Dusk & Dawn [Asuna & Nico]

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    • Wie vielen Menschen sollte Ember denn noch Chancen geben? Eigentlich hatte ja jeder eine verdient, aber die paar Minuten mit Liz hatten gereicht, dass sie ihr eigenes Urteil diesbezüglich anzweifelte.
      „Ruairi ist großartig in dem, was er macht. Nur leider wird er mehr als Waffe als alles andere benutzt und das ist traurig“, sagte Ember und berührte dabei doch die ein oder andere Prellung und verzog dabei leicht das Gesicht. „Ich rechtfertige mich gar nicht, ich wollte nur sagen, dass... dass ich nicht über Monate gegrämt war.“
      Es waren keine Monate gewesen, dafür aber Wochen. Anstrengende Wochen, wie ihre Mitarbeiter es unterschreiben würden.
      Etwas betreten betrachtete sie August, der sich zurücklehnte und seltsam entfernt wirkte. Für einen Moment dachte sie, etwas falsches gesagt zu haben. Ihr fiel auf, dass er fröstelte und sie war sich sicher, dass es nicht nur der Kälte und der wenigen Kleidung an seinem Leib geschuldet war. Ihre Hand verselbstständigte sich bereits, da fing er wieder an zu sprechen und sie ließ sie ungesehen sinken.
      „Du hast die Fähigkeit nicht verloren. Da bin ich mir sicher. Da waren eben Tränchen in deinen Augen, ich hab's also live erlebt. Es kommt der Moment, da hängst du diesen überfälligen Titel mit deinem Sitz an den Haken. Und ziehst halt nach Berwick. Hol dir ein kleines Häuschen am Rande, setz dich dahin ab und dann machst du eben das, was du gerne möchtest.“
      Spinn die Illusion und lass sie in deinem Kopf leben. Halte daran fest, trüge dich selbst bis du irgendwann nicht mehr weißt, ob es die Wahrheit war oder Lüge.
      Zäh folgten Embers Augen der Bewegung des Rogues, als er sich schwerfällig erhob. Er entglitt ihrer Hand, ihrer Berührung, und ihre Finger zuckten in dem Versuch, nach ihm zu greifen. Schnell zog sie die Hand wieder in den Schoß und lächelte August schwach an. Dann schloss sie sich ihm an und begann damit, die Kerzen nacheinander auszublasen.
      „Okay, ich warte dann solange. Aber wenn ich mitkriege, dass sie dir beim verarzten hilft und das nicht so harmlos ausfällt, dann Gnade dir Gott.“ Nur, dass keiner von ihnen an eben jenen zu glauben schien.

      August sollte Recht behalten. Es gab exakt ein Zimmer, das ein säuberlich gemachtes Bett, oder eher Matratze, auf dem Boden enthielt. Leise hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, nachdem August zum nächsten Zimmer weitergegangen war und auch von James keine Spur mehr zu sehen war. Bereits in der Sekunde, in der die Tür knarrend ins Schloss gefallen war, legte sich eine eiserne Stille auf ihre Schultern. Die Tapeten und sogar die Decke waren mit einem furchtbaren Muster versehen, das früher wohl modern gewesen war. Möbel gab es praktisch keine mehr, außer einem kleinen Schränkchen mit zerschlissenen Schubladen. Dank der offenen Tür roch es nicht muffig, irgendwie beklemmt fühlte sie sich dennoch.
      Auf ihre Frage hin, ob August etwas besonderes spürte, hatte er verneint. Also war es tatsächlich so, dass das Haus scheinbar nur bei Menschen ein seltsames Gefühl auslöste. Und das, obwohl die Wände allesamt von Aura durchzogen waren. Nachdenklich warf Ember einen Blick aus dem versifften Fenster, sah sich jedoch nur der Dunkelheit gegenüber. Ihr Blick schweifte weiter – und blieb an der Tapete unterhalb der Fenster hängen. Ember runzelte die Stirn und beugte sich näher heran, doch im Dunkel konnte sie nicht viel erkennen. Nur, dass das Muster dort anders aussah. Ohne eine Lichtquelle, die nicht das fahle Licht der Sterne und des Mondes war, war das gesamte Zimmer in Dunkel getaucht. Und so resignierte Ember schließlich, ließ sich auf die Matratze fallen und trat sich ihre matschigen Schuhe von den Füßen. Sofort bemächtigte sich die Kälte ihrer Füße und eilig schob sie sie unter die Decke. Kurz darauf folgte schon ihr Körper. Sie machte sich nicht die Mühe, sich großartig auszuziehen. Jedenfalls nicht, solange sie allein war.
      Und dann wartete Ember im dunklen, kalten Zimmer darauf, dass August zurückkam. Eine Frau, die Dunkelheit und das immer deutlicher werdende Gefühl, unter Beobachtung zu stehen.
    • August Foremar schloss die Tür.
      Als er aus Liz's Zimmer herausgegangen war, fühlte sich seine Welt wie jedes Mal ein wenig irreal an. Als würden die Farben nicht richtig decken oder die Schrauben nur Flechtwerk sein. Es war schwer zu erklären, außer, dass ihm der Schädel brummte. Und mit einer bitteren Erkenntnis behaftet, machte er sich auf den Weg, den Flur hinunter.
      Eine Kerze brannte einsam auf einem schmalen Kerzenteller in seiner Hand und beleuchtete den Flur unregelmäßig, während er finsteren Blickes über den Flur schlurfte. Die Erkenntnis, dass sie falsch gelegen hatten! Und wie sollte er das allen beibringen? Wie hatte er sich auch nur anmaßen können, den Tod zu betrügen, nachdem er es bereits einmal geschafft hatte?! Das war doch Irrsinn. Es blieb also nichts weiter, als zu Plan A zu wechseln, der noch gefährlicher war...
      Sorgsam stieß er nach kurzem Blick den Flur hinauf und hinab, die Tür zu Embers Zimmer (er nannte es bereits Embers Zimmer) auf und ließ die warme Flamme der Kerze mit hinein.
      Der Raum wies eine merkwürdige Tapete auf, eine, die seinen Geschmack beinahe tötete. Hässliches Dunkelblau traf auf eine Art Tartanmuster und innerlich musste August beinahe lachen. DIe Sallows waren offenbar wirklich eigenartig, was den Geschmack an Möbeln und Einrichtung betrafen! Unglaublich, wie schlecht alles zusammen passte und trotzdem heimelig wirkte.
      August stolperte beinahe über Embers Schuhe und kicherte, während er zu ihr sah.
      "Du fühlst dich zumindest nicht mehr ganz so fremd, oder?", grinste er und trat wie Ember an das Fenster.
      Sanft hüllte der Kerzenschein sie beide ein, während er nach draußen sah und außer sich windenden Baumkronen nichts erkennen konnte. Langsam und bedächtig dehnte August seine Aura mehr und mehr aus. Einem Teppich gleich, legte sich das sirrende Gefühl von mächtiger Magie über das Haus und die Gartenanlage, die er systematisch mit seiner Aura absuchte. Doch nichts war zu erkennen. Mit einem weiteren Augenaufschlag war die Aura verschwunden und er drehte sich zu Ember in diesem Bett. Selbst auf einem Laken hätte sie großartig ausgesehen.
      "Du hast Eindruck gemacht bei Liz", grinste er und trat näher, um seine Schuhe auszuziehen. "Sie hat wie der Teufel geschimpft, wie unhöflich ihr wart und sie verhört habt. Ich hab sie daran erinnert, dass sie selbst meist ein recht einnehmendes Wesen hat. Es gibt leider zwei Neuigkeiten, die ich mit dir teilen will."
      Sorgsam setzte er sich neben sie auf das Bett und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er mochte diese Geste. Sie hatte etwas Intimes, wie er fand.
      "Ad 1: Ruairi ist verschwunden. Nachdem ihr heraus gekommen seid, hat es offenbar einen Streit zwischen ihm, Piper Williams und Solomon Knight gegeben. Er hat Knight geradewegs nochmal ins Krankenhaus befördert und selbst diese Piper angegriffen. Ein Einsatzteam ist ihm gefolgt, haben ihn aber auf der Höhe Tottenham Court Road verloren.
      Ad 2: Perley bringt morgen früh deine Waffen mit. Er hat sie aus dem PD gesammelt...Jetzt schau nicht so und frag nicht wie", lachte er. "Er bringt dir deine Bewaffnung. UNd wenn wir morgen die Adressen und Aufenthaltsorte deiner Familie haben, holen wir sie, wenn du willst, auch her. So lerne ich zumindest mal Eltern kennen..."
      Gar nicht eigennützig, August. Gar nicht...

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    • Die Tür knarrte grausam, als August sie öffnete und wie versprochen zu Ember zurückkehrte. Sie saß noch immer auf der Matratze, halb unter der Decke vergraben, als sie ihre Augen auf August richtete, der immerhin eine Kerze dabei hatte. Er stolperte über ihre Schuhe, ein amüsiertes Lächeln erschien auf ihren Lippen.
      „Was soll ich sagen? Es gibt Wände, ein Dach und ein Bett. Es starrt mich ja jetzt auch niemand mehr so argwöhnisch an.“ Wie ein Spiegelbild nahm er ihre Position am Fenster ein, doch er sah nicht einfach nur hinaus. Er schickte seine Aura aus, die auf ihrem Körper leicht prickelte.
      „Hm, Eindruck kann positiver oder negativer Natur sein. Ich tippe mal auf letzteres, wenn sie so schimpfte. Aber sie hat es eben einfach gemacht....“, rechtfertigte sie ein wenig ihr Verhör, wobei James am Ende die Fragerei übernommen hatte. „Und wenn du leider von Neuigkeiten sprichst, dann sind sie nicht gut. Was hast du gehört?“
      Sie klopfte auf die Matratze neben sich und wartete bis August sich gesetzt und seine Schuhe abgestreift hatte. Sie betrachtete weiterhin sein geschundenes Gesicht, als er ihr eine Strähne aus dem Gesicht schob und mit Sicherheit bemerken würde, wie warm ihr Gesicht gerade war.
      Und dann berichtete August. Der erste Satz reichte schon aus, damit Ember alle Emotion aus dem Gesicht fiel. „Er ist weg?Warte, er hat Knight nochmal....? Aber es ergibt keinen Sinn, dass er sogar Piper angegriffen hat. Das kann nicht stimmen, das würde er nicht machen!“ Aufrichtiges Entsetzen zeichnete sich in ihren Zügen ab als sie versuchte sich vorzustellen, wie Ruairi auf Piper losgegangen sein sollte. Dass er eine Auseinandersetzung mit Knight hatte, konnte sie ja noch verstehen. Aber in diesem Verhörzimmer hatte er alles zugegeben. Gegen ihn waren weniger schlimme Verfahren angeordnet worden, aber wenn er flüchtete, dann... Ember schüttelte den Kopf. Sie musste ihn irgendwie finden.
      Die zweite Nachricht mit den Waffen hätte sie eigentlich mehr erheitern müssen als es gerade tat. Sicher, dann fühlte sie sich nicht mehr so nackt, aber der Schock der vorherigen Nachricht saß noch tief. Dafür konnte sie sich sehr gut vorstellen, wie Perley das PD infiltriert und ihre Sachen zurückgeholt hatte. Trotzdem war da dieser letzte Satz, der unglaubliche viele Gedankengänge auf einmal los trat.
      „Du willst meine Eltern kennenlernen? So ganz uneigennützig?“, fragte sie und öffnete die Decke, damit er zu ihr ins Warme kommen konnte. Die Kerze hatte er auf den Boden an die Seite gestellt, sodass der Schein seine Front nicht mehr erhellte. „Das wird wahrscheinlich nicht so schön, wie du denkst. Meine Mutter würde eine Panikattacke bekommen und mein Vater sucht sich den nächsten Schürhaken, um dich auszutreiben. Sie sind etwas... voreingenommen, was Zauberer betrifft.“
      Jedenfalls nach der Sache mit Emily waren die Vorurteile schwerwiegend ausgeprägt. Sie würde niemals darum bitten, dass man ihren Onkel hierher brachte, aber ihre Eltern hätte sie schon gerne sicher gewusst. Genauso wie Shawn, den sie wieder her karren müssten. Und was Tarah betraf, so konnte man sie schlecht aus London wegbringen, so fest wie sie in ihrem Umfeld etabliert war.
      „Das war nicht immer so. Sie sind es erst nach dem Vorfall, weshalb ich Ermittlerin geworden bin. Du bist nie mit in mein Schlafzimmer gekommen weil ich da Erinnerungen an... Emily aufbewahre. Die Geschichte wollte ich dir noch erzählen.“
      Dann berichtete Ember August von Emily, von ihrem Tod, von dem Unfall und dass sie nach dem Briefkiller die tote Gestalt des Mädchens gesehen und erwürgt hatte. Dass sie ein dunkles Kapitel ausmachte und der Grund war, warum Ember einst die Zauberer so abgelehnt hatte.
    • Nur allzu dankbar nahm er das konkludente Angebot der jungen Frau an, die ihm bereitwillig die Decke öffnete.
      Das gröbste an Blut hatte er bereits vor dem Besuch von Liz's Zimmer aus dem Haar und dem Gesicht gewaschen, sodass er zumindest das Bett, sei es nicht perfekt oder doch, nicht versauen würde.
      Wohlig stöhnend ließ er sich neben ihr auf der Matratze nieder und seufzte, als Ember die Decke über sie bereitete. Die Wärme, die die Ermittlerin ausstrahlte und die ihr Gesicht bereits ergriffen hatte, als er ihr das Haar aus der Sicht entfernte, umfing ihn wie ein Schleier und hüllte ihn ein. August musste aufpassen, nicht vom Schlag weg die Augen zu schließen und dem Schlaf anheim zu fallen, nach dem er sich ein wenig enger an sie drückte und einen Arm geschickt um ihre Schultern platzierte.
      "Liz wird sich beruhigen", murmelte er genüsslich an ihrem Scheitel und atmete ihren Duft ein. Ob gut ob schlecht war egal, es ging einfach um die Wärme und die Realität, die ihm nach dem ewigen Kämpfen mehr und mehr entglitt. Unwissend hatte er damit vielleicht mehr mit Ruairi gemeinsam, als er tatsächlich wissen konnte.
      "Es war auch für mich verwunderlich", murmelte er mit tiefer Stimme an ihrem Scheitel, auf den er in nächster Gelegenheit einen kleinen Kuss hauchte. Ob sie es bemerkte, war ihm beinahe egal, er wollte einfach eine Art...Markierung?...setzen. Auch wenn diese keiner sah. "Laut Liz hat man Ruairi zu befragen versucht und er hat diese Piper dazu überredet, seine Handschellen zu lösen. Dummerweise hatte er damit Erfolg und in dem Moment, wo die antimagischen Fesseln fort waren, mit einem Angriff begonnen. Williams ist nicht verletzt, nur etwas verwirrt. Knight hingegen..."
      August zuckte die Achseln und versuchte das Lächeln um seine Lippen zu ersticken. "Knight hat es ins Krankenhaus verschlagen, nachdem eine Faust aus Kacheln ihn voll erwischt hat. Wohin er verschwunden ist, kann ich leider nicht sagen. Meine Leute suchen nach ihm, keine Sorge."
      Meine Leute... Eine witzige Umschreibung für "mir treue Arkana und deren Leute". Nicht dass August eine Nummer 2 hätte.
      Hinsichtlich ihrer Eltern musste er lachen und zuckte die Achseln.
      "Ich habe doch nur uneigennützige Ziele, Ms Sallow", grinste er. Ruhig drückte er sie ein wenig mehr an sich, bis er sicher war, dass sein Herzschlag sich etwas normalisierte. Alleine ihre Nähe löste Schauer über seinen Körper aus, die er kaum kontrollieren konnte. Als würden alle Muskeln gleichzeitig kontrahieren. "Ich dachte einfach nur, völlig uneigennützig und romantisch, dass du sicherlich kaum zufrieden wärest, wenn ich Arkana dort hinschicke und sie schützen lasse. Vielleicht hättest du deine Familie lieber bei dir, wo du selbst auch etwas zu ihrer Verteidigung tun würdest und da kam mir die Idee...Und mit Vorurteilen kann ich umgehen und werde mich gerne mit deinem Vater duellieren."
      Na sicher, August. Und es geschieht auch nicht aus der Tatsache heraus, dass innerlich schon das Haus in Berwick planst und dir ausnahmsweise mal nicht ein Leben in Krieg und Frieden vorstellst, sondern mit adoptierten Teilen von Familie. Ganz klar!
      All diese Gedanken waren wie ein Buch auf seinem Gesicht sichtbar, ehe er der vermutlich grausigsten Geschichte lauschte, die er seit langem gehört hatte. Freilich hatte er sich gefragt, weshalb er nie in das Schlafzimmer schauen durfte. Aber eigentlich hatte er Embers Vorsicht als größten Grund gesehen.
      Schweigsam lauschte er ihrer Erzählung und starrte dabei betreten an die Decke. Er wusste natürlich, dass es auch Rogues und Zauberer gab, die über die Strenge schlugen. Unfall oder nicht. Aber zu hören, wie ein Kind bei einem derartigen Unfall umkam, trieb ihm die Betretenheit ins Gesicht und in die Stimme. Als er sich räusperte und zu sprechen begann, klang seine Stimme rauer als sonst und tiefer. Alt und müde, wie er dachte.
      "Es tut mir Leid", murmelte er beginnend. "So leid, dass ein derartiger Unfall passieren musste. Und ein Leben mit sich nahm, was gerade erst begonnen hat. Es muss schrecklich für euch gewesen sein. Vor allem für dich. Und ich verstehe, warum du gegen mich warst zu Beginn..."
      Seufzend drückte er sie nochmals an sich und sah in die Dunkelheit hinein.
      "Ich kann...Ich kann diese Dinge nicht rückgängig machen oder dir und deinen Eltern oder sonst wem den Schmerz nehmen. Ich kann noch nicht mal etwas Gutes sagen, um euch eine andere Zukunft auszumalen. Ich kann dir nur versprechen, dass Emilys Tod nicht umsonst sein wird..."

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    • Sekündlich schien August Ember immer näher an sich heran zu ziehen und sie war felsenfest der Überzeugung, dass sie eine Hitze ausstrahlen musste wie ein Brennofen. Anders ließ sich jedenfalls nicht erklären, warum sich sein Körper so kühl anfühlte. Vielleicht zuckte er deshalb hier und da, weil sie ihm schlichtweg zu warm war.
      „Hmm, also wenn du sagst, dass du einfach so Arkana schicken kannst, klingt das schon arg mächtig“, murmelte Ember und schob ihre Hand über das frische Hemd, das er sich von Lirz geholt haben musste, an seinem Bauch. „Wusste gar nicht, dass du so einfach Arkana für Schutzaufträge abstellen kannst. Hätten das vielleicht eher mal nutzen sollen.“
      Es würde eher einem Desaster gleichen, wenn August wirklich auch nur einen einzigen Arkana in ihre Heimat geschickt hätte. Wahrscheinlich wären sie nicht mit Mistgabeln und Fackeln auf denjenigen losgegangen, eine Massenpanik hätte es dennoch ausgelöst.
      „Natürlich wäre es mir lieber, wenn ich mich zwischen meine Familie und einem Angreifer werfen könnte, als Kilometer entfernt davon zu hören. Du kennst mich....“
      Mittlerweile hatte Ember ihr Gesicht halb an Augusts Armbeuge vergraben, sodass ihre Worte leicht gedämpft erklangen. Es stimmte, früher hätte sie sich mit Händen und Füßen davor gesträubt, August auch nur den Namen von Emily zu verraten. Doch jetzt war es und vieles andere anders. Es fühlte sich sogar gar nicht so seltsam an, als sie von dem Unfall berichtete. Jedenfalls nicht so, wie sie erwartet hätte.
      „Das galt ja nicht nur dir. Ich habe sämtliche Zauberer so betrachtet weil ich im Nachhinein ja auch erfuhr, dass der Rogue es einfach nicht besser gewusst hatte. Er hat damit nicht nur ein Leben genommen sondern auch seines wie es war zerstört. Er hat den Unfall überlebt, wurde aber aus der Gemeinde ausgestoßen. Seine Familie will nichts von ihm wissen, magisches Blut wollten sie nicht in ihrer Nähe wissen.“
      Lange genug hatte Ember ihren ehemaligen Nachbarn verfolgt. Immerhin hatte sie ihm den Prozess gemacht und ihn einsitzen lassen. Jahre später kam er dank guter Führung wieder frei, doch seitdem war er wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Weitere Jahre später hatte sie eine Benachrichtigung in ihrem Emailfach. Der Rogue hatte sich selbst in die Luft gesprengt.
      „Du sollst auch gar nichts tun“, sagte sie leise. „Emily ist weg und wirklich daran erinnern tun sich nur ihr Vater und ich. Meine Eltern und Shawn tun so, als sei es nie passiert und meiden die Erinnerungen. Natürlich war ihr Tod tragisch, aber er war es, der mich erst so weit gebracht hat. Wäre ich dem verkorksten Ideal nicht so hart gefolgt, wäre ich nie an den Fall mit den Bäumen gekommen. Und schlussendlich dich.“
      Sie löste sich aus seinen Armen, um sich auf den Unterarmen aufzurichten, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Der Kerzenschein tauchte nur eine Gesichtshälfte in Licht, die andere blieb dunkel, verborgen im Schatten. In seinem Gesicht duellierten sich gerade verschiedene Gefühle und Gedanken, wie es schien.
      „Wie du sagtest. Jeder hat seine Rolle zu erfüllen und das war dann eben ihre.“
      Das machte es leichter. Auch wenn Ember nicht wirklich daran glaubte und es für töricht hielt, versuchte sie daran zu glauben. So viele Menschen glaubten an einen Gott, den es womöglich gar nicht gab, allein schon, weil es ihnen psychisch half. Warum sollte Ember dann nicht an törichte Worte glauben sollen?
      Langsam lehnte sie sich zu Augusts Gesicht hinab und hauchte ihm einen feinen Kuss auf die Lippen. „Du denkst, ich bin eigensinnig. Dann warte mal, bis du meinen Vater kennenlernst...“
    • August musste bei der Vorstellung, er könnte einfach so Arkana durch die Lande schicken, lachen. Gut, vielleicht war das etwas vereinfacht dargestellt, wie es tatsächlich war. Aber trotz der Hitze, die Ember in seinen Körper pumpte, genoß er die Nähe und das Gefühl ihrer Hand auf seiner Brust, während er kicherte.
      "Na, so einfach ist es auch nicht", wisperte er. "Es ist vielmehr so, als dass einige der Zauberer mir noch etwas schuldig sind. Dazu kommt, dass ich ihnen meist Dinge erzähle, die auf eine akute Gefahr für ihr Gebiet hindeuten und sie kommen meist selbst darauf, aktiv zu werden. Es ist das schöne mit Mächtigen...Sie wollen ihre Macht halten. Mit allen Mitteln. Und wenn damit gedient ist, dass du deine Familie schützen kannst, ist es mir das zumindest wert."
      Wer weiß, wie viele Anfragen ich noch stellen kann, dachte er sich und seufzte wohlig.
      "Manche Rogues können es nicht kontrollieren", begann er. "In Zeiten, wo es noch keine staatliche Ausbildung gab, war es sogar noch schlimmer. Die Zauberer versuchten alle, sich selbst der Magie nahe zu bringen und am Ende war es mehr ein Desaster als alles andere. DIe meisten Versuche der Rogues enden in einem Scheitern. Daher habe ich mir in den Zwanzigern ein paar Rogues gesucht, die andere unterwiesen, die wieder andere unterwiesen. Mit den Jahren brachten erfahrene Rogues Neulingen mehr und mehr Kniffe und FÄhigkeiten bei, jedoch konnten wir nie alle erreichen. es gab immer derartige...Unfälle..."
      Ruhig atmete er einmal durch und sah Ember schließlich von oben herab an.
      "Der Zauberer...", begann er erneut, wissend um das Heikle des Themas. "Hat er überlebt?"
      Auf ihre letzte Anmerkung konnte er nur nicken. Es gab nichts gutes dazu zu sagen, denn sie hatte Recht. So schrecklich dieser Unfall war, aber er hatte sie alle zusammen geführt. Eine sture Ermittlerin, einen manisch-depressiven Zauberer und schlussendlich auch eine ganze Horde merkwürdiger Gestalten.
      "Jeder hat seine Rolle...", wiederholte er und sah sie schließlich ebenso an.
      Sie sah wunderschön aus in diesem Gegenlicht. Beinahe so als hätte der Schatten nach ihr gegriffen und es nicht geschafft, dieses wundersame Territorium für sich zu erobern. Ruhig erwiderte er den hauchfeinen Kuss, der lediglich ein Prickeln auf den Lippen hinterließ und ihn kurz erschaudern ließ.
      "Ich bin schon sehr gespannt...", murmelte er grinsend. "Erzähl mir von ihnen. Was machen sie so? Was machen sie beruflich? Wie sind sie so?"

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    • „Ich kann es ja wirklich verstehen. Wenn es niemanden gibt, der einen lehren kann, dann muss man eben selbst die Grenzen des Machbaren ausloten. Wirklich, ich kann das nachvollziehen. In meinem Dorf ist es ja nichts anderes. Die Menschen haben Angst vor der Magie und schließen sie kategorisch aus. Wenn dann plötzlich jemand bemerkt, dass er doch mit Auren arbeiten kann... Was soll er denn machen, außer im Verborgenen ausprobieren?“
      Es hatte lange gedauert bis Ember diesen Gedankenweg folgen und akzeptieren konnte. Die Vorwürfe, egal in welcher Richtung sie auch ausgesprochen sein wollten, waren einfach zu schwer gewesen. Irgendwann war ihr aufgefallen, dass sie den Rogue absichtlich schlechter dargestellt hatte, als es die Faktenlage besagte, und das nur, damit sie das Bild eines schlechten Menschen hatte. Damit sie sich keine Vorwürfe machen musste, kein Gram spüren konnte.
      „Ob er den Unfall überlebt hatte? Ja“, beantwortete sie die Frage unverzüglich. „Er hatte nur etliche Verbrennungen, aber das war es schon. Ich habe ihm damals den Prozess machen und hinter Gitter bringen können. Er ist dank guter Führung eher entlassen worden.“ Sie machte eine kurze Pause, in der sie die Erinnerung aus dem Kopf schob, wie sie die betreffende Email damals öffnete. „Er hat sich Jahre später selbst in die Luft gesprengt. Warum weiß niemand.“
      Nach ihrem Kuss machte es sich Ember wieder bequem an Augusts Seite und verschwand dabei fast vollständig unter der Decke. Sie mussten sich eng aneinander legen, damit die Decke sie beide voll umfing.
      „Rupert, mein Vater, ist Landschaftsgärtner. Ich bin durch ihn ans Angeln gekommen, das war so seine Passion irgendwann. Er hat sich einmal mit June, meiner Mutter, verkracht und ist dann mit mir im Schlepptau an den See gefahren. Da hab ich meinen ersten Karpfen gefangen. Wobei es genau genommen seine Angel war und nicht meine.“ Man konnte das Lächeln in ihrem Gesicht ihrer Stimme anhören. Es schlich sich eine ungeahnte Wärme in ihre Worte, sobald sie über ihre Familie sprach. Jeder hatte seine Dispute, sie war da keine Ausnahme, aber trotzdem liebte sie ihre Eltern. „June ist leidenschaftliche Hausfrau, gelernt hat sie aber Gastwirtschaft. Sie hatte zwar nie ein eigenes Etablissement, hat aber lange Zeit in dem einzigen Restaurant gearbeitet, das wir haben. Sie sind beide vor kurzem in Rente gegangen – mein Vater wegen seines Rückens und meine Mutter hat sich als Hausfrau wie gesagt entdeckt. Sie bringt den Mädchen und allen, die es interessiert, traditionelle Hausmannskost bei. Ich sag dir, sie kann wahnsinnig gut kochen.“
      Shawn und Ember waren immer sehr beliebt gewesen in der Kindheit. Einfach schon deswegen, weil June allen was zu essen gemacht hatte, wenn eines ihrer Kinder seine Freunde mit nach Hause brachte.
      „June ist unglaublich schreckhaft und eher reserviert. Sie hat sich nie von dem Schock erholt, als Rupert eine sechs Meter hohe Leiterin heruntergefallen war und sie von seinem Handy angerufen hatte, doch bitte einen Krankenwagen zu bestellen. Anstelle es selbst zu machen, schickte er seine Frau vor... Ich versteh's bis heute nicht.“ Leise lachte Ember als sie daran zurückdachte. „Rupert ist ihr Gegenstück. Dickköpfig, laut und meint, nur sein Wort zählt. Das klingt alles viel schlechter als es ist. Er ist eben sehr eingefahren in seiner Meinung, erst recht nach dem Vorfall mit Emily.“
      Forschend schickte Ember eine Hand unter der Decke Augusts Körper hinab bis sie auf der Oberseite seines Oberschenkels zur Ruhe kam und sie ihn sanft mit ihren Fingerspitzen kraulte.
      „Da fällt mir ein, was ist mit deiner Familie? Außer der potenziell untergetauchten Schwester und der brillanten Forscherin als Mutter? Ich hab kaum was von deiner Familie gehört...“
    • August genoss den Moment. Diesen kleinen, beinahe unscheinbaren Zeitpunkt nach dem geteilten Kuss, der die Wärme noch beherbergte und gleichsam bereits die Ruhe sich über den Leib legte. Während Ember wieder halb unter der Decke verschwand, grinste August und sah mit geschlossenen Augen an die Decke, um ihren Worten zu lauschen.
      "Genau das war damals das Problem", murmelte er. "Rogues waren wie Wilde, die sich auf unterschiedliche Weisen Magie beibrachten. Tote, Verwundete oder Verstümmelte waren dabei nichts seltenes. Es muss hart gewesen sein, zu dieser deiner Erkenntnis zu gelangen. Vor allem wen ein Rogue dir derartig Wichtiges genommen hat..."
      Er beschloss, es dabei zu belassen. Alte Wunden zu reanimieren war niemals gut. Und Emily war nicht zu retten, so viel musste gesagt werden. Auch der Rogue war nicht mehr zu retten und doch war es erschreckend, dass es noch immer derartige Fälle von wildem Training gab.
      Seufzend lauschte er der Erzählung über ihrer Familie und lachte zwischenzeitlich immer wieder kurz auf. Auch wenn er sie noch nicht kannte, bekam er mehr und mehr das Bild eines recht normalen Ehepaares. Erschreckend normal, wagte er beinahe festzustellen.
      "Warte, warte", begann er kurz, nachdem sie abgeschlossen hatte. "Du angelst?! Du angelst wahrhaftig?!"
      Neben dem kurzen Gekicher wurde sich August einer Sache recht schmerzlich bewusst. DIe liebevolle Art, wie sie über ihre Familie sprach, war recht neu für ihn. Eine emotionale, beinahe liebevolle Ember zu erleben, war ein Novum, das er nur aus kurzen Gesten kannte. Gut, wie hätte er es auch herausfinden können? Ihre kurzen Stelldichein waren eher lustvoller Natur gewesen und keines davon mochte er missen. Aber es fehlte zumeist diese Wärme, die er gerade regerlecht spüren konnte, während sie sprach.
      "Deine Eltern klingen beide sehr sympathisch. Jeder auf seine Weise", murmelte August lächelnd und streichelte ihr sachte über den Rücken. "Ich habe lange keine Hausmannskost mehr gegessen..."
      Lange war gut. Zählten 150 Jahre als "lange" in diesem Zusammenhang? Das Schreckhafte der guten June machte ihm etwas Sorge und er sollte zumindest James' Tobsuchtsanfälle unter Kontrolle kriegen, wenn man so darüber nachdachte. Jeglicher weiterer Gedanke jedoch wurde merklich erschwert, als er ihre Finger auf seinem Oberschenkel fühlte und erst dann bemerkte, dass der ganze Weg, den ihre Finger auf seinem Körper schritt, eine brennende Spur hinterlassen hatte. Ein Ziehen regte sich in seinem Unterleib und August musste grinsen.
      Sieh mal einer an, dachte er belustigt. Da kämpfte man gegen über 100 Zauberer an einem Tag, war nahe des Todes und zum Schluss auch noch gejagtes Vieh und trotz allem, dass ihm alles wehtat und er kaum Arme und Beine heben konnte, funktionierte dieser Teil seines Leibes offenbar bestens. War ja klar.
      "Meine?", murmelte er. "Puh...Du hast kaum etwas gehört, weil es in meinen Augen keinen Sinn machte. Eine Familie zu beschreiben, die es nicht mehr gibt. Aber gut..."
      August holte Luft und sah an die Decke, um sich den Gesichtern gewahr zu werden.
      "Ich bin ein Bastardsohn", begann er. "Mein Vater und meine Mutter waren nicht verheiratet. Ich kenne meinen Vater nicht gut, da er zu dieser Zeit verheiratet war und bereits eine Familie hatte. Ich war das Resultat einer Affäre. Ich weiß lediglich, dass mein Vater William hieß und in einer Bank gearbeitet hat. Meine Mutter hieß Dolores und war - wie du weißt - eine Rogue der noch wilden Tage. Sie lernte die Magie auf eigene Faust und begann mit der Zeit mehr und mehr in dieses Dunkel abzutauchen. Ja, sie war brillant, aber sie war auch leichtsinnig, wenn man es so sagen darf. Wir Kinder hatten immer viel Spaß, weil in unserem Haus damals allerlei lustige magische Konstrukte herum irrten oder ständig irgendwas stank, zischte oder explodierte."
      Kichernd schüttelte August den Kopf.
      "Außer mir hatte ich drei Geschwister. Zwei ältere Brüder, Leander und Abimael. Und meine Schwester, Charlotte. Sie war jünger als ich. Meine Brüder stammten von einem Vater, der aber vor meiner Geburt plötzlich im Krieg starb. Und Charlotte war die Tochter eines Mannes, der meiner Mutter immer assistierte. Er war jünger damals als sie und es war ein ausgewachsener Skandal in der Kleinstadt in der wir lebten. Meine Ma war leider kein Kind von Traurigkeit und wir Kinder mussten uns damit arrangieren, dass stets andere Männer in unserem Haus ein und ausgingen. Zumeist stellte sie sie mir und meinen Brüdern als Kollegen oder Forschungsgehilfen vor. Mit der ZEit wussten wir jedoch, dass sie andere Interessen verfolgte."

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    • „Ja, ich angle? Aber nur noch manchmal, meistens fehlt mir schlichtweg die Zeit dazu wegen der Arbeit. Meine ganze Ausrüstung steht im Keller. Das war mein Ausgleich, wenn mir auf der Arbeit alles über den Kopf wuchs oder mich die Sticheleien irgendwann zu sehr mitgenommen haben. Nichts ist entspannender als an einem abgelegenen Fleckchen Erde am Wasser zu sitzen und die Umgebung auf einen wirken zu lassen.“
      Eine geraume Zeit lang war Ember zusammen mit ihrem Vater rausgefahren zum angeln. Als es mit seinem Rücken schlimmer wurde, war das lange Sitzen nicht mehr ganz so erträglich und die gemeinsame Zeit am See kam zu einem Stillstand. Doch noch immer war es ihr Ruhepol, wann immer sie die Zeit dafür erübrigen konnte.
      „Sie sind halt das, was man als normal beschreiben würde“, stimmte sie August zu und reckte sich unter der Decke, als er ihren Rücken streichelte. Die Kälte, die sie hier auf Schritt und Tritt zu begleiten schien, verwand immer weiter aus ihrem Empfinden. „Solltest du die zwei wirklich hierher bekommen, kann ich June ja lieb fragen, ob sie mit den vorhandenen Mitteln was zaubern kann. Ich hab gehört, sie braucht nur ein Feuer und einen Topf, fast wie im Mittelalter. Irgendwelche Vorlieben?“
      Ember lachte leise bei der Vorstellung, wie ihre Mutter vor einem Dreibein aus Holz mit einem schwarzen Kessel über einem Lagerfeuer stand und mit einem Holzkeil im Inneren rührte.
      Das warmherzige Lachen verklang als August dann von seiner Kindheit erzählte. Unentwegt kraulten ihre Finger weiter sein Bein, eine stumme Zusicherung, dass sie noch bei ihm war. „Das heißt also, dein Vater war gar kein Zauberer? Hm, irgendwie hatte ich erwartet, dass beide deiner Elternteile magisch begabt waren und nicht nur einer. Was genau beherrschte deine Mutter eigentlich?“
      Eine Affäre also... Das klang so, als habe August nie das gehabt, was für Ember so normal und langweilig gewesen war. Keine intakte Familie, die einen geschlossenen Verbund signalisierte. Keine vier offenen Arme, die ihn empfingen und festhielten, wenn er es brauchte.
      „Von deiner Schwester wusste ich, aber nicht von zwei Brüdern. Waren sie alle ebenfalls magisch begabt? Dann kann ich mir vorstellen, dass ihr wirklich viel Spaß gehabt hattet. Deine Mutter war doch vermutlich nicht sonderlich alt, und da hatte sie schon vier Kinder? Erstaunlich....“ Oder fahrlässig. So wie August es beschrieb, war sie vielmehr auf das fokussiert, was sie interessierte und Spaß bereitete. Kinder oder eine Familie schien nicht unbedingt dazu zu zählen, auch wenn sie ihre Kinder scheinbar nie vernachlässigt hatte. „Ihr wurdet ja auch älter. Ist doch verständlich, dass es irgendwann klar ist, wenn der Durchgangsverkehr so hoch ist. Aber dann hattet ihr ja nie eine wirkliche Vaterfigur. Vermisst du das?“, fragte sie leise.
    • August lächelte versonnen über die Vorstellung einer schnaubenden Ember, die mal keinen Fisch fing. Irgendwie hatte es neben dem komödiantischen Effekt durchaus etwas amüsierendes und er beschloss, es bei einem kurzen Kichern zu belassen.
      "Glaube ich dir gerne", bestätigte er und seufzte. "Fürs Angeln hatten wir nie Geld. Angeln waren zu teuer zu meiner Zeit."
      Es war merkwürdig, so von seiner Vergangenheit zu sprechen und gleichsam zu wissen, dass dies schon über 100 Jahren her war. Man sprach von den Zwanzigern des 20. Jahrhunderts. Es erschien ihm so weit fern, dass es sich wie die Geschichte eines Anderen anhörte, wenn er so darüber sprach.
      "Normal ist etwas gutes, Ember", grinste er versonnen und doch stahl sich die Traurigkeit auf sein Gesicht zurück, als er nicht wachsam genug war. "Sogar etwas sehr gutes...Vorlieben, hm...Also nicht wirklich. Ich mag Cottage Pie sehr gerne, aber ich nehme, was ich kriegen kann. Überlebensinstinkt, denke ich. Und wenn sie nur einen Topf und Feuer braucht, soll sie beides haben. Ich denke, dann bringen wir auch James dazu, länger zu bleiben. Er kann wirklich nicht kochen..."
      August verzog das Gesicht in Ekel, während er danach wieder in eine ruhige Erzählweise verfiel. Für diesen Moment war er dankbar für die Hand auf seinem Bein, die ihn an die Realität erinnerte, die er zu schaffen begann. Sie alle waren ihrer Zukünfte Schmied, wenn man es genau betrachtete.
      "Nein, mein Vater war ein Mensch. Und ziemlich barsch mit Zauberern, wenn man es so betrachtete. Er mochte Mutters Magie nicht wirklich. Ich erinnere mich an Streitigkeiten, aber wenig von ihm. Eines Tages kam er einmal zu unserem Haus und verlangte nach meiner Mutter. Er interessierte sich nicht für mich oder meine Geschwister."
      August zuckte mit den Achseln.
      "Meine Mutter beherrschte die selbe Magie wie ich, war aber wesentlich begabter darin. Ich war das unbegabteste Kind der Familie mit der wenigsten Aura seit Jahrzehnten. Ich wurde oft verspottet, damals bei den Spielen. Meine Brüder waren beide magiebegabt. Mein ältester Bruder, Leander, übernahm die Fähigkeiten seines Vaters. Er war ein recht begabter Feuermagier. Mein anderer Bruder, Abimael, beherrschte die Flammen ebenfalls, war aber noch mächtiger als Leander. Er konnte seine Flammen blau werden lassen. Ich mochte das Farbenspiel als Kind sehr gerne. Charlottes Fähigkeiten haben wir nie wirklich ergründen können, vor der Katastrophe. Es schien, als könnte sie irgendwie alles und nichts."
      Hinsichtlich des Alters seiner Mutter musste er lachen.
      "Das kann man sehen wie man will", murmelte er. "Es waren andere Zeiten, Ember. Zeiten, in denen es nicht ungewöhnlich war, dass Rogues mit siebzehn oder achtzehn Jahren bereits Eltern waren. So auch meine Mutter. Sie war recht...umtriebig, möchte ich meinen. Einen Vater vermisst?"
      Eine kurze Weile überlegte der Zauberer und seufzte.
      "Manchmal, ja. Ich kenne es nicht, dass mich ein Vater maßregelt. Charlottes Vater war ein guter Mann, ich mochte ihn gerne. Er war recht lange bei uns, gemessen an dem...Durchgangsverkehr, wie du es nanntest. Aber ein Vater war er nicht. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die sich nicht für mich oder meine Interessen, mein Wachstum interessiert hat, sodass ich wie ein freigelassener Wirbelsturm war. Mir war es gleich, wer zu Schaden kam, ich wollte einfach besonders sein..."
      Und so wurde er besonders. Mithilfe des Tores, dachte August grimmig und seufzte.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Tatsächlich stolperte Ember darüber, als sie unweigerlich an ihreKindheit dachte und nicht an die Zeitepoche, der August eigentlich entstammte. Die Irritation milderte sich merklich als sie noch einmal nachrechnete, bis wohin sie wirklich zurück gehen musste. Erst dann konnte sie kaum merklich nicken bei dem Kommentar, dass sie kein Geld gehabt haben konnten. Aber Forschen war drin gewesen.... Also doch verschobene Werte?
      „Nein, kochen kann er nicht. Er kann ja nicht einmal die richtigen Dosen kaufen und aufwärmen“, kicherte Ember, die sich wegen der ekelige Pampe in der Schale schüttelte. „Lass June einfach einen Zettel mit Zutaten schreiben. Ich fürchte, sonst traut sie sich nicht es dir zu sagen.“
      Also war sein Vater wirklich nicht das gewesen, was man sich gewünscht hätte. Nicht nur, dass er scheinbar nie da gewesen war, sondern auch, dass er keinerlei Interesse an seinem eigenen Sohn gehegt hatte. Wenn er doch so wenig auf die magischen Künste von Dolores gab, wieso hatte er sich dann überhaupt auf sie eingelassen? Weil sie ihn einfach gekonnt verführt hatte?
      „Es klang auf jeden Fall sehr bunt. Und wenigstens hattet ihr als Geschwister bis dahin ein gutes Verhältnis. Das macht schon viel aus. Wenn ich daran zurückdenke, wie Shawn mich behandelt hatte nach dem Unfall mit Emily... Furchtbar sowas. Dass die Eltern einen abschätzig behandeln passiert, aber wenn du mit deinem Geschwisterkind eigentlich richtig dick warst und er sich plötzlich weigert auch nur mit dir zu sprechen.... Nein, das muss ich nicht noch einmal haben.“ Sie drückte ihr Gesicht fester an seinen Körper. „Ich verspreche dir, dass ich herausfinde, wo Charlotte hin verschwunden ist.“
      Wenigstens das wäre etwas, dem sie hinterher jagen konnte, sollte der Plan scheitern. Wenn sie es doch nicht schaffen sollten, August in dieser Welt zu halten und sie sich eines Tages allein wiederfinden würde. Dann brauchte sie einen neuen Ansporn, etwas, was sie daran erinnerte, dass ihre Taten nicht sinnlos waren.
      „Jeder will irgendwie einen Abdruck in der Welt hinterlassen, oder etwa nicht?“ Ember tauchte aus der Versenkung wieder auf und richtete sich soweit, damit sie Augusts Gesichts im Profil ansehen konnte. „Sehen wir lieber das Gute, das wir jetzt haben. Wäre es anders gelaufen, hättest du andere Eltern gehabt und andere Interessen, keine Magie, dann wären wir uns nicht mehr über den Weg gelaufen. Dann wäre dein Einfluss auf die Menschen, die in dieser Zeitepoche leben, null und nichtig. Egal, was passiert, ich werde dich nicht vergessen.“
      Zärtlich strich Ember mit der Hand, die eben noch auf seinem Bein gekrault hatte, über Augusts Wange, die sich rau unter ihrer Haut anfühlte. Blessuren und Schnitte waren nicht ganz so schnell verschwunden, wie sie es sich gewünscht hätte. Aber vielleicht würde morgen das Bild anders aussehen. Wenn das Haus nicht mehr im Dunkel lag und sie das Gefühl hatte, in jeder Wand stecke ein Paar unsichtbarer Augen.
    • Innerlich musste August kichern, als er Embers verstörtes Gesicht betrachtete, während sie versuchte, der Zeit habhaft zu werden, um die sie sprachen. Selbst für ihn war das alles so weit weg. Einem Traume gleich beinahe, der einen vergessen ließ, dass dies keine Geschichte war, die ein Fremder erlebt hatte, sondern wahrhaftig und wahr.
      Ruhig fuhr seine Hand über ihre Schulterblätter und er lächelte.
      "1888", murmelte er und sah an die Decke. "Mein Geburtsjahr. Ich bin 1888 geboren in Northumberland. Aufgewachsen bin ich in Bamburgh Shores bis zum Verschwinden meiner Familie am 14. September 1904. Noch immer steht das alte Foremar Haus auf einem kleinen Hügel in den Shores. Zumindest die Überreste. Dann ist das Rechnen leichter."
      Er schloss damit und versuchte, das Bittere auf seinem Gesicht nicht Überhand nehmen zu lassen, während er an die alten Mauern und das Gelächter darin dachte. Es war schön und zugleich verfolgend grausam, wenn er sich gewahr wurde, dass seine Schwester und seiner Brüder nie wieder um ihn herum lachen würden. Nie wieder eine Berührung und nie wieder nur ein Wort des Lobes, der Anerkennung oder gar der Liebe. August Foremar war das, was er immer zu sein gefürchtet hatte. Von Liebe verlassen.
      "Ja, es war eine schöne Zeit", murmelte er, während er sich die Gesichter vorzustellen versuchte. Und es nicht schaffte. "Wir hatten ein gutes Verhältnis und eigentlich waren wir allesamt erpicht darauf, die Welt zu verändern. Die Welt zu sehen und ihrer habhaft zu werden. Wir hielten uns für die Könige und Königinnen der Welt. Wenn man an der Eingangstür genau schaut, wirst du sogar kleine Kronen dort entdecken, die wir hinein geritzt haben. Vier an der Zahl. Vier verborgene Könige. Arkane Könige..."
      Sachte schüttelte er den Kopf und schluckte Tränen hinunter, ehe er sich räusperte.
      "Warum hat es dir Shawn übel genommen? Du konntest nichts für den Tod der kleinen Emily", sagte er. Auf ihr Versprechen hin musste er grinsen.
      "In Ordnung, Ember Sallow", murmelte er mit tieferer, rauer Stimme. "Ich nehme dich beim Wort."
      Die Aussicht, dass sie das Rätsel lösen konnte, war verschwindend gering, aber es war schön zu hören, dass sie es versuchen würde. Selbst wenn er nicht mehr da war.
      "Das stimmt", nickte er. "Ich wäre vermutlich ein Schreiber geworden oder hätte auch in einer Bank gearbeitet. Vielleicht wäre ich mit einer Familie gesegnet gewesen und hätte mich an das Leben selbst verschwendet. Keine Ahnung. Wir sind hier und das ist wichtig. Ich danke dir, dass du mich nicht vergessen wirst. Das bedeutet mir viel. Sehr viel sogar."
      Ruhig lag er zurück im Kissen und fühlte eine beiernde Schwere in seine Knochen rauschen. Als würde ihm die Kraft verloren gehen merkete er erst jetzt wie erschöpft er eigentlich war.
      "Wir sollten schlafen", murmelte er müde. "Wir haben viel vor, morgen."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Es war mehr als ein Jahrhundert, das Ember und August von einander trennte. Wenn es das Tor und das damit verbundene Unglück nicht gegeben hätte, wären sie sich wahrlich niemals über die Wege gelaufen. Aber vielleicht hätte August dann ja ein schönes Leben haben können. Eines, wie er es sich gewünscht hatte. Nun gab es dort, wo die Überreste seines Familiensitzes lagen, nur noch Trümmer und alte Erinnerungen. Auch diesen Ort setzte Ember gedanklich auf ihre Liste der Plätze, die sie irgendwann einmal besuchen musste. Und so, wie er gerade von seinen Geschwistern und sich sprach, war sie sich doch sicher, dass er zumindest in diesem Aspekt eine normale Kindheit genossen hatte.
      „Shawn war noch deutlich jünger als ich. Er hat sich leicht Dinge von meinem Onkel und unserem Vater abgekupfert und da die es auch nicht besser wussten, haben sie es mir in die Schuhe geschoben. Und Shawn dann eben auch weil er nicht wusste, wie er sonst damit umgehen sollte. Er war zusammen mit Rupert und June am Unfallort aufgetaucht und hat ihre Leiche in meinen Armen gesehen. Im Endeffekt war das alles, was sie gesehen haben. Und eben die zersprengte Scheune im Hintergrund. Also hat sich da wohl irgendwas in seinem Hirn so verknüpft, dass er annahm, es war meine Schuld.“ Ember zuckte mit den Schultern, was durch die Nähe zu August etwas beschränkt ausfiel. „Ich nehm's ihm nicht übel. Er kann sich auch nicht mehr so recht daran erinnern.“
      Die Schuldgefühle und die Verurteilung waren sowieso längst erkaltet. Die Trauer war größtenteils in Stein gemeißelt und suchte sie nicht mehr an jeder Ecke ihres Verstandes heim. Die Blicke und die Anspannung, die sie in der Anwesenheit ihrer eigenen Eltern verspürt hatte, war mittlerweile verschwunden und wenn man es nicht wusste, würde man nicht meinen, dass dort einst eine tiefe Schlucht zwischen Eltern und Kind geklafft hatte.
      „Du hast viel vor“, murmelte Ember leise, kuschelte sich an den Rogue und ließ das Reden endlich bleiben.

      Die Nacht verlief erstaunlich ruhig. Ember wurde nicht zwischendurch wach und die Kälte war einer allumfassenden Wärme gewichen, die sich allerdings nur auf den Bereich unter der Decke beschränkte. Ganz der Morgenmensch, der sie war, rollte sie sich schon fünf Minuten später aus dem Bett, zog sich ein wenig missmutig die gleichen Klamotten wieder an und steckte ihre Füße in die matschigen Stiefel.
      Bei Tageslicht wirkten die Farben im Raum sogar noch abstruser. Das Dunkel hatte einiges an 'Charme' des Zimmers verschluckt und mit neuer Abscheu ließ Ember den Blick durch das Zimmer schweifen ehe sie den Kopf schüttelte und auch August die Decke vom Leibe riss. So gern sie sich einfach wieder dazu gelegt hätte – sie hatte besseres zu tun als in dem Haus ihrer verstorbenen Verwandten Sex zu haben. Jedenfalls jetzt und ungeduscht. Das Thema war auch noch eine weitere Baustelle.
      Zusammen kamen sie die Treppe hinunter in die Küche, aus der sie Geräusche hörten und das Zischen von Kochgeschirr vernahmen. Was anfänglich noch ganz gut roch musste jedoch nicht unbedingt gut schmecken und Ember ertappte sich dabei, wie sie wünschte, dass Liz statt James das Frühstück machte.
      Der Mann vor dem Campingkocher erstickte ihre Hoffnungen im Keim. Steif blieb Ember im Türrahmen stehen, während sich August an ihr vorbei zwängte. Sie presste ihre Lippen zusammen während sie nachdachte, was sie sagen sollte und entschied sich am Ende für das Erste: „Nach dem Desaster versuchen Sie es erneut mit Essen, James?“
      Von Liz war noch keine Spur zu sehen, also war sie vermutlich noch oben und würde wohl später zu ihnen stoßen. Oder sie hatte sich bereits verselbstständigt in dem Versuch, dem Haus seine Geheimnisse abzuluchsen.
    • "Wo sich die Pfade kreuzen liegt mein Herz in einer Eichentruhe
      Sieben Fuß begraben, könnt ich es nur wiederhaben? Bitte bitte!
      Lehmige Erde und der alte Muskel zuckt dort ohne Ruhe
      Sechsunddreißig Jahre wart' ich und ich habe so abartig stark gelitten"



      Ein Morgen wie ein Urgewitter.
      James Hawthorne hatte in einer besseren Hundehütte im ersten Stock genächtigt und sich unter dem Quietschen seines Bettes schließlich der Müdigkeit ergeben, die über ihn hereingebrochen war wie eine Welle von Schmerz. In aller Herrgottsfrühe, während alle selig schnarchten, hatte er sich aufgemacht und angezogen. Eine kurze SMS an Nance und die Familie, dann war er hinab gestiegen und hatte sich im Foyer des Hauses ein wenig umgesehen. Hier stimmte etwas nicht. Es war fast so merkwürdig wie das eine Mal, wo August ihm die Fotos des alten Foremar Hauses gezeigt hatte. Ob das Magie war?
      In Gedanken ergeben, hatte sich James in aller Ruhe an das Frühstück gemacht, während er seinen Magen beruhigte. Und doch, trotz der händischen Beschäftigung, kreisten seine Gedanken um dieses Haus, Ember Sallow und August Foremar. Sie alle hatten sich über die wenige Zeit ihres Beisammenseins so stark verändert, dass er sich kaum mehr an den grausamen August erinnern konnte. Und Sallow...Sie hatte sich auch verändert. Da war etwas in ihrem Blick, an ihrem Gehabe. Es stimmte etwas nicht.
      Als er Schritte auf der Treppe hörte blickte er eilig über die Schulter.
      Ember und August. Einträchtig wie ein Ehepaar, oder zumindest Geliebte. Vielleicht waren sie das auch insgeheim, es kümmerte James nicht sonderlich. Grunzend nickte er in ihrer beider Richtung und wies mit dem KInn auf das Wetter draußen.
      Staubiger Dunst lag über dem Moor und ein sanfter Regen hatte eingesetzt, der rhythmisch auf das Dach prasselte.
      "Scheißwetter", murmelte er. "Und ja, ich versuche es nochmal. Eier und Speck. Wird mir wohl gelingen."
      August nickte und sah in die Pfanne. Das Ei war trocken und der Speck verbrannt. Aber sein Leib schrie regelrecht nach Kalorien, sodass er bereit war, selbst diese Todesfalle von Frühstück zu verzehren.
      "Ich bin gewillt, das anzunehmen..."
      "Mir scheiß egal. Entweder du isst was, oder du lässt. Und SIe hören auf mich zu siezen. Ich habe mehr Scheiße hinter irgendwem weggeräumt, als mich noch siezen zu lassen."
      August grinste breit, während er sich neben Ember auf einen Stuhl fallen ließ.
      "Was beschäftigt dich, James", fragte er.
      "Komm mir jetzt nicht so!"; knurrte der Polizist. "Du weißt was. Das Haus. Was ist mit diesem Scheißding? Ich habe die halbe Nacht das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden und selbst jetzt...Es ist gruselig hier drin..."
      Dass James Hawthorne einmal das Wort gruselig erwähnte, ließ August aufhorchen. Er fühlte sich mies ohne eine Dusche und würde es nur kaum aushalten. Sobald seine Kräfte wieder da waren, sollte er irgendetwas organisieren.
      "Wenn starke Magie gewirkt wird, hinterlässt sie Spuren...Das wisst ihr."
      "Ja, Spuren! Betonung liegt auf Spuren! Dass hier ist ein verdammter Dampfhammer!"
      August nickte.
      "Beruhig dich. Wir sind hier, um es heraus zu finden. Ich schlage vor, dass wir uns um das Haus kümmern, während Liz die Apparatur für meine Forschung aufbaut...Dazu werde ich noch etwas Hilfe brauchen..."
      James seufzte und verfrachtete Eier und Speck auf drei Stahlteller und schob sie den beiden hin. Sorgsam ließ er sich auf einen Stuhl fallen und begann, in dem knochigen Gemüse herum zu stochern.
      "Was für Hilfe?", fragte James kauend.
      "Ich möchte, dass du Perley anrufst und ihm gleich zwei bis drei Adressen durchgibst. Er soll Arkana anrufen und sie darum bitten, die Personen aufzulesen und sie für mindestens vier Tage packen zu lassen. Anschließend sollen die Arkana sie herbringen."
      JAmes sah kurz zu Ember und zog die Augenbrauen hoch.
      "Ist was passiert?"

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    • Entgegen eines besseren Wissens hatte sich Ember wieder auf dem angestammten Stuhl von gestern sinken lassen und damit begonnen, die Küche bei Tageslicht zu betrachten. Sicher, das Wetter draußen brachte nicht das beste Licht, aber alles war besser als der dürftige Kerzenschein von gestern Abend. An den Wänden waren Flecken, wo einst Bilder gehangen hatten und der Charme der ehemaligen Küche war nicht vollkommen verblasst. Nachdenklich ließ sie ihre Hände über das raue Holz der Tisches gleiten, fuhr hier und da tiefere Kerben ab und bildete sich ein, woher sie stammen mochten.
      Wirwissen, dass es Spuren hinterlässt, ja. Aber es ist nicht nur James aufgefallen, dass hier was komisch war.“ Jetzt, nachdem sie nicht ein bisschen angetrunken sondern vollkommen klar war, war es nicht mehr nur dieses Beobachtet sein, was ihr auffiel. „Ich hab dich gestern doch danach gefragt, ob du was außergewöhnliches spürst. Nur James und ich fühlen uns so seltsam beobachtet. Weder du noch Liz merkt davon etwas. Ich halte das nicht für einen Zufall.“
      Dann fluchte Ember leise. Sie hatte schon damit angefangen, das Haus zu untersuchen ohne es wirklich zu wollen. Hier in der Küche war sie am sinnieren, was mit dem Tisch geschehen war. Die Frage, was für Bilder dort gehangen haben stand im Raum. Im Schlafzimmer ein Stock höher war irgendetwas unter den Fenstersims gemalt worden, was ihr aufgefallen war. Wenn sie jetzt noch damit anfing, einzelne Bilder zusammenzusetzen, war das definitiv schon als Nachforschung zu bezeichnen.
      „Wir müssen...“, begann Ember und seufzte schließlich genervt weil sie es eigentlich nicht laut aussprechen wollte. Es klang wahnsinnig selbstsüchtig, was sie verlangte und dass August dafür sogar Arkana mobilisieren wollte. „Wir müssen einen Teil meiner Familie hierher bringen. Aus... Sicherheitsgründen. Und eine weitere Adresse im Herzen Londons wenigstens überwachen lassen. Das, was wir hier anstellen werden, wird sonst eine Gefahr für einen bestimmten Kreis Menschen darstellen.“
      Sie beschloss, dass verbrannter Bacon besser war als weiter mit James darüber zu sprechen, warum sie ihre Liebsten bei sich haben wollte. Vermutlich würde er sich sowieso schon das restliche Bild zusammensetzen können, wenn er sich noch an ihre Widerworte gestern Abend erinnerte.
      Folglich versuchte sie den zerbröselnden Bacon aufzuspießen. „August, ich beschreib dir mal aus der langweiligen, menschlichen Sicht, wie sich das Haus hier anfühlt. Ich habe das Gefühl, als wenn wir ständig beobachtet werden. Gestern hätte ich zum Beispiel geschworen, dass es versteckte Augen in den Wänden gibt oder Leute darin eingemauert worden sind.“ Energisch kratzte das Besteck auf dem Teller, während sie gegen den Speck kämpfte. „Trotzdem hab ich das Gefühl, willkommen zu sein. Wäre das hier nicht so eine Bruchbude, wäre es sogar ziemlich heimelig, und das ist seltsam. Aber heute ist es nochmal anders.“
      Womöglich weil sie einfach nicht mehr so unter Druck stand und sich wehrte. Seufzend gab sie den Kampf auf und legte den Kopf in den Nacken. An der Decke war ein dunkler Fleck, der ihr gestern noch gar nicht aufgefallen war. Er zerlief zu den Seiten hin. Öl vielleicht?
      „Wenn ich mich bewusst entspanne und mich nicht unbedingt feindselig dem Ganzen hier gegenüber verhalte, dann überkommt mich das Gefühl, als wenn ich an jeder Ecke nur ein bisschen den Blickwinkel verändern müsste und dann kämen alle möglichen Erinnerungen zurück. Mein Urgroßvater hatte mir als Kind vor seinem Tod viel von dem Haus erzählt, aber wir dachten, das seien einfach nur olle Geschichten. Mittlerweile bezweifle ich das.“
      Die Frage war, was sie hier finden würden. Warum um dieses Haus so ein Geheimnis gemacht wurde und warum ein verdammter Zarr sie davon abhalten wollte, nachzuforschen. Was sollte denn großartig passieren? Sie war keine göttliche Einheit und besaß keine Magie. Sie war eine der Ameisen auf der Erde, die allein nicht viel bewerkstelligen konnten.
    • Das Frühstück schmeckte grausig.
      August nahm einen Bissen und fühlte sich an die Zeit zurück erinnert, in welcher es kein Essen gab. Kriegsfutter wurde es damals genannt. Grässliches Zeugs. Der Bacon schmeckte nicht einmal mehr rauchig. Es schmeckte nach Bösem.
      Würgend versuchte er eine besonders krosse Stelle herunter zu würgen, während Ember in Erklärungen verfiel. Innerlich musste August lachen, auch wenn sein Äußeres mit dem Essen kämpfte, das ihm vorgelegt war. Ember untersuchte das Haus bereits ohne es zu wissen. Vielleicht würde sie sich besser fühlen, wenn sie ihre Lieben in Sicherheit wusste. James hingegen verfiel in nachdenkliches Starren, während Ember erklärte. Der Plan war aberwitzig und leider auch nicht ohne Tücke. Normale Menschen in eine Horde von Zauberern zu werfen, wenn einer davon ein halbirrer Wahnsinniger namens Foremar war, war keine gute Idee.
      "Seid ihr...", begann er und verschluckte sich an einem flüssigen Stück Ei. "Seid ihr sicher, dass das eine gute Idee ist?"
      August würgte eine ganze Portion hinab und seufzte, ehe er James ansah.
      "Es ist die einzige Idee, die ich habe. Ember darf offiziell nicht ohne Konsequenzen dieses Haus durchsuchen und erforschen. Wir müssen es aber tun, damit wir hinter diesen ganzen Irrsinn kommen. Also bringen wir das schützenswerte her und schützen es mit eigener Kraft."
      James grunzte.
      Begeistert war er nicht, das sah man ihm an. Auch viel eher auf die Aussicht, Zivilisten in ein Kriegsgebiet zu schleppen, sollte dieser dämliche Zar seine Drohung wahr machen.
      Embers Erklärung zu dem Gruseligen des Hauses fand er tatsächlich recht passend, weshalb er einträchtig nickte, während August Sallow ansah und förmlich an ihren Lippen klebte.
      Ab dem ersten Satz glitten Gedanken durch den Kopf des Zauberers, als er versuchte, die Beschreibungen zu verstehen und gleichzeitig nach einer Lösung für etwas zu suchen, für das es kaum Lösungen gab. Allerdings juckte dort etwas in seinem Unterbewusstsein, als sie die Beschreibung beendete.
      "Gut...", murmelte August und schob den Teller halb gegessen von sich. Mehr ging nicht, sonst würde er erbrechen. "Also diese BEschreibung klingt nicht nach normalen Spuren..."
      "Was du nicht sagst", schnaubte James und schüttelte den Kopf. Er sehnte sich nach einer Zigarette.
      "Sofern in einem Haus Magie gewirkt wurde hinterlassen sich automatisch Spuren. Aber diese wären mittlerweile verkommen. Was jedoch merkwürdig ist, dass ich rein gar nichts spüre. Als würde sich das Haus vor mir verstecken. Oder bewusst verbergen. Bedenkt man jedoch eure Empfindungen und die Tatsache, dass es euch nicht feindlich gesonnen scheint, gibt es noch die Möglichkeit eines Spionagezaubers aus alter Zeit..."
      James sah ihn fragend an und sah gott sei dank dieselbe Frage auf Embers Gesicht.
      "Im dunklen Krieg, damals vor der Jahrhundertwende, spionierte man sich mit Magie aus. Man hinterließ ein Objekt oder eine Art Aurareminiszenz und ließ diese durch eine Art externe Energiequelle aktiv. Dadurch konnte man quasi in den Ort des Geschehens "sehen" oder "hören". Die Zauber waren unheimlich kompliziert und energieintensiv, aber das wäre vielleicht die Lösung..."
      Zu Ember gewandt, wirkte er jedoch nachdenklich.
      "Was für Geschichten hat er erzählt? Welche genau?"

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    • Ember blickte schweigsam zu James herüber. Ob es eine gute Idee war oder nicht stand nicht mehr wirklich zur Debatte. Schließlich hatte sie schon ganz andere Einfälle verfolgt, die wesentlich prekärer gewesen waren als dieser hier. Die Gefahr, dass die Aktion die mühsam geflickte Brücke zwischen Ember und ihren Eltern wieder auseinanderriss, war nicht unerheblich und sie hatte noch nach ihrem Gespräch mit sich gehadert, ob sie es August auch so direkt sagen sollte oder nicht. Shawn würde kein Problem darstellen, immerhin hatten sie ihn damals wegen des Sharoks schon in ihre Kreise gerissen und er war nicht vollkommen wahnsinnig geworden. Aber Rupert und June waren eine ganz andere Hausnummer. Auch sie hatten die Berichte über den berüchtigten Foremar gelesen und bis heute hatte ihre eigene Tochter ihnen nie berichtet, dass sie diejenige gewesen war, die ihn aus Evenstar gelassen hatte. Ganz davon zu schweigen, dass sie eine Beziehung hatten.
      „Natürlich sind das keine normalen Spuren. James und ich würden uns nicht die ganze Zeit so paranoid umsehen, wenn uns das bekannt vorkäme“, meinte Ember, die den Kampf gegen den Speck verloren und sich dem gummiartigem Ei gewidmet hatte. „Ein Spionagezauber, den du nicht kennst? Ich bin entrüstet. Aber mal im Ernst, das ergibt keinen Sinn. Wenn die Sallows ihre Fähigkeiten abgaben oder sich...“
      Sie runzelte die Stirn und hielt kurz inne. Das hier war die Residenz der Sallows und was auch immer man mit dem Haus angestellt hatte, wirkte noch immer nach. Sie war davon ausgegangen, dass der Zauber aus der Zeit stammte, wo die Sallows keinerlei magische Begabung mehr hatten. Aber dann hätten sie diese seltsame Gefühl auch bemerkt. Oder wenn sie da schon Jäger gewesen waren und ihre Ziele hierher geladen haben, dann mussten sie sie nicht mehr überwachen... Die Möglichkeit, dass es nicht die Sallows selbst waren, die den Zauber ausgeführt hatten, kam ihr erst verzögert in den Sinn. Genauso wie die Tatsache, dass der Zauber sogar noch älter sein mochte als sie dachten.
      „Liz hat die Wand berührt bevor du kamst und auch direkt gemeint, dass es abnorm ist. Hat sie dir aber vermutlich gestern schon erzählt.“ Irgendwie schade, dass sie nicht wusste, was Liz ihm sonst noch so alles erzählt hat. Oder gegeben hat. Oder getanhatte. „Lass mich nachdenken, ich war da noch ganz klein und Shawn ein Baby. Er hat uns damals von einem Haus inmitten eines Waldes erzählt, was er als Junge wohl öfter besucht hatte. Seine Geschichten klangen immer ein bisschen verklärt, so wie man es Kindern eben erzählt. Er sprach von nischigen Ecken, Türen, die zu anderen Räumen manchmal führten und ein Flüstern, das aber nur Kindern hören konnten. Ich hab's für Märchen gehalten, so wie er das damals erzählt hat.“
      Mit einem Seufzen richtete sich Ember auf und schob auch ihren Teller etwas von sich. Was gäbe sie nicht für einen Lieferdienst, der ihnen allen einfach eine normale Speise wie Pizza oder dergleichen brachte.
      „In dem Zimmer, wo wir geschlafen haben, ist irgendwas unter den Fenstersims gekritzelt. Ich hab's gestern Nacht aber nicht mehr gut sehen können ohne Licht. Aber wenn du sagst, dass es eine externe Energiequelle geben muss, dann sollte man die doch finden können. Wobei es mich wundert, dass du auch da nichts spürst... Liz meinte, die Wände wären schon praktisch vollgepumpt. Vielleicht gibt es dann kein Objekt, sondern das ganze Haus steht auf besagter Quelle?“
    • Bist du nichts als Mauerwerk gewesen
      Und füllten Echos jeden kahlen Raum?
      War'n an Wänden Botschaften zu lesen
      Innen bloß, entziffert nur im Traum?

      Wie lange würde es dauern?
      Wie lange bräuchten der Regen und der Wind
      Bis alle steinernen Mauern
      Und alle Schuld endlich abgetragen sind?



      Embers Anmerkung hinsichtlich Liz nahm August beinahe amüsiert zur Kenntnis, während er sich erhob und unter dem Gespräch der beiden anderen zur Waschspüle wanderte. Sorgsam goss er sich Wasser in ein Glas und nahm einen Schluck, während alle seine Sinne das gesamte Haus abzusuchen schienen.
      Doch nichts. Nicht einmal ein Atmen, ein Wispern oder Jauchzen aus den Wänden oder Möbeln. Nichts verriet die Anwesenheit von irgendetwas in diesem Haus. Als verberge es sich vor seinem Sein oder seinen Sinnen. Schweigsam wandte er scih um und sah Ember mit einem schwachen Lächeln an, auch wenn der Ernst sich nicht aus seinem Gesicht verbannen ließ.
      "Es gibt durchaus Zauber, die ich nicht kenne", sagte er und nickte. "Ja, es ergibt wenig Sinn. Weshalb also sollte man eine Familie überwachen, die keinerlei magische Fähigkeiten mehr hat? Möglichkeit A wäre, dass die Sallows ihre Kräfte nicht wirklich verloren haben. Möglichkeit B, und leider auch wesentlich wahrscheinlicher, ist die Tatsache, dass diese Zauber nicht von Sallows gesprochen wurde."
      "Also Freunden der Familie?", fragte James und lehnte sich zurück.
      August schüttelte den Kopf.
      "Ich vermute eher Feinde. Warum sollten sich Freunde überwachen? Ich vermute eher, dass es Feinde waren, die dieses Haus verzaubert haben."
      Oder es war schlimmer. Viel schlimmer. Und der Zauber war uralt. Und es gab Zaubersprüche, die mit den Jahren mächtiger und mächtiger wurden.
      "Dann sollten wir Liz damit vielleicht zuerst betrauen", murmelte August, während James sich die Hand vor die Stirn haute. DIeser Junge hatte wirklich kein Taktgefühl. "Liz ist eine bessere Detektorin als ich und wenn sie sagt, dass es abnorm ist, sollten wir dem nachgehen, denke ich."
      Erst danach wurde August bewusst, dass er erneut sprach, ohne nachzudenken. Warum auch denken, wenn man ein magisches Rätsel hatte? Eines das Jahrhundert alt war. Auch wenn es unpassend war, begannen die Augen des Zauberers bei der Aussicht, ein Rätsel zu lösen, zu leuchten. Brennend vor Neugierde hielt es ihn beinahe nicht an Ort und Stelle, während er Ember lauschte, die von den Geschichten ihres Verwandten berichtete. Nichts daran wirkte in einer Art und Weise wunderlich. Nur das Flüstern...
      "Was war das für ein Flüstern? Hat er es mal genauer beschrieben? Und welche Türen, die in andere Räume führten? Ich meine...Vielleicht sollten wir mit unserem Zimmer anfangen, wenn dort etwas gemalt war."
      Die Aufregung hatte mittlerweile seine Stimme erreicht und klang wie ein aufgeregtes Zittern, während er mit leuchtenden Augen in Richtung der Treppe lugte. Ein Rätsel. Ein gigantisches Rätsel. August war im Himmel!
      "Wenn das Haus auf einer Quelle stehen würde, würden wir sie alle bemerken. Nein, es muss graziler sein, versteckter. Wer auch immer den Zauber gesprochen hat, war durchaus bewandert in seiner Kunst. Vermutlich ist es ein Artefakt oder ein komplizierter Bann..."
      "Du weißt schon, dass du klingst wie ein Junkie?", fragte James und sah ihn mit heraufgezogener Augenbraue an.
      "Was?! Verleumdung und Rufmord, James."
      "Ich bitte dich, du sabberst."
      "DU sabberst!", konterte August eloquent und seufzte.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Ember senkte den Blick. Wenn es eine andere Fraktion gegeben hat, die diesen Zauber gesprochen hatte, dann konnte sie nur feindlich sein. Wer würde die Sallows, die ja wohl ihre Verbindung zur Magie aufgegeben haben, noch als Gefahr und Feind betrachten?
      Natürlich diejenigen, die die Sallows als Jäger kannten. Es wäre hilfreich zu wissen, welches Ziel das nächste gewesen wäre oder wie die Familie strukturiert war. Das alles gelang aber nur, wenn die Machenschaften als Jäger schon bekannt und gefürchtet waren und wer würde sich dann noch in die Nähe des Sitzes einer Jägerfamilie wagen? Das waren viel zu viele Unbekannte in einer Gleichung, die Ember nicht aufstellen konnte.
      Als August aber wieder diesen Namen erwähnte, konnte sie das Augenrollen nicht unterdrücken. Ja, womöglich machte sie ihren Job tadellos, aber das machte ihre Art mitnichten besser erträglich. Da müsste schon eine Menge passieren, damit Ember Liz bei der nächsten Gelegenheit nicht eine Faust ins Gesicht jagte. Ganz unabsichtlich natürlich.
      Während Ember ihre Augen endlich von der Decke löste und lieber aus August richtete, mit dem sie sich schließlich auch unterhielt, sah sie seit langem einen neuen Ausdruck in seinen Augen. Über die Monate hatte sie diverse Lichter in diesen Iren gesehen, und sie hatten vor zahllosen Emotionen geglüht. Aber dieser Ausdruck, dieses Glitzern, kannte Ember noch nicht. Ganz vage erinnerte sie sich an ihr erstes Treffen zurück, wo ein ähnlicher Ausdruck in seinen Augen gelegen hatte. Doch damals waren seine Augen noch getrübt worden von anderen Gewissheiten wie heute.
      „Du stellst sehr viele.... Fragen“, bemerkte Ember argwöhnisch und sah unverhohlen dabei zu, wie sich die Aufregung in jede Zelle des Rogues zu fressen schien. Und nicht nur das. Seine ganze Stimme war von einem Tremor geprägt, der Ember regelrecht überrumpelte. Sie wusste ja, dass er Forscher im Herz war, aber hatte er vergessen, wessenFamilie hier gehaust hatte?
      „Er hat das Flüstern natürlich nie weiter beschrieben, weil wir auch nie danach gefragt haben. Aber gut, wenn du sagst, dass ihr eine Quelle unterhalb des Hauses gespürt hättet, dann war die Vermutung wohl nicht richtig.“ Wäre ja auch zu schön gewesen anzunehmen, dass einfach Magie durch die Wände pulsierte und sie der Grund war, warum das Haus noch nicht vollkommen zerfallen war. „Okay. Das heißt, es müsste irgendwo eine Auffälligkeit geben, die wir entdecken können. Lass mich James die Adressen geben. Ich kann erst suchen, wenn ich weiß, dass diejenigen hier sind...“
      Daran wollte sie gar nicht erst denken. Nicht daran denken, was passieren könnte, wenn sie vorher schon Untersuchungen anstellte. Vielleicht sollte sie sich einfach die Ohren zuhalten und so tun, als wäre sie gar nicht hier. Draußen spazieren gehen und ein bisschen.... Nein, das wäre auch schon eine Art der Nachforschung. Sie war verdammt, tatenlos in einem Haus ihrer Ahnen zu sitzen.
      Genervt ließ sie sich nach hinten in die Lehne ihres Stuhls fallen, die bedrohlich knarzte. Wie verkorkst konnte das Alles denn noch werden? Das hier war ihre Familie gewesen, ihr Blut und ihre Geschichte. Und trotzdem wusste sie rein gar nichts davon. Weder, dass sie zu dem Kreis der Entdecker gezählt hatten noch dass dieses Anwesen überhaupt existiert hatte. Sie hätte zu diesem Ort irgendeine Form der Beziehung haben müssen, doch alles, was sie spürte, war diese fehlgeleitete Heimeligkeit und das Gefühl, beobachtet zu werden. Am liebsten hätte sie den Wänden einfach den Mittelfinger gezeigt in der Hoffnung, dass derjenige, der sie beobachtete, die Geste verstand und dass es überhaupt noch ankäme.
      „Ob man testen kann, ob etwas passiert? Kann man herausfinden, ob es am anderen Ende noch jemanden gibt, der die Bilder von hier empfängt?“, dachte sie laut nach, um den aufkeimenden Frust zu ersticken.
    • August brauchte einen Moment, um Embers erste Anmerkung zu verdauen.
      Selten sah er wirklichen Argwohn in letzter Zeit in Embers Augen, doch als er jetzt hinsah, sah er es deutlich hervor lugen. Und aus irgendeinem Grund schien er getroffen, denn er zog sich mit leicht hängenden Schultern ein wenig von der Begeisterung zurück. August kannte die Blicke von Menschen und Zauberern, die seiner Begeisterung nicht folgen konnten. Die sie auch nicht verstanden. Ein kleines Jucken in seinem Hinterkopf ließ ihn den Hals dehnen und sich beruhigen, während er wieder hinüber sah.
      "Du hast Recht", sagte er merklich kälter als noch zuvor, als er von dem Zauber geschwärmt hatte. "Entschuldige. Ich wollte nicht unhöflich sein. Es ist das Haus deiner Familie und das Schicksal der Deinen. Ich war unsensibel."
      "Geht doch", murmelte James und erhob sich nach Embers weiteren Erläuterungen.
      "Gib mir die Adressen", sagte der Polizist. "Ich rufe Perley an und lass ihn die Arkana schicken. Besondere Wünsche?"
      August zuckte die Achseln und überlegte eine Weile, in der er seine Brille an dem Shirt putzte, das ihm Liz mitgebracht hatte.
      "Ich denke, es wäre gut, wenn nicht der Richter oder andere radikale Arkana dort hingehen. Schick Emmett zu Embers Freundin mit ihrem Kind. Ich denke, Eva sollte ausreichend sein, um die Familie Sallow hierher zu bringen. Wenn Shawn nicht dort ist, senden wir Isabella dorthin. Sie sollte noch in London sein. Sie sollen sich bereit halten, hierher gebracht zu werden, wenn sie die Leute aufgegriffen haben. Sag perley, sie sollen sich melden."
      James nickte und sah Ember anschließend an.
      August jedoch überlegte weiter und versuchte, die Aussagen von Ember und die Empfindungen, die er selbst nicht empfinden konnte, in Einklang zu bringen. Derartige Banne konnten einfacher und komplizierter Natur sein. Wenn es einfach war, würde es ausreichen, kurzzeitig seine Aura in voller Stärke zu aktivieren. Dies würde vermutlich jedoch die Anwesenden in eine Ohnmacht schicken...
      "Es gibt Tests", murmelte August und verschränkte die Hände vor der Brust. "Wenn wir den Rezipienten, das Empfangsartefakt kennen, können wir auch sehen, wer zuhört. Sollte es so einfach sein, reicht es aus, eine ausreichend starke Aura zu aktivieren und dem Signal durch einen magischen Detektor zu folgen. Wenn es sich um einen komplizierten Bann handelt, wird es nicht ganz so einfach. Erstaunlich ist, dass der Zauber offenbar nur nichtmagische Menschen tangiert und beeinflusst."

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