen.
      “Wenn du nicht die letzten Wochen auf den Hügeln verbracht hättest, wüsstest du, was wir von ihnen halten!”
      “Bist du wieder schwanger, Nala? Oder warum bist du so unglaublich beschränkt?”, knurrte er zurück.
      Nalas Kopf drohte fast zu platzen, als sie sich aufrichtete und bereit zu sein schien, hier und jetzt mit Vathar über den Boden zu rollen. Ihr Cousin war fast doppelt so breit wie sie und Nalas Bauch war, nunja, tatsächlich ein bisschen runder geworden in letzter Zeit.
      Idras setzte sich ein wenig auf und hob beschwichtigend die Hände.
      Jetzt ist's genug. War das wirklich notwendig, Vathar? Sie ist meine Schwester.
      Sein Cousin wandte sich ihm zu.
      “Schwester? Nein. Ungeheuer? Das trifft's eher.”
      Nala zischte ärgerlich und Idras stand auf, bevor Nala selbst aufspringen und Vathar vor der Versammlung aller des Saales verweisen würde.
      Wir machen eine Pause. Sind alle einverstanden?
      Die Versammelten brummten ihm zu, darunter Vathars Eltern und der schweigsame Khibrim, der auf Nalas anderer Seite saß. Idras' Schwager hatte zu der ganzen Sache nicht viel mehr beizutragen, als gelegentlich zu brummen und mit seinem wirren und wirbelndem Hautmuster wichtig auszusehen.
      Nala und Vathar lieferten sich einen Kampf mit ihren Blicken ab, bei dem es so wirkte, als würde die Luft um sie herum anfangen zu knistern. Nur gut, dass sie die Übereinkunft getroffen hatten, in diesem Saal kein Wandeln einzusetzen. Vathars Eltern beobachteten sie dabei, aber ihre Mienen blieben unergründlich.
      Idras schlug sich die Schleppe seines Umhangs aus dem Weg und stieg die Steinstufen dieses grotesk hohen Sessels hinab auf den Boden. Nur eine Sekunde später war die Solis Albus da, um ihm seinen Weinkelch zu bringen. Die Dienerschaft stand größtenteils an die Wand gedrängt, um schon seit Stunden auf das Ende der Besprechung zu warten und ihre Meister danach in Empfang zu nehmen. Die Diener waren das einzig verbliebene Wertvolle auf diesem von den Raschai verfluchten Anwesen.
      Idras nahm den Wein nicht entgegen, sondern ging stattdessen in Begleitung von Eldyra zu der Fensterfront hinüber, von der aus er auf den Garten ein Stockwerk unter sich blicken konnte. Die Sträucher hatten wieder angefangen zu blühen und so sah es sogar unter dem Sturm, der im Moment über ihnen vorbeizog, recht idyllisch unten aus.
      Jetzt nahm er sich doch den Kelch und leerte den Inhalt in einem Zug.
      Wenn wir einen Saal ohne Dach hätten, würden wir sicherlich nicht so lange herumsitzen”, brummte er verdrießlich und drehte sich halb zu Eldyra um, bevor er sie doch ansah. “Wie lange sind wir schon hier?
      Eldyra war eigentlich zu wertvoll, um stundenlang im Saal zu stehen und eine - selbst für Sklaven - niedrige Aufgabe zu verrichten. Eigentlich hätte Idras sie irgendwo eingeteilt, wo man sie sehen konnte, im Garten zum Beispiel oder wenigstens in der Küche, aber Vathar war vor drei Tagen von seinen wochenlangen Scharmützeln zurückgekehrt und es hatte bereits einen Vorfall in der Dienerschaft gegeben. Es war sogar die Köchin gewesen; Manchmal hatte Idras das Gefühl, dass Vathar sich absichtlich an Sklavinnen verging, von denen er wusste, dass sie teuer gewesen waren. Als hätte er einen Riecher für sowas.
      Und Eldyra war sogar sehr teuer gewesen. Idras hatte eine lange Schimpftirade von Nala über sich ergehen lassen müssen, bis sie endlich einsehen wollte, dass die Solis Albus nicht nur als gewöhnliche Sklavin zu nutzen war, sondern als Verkörperung des verbliebenen Reichtums der Wenkhils galt. Bei ihrer geringen Familiengröße war es das einzige, was ihnen noch Achtung bei den anderen einbringen konnte.
      Aber genau wegen diesem hohen Wert konnte er nicht riskieren, dass sie Vathar in die Hände fiel - also hatte er sie kurzerhand zu seinem persönlichen Dienst eingetragen. Er konnte es zwar nicht leiden, ständig jemanden um sich herum zu haben, aber es hatte auch seinen Vorteil: Heute morgen hatte sie ihm für die Versammlung seine langen Haare geflochten, sodass sie in Zöpfen auf das Zeichenmuster auf seinem Rücken fielen, und hatte dabei ausgezeichnete Arbeit geleistet. Allerdings konnte man das unter dem Umhang nicht mehr sehen, den er sich vor einer halben Stunde angezogen hatte.
      Idras warf einen Blick auf die anderen, die erst langsam von ihren Sesseln herabstiegen, ehe er wieder auf Eldyra hinab sah.
      "Wie geht's eigentlich der Köchin, Seria? Ich habe gestern doch nicht mehr nach ihr gesehen."
      Er wollte etwas von seinem Kelch trinken, ehe ihm missmutig auffiel, dass er schon leer war.



      @Countess
    • Für die Solis Albus fühlte es sich an, als befand sie sich bereits seit einer halben Ewigkeit in diesem Anwesen. Dass sie trotz all der Hintergrundgeschichte irgendwann selbst den Platz einer wertlosen Sklavin einnehmen würde, hätte sie noch vor einigen Jahren lachend abgewunken - mittlerweile war es zur bitteren Realität geworden. Zu ihrem Glück war es Idras, ihr Herr, der sie damals vor einem noch furchtbareren Schicksal bewahrt und in das Anwesen seiner Familie geholt hatte. Nachdem die Solis Albus gestürzt und beinahe gänzlich ausgerottet wurden, landete sie das erste Mal in ihrer Sklavenrolle. Im Gegensatz zu ihrem jetzigen Posten handelte es sich zu diesem Zeitpunkt um nichts Geringeres als einen heruntergekommenen Marktplatz, an welchem sie öffentlich zur Schau gestellt und vor aller Augen als Schande vorgezeigt wurde. Ihr damaliger Alltag war geziert von niemals enden wollender Trostlosigkeit, Qualen und schrecklichen Schmerzen. Fremde Menschen bespuckten sie, warfen ihr Gegenstände entgegen oder erniedrigten sie mit schandhaften Worten, die in keiner Weise der Wahrheit entsprachen. Es dauerte nicht lange, bis die Geschichte der Solis Albus in den Hintergrund rückte und ihre Wichtigkeit für die Welt oder die ihrer vollbrachten Taten nichts mehr wert waren. In ihren Augen konnte Eldyra von Anfang an die panische Angst erkennen, von der sie durchtrieben und angespornt wurden. Die Angst, dass sie ihre Macht den Ältesten gegenüber abermals verlieren konnten. Eigentlich waren es die Solis Albus, gepaart mit weiteren, kraftvollen Rassen, die dem Reich in welchem heutzutage ein Jeder sich etwas aufbauen konnte zu seiner Blütezeit verhalf - doch aufgrund des schrecklichen Kriegs in welchem es jedem nur danach gelüstete, seine Macht unter Beweis zu stellen, geriet all das in Vergessenheit. Nun waren es keine Rassen, die das Machtverhältnis teilten und für Recht und Ordnung sorgten, sondern ein durch und durch lückenhaftes System, das eher dafür sorgte, das Reich immer weiter in den Abgrund zu treiben.
      Eldyras Fähigkeiten blieben auf dem Marktplatz natürlich nicht verborgen, nachdem sie mehrmals versuchte ihrem ganz persönlichen Alptraum zu entkommen - erfolglos. Ihr ehemaliger Herr scheute vor keiner Gräueltat zurück und so ertrug sie Stichverletzungen, Faustschläge sowie weitere Qualen, bis ihr Körper von den ständigen Misshandlungen so geschwächt war, dass sie ihre Fähigkeiten weder einsetzen konnte - noch wollte. Sie akzeptierte ihr Schicksal und stützte sich auf den Gedanken, dieser Hölle auf Erden ausgeliefert zu sein. Dennoch gab sie nicht auf, tat stets das was man von ihr verlangte und wurde eines Tages insofern belohnt, dass Idras ihrem Alptraum ein Ende bereitete und sie in seine Obhut übernahm. Entgegen den Vorstellungen seiner Familie, insbesondere seiner dickköpfigen Schwester Nala, vor der man nicht anders konnte als sich zu fürchten. Nach einiger Zeit jedoch hatte er es tatsächlich geschafft, dass Eldyra (wenn auch nicht freiwillig) akzeptiert wurde und von dieser Sekunde an dafür zuständig war, sich so gut es ging um Idras zu kümmern. Auch, wenn sie die Nase gestrichen voll davon hatte die Sklavin für irgendwen zu spielen, konnte sie sich über ihren momentanen Lebensstil nicht beschweren. Das einzig Unerträgliche stellten die ständigen Sticheleien und die wertlose Behandlung durch Idras Cousin Vathar dar, der jede Sklavin wie sein persönliches Spielzeug behandelte und fest davon überzeugt war, sie entgegen der eigenen Willen für jede Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse zu nutzen - ganz wie es ihm beliebte. In gewisser Weise hatte er Recht, doch egal wie viel Zeit sie innerhalb ihrer Sklavenrolle bereits verbrachte, diesen mangelnden Respekt gegenüber lebenden Individuen wollte sie ganz einfach nicht verstehen.
      Trotz all der Zeit, die Eldyra mittlerweile mit Idras verbrachte und so einiges über ihn als Person herausgefunden hatte, war es ihr noch immer nicht möglich seinen Gedankengang nachzuvollziehen. Doch die wichtigste Information für die Solis Albus war der Fakt, dass ihr Herr sie nicht als nutzlose Dienerin missbrauchte. Selbst die anderen Sklavinnen behandelte er mit Respekt. Vielleicht nicht in dem Ausmaß, den er ihr entgegenbrachte, doch es war mehr als genug. Zudem war es auffällig, wie er sich darum bemühte Eldyra von Plätzen fernzuhalten, in denen sie den anderen Familienmitgliedern schutzlos ausgeliefert war und vermutlich ebenfalls der Gier Vathar zu Opfer fallen konnte. Auf Grundlage all dieser Kleinigkeiten verrichtete sie sogar gern die ihr zugeteilten Pflichten und Aufgaben, ohne sich dagegen sträuben zu wollen.
      Gemeinsam mit den anderen Dienern stand sie bereits seit Stunden mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt in dem unfassbar riesigen Saal, der für wichtige Besprechungen vorgesehen war. Als sie das erste Mal in diesem Saal stand, fiel es ihr unglaublich schwer für eine solch unmenschlich lange Zeit die Ruhe zu bewahren und nicht ungeduldig zu werden. Denn die Besprechungen der Familie zogen sich meist über Stunden hinweg und es war den Dienern nicht erlaubt, sich in dieser Zeit anderen Dingen zu widmen. Mittlerweile war es mehr oder weniger zur Gewohnheit geworden und wenn man so wie sie verstand, worum es innerhalb der Gespräche ging, war es sogar ziemlich interessant zu lauschen. Es gab sogar Momente, in denen Eldyra liebend gern Mitspracherecht gehabt hätte - leider blieb ihr diese Chance innerhalb der Sklavenschaft verwehrt und hätte sie es sich gewagt, ihre Stimme zu erheben, hätte ihr womöglich Schlimmeres als auf dem Marktplatz gedroht. Sie dachte ebenfalls oft darüber nach, am Ende oder innerhalb einer Pause des Gesprächs mit Idras Rücksprache zu halten oder ihn in ihre Gedanken einzuweihen - zu groß war jedoch die Angst, seine Sympathie ihr Gegenüber aufs Spiel zu setzen und so entschloss sie sich dazu, nicht mehr und nicht weniger als ihre zugeteilten Aufgaben zu verrichten.
      Das Gespräch nahm langsam andere Züge an und Eldyra merkte klar und deutlich, wie die Stimmung immer hitziger wurde und die Nerven der Anwesenden Mitglieder blank lagen. Bevor es also eine andere Richtung einschlug und die eigentlichen Kernelemente der Besprechung keine Rolle mehr spielten, orderte ihr Herr Idras eine Pause an. Eldyras Blicke schweiften zwischen den Anwesenden Mitgliedern von deren Mehrheit sie lediglich die Rücken erblickte umher und innerlich dankte sie ihm dafür, dem mittlerweile unerträglichen Herumstehenden ein kurzes Ende bereitet zu haben. Sobald sie sah wie ihr Herr sich von seinem Thron erhob, füllte sie einen goldglänzenden Kelch mit seinem liebsten Wein und tapste mit schnellen Schritten in seine Richtung. Neben den Steinstufen machte sie Halt und hielt ihm den Kelch entgegen, nachdem er die Stufen an ihr vorbei hinunter trat. Zu ihrer Überraschung griff er nicht danach, was ihr einen kurzen Schauer über den Rücken jagte. Stark schluckend verkniff sie sich jedes Wort, das nun an der Schwelle ihres Bewusstseins klopfte. Still und langsam lief sie hinter ihm her, hinüber zu der Fensterfront, von welcher aus ihr Meister den sich unten befindenden Garten betrachte. Nun nahm er den mit Wein gefüllten Kelch doch entgegen und statt ihn zu genießen, kippte er ihn in einem Zug die Kehle hinunter. Spätestens in diesem Moment war Eldyra sich sicher, wie angespannt und schlecht gelaunt er sein musste. Ohne ein Kommentar nahm sie ihm den leeren Kelch vorsichtig aus der Hand und schenkte nochmals nach, falls es Idras nach mehr gelüsten sollte. Seine folgende Aussage zwang ihre Mundwinkel ein Stück weit nach oben während sie sich darum bemühte, nicht im Lachen auszubrechen. Denn anders als ihr war ihrem Herrn vermutlich nicht nach Humor zumute. „Seit etwa viereinhalb Stunden mein Herr.“ entgegnete sie ihm hinsichtlich seiner Frage und wich seinen direkten Blicken aus, indem sie wie er zuvor aus dem Fenster hinausblickte. Auch wenn er es möglicherweise als unhöflich ansehen mochte, wollte sie niemals das Gefühl verspüren, von oben herab betrachtet zu werden. Aus diesem Grunde sah sie stets zur Seite, wenn er sie betrachtete. Ergänzend dazu tat sie selbiges auch bei den anderen Familienmitgliedern. Als er sich jedoch nach ihrer mittlerweile guten Freundin Seria erkundigte, riss sie die Augen ein Stück weit auf und biss sich gleichzeitig leicht auf die Unterlippe. Sie wusste nicht, wie viel sie verraten sollte. Im schlimmsten Fall käme es am heutigen Tage zu keinem Ergebnis mehr, wenn Vathar und Idras in einer Auseinandersetzung endeten. Bevor die kurzzeitige Stille sich noch länger zog, setzte sie zum Reden an: „Nun, ich habe vorhin auf dem Weg hierher nach ihr gesehen. Soweit geht es ihr den Umständen entsprechend. Vathar hat sich scheinbar kein Stück zurückgehalten, ihren Körper zieren mehrere Prellungen und… aufgrund von starken Schmerzen im Intimbereich ist es ihr noch nicht möglich, ihren Pflichten in vollen Zügen nachgehen zu können. Deshalb wurden ihr noch ein paar Tage Bettruhe gewährt und ich hoffe, die reichen aus. Arleth ist in Serias Abwesenheit für die Küche zuständig. Leider gab es schon mehrere Beschwerden, da Arleth bei Weitem keine solch gute Köchin darstellt, mein Herr.“ Seinem Blick nach zu urteilen hatte er bereits vergessen, den Kelch zuvor geleert zu haben, weshalb sie ihm den neu gefüllten Kelch abermals hinhielt. „Wisst Ihr schon, wann es weitergeht, mein Herr?“ fragte sie sichtlich von Neugierde darüber erfüllt, wie lange sie noch in diesem Saal verweilen musste.
      my review on life so far:

      ★ ★ ★ ☆ ☆
    • Eldyra ergriff wortlos den Kelch, den Idras für dessen Leere mit seinem Blick zu strafen versuchte, und hielt ihm kurz darauf schon den gefüllten wieder hin. Er nahm ihn entgegen und murmelte ein Dankeschön.
      Eine Welle der Erschöpfung ergriff ihn, die er nicht zuzuordnen vermochte. Er war nicht körperlich erschöpft, ganz im Gegenteil, sein Nacken war steif vom vielen Sitzen und seine Gelenke knackten, wenn er sie ausstreckte, aber geistig fühlte er sich völlig ausgelaugt. Die Sorge um einen bevorstehenden Krieg, um die Beziehungen zu den benachbarten Familien, um Nala und Vathar, die sich bei jeder Gelegenheit versuchten gegenseitig auszuspielen und besonders letzteres um Vathar, der wie ein unaufhaltsamer Rachegeist durch sein Anwesen wütete und die Dienerschaft in Angst und Schrecken versetzte, schien ständig auf ihn einzudrücken, bis er eines Tages nachgeben würde.
      Ironischerweise war es Eldyra, von deren ständiger Anwesenheit er eigentlich hätte genervt sein sollen, die ihm ein fester Anker in der Brandung war. Sie erfüllte ihre Aufgaben pflichtbewusst und mit einer gewissen Leidenschaft, die bei anderen Dienern durch die Ausdruckslosigkeit der Sklavenschaft abgelöst worden war und sorgte dafür für eine benötigte Zuverlässigkeit. Manchmal war das eine willkommene Abwechslung, aber Idras musste auch aufpassen, dass man ihm nicht nachsagte, dass er mit Sklaven auf einer Augenhöhe kommunizierte. Das letzte, was er in diesen Tagen brauchen konnte, war ein Zweifel an seiner Führerschaft. Dann würde auch das letzte bisschen Kontrolle, das er über diese Familie ausübte, den Bach runtergehen.

      Er nippte lustlos an dem Wein und beobachtete, wie der Sturm unten an den Sträuchern riss, ehe er auf Eldyras Frage antwortete. Eigentlich wollte er gar nicht darüber nachdenken. Je weniger er sich damit beschäftigte, desto besser ging es ihm vermutlich.
      "In ein paar Minuten. Wenn sich die beiden lautesten Wenkhils vertragen haben."
      Sein Blick huschte bei diesen Worten über Eldyra hinweg zu den Sesseln, aber er beobachtete aus dem Augenwinkeln, wie sie ihren Blick schlagartig abwandte, kaum als sie sich trafen. Das war eine der wenigen schlechten Angewohnheiten, die Eldyra innehatte, aber er tats stets so, als würde es ihm nicht auffallen. Wenn man eine Behandlung wie Eldyra erlitten hatte, bei ihrem früheren Sklaventreiber, der sie vor den Augen aller geschlagen und gedemütigt hatte, war es wohl eine verzeihliche Angewohnheit. Außerdem wollte er nicht der Herr sein, der seine Diener zur Rechenschaft zog, weil sie seinen Blick nicht erwiderten. Als ob es auf der Welt nicht wichtigere Probleme gab.

      Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die anderen Familienmitglieder, von denen Vathar jetzt auch von seinem Sessel herabstieg und gleich von zwei Dienern in Empfang genommen wurde. Beide männlich, etwas anderes hatte Idras nicht erlaubt. Sie flankierten ihn wie eine Ehrengarde, als er auf Idras zu schlenderte.
      Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der die beiden Cousins alles miteinander getan hatten. Ihre Eltern hatten ein enges Verhältnis zueinander gehabt und nachdem sie beide keine Brüder hatten, hatten sie sich eben gegenseitig als Brüder betrachtet. Sie waren miteinander aufgewachsen, waren von Idras' Vater unterrichtet worden, hatten gemeinsam das Kämpfen gelernt und waren schließlich auch gemeinsam in Scharmützel mit anderen Familien gezogen. Damals waren sie unzertrennlich gewesen, Idras und Vathar, die beiden Erben des Wenkhil-Reichtums, die Nachkommen einflussreicher Wenkhils, die sich ihren Platz auf der Welt mit Blut und Schweiß ergattert hatten. Sie waren kaum voneinander gewichen und wenn man sich ihre Muster genau ansah, konnte man sich fast einreden, dass sie tatsächlich wie Brüder aussahen.
      Dann war erst Vathars Schwester gestorben und dann auch noch das Familienoberhaupt in dem Versuch, den Tod zu rächen. Idras und Vathar hatten das Anwesen in einem Rachefeldzug verlassen, um den Stolz der Wenkhils wieder herzustellen, aber sie hatten den Mörder nicht gefunden. Schließlich war Idras nachhause zurückgekehrt, weil er immerhin ein Haus zu führen hatte, und Vathar war auf dem Schlachtfeld geblieben. Er stellte sich auch heute noch anderen Familien und kam nur nachhause, um an wichtigen Besprechungen wie dieser teilzunehmen, doch seitdem herrschte eine Distanz zwischen ihnen, die sie wie eine Kluft voneinander trennte. Vathar, der sich als der Rächer der Wenkhils ausgab und Idras, der erkannt hatte, dass sich nicht alles durch den Schwung eines Schwertes lösen ließ. Die ehemaligen Brüder waren wieder nichts weiter als Cousins.

      Vathar blieb bei Idras stehen, starrte auf dessen Muster und sah dann erst Eldyra an seiner Seite. Seine Miene hellte sich sichtlich auf.
      "Oh, die Elfe! Ich dachte, es gibt sie schon gar nicht mehr, hab' sie nicht gesehen die letzten Tage."
      Er streckte eine seiner unglaublich riesigen Hände nach ihr aus und ließ ihr Haar durch seine Finger gleiten. Sein Blick glitt an ihrem ganzen Körper entlang.
      Idras mochte diesen Blick nicht. Er wusste genau, was dem anderen durch den Kopf ging und das machte ihn wütend. Konnte er sich nicht ein Mal im Griff haben, nichtmal wenn die ganze Familie anwesend war?
      Er legte Eldyra die Hand auf die Schulter und zog sie bestimmt hinter sich, bis sie aus der Reichweite von Vathar gekommen war. Der richtete sein Blick nun auf Idras, der ihn mürrisch betrachtete.
      "Das ist keine "Elfe", sondern eine Solis Albus und das habe ich dir bestimmt schon so oft gesagt, wie ich dir gesagt habe, dass du dich nicht an meinen Frauen vergehen sollst."
      Vathar versteifte sich augenblicklich und blickte nun genauso mürrisch drein. Seine anfänglich lockere Haltung, mit der er hergekommen war, verschwand.
      "Bist du etwa immer noch nachtragend deswegen? Ich hab' mich doch schon entschuldigt."
      "Entschuldigen kann man das wohl nicht nennen - und außerdem hast du dich nicht bei ihr entschuldigt."
      "Ich soll eine Sklavin um Verzeihung bitten? Hast du etwa genauso den Verstand verloren wie Nala? Was kommt als nächstes, dass ich die Sklaven vorher fragen muss, ob sie mir etwas zu trinken bringen möchten?"
      Idras trat auf ihn zu. Die beiden Männer waren etwa gleich groß, aber Vathar war von seinen ständigen Kämpfen am ganzen Körper gestählt, während Idras eher schlank gebaut war. Er musste sich tatsächlich anstrengen, um sich vom anderen nicht einschüchtern zu lassen.
      "Du hast die ganze Dienerschaft in Angst versetzt", zischte er ihm zu und tippte ihm gegen das Brustbein. "Was kommt denn als nächstes, wirst du sie abstechen, wenn sie dir nicht gehorchen? Muss ich schon Wachen einstellen, um meine eigenen Sklaven unter meinem eigenen Dach zu beschützen? Muss ich dich etwa anbetteln, dass du niemandem etwas antust?"
      Vathar schürzte zornig die Lippen. Er schien bereit dazu, sich mit Idras ein ähnliches Gefecht zu liefern wie schon mit Nala, aber so weit wollte Idras es gar nicht erst kommen lassen. Er war das Hausoberhaupt und er war der Eigentümer des Anwesens und er war der Besitzer aller Sklaven und Vathar war nur vom zweiten Rang. Er war einen Rang unter Nalas zweijähriger Tochter.
      Er baute sich vor Vathar auf. Sie funkelten sich gegenseitig an, in ihren Blicken knisterte es hin und her, ihre Muskeln zuckten und dann tat Vathar das einzig richtige, das er machen konnte. Er wich einen Schritt vor Idras zurück, nahm Haltung an und verbeugte sich unterwürfig vor ihm.
      "Ich bitte um Verzeihung, Herr. Wenkhil."
      Idras verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen.
      "Halte dich von meinen Frauen fern. Von allen."
      Vathar regte sich für einen Moment nicht, brummte etwas, erhob sich schließlich und schritt davon, ohne Idras noch einmal anzusehen. Er hatte den festen Schritt eines Kriegers und schien nicht mehr zum Plaudern aufgelegt.
      Idras sah ihm nach, bis er sich sicher sein konnte, dass er nicht wiederkam, und drehte sich dann erst wieder zu den Fenstern um. Er trank einen weiteren, gewaltigen Schluck von seinem Wein, in dem Wunsch, dass er ihm Kraft schenken möge, und erinnerte sich dann an Eldyra, die er vor Vathar weggeschoben hatte. Er drehte sich zu ihr um und sah sie eindringlich an.
      "Du musst mir sagen, wenn es einen weiteren Vorfall gibt. Egal, was es ist. Ich werde niemanden dafür bestrafen, wenn er mit mir redet."
      Er sah sich erneut nach Vathar um und dieses Mal war er sich mit einem Schlag sicher, dass er Idras umbringen würde, wenn er nur die Gelegenheit dazu hätte. Die Erkenntnis jagte ihm einen Schauer über den Rücken und verpasste ihm eine Gänsehaut.
      Er wandte sich wieder Eldyra zu.
      "Es ist ausgesprochen wichtig, dass du zu mir kommst - egal wann und egal, was ich gerade tue. Geh damit nicht zu Nala und auch nicht zu Khibrim, sondern zu mir. Verstanden?"
      Er zog die Stirn in Falten.
      "Sieh mich an, Eldyra. Hast du mich verstanden?"
    • Dies war eines der Dinge, die ihr an Idras gefielen. Er glich in keiner Weise seinem Cousin Vathar, der einzig und allein mit verbaler Manipulation versuchte, seinen Willen zu kriegen. Dankbarkeit war für ihn scheinbar ein Fremdwort und wenn er nicht augenblicklich das bekam, was er wollte, ließ er es die Sklavinnen die überhaupt keine Schuld daran trugen spüren. Es war sinnlos, sich gegen Vathar aufzulehnen oder bei seinem Spiel nicht mitzuspielen, besonders als Sklavin, wie Eldyra es war. Glücklicherweise fiel sie im Gegensatz zu anderen Sklaven noch nie in die Hände Vathars oder bekam seinen angestauten Frust zu spüren. Dennoch bangte sie bereits jetzt vor dem Tag, an dem dies der Fall sein würde. Idras bemühte sich darum, dieses Szenario nicht eintreten zu lassen - doch was sollte sie machen, wenn er irgendwann mal auswärts unterwegs sein sollte? Ihrer Intuition nach zu urteilen würde die Abwesenheit Idras nur dazu führen, dass Vathar wusste, wie sehr er sich austoben konnte und dies würde er sich mit Sicherheit keinesfalls entgehen lassen. Im Allgemeinen glich Idras keinem der anderen Familienmitglieder und dafür war Eldyra insgeheim dankbar. Nichts wäre für sie furchtbarer gewesen als eine Einteilung, bei der sie es mit den anderen Mitgliedern der Wenkhils zutun gehabt hätte. Zwar war keiner der Wenkhils schlimmer als Vathar, Respekt gegenüber den Sklaven oder für die Arbeit die sie tagein tagaus verrichten zollten sie dennoch nicht.
      Idras Worte durchbrachen die Stille und entlockten der Solis Albus ein Nicken. Nur noch ein paar Minuten der Bewegungsfreiheit, bevor sie der unerträglichen Warterei erneut ausgesetzt wurde. Blieb nur zu hoffen, dass das Ende der Besprechung bald einläutete und der Tag sich dem Ende zuneigte. Nicht, dass sie am Ende der Besprechung etwas Wundervolles erwartete - doch für sie gab es keine schlimmere Aufgabe, als das niemals enden wollende, stundenlange Herumstehen in diesem Saal. Sobald sie nur die Türschwelle zu diesem überschritten hatte, schlug ihre Laune um wie ein Hebel, der soeben betätigt wurde. Im Gegensatz zu den anderen hier anwesenden Sklaven konnte Eldyra sich zumindest in dem Punkt glücklich schätzen, dass sie für Idras Wohlbefinden zuständig war. In all der Zeit, in der sie nun schon für ihn arbeitete, hatte sie ihn teilweise liebgewinnen können. Es fiel ihr noch immer schwer ihre Sklavenrolle vollständig zu akzeptieren, doch Idras machte den Gedanken daran weniger unschön. Genau genommen erging es ihr innerhalb ihres Postens nicht schlecht; sie hatte alles, was sie benötigte und auch wenn es vermutlich nicht richtig war, sorgte er stets dafür, dass sie sicher vor den anderen war und es ihr im großen Ganzen an nichts mangelte.
      Eine Weile lang sah sie ihn an und konnte beobachten, wie etwas Bestimmtes an seinen Kräften zerrte. Idras ließ es sich nicht sonderlich anmerken und doch kannte sie ihn gut genug um beurteilen zu können, wann ihm nicht wohl war. Vermutlich kippte er aus diesem Grund den Wein hinunter, als wäre er nicht mehr als stilles Wasser. Er war in Gedanken vertieft und aus diesem Grund sagte die Sklavin nichts, sondern folgte stattdessen seinen Blicken, die auf den Sesseln der Wenkhils lagen, bis sie den sich soeben erhobenen Vathar erblickte. Allein seine pure Anwesenheit bereiteten ihr Unbehagen und zu allem Überfluss stolzierte er genau in die Richtung der beiden. In diesem Moment hätte sie nichts lieber als das Recht zu gehen wann immer sie wollte. Da ihr dieses Recht allerdings nicht gestattet wurde, musste sie an Ort und Stelle verweilen.
      In Idras Nähe blieb er stehen und erst dachte sie, Vathar würde ihr keine Aufmerksamkeit schenken weil er beschäftigt genug mit Sticheleien gegen Idras war - zu ihrem Bedauern war dem nicht so. Seine ersten Worte richteten sich ausschließlich Eldyra. Wären ihre Hände nicht beschäftigt genug, das Gefäß mit Wein zu halten, hätte sie diese nun zu Fäusten geballt um ihre Wut zu zügeln - jedoch musste sie Vathars Anwesenheit mit Vorsicht genießen. Ein falsches Wort, eine falsche Handlung und sie würde am eigenen Leibe erfahren was es wirklich bedeutete, eine wertlose Sklavin zu sein. Im schlimmsten Fall war es Vathar selbst gestattet, ihrem vorlauten Mundwerk eine Lehre zu erteilen und dann konnte auch Idras sie nicht länger schützen. Sie kniff die Augen zusammen und begann ein wenig zu zittern, als Vathar seine Hand in ihre Richtung ausstreckte und sie instinktiv damit rechnete, von ihm verletzt zu werden. Als er lediglich vereinzelte ihrer Haarsträhnen durch seine Finger gleiten ließ, zuckte sie schreckhaft auf und öffnete die Augen vorsichtig. Dadurch bemerkte sie, wie seine Blicke ihrem Körper galten und jede einzelne Stelle genauestens inspizierten. Vor lauter Ekel breitete sich Gänsehaut auf ihrem Körper aus und bevor es zu weiteren, ungewollten Berührungen seitens Vathar kommen konnte, legte Idras ihr seine kräftige Hand auf die Schulter um sie hinter sich zu positionieren.
      Sich hinter Idras in Sicherheit wiegend lugte sie vorsichtig an seiner Schulter vorbei um Vathar anzusehen und der bedrohlichen Stimmung der Konversation zu lauschen. Es gab nicht viele Momente, in denen die beiden nur zu zweit redeten und jedes Mal wenn sie dies taten, war keiner von ihnen freundlich gesinnt. Ob es überhaupt eine Zeit gab, in der die beiden nicht regelrecht verfeindet miteinander waren, wusste sie nicht. Dafür war sie nicht lang genug in diesem Anwesen und viel über Vathar sprach Idras ebenfalls nicht. Bei diesem schlechten Verhältnis war diese Tatsache nicht weiter verwunderlich. Trotz allem, was sie über Idras Denkweise hinsichtlich der Sklaven zu wissen behauptete, war es immer wieder erstaunlich hautnah mitzuerleben, wie er seinen Mitgliedern entgegen ihren Meinungen die Stirn bot und öffentlich zur Schau stellte, wie er über Sklaven dachte. Vermutlich hatte er Glück, dass ihm alles gehörte und er die rechtmäßige Rolle des Oberhauptes an diesem Ort zierte - wäre dem nicht so, könnte er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so einfach über seine persönliche Meinung sprechen.
      Nach längerem Verfolgen des Szenarios fiel ihr auf, dass Vathar im Gegensatz zu Idras viel stämmiger gebaut und sicherlich um einiges kräftiger war. Idras Haltung nach zu urteilen wusste auch er dies ganz genau und dennoch ließ er sich nicht einschüchtern. Im Gegenteil - nun baute er sich vor Vathar auf und schaffte es sogar, dass dieser schlussendlich zum Gehen ansetzte. Blieb nur zu hoffen, dass er Idras Worte nicht als Herausforderung ansah und Eldyra eines Tages unbemerkt auflauerte, um sich für dieses Gespräch und Eldyras unverständlichem Wert zu rächen.
      Ohne Eldyra eines weiteren Blickes zu würdigen, wand er sich erneut der Fensterfront zu und leerte währenddessen den übriggebliebenen Rest seines Weins. Ohne mit der Wimper zu zucken streckte sie ihre Hand in Sekundenschnelle aus, um den geleerten Kelch entgegenzunehmen, bis Idras sich unverhofft zu ihr umdrehte und sie ansah. Ihre Hand zog sie umgehend zurück und blickte zu Boden, während er sprach. „Ja, mein Herr. Ich weiß Ihre Gutmütigkeit zu schätzen und lasse es Sie wissen, sollte ein erneuter Vorfall vonstatten gehen…“ schwer schluckend bemühte sie sich darum, den zuvor entstandenen Kloß in ihrem Hals verschwinden zu lassen. Innig hoffte sie, Vathar niemals wieder so nahe bei sich haben zu müssen.
      Idras nächste Worte überraschten sie ein wenig - sie verstand nicht recht, weshalb es für ihn eine solch hohe Wichtigkeit darstellte, dass sie einzig und allein mit ihm redete und die anderen Wenkhils außen vor lassen sollte. Davon abgesehen, dass sie sich von allein niemals trauen würde, mit jemand anderem als Idras zu reden. Er war keiner von den Schlechten, das wusste sie. Gleichzeitig konnte sie sich jedoch nie sicher sein, was sie ihm erzählen sollte und was nicht, weshalb es öfter vorkam, dass sie bestimmte Vorfälle unter den Teppich kehrte und gar nicht erst ansprach. Da er nun aber so darauf pochte, jeden weiteren Vorfall von Eldyra mitgeteilt zu bekommen, wollte sie ihn nicht enttäuschen.
      Sie bemerkte seinen durchdringenden Blick, der auf ihr lastete und bei seinem eindringlichen Befehl, sie sollte ihn ansehen, verkrampfte ihr ganzer Körper. Er hatte sich zuvor bei Vathar für sie eingesetzt und ihren Wert klar gemacht, da konnte sie seine Bitte in diesem Moment nicht ausschlagen. Wie angewurzelt stand sie einen Moment lang da, rührte sich kein Stück und fummelte unruhig an dem Weingefäß herum, bevor ihr Gesicht sich ganz langsam erhob. Jemanden anzusehen war nicht schwer, doch ihren Vorsatz wollte sie auch nicht unbedingt brechen. Um ihrem Meister zu zeigen, dass sie jeden seiner Befehle weiterhin verfolgen würde, hob sie ihr Gesicht gänzlich nach oben, sodass ihre Blicke sich trafen. Mit funkelnden, strahlend weißen Augen sah Eldyra eine Zeit lang in die ihres Gegenübers, bevor sie die Lippen spitze und seine Frage beantwortete: „Ich verstehe, mein Herr. Ich werde einzig und allein mit Ihnen reden.“ Nun nahm sie ihm den leeren Kelch doch aus der Hand und sah herüber zum Kreis der Wenkhils, die sich nach und nach wieder auf ihre Plätze begaben. „Ich glaube, es geht gleich weiter Meister. Ich werde zurückgehen und auf Sie warten, viel Glück.“ Mit einem aufgezwungenen Lächeln und einem tiefen Knicks verabschiedete Eldyra sich und machte sich sogleich auf den Weg zurück zur Wand, an der die anderen Sklaven bereits ihre Ursprungsplätze eingenommen hatten.
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      ★ ★ ★ ☆ ☆
    • Eldyra wandte sich Idras nur quälend langsam zu. Er sah es an ihrem ganzen Körper, was für eine Überwindung es sie kostete und schließlich sah er es auch in ihrem Gesicht, als sie sich ihm ganz zuwandte und ihre Augen erstrahlten. Er studierte ihre Miene auf die Gedanken, die sich hinter diesen Augen abspielten und sich ihm nur in Form eines ernsten Ausdrucks offenbarten, den sie vollständig unter Kontrolle hatte. Ihre Unerschütterlichkeit war beinahe beeindruckend. Mit einer Vergangenheit wie ihrer stand sie noch immer aufrecht vor ihm, bot ihm die Stirn und verlor nicht einmal die Fassung in Angesicht des Tyranns des Hauses. Sie verkörperte vieles, was Idras bei sich selbst vermisste und durch Wein und lange Nächte auszugleichen versuchte. Wenn er nur wüsste, wie sie es schaffte weiterhin aufrecht zu gehen. Er würde sie danach fragen müssen.
      Eldyra verabschiedete sich fast fröhlich von ihm, ehe er sie tatsächlich noch danach gefragt hätte - der Wein drohte ihm langsam zu Kopf zu steigen - und Idras schritt zurück zu den Sesseln. Nala wartete bereits ungeduldig auf ihrem eigenem Sitz und warf ihm garstige Blicke zu.

      Zwei weitere Stunden dauerte das Gezetere, ehe alles sich dem Ende zuneigte und auch wahrhaftig eine Entscheidung gefällt wurde. Das Resultat bis dahin war recht simpel und nichts, was sie nicht schon in der ersten Stunde verstanden hatten: Keiner anderen Familie war zu trauen, nicht einmal alten Verbündeten, denn jeder konnte die Seiten wechseln und Bündnisse missbrauchen. Es brachte also nichts sich auf mögliche Partner festlegen zu wollen, denn nicht einmal kleine und unbedeutende Familien waren ungefährlich. Sie glaubten alle, dass sie sonst ihr eigenes Grab schaufeln würden.
      Andererseits war es ebenso fatal, keinen Kontakt herzustellen, denn sonst würde es bei den anderen so ablaufen wie bei ihnen: Sie würden sich Gedanken darüber machen, ob den Wenkhils zu trauen war, ob man so weitermachen sollte wie bisher oder ob man so sogar vernichten sollte. Es war einfach unmöglich in Zeiten wie diesen sämtliche anderen Raschai nicht als Bedrohung anzusehen. Zu groß war der Machtkampf und zu abgeschieden waren die Ländereien von Musterlosen, sodass sie sich wohl als erstes gegenseitig zerfleischen würden.
      Also mussten sie vorsorgen. Sie mussten Vorbereitungen treffen. Man musste herausfinden, wer der eigentliche Feind war und mit wem man gegen diesen Feind auf das Schlachtfeld ziehen würde.
      Und wie konnte das besser umgesetzt werden als mit einem Fest? Natürlich nicht auf dem Anwesen der Wenkhil, zu groß war die Gefahr, dass sich Attentäter einschlichen, aber sie würden einen öffentlichen Ort finden - wie den großen Marktplatz, der nur etwa zwei Tagesreisen entfernt lag - die Händler erkaufen und den Platz so ausrichten, dass sich ein paar Dutzend Raschai einfinden konnten. Und wer wäre für eine solche Aufgabe besser geeignet als das Haus Wenkhil, das mit seinen kilometerweiten Ländereien mehr Reichtum besaß als die benachbarten Familien? Sie würden den Platz für ein paar Tage kaufen, umfunktionieren lassen, die Händler erkaufen und dann würden sämtliche Familien aus der Umgebung sich dort einfinden um über die Lage zu diskutieren. Sie würden reden und am Ende des Tages würde jeder wissen, wer zu wem gehörte und auf welcher Seite sie standen.
      Nala war von der Idee begeistert, sogar ihr Ehemann verzog grüblerisch das Gesicht und rieb sich das Kinn. Vathar jammerte darüber, dass er ja dann eine weitere Zeit nicht mehr hinausziehen konnte und seine Eltern waren besorgt über die Ausmaße, die ein solches Fest mit sich brachten. Idras versuchte in dem Durcheinander einen Plan zu entwerfen, nach dem sie ein solches Ereignis aufziehen würden.

      Schließlich trennten sich alle mit der Abmachung, dass sie am Folgetag die Einzelheiten klären würden und bis dahin sich jeder überlegen sollte, wie sie das alles organisieren sollten. Idras gab auf das abschließende Geschnatter keine Rücksicht, erhob sich, ließ sich von Eldyra am Boden der Stufen empfangen und schritt mit ihr nach draußen.

      Das Anwesen der Wenkhil umfasste drei Stockwerke, die jeweils über die Haupttreppe zu erreichen waren und je etwa zehn Zimmer beherbergten. Der Gang war überall T-förmig mit einem langen Hauptgang und zwei kürzeren Armen, die zu den verschiedenen Zimmern führten. Eigentlich waren diese Stockwerke allein dafür ausgelegt, dass zwanzig Raschai dort leben konnten, aber der innere Kreis der Wenkhil war so klein geworden, dass das gesamte dritte Stockwerk für Gäste benutzt wurde. Allerdings gab es in letzter Zeit auch keine Gäste, also stand es einfach leer.
      Idras schritt mit Eldyra den Hauptgang des zweiten Stocks entlang, stieg die Treppe am Ende ein Stockwerk hinab, ging den selben Hauptgang zurück und bog an seinem Ende nach rechts ab, wo er sein Arbeitszimmer hatte. Die Tür war rot angemalt, als wolle man vor dem Eintreten warnen.
      Erst, als er Eldyra hineingescheucht und selbstständig die Tür hinter sich geschlossen und abgeriegelt hatte, erlaubte er sich die Last der Versammlung abzuschütteln und ein langgezogenes Seufzen auszustoßen. Er knöpfte sich den Umhang ab, ließ ihn achtlos bei der Tür zu Boden fallen und schleppte sich dann hinüber zu seinem Schreibtisch, wo noch immer die offenen Geschäftsbücher vom Vormittag lagen. Er würde sich jetzt ganz sicher nicht mehr mit ihnen beschäftigen. Stattdessen ließ er sich auf seinen Stuhl fallen, winkte Eldyra heran und ließ sich von ihr seinen Krug füllen.
      Das war also ein weiteres Problem, mit dem er sich beschäftigen durfte: Die Organisation eines ganzen Festes. Er würde tief in die Schatzkammer greifen müssen, um sowas auf die Beine zu stellen, und zu allem Überfluss würde er dort auch als Familienoberhaupt aufkreuzen müssen. Er wusste gleich, dass die erste Frage, die ihm gestellt werden würde, lauten würde, ob sie den Mörder seines Vaters gefunden hatten. Und er würde die Schande seiner Antwort über sich ergehen lassen müssen.
      Der letzte Teil der Besprechung hatte ihn wieder nüchtern gemacht, aber das wollte er jetzt wieder rückgängig machen. Er trank den Inhalt in einem Zug und hielt Eldyra den Krug gleich wieder hin, während er aus dem Fenster starrte. Das leise Plätschern des Weines hörte sich an wie ein Schlaflied.
      Wie ist deine Familie, Eldyra? Erzähl mir davon. Ich möchte wetten, dass es keine gibt, die so anstrengend ist wie der Haufen über uns.
      Wenigstens konnte er sich mit Eldyra normal unterhalten.
    • Das mittlerweile trostlose Schauspiel erstreckte sich noch über weitere zwei Stunden, bevor endlich ein Ende in Sicht war. Dass nach all dem Hin und Her wahrhaftig eine Entscheidung gefällt wurde, wollte sie noch vor einer Stunde nicht glauben. Doch die Tatsache, dass am morgigen Tage abermals eine Besprechung gehalten werden sollte, war der Solis Albus ein Dorn im Auge. Ob sie nach einem solch kurzen Zeitintervall erneut dazu in der Lage war für mehrere Stunden still herumzustehen, bezweifelte sie stark. Trotz allem blieb ihr nichts anderes übrig, wenn Idras sie nochmals herbestellen sollte. Die Befürchtungen der Wenkhils und vor allem die von Idras waren nicht unbegründet - sie hatte die zurückliegenden Besprechungen gut genug verfolgt um genauestens im Bilde darüber zu sein, worum es überhaupt ging. Die Bedrohung eines bevorstehenden Krieges verfestigte sich immer mehr und die Angst der anderen Rassen und Familienoberhäupter, ihre Macht innerhalb des Reiches zu verlieren spitzte sich weiter zu. Sie war froh, nicht in Idras Haut stecken zu müssen und gleichzeitig malte sie sich aus, was mit ihr passieren würde, sollte das schlimmste Szenario eintreffen und die Wenkhils würden ihre Macht verlieren. Es gab noch immer den leichten Hoffnungsschimmer, dass die Sklavenschaft ihr Ende finden würde - der wohl realistischste Fall war jedoch, dass die neue Rasse an der Spitze der Pyramide Macht über die Sklaven der Wenkhils erhalten würde. Was der Frau jedoch am meisten Sorge bereitete, war das von Idras geplante Fest an einem öffentlichen Platz. Sie verstand, weshalb innerhalb dieses Anwesens kein Fest geschmissen werden sollte - doch hier wäre sie wenigstens sicher gewesen. An einem öffentlichen Platz war es Idras unmöglich, ein Auge auf seine Sklavinnen und Sklaven zu werfen und beim Gedanken daran, dass Trunkbolde ihre Gelüste nicht unter Kontrolle haben konnten, wurde ihr übel. Es war nicht so, als konnte sie sich nicht wehren - sie durfte ganz einfach nicht. Durch das Umsetzen ihres eigenen Willens würde sie das Verhältnis mit Idras sowie aller Wenkhils aufs Spiel setzen und daran wollte sie nicht einmal denken. Wer wusste schon, was ihr anschließend für eine Zukunft drohte?
      Seufzend blickte sie in Idras Richtung, der sich soeben von seinem Platz erhob und ging schnellen Schrittes auf ihn zu, ehe sie ihn am Ende der Steinstufen in Empfand nahm und ihrem Herrn aus dem Saal hinaus folgte.


      Genau genommen kannte sie das Anwesen der Wenkhils beinahe auswendig. Schließlich hatte sie in so ziemlich jedem Abteil des Hauses bereits Aufgaben erledigt oder sie erblicken können, wenn sie Idras hinterherlief. Trotzdem war sie jedes Mal aufs Neue überwältigt hinsichtlich der Größe, die dieses Anwesen umfasste. Ein Fremder tat sich sicherlich nicht schwierig damit, sich hier im Inneren zu verlaufen und auch wenn Idras das Oberhaupt verkörperte konnte sie nie verstehen, wie er jedes Fleckchen auswendig kannte, wenn er die meiste Zeit lediglich in seinem eigenen Arbeitszimmer, dem Garten oder Besprechungssaal verbrachte.
      Es dauerte nicht lang bis sie wusste, wohin es ihn nun verschlug und der Weg zu Idras Arbeitszimmer zog sich vom Saal aus ins Unendliche. Nach all dem Herumstehen schmerzten ihr die Füße und sie wollte nichts lieber, als sich in ihr zugewiesenes Bett zu legen und ausreichend Schlaf zu bekommen. Bedauerlicherweise war ihr der Schlaf erst gestattet, wenn Idras es zuließ und so bestimmt wie er sie hinter sich mit in sein Arbeitszimmer führte, war an den erholsamen Schlaf noch lange nicht zu denken.
      Endlich vor der purpurroten Tür angekommen, zwang Idras sie ins Innere und verschloss die Tür hinter den beiden. Seinen Umhang ließ er achtlos auf dem Boden landen und reflexartig bückte Eldyra sich zu Boden, um diesen aufzuheben. Mit der freien Hand klopfte sie den Staub, der sich festgesetzt haben konnte ab und legte Idras Umhang über die Garderobe, die sich in der Ecke des Raumes befand.
      Nach verrichteter Arbeit sah sie zu Idras hinüber und erwischte sich dabei, wie Neid ihre Augen erfüllte beim Anblick seines Hauptes, das sich erleichtert auf den Stuhl vorm Schreibtisch sinken ließ.
      Wie von ihrem Meister verlangt näherte Eldyra sich diesem und schenkte ihm wortlos nach, nur um dabei zuzusehen, wie er seinen Krug in einem Zug leerte. Das Gefäß mit beiden Händen achtsam haltend, kippte sie es nach vorn um Idras Krug abermals zu füllen. Wenn er so weitermachte, durfte sie gleich noch loslaufen um weiteren Wein zu besorgen. Gerade als sie ihm ihre Gedanken mitteilen und nachhaken wollte, ob es ihrem Herrn nach weiterem Wein gelüstete, verwarf er jegliche Gedanken mit seiner Frage. Lächelnd hielt sie den Krug fest an ihre Brust gedrückt und nickte Idras zu. „Lasst mich überlegen.“ Nachdenklich blickte sie gen Himmel und wusste nicht einmal, wo sie anfangen sollte. Dass er sich trotz ihrer jetzigen Verhältnisse für ihre Familie interessierte, warf sie ein wenig aus der Bahn. „Ihr habt Recht, mein Herr. Meine Familie war vielleicht nicht so hitzköpfig wie die Eure, doch einfach war sie auch nicht. Wie Ihr annehmen könnt, kann ich lediglich aus der Vergangenheit erzählen, da ich keinerlei Kontakt zu Ihnen besitze. Doch die Erinnerungen, die ich an sie habe sind weitestgehend schön. In unserem damaligen Anwesen gab es viele Feste mit Musik, Tänzen und gutem Wein - das blieb aber nicht immer so. Während der erste Krieg sich anbahnte, verblasste die friedliche Stimmung. Die Feste wurden immer weniger, die glückselige Stimmung verflog und es drehte sich einzig und allein um Macht. Neugeborene, die rechtmäßig auf die Welt gebracht wurden, wurden verbannt wenn sie keine typischen Solis Albus Merkmale aufwiesen, die Jüngeren waren nach und nach nicht viel mehr wert als ich es nun bin und im Großen und Ganzen ging es ab diesem Zeitpunkt bergab für meine Familie. Meine Eltern kämpften dafür, das Reich nicht mit Blut zu besudeln - leider waren sie mit dieser Einstellung weitestgehend allein. Mit unserer Gabe versuchten sie sich zu verteidigen, beraubten Feinde um ihr Augenlicht für unseren Gott in der Hoffnung, er würde dem schrecklichen Schauspiel ein Ende bereiten. Doch das einzige Ende das eintrat, war das meiner Eltern. Im Verlauf des Krieges wurden sie getötet und ich als einzige Tochter rutschte in der Rangfolge nach oben. Ich war zu jung, besaß keine Erfahrung in irgendwelchen Hinsichten und so hielt der Rest meiner Familie es für das Beste, mich auszusetzen, fernab vom Geschehen.“ Eldyra hielt inne und verkrampfte die Finger ums Gefäß, da der Rest der Geschichte die ihre darstellte. Idras wusste um ihre Vorgeschichte auf dem Marktplatz, nicht aber darüber, wie sie überhaupt dorthin kam und sollte er nicht eigenständig nachhaken, gab es keinen Grund für sie diese schmerzhaften Erinnerungen aufleben zu lassen. Sie lockerte ihre Finger wieder und schwenkte das Gefäß in ihrer Hand - „Soll ich neuen Wein besorgen, mein Herr? Ich befürchte, wenn Sie in Trinklaune sind, wird der Rest hier drin nicht reichen.“ Erwartungsvoll erwartete sie seine Antwort und schmunzelte ein wenig hinsichtlich der Tatsache, dass sie beide sich unterhielten wie zwei völlig normale Menschen. Idras reduzierte sie nicht auf das, was sie innerhalb dieses Anwesens darstellte und auch, wenn es nicht jeden Tag eintraf, genoß sie diese innigen Momente zwischen ihnen.
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      ★ ★ ★ ☆ ☆
    • Idras fand seine Ruhe in Eldyras Erzählung.
      Sie sprang nicht auf seine Stichelei gegenüber seiner Familie an und sie provozierte auch nicht, wie Vathar es gerne tat. Natürlich tat sie das nicht, sie war schließlich auch eine Sklavin und leistete seinem Befehl folge, aber dennoch empfand er ihre Stimme, die frei von jeglichen Sticheleien war, als wohltuend.
      Die Lebensweise der Solis Albus schien genauso von Rassismus geprägt zu sein wie die der Raschai, oder wohl eher gesagt von Rassismus und Aberglaube. Sie richteten ihre Handlungen nach dem Willen eines allmächtigen Wesens aus - wobei Idras die Vorstellung als lächerlich empfand, dass es lediglich ein einzelnes allmächtiges Wesen geben sollte - und sortierten aus, wer nicht in ihr Bild passte. Idras wusste zu wenig über die Rasse, um die Merkmale einer Solis Albus erkennen zu können und er wandte sich daher wieder Eldyra zu, um ihr Aussehen zu studieren. Die spitzen Ohren stachen am deutlichsten hervor, genauso wie ihre Haut, die wirkte, als hätte ein Künstler sie geformt. Sie hatte etwas natürlich anmutiges an sich, als könnte sie gar nicht anders, als immerzu makellos auszusehen. Nach Maßstäben der Raschai wäre sie nach ihrem Aussehen außerordentlich begehrenswert gewesen - wäre ihre Haut nicht so musterlos. Idras ertappte sich ständig dabei, wie er nach ihrem Muster suchte, ehe er sich erst daran erinnerte, dass sie gar keins besaß.
      Sein Blick fiel auf ihre Hände, die sich um die Flasche verkrampften und er erkannte, dass es wohl nicht sehr weitsichtig war, eine Sklavin nach etwas zu fragen, das sie vor langer unfreiwillig aufgegeben hatte. Immerhin hatte Idras jetzt etwas anderes, worüber er nachdenken konnte und so ersparte er ihr die Qual, weiter darüber zu reden.
      Erst ihre Anmerkung holte ihn ein wenig in die Realität zurück.
      "Du hast recht. Aber, nein, bevor ich mich betrinke werde ich Seria aufsuchen. Morgen muss ich mich ja doch wieder über andere Sachen ärgern und dann vergesse ich es."
      Er ließ seinen Krug bedauernd stehen, bedeutete auch Eldyra die Weinflasche hier zu lassen und stand ein weiteres Mal auf. Als er wieder zur Tür ging, musste er noch immer über eine Familie nachdenken, die ihre Mitglieder lediglich akzeptierten, wenn sie ihre Voraussetzungen erfüllten.
      "Weißt du", brummte er, als er die Tür öffnete, "ich glaube, die Solis Albus und die Raschai sind sich gar nicht mal so unähnlich."

      Das Schlafquartier der Diener befand sich im Keller in der Nähe der Küche. Dort waren alle 20 Bedienstete untergebracht, ohne Rücksicht auf das Geschlecht, und der Raum war sogar groß genug für 20 mehr - allerdings hatte Idras in letzter Zeit, nachdem nicht alle beschäftigt werden mussten, ein paar Entlassungen vorgenommen, hauptsächlich von all jenen, die nicht ursprünglich als Sklaven eingestellt worden waren. Das meiste waren mittlerweile Sklaven, aber es gab noch immer ein paar freie Bedienstete, die lediglich ihren Beruf dem Dienst verschrieben hatten.
      Er blieb vor dem kleinen Durchgang stehen, an dessen Ende die geschlossene Holztür wartete, und stutzte. Schließlich drehte er sich zu Eldyra um. Er hatte sich den Umhang wieder übergezogen, aber jetzt kam ihm das wie eine schlechte Idee vor.
      "Geh rein und sag ihnen, dass ich komme. Ich will nicht, dass irgendjemand einen Herzinfarkt bekommt."
      Idras war in seinem Leben gerade mal drei Mal im Bedienstetenquartier gewesen und niemals, um sich nur nach seinen Angestellten zu erkundigen. Das war ein Ort im Anwesen, den er tatsächlich kaum kannte und es machte ihn nervös nicht zu wissen, was ihn dort erwartete. Aber er hatte sich fest vorgenommen Seria zu besuchen und außerdem dafür zu sorgen, dass nicht die ganze Dienerschaft während Vathars Anwesenheit in Panik ausbrach. Schließlich schien es wohl so, als würde er die nächsten Wochen im Haus verbleiben und nicht mehr vor dem Fest rausgehen.
    • Seine von Neugier gezierten Blicke blieben der Sklavin nicht verborgen - was er wohl dachte? Man hätte annehmen können, er betrachtete sie mit denselben von Gier getriebenen Augen, wie Vathar es vor ein paar Stunden erst tat. Dafür kannte sie ihren Herrn jedoch gut genug. Bisher hatte er noch keinerlei Anstalten gemacht, sich entgegen ihres Willens an ihr zu vergreifen oder für seine Bedürfnisse zu benutzen - weshalb also sollte er seine Vorsätze in diesem Moment ändern?
      Die Dame räusperte sich und war froh, als Idras zu reden begann. Auch, wenn die zwischenzeitige Stille eine willkommene Abwechslung hingegen wirrem Durcheinander darstellte genoss die Solis Albus es vielmehr, den Worten ihres Meisters zu horchen. Er war ein interessanter Mann und glich einem Bekannten, mit dem man sich hin und wieder ganz ungezwungen unterhalten konnte. Deshalb war sie froh darüber, sich an manchen Tagen unbeschwert mit ihm unterhalten zu können. Insgeheim waren die Gespräche mit Idras auch ein Hauptbestandteil des Grundes, weshalb ihre Rolle als Sklavin nicht so sehr an ihr nagte, wie sie es zuvor jederzeit tat. Durch Idras bekam sie manchmal das Gefühl, einen wirklichen Wert zu besitzen und genau jenes Gefühl vermochte sie unter keinen Umständen aufzugeben.
      Beim ersten Teil seiner Antwort drehte die Sklavin sich bereits in Richtung der Tür seines Arbeitszimmers, um den Weg zum Weinkeller auf sich zu nehmen, als ihr Vorhaben abrupt vom zweiten Teil unterbrochen wurde. Er wollte Seria aufsuchen? Zwar wusste Eldyra, dass ihm viel am Wohlergehen seiner Sklavinnen lag - doch so sehr, dass seine Person selbst nach ihnen sehen wollte, überraschte sie ein wenig.
      Ich verstehe, mein Herr. Ich werde folgen.
      Sie verfolgte seine Gestik die ihr zu verstehen gab, das Gefäß mit Wein im Arbeitszimmer stehen zu lassen und tat wie ihr befohlen. Bestimmt stellte sie das Gefäß behutsam neben Idras Krug ab und wartete darauf, dass er das Zimmer verließ um ihm in das Abteil der Sklaven zu folgen. Bevor er jedoch die Türschwelle übertrat, drehte er sich ein letztes Mal zu Eldyra um und entlockte dieser ein kurzes Schmunzeln: „Wohl wahr, mein Herr. Ich denke, viele Rassen sind sich gar nicht mal so unähnlich. Zwar hat eine jede Rasse ihre eigenen Ziele die es zu verfolgen gilt, doch im Kern selbst unterscheiden sie sich nicht wirklich, wenn man bewusster darüber nachdenkt.

      Dicht hinter ihm folgte Eldyra seinem Weg ins Schlafgemach der Diener, in welchem sich auch ihr eigenes zugewiesenes Bett befand. Auch wenn sie sich noch immer nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, keinerlei Privatsphäre zu besitzen, war das riesige Zimmer angenehmer als sie anfangs vermutet hätte. Außerdem durfte sie sich nicht beschweren - immerhin hatte sie es im Gegensatz zu den anderen Dienern nicht so schlecht getroffen, was im Umkehrschluss auch dazu führte, dass sie die von Neid erfüllten Blicke zu ertragen hatte.
      Sie war zu tief in Gedanken versunken und bemerkte nicht, dass Idras Halt machte. Rechtzeitig stoppte Eldyra und verhinderte einen Aufprall mit dem Rücken ihres Herrn, ehe sie verdutzt zu verstehen versuchte, was der Grund für seinen plötzlichen Stopp war. Nachdem er ihr seinen Grund dafür mitgeteilt hatte, konnte sie nicht anders, als für einen Moment lang aufzulachen: „Mein Herr, ich bin erstaunt. Wir sind es gewohnt, dass keine Acht auf unsere Privatsphäre oder unsere Gefühle gegeben wird und ein jeder von uns wurde oft genug von einem Mitglied Ihrer Familie unverhofft überfallen. Da wird es niemanden überraschen, wenn nun Sie die Türschwelle betreten. Lediglich Sie als Person sind Überraschung genug. Dennoch tue ich, wie mir angewiesen und werde Seria und den anderen Bescheid geben.
      Ohne auf eine Antwort seinerseits zu warten, legte sie die Klinke der Tür um und verschwand ins Innere, nachdem sie diese blitzschnell hinter sich zuzog. Es war nicht verwunderlich, dass nach dieser langen Besprechung über die Hälfte der Diener nicht anwesend war. Vermutlich wurden sie von den anderen Wenkhils in Beschlag genommen. Gleichzeitig beruhigte diese Tatsache Eldyra ein wenig, immerhin war es mit Sicherheit kein Leichtes für ihre Freundin gewesen, Idras vom Vorfall mit Vathar zu berichten… wenn sie überhaupt darüber zu sprechen vermochte.
      Wie sie nicht anders erwartet hatte, lag Seria regungslos in ihrem Bett und schlief. Mehr war ihr vermutlich nicht möglich bei den Schmerzen, die sie immer noch zu ertragen hatte. Vorsichtig und langsam näherte Eldyra sich Serias Bett und ignorierte dabei die anderen Diener, mit denen sie ohnehin keinen wirklichen Kontakt pflegte. Neben Serias Bett befand sich ein kleiner Hocker, auf dem sie Platz nahm und behutsam ihre Finger über die Innenseite der Arme ihrer Freundin gleiten ließ, um sie so achtsam wie möglich zu wecken. Ihr langes schwarzes Haar glich einem Fächer, der neben ihrem Kopf ausgebreitet war und ihre sonst so makellose, Porzellan gleichende Haut war überzogen von Blutergüssen, die beim reinen Ansehen Schmerzen verursachten. Seria schlug die Augen auf und blinzelte ein paar Mal auffällig oft, bevor sie sich beim Anblick von Eldyra schnellstens zu beruhigen schien. „E-Eldyra? Was machst du denn so früh hier, hast du etwa den Rest des Tages frei bekommen?“ Lächelnd ließ die Solis Albus ihre zierlichen Finger durch Serias Haar wandern: „Nein, nein. Noch nicht. Aber draußen wartet Besuch für dich.“ Innerhalb einer Sekunde erschrak Seria in eine aufrechte Position und starrte Eldyra fassungslos an: „N-Nein! Nicht Vathar.. bitte.. ich ertrage das nicht noch einmal..“ Ihre Augen wurden mit jedem Wort glasiger und die Solis Albus wollte sich nicht einmal vorstellen, was Seria durchgemacht haben musste. Doch sie versuchte so gut es ging, ihre Freundin mit sorgfältig ausgewählten Worten zu beruhigen: „Keine Sorge, kein Vathar. Idras bat mich darum dich vorzuwarnen. Er möchte sich nach deinem Wohlbefinden erkundigen. Er wird dir kein Haar krümmen, so wie er es bei mir ebenfalls nicht tut und du kannst dir sicher sein, dass du mit ihm genau so offen reden kannst, wie du es zuvor bei mir getan hast.“ Seria schluckte schwer und brachte keinen Ton heraus. Vermutlich wusste sie nicht, wie sie darauf antworten sollte und gab Eldyra mit einem kurzen Nicken zu verstehen, dass sie einverstanden war. Sichtlich erfreut erhob Eldyra sich vom viel zu winzigen Hocker und drehte sich in Richtung der anderen anwesenden Diener: „Meister Idras wird gleich eintreten, also gebt euch von eurer besten Seite.“ sprach sie klar und deutlich, bevor sie zurück zur Tür des Raumes ging und diese einen Spalt weit öffnete.
      Mein Herr, Ihr könnt unbesorgt eintreten.
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    • Idras nutzte die kurze Zeit der Einsamkeit, in der Eldyra im Bedienstetenquartier verschwunden war, um über die Worte nachzudenken, die sie an der Türschwelle an ihn gerichtet hatte. Es lag eine gewisse Weltgewandtheit drinnen, die er einer gewöhnlichen Sklavin nicht zugetraut hätte, aber an Eldyra war wohl nichts wirklich gewöhnlich. Ihre fröhliche Stimmung zu dieser Stunde war fast ein weiterer Beweis dafür.
      Tatsächlich war er der gleichen Meinung wie sie. Man musste bei keiner der Rassen lange suchen, um Gemeinsamkeiten zu finden, die über das bloße Aussehen hinausgingen. Es war fast so, als hätten sie sich alle vom selben Ursprung entwickelt - der Ursprung, den die Raschai als die Raschai Familie kannten. Idras hatte noch nie darüber nachgedacht, weshalb sein Glaube sich gerade auf eine Familie stützte und der von Eldyra sich auf eine einzelne Person und wäre er nicht ständig so beschäftigt, würde er dieser Frage eingehender nachgehen.
      Eldyra öffnete ihm kurze Zeit später die Tür und Idras trat über die Schwelle in den großen Raum hinein.

      So wie alle Raschai verfügte auch Idras über eine unheimlich schlechte Gesichtserkennung. Gemusterte erkannten sich gegenseitig stets durch ihre Muster, denn sie waren absolut einzigartig und von allen Seiten wiederzuerkennen. Muster konnten nicht gefälscht werden, sie konnten nicht geändert werden und manche Hellseher zogen aus den Mustern sogar ihre Vorhersagen.
      Gesichter hatten kein Muster, sondern waren überall gleich. Zwei Augen, eine Nase, ein Mund, zwei Ohren und meistens Haare. Nicht einmal die Haarfarbe war ausschlaggebend, denn kaum, als Idras wieder wegsah, hatte er sie auch schon wieder vergessen.
      Als er den Raum betrat, erhoben sich acht Diener von ihren Betten, verbeugten sich tief und begrüßten ihn im Chor. Idras kannte alle seine Bedienstete beim Namen, aber als sie ihn in diesem Raum gemeinsam begrüßten, hätte er keinen einzigen von ihnen benennen können - bis auf Eldyra, die durch ihre Ohren ein bisschen wie eine Raschai wirkte und ihm damit leicht im Gedächtnis blieb. Beim Rest war er einfach nur froh, dass er Männlein und Weiblein voneinander unterscheiden konnte.
      "Macht euch nicht die Mühe", brummte er und winkte mit der Hand ab, woraufhin sich alle wieder aufrichteten. "Ich bleibe nicht lange."
      Er durchquerte den Saal mit weiten Schritten und hielt auf das einzige Bett zu, in dem die Frau sich gerade damit abmühte, ebenfalls aufstehen zu wollen, um sich vor ihm zu verneigen. Diese Frau konnte er gut wiedererkennen: Die blauen Flecken in ihrem Gesicht, die sich bis unter ihr dünnes Hemd erstreckten, waren wie ein eigenes, perfides Muster. Außerdem verzog sie bei ihren Bewegungen das Gesicht vor Schmerz.
      "Um Himmels Willen, bleib liegen, Seria!"
      Die Köchin zuckte schreckhaft zusammen und verkroch sich gleich wieder in die Sicherheit ihrer Bettdecke. Und, bei der Mutter Raschai, sie sah wirklich fürchterlich aus. Ihr ganzer Hals verschwand unter einem riesigen Bluterguss einer gewaltigen Hand, ebenso wie ihre Schultern, die unter ihrem Nachthemd hervorblitzten, ehe sie die Bettdecke bis an ihr Kinn gezogen hatte. Idras wagte gar nicht sich nach dem Rest zu erkundigen, so wie sie aussah, hätte sie genauso gut tot sein können.
      Der Anblick fachte eine Wut in ihm an, die sich mit den angestauten Gefühlen vermischten, die er mit sich herumtrug. Vathar, sein Cousin und vom zweiten Grad, lief in seinem Anwesen herum, vergriff sich an seinen Sklavinnen, beleidigte ihn und den Rest der Familie und besaß dann auch noch die Frechheit, ihm die Stirn zu bieten, als wäre er selbst vom ersten Grad oder sogar noch höher. Dagegen musste er einfach etwas tun, er konnte ihn nicht mit sowas davonkommen lassen.
      Mit düsterem Blick ließ er sich auf dem kleinen Hocker nieder, der neben dem Bett stand, und betrachtete das Muster, das Serias Verletzungen auf ihrer Haut bildeten. Er war kein Arzt, aber er verstand genug von Medizin um glauben zu können, dass sie tatsächlich dem Tod knapp entronnen war.
      Schließlich seufzte er.
      "Das sieht wirklich schlimm aus. Soll ich den Arzt kommen lassen, damit er sich das mal ansieht? Oder lieber eine Ärztin? Eine Ärztin müsste es sein. Ich werde eine kommen lassen und bis dahin bewegst du dich nicht, verstanden?"
      Er streckte die Hand nach ihr aus und ergriff sie am Unterarm, den er ein wenig zur Seite zog, um auch die Unterseite zu betrachten. Wenn er den Daumen richtig positionierte, konnte man fast sehen, wie Vathar sie festgehalten hatte.
      "Das ist eine heikle Situation. Ich kann... ich kann Vathar nicht einfach aus dem Haus verweisen, so gern ich es wollte. Er ist vom zweiten Verwandtschaftsgrad, er könnte eines Tages Hausherr werden. Ich kann es einfach nicht."
      Und damit konnte er auch nicht verhindern, dass es ein zweites Mal geschah - das war die eigentliche Aussage, die er rüberzubringen versuchte. Er konnte Eldyra schützen, indem er sie für seinen Dienst beanspruchte, aber er konnte nicht alle anderen acht Frauen schützen, die in seinem Haus dienten. Wenn Vathar so weitermachte, war es nur eine Frage der Zeit, bis alles in Chaos ausbrach.
    • Idras bloßer Fuß, der die Schwelle zwischen Flur und Dienergemach übertrat reichte aus, um die Atmosphäre des Raumes schlagartig zu kippen. Von der zuvor im Mantel der scheinheiligen Sicherheit umhüllten Ruhe war nichts mehr übrig geblieben, als pure Anspannung. Es war nicht Idras Schuld, er konnte rein gar nichts dafür. Es war ganz schlicht und einfach der Ruf seiner Familie. Sobald im Beisein eines Dieners ein Name der Wenkhils fiel, verkrampfte sich jede einzelne Muskelfaser des Körpers, als nahte der Untergang der Welt. Ein einzelnes wohlgesonnenes Familienmitglied reichte dementsprechend nicht aus, um die Assoziation mit den Wenkhils positiv zu verändern.
      Idras gesamte Körperhaltung zeugte von einem inneren Konflikt, das war nicht zu übersehen. Er wollte hier sein und sich bei Seria nach ihrem Wohlbefinden erkundigen - gleichzeitig aber wäre er in diesem Moment überall sonst lieber gewesen, als an diesem Ort.
      Fast schon tat Idras der Solis Albus leid; sie wollte sich gar nicht ausmalen, wie viele von solchen Konflikten er tagtäglich zu ertragen hatte.
      Idras Silhouette innerhalb des viel zu schlecht beleuchteten Raumes reichte aus, dass die Diener sich ohne mit der Wimper zu zucken in eine tiefe Verbeugung zwangen. Eldyra selbst haderte noch ein wenig mit sich selbst; der Ungewissheit zuschulden, ob ein erneutes Zeichen der Unterwürfigkeit von Idras als selbstverständlich angesehen wurde, oder nicht. Damit sie allerdings nicht als Einzige dastand, die sich nicht unterwarf, tat sie es den anderen Bediensteten gleich und ergab sich einer wenn auch kurzen Verbeugung.
      Idras bereitete dem Spektakel schnell ein Ende indem er mit der Hand eine Geste ausführte um das Signal zu setzen, dass dieses Szenario in keiner Weise notwendig war.
      Der eigentliche Grund für seinen Besuch bemühte sich währenddessen darum, unter Schmerzen aus dem Bett zu gelangen - wäre Idras diese Bemühung nicht aufgefallen. Er ließ Seria ihr Vorhaben genau so schnell beenden, wie sie es begonnen hatte und machte sich schnurstracks auf den Weg zu ihrem Bett.
      Eldyra folgte ihrem Herrn ans Bett ihrer Freundin und versuchte sich weitestgehend im Hintergrund zu halten, um keine ungewollten Störungen zu verursachen.
      Seria lag während der Begutachtung seitens Idras wie versteinert unter ihrer Bettdecke liegen, bis dieser sich danach erkundigte, ob sie ärztliche Versorgung benötigte. Tatsächlich war dies ein guter Einwand und Eldyra fiel bei diesen Worten ein Stein vom Herzen. Immerhin wollte sie all die Zeit über dafür sorgen, dass Seria behandelt wurde. Doch eine solch Bitte gegenüber einem der Wenkhils zu äußern, erschien ihr als äußerst unhöflich. Schließlich mussten die Diener sich bereits glücklich genug schätzen können, einen eigenen Schlafplatz mit Dach über dem Kopf zu besitzen.
      Seria wollte dem Oberhaupt nicht widersprechen - zeitgleich aber auch keine unnötige Belastung darstellen, weshalb sie die Lippen spitzte um darauf zu bestehen, dass ärztliche Behandlungen nicht notwendig waren. Idras plötzlicher Griff nach ihrem Unterarm ließ sie ihr Vorhaben jedoch unterbrechen. Eldyra konnte sehen wie es sie starke Mühe kostete, währenddessen keinen Schrei herauszulassen und spannte ihre Muskeln bereits an, um jederzeit einschreiten zu können. Seria erinnerte sich binnen weniger Sekunden letzendes an die Worte der Solis Albus und begriff, dass Idras ihr nur helfen wollte. Deshalb zog sie ihren Arm nicht zurück, sondern sah beschämt zur Seite, als dieser die dunkel verfärbten Abdrücke verursacht durch Vathar genauestens begutachtete.
      Die Worte ihres Herrn klangen bedrückt und hilflos, als wusste er selbst nicht, was zu tun war. Die Rangordnung innerhalb der Raschai führte ohnehin nur zu Problemen und dann auch noch einen Cousin zweiten Grades zu besitzen, der sich in keiner Hinsicht benehmen konnte, musste furchtbar sein.
      Eldyra wünschte sich, ihm irgendwie eine größere Hilfe sein zu können. Schließlich war sie in erster Linie für sein Wohlbefinden zuständig. Beim Anblick seines betrübten Gesichtsausdrucks wurde der Solis Albus klar, dass sie vermutlich furchtbar in dieser Tätigkeit sein musste. Dennoch wusste sie, dass Idras eine starke Persönlichkeit besaß und sich gern in Dinge hineinsteigerte, die seinen sonst so scharfen Verstand vernebelten. Also musste sie dafür sorgen, dass ihr Herr wieder klar bei Sinnen war.
      Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden näherte sie sich Idras, deutete Seria zum Zurückziehen ihres Armes und quetschte sich in den engen Spalt zwischen Serias Bett und dem Hocker, auf dem ihr Herr verweilte.
      Die Blicke der anderen Diener blendete sie bewusst aus und im Allgemeinen konnte ihr Vorhaben fürchterlich nach hinten losgehen, doch das war in diesem Moment von keiner bedeutsamen Rolle für die Solis Albus. Sie ging bereits davon aus, dass ihr Vorhaben Konsequenzen mit sich ziehen würde und dennoch legte sie ohne, dass es ihr gestattet wurde die zierlichen, kalten Hände an die Wangen von Idras um ihn dazu zu zwingen, sie anzusehen. In den meisten Fällen hätte sie den Blick spätestens jetzt abgewendet, doch er musste ihr zuhören. „Ihr würdet Eurem Cousin niemals ohne Gegenwehr dieses Anwesen überlassen. Ihr habt es geschafft, an Eure Position zu gelangen, viele Eurer Familienmitglieder sind zufrieden mit Euren Entscheidungen und sehen zu Euch auf, auch wenn sie es nicht zugeben wollen. Trotz all Euren Verpflichtungen und Eurem Ruf, den es zu wahren gilt, seid Ihr kein gefühlsloser Brocken geworden und das ist etwas, worauf Ihr stolz sein könnt. Ihr besitzt die stärkste Persönlichkeit, die ich kennenlernen durfte - vergesst das niemals.“ Ihre Augen waren starr auf die seinen gerichtet und erst als Seria sie an einem Zipfel ihres Oberteils nach hinten zog, ließ Eldyra von Idras ab um daraufhin vom Bett aufgefangen zu werden. „Ist dir eigentlich klar, was du da gerade gemacht hast?!“ flüsterte Seria ihr mitsamt eines empörten Untertons ins linke Ohr, während sie zu Idras schielte. Scheinbar erwartete sie bereits eine nicht sonderlich angenehme Reaktion seinerseits. „Verzeiht, mein Herr. Ich wollte keineswegs den Respekt Euch gegenüber außer Acht lassen - doch ich bin dazu verpflichtet, meinen Fokus auf Euer Wohlergehen zu legen und dieses ist in meinen Augen gerade gefährdet.“ Während sie langsam realisierte, dass sie zu weit gegangen war, erhob sie sich vom Bett und verbeugte sich abermals, sodass ihr Hinterkopf sich unmittelbar unter Idras Kinn befand.
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    • Seria wirkte so, als würde sie am liebsten vor Idras wegkriechen und das machte er ihr nicht zum Vorwurf. Es schien in ihrer Situation ein angeborener Reflex, wie das rasche Luftholen, nachdem man durch die Wasseroberfläche brach und er hätte sie auch nicht aufgehalten, wenn sie sich tatsächlich von ihm losgerissen hätte.
      Aber für das, was Eldyra kurz darauf tat, fand er keine Worte. Er hätte nicht einmal welche gefunden, um nur zu beschreiben, was sie dort tat.
      Ohne auf die Unterhaltung der beiden zu achten oder darauf, dass Idras ihr den Rücken zugekehrt hatte, schob sie sich vor ihn und legte ihre Hände an seine Wangen, ehe sie seinen Kopf anhob. In all der Zeit, in der sie schon hier war, hätte Idras niemals geglaubt, dass Eldyra jemals aufmüpfig werden könnte, geschweige denn sich seinem Befehl wiedersetzen oder anderweitig rebellisch verhalten könnte, doch was sie in diesem Moment tat, war alles in einem. Sie missachtete die Vorschriften, untergrub seine Autorität, stellte ihn vor sämtlichen anderen Bediensteten bloß und missachtete ihren eigenen Stand. Sie begann vier Straftaten auf einmal.

      Doch trotz dieses Wissens, das in diesem Moment durch seinen Kopf schoss, starrte Idras für den Moment nur. Die kühlen, sanften Hände von Eldyra schienen seinen Körper zu stoppen, als hätte das Gefühl die Verbindung zu seinem Gehirn getrennt - und dann erst der Blick, den die Solis Albus auf ihn gerichtet hatte. Es brannte ein Feuer in ihren Augen, von dem Idras glaubte, dass es nur einen Teil dessen widerspiegelte, was tatsächlich in der Sklavin brennen mochte, ein regelrechtes Inferno aus Gedanken und Leidenschaften, die in dem Stahlkäfig der Gefangenschaft verborgen blieben, nur darauf wartend, dass ihnen jemand den Schlüssel reichte. Der Blick, mitsamt den kalten Händen, sog ihn auf, saugte die unsichtbare Last von seinen Schultern und verwandelte den Raum in ein schwarzes Nichts, in dem nichts mehr existierte außer Eldyras Händen an seinen Wangen und das Feuer in ihren Augen. Ihre Worte übersprangen seine Ohren und fuhren direkt in sein Gehirn ein, als würde sie aus dem Inneren seiner Seele sprechen.

      Dann war es mit einem Schlag wieder vorbei. Eldyra fiel auf das Bett und Idras fuhr zusammen, als wäre er geohrfeigt worden. Seine Gedanken kehrten zurück, umspülten ihn und trugen ihn mit sich zurück in die Realität, in der kein Feuer herrschte, sondern eine Sklavin sämtliche Regeln missachtet hatte.
      Er stand auf. Im ganzen Raum war es mittlerweile totenstill geworden, während sämtliche andere Bedienstete mit vor Schrecken weit aufgerissenen Augen auf das Trio starrten. Keiner wagte sich zu bewegen - keiner bis auf Idras. Eldyra verneigte sich vor ihm, tief, und bezeugte ihre Loyalität, bat um seine Vergebung; Er starrte nur auf sie hinab. Mit jeder verstreichenden Sekunde verebbte das Gefühl in ihm weiter und er versuchte sich daran zu klammern, als wäre er am ertrinken. Das war besser als jeder Wein, den es auf der Welt geben mochte. Es war... unbeschreiblich.
      "Sieh mich an, Eldyra", murmelte er - und als sie sich nicht gleich regte, fügte er knurrend hinzu: "Jetzt."
      Sie sah zu ihm auf und da packte er ihr Kinn und hob es weiter nach oben an, bis sich ihr ganzer Körper spannte. Seria gab ein leises Wimmern von sich und in der Dienerschaft raschelte die Kleidung, als die anderen sich bewegten, aber keiner wagte es dazwischen zu schreiten. Idras ignorierte diese Geräusche. Er starrte Eldyra in die Augen, ihre Nasenspitzen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, ihr Mund in seinem Griff gespitzt. Er suchte nach dem Feuer, das in ihrem Blick getobt hatte, der Leidenschaft - der richtigen Leidenschaft, die sie beherbergte und die noch nicht vollständig von der Sklaverei vertrieben worden war. Er suchte nach dem Blick, in dem er sich für den Bruchteil einer Sekunde verloren hatte und hielt dafür ihren Kopf fest zwischen seinen Fingern.
      Aber er war verschwunden. Das Feuer war erloschen und an seiner Stelle glaubte er Angst zu sehen, Angst vor ihm, denn schließlich war er vom selben Stamm wie Vathar und woher sollten sie wissen, dass er nicht genauso ein Monster war wie sein Cousin?
      Er ließ sie los und starrte sie nieder. Erst dann fielen ihm die vielen entsetzten Gesichter der anderen auf, die sich so weit an den Rändern tummelten, dass sie ihm auf dem Weg zur Tür nicht in die Quere gelangen würden. Er konnte fast schon Nala vor sich sehen, wie sie durch die rote Tür des Arbeitszimmers gestürmt kam, von ihm zu wissen verlangte, weshalb er mit den Sklaven so nachsichtig umsprang und wieso man ihm nachsagte, dass er sich einer Sklavin körperlich genähert hatte, ohne sich dabei von ihr befriedigen lassen zu wollen. Er hörte Vathars Spott, als er ihm sagte, dass er sich wenigstens nicht mit den Sklaven auf einer Augenhöhe befand.
      Das ganze Haus würde über diesen Vorfall erfahren. Das Getratsche der Dienerschaft hatte noch nie seine Grenzen in der Küche gehabt. Man würde seine Führerschaft in Frage stellen.
      Er starrte zurück auf Eldyra und als er schließlich weitersprach, war der letzte Rest von Emotionen aus seiner Stimme gewichen.
      "Fass mich nicht an, solange ich es dir nicht erlaube. Rede nicht, sofern du nicht gefragt wurdest. Erfülle deine Pflichten, nicht mehr davon und auch nicht weniger. Das sind die einzigen Vorschriften für einen Sklaven und die solltest du mittlerweile verinnerlicht haben. Musst du sie dir nochmal einprägen? Muss ich dich auspeitschen lassen, bis ich mir deines Gehorsams sicher sein kann?"
      Seine Stimme wurde lauter, angefacht von dem Zorn, der eigentlich von Vathar gespeist und sich nicht auf Eldyra abladen sollte. Aber wieso musste sie ihn auch in diese Situation bringen? Hätte sie es nicht tun können, als sie alleine gewesen waren? Als er sich ganz auf diesen Blick hätte konzentrieren können?
      Das war alles nur ihre Schuld. Sie war selbst dafür verantwortlich. Er erfüllte nur die Pflicht, die jeder von ihm verlangte und von ihm sehen wollte.
      Er wandte sich Seria zu. Wenn er schon damit angefangen hatte, musste er es jetzt auch zu Ende bringen.
      "Ich werde noch heute nach einer Ärztin schicken. Weil du dich gegen Vathar gewehrt hast, wirst auch du bestraft werden. Vathar ist vom zweiten Grad und eine körperliche Handlung gegen ihn ist ohne jegliche Ausnahme eine Straftat."
      Seria erbleichte und sah noch furchtsamer als davor aus. Hatte sie mit diesem Blick auch Vathar angesehen? Vermutlich. Idras würde nach diesem Abend viel Wein benötigen. Am besten würde er seine Schlafstätte gleich im Weinkeller beziehen.
      "Deine Verletzungen sind schon Teil der Strafe, aber ich lege fünf Peitschenhiebe obendrauf. Eldyra wird dich auspeitschen."
      Er zeigte auf die Solis Albus, wohl bewusst darum, dass es sich dabei eigentlich um ihre Strafe handelte. Es war das einzige, was er tun konnte, um vor den anderen Familienmitgliedern nicht schwach auszusehen. Würden die beiden Frauen das verstehen? Wahrscheinlich nicht. Es waren schließlich Sklaven.
      Er drehte sich zu den anderen Bediensteten um und erhob die Stimme.
      "Ich fordere absoluten Gehorsam in diesem Haus. Niemand - und ganz besonders nicht Vathar - wird diese Regel außer Kraft setzen. Ich will in keiner Situation, dass einem Familienmitglied Schaden zugefügt wird - auch nicht zur Notwehr. Ich werde die Sache mit Vathar klären."
      Dann drehte er sich wieder zu Eldyra um und fügte hinzu:
      "Wenn du schnell genug bist, erlaube ich dir, sie zu verarzten, bevor die Ärztin eintrifft. Sei morgen früh pünktlich, ich will um 8 Uhr geweckt werden."
      Damit wandte er sich ab und rauschte wortlos zur Tür hinaus.
    • Diese unerträgliche Warterei hinsichtlich einer Reaktion ihres Herrn machte die Solis Albus verrückt. Zuerst dachte sie, er hatte sich nicht sonderlich an ihrer Handlung gestört, so wie er sie ansah. Beim ausweichenden Blick zur Seite allerdings sprangen ihr die anderen Bediensteten ins Auge, die schockiert ihre Gesichter hinter den Händen verbargen und kein Wort herausbrachten.
      War sie wirklich zu weit gegangen?
      Sie wusste, dass kein Bediensteter es je gewagt hatte, den Meister ohne dessen Aufforderung zu berühren - auch sie selbst hielt sich an dieses ungeschriebene Gesetz. Dennoch war Idras mit keinem anderen seiner Familienmitglieder ansatzweise zu vergleichen und vermutlich war gerade dies der Auslöser für ihre rücksichtslose Handlung. Anfangs erschien ihr Vorhaben als sinnig und ging mehr oder weniger instinktiv vonstatten - aufgrund der anhaltenden Stille die von Idras ausging und ihr die Luft zum Atmen raubte, war sie sich dessen nicht länger sicher.
      Eldyra spürte den auf ihr lastenden Blick ihres Herrn und traute sich nicht, den Kopf zu erheben. Ein unangenehmer Schauer, vergleichbar mit unaufhaltsam rasender Elektrizität, lief ihr über den Rücken und sie musste am eigenen Leibe erfahren, dass das Schicksal keine Rücksicht darauf nahm, wenn man sich selbst am Ende des Erträglichen angekommen glaubte.
      Während sie regungslos in ihrer Position verharrte, hielt sie noch immer an dem Gedanken fest, er hätte es nicht so eng gesehen und drückte ein Auge zu. Dabei wusste sie selbst, wie unwahrscheinlich das war. Was für Eldyra einen lieb gemeinten Versuch zur Aufheiterung darstellte, stellte für Idras sicherlich eine der größten Erniedrigungen dar, die er jemals zu verspüren vermochte. Jedenfalls ließ seine folgende Reaktion darauf schließen.
      Völlig perplex sah sie zu ihm auf, als er sie darum bat und die Freundlichkeit, die sie sonst in seinen Augen erblickte, wurde durch Wut ersetzt. Seine kräftige Hand ummantelte ihr Kinn und hob es auffällig bestimmt an. Ihre Finger zitterten und eine Welle der Hitze durchflutete ihren Körper, als seine Nasenspitze sich unmittelbar vor der ihren befand. Sie verweilte nicht allzu lang in dieser Position, da ließ er wieder von ihr ab und demütigte sie vor aller Augen mit seinen messerscharfen Blicken auf ihr Haupt. Dieses Szenario ließ Erinnerungen der Vergangenheit aufsprudeln und zum ersten Mal nach langer Zeit fühlte sie sich ihrer einstigen Verletzlichkeit ergeben.
      Es war, als hätte Idras Wesen sich binnen weniger Sekunden vollständig gewandelt zu etwas, was sie noch nie vorher von ihm zu sehen bekam. Sein wohlgesonnener Unterton verschwand und seine nächsten Worte trafen sie und brachten sie somit aus dem Gleichgewicht, als hätte sich der Boden unter ihr aufgetan.
      Im Regelfall hätte sich Wut im Inneren der Solis Albus angestaut, wenn jemand so mit ihr redete. In diesem Moment war von Wut jedoch kein Anzeichen. Sie war diejenige, die eine Grenze überschritten hatte und nun die Konsequenzen dafür zu tragen hatte. Deshalb bemühte sie sich gar nicht erst darum, ihm zu widersprechen. Stattdessen ließ sie sich von seiner Drohung den Atem rauben, dann den Verstand und am Ende war ihre sonst so reine Seele vergiftet.
      Eldyra perlten die Tränen aus den Augen, dicker als die Tropfen die verursacht durch den Sturm von außen gegen die Fensterscheibe prasselten. „N-Nein, mein Herr. Es wird nie wieder vorkommen.“ stammelte sie ihm entgegen und verfolgte seine Predigt gegenüber Seria, die das sich vor ihr abspielende Spektakel aufmerksam verfolgte. Auch ihr Gesichtsausdruck war betrübt und verfestigte sich, als Idras verkündete, was ihr bevorstand.
      Eldyra entfernte sich von Idras und taumelte in Richtung von Serias Bettpfosten, während sie vergaß zu atmen und sich hyperventilierend an diesen klammerte. Dass ihrer Freundin nach allem was sie bereits durchmachte abermals eine Strafe bevorstand war anscheinend nicht genug - nein; die Solis Albus war zu allem Überfluss noch dazu gezwungen, diese Strafe in die Tat umzusetzen und ihrer Freundin weitere Schmerzen zuzufügen.
      Fast wollte sie ihm erneut widersprechen - hielt sich allerdings zurück. Idras wurde von seiner Wut gelenkt und kam Eldyra vor wie ein Fremder. So, als hätte sie ihn gerade zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen. Sie wusste nicht mehr, wozu er fähig war und wozu nicht. Alles, was sie entgegen seines Willens tat, konnte zu noch drastischeren Maßnahmen führen und diese wollte sie nicht nur sich selbst, sondern auch Seria in ihrem Zustand ersparen.
      Auf seine letzten Worte, bevor er den Raum verließ antwortete sie gar nicht erst - schließlich erwartete er ohnehin keine. Seine Abwesenheit nutzte sie, um ihrer Trauer freien Lauf zu lassen und mit der allerletzten Kraft eines Menschen zu schreien, der sich dem Tod geweiht fühlte. „Seria es… tut mir so leid…“ stotterte sie und schlenderte langsam zur Tür des Raumes, um diese dicht zu verschließen. Beschämt wich sie den Blicken der Bediensteten aus und hatte das Gefühl mit dem Verschließen der Tür all ihr Lebensglück für immer auszuschließen. „Es ist schon in Ordnung. Ist ja nicht so, als passiere mir das zum ersten Mal. Bringen wir es einfach schnell hinter uns.“ sprach Seria klar und deutlich, während Eldyras Unterlippe vor Hass zitterte und sie sich zu flüstern bemühte, was gar nicht nötig war, da Seria auf ihrem Bett ohnehin außer Hörweite war: „Das wird nie wieder vorkommen…
      Mittlerweile glaubte sie, alles Übel innerhalb des Reiches war darauf zurückzuführen, dass ihnen Antworten fehlten. Antworten auf die Frage, weshalb verschiedenste Rassen überhaupt existierten und weshalb gerade ehemalig hochangesehen Rassen sich innerhalb der Sklavenschaft wiederfanden. Damit meinte Eldyra jedoch nicht die allgemein bekannte Frage nach dem Sinn des Lebens, sondern vielmehr eine auf sich selbst bezogene Antwort. Wofür war sie eine Solis Albus - gefangen in Sklavenschaft, überhaupt auf dieser Welt? Gab es irgendwann eine höhere Instanz die sie dafür lobte, diese Hölle auf Erden bis zum bitteren Ende durchgestanden zu haben?
      Eldyra schluckte schwer und ergriff eine der unzähligen Peitschen, die entlang den Wänden mit bloßen Nägeln befestigt waren. Bisher war sie noch nie dazu aufgefordert worden, eine Gleichgesinnte aus eigener Kraft zu bestrafen und an diesen Gedanken wollte sie sich um Gottes Willen nicht gewöhnen.
      Mit langsamen Schritten ging zu zurück an Serias Bett, dicht gefolgt von anderen Bediensteten, die sich diese Vorstellung nicht entgehen lassen wollten. Mit finsteren Blicken sah sie zu ihnen und sah hinterher ein, dagegen nichts ausrichten zu können. Seria hingegen sah die Situation in der sie sich befand nicht sonderlich eng. Sie richtete sich auf und hockte sich mit dem Rücken zu Eldyra um sie dazu anzuweisen, ihr die Hiebe dorthin zu verpassen. „Mach dir keine Sorgen, ich überstehe das schon. Konzentrier dich bloß darauf, dass du mit der Peitsche im Schwung nicht ausrutscht, sonst tut es mehr weh.“ versuchte Seria sie zu beschwichtigen. Von den Worten hart getroffen lehnte sie den Arm in dem sich die Peitsche befand nach hinten, holte aus und schlug mit Wucht auf Seria ein. Dieser entfuhr trotz der selbstsicheren Worte ein von Schmerz erfüllter Schrei und damit dieses ganze Schauspiel ein schnelles Ende fand, wiederholte Eldyra die Bewegung noch viermal. Im Anschluss warf sie die Peitsche mit von tränen erfüllten Augen in die Ecke des Raumes und rannte schluchzend in ihr eigenes Bett, um sich unter der Decke zu verkriechen.
      So oder so hatte sie keinerlei Ahnung, wie sie Seria behandeln sollte und empfand es als sinnvoller, alles dem erwarteten Besuch der Ärztin zu überlassen. Die Bilder blutigen Wunden, die sie Seria mit den Peitschenhieben zugefügt hatte, klopften allesamt an der Schwelle ihres Bewusstseins und verfestigten sich in den Abgründen ihrer Seele. Sie würde nie verstehen, wer an solch perfiden Handlungen Befriedigung fand. Noch immer abgeschirmt unter der Bettdecke drehte die Solis Albus sich zur Seite und zwang sich weinend in einen Schlaf, der alles andere als erholsam war.


      Am nächsten einbrechenden Morgen erwachte Eldyra sehr früh. Der Sturm des Vortages war verflogen. Ausnahmsweise war der Himmel klar und wurde nur sporadisch von Wolken verdeckt. Gestern Morgen hätte der Blick in einen solch babyblauen Himmel die Solis Albus für einen Moment ihre Sorgen vergessen lassen. In diesem Moment schien es aber, als hielte ihr Körper es wegen der vergangen Taten nicht länger aus, wenn ihre dunkle Seele nicht im Einklang mit der trüben Natur war.
      Ein kurzer Blick zu Seria, die sich noch im Tiefschlaf befand bestätigte ihr, dass die Ärztin gestern Abend noch vorbeigekommen sein musste. Denn die großflächigen Blutergüsse und offenen Verletzungen waren allesamt von Verbänden bedeckt und ausnahmsweise erweckte es den Anschein, als waren die schlimmsten Schmerzen verklungen, so friedlich wie ihre Freundin schlief.
      Die Beine waren schwer wie Blei und mit jedem weiteren Schritt, den sie in Richtung Idras Schlafgemach tat, kostete es Überwindung, nicht sofort umzukehren.
      Nun stand sie unmittelbar vor der prächtigen, von Mustern verzierten Tür. Ihre Knie begannen zu schlackern und ihr tiefstes Inneres wandte sich, wie ein Sack voller Schlangen. Dennoch blieb ihr nichts anderes übrig, als die Angst herunterzuschlucken und ihrer Berufung nachzugehen.
      Mit zittrigen Fingern umklammerte sie die Außenklinke, während sie mit der freien Hand gegen die Tür klopfte, um nicht überraschend hereinzuplatzen. Nach einem dreimaligen, schnellen Klopfen trat sie ins Innere seines Schlafgemaches und erblickte ihn am Ende des Raumes in seinem viel zu großen, prachtvollen Bett. „Verzeihen Sie die Störung mein Herr, doch es ist Zeit aufzustehen.
      Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, den sie ihm ohnehin niemals wieder schenken wollte, stellte sie ein Tablett mit herrlich angerichtetem Frühstück auf sein Nachttischchen und schlenderte zur Fensterfront seines Raumes, um das anfängliche Licht der Außenwelt ins Innere zu lassen, indem sie die schweren Vorhänge beiseite zog.
      Wenn es sonst nichts weiter gibt, was Ihr benötigt, würde ich gern den anderen, anstehenden Tätigkeiten nachgehen.“ merkte sie beiläufig, mit abwertendem Unterton an und deutete in Richtung der Tür, durch welche sie schnellstmöglich verschwinden wollte.
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    • Idras verbrachte die restliche Nacht im Weinrausch - oder zumindest einem Zustand, der dem sehr nahe kam. Er trank, weil er dann nicht mehr darüber nachdenken musste, was ihm am nächsten Tag noch bevorstand und was sich gerade im Dienstquartier abspielte. Er trank außerdem, um sich nicht weiter lebhaft vorstellen zu müssen, was Vathar mit Seria angestellt hatte und was Eldyra zu ihm gesagt hatte.
      Ihre Worte hatten einen wunden Punkt in ihm getroffen, der ihn verletzlich fühlen ließ, als hätte man ihn ohne Waffen und Rüstungen auf ein Schlachtfeld geschickt. Der Tod seines Vaters und das darauffolgende Erbe, das er und Nala zu gleichen Teilen angetreten hatten, war nichts gewesen, was er jemals so einfach hatte bewältigen können. Seit dem ersten Tag hatten ihn die Blicke gestört, die ihm andere - selbst Nala - zuwarfen, als würden sie ihm ihr Leben anvertrauen wollen. Es waren Blicke, die man den Göttern zuwerfen sollte oder wenigstens Königen, die sich freiwillig für ihr Amt entschieden hatten, aber nicht Idras, der sich niemals als fähig befunden hatte ein ganzes Haus zu leiten. Nicht er, der eine so andere Ansicht davon hatte, wie ein Haus zu führen war wie sein Vater, der die ganze Familie am liebsten auf den Kopf stellen würde.
      Eldyra hatte Worte zu ihm gesagt, die noch niemand an ihn gerichtet hatte und dabei war sie eine Sklavin, sie sollte derselben Meinung sein wie alle anderen.
      Wieso hatte sie ihm das nur gesagt? Darüber nachzudenken zerbrach ihm den Kopf und bescherte ihm eine lange, schlaflose Nacht, die er antrat, nachdem er die Ärztin empfangen und über die Lage aufgeklärt hatte.

      Eldyra weckte ihn pünktlich zur vollen Stunde, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern, warum er so früh hatte aufstehen wollen. Wahrscheinlich hatte er gar nicht erst darüber nachgedacht und jetzt hatte er das davon. Sein Kopf brummte und das Licht, das Eldyra durch die Fenster hereinließ, brannte in seinen Augen.
      Er stöhnte gequält und kämpfte sich aus den unendlichen Laken hervor. Das Bett war eigentlich für zwei ausgerichtet, es gab kaum Familienoberhäupter, die keinen Partner auf ihrer Seite hatten, aber Idras hatte schon seit seiner Ernennung keiner Frau mehr den Hof gemacht. Er hatte einfach nicht die Zeit dafür, die Höflichkeiten dafür einzuhalten und außerdem war es schwierig, jemanden vom zweiten oder dritten Grad zu finden, die nicht auch mit ihm verwandt war. Einen vierten oder fünften Grad zu heiraten kam für ihn, als Oberhaupt, schlichtweg nicht in Frage.
      Dementsprechend deprimierend war das riesige Bett, von dem er sowieso nur den Rand besetzte. Es fühlte sich so an, als könne er nichtmal über sein eigenes Schlafgemach Kontrolle ausüben.
      Er setzte sich auf dem Bettrand auf und blickte zu Eldyra hinüber, die drauf und dran war sich von ihm zu verabschieden. Ihre Stimmung war gänzlich unterschiedlich zum Vorabend und sie sah selbst aus, als habe sie die Nacht kein Auge zugetan. Fast fehlte ihm schon ihr fröhliches Gemüt und ihre Leichtigkeit, die ihm sonst eine so schöne Abwechselung zu dem Rest dieses trüben Anwesens gegeben hatte.
      Er rieb sich über das Gesicht. Je wacher er wurde, desto mehr musste er über alles nachdenken, was ihn noch erwartete.
      "Nein", brummte er ihr zu und winkte mit der Hand. "Komm her."
      Sie kam von der Tür, die sie angepeilt hatte, zurück zu ihm und stellte sich in angemessenem Abstand zu ihm auf. Sie schien wohl äußerst dazu bedacht, die Vorschriften genauestens einzuhalten.
      "Weißt du...?" Er rieb sich die Schläfe. Warum um den heißen Brei reden? "Warum hast du das getan, gestern Abend? Vor all den anderen Bediensteten? Du bist doch sonst nicht so... rebellisch."
      Konnte man es als rebellisch bezeichnen, wenn sie ihn aufmuntern wollte? Konnte er ihr tatsächlich vorwerfen nur das tun zu wollen, was ihm helfen konnte?
      Aber es half ihm nicht. Es stürzte ihn nur weiter in das Chaos.
      "Ich will dich nicht bestrafen und ganz sicher auch nicht Seria. Eigentlich gar keinen von euch, aber kannst du dir vorstellen, was für einen Skandal es gibt, wenn man erfährt, dass ich dich mit sowas durchgehen lasse? So darfst du dich nicht verhalten, wenn wir nicht alleine sind. Verstehst du das? Nie wieder."
    • Bevor sie überhaupt in der Lage dazu war aus dem Zimmer herauszutreten kam ihr in den Sinn, dass sie sich vorerst noch um das Durcheinander in seinem Bett zu kümmern hatte, was davon zeugte, dass wohl auch er einen unruhigen Schlaf hinter sich gebracht haben musste. Doch bevor sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, widersprach Idras ihr und winkte sie stattdessen zu sich heran.
      War seine Wut noch immer nicht verklungen? Wartete noch eine weitere Strafe auf die Solis Albus?
      Mit aufrechtem Blick und langsamen Schritten ging sie also zurück zu ihrem Herrn, nur um unmittelbar vor ihm Halt zu machen. Sie verhakte ihre vor Angst ganz schwitzig gewordenen Finger vor dem Oberkörper ineinander und blickte zu ihnen hinunter, während sie Idras Urteil erwartete.
      Sie ging bereits davon aus, dass die Wut vom Vortag nicht vollständig verklungen war und sich in Form seiner bedrohlich wirkenden Stimme widerspiegelte - doch dem war nicht so. Seine nächsten Worte zeugten von keiner Wut, sie waren eher ruhig und trugen eine Note der Enttäuschung in sich. Seine Frage ging der Sklavin durch Mark und Bein und wühlte ein innerliches Gefühlschaos auf. Es war die eine Sache, von ihrem Herrn angeschrien zu werden und die andere, der Grund für seine Enttäuschung zu sein. Auf diese Weise kam sie sich vor wie ein Nichtsnutz, der für solch einen Posten nicht zuständig sein sollte.
      I-Ich…“ sie hielt inne. Ihre Augen wurden glasiger und der Schmerz, den sie gestern erst klar und deutlich verspürt hatte, tobte ein weiteres Mal tief in ihrem Inneren. „… weiß es nicht, mein Herr. Bitte verzeiht mir.“
      Sie blickte von ihren Fingern hinauf, geradewegs in sein Antlitz. „Es war nicht meine Absicht, mich Euch zu widersetzen. In dem Moment als es passierte, habe ich weder an die dort anwesenden Bediensteten, noch an die daraufhin folgenden Konsequenzen gedacht. Meine Intention war es, Euch die Last auf Euren Schultern halbwegs erträglicher zu machen. Ihr erschient mir geplagt von Schuldgefühlen gewesen zu sein und…“ erneut stoppte sie inmitten des Satzes, um den Blick nun doch wieder von ihm abzuwenden: „… Euch so zu sehen, hat mir das Herz zerrissen.“
      Um sich ein wenig von ihren Gedanken abzulenken, die sie mittlerweile erneut heimsuchten, trat sie ein wenig näher an den Rand des Bettes heran und beugte sich nach vorn, um an seine Kissen heranzukommen. Diese schüttelte sie wortlos auf, genau so wie seine Bettdecke und legte alles ordentlich und gefaltet zurück an ihre Ursprungsplätze, während sie seinen nächsten Worten lauschte.
      Mein Herr, Ihr müsst euch nicht rechtfertigen.“ Ihren betrübten Unterton rückte sie bewusst in den Hintergrund, wischte sich mit dem Handrücken die feuchten Augen trocken und unterdrückte die vergangenen Stunden. „Ich habe eine Strafe verdient. Ich habe mich Euch widersetzt und gehandelt, ohne eine Erlaubnis gehabt zu haben - genau so wie Seria eine Strafe verdient hatte.“ Ihre Worte entsprachen natürlich nicht der Wahrheit und stimmten keineswegs mit ihrer eigenen Meinung überein - doch was sie dachte, spielte keine Rolle. Im Allgemeinen spielte ihre gesamte Person keine Rolle. Sie war eine Bedienstete, eine Sklavin ohne Rechte und nicht mehr. „Seria wehrte sich, als sie hätte gehorchen müssen. Vathar mag vielleicht nicht mit seiner Beliebtheit glänzen, aber sich gegen ihn aufzulehnen ist trotzdem nicht gerechtfertigt.“ Sie trat vom Bett zurück und schaute sich in Idras Gemach um. Es war zwar nicht unordentlich, Staubputzen wäre dennoch angebracht gewesen. „Ihr braucht Euch keine Sorgen mehr zu machen. Ich habe meine Lektion gelernt und habe nicht vor, meine Fehler zu wiederholen. Ich werde einzig und allein Euren Anweisungen Folge leisten und nie wieder selbstbestimmt handeln, mein Herr.“ Eldyra drehte sich in Richtung der Fenster und blickte weit hinaus. Wenn sie sich stark konzentrierte und das Umfeld ausblendete, hatte sie das Gefühl, dass die Freiheit zum Greifen nah war. Die Welt außerhalb dieses Anwesens schien friedlich, zumindest friedlicher als alles, was in diesem Anwesen vor sich ging. Während sie unbewusst die rechte Hand zur Faust ballte schwor sie sich, eines Tages aus diesem Käfig auszubrechen und sich wie ein Vogel in die Freiheit zu begeben.
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    • Da war es wieder - oder zumindest etwas ähnliches, als Idras am Abend gesehen hatte. Das Feuer in Eldyras Blick, das ihn gepackt hatte, nur dass es jetzt in die andere Richtung zu gehen schien. Ein Ausdruck tiefster Trübseligkeit schlich sich in ihr Gesicht, den sie schnell wieder verbergen wollte, indem sie sich ihrer Pflicht widmete. Während Idras ihr Seitenprofil betrachtete, verspürte er für einen Moment den wahn- und irrsinnigen Drang, einen Arm um sie zu legen um sie zu trösten. War es nicht entgegen jeglicher Logik, dass Idras alles veranlassen konnte, wonach ihm nur der Sinn stand, es ihm aber nicht gestattet war, Mitgefühl mit einer Sklavin zu empfinden, ohne dabei den Hass seiner Familie und der ganzen Nation auf sich zu ziehen? Als Hausoberhaupt sollten seine Entscheidungen eigentlich verehrt werden, aber manchmal hatte er das Gefühl, dass das nur dann zutraf, solange auch alle mit diesen Entscheidungen einverstanden waren. Eine Sklavin zu trösten zählte definitiv nicht dazu.
      Er blieb unbeweglich sitzen, während er sich eigentlich am liebsten zurück ins Bett gelegt hätte, um nie wieder davon aufzustehen. Er hätte sich über das Frühstück hergemacht, während er sich bei Eldyra über seine ganze Familie ausgelassen hätte, wie sehr er sich darüber ärgerte dass Vathar so rücksichtslos war, dass Nala sich aufführte wie eine Königin, dass Khibrim immer nur zu starrte, als ob er alle seine Handlungen insgeheim verurteilen würde und wie er befürchtete, dass Vathars Eltern ihn nicht leiden konnten. Er hätte ihr erzählt, dass das kein Leben war, das er führen wollte.
      Und Eldyra, sie hätte ihn in das Inferno eingeweiht, das in ihr brannte und dafür sorgte, dass sie sich wie jetzt zu den Fenstern wandte. Sie begrub ihre Gedanken noch immer unter einer gesunden Schicht Selbstkontrolle, aber ein kleiner Teil entschlüpfte ihr und ballte ihr die Faust. Nala hätte das als erstes Anzeichen aufständischen Begehrens bezeichnet und Eldyra verwiesen, Idras ignorierte es.
      "Ich verzeihe dir." Und nach einigem Zögern fügte er hinzu: "Du hast nichts falsch gemacht."
      Eigentlich wollte er ihr seine Sorgen sogar anvertrauen, um sich von der Last zu lösen. Aber niemand konnte ihm diese Last nehmen und so musste er sich selbst darum kümmern.
      Er stand auf.
      "Nimm das Frühstück mit, ich esse im Arbeitszimmer. Hast du schon gegessen? Das könnte ein langer Tag werden."
      Er zog sich an, kämmte sich die Haare, rückte den Ausschnitt seines Hemdes zurecht, damit sein Muster zur Geltung kam, und verließ schließlich das Zimmer.

      Nala kam eine Stunde später durch die rote Tür gerauscht. Sie trug an diesem Tag ein anderes Kleid, das allerdings einen ähnlich großen Ausschnitt besaß und hinten so lang war, dass es über den Boden schleifte. Ihr Muster, das überall unter dem Kleid hervorstach, war bereits mit goldener Farbe umrandet worden, was ein Zeichen dafür war, dass sie die bevorstehende Besprechung als genauso wichtig empfinden musste wie die gestrige.
      "Idras."
      Sie kam hereingeeilt, ohne vorher zu klopfen und entsprechend aufgeschreckt fuhr Idras zusammen. Er hatte mit der Korrespondenz begonnen, was eigentlich eine ruhige Arbeit gewesen wäre; Damit war es jetzt aber wohl vorbei. Hinter Nala folgten zwei Diener, die Eldyra knappe Blicke zuwarfen.
      "Habe ich richtig gehört, dass du eine Sklavin verarzten lässt? Was ist nur in letzter Zeit in dich gefahren?"
      "Dir auch einen guten Morgen", brummte er zurück, ließ seine Feder auf den Tisch fallen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Nala kam vor seinem Tisch zum Stehen und stützte sich darauf ab, ihre Augen funkelten ihn an.
      "Eine richtige Ärztin? Für eine Sklavin? Sind wir etwa so reich, dass wir uns solchen Unfug leisten können?"
      Idras verzog die Miene. Musste sie wirklich so früh mit sowas ankommen?
      "Hast du sie gesehen? Sie sieht fürchterlich aus. Sie könnte an inneren Blutungen sterben."
      "Dann kaufen wir eben eine neue! Sie wird doch nicht die einzige sein, die kochen kann!"
      Er hatte keine Lust auf diese Diskussion. Er hatte keine Lust auf Nala, die nur ihren Willen durchdrücken wollte.
      Also sagte er gar nichts. Es wirkte, denn sie ließ bald ihren Blick über seinen unordentlichen Tisch schweifen, drehte sich dann um und erblickte Eldyra.
      "Die Elfe ist der nächste Punkt! Du hast sie gekauft um..."
      "Die Solis Albus."
      "... unseren - was? Ist doch alles dasselbe. Du hast mir gesagt, dass wir sie brauchen, um unseren Ruf nach außen hin zu stärken und jetzt lässt du sie jeden Tag in deinem Arbeitszimmer versauern! Sie sollte mit Mutter durch die Länder ziehen, damit sie alle sehen können und nicht hier drinnen deinen Schweiß einatmen!"
      Sie trat auf Eldyra zu und starrte sie an.
      "Was hast du heute schon alles für deinen Herrn hier getan?"
    • Die zuvor zur Faust geballte Hand löste sich aus der verkrampften Haltung, als Idras bekundete Akzeptanz wie ein Pfeil mitten in ihr Bewusstsein traf. Hatte sie richtig gehört?
      Noch immer nicht vollends von seiner Aussage überzeugt drehte sie sich zur Hälfte um, damit sie ihn ansehen konnte. Er saß so unschuldig da, als könnte er kein Wässerchen trüben und als säße dort am Rande des Bettes ein völlig anderer Mensch, als derjenige, der sie erst am gestrigen Tage noch zur Bestrafung ihrer bereits von Blutergüssen verunstalteten Freundin zwang.
      Die Person, die sie dort erblickte war keine geringere als die, die sie in all der sonst vergangenen Zeit kennenlernte. Das war der Idras, wie er leibte und lebte, ohne Anzeichen von einer falschen, zum Schutz erzwungenen Fassade zur Erhaltung seiner Autorität gegenüber den Wenkhil Familienmitgliedern.
      Ich danke Euch vielmals, mein Herr.“ erwiderte sie, bevor eine Verbeugung folgte und sie hinsichtlich seiner letzten Aussage, bevor er den Raum verließ, lediglich verständnisvoll nickte. „In Ordnung. Ich bringe es gleich rüber, wenn ich mit Eurem Schlafgemach fertig bin - und nein, aber das ist nicht der Rede wert. Ich bin nicht hungrig.


      Den Moment seiner Abwesenheit nutzte sie, um dem Zimmer neuen Glanz zu verleihen. Den Staubwedel schwingend befreite sie das Zimmer von über die Zeit angesammeltem Schmutz und stemmte nach erfolgreicher Vollendung die Arme zufrieden in die Hüften. Das ganze Prozedere hatte nicht lang gedauert, ansonsten hätte sie diese Arbeit sowieso auf einen anderen Zeitpunkt verlegt. Schließlich durfte sie ihren Herrn nicht allzu lang sich selbst überlassen wenn sie nicht wollte, dass es sich herumsprach.
      Das wieder schön hergerichtete Zimmer ließ sie durch das Schließen der Tür hinter sich und schlenderte mitsamt dem Tablett voller Leckereien die Flure entlang, bis hin zu Idras Arbeitszimmer, das den für sie bekanntesten Ort darstellte.

      Eine Stunde war vergangen, bis Idras Schwester Nala hereinplatzte und der friedlichen Stimmung am Morgen einen Strich durch die Rechnung machte. Wie in den meisten Fällen, wenn eine wichtige Besprechung anstand, trug sie ein einprägsames und gewagtes Kleid - umrahmt von ihren mit Gold verzierten Mustern, die sich über die gesamte Haut erstreckten.
      Schon immer empfand Eldyra die Muster der Raschai als äußerst faszinierend - besonders als ihr auffiel, dass jeder Vertreter dieser Rasse seine ganz persönlichen, individuellen Muster auf der Haut trug; so als stünde hinter den Mustern eine jeweils unterschiedliche Geschichte zu dieser Person.
      Es war nicht verwunderlich, dass Nala wie so oft ihre Position nach Außen hin zur Schau stellte, ohne dabei auf ihr Umfeld zu achten. Weshalb sollte sie auch - sie hatte nichts zu verlieren und konnte es sich leisten. Dennoch zählte sie in Eldyras Augen zu der Art von Frauen, die sie verachtete. Offen hätte sie das niemals zugegeben, wenn sie nicht mit dem Tod bestraft werden wollte - aber in ihren Gedanken konnte sie frei sein und vor ihrem geistigen Auge fieberte sie bereits auf den Tag hin, an dem sie Nala hinter sich lassen konnte und nie wieder sehen musste.
      Rückblickend gesehen konnte sie sich glücklich schätzen, nicht ihr zugeteilt worden zu sein. Wenn Eldyra manchmal mitbekam, wie Nala mit ihren eigenen Bediensteten umsprang, bekam sie beinahe ein wenig Mitleid.
      Innerhalb der Sklavenschaft musste man jedoch früh lernen, seine Gefühle tief im Unterbewusstsein zu verschließen. Bei all den schrecklichen Bildern, die man mitansehen musste und all den Qualen, die man zu durchleben hatte, hätte die eigene Seele das alles nicht lange mitgemacht. Die Solis Albus war kein gefühlskalter Mensch - im Gegensatz zu manch anderen Sklaven besaß sie noch starke Gefühle, die sie auszeichneten und von denen sie froh war, dass sie überhaupt noch da waren. Sie hatte schlicht und einfach gelernt, sie im Zaum zu halten und zu kontrollieren… zumindest bis zum gestrigen Tage. Was genau zu dem Zeitpunkt als sie die Kontrolle verlor in ihr vorging, konnte sie selbst nicht nachvollziehen. Fest stand aber, dass sich solch ein Vorfall nicht wiederholen durfte, wenn ihr Leben ihr noch lieb war.
      Mit Nalas Dienerschaft tauschte Eldyra kurze Blicke aus, bevor sie sich im Hintergrund des Raumes hielt und der Konversation zwischen Nala und Idras horchte. Die Richtung die das Gespräch annahm, gefiel der Solis Albus ganz und gar nicht - vor allem, weil es dabei um Seria ging. Sie war eine ausgezeichnete Köchin, eine Expertin auf diesem Gebiet - sie zu ersetzen war, wie alle in diesem Anwesen Lebenden innerhalb der vergangenen Tage bemerkt hatten, alles andere als einfach. Eigentlich hätte Nala sich glücklich schätzen müssen, dass die Ärztin, geschickt von Idras, ihre Erholung beschleunigte - sodass sie sich in den nächsten Tagen allesamt den Bauch mit unverkennbaren Leckereien vollschlanken konnten.
      Zuerst versuchte Idras seine Handlung zu rechtfertigen, bis er merkte, dass das bei Nala scheinbar zu nichts führte und diese die Richtung abermals ganz woanders hin lenkte. Nämlich auf Eldyra selbst.
      Sichtlich erschrocken hielt sie den Atem an, gespannt auf das, was kommen mochte. Auch, wenn die abwertenden Worte seitens Nala die Solis Albus nicht gerade glücklich stimmten, sah wohl auch Nala einen gewissen Wert in ihr. Sonst hätte sie vermutlich nicht darauf bestanden, dass Eldyra mit ihrer Mutter durch die Ländereien streifen sollte.
      Der Gedanke diesem Anwesen entfliehen zu können und draußen in der Freiheit umher tollen zu können, war verlockend. Trotzdem wurde sie von Zweifeln geplagt die sie davon überzeugen wollten, dass die Nähe zu Idras immer noch das Beste für sie sein sollte. Er war immerhin der Einzige, der für ihr Wohlergehen sorgte und sie vor Schlimmerem bewahren konnte. In der Außenwelt bestand außerdem die Gefahr, dass ihre Wege sich mit denen von Vathar kreuzten und kein Idras da gewesen wäre, sie vor ihm zu schützen.
      Nalas auffordernde Frage holte die Solis Albus in die Realität zurück und bevor sie antwortete, überzeugte sie sich mit einem Blick zu Idras davon, dass sie antworten sollte.
      So Einiges, meine Herrin.“ sie hielt inne, um sich ihre inneren Stichpunkte zurechtzulegen - und um die Ruhe zu bewahren. Es war keine schwierige Frage, doch Nalas pure Anwesenheit reichte aus, um Nervosität in ihr hervorzurufen.
      Zuerst habe ich meinen Herrn pünktlich geweckt in Anbetracht der wichtigen Besprechung, gemeinsam mit einem ausgewogenen Frühstück. Dann habe ich das Bett ordentlich hergerichtet, jegliche Unordnungen beseitigt, staubgeputzt, gefegt und nun bin ich hier, um seine noch eventuell aufkommenden Wünsche zu erfüllen.
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    • Nala musterte Eldyra einmal herablassend von oben bis unten, ehe sie ein ärgerliches Zischen von sich gab und sich wieder zu Idras umdrehte.
      "Du lässt sie also tatsächlich Sklavenarbeit verrichten? Dafür hättest du keine Solis Was-auch-immer gebraucht, Sklaven haben wir hier genug. Setz sie wenigstens sinnvoll ein."
      Idras verzog die Miene. Als ob Nala irgendeine Übersicht über die Sklaven hätte und entscheiden könnte, wer was zu tun hatte. Idras hatte den Dienstplan, er war derjenige, der entschied, wer wo eingesetzt werden sollte. Sie hatte gar nicht die nötigen Informationen, um etwas als sinnvoll oder nicht einzuschätzen.
      "Ich setze sie sinnvoll ein. Ihre Arbeit ist genauso wichtig wie deine Handlanger, die dir diese fürchterliche goldene Farbe um das Muster kritzeln."
      Mit der Aussage war er zu weit gegangen und das wusste er in dem Moment, als die Worte seinen Mund verließen. Aber er konnte sie nicht wieder zurücknehmen und Nala hatte sie bereits wie ein Schwamm aufgesaugt. Sie plusterte sich auf und kam zu seinem Tisch zurückgebraust.
      "Fürchterlich nennst du das?! Ich vertrete unser Haus, das Erbe der Raschai, für das wir stehen und das soll man mir auch ansehen! Wenigstens erkennt man, dass ich das Haus mit Stolz und Würde führe und mich nicht wie ein Trunkenbold verhalte!"
      Das ging dieses Mal für Idras zu weit, dem der Zorn durch die Worte entfacht wurde. Es war derselbe Zorn, den er auch auf Vathar verspürte, aber in sich begrub, weil er schließlich Teil seiner Familie war. Sie alle waren Familie.
      Er sprang auf.
      "Ich bin kein Trunkenbold!"
      "Dann sammelst du also die Weinflaschen nur zum Spaß, ja?!"
      Sie zeigte auf die beiden Flaschen, die er vom Vorabend stehen gelassen hatte. Idras' Kopfschmerzen kehrten zurück, verstärkt von Nalas lauter Stimme. Sie konnte er nicht so wie Vathar verweisen, über Nala hatte er keine Gewalt.
      Er zwang sich wieder zur Ruhe.
      "Ich genieße meine freien Abende auf meine Weise."
      "Jeden Abend?!"
      "Ich erledige meine Aufgaben, oder nicht?", knurrte er zurück. "Und du erledigst deine. Alles funktioniert prächtig. Lass mich also meine Arbeit erledigen und den Rest können wir nach der Besprechung klären."
      Nala warf die Hände in die Luft.
      "Natürlich! Ich lass den Herrn seine wichtige Arbeit erledigen. Pass nur auf, dass die Feder nicht ausversehen deine Gefühle verletzt!"
      Sie wirbelte auf der Stelle herum und marschierte zurück zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte und auf Eldyra zeigte.
      "Und stell die Elfe wieder frei! Sie hat dir lange genug nachgewischt, wir haben auch andere Dienststellen im Haus!"
      Sie scheuchte ihre Diener nach draußen und knallte die Tür hinter sich so laut zu, dass der ganze Tisch erbebte.
      Idras sackte zurück auf seinen Stuhl und stützte seine Ellbogen auf dem Tisch auf, ehe er seinen Kopf in seinen Händen vergrub. Der Zorn verblasste wieder allmählich, aber an seiner Stelle legte sich eine weitere Last auf seine Schultern, die ihn immerzu nach unten drückte. Es fühlte sich noch schwerer an als am Vortag.
      Wieso konnte er nicht ein Mal in diesem Haus nicht in Frage gestellt werden? Wieso konnten sie seine Entscheidungen nicht akzeptieren und ihn sein Leben leben lassen? Wieso musste jeder davon ausgehen, dass er für diese Stelle völlig ungeeignet war, wenn doch keiner von ihnen eine Ahnung davon hatte, worum er sich eigentlich kümmerte? Für sie saß er nur in seinem Arbeitszimmer, schrieb seine Briefe und griff nach seinem Wein. Kein einziger von ihnen hatte sich jemals damit befasst was es tatsächlich hieß, ein riesiges Anwesen mitsamt seiner Ländereien zu verwalten.
      Nachdem er für einige Sekunden in dieser Position verharrt hatte und darauf wartete, dass sein Kopf sich klärte, sah er schließlich träge auf. Er konnte schwören, dass er noch immer Nalas Präsenz in diesem Zimmer spürte, wie sie über jeden seiner Schritte wachte um zu prüfen, dass sie auch wirklich rechtens waren, aber natürlich war sie nicht mehr hier. Nur Eldyra war noch da. Die gute Eldyra.
      Er sah sie an.
      "Eldyra? Erzähl mir was. Irgendwas. Ganz egal."
      Er rieb sich das Gesicht.
    • Die Solis Albus schien ausnahmsweise Glück gehabt zu haben - denn Nala gab sich mit ihrer Antwort mehr oder weniger zufrieden. Dementsprechend ignorierte die Sklavin die herablassenden Blicke ihrer Herrin und bemerkte, wie die anfängliche Anspannung im Inneren endlich zurückging.
      Nala ließ von Eldyra ab und widmete sich mittlerweile wieder voll und ganz ihrem Bruder. Die Stimmung innerhalb des Arbeitszimmers kippte minütlich, bis sie schwer im Raum hing und die gegenseitigen Sticheleien der Geschwister dazu führten, dass sie sich gemeinsam immer weiter in die Konversation hineinsteigerten. Von Sachlichkeit war keine Rede mehr gewesen - zu beschäftigt waren sie damit, sich persönlich anzugreifen.
      Die Sklavin hatte schon mehrmals mitbekommen, wie gern Nala mit ihrem Äußeren in der Öffentlichkeit protzte und ihren Stolz heraushängen ließ. Nachdem Idras also einen abwertenden Kommentar hinsichtlich ihrer goldverzierten Muster abgab, nahm die Atmosphäre eine ganz andere Richtung an. Eine Richtung, bei der Eldyra sich gewünscht hätte, währenddessen nicht anwesend zu sein.
      Die folgenden Sätze, die die Lippen beider Geschwister verließen waren durchzogen von Zorn und es war immer schwerer zu glauben, dass diese beiden Personen es all die Jahre miteinander ausgehalten haben. Eldyra konnte teilweise nachvollziehen, wie kräftezehrend es sein musste, die Arbeit zu verrichten, die Idras verrichtete. Besonders wenn man bedachte, dass er keine andere Wahl hatte und nicht einmal die Möglichkeit, alleinig in seinem Sinne zu handeln. Er war dazu verpflichtet, die Sitten und Bräuche der Raschai zu respektieren und zu ihrem Wohl zu handeln - ganz egal, wie anstrengend oder unsinnig es sein mochte.
      Die Raschai waren eine Rasse für sich - das bekam Eldyra in den vergangenen Jahren am eigenen Leibe zu spüren und zuvor hatte sie durch Hörensagen davon erfahren. Dennoch kannte sie bei Weitem nicht alles über sie.
      Als Nala nun damit begann, Idras Trinkverhalten zu beurteilen - drängte die Solis Albus ihre weiteren Gedanken in den Hintergrund.
      Es stimmte schon, dass Idras im Vergleich zu den anderen Familienmitgliedern verhältnismäßig viel trank - seine Zurechnungsfähigkeit war davon allerdings keineswegs negativ beeinflusst. Er verhielt sich so wie immer, konnte Urteile fällen und seine Aufgaben genau so gut wahrnehmen, wie im nüchternen Zustand - leider sah dies bloß niemand, abgesehen von Eldyra. Sie war immer und überall zur Stelle, wich ihm über mehrere Stunden hinweg niemals von der Seite und kannte verschiedenste Seiten an ihrem Herrn.
      Zu gern hätte sie sich eingemischt, Nala die Stirn geboten und sie davon überzeugt, dass Idras eine solche Betitelung nicht verdient hatte; nach dem gestrigen Vorfall war dies jedoch keine gute Idee. Vor allem musste die Solis Albus bedenken, dass Idras ihr in diesem Fall vermutlich nicht so leicht verziehen hätte und sie wollte sich gar nicht ausmalen, was für eine Bestrafung ihr bevorgestanden hätte. Denn sollte sie die Stimme gegen Nala erhoben haben, konnte Idras diesen Vorfall nicht so einfach unter den Teppich kehren.
      Das Gespräch dauerte nicht mehr lang. Idras rechtfertigte sich gegenüber Nala und beendete das Gespräch, sodass seine Schwester mitsamt ihrem Gefolge sichtlich angefressen aus dem Zimmer verschwand und Eldyra sich nun abermals mit Idras allein im Raum befand.
      Eine kurze Weile wurde sein Arbeitszimmer von Stille eingenommen, während er regungslos in seiner Position verharrte. Eldyra sah ihn kurzzeitig an und konnte schwören, dass ihr Herr genauso aussah wie gestern, bevor sie versucht hatte ihn auf andere Gedanken zu bringen. Fast schon tat er ihr leid und wenn ihr das Recht nicht vorenthalten gewesen wäre, hätte sie ihm ohne mit der Wimper zu zucken die Last von den Schultern genommen. Schließlich war sie bewandert in verschiedenen Richtungen und nicht nur auf dem Gebiet der Sklavenschaft - das wusste nur niemand. Wie auch? Tagtäglich wurde sie mit denselben Blicken angesehen; und zwar mit denen, die nur Menschen galten von denen man wusste, dass man niemals wie sie enden wollte. Ein jeder dachte, Eldyra war eine Sklavin - nicht mehr und nicht weniger.
      Die meisten Sklaven innerhalb des Anwesens hatten keine Vergangenheit wie Eldyra oder kamen aus Familien, die einen Ruf hatten. Sie waren nicht wirklich begabt, besaßen keine Fähigkeiten und waren auch nicht mit dem Lesen oder Schreiben bewandert. Genau aus diesem Grund hasste Eldyra es, dass sie mit eben jenen Leuten auf dieselbe Stufe gestellt wurde. Bedauerlicherweise war dies nun die Realität in der sie lebte und sie musste sich klarmachen, dieser Realität in absehbarer Zeit nicht entfliehen zu können.
      Idras Stimme durchbrach die anhaltende Stille des Raumes und drang zu Eldyra hindurch, während diese sich kerzengerade aufrichtete. Sie sollte ihm etwas erzählen? Irgendwas?
      Verdutzt schaute sie drein und dachte darüber nach, was seine Frage zufriedenstellen konnte. Schließlich wusste er das Meiste bereits und wie konnte sie sich sicher sein, dass er sich überhaupt für Erzählungen aus dem Leben innerhalb der Solis Albus interessierte?
      Sie räusperte sich und trat aus der Ecke des Raumes hervor, in welcher sie zuvor gestanden hatte. Neben seinem Schreibtisch machte sie Halt und kniete sich auf dem Boden nieder, während sie die Hände im Schoß zusammenfaltete: „Ich hoffe, Ihr habt nichts dagegen, mein Herr.“ merkte sie zögerlich an und blickte an ihm vorbei zum Fenster hinaus. Sie redete tatsächlich nicht gern über ihr Leben - deshalb half es ein wenig, in die Natur zu blicken und sich zumindest für einen Moment lang in dieser zu verlieren.
      Da die Stimmung ohnehin keine allzu gute ist, fällt mir auf Anhieb keine schöne Geschichte ein - also müsst ihr Euch mit einer trübseligen zufriedengeben, mein Herr.“ schmunzelte sie.
      Vermutlich wusstet Ihr noch nicht, dass ich damals einen Bruder hatte - oder immer noch, ich kann es Euch nicht mit Gewissheit sagen. Jedenfalls war ich noch sehr jung und wir waren unzertrennlich. Wir hatten dieselben Eltern, wurden in demselben Umfeld großgezogen und es mangelte uns an nichts. Ich weiß im Übrigen nicht genau wieso, doch Euer Gespräch mit Nala hat mich an diese Geschichte erinnert. Um aber zur Geschichte zurückzukommen: Die Solis Albus haben bestimmte Rassenmerkmale, wie ich Euch gestern erzählt habe. Diese Rassenmerkmale sind unsere weißen Haare - manchmal auch silbrig, die unverkennbaren langen und spitzen Ohren und unsere Porzellan gleichende Hautfarbe. Mein Bruder und ich, wir besaßen diese Merkmale. Ich besitze sie bis heute und bei meinem Bruder begann die Haarfarbe sich im Laufe seines elften Lebensjahres zu verändern. Somit besaß er irgendwann keine weißen Haare mehr, sondern hellblonde. Innerhalb der Solis Albus ist eine Veränderung eines typischen Merkmals eine Sünde - ganz gleich ob man etwas für diese Veränderung kann, oder nicht. Auch wenn wir beide aus einer einflussreichen Familie stammten, wollten meine Eltern nicht, dass das veränderte Aussehen meines Bruders unserem Ruf schadet und daher…“ sie hielt inne und wimmerte ein wenig. „… wurde er aus unserem Reich verbannt. Sie sagten ihm, wir würden eine Reise unternehmen, lockten ihn in ein kleines Holzboot und lösten das Seil, sodass er völlig allein und hilflos aufs offene Meer hinausgetrieben ist.“ Das Wimmern nahm zu und innerlich kämpfte Eldyra mit dem Zurückhalten ihrer Tränen. Sie wusste selbst nicht was sie sich dabei gedacht hatte, ausgerechnet von diesem Vorfall zu berichten. Jetzt, wo sie damit allerdings angefangen hatte, wollte sie auch nicht einfach aufhören. Dementsprechend rieb sie sich mit den Fingerknöcheln die Augen und merkte an: „Entschuldigt, mein Herr. Ich habe wohl etwas im Auge.
      Sie sprach weiter: „In den darauffolgenden Tagen, sogar Wochen habe ich versucht meinen Bruder zu finden - aber er war spurlos verschwunden. Von ihm war keine Spur, genauso wenig wie von dem Holzboot und über dem Meer auf dem er hinaustrieb, wüteten unerbittliche Stürme. Ich habe meine Eltern verteufelt, mich ihnen widersetzt und ihnen vorgeworfen, meinen Bruder getötet zu haben. Doch meine Worte erreichten sie nicht - sie interessierten sich überhaupt nicht für mich. Anfangs erwiderten sie gar nichts und nachdem ich keine Ruhe gelassen hatte, klärten sie mich über unsere Rasse auf und den Erwartungen, die an höhere Vertreter gestellt wurden. Ich konnte nie verstehen, weshalb man veraltete Ansichtsweisen über alles im Leben stellt - selbst über die eigene Familie, aber ich konnte nichts daran ändern. Ich war ein Kind. Ein Kind, dass in die Sitten und Bräuche einer Rasse hineingeboren wurde, ohne die Möglichkeit einer Entscheidung gehabt zu haben. Und jetzt…“ erneut hielt sie inne, blickte mit geröteten Augen in Idras Richtung und lächelte ihn an: „… jetzt bin ich ein Sklavin und habe das Gefühl, genau so eingesperrt zu sein, wie damals. Was ich denke, interessiert niemanden. Was ich fühle, ist egal. Was ich zu tun gedenke, wird mir verboten.
      Eldyra stützte sich mit den Handflächen am Boden ab, stand von diesem auf um sich wieder in eine aufrechte Position zu begeben und klopfte sich den Staub von den Oberschenkeln: „Ich habe schon oft darüber nachgedacht, ob ich diesem bemitleidenswerten Leben nicht einfach den Rücken kehren sollte. Vielleicht würde ich dann erfahren was es bedeutet, frei zu sein. Aber das spielt keine Rolle.“ Mit einer schnellen Handbewegung winkte sie die Aussage ab: „Wenn ich nicht mehr sein sollte, ist schließlich genug Ersatz in Reserve.
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    • Eldyra kniete sich neben den Tisch und begann mit einer Erzählung, bei der Idras sich wünschte, sie hätte sich eine andere ausgesucht. Ihre beider Lebensweisen schienen einfach zu viele Parallelen zu haben, um nicht in den Gedankengang zu verfallen, dass Idras sich selbst wie ein Sklave fühlte. Die Rassenmerkmale, nach denen schamlos aussortiert wurde, als könnte es gar keine andere Richtlinie geben; Die Gefühllosigkeit, mit der Familienmitglieder entsorgt wurden, verborgen unter einer dicken Schicht Lügen, damit man vermutlich nicht darüber nachdenken musste, was man gerade seinem eigenen Fleisch und Blut antat; Der aufrecht zu erhaltene Ruf, der sonst durch die schiere Anwesenheit des einen Familienmitglieds unwiderruflich zerstört wäre. Es hörte sich alles so an, als wäre Eldyra selbst Teil einer Raschai Familie - allerdings wäre sie dann selbstverständlich kein Sklave in diesem Haus.

      Aber war Idras etwas anderes? Welche Freiheiten besaß er denn, außer, dass er sich aussuchen konnte, was er zum Frühstück aß? Sicher, er war weit entfernt von einem Sklaven mit dem Reichtum, den er besaß, aber darüber hinaus existierte er nur für Wenkhil. Keiner sprach seinen Namen aus, ohne dabei an das Familienoberhaupt Wenkhil zu denken und nicht an Idras, der gerne die Natur genoss oder dazu neigte zu philosophieren, wenn er mal den Kopf dazu frei hatte. Dachte irgendjemand auch nur daran, wenn sie ihn ansahen? Bestimmt nicht. Nala tadelte ihn noch heute, wenn sie ihn dabei erwischte, wie er durch den Garten schlenderte.
      Eldyras Geschichte traf ihn daher, als wäre es seine eigene. Er wusste nicht, wie lange der Vorfall mit ihrem Bruder her sein mochte, doch er konnte ihr ansehen, dass die Wunde noch immer frisch war. Sie verlor, nur für einen Moment, die Beherrschung, mit der sie ihr Schicksal täglich mit sich herumtrug und gab herzzerreißende Laute von sich. Idras wäre aufgestanden um sie zu trösten, dieses eine Mal hätte er es tatsächlich getan, sie waren alleine und wieso sollte er es außerdem nicht dürfen, in seinem eigenen Haus mit seiner eigenen Sklavin; Aber Eldyra hatte ihre Fassung schon wieder hervorgeholt. Und als sie wieder aufstand und den Kopf erhob, als sie ihre würdevolle Haltung wieder einnahm und als das Licht der Sonne in einem anderen Winkel auf sie einfiel, da war Idras mit einem Mal der Überzeugung, dass er ein Muster erkennen konnte. Es war natürlich nicht das dunkle Hautmuster der Raschai, das mit seinen Linien und Formen die Geschichte von mehreren hundert Generationen an Raschai auf einem einzelnen Haupt darstellte, aber es war vielmehr das Muster, das von Eldyra hervorstach. Es war die helle, makellose Haut, die so wirkte, als könne sie zerspringen, wenn man sie zu fest anpackte, und es war die Verbindung mit den silbrigen Haaren, die federleicht auf diese Haut fielen, zart genug, sodass sie wie im Einklang zueinander standen. Es waren die vollen Lippen mit der ebenmäßigen Nase und dem sanften Kinn und es war - und das war das wichtigste von allem, der Ursprung, von dem das ganze Muster ausging, wenn man es so wollte - ihre hellen Augen mit dem durchdringendem Blick und das Feuer, das in ihnen flackerte. Mit einem Schlag erkannte Idras dieses Muster und er las es, so wie er Nalas Muster las wenn sie mit ihm redete, so wie er Vathars Muster las, wenn er sich über ihn aufregte und wie er jeden einzelnen Raschai las, bei dem Versuch dabei zu erkennen, was jeden Raschai ausmachte. Die Muster waren wichtiger als Worte und Handlungen, denn sie kommunizierten auf einer tieferen Ebene, als würde man all das oberflächliche Geplänkel überspringen und dazu übergehen, was tatsächlich in einem Raschai vor sich ging.
      Und Idras erkannte dieses Muster bei Eldyra.
      Er beugte sich nach vorne.
      "Die Raschai hätten dasselbe getan und dafür sollen sie alle verdammt sein - sämtliche Wenkhil mit eingeschlossen. Wir sind kein besseres Volk als ihr, wir hatten nur mehr Glück - aber genau deswegen darfst du nicht so denken. Wir hätten alle in die Sklaverei geraten können, nur ein bisschen Unglück und eine Familie, die aus diesem Unglück ihr Glück zieht und schon würde sich auch niemand dafür interessieren, dass ich einmal Familienoberhaupt gewesen war. Aber deswegen darfst du nicht schlechter von dir denken. Es kann uns alle treffen, weder du, noch die Menschen sind dafür bestimmt."
      Er lehnte sich wieder zurück.
      "Es tut mir leid mit deinem Bruder. Er hat nicht verdient, was ihm zugestoßen ist, so wie die wenigsten von uns. Würdest du ihn suchen gehen, wenn du nur die Möglichkeit dazu hättest?"
      Er sah hinüber zu dem Wandschrank und den Büchern, die sich darin stauten, den Geschäftsbücher und Unterlagen, Verträgen und Abkommen, Briefen und Notizen, alles zusammengepfercht in diesem Raum, in dem keiner den Überblick hatte wie der, der in ihm arbeitete. Idras wusste genau, wo sich die Sklavenpapiere in diesem Durcheinander befanden, in einer der dunkelbraunen Mappe mit dem Siegel der Wenkhil oben drauf, zwischen den Unterlagen der zugehörigen Sklaventreiber und neben den gängigen Marktwerten. Die Tabellen waren alt und trafen sicherlich nicht mehr zu, aber Idras hatte auch nie Sklaven allein wegen ihrem Wert gekauft.
      "Wenn ich könnte, dann würde ich euch gehen lassen, dich und jeden einzelnen der Menschen, ganz besonders Seria. Keiner hat dieses Unglück verdient. Wenn ich könnte, würde ich selbst gehen."
      Wenn er könnte, würde er vieles tun - aber er konnte nicht. Nichts von alledem. Es war, als wäre er in dicke Ketten gelegt, die mit Wenkhil verbunden waren und nicht durch eine einfache Zange aufgebrochen werden konnten. Und jeder Wenkhil und jeder, der mit ihnen zu tun hatte, war auch in diese Ketten gelegt und keiner würde sich davon befreien.
      Er seufzte.
      "Danke für die Ablenkung. Du hast Nala gehört, sie will, dass ich dich wieder freistelle."
      Er setzte sich aufrecht, schob den Brief beiseite, an dem er geschrieben hatte, und kramte in dem Durcheinander seines Tisches herum. Es dauerte ein bisschen zu lang, bis er den Dienstplan gefunden hatte und er vermerkte sich, dass er den Schreibtisch doch mal aufräumen musste.
      Er rollte das Pergament auf und warf einen Blick darauf, bevor er zu Eldyra sah.
      "Ich kann dich wieder im Garten beschäftigen, wenn du willst. Loiren wird eh bald zu alt, um weiterhin alleine Gärtner zu bleiben. Oder du kannst in die Küche gehen, du und Seria seid doch gute Freunde, oder nicht? Was möchtest du?"
      Wenn er schon keine Sklaven freilassen konnte, wenn er schon sein eigenes Leid nicht beenden konnte, geschweige denn das der anderen, konnte er doch zumindest dafür sorgen, dass Eldyra sich besser fühlte. Es gab ihm selbst ein besseres Gefühl. Er bewunderte ihr Muster, während er auf eine Antwort wartete.
    • Sie wusste, dass der letzte Part ihrer Erzählung ein wenig gewagt war. Schließlich sollte man nicht auf solch leichtfertige Art und Weise über das Ende seines Lebens philosophieren. Im Falle von Eldyra war es jedoch anders. Sie musste sich tagtäglich fragen, was besser gewesen wäre - die weiterhin anhaltende Gefangenschaft innerhalb dieses Anwesens, wo es doch noch so viel in der Welt zu erkunden gab, oder den Schlussstrich zu ziehen und ihrem trostlosen Leben ein Ende zu bereiten um herausfinden zu können, ob ihre lang ersehnte Freiheit endlich nach dem Tod auf sie wartete.
      Doch jedes Mal, als sie darüber nachdachte, legte das Gefühl der Angst sich wie ein Schleier über die Sklavin. Sie konnte sich nicht sicher sein, ob ihr Bruder möglicherweise noch am Leben war und solange sie diesbezüglich keine Gewissheit hatte, konnte sie diese Welt noch nicht hinter sich lassen. Er war ganz auf sich allein gestellt, hatte vermutlich alles über die Solis Albus vergessen und torkelte hilflos in der Welt umher. Selbst wenn es höchst unwahrscheinlich sein musste, dass er noch unter den Lebenden verweilte, krallte Eldyra sich an diesen unsinnigen Gedanken und schwor sich seit seinem Verschwinden, ihn eines Tages in ihre Obhut zu nehmen und gemeinsam an seiner Seite die schönen Seiten des Lebens zu erkunden.
      Vermutlich behaltet ihr Recht, mein Herr. Doch es führt zu nichts, sich darüber nun den Kopf zu zerbrechen. Wir alle müssen unser Schicksal akzeptieren und Ihr habt eben das große Glück ein Vertreter einer Rasse zu sein, die ihre Freiheiten genießen kann. Möglich, dass auch Ihr teilweise ein Sklave seit - schließlich werdet Ihr nur dann akzeptiert, wenn Ihr zum Wohle der Wenkhil handelt; aber ihr könnt die Außenwelt erkunden, wann immer Ihr einen guten Grund dafür habt.“ Sie seufzte.
      Definitiv. Auch wenn ich auf mich allein gestellt schlechte Karten habe, ihn ausfindig zu machen, würde ich es riskieren. Ich werde meinen Seelenfrieden nicht finden können wenn ich weiß, dass er irgendwo dort draußen umherwandert. Ich möchte wissen, wie er aussieht, wie er lebt, zu wem er gehört und dass er zumindest ein letztes Mal das Gesicht seiner Schwester erblicken kann, bevor es womöglich zu spät dafür sein wird.
      Eldyra schmunzelte bei Idras weiteren Worten und lief ungefragt zu seiner Tür im Arbeitszimmer herüber, um diese von innen abzuschließen. Erfüllt von Euphorie ging sie schnellen Schrittes zurück zu Idras und funkelte ihn mit ihren leuchtenden Augen an. Glücklich gestimmt nahm sie jedes einzelne seiner Worte in sich auf und verfolgte dabei jede seiner Bewegungen, bis auch er vom Pergament aufsah und sie anblickte. Bevor sie antwortete, warf sie sich ihrem Herrn um den Hals und beugte sich zu ihm vor, um ihn in eine enge Umarmung zu ziehen. „Verzeiht, ich kann nicht anders…“ wisperte sie, während Tränen der Freude ihre Wangen hinunter kullerten. „Ich verspreche Euch, dass wir beide diesem Leben eines Tages entfliehen werden. Wenn nicht ich diesem Anwesen irgendwann den Rücken kehren kann, dann zumindest Ihr. Das würde mir schon reichen.“ Sie lockerte ihren Griff um Idras Nacken und entfernte sich von ihm, damit sie ihn ansehen konnte: „Ich mag meinen Posten eigentlich. Doch wenn Ihr dazu gezwungen seid, mich freizugeben, würde ich gern den Garten übernehmen.“ Der Gedanke, im Einklang mit der Natur sein zu können und endlich frische Luft einatmen zu können, ließ ein wohliges Gefühl in dem Körper der Solis Albus aufsteigen. Selbst wenn sie noch immer an diesen Ort gebunden war, so schien die Einteilung im Garten den ersten Schritt in die richtige Richtung darzustellen.
      my review on life so far:

      ★ ★ ★ ☆ ☆