Dusk & Dawn [Asuna & Nico]

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • In viel zu vielen Augenblicken ihres Lebens hatte Ember Sallow ihre Gefühle nicht unter Kontrolle. Gerade in ihrer Anfangszeit war sie stets unglaublich engagiert, aber derart übermotiviert, dass sie schwierig zu führen gewesen war. Mit der Zeit hatte sie lernen müssen, dass sie in ihrem Job nicht immer nach außen tragen konnte, wie sie sich fühlte. Denn das stand ihr schneller im Weg als es ihr half.
      Genau das stieß Piper offensichtlich nicht nur bitter auf. Die Wut, die sich nun offen von ihr entlud, schlug gegen Embers augenscheinlich eiskalte Abgebrühtheit. Dabei wusste die Ermittlerin schlichtweg, wie man sein Innerstes bei der Arbeit abkehrte. Anders waren viele der Grausamkeiten sonst nicht zu ertragen. Also ließ Ember Piper ihre Wut abbauen und hielt einfach nur ihrem Blick stand. Auch dann, als sie von Mitchell zu sprechen begann. Jenem Mitchell, der mit seiner Frau und Kindern prahlte während alles andere an ihm kühl und distanziert wirkte. Fran war sein Lebenslicht gewesen, da hatte er nie einen Hehl draus gemacht. Innerlich graute es ihr davor, ihm gegenüber zu treten. Einfach nur, weil sie mit so viel Schmerz zu gute Bekanntschaft geschlossen hatte.
      Ein wenig zu zögerlich ging Embers Blick zu Ruairi, als dieser allen Punkten zusprach. Offener wurde ihr Blick jedoch, als er bestätigte, Knight geschlagen zu haben. Er hatte den Commissioner mit einer Faust geschlagen. Nicht mit Magie, nicht mit Worten, nur mit seiner Faust. Aus aberwitzigen Gründen, wie sie hoffte, es jedoch besser wusste. Auch darüber würden sie ein Wörtchen reden müssen. Abgelenkt wurde sie jedoch von dem Stückchen Papier, das sie in ihrer Dienstzeit bereits einmal gesehen hatte. Da war sie es jedoch, die es ausgegeben hatte, als sie einem Vorgesetzten zurecht Korruption vorgeworfen hatte. Etliche Herzschläge lang blickte sie die schwarzen Worte auf dem weißen Papier mit dem leeren Strich an, wo ihre Unterschrift hin sollte. Dann schoss ihr Blick wieder in die Höhe und fraß sich regelrecht in Pipers.
      Schneller als so mancher Kollege hatte sich Ember nach vorn gebeugt und mit einer bestimmenden Bewegung die Hand auf das Tongerät geschlagen, dessen rotes Licht prompt erlöschte. Ihre Stimme war noch immer ruhig, aber schneidend. „Um zuallererst eine Sache richtig zu stellen: Im Zentrum dieser Scheiße steht ganz bestimmt nicht nur eine Person, und erst recht nicht ich. Geben Sie mir ruhig die Schuld, dass ich MacAllister in meine Angelegenheiten mit reinziehe, aber geben Sie nicht mir die Schuld an den Toten. Ich habe weder eine einzige Person da getötet noch jemanden dazu beeinflusst. Das wird jetzt hässlich klingen, aber das Töten haben Leute wie Sie übernommen.“ Ember konnte nicht zu Ruairi schauen. Sie wollte es so nicht ausdrücken, aber unter diesen Umständen ging es nicht anders. „Ich war diejenige, die zwischen die Fronten geschickt und übergangen worden ist. Und wenn Sie auch nur auf die Idee kommen zu behaupten, mich lassen die Opfer kalt, dann sprechen wir uns nach Feierabend gerne noch mal.“
      Damit nahm Ember die Hand von dem Gerät, das mit einem Piepen die Aufzeichnung wieder begann. Zum Ende hin hatte sie ihre Stimme nicht mehr so ruhig halten können, weshalb sie mit einem hörbaren Durchatmen wieder ordentlich Platz in ihrem Stuhl nahm.
      „Mit meinen Informationen wäre die Operation kein Desaster gewesen? Sie wäre erst gar nicht zu Stande gekommen weil die Arkana sich nicht versammelt hätten. Und wenn doch, dann wären sie in die versammelte Gruppe der mächtigsten Rogues der Welt gelaufen und dann hätten wir wesentlich mehr Todesfälle zu verantworten gehabt. Es wurde eine verdammte Barriere aufgezogen und der Saal evakuiert bevor Ihre Operation da gestürmt hat. Das war ein klar defensives Verhalten, das mit Gewalt vergolten wurde obwohl nicht einmal ein Versammlungsverbot verhängt worden war.“ Das hätte sie nämlich mitbekommen.
      Also verschränkte Ember die Arme und versuchte erneut in kürzester Zeit abzuwägen, was relevant war und was nicht. Der Elefant im Raum war klar und mit den Zeugenaussagen dürfte es nicht allzu lange dauern, bis man die Welt identifiziert hätte. „Die einzige Information, die vielleicht etwas gebracht hätte, wäre die Identität der Welt. So wie es klang, hat sie ja mindestens dreißig Mann mitgerissen, bevor sie abgehauen ist. Das Arkana der Welt wird bekleidet von Siobhan MacAllister. Sie hat sich in der Versammlung zu erkennen gegeben und sich dafür ausgesprochen, den aktuellen Sprecher der Arkana, Foremar, abzusetzen und gegen die Menschen und Caster sich zur Wehr zu setzen. Sie plant sich gegen die Menschen und Caster zur Wehr zu setzen.“
      Pause. Ember sah deutlich den Blick, den Piper zu Ruairi warf, aber selbst er müsste wissen, dass man schneller auf seine Schwester kam, als es ihm lieb war.
      „Erkenntnisse zu Dices: Es wird mit Artefakten ausgelöst. Die Augenzahl bestimmt, welcher Effekt eintritt, wobei ich nur weiß, dass bei neun und drei der Würfelwurf weitergegeben wird, bei sechs und acht muss man nochmal würfeln. Und dass der Würfel elf Seiten hat, statt zwölf. Wie auch immer das möglich sein soll.“
      Damit beendete Ember ihre vorläufige Aussage und griff nach dem Stift, der zwischen den Papieren lag. Glücklicherweise hatte sie ihr Handy vorher 'zufällig' entsorgt und auch in ihrer Wohnung gab es kaum etwas, das Schwierigkeiten auslösen sollte. Das Waffenarsenal war eingetragen, ihr Arbeitszimmer nur mit legalen und nicht kritischen Dingen ausgestattet. Und den Würfel... tja, der war noch immer in einer ihrer Taschen. Mit einer abgehackten Bewegung schob Ember das unterschriebene Schriftstück wieder zurück zu Piper.
    • In meinem Kopf regieren Zorn und Wahn
      Der Geist versklavt und ihnen Untertan
      Ich kann mich nicht von dir befreien
      Solang du bist, kann ich nicht sein

      [ASP - Raserei]


      Wut ist ein Gift, geneigter Leser.
      Ein Gift, gesponnen von mächtigen Spinnen in unseren Köpfen, welche die Wahrnehmung verzerren und uns nicht mehr klar sehen lassen. Es legt sich ein roter Schleier vor die Augen und das Lied des schwarzen Schmetterlings erklingt lauter dieser Stunden.
      Piper Williams war dieser giftig Agonie Untertan. Ihr Verstand hatte sich bereits von dem Gift zersetzt, dass den Verlust ihrer Freunde und Kollegen betonte. Dass die Leichen sah und die Verletzungen an ihnen allen. Und nur diese beiden vor ihnen mehr oder minder schadlos von dannen ziehen konnten. Selbst ihren geliebten Ruairi, der nun betreten nach unten sah und Ember Sallows Worten nicht einmal Gehör schenkte, wie es schien, hatte sie in diesem Moment vergessen. Ja, er hatte seinen Job gemacht aber zu welchem Preis? Für diese...Person!...hatte er alles aufgegeben und sogar mit Foremar paktiert! Zusammen gekämpft, wie es Brüder oder Gefährten tun! Für sie!
      Kurz überlegte Piper, ihre Fähigkeiten zu nutzen und einen kurzen Moment lang flammte ihre Aura auf, sodass selbst Ruairi aufsah. Entgegen aller Erwartung sagte Piper nichts mehr zu allem, was Ember vorbrachte, auch wenn es sie innerlich berührte und das Feuer erneut aufstachelte. Sie beschloss, nach Embers Ausbruch eine ebenso stoische Fassade aufzulegen und ihr nur innerlich die Pest an den Hals zu wünschen. So etwas wie diese Frau war keine Polizistin. Sie war eine Einzelgängerin. Nicht besser als diese Rogues, die sie alle am liebsten tot sehen wollten.
      Piper nickte zu ihren Informationen und notierte sie trotz Tonaufnahme artig mit.
      Beim Namen der Welt zuckte sie kurz zusammen und sah zu Ruairi, der sie lächelnd ansah.
      "Ja, wir sind verwandt. Sie ist meine Schwester", bestätigte er.
      "Haben Sie das gewusst?"
      "Bis zu diesem Tag nicht. Aber es hat mich genauso überrascht wie Sie", log Ruairi schamlos und ohne den Verzug einer Miene.
      Die Erkenntnisse zu Dices nahm sie zur Kenntnis und anschließend auch das unterschriebene Dokument an sich.
      "Wenn das stimmt, was Sie sagten, dann finden wir diese Erkenntnisse in Ihrer Wohnung und Ihren Notizen. Wir werden sogleich ein Team dorthin schicken und die Informationen holen. Bis dahin sind Sie sämtlicher Ämter im Polizeidienst enthoben und vorläufig festgenommen bis zur Klärung der Sachlage. Dies gilt auch für Sie, Mr MacAllister."
      Ärgerlich drehte sie sich zur Seite und sprang regelrecht vom Stuhl auf. Sie musste hier raus. Musste aus diesem Raum, der ihr die Luft nahm. Wütend pochte sie an die schwere Eisentür und rief:
      "Dooley, bringen Sie MacAllister in die Zelle und Sallow an die gegenüberliegende Seite des Gebäudes."
      Es tat sich nichts. Keine Bestätigung, kein Aufziehen der Tür. Als wäre gespenstische Stille eingetreten, hob nun auch Ruairi den Kopf und sah zur Tür.
      "Etwas stimmt nicht"; murmelte er zu Ember.
      "Dolley, Gottverdammte Eselspisse!", fauchte Piper an der Tür und riss sie schließlich selbst auf. "Alles muss man hier selbst machen! Dooley bringen SIe MacA-"
      "Pip!"
      Dooley war gar nicht vor der Tür. Wo er hätte sein sollen! Wieso war er nicht dort? Und wieso kam er die Treppe hinauf gesprintet und sah aus wie der lebende Tod?!
      "Pip!", rief er nochmal und kam schlitternd vor ihr zum Stehen. "Wir haben ein Problem. Ein gewaltiges."
      "Was denn jetzt?"
      Was konnte noch schlimmer sein als Ember Sallow und ihre Arroganz und Ruairi, der auch noch den Chief geschlagen hatte?
      "Der Richter steht in der Lobby."
      Jep, das war schlimmer.


      Die Lobby des PD

      Um 22:17 Uhr betrat der Richter das Polizeipräsidium.
      Das wäre an sich ein harmloser Satz, bedachte man den Grundton. Ein Richter betritt das Präsidium. Eigentlich normal, oder? In diesem Falle eher nicht.
      KJetil Prestegaard, gebunden durch das Versprechen seines Retters, blickte in angstvolle Gesichter. Bleiche, kalte Augen starrten ihn an und nahmen Abstand, obgleich er wie die Polizisten einige Verletzungen davon getragen hatte. Sein weißes Haar klebte noch von getrocknetem Blut und seine blassblauen Augen glitten über die Masse an pointierten Waffen auf seiner Brust. Gott, sie sollten doch langsam verstehen, dass dieses Waffengefuchtel nichts bei ihm ausrichtete. Der Richter legte den Kopf schief und holte Luft.
      "Ich sage es nochmal", begann er mit volltönender, tiefer Stimme. "Ich verlange die Herausgabe von Ember Sallow. Jetzt!"
      "Bleiben Sie wo Sie sind!", rief eine schwache Stimme und sorgte für ein helles, beinahe fröhliches Gelächter.
      Hinter Prestegaard stand eine hochgewachsene Frau. Und hochgewachsen traf es wirklich. Sie überragte selbst den Richter um eine Haupteslänge und maß über zwei Meter. Ihr Haar war von der Farbe flüssigen Feuers und das knöchern wirkende Gesichter blickte amüsiert zu den Polizisten. Zwei wulstige Narben brachen die schöne Stirn und die weißlich blitzenden Augen, wohingehend eine weitere unter ihrem Schlüsselbein nach unten lief. Die Polizisten kannten diese Frau. Sie war nicht so bekannt wie die Arkana, aber jeder kannte sie. Geboren als Aslaugh Birkisdottir stammte sie einer langen Reihe von Zauberern ab, die in Norwegen und Island große Fürstentümer besaßen. Ihre Fähigkeiten waren genauso bekannt wie ihr Äußeres, das als Schauergeschichte durch die Schwarze Stadt geisterte. Jeder fürchtete sich vor der Nummer 2 des Richters. Die Frau, welche den Schwarzmarkt kontrollierte und nicht zimperlich mit ihren Feinden umging.
      Die Frau, die man die "dunkle Königin" nannte.
      Piper brauchte nicht lange, um die Situation als ausweglos einzuschätzen. Schweigsam sah sie hinab und wurde selbst weiß wie die Wände um sie herum. Seufzend atmete sie durch und sah zurück in den Raum.
      "Sallow", murmelte sie und sah sie an. "Sie haben die Wahl. Der Richter verlangt nach Ihnen. Sie können mitgehen. Ich habe nämlich keine Lust auf noch einen sinnlosen Kampf. Sollten Sie es aber nicht wollen, werden wir Sie unter Einsatz unseres Lebens verteidigen. Was darfs also sein?"

      Spoiler anzeigen
      No2Richter.jpg

      Name: Aslaugh Birkisdottir
      Alter: 47 Jahre
      Größe: 2,03 m
      Magie: Take-Over-Magie (Typ: Mythische Übernahme - Dschinn)

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Noch immer wirkte Ember wie ein Fels in der Brandung. Sollten sie ihre Wohnung doch durchsuchen. Alles, was sie in ihrem Büro finden würden, deckte sich mit dem, was sie gerade offenbart hatte. Das Heiligste, ihr Notizbuch, war an einem Ort außerhalb ihrer Wohnung versteckt. Einem Ort, der vermutlich nur eine andere Person in den Sinn kommen würde und die eh keinen Grund hatte, das Buch zu suchen. Dass man sie beide ihrer Ämter enthob, war übliches Prozedere, wobei es schon sonderbar war, dass man Ruairi in eine Zelle steckte und sie ans andere Ende des Gebäudes. Warum da? Da gab's keine Zellen mehr, sondern....
      Allerdings wurde Ember in der Sekunde hellhörig, als sich rein gar nichts tat. Stille legte sich in den Raum während Ember Ruairi einen flüchtigen Blick zuwarf. Dass etwas nicht stimmte, war mehr als offensichtlich. Doch Piper war dermaßen aufgebracht, dass sie sich darum nicht scherte. Sie riss eigenmächtig die Tür auf und eröffnete Ember eine Aussicht auf einen leeren Flur. Leise hörte sie eine Silbe, die gerufen wurde, die sie auch als Dooley erkannte. Irgendwas in seiner Stimme versetzte sie sofort in Alarmbereitschaft. Und dann hörte Ember einen einzige Satz, der ihr nun wirklich die Angst in die Glieder trieb.
      „Wieso marschiert Prestegaard einfach hier rein?“, fragte Ember atemlos eher sich selbst und warf einen weiteren Blick zu Ruairi, der ebenfalls an Farbe im Gesicht verlor. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Hatte Ember ihn nicht während der Versammlung bekehrt? Er wirkte doch gebrochen, erledigt und geschlagen. Hatte die Wut über die erneuten Verluste nun so weit gereicht, dass er sie höchstpersönlich stellvertretend für alle noch im Präsidium zu Brei schlug? Oder... gab er etwas auf diesen dämlichen Satz mit dem Anspruch? Das hatte sie Ruairi noch gar nicht erzählt. Oder er war für Ruairi hier. Natürlich. Er war gefallen für den Platz des Magiers. Sie wollten ihn holen. Nicht sie.
      Das war Embers Hoffnung, so verquer sie auch sein mochte. Bis zu dem Augenblick, als sich eine kreideweiße Piper an sie wandte und ihr die unrühmliche Wahrheit mitteilte. Embers Augen weiteten sich marginal. Sie hatte den Kampf erwartet, ja. Aber nicht hier. Nicht inmitten von Kollegen. Nicht dort, wo er mit Menschen dasselbe anstellen konnte wie mit den Gräsern und Bäumen, wie es der Doppelgänger gezeigt hatte. Für eine grausig lange Minute schwieg Ember, dann stand sie langsam auf. Man hatte ihr die Waffen abgenommen. Sie war praktisch nackt bis auf den Würfel und dem, was sie am Leibe trug. Wenn er kämpfen wollte, hatte sie keine Chance. Nicht eine. Nicht einmal Backup, denn der trug antimagische Fesseln.
      „Sind Sie wahnsinnig?“, sagte sie mit belegter Stimme als sie sich zur Tür schob. „Eben noch haben Sie mich ins Fegefeuer gewünscht und jetzt wollen Sie mich verteidigen? Dann zählt mein Argument nicht mehr, dass ich nicht im Zentrum des Scheiße stehe.“ Ganz kurz, so schwer es ihr auch fiel, schenkte sie Ruairi ein schmales Lächeln. Mit Gram auf dem Gesicht wollte sie ihn nicht das letzte Mal gesehen haben. „Lassen Sie mich erst mal mit ihm.... reden.“
      Reden war gut. Reden tat niemanden weh und das konnte sie immerhin ausnutzen. Trotzdem kaschierte es nicht den steifen Gang, den sie zur Treppe in die Lobby an den Tag legte und noch an der ersten Stufe stehen blieb. Da unten, mit gebührendem Abstand umkreist, stand tatsächlich Kjetil Prestegaard. Er war noch immer vom Kampf gezeichnet, sein helles Haar war rostrot an einigen Stellen gefärbt. Das allein wäre schon beeindruckend gewesen, allerdings hatte er da noch jemanden im Schlepptau und langsam aber sich fühlte sich Ember taub an. Die Riesin an seiner Seite mit dem unaussprechlichen Namen war ihnen allen bekannt. Dass der Richter es für nötig hielt, seine Nummer 2 mit hierher zu bringen, war alles andere als ein gutes Zeichen.
      Als hätte der Arkana sie gespürt, lag sein Blick plötzlich auf Ember und sie versteifte sich unwillkürlich. Nein, sie wollte nicht da runter und zu ihm gehen. Allerdings wollte sie auch nicht hinter den Polizisten stehen, von denen sie schon genug verloren hatten.
      „Mr. Prestegaard, was kann ich für Sie tun? Wenn möglich würde ich das gerne... friedlich regeln?“
    • Die Situation als vertrackt zu bezeichnen, käme beinahe einem Hohn gleich.
      Prestegaard hatte sich prominent in die Mitte der Lobby gestellt und blickte recht amüsiert zu den Waffen, die auf ihn gerichtet wurden. Nicht eine davon war antimagisch, da die Teams noch mit Foremar zugange waren, der diese offenbar trefflich abzulenken wusste. Es wäre leicht, wie eine Schneise der Verwüstung durch dieses Gebäude zu fahren und innerlich wusste Kjetil, dass Aslaugh sich sicherlich über die Aussicht freuen würde, ein paar dieser Caster ihrem gerechten Ende zuzuführen. Innerlich bebte er noch immer bei dem Gedanken an seine Tochter und versuchte sich ruhig zu halten.
      "Prestegaard, Sie sind festgeno-"
      "Ich würde", donnerte Prestegaard und sah den vorlauten Polizisten an, der "Dooley" auf der Jacke stehen hatte. "Ich würde an Ihrer Stelle den Mund nicht zu voll nehmen, Mr Dooley. Wenn ich es will, sterben Sie alle in der ersten Minute dieses Kampfes. Ich bin hier, um einen Auftrag zu erfüllen und ich werde ihn erfüllen."
      Im Hintergrund postierte sich Aslaugh und sah gebieterisch durch den Raum. einigen Polizisten wurde klar, weshalb man sie nach einer dunklen Königin betitelt hatte. Ein Blick in Richtung eines Zugriffsteams reichte aus, um die erbleichten Polizisten zurückweichen zu lassen. Sie duldete keine Gegenwehr. Ruhig lag der Blick auf der Masse, ehe sie Ember an der Empore sehen konnten. Prestegaard machte sich nicht die Mühe sie heran zu zitieren. Sie würde zu ihm kommen, dessen war er sich sicher.
      Piper indes sah Ember missbilligend an und wieder zum Richter.
      "Solange Sie Cop sind, sind Sie Teil der Familie. Auch wenn es mir missfällt", sagte sie knapp und gab einem Team ein kurzes Zeichen, nachdem Ember ihre Absicht ankündigte.
      Es galt einem Wahnsinn, dass sie mit einem Arkana sprechen wollte.
      "Sie können herabsteigen und mit mir kommen", rief er hinauf und grinste schief. "Ein gemeinsamer Freund bedarf Ihrer Aufmerksamkeit."
      Sachte griff er in die Tasche seiner Jacke und ein aufgeregtes Tuscheln ging durch die Meute, ehe er einen simplen, kleinen Stein herausnahm. Glitzernd funkelte der Edelstein in seiner Hand und Ember musste diese Art von Portalsteinen kennen. Schließlich gab es nur noch einen lebenden Zauberer, der sie herstellen konnte.
      "Also wie sieht es aus?", rief er. "Es bleibt friedlich, wenn Sie mit uns kommen, Ms Sallow. Sie brauchen nur den Stein zu berühren."
      Ruhig hielt er er den Stein in der offenen Hand vor sich und grinste.
      Das Lied des Schmetterlings hatte begonnen.


      Spoiler anzeigen
      Wenn sie berührt (NUR DANN ÖFFNEN!):
      Spoiler anzeigen
      sallow.jpeg und James Hawthorne steht an einem Baum und raucht eine
      .

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Von ihrem erhöhten Standpunkt aus musterte Ember scharf die umstehenden Polizisten, die ihre Waffen auf den Richter gerichtet hatten. Sie alle waren entweder vom Einsatz gezeichnet oder nicht dafür ausgebildet gewesen, sodass die Stärke des Trupps zu wünschen übrig ließ. Im Zentrum mit gebührendem Abstand stand Prestegaard mit seiner Begleitung, die es nicht unbedingt besser sondern eher schlechter machte. Sie waren unterbesetzt – würden diese beiden Rogues hier anfangen zu wüten, wäre es ein Massaker.
      Dann schallte eine Stimme durch die Lobby, die Ember gut kannte und beinahe dafür gesorgt hätte, dass sie den Besitzer lauthals anschrie. Wie konnte denn jemand aus ihrer eigenen Einheit so minderbemittelt sein und das auch noch laut fordern?! Dooley bekam glücklicherweise nur verbal die Packung und wurde so klein wie ein Grundschulkind. Allerdings wurde Ember bei dem Wort Auftrag hellhörig. Also war er doch nicht hier, um Selbstjustiz zu üben. In dieser kurzen Zeit konnte doch nicht so viel vorgefallen sein, demnach... hatte hoffentlich August seine Finger im Spiel.
      „Hmmm, ich bin überrascht, dass Sie sich trotz ihrer Wutbrille daran halten“, murmelte Ember zu Piper ohne den Blick von dem Richter abzuwenden. Der Abstand zwischen ihnen war trügerisch, das wusste sie besser als so manch anderer. Schließlich hatte sie es selbst am eigenen Leibe erlebt.
      Und dann grinste der Richter.
      Embers Gesicht wurde ausdruckslos.
      Ein gemeinsamer Freund? Seit wann teilten sie, bis auf August vielleicht, auch nur einen einzigen Freund? Moment, wieso sollte Kjetil Prestegaard August als Freund betiteln? Das war lächerlich. Erst recht, nachdem er gesehen hatte, wie Ember und August zusammenarbeiteten. Noch während ihr Verstand arbeitete steckte er eine Hand in eine Tasche und löste prompt eine durchaus gerechtfertigte Unruhe aus. Selbst Ember ertappte sich dabei, wie sie automatisch nach ihrem Holster griff, das leider leer war. Es dauerte einen Augenblick ehe sie den Stein als Portalstein erkannte. Die Dinger, mit denen reisen so hässlich war.
      So langsam entwickelte sich die Situation in etwas, das auch Ember nicht wirklich hatte kommen sehen. „Er wird nicht ohne mich gehen“, stellte sie leise fest und schoss einen Blick zu ihrer Seite zu Piper. „Wenn ich mich sperre wird er alles hier kurz und klein schlagen. Dann sind die vierzig Toten die kleinere Ziffer auf dem Blatt.“
      Das hier war kein Herausholen aus Nettigkeit oder weil man einfach seine Hilfe anbot. Wie Prestegaard schon richtig sagte, es war ein Auftrag und dem war er mit jedem Mittel gefeit. Was wiederum bedeutete, dass Ember effektiv keine Wahl hatte, wenn sie nicht doch Grund dafür sein wollte, dass die Liste der Toten noch weiter wuchs.
      Dem Richter gab sie keine Antwort sondern trat nah an Piper heran, damit nicht jeder ihre Lippen lesen und ihre Worte hören konnte. Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Wenn Ihre Wut Ihre Gefühle für Ruairi nicht komplett überdecken, dann setzen Sie sich dafür ein, dass er Handlungsfreiheit bekommt. Wenn seine Schwester die Revolte öffentlich macht braucht das PD jemanden, der ihr die Stirn bieten kann. Also binden Sie ihm nicht weiter die Hände, ja? Nicht für mich, sondern für ihn.“
      Damit klopfte Ember Piper sachte auf die Schulter und machte sich den Weg die Treppe hinunter. Dass alle Blicke auf ihr lagen, war nicht sonderlich verwunderlich. Trotzdem fühlte sie sich irgendwie nackt und verletzlich. Ihr linker Arm war immer noch angeschlagen und ihre Sachen stierten ebenso vor Dreck. Zu allem Übel ging sie dabei noch auf einen grinsenden Richter zu, den sie noch nie hatte grinsen sehen. Ein ganz ungutes Gefühl meldete sich in ihr und schrie ihr, einfach kehrt zu machen und sich die Ohren zu zu halten.
      „Ich sage Ihnen gleich, dass es weniger Spaß macht, wenn ein Stein mich zerreißt als wenn Sie es selbst machen“, sagte Ember mit mehr Biss als sie sich selbst zugetraut hatte. „Aber danke, dass das hier nicht noch dreckiger wird als es ohnehin schon ist.“
      Dann berührte Ember den Stein und wurde fortgerissen.

      Unter ihren Füßen war matschiger Boden und für einen Moment war sich Ember nicht sicher, ob es ihr Erbrochenes war oder ob sie durchgehalten hatte. Ein feuchter, moosiger Geruch stieg ihr in die Nase, der typische Geruch von Wald anbei. Sie brauchte einen Moment bis sie sich an die neue Umgebung gewöhnt hatte, wobei sich der feuchte Nebel bereits auf ihren Klamotten absetzte. Es war fast komplett stockduster, sodass sie das große, verwucherte Haus im ersten Augenblick gar nicht sah. Kein Wind strich über ihre Haut, aber diese Kälte... Sie kroch durch jede Ritze und ließ Ember postwendend frösteln.
      Es knackte hinter ihr und ein Kontrollblick nach hinten versicherte ihr, dass auch der Richter mit seiner Nummer 2 mitgekommen waren. Eilig tat Ember ein paar Schritte weg von ihnen und wäre dabei fast über eine Wurzel gestolpert. Sie fluchte leise und beschloss, dass hier weglaufen sowieso nicht angebracht war. Sie konnte sich im Dunkel nicht zurechtfinden, geschweige denn wusste sie überhaupt, wo sie eigentlich war.
      Dann leuchtete etwas Rot auf und fing sofort ihre Aufmerksamkeit ein. Da, an einem Baum, leuchtete etwas wieder rot auf und sie erkannte Dampf.
      Nein. Rauch.
      Rauch, der von einer Zigarette aufstieg. Und diese Zigarette gehörte dann zu einer Person, der sich Ember annähern musste, um sie im Dunkel richtig zu erkennen. Als sie es tat, blieb sie wie vom Donner gerührt stehen.
      „James?!“
    • ARC III.5 - Pavor Nocturnus


      Kapitel 1: Dein Geheimnis, Mein Geheimnis
      Lauschend ich am Abgrund stand
      Und es zog mich hin zum Rand
      Wusste nicht, was ihr die große Macht verlieh
      Dieses Lied, das mir befahl
      Und es ließ mir keine Wahl
      In der Tiefe, in der Tiefe sangen sie
      [ASP - De Profundis]



      Beißende Kälte glitt durch Hawthornes müde Knochen.
      Die Reise hierhin an den Arsch der Welt hatte ihn neben Nerven und Zeit auch noch beinahe seine Ehe gekostet. Aber Schuld blieb Schuld, ob man wollte oder nicht. Nancy würde das verstehen. Ganz sicher. Beinahe sanft zog er an der Zigarette in seinem Mund und starrte auf das merkwürdige Haus, dass er inmitten dieser EInöde gefunden hatte. Dort, wo es stehen sollte. Das erste Mal eine Karte von August erhalten und erstaunlich, so fand James, dass sie so präzise war. Obschon der Zauberer gar nicht genau wissen konnte, dass es hier war. Schnaubend kichernd sah er sich um und befand sich wieder in derselben Lage wie schon einst. Einem genialen Zauberer ausgeliefert, bei dem man doch noch den leisen Zweifel hegte, dass er dem Wahnsinn anheim gefallen war. So wie vor einigen Tagen, als er ihn auf die Suche nach einem gottverfallenen Haus in der Mitte vom "Irgendwo-in-England-Shire" schickte.
      Gott, wie lange brauchten sie denn noch?!
      James zog erneut an der Zigarette als er das typische Sirren in der Luft bemerkte.
      Rasch zog er ein kleines Monoglas aus der Tasche seines schweren Mantels und sah sich im Wald um. Ah! Da vorne war es. Dort manifestierte sich Magie. Unschwer zu erkennen an dem bunten Wirbel von Aura, der in der Mitte der Atmosphäre entstand. MIt einem hässlichen "Plopp" ließ das Schicksal drei Gestalten aus den Dimensionen fallen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Zum einen fiel fort Ember Sallow aus dem Raum.
      Gott, sie sah beschissen aus. Übermüdet vielleicht aber viel eher geschafft von vielen Schicksalsschlägen. Beinahe war ihm, als hätten sie sich Wochen nicht gesehen sondern viel eher Jahre. Sachte vergrub er seine Hände in den Taschen und wartete auf die Eskorte, die man ihm versprochen hatte. Mit einem lauten Flatschen landete Kjetil Prestegaard neben Ember auf dem matschigen Boden. Auch er sah nicht wirklich gut aus, bedachte man die Verletzungen die er an sich trug. Die Frau hinter ihm, die elegant aus dem Raum stieg, wirkte hingegen unlustig. Hawthorne kannte sie. Birkisdottir. Einst hatten sie sich einen recht langen Kampf geliefert, als der Richter an die Macht gekommen war. Aber auch dort war James kläglich gescheitert. Immerhin trug sie die Narbe noch, die er ihr geschenkt hatte.
      "Wurde auch Zeit", murmelte er und zog an der Zigarette. "Ist schweinekalt hier draußen. Stehe mir die Beine in den Bauch."
      "Ging nicht früher"; knurrte der Richter und klopfte sich Dreck und Matsch von den Schuhen.
      "Ember", grinste James. "Sie sehen beschissen aus, hat man Ihnen das mal gesagt?"
      Mit einem kurzen Lachen warf er ihr einen Mantel zu, den er hinter einem Baum hervor zog. Nicht, dass er auf einmal magisch begabt wäre, sondern viel eher war er dort gelagert worden.
      "Wären wir dann fertig?", fragte Kjetil und richtete sich zur vollen Größe auf.
      "Jep. Wir sind fertig. Ich sage dem Boss Bescheid, dass Ihre Schuld getilgt ist."
      Prestegaard grunzte und sah zu Ember hinüber.
      "Ich hoffe, dass unser nächstes Wiedersehen unter einem anderen Stern steht, Ember Sallow", sagte er ruhig und nickte ihr zu.
      Es brauchte keine Sekunde mehr, da war er mit Auslaugh verschwunden und James schüttelte sich leicht vor Frost.
      "Heilige Maria ist das kalt!", schimpfte er. "Ich bringe diesen verwirrten Arkana um, wenn er mich noch mal an den Arsch der Welt schickt...Gute Güte...Na, dann wollen wir mal, oder nicht?"
      Grinsend nickte er in Richtung des verfallenen Hauses herüber und seufzte schwer.
      "Haben einiges durchgemacht höre ich?", fragte er. "Hab hier draußen nicht viel Nachrichten schauen können, aber meine Kontakte sagen mir, dass London brennt. Naja, sei's wie es sei, man hat sie nicht umsonst hierher verschleppt. August hat aus dieser Bruchbude eine Art Safehouse gemacht. Drinnen warten Essen und Trinken auf sie. Und August kommt nach, sobald er die Polizisten losgeworden ist. Perley ist bereits auf dem Weg. Sorry, wenn ich so schnell rede, aber es ist echt verdammt kalt."
      Ruhig führte er Ember über einen kleinen Trampelpfad vorbei zu einem alten, verwitterten Tümpel, dessen Wasser grünlich im fahlen Mondesschein schimmerte. Beißender Gestank stach in die Luft, sodass jegliche Illusion von Leben, die hier mal existiert hatte, unwahrscheinlich erschien.
      Sorgsam achteten sie darauf, nicht über Wurzeln und Wildwuchs zu stolpern, ehe sie die moosbewachsene, verwitterte Treppe erreichten. Der Stein hatte über die Jahre an Festigkeit verloren und bröckelte leicht, als Hawthorne die Treppe betrat und die Tür berührte.
      Knarrend und knarzend schob sich die Tür auf und sah zu Ember.
      Drinnen brannte bereits ein Feuer in einem der Kamine und brach die Wärme in den kalten Flur. Wohlig schimmerte der Widerschein des Feuers an den Wänden, als HAwthorne sie einließ.
      "Alsdann...Willkommen in Sallow Manor mitten im Wyre Forest", sagte er. "Willkommen zuhause, Ember. Essen steht in der Küche. Bedienen Sie sich."


      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • „Ich finde, ich sehe den Umständen entsprechend fantastisch aus.“
      Ember hinterfragte nicht, wieso James einen Mantel in der richtigen Größe parat hatte, sondern ließ ihre Arme schnell in die Ärmel gleiten. Je länger sie hier stand, desto schlimmer wurde die Kälte. Gepaart mit dem Nebel war das eine wirklich widerliche Kombination.
      „Würde mich freuen“, erwiderte sie nur noch auf die Worte des Richters, wusste aber nicht, ob sie überhaupt gehört wurden. Ein bisschen perplex war sie dennoch. Dieses Mal wollte ihr scheinbar doch niemand an den Kragen. Oder jedenfalls nicht sofort. Trotzdem wurde das Gefühl nicht besser sondern eher schlechter, sodass sie den Mantel noch etwas enger um sich zog.
      „Wie kommt das eigentlich, dass August ständig Sie durch die Gegend schickt?“ Embers Blick folgte Hawthornes Nicken in die Dunkelheit und erst jetzt fielen ihr Umrisse auf. Was groß und warnend in der Dunkelheit lauerte, war ein verfallen wirkendes Gebäude. Genau Eigenschaften konnte sie nicht erkennen, doch irgendwas löste ein Gefühl, eine Ahnung, in ihr aus. Sonst hielt sie nichts davon ab, solche Ortschaften zu erkunden, aber jetzt... Jetzt hatte ein Arkana sie aus der Haft mit einem Portalstein an einen ihr unbekannten Ort gebracht.
      „Hm, ich würde sagen, die Sache mit den Sharokhs war schlimmer. Ich kann ja verstehen, wenn man mir an den Kragen will, aber das war dann doch sehr viel auf einmal. Wirkte alles ein wenig zusammengewürfelt, fürchte ich. Unglücklich gelaufen mit der Welt, unglücklich gelaufen mit diesen Artefakten... Ach, haben Sie eigentlich mitbekommen, dass ich eine Stalkerin habe?“, erzählte Ember, die einzig und allein durch Hawthornes Anwesenheit etwas auftaute.
      Sie stakste über die Wurzeln und glitschigen Flächen hinweg, die zu einem Tümpel gehörten. Daher der modrige Geruch und der Hauch von Schwefel. Alles hier wirkte irgendwie tot und verlassen. Ein Lost Place wäre denkbar gewesen, aber hier wirkte es nicht einmal so, als sei Flora und Fauna recht angekommen. Das unterschrieb auch die steinerne Treppenstufe vor dem Eingang, die unter Belastung abbröckelte. Ember hielt inne und besah sich den Stein. In der Tat, hier war schon verdammt lange niemand mehr gewesen. Passend, dass sich August ausgerechnet einen Ort im Nirgendwo ausgesucht hatte. Wobei doch eigentlich das Dusk and Dawn als Safehouse gedacht war... Außer, eines reichte nicht.
      Hawthorne blieb in der Tür stehen, die er geräuschvoll geöffnet hatte, und durch die sanfter Feuerschein drang. Das sah wesentlich besser aus als weiter hier draußen in der kalten Dunkelheit zu stehen. Fast hätte Ember einen Schritt vorwärts gemacht, wären da nicht James' Worte gewesen.
      Ember gefror zur Statue. „Dasist das Sallow Anwesen? Nein, James. Nein. Ich setz' da keinen Fuß rein.“
      Zu deutlich klang noch die Warnung in ihren Ohren nach. Zu lebendig war der völlig verstörte Noland, der eine Nachricht von einem Wesen überbracht hatte, das zu mächtig war. Das von der anderen Seite stammte.
      „Ich hab die Warnung von einem Wesen aus einem der Tore bekommen. Ich soll nicht weiter nachforschen und ich versichere dir, das Eintreten in das Haus meiner Ahnen zählt mit Sicherheit dazu. Mir hat's gereicht, dass ich einmal meinen Bruder in Gefahr gebracht hab.“ Sie zog den Hals ein und den Mantel enger. „So viel zum Thema, niemand weiß, wo sich das Anwesen befindet. Gott, August hat mir gesagt, ich soll Perley fragen weil er es nicht wüsste. Wie lange hat er das hier schon alles im Voraus geplant und wieder nichts gesagt?“
      Ember war zu müde für Wut und ließ nur die Enttäuschung zu. Sicher, eine warme Feuerstelle und etwas zu essen war durchaus verlockend. Aber die Warnung eines Zaren war dann doch noch abschreckender. Hinter Hawthorne konnte Ember Teile einer Eingangshalle erkennen. Über darin herrschte Chaos, Boden, Möbel und Wände waren in einem erbärmlichen Zustand. Eine Treppe schlängelte sich an der Wand nach oben und die konnte gerade noch eine Ecke eines Wandbildes sehen. Ember runzelte die Stirn. Das kam ihr... bekannt vor. Es dauerte einen Moment bis sie sich daran erinnerte. An die Geschichten ihres Urgroßvaters, wo sie noch ganz klein und Shawn gerade geboren gewesen war. Er hatte ihr von einem großen, alten Haus erzählt, das inmitten eines Waldes versteckt war und für sie Kinder wohl der beste Spielplatz der Welt gewesen wäre. Mit Holzvertäfelungen an den Treppen und alten Dielen. Nischigen Küchen und opulenten Schlafzimmern. Er hatte ihr erzählt, dass der Ort wahrlich magisch war.
      Wahrlich magisch, am Arsch.
    • Hawthorne hatte nicht die Zeit für Querelen dieser Art. Es war kalt und das Feuer begann sich unter dem hereinbrechenden Wind zu winden und zu strecken. Selbst dieses Ding befürchtete, den Elementen zu erliegen.
      "Warnung hin oder her, Sallow", knurrte Hawthorne und tat das, was er eigentlich nicht tun wollte. Ruhig griff er nach ihr und zog sie über die Schwelle, um die Tür hinter ihr zuzuschlagen. "Es ist ein Haus und kein Kübel voller Nachforschungen. Wie wäre es, wenn Sie sich einfach mal beruhigen und ein wenig essen und trinken. Oder hat man sie auch davor gewarnt?! Wir haben noch nicht einen Funken lang über den Schrotthaufen hier gesprochen, also fahren Sie runter."
      Sachte zog er sich den Mantel von den Schultern und offenbarte eine noch recht passable Fitness unter dem eng sitzenden Hemd. Die Arme steckten in heraufgekrempelten Ärmeln und hektisch suchte er nach seinem Telefon und den Zigaretten, die er zu qualmen pflegte.
      "Kommen Sie jetzt!", kommandierte er. "Das hier ist sicher, keine Sorge. Ich habe Augusts merkwürdige Talismane überall im Haus und auf dem Grundstück verteilt. Es sollte Niemand dieses Haus finden."
      Sorgsam ging er vor in die kleine Küche, die den verwitterten Charme beibehielt. Kacheln waren zersplittert oder von den Wänden herabgefallen und die Tapete darüber hing teilweise in Fetzen. In der Mitte des kleinen Raumes, der direkt neben dem Eingangsbereich lag, fand sich ein einfacher Holztisch mit vier Stühlen, die bereits wahrlich bessere Zeiten gesehen hatten. Der Zahn der Zeit nagte an allem in diesem Haus und so beleuchteten eine kleine Armee aus Kerzen den Raum, der einstmals prächtig gewesen sein mochte. Die Küche selbst stammte aus dem vorherigen Jahrhundert und war geführt Myriaden nicht genutzt worden. Umso weniger erstaunlich war der kleine Campingkocher auf dem Herd, der gerade noch eine Suppe erwärmte.
      "Hier", sagte James und zog einen Stuhl heraus, um gleich darauf einen Metallbecher auf den Tisch zu wuchten. "Essen ist gleich soweit. Trinken Sie von dem Schnaps, der wärmt Sie auf."
      Während Hawthorne ungewohnt häuslich in der Suppe zu rühren begann, räusperte er sich.
      "Also...Zu Ihren Fragen!", begann er und drehte sich zu Ember herum, um sich gegen den Herd zu lehnen. "August hat von diesem Haus bis vor ein paar Minuten vermutlich noch nichts gewusst. Nachdem ihm klar war, dass die Familie Sallow einen Sitz haben musste, hat er die alten Archive durchforstet und irgendwelche kryptischen Hinweise entschlüsselt. Irgendwann konnte er das Gebiet bis auf 50 Meilen eingrenzen und hat mich und Perley losgeschickt, um den Ort zu finden. Perley hatte nicht so viel Glück, er stand irgendwann in einem Sumpf in Wales, aber ich habe das hier gefunden. Hab August ein Foto davon geschickt und fertig. Kurz nachdem Sie festgenommen wurden, wurde ich reaktiviert und mit einem merkwürdigen Stein hierher geschickt. Sollte Talismane verteilen und hier auf Sie warten."
      Achselzuckend seufzte er.
      "Und warum er mich schickt? Weil ich August was schulde und ihm versuche, zu helfen, eine Katastrophe zu verhindern", sagte er. "Also was ist das mit Ihrem Stalker und dem ganzen Mist mit der Warnung?"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Ember hatte ernsthaft die Absicht, sich gegen Hawthornes Avancen zur Wehr zu setzen. Aber geistesgegenwärtig erwischte er ihren verletzten linken Arm am Ärmel, sodass sie sich unter Protest doch über die Schwelle ziehen lassen musste. Prompt wirbelte sie auf dem Absatz herum und strafte den Mann Blicke.
      „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass mir Kleinigkeiten hier nicht auffallen und ich ganz automatisch Rückschlüsse ziehe, oder?“ Wobei Essen und Trinken durchaus verlockend klang. Mehr als den dürftigen Kaffee to go hatte sie nicht mehr seit Feierabend gehabt. „Außerdem bin ich tiefenentspannt, oder hab ich Prestegaard vorhin mit Schimpfworten bombardiert?“
      Was sie vermutlich so oder so nicht getan hätte. Generell war es erstaunlich, wie ruhig Hawthorne in der Nähe des Richters gewesen war. Sie selbst war ständig in Alarmbereitschaft. Tatsächlich war es ihr Unterbewusstsein, das auf Hawthornes Kommando hin reagierte und sie einfach seinen Worten folgte. Allerdings zog sie ihren Mantel nicht aus. Sie wollte sich hier nicht heimisch oder irgendwie sicher fühlen. Dann fing man nämlich an, seine Umgebung anders wahrzunehmen, und das wollte sie tunlichst vermeiden.
      Beinahe schmollend folgte Ember Hawthorne in eine kleine Küche. Eine nischige Küche, wenn sie es sich so recht besah. Natürlich gab es keinen Strom und kein fließend Wasser, weshalb Kerzen und Kaminschein den Raum beleuchteten und ihm eine verquerte Heimeligkeit verlieh. Wäre da nicht der topmoderne Campingkocher, der fröhlich vor sich hin dampfte.
      „Ich hab mir schon so etwas gedacht. Dass das Haus mehr eine Ruine ist als alles andere. Wäre auch zu schön gewesen, einen verlorenen Familienzweig hier vorzufinden oder so“, sagte Ember leise mit tief in die Taschen gesteckten Händen. Hier drinnen war es bei Weitem nicht mehr so kalt, aber die Kälte steckte ihr auf mehreren Aspekten in den Knochen. Schließlich seufzte sie, nachdem sie den Stuhl beäugt hatte. „Wenn der mir unter dem Arsch wegbricht, dann setzt es was.“
      Der Stuhl hielt Gott sei Dank ihr volles Gewicht aus. Mit einem Stirnrunzeln beobachtete sie ihren ehemals Vorgesetzten dabei, wie er ernsthaft in einem Topf mit Suppe in einer Bruchbude rührte. Für sie – und hoffentlich auch sich selbst. Wie genau war es eigentlich hier zu überhaupt gekommen? Am Ende resignierte Ember und nahm einen Schluck vom besagten Schnaps. Sie verzog angewidert das Gesicht und stellte ihn wieder ab.
      „Zugegeben, Sie sind ja auch Mitwirkender des Dusk and Dawns, also wundert es mich nicht allzu sehr, dass Sie etwas für August tun. Ich verstehe nur nicht ganz, warum er Ressourcen investiert, um ein altes Haus zu finden. Er hat... wichtigere Dinge, auf die er sich fokussieren sollte.“ Wusste James überhaupt von der verbleibenden Zeit? „Und was heißt, Katastrophe? Katastrophe ist eher das, was die Welt anzetteln will. Einen Aufstand zwischen Menschen, Castern und Rogues kann die Welt nicht gebrauchen. Die Schwarze Stadt ist nur noch ein Trümmerhaufen, James.“
      Ein Trümmerhaufen mit zahllosen Leichen. Und vermutlich durchkämmten Einsatzkräfte gerade ihre Wohnung und durchwühlten ihr heiliges Büro. Verflucht, sie hatte ja nicht einmal mehr ein Handy, um irgendwem etwas mitzuteilen. Ruairi wusste nicht mal, dass es ihr gut ging. Vielleicht konnte sie ja Hawthorne um sein Handy bitten.
      Ein weiteres Mal seufzte sie gedehnt während sie sich mit den Ellbogen auf dem alten Tisch abstützte und ihr Gesicht auf ihren Händen bettete. Dann erzählte sie von den Castern, deren Erinnerungen von Noland ausgelesen wurden. Welche Warnung der Zar ihr hatte zukommen lassen und wie sinnfrei das alles erschien. Danach berichtete sie von 'Clara', die einfach so eingebrochen war, als Ember ohnmächtig auf ihrem Tisch lag. Und wie sie es vermutlich war, die Ruairi angegriffen und ihr den Würfel überbracht hatte.
      „So, und jetzt bin ich mit diesem Ding“, sie kramte den Würfel aus der Tasche und legte ihn betont sorgsam auf den Tisch, „quasi sitzen gelassen worden. August hat seinen geworfen und die App bekommen. Bei meinem ersten Wurf war es ungültig. Und nach der Warnung habe ich ehrlich gesagt wenig Lust darauf, es zu probieren. Verraten Sie mir doch lieber, wie's der guten Nancy geht? Begrüßt sie Ihren verfrühten Ruhestand noch immer oder gehen Sie ihr mittlerweile schon auf den Sack?“
      Ein schmales Lächeln erschien auf Embers Lippen als sie den Becher ein weiteres Mal ansetzte und ein weiteres Mal das Gesicht verzog. Gott, hatte er das Zeug auch hier irgendwo gefunden oder was hatte er ihr da angeboten?
    • Hawthorne rührte nochmals ruhig durch die Suppe, die sich mittlerweile eher wie Schlacke anfühlte. Er war nicht gut im Kochen. Das war Nancys Ding. Sie war die Meisterköchin, er nur der begabte Assistent. Und das auch nur an guten Tagen. Eilig stellte er die Kochplatte ab und ließ den Fraß noch eine Weile ziehen, während er wieder zu Ember sah.
      Das Lächeln auf seinem Gesicht war zwar schief, aber nicht minder herzlich.
      "Wie ich sehe, haben Sie Ihre Aggression noch immer nicht im Griff", murmelte er. "Immer wenn Sie unsicher wurden, wurden Sie wütend. War ziemlich grässlich, als ich noch Ihr Boss war..."
      Nach ihrem Gesicht zu urteilen schmeckte ihr der Schnaps nicht, obwohl es nicht der mieseste war, den er ausgraben konnte. Kichernd wandte er sich kurz der Suppe zu und füllte diese in wenig schmackhaft aussehende Metallschüsseln. Das alles hier wirkte mehr wie ein Army-Besteckservice, das er noch aus seinen Tagen als Soldat aufbewahrt hatte. Es ging nichts über die gute alte Ausrüstung, wenn es um eine Art von Luxus gehen musste.
      "Sie meinen mit wichtigeren Dingen den sprichwörtlichen Tod, der ihm am Arsch klebt?", lachte Hawthorne und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
      Mit einer schwungvollen Bewegung knallte er die beiden Schüsseln vor ihrer beider Nasen und wies sie lautlos an, zu Essen. Ein Löffel lag bereits neben der Schüssel bereit.
      "August sagte mir wortwörtlich, dass das Finden dieses Hauses die Top Priorität auf meiner Liste ist. Ich weiß nur, dass diese merkwürdige Frau, wie hieß sie noch...E...A...Eva! Eva Beau-dingens! Diese Dame jedenfalls sucht noch an anderer Stelle. Er sprach von der ältesten Bibliothek Europas. Also Sie sehen: Es geht alles irgendwie..."
      Einen Löffel später musste er das teilweise revidieren. Auch wenn er liebevoll gekocht hatte und mit viel Zeit gesegnet war, so schmeckte es wie ein alter Hintern. James tat dies mit einem würgenden Geräusch kund und wischte sich über den Mund.
      "Herrgott, verdammte Scheiße", spie er und schüttelte den Kopf. "Was zum Geier ist das?! Hätte schwören können, dass ich dieselbe Dose wie Nance immer genommen habe...Wie auch immer. Katastrophe ist so eine Sache. Ja, einen Aufstand kann keiner wirklich brauchen, aber ich bin ehrlich: Es ist nicht das Schlimmste. Schlimmer ist das da!"
      Er wies auf den Würfel auf dem Tisch und seufzte.
      "Sie haben keine Ahnung, was diese Dinger schon ausgelöst haben. Nachdem einige ZAubrerer mitgekriegt haben, wie mächtig diese kleinen Teile sind, sind regelrechte Bandenkriege ausgebrochen. Prestegaard und seine Nummer 2 hatten Mühe, alles zusammen zu halten. Und um die Schwarze Stadt ist es nicht schade. Das Mistding baut sich schon wieder auf. Wie eine verdammte Kakerlakenburg."
      Ruhig lauschte James ihren Geschichten und berichten und fragte sich nicht minder als tausend Mal, in was er da eigentlich hinein geraten war?!
      "Was für eine Scheiße...", murmelte er. "Klingt nach einem ziemlichen Haufen Dreck, wenn Sie mich fragen...Wie's Nancy geht?"
      Hawthorne lachte.
      "Ich gehe ihr seit Tag 1 meiner Rente auf den Geist. Die Gute hat nicht einen Moment Ruhe vor meinen Eskapaden fürchte ich. Sie war beinahe froh, dass ich August helfe. Dann bin ich zumindest aus dem Haus."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Der wortwörtliche Tod, der August dich auf den Fersen war. Offensichtlich war Hawthorne auch hier informiert genug. Natürlich. Immerhin pflegten sie eine Partnerschaft und dann sollte er wissen, wann und ob August abdanken musste. Schließlich war er damals dabei gewesen, als sie den tödliche Schuss gesetzt hatte. Und er war dabei gewesen, als sie fiel, um sie kurz vor dem Boden aufzufangen.
      „Und was gedenkt er mit seiner Suchaktion zu finden? Er war dabei, als uns die Warnung übermittelt wurde. Anstatt seine Kräfte für ein bisschen Hintergrundrecherche zu nutzen, könnte er doch einfach....“ Der restliche Satz blieb unausgesprochen als Ember Hawthornes Gesicht sah. Glücklicherweise hatte sie noch keinen Löffel von der Pampe, die unheilvoll vor ihr in der Schüssel dampfte, probiert. Denn der verzog alsbald das Gesicht und machte eindeutig klar, dass sie ganz bestimmt nichts davon probieren würde.
      Dann lieber doch den Schnaps.
      „Beauregard“, korrigierte sie ihn beiläufig. „Was genau soll sie da suchen? Die ältesten Aufzeichnungen zur Entdeckung der Magie, wo mein Familienname nicht gestrichen worden ist? Hat er Ihnen auch nur ein Wort gesagt, warum das Auffinden dieses Anwesens die Top Priorität hat? August ahnt irgendwas und davon hat er mir nichts erzählt. Etwa Ihnen?“
      Sanft stuppste Ember den Würfel mit ihrem Finger an und schob ihn dabei ein wenig über den schäbigen Tisch. Das dämmrige Licht hier drinnen machte sie müde, ebenso wie die abgestandene Luft. „Bandenkriege wegen den Würfeln? Dann ist es vielleicht gar nicht so unwahrscheinlich, dass seine Tochter tatsächlich einen gehabt hatte.“ Und das auch der Grund gewesen war, warum sie am Ende gestorben war. Die Schachtel oder was auch immer wurde bis heute nicht gefunden. Wenn es darum ging, die Artefakte an sich zu bringen, dann ergab das durchaus Sinn. Dass all jene starben, die im Besitz eines solchen Würfels waren. Sammelte jemand die Würfel?
      „Kaum zu glauben, dass die eigene Frau so glücklich darüber ist, wenn ihr Mann mit Arkana der schlimmsten Sorte verkehrt“, schmunzelte Ember schließlich doch als sie die Wärme in Hawthornes Stimme hörte, kaum begann er von seiner Frau zu reden. „Ich hatte mich noch gar nicht für damals bedankt. Als das in dem Lagerhaus passiert ist. Keine Ahnung, was passiert wäre, wenn ich Sie nicht vor Ort gehabt hätte.“
      Eine unrühmliche Zeit, an die sich Ember nicht gern zurückerinnerte. Nicht nur wegen der Tat selbst, sondern wie zerstört sie danach gewesen war. Schon immer hasste sie es, Schwäche zu zeigen, aber damals lastete die Dunkelheit so schwer auf ihr, dass sie keine Luft mehr zum atmen hatte. Dieser Schleier hatte sich gelichtet, doch er hing noch immer knapp über ihrem Haupt an dünnen Drähten.
      „Wir warten jetzt also bis August auftaucht? Was, wenn er es nicht tut?“
    • Hawthornes Grinsen wich einer bitteren Erkenntnis.
      Sie saßen richtigerweise in diesem Haus fest. Sicherlich, ein Safe House war es mit all den Talismanen und Hawthorne hegte nicht einen Zweifel daran, dass selbst der Leibhaftige keinen Weg in dieses vermaledeite Gefängnis finden würde. Jedoch stellte sich vielmehr die Frage, wohin es von hier aus weiter ging. Das war auch August ihm schuldig geblieben.
      "Ach...Nancy sieht das Ganze nicht so eng", murmelte er und zuckte die Achseln. "Sie war recht fasziniert von Foremar, muss ich zugeben. Er war mal bei uns zum Essen vor einigen Wochen. Sie war eigentlich ziemlich von ihm eingenommen. Er kann charmant und witzig sein, wenn er möchte. Und manchmal ist er einfach ein verrückter Arsch. Und wegen der Sache damals: Vergessen Sie's. Wir haben Sie damals richtig hinters Licht geführt. Es gibt nichts zu bedanken. Viel eher für mich zu entschuldigen."
      Kopfschüttelnd goss er ihrer beider Gläser nach und seufzte.
      "Er hat mir nicht gesagt, was jetzt geschieht oder was das hier alles soll. Er sagte nur, dass es Wissen gibt, dass noch nicht für Ohren bestimmt ist. Er ist jedoch darauf erpicht, das Geheimnis der Familie Sallow aufzudecken, wie es scheint. Und scheinbar ist das Geheimnis größer als bisher gedacht", sagte er und kramte seine Zigaretten heraus. "Ich meine, schauen Sie sich um. Ich bin erst seit Stunden hier und habe das Gefühl, diesen Ort zu kennen. Als wäre er mein eigenes Haus gewesen. Ist eine merkwürdige Stimmung hier...UNd wegen der Bibliothek denke ich, dass sie Recht haben. Vermutlich sucht er Quellen. Er hat mir mal erzählt, dass er nach dem Ursprung, dem "Mehr", sucht, was sie alle umgibt. Er versucht scheinbar immer noch, seine Familie und Freunde aus den Toren zu retten und glaubt vermutlich, so eher zum Ziel zu kommen."
      Mit einem Klicken seines Feuerzeugs entflammte sich die Zigarette.
      "Völliger Stuss, wenn Sie mich fragen", murmelte er und bließ den Rauch aus. Ruhig sah er Ember an und musste grinsen. "Wissen Sie...Ich habe mich schon damals immer gefragt, warum Sie es eigentlich waren. Die er haben wollte. Mit der Foremar arbeiten wollte. Mittlerweile glaube ich zumindest zu ahnen, dass er sie wirklich mag. Abgesehen von ihrer Herkunft und dem ominösen Mist um Ihre Familie herum. Ich frage mich nur..."
      Sachte zog er den Aschenbecher heran. "Wie stehen Sie dazu?"
      Auf ihre letzte Frgae hin schüttelte er den Kopf.
      "August kommt immer, wenn er es sagt. So viel durfte ich bis jetzt lernen", grinste Hawthorne und zog erneut den brennenden Rauch ein. "Wir warten, ja. Es soll noch Jemand kommen. Eine Art Forschungskollege, wie er sagt. Er hat ihm wohl bei der Enträtselung mancher Geheimnisse des Tores geholfen. Gemeinsam wollen Sie hier unter anderem das Sallow Anwesen untersuchen und den Tod verarschen. Fragen Sie mich nicht. Mein Job ist Ihr Schutz. Der Rest ist mir egal."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • „August war bei Ihnen zum essen?“, wiederholte Ember sicherheitshalber, um auszuschließen, dass sie es falsch aufgefasst hatte. Um Gottes Willen, also hatte der Rogue tatsächlich noch die Nerven gehabt, sich außerhalb des DnD inmitten einer beschaulichen Ansammlung von Wohnhäusern zu zeigen. Darüber hinaus hatte er seinen ehemaligen Jäger bei ihm zuhause besucht und außerdem noch seine Frau verzaubert. Ein ehemaliger Schwerstverbrecher war bei seinem Häscher zum Essen. Das war es auch, was ihr ein wissendes, wenn auch spöttisches Grinsen ins Gesicht trieb.
      „Also wenn ich nicht von seiner Wechselbalgnatur weiß, dann ja wohl niemand.“
      Den Witz in seinen Worten zu finden mochte sich durchaus als schwierig gestalten von Zeit zu Zeit, aber charmant konnte er sein. Spätestens, wenn sie an den Abend der ersten Versammlung der Arkana zurückdachte, konnte sie diesen Punkt sehr gut nachvollziehen. Oder wo er einfach verschwand und sich in seinem Leid suhlte, da nahm er eher die Rolle des Arsches ein.
      Ember startete den schwachen Versuch, ihren Becher von Hawthorne wegzuhalten, doch da hatte er ihr bereits Plörre nachgekippt. Missmutig schwenkte sie den viel zu vollen Becher und seufzte. „Mhm, Geheimnisse waren schon immer sein Ding. Ständig muss man ihm alles aus der Nase ziehen und dann wundert er sich, warum ich immer so säuerlich darauf reagieren, wenn ich was erst später erfahre. Wie das hier zum Beispiel.“ Sie gestikulierte einmal im Kreis. „Ein komisches, verstecktes Anwesen. Namen, die aus alten Schriften nachträglich gestrichen worden sind und Verbindungen zur Entdeckung der Magie. Ich nehm's August ja nicht mal übel, dass er sich dafür interessiert. Er war ja schon immer zu wissbegierig.“
      Das bewies unter anderem der Spiegel in den Untiefen seines Koffers. Oder die Zeichen auf seinen Rippen, die schwarz wie Mahnungen von seiner Haut hervor stachen. Während Hawthorne weitersprach, traute sie sich doch nochmal an den Schnaps und verzog erneut das Gesicht. Wenn auch deutlich weniger stark. Leugnen konnte man jedoch nicht, dass er ganz allmählich die Kälte aus ihrem Inneren tilgte und das Gefühl der Müdigkeit noch bestärkte. Allerdings wunderte es sie, dass auch er solch eine seltsame Verbindung zu diesem Anwesen verspürte. Sicher, in ihrem Fall lag es einfach daran, dass sie den Familiennamen trug und Geschichten kannte. Aber James war hier vollkommen fremd und darüber hinaus hatte keiner von ihnen auch nur einen Grund, sich in einer Ruine heimisch zu fühlen.
      Hawthornes Grinsen erwischte Ember jedoch auf dem völlig falschen Fuß. In ihren Augen lag unverhohlene Überraschung und entgegen ihrer Natur eine Spur Scham. So wie er es formulierte... Die er haben wollte.... Klang beinahe danach, als habe er damals schon ein Auge auf sie geworfen. Aber das war aus ganz anderen Aspekten gewesen! „Hey, hey, hey, der Grund, warum er anfangs nur mit mir gesprochen hat, war einfach der, dass er sowas wie 'ne Prophezeiung bekommen hat, ja?“ Gut, vielleicht eine kleine Spur zu bissig, aber sei es drum. „Er wusste, dass er sich an meine Fersen heften musste, damit er aus seinem Deal da rauskam. James, er hat mir später direkt ins Gesicht gesagt, dass er mich anfangs nicht mal ausstehenkonnte. Ich war die nervige Detective an seiner Seite.“
      Eine für ihre Kapazitäten übermotivierte, teils kurzsichtige und zu temperamentvolle Ermittlerin. Wie auch immer es gekommen war, irgendwann hatte er etwas für sie entwickelt, aber in all dem Chaos hatte Ember sich nie wirklich die Zeit genommen, ihre eigene Gefühlswelt zu hinterfragen. Jedenfalls musste der leichte Farbton in ihrem Gesicht von dem Schnaps oder dem Kerzenschein rühren.
      „Sie müssen ja erstaunlich viel mit ihm zu tun haben, wenn Sie meinen, er habe was für mich übrig. Er hat es nie wirklich offen gesagt, sondern eher verschroben ausgedrückt oder gezeigt.“ Wobei ich jetzt nicht unbedingt das bessere Beispiel wäre. „Es ist nur.... seltsam, das aus dem Mund eines anderen zu hören. Mittlerweile weiß ich, dass er meine Nähe genießt und andersherum. Er schützt mich mehr, als er seine Freunde schützen würde.... Denke ich.“
      Sie strich mit ihrem Zeigefinger an ihrer Unterlippe herum, nachdenklich gestimmt. Dann zog Hawthorne den Aschenbecher zu sich, um seine Aschereste hinein fallen zu lassen und stellte eine wesentlich pikantere Frage.
      Ember blinzelte ihn an. Sie überlegte. Lange. Dann ließ sie ihre Hand vorm Gesicht sinken und begann wieder, den Becher zu schwenken. „Schwierig. Ein Teil von mir denkt immer noch, dass Augusts Verhalten darin begründet liegt, dass ich ihm neue Wege für seine Forschungen liefern könnte. Immerhin hat er mich gefragt, ob ich ihm bei den Toren helfen würde. Er ist und bleibt ein Forschender, wie man hier ja sieht. Auf der anderen Seite kann ich nicht leugnen, dass da eine gewisse Faszination besteht.“ Faszination... Ja, ein atemberaubendes Wort, das ihr da gerade in den Sinn gekommen ist, um es nicht unverblümt zu sagen. „Aber der größte Teil in mir.... sieht die Deadline über seinem Kopf.“
      Ausgelöst durch ihr eigenes Tun. Wenn sie nicht so töricht gewesen wäre, dann hätte sie sich niemals dem Gedanken stellen müssen, dass sie nur noch Tage mit jemanden verbringen können würde, den sie wirklich mochte. „Ich schöpfe jede Sekunde aus, die bleibt, aber ich habe ständig diese Gewissheit, dass er nur noch Tage hat. Und dann mach ich dicht, weil ich weiß, wie weh es tut, wenn er geht.“
      Sie biss sich auf die Lippen und starrte den Tisch an. Seine Furchen waren aufgesprungen und führten einzelne Risse ab, die bestimmt früher mal von Speisen oder Flüssigkeiten heimgesucht wurden. Vielleicht gaben sie ja Aufschluss darüber, wer hier gelebt hatte...
      „Das zwischen uns ist eher wie ein Lauffeuer. Kurzweilig und heftig, fürchte ich. Wir hatten gar nicht genug Zeit, um uns wirklich kennenzulernen. Das ganze Geplänkel vorher hat ja nie richtig stattgefunden. Ich weiß zum Beispiel nur, dass er eine Schwester hatte und die vielleicht abgehauen ist, bevor alles bei den Foremares den Bach runterging. Ich weiß, dass seine Mutter wohl auch ein Ausnahmetalent insbesondere bezogen auf die Tore gewesen sein musste. Aber was war mit seinem Vater? Nichts weiß ich davon. Ich weiß, dass August Süßes liebt, aber was genau ist seine Leibspeise? Seine Lieblingsfarbe? So banale Sache haben wir nie angesprochen. Weil einfach nicht die Zeit war. Er weiß ja nicht einmal von Emely....“ Einem de größten Bausteine ihrer Seele.
      Schlussendlich seufzte Ember gedehnt und streckte sich, damit sie nicht vollkommen versteifte und doch noch einschlief. Das war auch dringend notwendig bei dem, was ihr Gesprächspartner ihr nun offenbarte.
      „Wenn Sie ihm keinen Namen geben, haben Sie wohl auch keinen, was uns zum Warten verdammt. Schön. Aber dann erklären Sie mir mal bitte, vor was Sie mich schützen wollen. Wenn ich jetzt immer noch nicht auf mich aufpassen kann, was hab ich dann bitte in der Zeit nach Ihrem Abgang geleistet, hm? Ich bin nicht schreiend vor dem Richter weggelaufen, das ist doch schon mal was, oder nicht?“, stichelte sie weiter.
      Wann hatte sie zuletzt eine Unterhaltung wie diese gehabt? Das Gefühl, mit jemanden zu sprechen, der sie schon seit so langer Zeit kannte. Geplänkel, das ihr über die Zeit irgendwie abhanden gekommen war.
    • Hawthorne nickte bedächtig, während Ember mehr und mehr in ihren üblichen Redefluss verfiel.
      Gesprächsführung war nur teilweise eine ihrer Stärken und auch wenn er die Angewohnheit kannte, musste er beinahe lachen. Ganze Minuten lang war er zum Schweigen und Nicken verdammt, was so gar nicht seiner Gesinnung entsprach. Zwischenzeitlich schenkte er sich nach und schnaubte nach einiger Zeit.
      "Ja, August war bei mir zum Essen", bestätigte er. "Er kam bei strömendem Regen zu meinem Haus und wollte eine Information austauschen und meine Frau hatte Mitleid. Wie gesagt, es war an sich ein recht angenehmer Abend. Außer seinem leichten Trübsinn, den er immer mit sich herum trägt, ist er eigentlich ganz verträglich. Wenn er nicht gerade wieder in irgendwas versinkt..."
      Schweigsam lauschte er weiter. Was konnte er auch anderes tun? Sie mussten Zeit totschlagen, die er nicht beschleunigen konnte. Es lenkte jedoch nicht davon ab, dass Hawthorne derartige Gesprächsorgien hasste. Er hasste es schon bei seiner Frau. Grässlich.
      "Schon immer...", murmelte Hawthorne und lachte unter seinem Glas hervor. Sein unrasiertes Gesicht kratzte hörbar über das Metall und erstickten das kehlige Lachen damit. "Sie klingen, als würden Sie sich ewig kennen. Aber ich gebe zu, Unrecht haben Sie nicht. Der Junge ist ein wenig zu fasziniert für Altes und Totes wenn Sie mich fragen. Nachdem ich begonnen habe mit ihm zu arbeiten, habe ich ihn selten ohne Bücher oder magische Apparaturen gesehen. Es ist als würde sein Verstand zwanghaft versuchen, sich in Beschäftigung zu halten. Der Teufel weiß, was er da in seinem Oberstübchen sonst ausbrüten würde. Und das mit den Informationen würde ich nicht persönlich nehmen. Er scheint nicht sehr mitteilsam über Motive zu sein. Also generell nicht."
      Mit einem Mal wirkte Hawthorne nachdenklich. Als würde ihm ein, zwei Dinge klar werden, die er vorher nicht so ganz begriffen hatte. Denn so sehr er sich auch vorstellte, dass die Aussagen der jungen Frau wertfrei zu betrachten waren, so war es doch offensichtlich, dass da ein Gefühl mit schwang. Ein merkwürdig vertrautes Gefühl.
      "Ja, ja", grinste er und lehnte sich in den knarrenden Stuhl zurück. "Wer konnte sie denn ausstehen? Meine Güte, Ember, selbst ich habe Sie nicht leiden können zu Anfang. SIe waren eine besserwisserische, streckenweise arrogant wirkende, beinahe drastisch neurotische und temperamentvolle Frau. Das meiste, was Sie zu Beginn gesagt haben, waren neurotische Ausbrüche oder Spuren zu Fällen, die Sie nichts angingen. Und August ist nichts anderes. Er steckt seine Nase zu sehr in andere Dinge, die ihn nichts angehen. UNd er ist ein unerträglicher Besserwisser, wenn Sie mich fragen. Grässlich."
      Kopfschüttelnd leerte er seinen Becher und sah Ember an. Ja, einem guten Cop entging der Wechsel der Gesichtsfarbe nicht. Und auch, dass dies nicht von der Kerze oder dem fehlenden Licht stammte. Grinsend wartete er auf weitere Verleugnungen, doch wurde er überrascht.
      "Was erwarten Sie von einem Kerl, der über 150 Jahre alt ist und vermutlich so viel Erfahrung mit Frauen hat wie ein 25jähriger? Männer dieser vergangenen Zeit waren keine Gefühlsakrobaten, wenn Sie verstehen...Ich brauche mehr Alkohol für so ein Gespräch..."
      Schweigsam goss er sich in Embers nächstem Redefluss ein und nahm bedächtig kräftige Züge des Gesöffs. Ihr bot er nicht mal mehr etwas an, wissend, dass sie nicht so schnell trank. Und wer wusste, wohin das noch führte? Vielleicht zu einer Art Therapiesitzung. AUch wenn er den Verdacht hatte, dass er schon mittendrin war.
      "Wissen Sie, was ich an Ihnen manchmal nicht leiden konnte?", fragte er unvermittelt, nachdem Sie geendet hatte. "Sie waren immer so stark nach außen hin. Haben sich zumindest so verkauft. Haben die ganze Zeit über so getan, als tangiere sie alles peripher und sich was darauf eingebildet, wenn Sie Details wahrnahmen, die andere nicht wahrnahmen. Aber so herausstechend diese Eigenschaft ist, Ihre Beobachtungsgabe, meine ich, umso weniger nutzen Sie sie zielführend. Überlegen Sie doch mal: August Foremar, magischer Forscher, galt bereits in den frühen 1920ern als Genie auf seinem Gebiet, fragt einen Mensch um Hilfe bei einem magischen Konstrukt? Sicherlich haben Sie Fähigkeiten, die das berechtigen, aber vielleicht wollte er auch einfach nur Zeit mit Ihnen verbringen, um Ihnen sein Innerstes nahe zu bringen. Seine Faszination und Leidenschaft. Sie sehen nur das Negative. Ember Sallow zeigt ihm neue Möglichkeiten. Vielleicht ist es sogar positiv. Vielleicht hat August einfach erkannt, dass er nicht Ihre Fähigkeiten braucht. Vielleicht braucht er ja Sie."
      James zuckte die Achseln und seufzte.
      "Geplänkel ist das rechte Wort", grinste er. "Es ist Geplänkel. Nancy weiß bis heute nicht, dass ich insgeheim rauche. Sie weiß auch nicht, dass ich auf Musicals stehe. Ein Wort, und ich vergrabe Sie in diesem Sumpf, Sallow!"
      Das Knurren hallte an den Wänden wieder, ehe er wieder lächelte.
      "Was kümmert es? Sie haben Zeit! Die Deadline ist eine Sache für sich, aber auch aus diesem Mist wird er herauskommen. Ich meine, scheiße! Er hat den Tod überlistet damals. Also wird er auch dafür eine Lösung finden! UNd dann können Sie ihn nach Lieblingsbäumen und Farben fragen. Und nach Vätern und auch von Emely erzählen. Es ist nicht wichtig, was Sie verpassen, Sallow. Es ist wichtig, was Sie tun werden, wenn er hier aufschlägt. Es ist ein Scheideweg und eine schwere Entscheidung. Aber jeder der Wege wird sich lohnen, Ember."
      James tat es ihr schlussendlich nach und streckte sich, ehe er sich umsah.
      "Was ich tun kann?", lachte er. "Haben Sie die hässliche Rothaarige bemerkt?"
      James zwinkerte ihr zu.
      "DIe Narben stammen von mir. Also ich denke, ich kann Ihnen schon eine Hilfe sein. Gerade im Kampf gegen Magier."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • „Also Tarah konnte mich super ausstehen. Nachdem wir einmal eine... Aussprache hatten!“, fuhr Ember auf und knallte den Becher etwas zu harsch auf den Tisch, dass es Schnaps spritzte. „Und Sie finden alle selbstbewussten, jungen Anfänger lästig. Das wusste jederauf dem Revier.“ Wobei Hawthorne durchaus Recht hatte. Das, was er beschrieb, was ohne Zweifel die junge Ember gewesen, als sie damals angefangen hatte. Sie wollte sich unbedingt behaupten und hatte sich alles angelesen, was es nur gab. Getrieben durch den Unfall wollte sie sich niemals in ihrem Weg beschneiden lassen und das verfolgte sie noch bis heute.
      Dann versank sie erneut in ihren Becher, dankbar dafür, dass sich Hawthorne nur selbst einschüttete und nicht auch noch ihr. Sein Tempo war schon immer abartig gewesen und das musste sogar sie selbst zugeben, obzwar sonst sie es war, die ihre Kollegen unter den Tisch trank. Vielleicht wurde sie ja auch einfach nur alt... Wobei. Wurde James schließlich auch.
      Jedenfalls bestätigte er ihr diese Annahme, als er sich noch mehr nachschenkte, da das Gespräch scheinbar in eine Richtung abdriftete, die ihm nicht sonderlich lag. Dass August nicht offen darüber sprach, wie es in ihm aussah, war ihr mittlerweile klar und von mehreren Leute gesagt worden. Das hatte sie nie hinterfragt, sie hatte sich einfach ihren Teil dazu gedacht. Folglich machte sie ihm dafür auch keine Vorwürfe, aber es gehört zu haben würde mit Sicherheit einen anderen Einschlag haben. Dann war es nicht mehr ein Lauffeuer, sondern ein Schwelbrand, den sie nicht leugnen können würde.
      Dafür hob sie herausfordernd die Augenbrauen, als er sie fragte, was er an ihr noch nicht leiden konnte. Was er dann beschrieb war so akkurat, dass ihr sämtlicher Ausdruck aus dem Gesicht fiel. Jegliche Farbe verschwand einfach im Nichts und sie fühlte sich schlagartig so, als hätte sie rein gar nichts getrunken. Was ein wenig grenzdebil nach außen hin wirken mochte, war tatsächlich eher wie der Groschen, der fiel. Natürlich. Sie hatte es ja selbst gesagt, August war Forscher, Wissenschaftler. Der keinen Stümper bei seiner Arbeit gebrauchen konnte und sie dennoch gefragt hatte. Warum zum Geier war ihr das nicht so aufgefallen?!?!
      Weil ich es nicht sehen wollte.
      „Aaahhhhh“, stöhnte Ember plötzlich auf, kreuzte die Arme auf dem Tisch und vergrub ihr Gesicht in einer erstaunlich kindischen Gestik zwischen ihnen. Ihre Worte waren gedämpft, aber nicht minder gut zu verstehen. „Wie kann ich denn so beschissen kurzsichtiggewesen sein, mann! Beobachtungsgabe am Arsch!“
      Sie fügte noch andere Laute an, die sich verdächtig nach gequältem Stöhnen anhörten. Ihr Arm, den August ihr wieder eingekugelt hatte, schrie sie förmlich an, ihn wieder zu senken, ihre Schulter protestierte. Aber der dumpfe Schmerz lenkte sie effektiv von ihrer eigenen Dummheit ab.
      „Schon gut, schon gut! Ich schweige, immerhin haben Sie mich gerade erleuchtet.“ Sie tauchte aus ihren Armen wieder auf, wobei sie nur den Kopf drehte und Hawthorne schief von unten ansah. „Ich glaube nicht, dass er dieses Mal einen Weg findet. Er hat nicht einmal einen Anhaltspunkt, soweit ich weiß. Und seine Zeit dürfte in den nächsten Tagen um sein“, fügte sie kleinlaut hinzu und seufzte. Ihre Augen verloren sich kurz in etwas, das niemand sonst sah, bevor sie wieder zurückkehrten.
      „Sie meinen die Riesin mit dem unaussprechlichen Namen? Was zur Hölle haben Sie angestellt, damit die so aussieht? Haben Sie sich spontan Krallen wachsen lassen oder was? Dann sollten Sie mir das beibringen, das ist ziemlich cool.“
    • Das Aufstöhnen der Ermittlerin war missverständlich in Hawthornes Augen.
      Erstaunt sah er hinüber, wie sie sich urplötzlich auf dem Tisch zu vergraben suchte. Erst danach begann er noch breiter zu grinsen und sich genüsslich einen kleinen Schluck des Schna-
      Nein, das war die Suppe. Mit angewidertem Gesicht ließ er die Flüssigkeit in die Metallschüssel zurück fließen und warf die Schüssel ärgerlich durch den Raum. Jetzt war auch noch der Alkohol mit einem Nachgeschmack versaut! Konnte dieser Tag noch schlimmer werden? In einem verfluchten Moor frieren, Beziehungsgespräche und jetzt auch noch verpantscher Alkohol?
      Was hatte er dem Universum eigentlich getan?
      "Sie waren nicht kurzsichtig", murmelte James und spie noch mal die Reste der Suppe. "Gott ist das widerlich...Also was ich sagen wollte: Sie waren nicht kurzsichtig. Sie sind eine Frau, die sich mehr um ihre Zwänge kümmert als das Leben um sich herum zu sehen. Erinnern Sie sich noch daran, dass ich Ihnen damals nach Ihrer Ausbildung gesagt habe, Sie sollen auch mal leben? In eine Bar gehen, einen Mann oder eine Frau vögeln, sich betrinken und einfach spüren, dass Sie leben?"
      Räuspernd richtete er sich wieder auf und schenkte sich nach.
      "Das haben Sie nie gemacht. Und jetzt, wo Sie das Leben vor Augen haben, sehen Sie natürlich nicht hin. Denn Foremar ist nicht gerade ein Muster-Partner aus dem Katalog, sind wir ehrlich. Und erleuchten tu ich Sie die ganze Zeit!"
      Wiehernd lachend kippte er das Shotglas in den Rachen und seufzte zufrieden.
      "Oh wir das perlt", murmelte er mit brummiger Stimme, als er sich den Mund abwischte. "Nun unterschätzen Sie mich mal nicht, Sie Früchtchen! Ich habe schon Zauberer bekämpft, da haben Sie noch in Ihre Windeln geschissen und "Hello Mamie" auf zwei Zähnen gespielt!"
      Hawthorne verschränkte die massigen Arme vor der BRust und seufzte. Die Geschichte war leider nicht ganz so spektakulär.
      "Es waren andere Zeiten, wenn man ehrlich ist", begann er. "Damals haben die Arkana weitaus nicht so viel Ärger gemacht und sich meist bedeckt gehalten. Polizisten haben sich vor Implementierung der Magischen Division eher auf Hilfsmittel verlassen, wenn man es so will. Damals gab es so ein Mittel. Man nannte es "Fairy Dust". Ich weiß, klangvoller Name. Jedenfalls hatte Fairy Dust die Fähigkeit, die körperlichen Kräfte eines Menschen auf das Übermaß zu steigern. Dazu gab es verzauberte Handschuhe, die Magie immitierten, sodass wir magische Strukturen berühren konnten. Und diese Alte, Birkisdottir, kam damals, vor 20 Jahren mit dem Richter nach London. An ihrem ersten und zweiten Abend der Übernahme des Untergrundes gerieten wir in einen Konflikt. Sie ist so ein Djinn-Take-Over-Ding. Richtig widerlich sag ich Ihnen..."
      Kopfschüttelnd goss er nochmals nach und seufzte.
      "Na jedenfalls hatte Fairy Dust damals die Nebenwirkungen, dass man den Körper kurzfristig völlig überlastet. Meistens hieß das tagelang Krankenhaus und Innendienst, wenn man es übertrieb. Und als die Situation kritisch wurde, nahm ich vier Dosen von dem Zeug. Ich war in der Lage, mit dem Richter und dieser merkwürdigen Hexe mitzuhalten, hatte jedoch nicht die Auswirkungen auf meinen Leib im Kopf. Die Narben entstanden damals, als ich einen Stein vor ihr zertrümmert habe. Ging in tausend scharfe Splitter hoch."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Gehen Sie raus, mischen Sie sich unter die Leute und vergessen Sie, dass Sie scheinbar nur für die Arbeit leben. Lassen Sie locker, lassen Sie sich gehen. Sie sollten nicht ständig an einem Gespinst aus der Vergangenheit nachhängen, das versaut Ihnen nur alles.
      Das war sehr lange her. Worte, die Hawthorne tatsächlich sehr früh an sie gerichtete hatte, nachdem sie häufiger mit ihm in Kontakt gestanden und er erfahren hatte, welche Motivationen sie verfolgte. Dass diese Motivation fraglich gewesen war, hatte jeder, selbst sie, gewusst. Trotzdem hatte es dafür gesorgt, dass sie nun da stand, wo sie war. Auf dem Weg dorthin hatte Ember jedoch große Teile von dem ausgelassen, was Hawthorne ganz recht bemerkt hatte. Das Leben war an ihr vorbeigezogen, was Alex ihr eigentlich recht deutlich hätte beweisen müssen.
      Noch immer war sie auf dem Tisch in ihren Armen vergraben, als sie protestierend einen einzigen Finger hob. „Ich binin Bars gegangen. Ich binin Kontakt mit Männern und Frauen gekommen und hab auch den ein oder anderen ins Bett geholt. Nur damit das klar ist.“ Sie dachte an Ruairi und vergaß dabei, dass Hawthorne gar nichts wusste, dass sie ein Verhältnis hatten. „Wer ist denn schon ein Muster-Partner? Bin ich auch nicht. Erinnern Sie sich noch an Alex, den Sani? Der wäre ein Muster-Partner gewesen, aber selbst das ist in die Brüche gegangen.“
      Ruairi kam dem sehr nahe. Er war herzlich, er setzte Berge in Bewegung und machte sich selbst Vorwürfe, wenn er nicht in Zeiten der Not da war. Er sah sich selbst nicht als den guten Mann an, den er war. Den Mann, der von Ember keine Furcht zu erwarten hatte, egal, was er ihr zeigte. Und doch war ihr Verhältnis nun irgendwie zerrüttet, eine Stille hatte zuletzt zwischen ihnen gestanden, die sie bei genauerer Betrachtung unglaublich schmerzte. Unausgesprochene Worte lagen zwischen ihnen, genauso wie zwischen ihr und August.
      Allmählich tauchte Ember aus ihrer Versenkung wieder auf. „Stimmt. Von Fairy Dust hab ich gehört und auch, dass es aus dem Verkehr gezogen worden ist wegen der unberechenbaren Nebenwirkungen.“ Sie richtete sich wieder vollkommen auf, um seiner Erzählung weiter zu lauschen und noch was von dem Schnaps zu trinken. „Ich hatte ja schon so einige Stories von Ihnen gehört, aber das ist mir neu. Ich glaub, das hatte man mir nie erzählt, damit ich Ihnen nicht nacheifer oder so ein Schwachsinn.“ Sie lächelte in ihren Becher hinein. In vielen Aspekten hatte sie Hawthorne nachgeahmt, ohne dass es ihm wohl wirklich aufgefallen war. In etlichen Hinsichten hatte sie sich Herangehensweisen von ihm abgekupfert obwohl sie es wohl nie zugegeben hätte.
      „Das klingt unglaublich, dass Sie mit dem Richter mithalten konnten. Selbst, wenn es nur mit Doping war. Und da soll noch mal einer sagen, dass wir Nichtmagischen nicht gefährlich seien.“ Das erinnerte Ember an den einen Abend, wo Ruairi sie so seltsam angesehen hatte. Ganz zu Anfang, als hätte er Sorge davor gehabt, dass sie ihm etwas hätte antun können. Damals, als sie ihm die Waffe auf den Tisch gelegt hatte. „Ich weiß, dass ich nie die Mustermitarbeiterin war, die Sie gerne gehabt hätten. Aber Sie waren eine unglaublich gute Vorbildfigur, egal, was Andere sagen. Wenn Sie nicht gewesen wären, hätte ich vermutlich noch ganz andere Bahnen eingeschlagen. Ich weiß das zu schätzen.“
      Ember prostete Hawthorne mit ihrem Becher zu und schob ihn anschließend zu ihm herüber. Jetzt durfte er ihr doch nachschenken.
      „Sie haben mir damals übrigens vorgehalten, dass ich mit August was angefangen hab. Ist das eigentlich immer noch so? Ist es in Ihren Augen immer noch... unklug?“
    • Grinsend nahm er ihr Glas entgegen und ließ den Schnaps in bedrohlichen Wellen über den Rand fließen.
      Es war merkwürdig entspannend, selbst für Hawthorne, hier so unbedarft zu sitzen, während die Welt dort draußen brannte. Die Götter mochten sie davor bewahren, was geschah, wenn August wirklich das Zeitliche segnete und die Arkana auch noch die zweifelhafte Stimme der Vernunft verlören.
      Sorgsam schob er das Glas wieder zu ihr rüber und prostete ihr zu.
      "Na dann haben Sie ja wenigstens einmal auf mich gehört", grinste er und leerte das Glas zur Hälfte. "Alex? Ja, ich erinnere mich an den Sanitöter. Ganz im Ernst, Sallow? Der wäre nicht mal ein Muster gewesen, wenn man es ihm auf die Stirn gestempelt hätte. Alex war verzehrt von der Angst um sie und hatte kein Vertrauen in Ihre Fähigkeiten. Das wäre auf Dauer nicht gut gegangen..."
      Sorgsam sah er Ember ins Gesicht und erkannte darin die Reminiszenzen, die er selbst vor vielen Jahren einst gefühlt hatte. Das Ungewisse des Jobs machte Beziehungen per se sehr schwierig. Da war es kein Wunder, wenn sie reihenweise scheiterten. Selbst die Ehen von Polizisten hielten zumeist nicht lange.
      Seufzend fuhr er sich durch das länger gewordene, mittlerweile deutlich grau melierte Haar und das unrasierte Gesicht, das auch mehr graue als schwarze Haare zierte. Die Augen des Polizisten waren blutunterlaufen, aber wach, auch wenn die Tage lang gewesen waren.
      "Die Stories von mir sind auch keine Geschichten, die man erzählen sollte", murmelte er. "Ich war in meiner Jugend ein sehr unvernünftiger und rücksichtsloser Mann. Die Nebenwirkungen von diesem Zeug haben mich nicht interessiert und noch heute würde ich sagen, dass ich es jederzeit genauso gemacht hätte. Von daher danke ich für Ihre Worte, auch wenn Sie nicht stimmen. Ich war ein beschissenes Vorbild und das ist gut so. Ein Chief sollte nie ein gutes Vorbild sein. Er sollte die Abschreckung sein, der Weg, den andere nicht gehen wollen."
      Seltsam nachdenklich sah er an Ember vorbei und lächelte versonnen.
      "Es war eine harte Zeit damals", murmelte er. "Und Sie wären als Mustermitarbeiterin niemals so weit gekommen. Ich brauchte Jemanden, der bereit war, die Wege zu gehen, die keiner gehen wollte. Auch wenn ich mir die Haare hätte raufen können, haben Sie getan was zu tun war. Und das war gut so."
      Ruhig prostete er ihr erneut zu und leerte das Glas. Dann musste er lachen.
      "Ist es klug, mit einem vermutlich halb Wahnsinnigen eine Liaison einzugehen?", fragte er kichernd und schüttelte den Kopf. "Scheiße, nein. Es ist nach wie vor unklug. DIe Dunkelheit in diesem Wichser ist tiefer als der Mariannengraben, wenn Sie mich fragen. Und selbst nach Wochen der Zusammenarbeit kann ich nicht sagen, ob er mir jemals alles sagen wird. Ich kann immer nur davor warnen, sich kopfüber in die Dunkelheit zu stürzen, sondern eine Sicherheitsleine bereit zu legen, wenn Sie verstehen. August Foremar neigt stets dazu, sich selbst umzubringen, wenn er zu weit geht..."
      Schließlich zuckte er die Achseln und sah Ember an.
      "Aber wer sagt, dass klug zu sein und zu entscheiden immer der richtige Weg ist?"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • „Ich seh's ja ein, dass es auf Dauer nicht gut gegangen wäre. Deswegen haben wir uns ja auch im Einverständnis getrennt, aber das ändert nichts daran, dass er bis auf seine Angst alles in eine Beziehung eingebracht hat, was man sich hätte wünschen können. Er war halt einfach nicht für mich bestimmt. Und andersherum.“
      Es war kein Geheimnis, was der Grund für ihre Trennung gewesen war. Dass sie Alex hin und wieder auf dem PD noch begegnete, war eher eine glückliche Fügung, denn gut waren sie auseinander gegangen. Außerdem mochte es Ember nicht, wenn man ihn abwertete anhand der Dinge, die er in ihrer Anwesenheit ausgelebt hatte. Seine Angst würde bei einer anderen Frau verschwinden, die nicht ständig ihren Kopf riskierte.
      Nachdenklich lauschte Ember dem Selbsturteil des ehemaligen Commissioners. Seine Worte mochten durchaus Sinn ergeben, jedoch würde sie sie niemals so unterschreiben. Auch Knight war jemand, der in seiner Position abschreckend wirkte und wenn man Hawthornes Urteil auf ihn anwandte, dann hatte der Mann in seiner Aufgabe brilliert. So verbissen wollte und würde sie niemals werden. „Ich denke nicht, dass jemand ein beschissenes Vorbild sein kann, wenn er längst zurückliegende Taten reflektieren kann und sie genauso so wiederholen würde.“
      Unvernünftig waren viele Menschen, und das oftmals sehr lange. Daraus aber das Bessere zu machen war hierbei die große Kunst. Das hatte Hawthorne mehrfach bewiesen und gab diese Erkenntnis an seine Nachfolger weiter, ohne es wirklich zu schätzen.
      „Zum Glück haben Sie nicht zu viel gerauft, sonst wären Ihre Haare nicht nur grau sondern auch licht“, erwiderte Ember nüchtern und nahm einen weiteren Schluck. „Aber ich sag ja, meine verschrobene Motivation und Eigenart hat mich eben Dinge tun lassen, die sonst keiner wollte. Immer ein für und wider, James.“
      Nun knöpfte Ember ihren Mantel doch langsam auf. Die Wärme aus dem Haus und der Alkohol schafften es, die Kälte aus ihr zu vertreiben, sodass sie es als gesichert ansah, den Mantel zumindest zu öffnen. „Das gefällt mir nicht, wenn Sie ihn als halb wahnsinnig beschreiben. Das klingt in meinen Ohren dann so, als wenn ich auch nicht mehr alle Tassen im Schrank hab.“ Immerhin hatte sie ja eine Alternative, wenn sie denn wollte. „Sie kennen ihn ja länger als ich. Besser, würde ich schätzen. Es ist einfach wertvoll für mich auch noch ein anderes Urteil zu hören. Von jemanden, der ihn kennt. Ich weiß, dass er Abgründe hat, aber ich kann nicht abschätzen, wie tief sie sind. Manchmal denke ich immer noch, ich bin in seiner Nähe zu gutgläubig und gehe ihm auf den Leim. Was auch immer er da plant.“
      Jedenfalls war das anfangs so. Sie hatte sich mit Händen und Füßen gegen ihn gesträubt, gegen seine Worte gekämpft und alles hinterfragt. Irgendwann hatte sie damit aufgehört und in Kauf genommen, dass sie ihm wieder auf den Leim ging. Irgendwann wurden Embers Augen ein wenig düsterer, befangener.
      „Wenn es schlecht läuft, wird mir eine Entscheidung abgenommen. Wie realistisch schätzen Sie es ein, dass er einen Weg finden wird? Das Unvermeidliche doch zu umgehen? Hoffnung ist.... schmerzhaft.“
    • James schien eine Weile ziellos im Raum Punkte zu fixieren, als gelänge es ihm nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Stimmung des Hauses drückte ihm auf die Seele, wenn er ehrlich war. Es widerte ihn regelrecht an, dass er sich hier so heimisch fühlte, obschon es nicht sein Haus war. Auch war es ihm als würden sie beobachtet.
      Ziellos streifte sein Blick umher, doch im Gegenlicht des Fackelscheins der Kerzen war nichts zu erkennen. Kein Geräusch außer Embers Stimme erhellte das Gebäude. Er musste sich täuschen. Musste.
      "Ich würde es nicht so sehen. Reflektieren kann grundsätzlich Jeder. Es ist eher die Frage, ob ich die daraus gewonnen Erkenntnisse gewinnbringend für mich umsetzen kann. Ein Chief hat keine Vorbildfunktion mehr. Er ist das politische Instrument um eine Behörde zu leiten. Und dieses Instrument sollte nicht fragwürdig in seinen Aktionen sein", grunzte James und atmete durch. "Ist meine Meinung. Und so sehr ich mich gerauft habe, meine Haare wurden erst jetzt grau, nachdem ich für diesen Wahsinnigen gearbeitet habe. Das heißt so schlimm können Sie gar nicht gewesen sein, Ember."
      Schulterzuckend beobachtete er Sallow dabei, wie sie sich langsam ihres Mantels entledigte. Na, da mochten die Götter doch ein Einsehen haben, dachte er beim Ausdrücken der Zigarette. Würde sie doch noch locker werden?
      Ihre Fragen wurden nicht besser, wenn er das so behaupten müsste.
      "Was soll ich Ihnen jetzt sagen, Ember", murmelte er und fischte sich die nächste Zigarette aus der Packung. DAs Klicken des Feuerzeugs ertönte und er nahm einen Zug von dem Giftzeug. Brennend labil jagte es durch seine Luftröhre und hinterließ neben dem widerlichen Geschmack noch das Gefühl des Zuges, der an ihm riss. Merkwürdige Stimmung. "Ob ich August besser oder länger kennen würde, weiß ich nicht. Länger, ja. Aber besser? Ich weiß, dass er fasziniert von allem Neuen und Rätseln ist. Vor allem die Unlösbaren scheinen seinen beinahe jugendlichen Eifer zu wecken. Andernfalls erscheint er mir wiederum in anderen Situation sehr arglos und beinahe naiv. Gerade was Gefühle angeht, neigt er dazu, das erste zu glauben und erst dann zu hinterfragen. Als würde man mit einem Mann Mitte 20 sprechen anstelle eines Greises. Und die Abgründe...Ja, er hat die ABgründe mit sich. Und sie sind tief, Ember. Sehr tief. Ich wollte eigentlich Noland irgendwann bitten, einmal hinein zu sehen, aber ich denke, nicht mal er würde das begreifen wollen..."
      Ruhig legte er seine Hände auf den Tisch, nachdem er die Zigarette im Aschenbecher abgelegt hatte. Sein Blick war merkwürdig konzentriet, obschon er den Alkohol in seinem Kopf bemkerkte.
      "Ember, ich...Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll", murmelte er und kratzte sich nervös an der Nase. "Ich meine, Hoffnung ist schmerzhaft, ja, aber es ist besser als keine Hoffnung mehr zu haben. Bisher hat dieser Mensch sich immer wieder aus allem herausbugsiert. Und ich weiß, dass er mit Hochdruck an einer Lösung gearbeitet hat. Da war noch so ein Forscher...So eine merkwürdige kleine Frau mit abstehenden Haaren und Brille. Sie wollte auch herkommen. Sie arbeiten zusammen daran und scheinen sich in endlose Diskussionen zu begeben. Aber wie es genau steht, weiß ich nicht und will ich nicht bewerten..."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von NicolasDarkwood ()