Dusk & Dawn [Asuna & Nico]

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    • Nach rems Erklärung nach hatte sich August im wahrsten Sinne des Wortes verrannt. Er war irgendwo stecken geblieben oder gelandet und wusste vermutlich selbst nicht einmal, wo er sich befand. Sollte dieses eingebildete Abbild doch behaupten, dass sie ihm nicht mehr helfen konnte. Dann würde sie dem dämlichen Abbild zeigen, dass ihre veralteten Theorien in der Zeit stecken geblieben waren und sie gefälligst an ihren eigenen Worten ersticken sollte.
      Gott, wie sie dieses Abbild nicht ausstehen konnte.
      „Was für ein Zufall, dass wir deine Essenz direkt parat haben“, sagte Ember leise mit noch immer derselben gepressten Stimmlage wie zuvor.
      Es bedurfte ein starkes Gefühl, um August zu finden? Kein Problem. Vermutlich würde Perley schon ausreichen, wenn man bedachte, wie geladen er sie aufgesucht hatte, kaum war klar gewesen, dass der Rogue verschwunden war. Doch hätte er nicht ausgereicht, dann hätte sie an seine Stelle treten können und eine breite Palette an ausreichend starken Gefühlen anbieten können. In Bezug auf August hatte sie scheinbar fast alles durchlebt, was nur irgendwie möglich war.
      Sagt August, dass ich ihn hasse.
      Das sorgte endlich dafür, dass Ember nicht mehr all zu sehr auf dem gerade Erfahrenen fest hing sondern sich wirklich dem Weiterkommen stellte. Sie würde August ganz bestimmt nicht diese Nachricht übertragen, denn in diesem Falle war sie sich absolut sicher, dass die echte Rem das niemals gesagt hätte. Dass es etwas war, das einzig und allein aus Augusts verzerrter Wahrnehmung stammte. Diese Genugtuung würde sie ihm nicht tun.
      „Hab ich schon mal erwähnt, dass mir so schwarze Löcher wirklich nicht gefallen?“ Mit Argwohn sah Ember dabei zu, wie das schwarze Loch in der Mitte des Spiegels stetig weiter wuchs und das feste Glas nicht mehr als fest erkennbar machte. „Urgh, und ein Freund von Lavendel war ich auch noch nie.“
      Sie rümpfte die Nase während sich ihre Nackenhaare aufstellten. Dafür hatte sie nun keine Zeit. So viel zum Thema, sie konnten ihm nicht mehr helfen... Hier vor ihnen war ein Weg, um August finden zu können. Der Donnerhall, der fernab klang, mischte sich mit einer Stimme, die sie über den Tag verteilt schon ein paar Mal gehört hatte. Sie atmete einmal tief durch, dann straffte sie ihre Schultern.
      „Jep. Ich hatte mir unsere Jagd zwar nicht so vorgestellt, aber es kommt ungefähr hin, hm?“
      Wie befohlen holte sie alles an Emotionen hervor, die sie in Bezug auf August aufbringen konnte. Jede einzelne mit ihrem charakteristischen Gefühl und Geschmack auf der Zunge, von denen sie am Ende nicht einmal bestimmen konnte, welche die dominierende war. Als sie durch den Spiegel trat, wusste sie nicht recht, wie ihr geschah. Es fühlte sich an, als riss man an ihr aus verschiedenen Richtungen. Kurz bevor sie dachte, dass ihr wirklich das Fleisch abgerissen worden wäre, fand sich Boden unter ihren Füßen wieder und sie kam stolpernd an.
      Aber wo kam sie überhaupt an?
      Ember stand allein in einem dunkel düsteren Wald mit knorrigen Bäumen ohne Laub und modrigem, moosbewachsenem Boden. Eigentlich sollte es in Wäldern frisch riechen, die Luft hier war davon meilenweit entfernt. Während sich Ember umblickte hörte sie kein einziges Geräusch außer dem leisen Rieseln von Regen. Schließlich tauchte Perley aus dem Nichts auf und sie wusste, dass sie zumindest das gleiche Ziel hatte wie er.
      „Wunderbar. Dann sind wir ja ein Stück weiter“, meinte Ember nüchtern und schloss die Augen. Vielleicht hörte sie ihn hier ja deutlicher oder wusste zumindest in welche Richtung sie laufen müssten.
      Komm schon, August. Lass dich finden.
    • Der Wald, der sie umfing, glich einem Gruselkabinett einer Kinderphantasie.
      Mannsgroße Wurzeln ragten aus dem finsteren Boden wie Finger, die nach den Knöcheln griffen. Die wenigen Pflanzen, welche neben den meterhohen Bäumen wuchsen, erschienen einem wir Karikaturen von Unkraut, das von Nachtschatten zu wachsen schien. Fahl schien das Mondlicht durch die Wipfel und ließ die wenigen Baumkrusten wie Gesichter aussehen, die mahnend starrten. Geradezu dräuend blickten die Äste auf sie hinab, während Caulson sich den Staub von den Klamotten schlug.
      "In Etwa", murmelte er und nickte Ember zu. "Versuchen Sie es gar nicht erst. Dies hier ist August Magiekonstrukt. Sie werden ihn hier überall spüren, weil er es ist. Wobei ich auch diese bösartige junge Frau hier spüre. Und es fühlt sich nicht gut an."
      Es brauchte nicht die Anmerkung des Butlers, um die Kälte zu verdeutlichen, die auf diesem Raum lag. Das sanfte Plätschern eines Bachs oder Flusses erfüllte den Raum und seufzend marschierte Perley los, nachdem er sich die Ärmel hochgekrempelt hatte.
      "Rüsten Sie sich", sagte er. "Wir sind in Augusts Alptraum. Ich habe keine Ahnung, was dieser Spinner sich hier noch ausmalt."
      Das Unheil, das er befürchtete, sollte nicht lange auf sich warten lassen...

      Nach einer ganzen Weile strammen Fußmarsches durch weichen Boden und merkwürdige Wurzeln, schien die Welt sich nicht mehr zu drehen. Jeder Baum sah aus wie der Nächste und keine Route schien erkennbar. Die Dunkelheit, die sie umfing, war allgegenwärtig und griff mit kalten Fingern nach ihrem Verstand, während Perley einen Ast beiseite schlug und ihn abknickte.
      Alter Pfadfindertrick um eine Route zu finden. Leider waren sie bereits an sieben solcher Äste vorbei gekommen.
      "Ich gebe es zu", murmelte er. "Ich hab mich verlaufen. Haben Sie eine Idee?"
      Gerade wollte er erneut einen Weg einschlagen und hielt doch inne. Wie von einer Kugel getroffen erstarrte der Jäger und sah in die Richtung, in welche sie gerade gehen wollten.
      "Sollten Sie eine Möglichkeit haben sich zu verteidigen, sollten Sie es jetzt tun", murmelte er und wies mit dem Kinn in die vorgesehene Richtung.
      Dort, aus dem Finstern des Waldes, erhob sich etwas aus dem Unterholz. Dies Wesen war eindeutig menschlicher Natur, denn es lief auf zwei Beinen. Doch der Gang war komisch. Es schien, als wäre das Wesen verletzt.
      Beim Näherkommen schien der Mond dem Pfad des Wesens zu folgen und mit jedem Meter wurde es einem Beobachter gewahr, dass es sich um einen jungen Mann handelte.
      Sein Gesicht war vollmundig und kantig und das Kinn zierte ein leichter Bartschatten. Die Haare, oder das was man Haare nennen konnte, waren ein Wust an Locken, die ihm in alle Richtungen abstanden. Der Mann, dessen Name ihnen noch unbekannt war, war recht groß gewachsen und von drahtiger Gestalt. Und doch brannte in seinen Augen dasselbe helle Feuer, was man bereits in Rems Augen gesehen hatte.
      "Erneut eine Essenz", murmelte Perley und duckte sich leicht.
      Keine Sekunde zu früh, wie es schien, denn just in dem Moment, da sie sich bereit machten, schien sich die Luft zu verändern. Ein Druck begann auf der Stelle zu lasten, an der Ember stand und Perley brauchte keine Sekunde. Mit einem Schrei ("RUNTER!") riss er Ember zur Seite fort, als der Baum hinter ihnen Beinen wie von einer Bombe getroffen explodierte.
      Jedoch war es nicht Auswirkung der Explosion die derartig Schaden anrichtete. Hierbei war erstaunlich, dass der Baum nicht zersprang, sondern regelrecht zerfiel. Als würde von einer unsichtbaren Macht aufgelöst.
      Hart kamen Perley und Ember auf dem Boden auf. Der Matsch kaschierte den Fall, aber dennoch war es ein Stück Boden, auf das sie plumpsten. Perley trieb es die Luft aus den Lungen und eilig rollte er sich von Ember hinab.
      "Scheiße", knurrte er. "Das ist Newgate. Angeblich Zerfallsmagie. Hoffe, Sie haben Bock."
      Schweigsam zog er eine alte Beretta aus der Innentasche seiner Jacke und warf sie Ember zu.
      "Sie sollten wissen, wie Sie damit umgehen. Antimagische Kugeln und nur drei davon. Also zielen Sie gut, Sallow. Und keine Rücksicht. Sie sind nicht real."
      Caulson wartete nicht auf weitere Reaktion.
      Mit einem Knurren schoss er aus dem Dickicht, das sie bisher schützte und rannte auf Newgate zu, der sich dem Angreifer beinahe seelenruhig zuwandte. Mit einer wegwerfenden Handbewegung explodierte der Boden um Caulson an drei verschiedenen Stellen. Aus nächster Nähe ließ sich erspüren, dass die Aura des Zauberers wie eine Zierharmonika war. Sie dehnte sich und zog sich zusammen. Und das in Form einer klauenbewährten Hand. Überall wo die Geisterhand den Boden oder anderes berührte, zerfiel dieses zu Staub.
      Perley schluckte und tat drei weitere Schritte, ehe er den Zauberer ansprang. Mal sehen wie gut er war...

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      Perley springt ihn frontal an und die beiden beginnen zu ringen. Rest is up to you ;)

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    • Dass ein Versuch sinnlos war hatte Ember schon nach etwa zwei Sekunden merken dürfen. Es schrie von allen Seiten jemand auf sie ein mit wirren Worten, die sie nicht verstand. Sie hatte aufgehört zu lauschen, da hatte Perley seinen Satz erst zur Hälfte vervollständigt.
      „Vielleicht hätte ich doch eine Waffe einpacken sollen. Erinnern Sie mich das nächste Mal dran, nicht unbewaffnet aus dem Haus zu gehen“, murmelte Ember und stapfte Perley hinterher, der die erste Richtung angab.

      Es änderte sich rein gar nichts, außer dass ihnen die Moral schwand. Egal wie weit sie liefen oder woran sie sich zu orientieren suchten, die Umgebung schien immer gleich. Der Stand des Mondes änderte sich nicht und auch die abgeknickten Äste wiederholten sich. Sie waren in einem Alptraum. Da war es nur logisch, dass es daraus nicht so einfach zu verschwinden galt. Es musste eine andere Kondition geben, um es zu durchbrechen. Andernfalls wäre August auch schon längst zurück gekehrt.
      „Seh ich. Wir könnten -“
      Zeitgleich mit Perley blieb auch Ember stehen. Ihr Puls beschleunigte sich als sie dem Blick des Jägers folgte und eine Gestalt ausmachen konnte. Wie er auch erkannte sie den menschlichen Umriss relativ schnell, ebenso wie das falsch wirkende Gangbild. Embers Augen verschmälerten sich während sie Perley leicht duckte. Sie kannte ihn nicht, aber der Hinweis, dass es noch eine Essenz sein musste, reichte ihr, um auf der Hut zu sein. Ein Abbild im Spiegel war eine Sache. Eine freilaufende Essenz ihr gegenüber eine ganz andere.
      Das realisierend bemerkte Ember den Druckabfall und verlagerte ihr Gewicht zur Bewegung, da hatte Perley sie schon umgerissen. Noch während des Falles fanden ihre Augen den Ursprung dessen und sah, wie sich ein Baum auflöste. Das hatte sie schon einmal gesehen, vor Monaten zum ersten Mal. Die Erkenntnis packte Ember, da prallten sie beide auf dem unebenen Boden auf und irgendwas in ihrem Rücken knackte. Sofort rollte sich Perley von ihr ab und sie stemmte sich auf die Ellbogen auf.
      „Hab das schon mal gesehen“, erwiderte sie knapp und ignorierte den Matsch, der ihre Kleidung ruinierte.
      Noch einer von Augusts Freunden. Also war die Chance, dass die anderen auch hier waren nicht unbedingt gering. August ließ sich von seinen eigenen Freunden jagen, ein Mahnbild, dass er noch immer heimgesucht wurde.
      Allerdings war sie in der Tat darüber überrascht, als Perley ihr eine Beretta reichte. Sowas versteckte er also neben Bageln in seiner Jackentasche. „Ich weiß.“ Sie nahm die Waffe an sich und checkte kurz das Magazin. In der Tat. Nur drei Kugeln. Munition war wertvoll, nichts davon vergeuden.
      Perley war bereits aus dem Dickicht gestürzt und hatte Newgate anvisiert. Durch das Gestrüpp beobachtete Ember, wie der Boden an drei Stellen zerfiel. Zeitgleich. Vorhin war es nur der Baum hinter ihnen gewesen und die Strecke dazwischen war unberührt geblieben. Was bedeutete, dass sein Bereich stark abgegrenzt war und sich nicht erstreckte wie die des Richters.
      Damit konnte man arbeiten.
      Dann sprang Perley ihn unverwandt frontal an und Ember setzte sich in Bewegung. Sie umzirkelte die zwei ringenden, wohl wissend, dass sie nun schnell sein musste. Gegen den Zerfall war auch Perley nicht immun und wenn sie versuchte auf Newgate zu schießen war die Chance hoch, auch Perley zu treffen. Etwas anderes musste her.
      Wenn diese Essenz hier zwischen ihr und August stand, dann würde sie weichen müssen. Ember fokussierte sich vollends auf den Rogue und sprintete dann selbst aus der Deckung los. Indes hatte Perley von Newgate ablassen müssen, um aus der Gefahrenzone zu kommen. Kurz vor dem Rogue tat sich ein Graben auf, wo nur eine Sekunde zuvor der Hauswirtschaftler noch gestanden hatte. Im nächsten Moment warf sich Perley ihm wieder an den Hals und entdeckte Ember, die noch drei Meter entfernt war. Zwei übereilte Herzschläge später war sie nah genug dran und hatte mit der dominanten Hand ausgeholt. Mit all ihrer Macht donnerte sie dem Rogue den Schaft der Beretta gegen die Schläfe, sodass ihr ganzer Arm erzitterte. Der Rogue taumelte ihr entgegen, zog Perley mit sich und alle drei schlugen wie ein Sandwich auf dem Boden auf. Ember, die ganz unten lag, bekam kaum Luft, schlang aber geistesgegenwärtig den Arm um Newgates Hals und drückte ihn so fest zu, wie sie konnte.
    • Diese Frau konnte nicht einfachste Anweisungen befolgen!
      Perley war wütend, als er von Newgate hinfort geschleudert wurde und aus den nächsten Metern Ember heran schießen sah. Zugegeben, Körpereinsatz konnte die Frau. Sie schlug der Essenz die Waffe an den Kopf und brachte den Zauberer damit nicht nur ins Taumeln. War auf dem Gesicht eine Art Schmerz zu sehen? Wie konnte eine Essenz Schmerz empfinden?
      Dass die Essenz sie beide unter sich begrub war ein erstaunlicher Umstand, aber nicht überraschend. Überraschend hingegen war die Leichtsinnigkeit, mit der Ember Sallow vorging. Einen Würgegriff? Wirklich?
      Mit einem Knurren zog sich der Jäger unter der Essenz hervor und rollte sich zur Seite ab.
      "NEIN!"
      Just in dem Moment als der Arm der Essenz nach oben schnellte und sich um Embers Gesicht legen wollte, nutzte er den vollen Schwung seiner kurzen Springbewegung, in die Perley verfallen war. Mit einem schnellen Tritt, der jedem Fußballspieler Ehre gemacht hätte schnappte der Arm der Essenz zur Seite, wo die Erde regelrecht in Staub zerfiel. Die zweite Bewegung des Jägers, war fließend und beinahe unsichtbar.
      Ruppig knallte er der Essenz sein Knie auf die Brust und schlug mit ungeahnter Brutalität mit der Faust in sein offenes Gesicht. Zauberer waren keine Unsterblichen. Sie waren keine Götter! Denn Götter bluteten nicht. Und so wie das Blut nach drei gezielten Schlägen spritzte,war das Ganze hier eine Farce.
      Heulend vor Schmerz schob sich die Essenz von Ember herunter und wand sich aus dem Klammergriff der Detective. Perley stellte sich hab zwischen sie beide und fuhr Ember an.
      "Ich gebe Ihnen eine Knarre und Sie machen einen auf Freistilringer? Wirklich?", fauchte er und schüttelte den Knopf.
      Die Essenz rappelte sich auf und Newgate wirkte nicht mehr so angriffslustig wie vorher. Stattdessen tropfte Blut aus seiner zertrümmerten Nase und den Jochbeinen um seine Augen.
      "Was glauben Sie, wie ich August noch in die Augen sehen kann, wenn Sie draufgehen, verfluchte Scheiße?!"
      Die Stimme des Butlers wirkte beinahe verzweifelt, ehe er sich dem Zauberer stellte, der sich mühsam aufrappelte und sie beide aus zuschwellenden Augen ansah.
      "Geht weg!", rief die Essenz mit einer unirdischen Stimme. "Wenn ihr August liebt, lasst ihr ihn endlich sterben!"
      "Ach halt die Klappe, du Pappeimer!", grunzte Perley und wischte sich Rotze vom Gesicht, die hoffentlich seine eigene war. "Würden Sie dann?"
      Keine Sekunde zu früh.
      Erneut spürte er den Druck in seiner Nähe und sprang wieder zur Seite, ehe die Welt um ihn herum zu Staub zerfiel. Kam ihm das richtig vor? Zielte dieser Bastard überhaupt?

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    • Es dauerte zu lange. Viel zu lange. So lange, dass Ember an Newgates Kopf vorbei blicken und feststellen durfte, dass Perley offensichtlich nicht unbedingt für ein Tagteam eingestellt war. Sie brachte ein ersticktes Geräusch hervor, als sich eine Hand auf ihr Gesicht zubewegte, ihre Finger schlossen sich fester um den Griff der Baretta, die noch immer in ihrer Hand war. Na gut, vielleicht hatte Perley ja doch recht gehabt und sie war noch befangen.
      Die Hand wurde plötzlich von ihrem Gesicht weggerissen, aus ihrer Position sah sie nicht, dass es ein Tritt gewesen war. Der Ruck ging dafür durch ihrer beider Körper und dann bekam Ember tatsächlich keine Luft mehr. Das Knie, das Perley Newgate auf die Brust drückte, war so schwer, dass es ihr jeglichen Freiraum nahm. Trotzdem hielt sie ihren Griff eisern bei, solange es eben notwendig war. Bis ein weitaus heftiger Ruck den Kopf der Essenz auf ihre Brust knallen ließ und Ember erst nach dem zweiten Schlag recht realisierte, dass Perley auf ihn einprügelte. Beim dritten Schlag schrammten Spritzer seines Blutes über ihre Wange und das schmerzerfüllte Heulen war so markerschütternd, dass sich ihr Griff kaum merklich lockerte. Schlussendlich befreite er sich aus ihrem Griff und robbte von ihnen weg.
      Noch immer lag Ember auf dem Rücken, vor ihren Augen hatten schwarze Punkte zu tanzen begonnen. Schmerzerfüllte Atemzüge taten sich abgehackt als müssten ihre Lungen erst wieder lernen, wie man sich entfaltete. Das war doch alles absurd. Niemand hatte gesagt, dass Essenzen Schmerzen leiden und bluten konnten. Irgendwas stimmte hier nicht.
      „...Stopp...“, krächzte Ember leise und rollte sich über knorrige Wurzeln auf die Seite, wo die schwummrig Newgate ausfindig machen konnte, der sich auf die Beine kämpfte. Zwischen ihnen stand Perley wie eine Mahngestalt, allerdings klang er so gar nicht danach.
      Darüber machte sich Perley ernsthaft Gedanken? Wie August reagieren würde? Das aktivierte ihre nicht gerade geringen Lebensgeister. Er sollte sich viel lieber Gedanken um seinen eigenen Kragen machen, wenn sie ihn in einer ruhigen Minute in die Finger bekam. „Stopp, Perley“, versuchte sie erneut, war allerdings immer noch mehr kehlig als laut.
      Übertönt wurde sie von der Essenz, deren unwirklicher Hall die Bäume zum Ächzen brachte. Ein neues Frösteln überkam Ember, die wie Perley auf den Druckabfall reagierte, glücklicherweise aber nicht in Reichweite lag. Perley hingegen schon, der mit einem beherzten Sprung auswich und seiner Begleitung freie Sicht auf die Essenz gab.
      „Okay, STOPP JETZT!“, brüllte sie aus Leibeskraft und erntete damit die Aufmerksamkeit beider Männer, kaum stand sie wieder und hatte dieses Mal die Waffe hochgenommen. Sie achtete nicht auf Perley sondern nur auf die Essenz vor sich. Oder den Rogue, den Mann, was auch immer er sein sollte.
      „Dann lass mich mich von ihm wenigstens verabschieden! Wenigstens das solltest du mir als sein Freund doch zugestehen können!“
      Die Essenz hier vor ihren Augen war kein knallharter Abwehrmechanismus. Denn sonst hätte er schon längst einen von ihnen ernsthaft getroffen und zu Staub zerfallen lassen. Die Angriffe waren immer zu knapp gewesen, wie eine Warnung, aber nie mit tödlicher Präzision ausgeführt. Der Gang, wie sich Newgate eben genähert hatte, wirkte seltsam. Vielleicht, weil er nicht verletzt sondern gehetzt wirkte? Die ganze Gestalt wirkte mittlerweile nur erbärmlich und wenn man es aus dem richtigen Winkel betrachtete eher wie ein verletztes Tier. War das... Angst?
      „Du bist doch der, der ihm den Teufel in den Rücken geritzt hat, oder? Was hältst du von einem Waffenstillstand? Bis ich mich verabschieden konnte, hm?“, rief sie ihm herüber, hielt sich aber bereits für den Fall, dass auch Worte ihren Sinn verfehlten.
      Denn dann musste sie auf das zurückgreifen, das ihre Wirkung nie verfehlte.
    • Die unwirkliche Situation wurde noch kurioser, als sich Ember wirklich gegen seine MEthode entschied.
      Es war eine Sache, einem Befehl nicht Folge zu leisten. Dafür mochte es die ein oder andere gute Erklärung geben. Doch das hier war wirklich lachhaft. Eine Verhandlung? Mit einem Geist?
      Perley schüttelte den Kopf und verschränkte die blutigen Hemdsärmel vor der Brust, während Newgate das erste Mal wirklich Notiz von ihr nahm. Die wirren Haare hingen ihm blutverschmiert ins Gesicht und er zog geräuschvoll die blutende Nase hoch, während er sich aufrappelte und die Polizistin ansah.
      "Nein!"; donnerte er. "Nein, ich war das nicht! Ich hätte August nie...Er ist ein Freund!"
      Perley zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. Das hier war wirklich eine Farce und Zeitverschwendung.
      "Verabschieden...Niemand sollte ihn sehen...August ist schwach. Und dem Tode geweiht. Wie wir alle. Er hat uns angewiesen, ihn zu schützen und das tun wir!"
      Die Sprache der Gestalt wurde mehr und mehr unwirklicher und klang beinahe wie ein Kind, das mit der Stimme eines Erwachsenen heulte. Doch ehe die Situation um den Waffenstillstand beantwortet werden konnte, veränderte sich erneut die Luft. Ein milder Wind trat auf und aus dem Dickicht des schwarzen Unterholzes begannen, Äste und Wurzeln zu knacksen.
      "Sallow", mahnte Perley und löste die Arme aus der verkrampften Haltung. Mit einem Kopfnicken wies er auf den Rest der Lichtung, aus dem sich jetzt drei weitere Gestalten zu lösen begannen. Wie aus dem Nichts tauchten sie aus, von waberndem Licht umgeben, das sich in sie zurückzog, sobald sie verstofflicht waren.
      Als erstes trat eine schlanke, kleine Frau vor. Das schwarze Haar war kurz geschnitten und im Stile der zwanziger Jahre frisiert. Ihre schmalen Augen wiesen auf eine asiatische Herkunft hin, auch wenn man es ihr sonst nicht ansah. Sie trug eine eng anliegende Hose und Bluse, die nicht wirklich zu ihrem Äußeren passten. Als zweites trat ein Mann aus dem Unterholz hervor. Er war noch größer als August und mindestens genauso drahtig, auch wenn seine Schultern markanter und breiter waren. Sein kantiges Gesicht und die Falten um seine grünen Augen zeugten von einem fröhlichen Gemüt. Das blonde Haar hielt er militärisch kurz und auf seinem Gesicht zeichnete sich ein Erkennen ab. Zuletzt trat eine weitere Frau aus dem Unterholz direkt vor ihnen. Ihr Haar war von Feuergeistern erfüllt und rot wie Blut. Die Augen erschienen einem beinahe schwarz im Abendslicht und ihr Mund wirkte beinahe wie ein Strich als sie in einem edlen Kleid auf sie zu schlenderte.
      "Fürchte, jetzt sind wir in der Unterzahl...", murmelte Perley und sah die Meute an. "Ich nehme an, Sie sind Augusts Freunde. Die er gerettet hat?!"
      "Mitnichten hat er uns gerettet", sagte der große Mann und lächelte schwach. "Thomas Watson", stellte er sich vor und nickte leicht. "Das sind Marya Bishop und Izabella Lynch. Wir sind oder besser: waren...Augusts Freunde aus einer lang vergangenen Zeit."
      "Freunde nennt ihr euch..", murmelte Perley. "Ihr habt die Lady gehört. Wir wollen uns nur verabschieden, wenn er so beschissen dran ist."
      "Ich fürchte", bemerkte Watson und baute sich vor Perley auf. "Das kann ich nicht zulassen. August will Niemanden sehen. Er hat beschlossen, in dieser Einöde sein Dasein zu fristen und wir-"
      "Thomas..."
      Die Stimme von Izabella war dünn, beinahe kaum vernehmbar. Und doch wohnte ihr eine Kraft inne, die Perley erschaudern ließ. Aus Erzählungen wusste er, dass die Lynchs Meister der Take-Over-Magie waren, bevor man ihren Sinn erkannt hatte.
      Watson drehte sich zu ihr und sah sie an.
      "Es ist sie", sagte Izabella und wies auf Ember. "Sie soll gesehen werden."
      "Du irrst dich. Keine Magie, keine Spur davon."
      "Rem hat nicht gelogen. August hat nicht gelogen. SIe ist es. Sie wird gesehen..."
      "Was zum Geier...", knurrte Perley und wurde in der Sekunde bleich als Bishop hinter ihm auftauchte.
      Aus dem Nichts! Und er hatte sie nicht einmal gespürt.
      "Das ist zu groß für dich, Jäger", murmelte Bishop und verschränkte die Arme. "Wenn du also nicht für lange Zeit in Dunkelheit leben willst, halt den Mund."
      "Der Jäger bleibt hier mit Marya", beschloss Watson und nickte ihr zu. "Und du...Komm mit uns. Es wird Zeit, dass wir reden."
      Mit einer einladenden Geste winkte er die Polizistin heran und gleichsam in Richtung des Waldes, der sich mirakulöserweise öffnete.


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      Sie gehen eine gefühlte ewigkeit ohne das sich die Szenerie verändert. Wenn Ember mit den Fragen durch ist,die sie haben sollte, wird sie eine Art wabernde Wand sehen.

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    • Ember konnte bis zu ihr spüren, wie Perleys Achtung für die gerade noch tiefer abwärts fuhr als der Mariannengraben. Aber darum ging es nicht. Sie wanderten jetzt schon Ewigkeiten durch diesen Gruselwald, ohne auch nur ansatzweise eine Ahnung zu haben, wie sie August fanden. Diese Ungereimtheit vor ihnen war der erste Anhaltspunkt, den sie nutzen konnten. Sofern sie ihn nicht vorher umbrachten.
      „Pfft, dem Tode geweiht sind wir alle, du Pfosten...“, murmelte Ember leise auf Newgates Ausruf hin und hob die Beretta ein Stück höher. Eine falsche Bewegung und sie würde nicht noch einmal den diplomatischen Weg versuchen wollen. Er hatte die Essenzen also angewiesen.... so so. Dann lag sie mit ihrer Vermutung vielleicht doch nicht ganz so falsch.
      Der neu aufkommende Wind, der nicht mehr ganz so widerlich roch und bedeutsam weniger kühl war, lenkte die Detective ab. Wie Perley reagierte sie auf die Veränderung, allerdings hatte er die Richtung schneller ausfindig machen können als sie. Ihr Blick folgte seiner Bewegung und entdeckte drei neue Gestalten. Es brauchte keine weiteren Worte, damit klar wurde, dass die Neuankömmlinge die Gruppe um August vervollständigten. Embers Kieferlinie spannte sich an als sie abwägte, wer am ehesten als Ziel für eine Kugel herhalten sollte. Einen würden sie im Notfall ohne Waffe standhalten müssen, also wäre Schadensbegrenzung klug. Sofort merkte sie sich jedoch die Namen, mit denen sie sich vorstellten und ließ dann sogar die Waffe leicht sinken. Hätten sie kurzen Prozess machen wollen, dann wäre es schon lange geschehen. Und für Sadisten hielt Ember Augusts Erinnerungsgestalten nicht.
      Gerade holte Ember Luft, um Thomas zu widersprechen, da nahm Izabella ihr den Job bereits ab. Das einzelne Wort, das sie aussprach, ließ sogar die Polizistin zögern. Die Art, wie sie es aussprach und dabei klang erinnerte sie entfernt an... „Dolores....“
      Die Waffe sank vollständig zu Boden. Fragende Blicke wanderten zwischen den Essenzen hin und her. Es traten wieder mehr Fragen als alles andere auf, aber bislang klang es so, als würde man sietatsächlich zu August bringen. Ein Erfolg auf ganzer Linie.
      Trotzdem zuckte Ember erschrocken zur Seite, als Marya aus dem Nichts hinter Perley erschien. Dass keiner von ihnen das hatte kommen sehen, war mehr als nur beeindruckend. Es war vor allem verstörend, wie leichtes ihr gefallen war. Allerdings richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Thomas, als er sie direkt ansprach.
      „Perley, warte einfach. Ich krieg das schon hin. Ich hol ihn zurück“, versicherte Ember dem Hauswirtschaftler mit solch einer Überzeugung in der Stimme, das rein gar nichts in der Welt sie vom Gegenteil hätte überzeugen können.
      Dann gab sie ihm die Waffe zurück, winkte Marya übertrieben lächerlich und stapfte zu Thomas herüber. „Ihr könnt mich gern Ember nennen. Klingt besser als du da.“
      Zusammen mit den Essenzen ließ Ember Perley hinter sich zurück und bald darauf konnte sie ihn nicht mehr sehen, wenn sie einen Blick über die Schulter zurückwarf.

      „Wer oder was soll mich sehen? August? Kein Problem, den suche ich immerhin.“
      Eine Weile lang hatte Ember geschwiegen, nicht sicher, wie genau sie sich verhalten sollte. War das eine Art Test? Musste sie noch so wachsam sein, weil man ihr jederzeit den Kopf abreißen würde? Vor ihr ging Thomas, hinter ihr Izabella und der noch immer röchelnde William. Von Rem war keine Spur weit und breit.
      „Dann hast du ihm den Teufel in den Rücken geritzt? Warum? Er hat mir nie den Umstand erzählt. Wobei er generell wenig von euch gesprochen hat. Er hat euren Verlust nie wirklich verkraftet, glaube ich.... Weiß ich, wenn ich euch hier so sehe.“ Sie stieg über eine weitere von hundert Wurzeln hinweg. „Worüber haben August und Rem nicht gelogen? Und ganz ehrlich, August hat nicht beschlossen, hier sein Dasein zu fristen. Er hat nach mir gerufen, also komme ich.“
      Sie musste ihnen ja nicht die Bandbreite erzählen, was sonst noch zwischen ihnen vorgefallen war. Das sollten sie eigentlich wissen. Wobei... Nur Izabella hatte Ember erkannt.
      „Dolores sieht dir selbst im hohen Alter wahnsinnig ähnlich. Eine wunderbare Frau“, sagte sie über ihre Schulter an Izabella gewandt und kassierte dafür beinahe einen tiefhängenden Ast im Gesicht.
      Nur um dann nach einer weiteren Weile eine seltsam wabernde Wand vor sich zu entdecken. Die Gruppe hatte angehalten und vor ihr Stellung bezogen. Die Bäume fransten wie im Nebel verschluckt deutlich aus und irgendwie hatte Ember gehofft, dass es.... kein Hindernis gab. Sondern dass sie August einfach irgendwo entdecken würde. Egal wo, egal wie.
    • Hinter dem Wald lag ein Tor.
      Zumindest machte es den Anschein, betrachtete man die gigantische Wurzel, die sich ein paar Minuten des Weges vor ihnen erhob. Sie zog einen Halbkreis über der Erde und glich einem Tor in eine andere Welt, durch das die ungleiche Gruppe schritt. Hölzer knackten unter ihren Füßen als sie durch das Dickicht stapften und die Luft kühlte sich merklich ab. Pfeifend brach der Wind durch die Äste und wirkte beinahe wie ein schlechter Ratgeber in dunkler Nacht.
      Während Marya zurückgeblieben war, folgte ihnen nun auch noch Newgate, der hinter ihnen her schlurfte.
      Thomas indes schwieg zu den Fragen, die Ember über die Stille des Augenblicks hinweg stellte. Selbst als Izabella ihm einen Knuff in die Seite gab, schien er nicht locker zu lassen, weshalb die Rothaarige sich an Ember wandte. Ihre Augen leuchteten bei der Erwähnung des Namens ihrer Schwester.
      "Dolores? Sie lebt?", fragte sie begeistert und ein Lächeln legte sich auf ihre Züge.
      Ein Lächeln, frei wie die Morgensonne auf einem grünen Hügel. Strahlend wie ein fallender Stern. Selbst der neutrale Beobachter musste anerkennen, dass Izabella wunderschön war, wenn sie lächelte. Und noch schöner wenn sie lachte, was sie mit einem kleinen Kichern begann, das nach jedem dritten Luftholen in einem kleinen Grunzer endete.
      "Dann hat August Wort gehalten", grinste sie. "Ich habe ihn damals gebeten auf Dolores zu achten, wenn etwas schiefgeht und ich war mir nicht sicher ob...Ich meine...Es war August, nicht wahr?"
      Sie drehte sich zu ihren beiden Freunden um. Thomas grunzte und schüttelte den Kopf und Newgate nickte grinsend.
      "Augusts Nase steckte immer in seinen Büchern", sagte er nasal und richtete seine Nase mit einem ekelhaften Knacken. "Ich habe ihn nie ohne ein Buch gesehen. Oder ohne eine wahnwitzige Theorie."
      Izabella nickte.
      "Ja, das stimmt. Ein fröhlicher, laut lachender junger Mann."
      Thomas und die Gruppe erreichte die wabernde Wand zwischen ihnen. Eine Art Schleier, der die Wirklichkeit verzerrte und das wiedergab, was man zu sehen erhoffte. Ruhig schritt er hindurch und betrat einen weiteren Abschnitt des Waldes. Hier war es noch finsterer, zerklüfteter.
      "Bevor wir ihn erreichen...", begann Watson schließlich und blieb auf einer kleinen Einöde stehen. Hier wuchsen nicht einmal mehr ordentliche Pflanzen und die Bäume wirkten tot. Als hätten sie nie existiert. Dieser ganze Ort mit seinen finsteren Gestaden schrie förmlich nach Trauer und besinnungsloser Wut. Als hätte ein Zauberer ein wunderschönes Eiland zerstört und mit Finsternis im Herzen aufgebaut.
      Selbst jetzt, nach all der Zeit, warf Thomas Watsons Gesicht grausige Schatten über die Welt, als er zu sprechen begann.
      "August Foremar ist ein Monstrum", begann er einhellig und fing sich garstige Blicke seiner Freunde. "Nein, ihr wisst, dass es so ist. August war besessen von der Magie, ihrer Herkunft und dem Tor. Und hätte er damals auf uns gehört, wäre das alles nicht passiert. Niemand von uns wollte derartig früh sterben und ich habe mir selbst nicht ausgesucht so zu sein. Aber Fakt ist, dass du etwas wissen musst, Ember."
      Ein Schweigen legte sich auf die Lichtung, ehe die beiden anderen sich wartend setzten.
      "Rem und August erforschten den Ursprung der Magie. August erkannte als Erster, dass das Sieben-Wege-Tor damit zusammenhing und gleichsam überredete er Rem, mit ihm dieses Tor zu öffnen. Der Grund warum ich ihm den Teufel einritzte, war die simple Tatsache, dass er mir eines Tages, nach meinem Tod, beichtete, dass er wusste, was passieren würde.
      Das er wusste, was geschah, wenn er dieses Tor öffnete und in den Abgrund dessen sah, was er begehrte."
      Izabella schwieg betreten und sah zur Seite. Selbst Newgate war um Worte verlegen.
      "Wir starben für das Bestreben eines Monsters, ein einziges Mal in die Tiefe zu sehen. Das erste Mal sah er es, als er es bei seiner Familie öffnete. Und das zweite Mal, als er mit uns hinein sah."
      Izabella seufzte und räusperte sich.
      "Wie Thomas sagte, gibt es da etwas, das du wissen musst...", begann sie und sah Ember an. "Das Tor, welches uns tötete, war das Dimensionstor. Jedoch das, was er als erstes öffnete, war das Tempus-Tor. Das Tor der Zeit. Und so wie er hinein sah und etwas zu sehen glaubte, so sah auch etwas hinaus. Etwas, das zwischen den Zeiten leben kann."
      Newgate fuhr fort, als er sich aufrappelte.
      "Rem erzählte uns, dass sie eine Frau gesehen hat. Eine Frau mit silbernem Haar. An Augusts Seite. Und das Wesen auf der anderen Seite des Tores...Ein Wesen, dessen Aussehen sie nicht mal beschreiben konnte, habe hinaus geblickt und deinen Namen gerufen. Ember Sallow. Du wirst gesehen, Ember Sallow. Von Niemand anderem als dem Tor selbst."

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    • „Jap, Dolores lebt und führt ein sehr erfolgreiches Etablissement“, antwortete Ember mit einem Schmunzeln. „Hat August und mir schon unter die Arme gegriffen, da wusste ich noch gar nicht, wer sie war. Als er zu mir sagte, er müsse noch ins Freudenhaus, hatte ich nicht an so ein Versprechen gedacht.“
      Nein, sie war stattdessen schon fast an die Decke gegangen. Wobei der Umstand damals noch ein anderer gewesen war. Das Schmunzeln in ihrem Gesicht wurde jedoch zäh als sie in das offenherzige Lächeln Izabellas sah. Augenblicklich fühlte sich ihr eigenes Lächeln fad und kaltherzig an während die Frau neben ihr regelrechte Sonne verkörperte. Wie zur Hölle konnte man diesem Lächeln nicht verfallen? War August ihr verfallen und nicht Rem?
      „Dann habt ihr einen anderen Menschen gekannt als wir.“ Als ich. „Er ist im Hochsicherheitsgefängnis gelandet und dort habe ich ihn rausgeholt. Seitdem ist er eher... eigensinnig. Störrisch. Viele beschreiben ihn als kalt aber das ist er ganz und gar nicht.“
      August als fröhlicher, laut lachender Mann. Das einzige Mal, dass sie ansatzweise diesen August zu Gesicht bekam war in jener Nacht, als sie in seinem Bett gelegen hatte. Wo sie immer wieder gedacht hatte, dass es der nahende Todestag war, der ihn toll werden ließ. Dabei war es völlig anders gewesen. Er hatte einfach die Maske, die er ständig nutzte, fallen gelassen. Nur für sie und sich selbst diesen Abend lang. Sofort kehrte die Enge in ihrer Brust zurück, die sie erst langsam vergaß als sie durch die Schleierwand trat und die Umgebung noch mal trister wirkte. Das hier beschrieb vielleicht, wie es August eigentlich ging. Ein ehemalig schönes Land, nun völlig zerrüttet und verdorrt.
      „August Foremar ist ein Monstrum.“
      Der Blick, den Ember Thomas zuwarf, hätte nicht vernichtender sein können. Man hatte nur das Recht darauf eine Person in seiner eigenen Wahrnehmung zu beschreiben. Was für ihn ein Monster war, konnte für die nächste Person schon etwas gänzlich Anderes sein. So wie für Ember August schon lange kein Monster mehr war. Sie wusste, dass er versessen auf seine Forschungen gewesen war. Dass er Fehler in Kauf nahm. Aber genauso sehr, dass er sich diese Fehler nie vergeben hatte. Dass er die Konsequenzen zu schultern versuchte und unter der Last zu straucheln begonnen hatte.
      Während sich die Anderen setzten, blieb Ember in Thomas' Nähe stehen und hatte die Arme verschränkt, wartend. Und langsam löste sich der vernichtende Blick und wich etwas anderem. Etwas, das sie selbst nicht besser hätte beschreiben können. Mit jedem weiteren Wort weiteten sich ihre Augen bis zu dem Punkt, an dem sie leise sagte: „Er wusste, dass ihr sterbt und hat trotzdem das Tor geöffnet?“
      Wie passte das in die Gleichung? Das konnte nicht alles sein. Da musste mehr dahinter stecken. Wie damals mit dem Deal des Sharokhs. Es musste so sein. Er würde doch niemals seine einzigen und besten Freunde opfern, nur um einen lächerlichen Blick zu riskieren.
      Ein wenig zu gehetzt flog ihr Blick zu Izabella, als diese die Ausführung fortführte. Er hatte schon zwei Tore gesehen. Zwei verschiedene noch dazu. Bereits eines hätte ihn durchdrehen lassen müssen, dass das erste das Tempus-Tor war, war auch schlü.... Moment. Mit keiner Silbe war je erwähnt worden, dass das Tempus-Tor das Erste war, das er gesehen hatte. Sie hatte gedacht, es sei das zweite Mal erst gewesen, dort, als seine Freunde starben. Weil er dort spurlos verschwand und kaum gealtert erschien. Es war andersherum gewesen...
      Allerdings war es Newgate, der dafür sorgte, dass sie langsam keinem Wort mehr rechten Glauben schenken wollte. „Ich war jetzt schon Teil einer Verschwörung, wurde als Mittel zum Zweck benutzt und war wohl Teil einer Prophezeiung. Und jetzt soll ich, als Nichtmagische, irgendetwas mit den Toren zu schaffen haben? Wie viel mehr Zufälle soll es denn noch geben?“
      August wusste es. Wusste, dass sie irgendeine Beziehung zu den Toren hatte und hielt es nicht für nötig, sie zu warnen. Weil er hoffte, dass sie ihn durch die Tore führte? Oder nur dahin, um sicher Einblicke zu bekommen? War das alles nur gewesen weil er seinen Drang befriedigen wollte? Wollte er sie opfern wie er seine Freunde geopfert hatte?
      Ember presste Lippen und Augen zu fest aufeinander, dass sie Sternchen sah. Sie durfte nun keine voreiligen Rückschlüsse ziehen, jedes Wort, das hier gewechselt wurde, konnte an sich schon eine Lüge sein. Nichts hier von war echt, außer das schreckliche Gefühl tief in ihrer Magengegend. Öfter als ihr lieb ist hatte sie erfahren wie es ist, wenn man von Freunden enttäuscht wurde. Aber das, was da schwer in ihr lastete, war nicht mehr einer Freundschaft zu zuordnen. Das hier wog schwerer.
      Und rein gar nichts davon würde dafür sorgen, dass sie auf dem Absatz kehrt machte und ging.
      „Danke für die Auskunft. Ich denke, ihr könnt mir nicht sagen, ob das nun gut oder schlecht ist. Ob ich weiter aufpassen sollte oder nicht. Wie auch. Ihr seid ja nur Essenzen.“ Sie tat einen tiefen Atemzug, dann stapfte sie an Thomas vorbei auf die letzte vor ihnen liegende Waberwand zu. „Nichts davon wird dafür sorgen, dass ich ihn nicht hier raushole.“
      Er hat gerufen, ich werde kommen.
      Damit ließ Ember die Essenzen hinter sich und trat durch die letzte Wand.

      Es waren Versprechen, die Ember bis hier her hatten kommen lassen. Das Versprechen an August, zur Hilfe zu kommen, wenn er sie rief. Das Versprechen an Perley, August zu finden und wieder zu bringen. Das Versprechen an Dolores, auf August aufzupassen. Das Versprechen an sich selbst, ihren eigenen Weg zu gehen.
      Und so fiel ihr Blick, als sie aus der Wand trat, auf einen alten, knorrigen Baum ohne Blätter. Er wirkte ausgetrocknet, tot und morsch in einer feindseligen Umgebung, die nicht mal mehr an den Wald zuvor erinnerte. Am Stamm gelehnt lag jemand und sie brauchte nur eine Sekunde um ihn zu erkennen.
      „August.“ Ihre Stimme war laut genug, dass sie zu ihm drang. Doch er bewegte sich nicht und sorgte dafür, dass sie sich langsam in Bewegung setzte. Von Weitem sah sie, wie sich Adern seinen Arm herauf schlängelten und bis zu seiner Brust und Hals reichten. Schwarze Adern, die aussahen wie der Grund für das Verdorren dieses Landes.
    • Thomas Watson blickte mit den anderen Essenzen der abrauschenden Ember hinterher und sah zu, wie sie durch die letzte Wand der Versicherung ging.
      Erst danach wurde sein Gesichtsausdruck weicher und er vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans. Das Gefühl von Wärme durchflutete seine Körperteile, während er seufzte.
      "Wir haben alles getan, was wir konnten, nicht wahr?", fragte er in die Runde.
      Izabella nickte und sah lächelnd in die tristen Sterne einer öden Welt. Es brannte sich der Eindruck einer verlorenen Frau auf ihr Gesicht, auch wenn das Lächeln noch immer der Morgen einer finsteren Nacht war. Ihre Haare schüttelte sie leicht aus und wischte sich eine Träne von ihrem Gesicht.
      "Wir haben alles getan. Sie muss selbst erfahren, was dies alles bedeutet. Und August muss sich öffnen. Muss ehrlich sein."
      "Er hat Angst, Bella", murmelte William, dessen Nase bereits abgeheilt war. "Denk an diesen Ruairi, den wir gespürt haben. Er ist das, was August nicht sein kann. Frei und unbelastet von der Last jener Erkenntnisse von damals."
      "August ist einer der warmherzigsten Menschen, die ich kenne", sagte Izabella bestimmt und ignorierte Thomas' Schnauben. "Auch wenn du ihm nicht vergeben kannst, Tom. Er ist und bleibt der August den wir kannten. Der Junge, der immer gelacht hat und uns alle mit nervigen Theorien gepeinigt hat. Und ich glaube, zum rechten Zeitpunkt wird er seine Angst überwinden."
      "Der uns geopfert hat", grunzte Watson und sah zu der Gabelung des Wegs. "Und der zu feige war, das Sallow zu sagen. Und auch welche Rolle sie spielt. Wenn sie es erfährt, wird sie ihn fallen lassen wie ein kaltes Stück Fleisch."
      "Da bin ich nicht mal sicher", grinste Izabella und lehnte sich an einen Baum.
      "Wenn er ihr sagt, was er ihrer Familie angetan wird, wird sie es nicht so leicht nehmen."
      "Abwarten...", murmelte Newgate. "Sie ist eine Sallow."
      Schweigsam wies der Zauberer auf den Boden, den Ember gerade noch mit ihren Füßen berührt hatte. Dort, wo die Ödnis auf die Spur traf, wuchs Rosmarin aus den Spuren...

      Die Schmerzen waren ein treuer Begleiter einer einsamen Seele.
      Gewunden und allgegenwärtig beherrschten sie Augusts Verstand beinahe umfänglich. Wie glühende Eisen hatten sich die Adern durch sein Fleisch gegraben und innerlich hatte er sich diesem ergeben. Wie hätte er Ember sagen können, dass die Magie ihn von innen zerfraß? Nicht nachdem sie ihn um Hilfe rief um diesen anderen Mann zu retten. Unweigerlich brachte sein misstrauischer Verstand die Frage auf, ob sie ebenfalls für ihn...
      Nein. Wer würde das schon? Wer würde ihn retten wollen? Nicht nach alledem... Schon einmal war er kurz davor, alles zu verlieren, was er wollte. Vielleicht das Einzige, was er je wollte. Und dann kam dieser Sharokh. Holte ihn aus der Selbstgeißelung heraus in welche er sich nach Bellas Tod geflüchtet hatte. Gott, er würde die Augen der Frau nicht vergessen können, wie sie ihn ansah. Und anflehte es nicht zu tun.
      Aber wie hätte er denn...?
      Eine Stimme drang zu ihm, als er sich dort suhlte. In der Tiefe seines Schmerzes, der sein Herz mit eiserner Hand umklammerte. Schwach und mit flatternden Lidern öffnete er die Augen und sah in die Schwärze seines Selbst hinauf. Er hatte nicht bemerkt, dass ein Baum ihm als Kissen diente und er halb aufrecht angelehnt war. Seine Schultern fühlten sich klamm an als er schwach zu Ember Sallow hinauf sah.
      Natürlich war es Ember Sallow. Wer auch sonst?
      Unnatürlich langsam zeichnete sich ein kaum merkliches Grinsen ab.
      "Hey...", wisperte er durch trockene Lippen.
      Die Stimme nicht mehr als ein Krächzen.
      "Siehst gut aus...Besser als ich mich fühle...Was tust du hier?"
      Schmerzhaft verzog er das Gesicht und sah Ember beinahe entschuldigend an.
      "Na, eigentlich weiß ich, was du hier willst...Hast den Ruf gehört, nicht wahr?", murmelte er und hob die Hand. "Bleib da. Es hat keinen Sinn, Ember. Es ist eine Magiekorruption, die mich auffrisst. Und ich kann sie nicht mehr aufhalten."

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    • Die Schritte, die Ember auf August zu machte, wirkten wie ein Marathon. Wie eine unglaublich lange Strecke, deren Ende immer wieder in die Ferne rückte. Eisern hielt sie ihren Blick auf den Mann am Baum gerichtet, der sich noch immer kaum rührte. Die Adern sahen alles andere als gut aus und wirkten nicht wie etwas, das sie schnell beseitigen konnte. Hatten sie vielleicht recht gehabt, dass er hier seine letzten Momente haben wollte? Wollte er es wirklich ohne ihre Anwesenheit tun? So war der Deal damals nicht geschlossen worden.
      Und dann stand sie plötzlich vor ihm. Sie musste sich nur hinhocken und ihre Hand nach ihm ausstrecken. Er sah furchtbar aus, nicht nur vom körperlichen Schmerz gepeinigt. Ihre Vermutung lag also richtig, dass es nicht nur daran gelegen hatte, dass er sich verrannt hatte. Beinahe hätte sie behauptet, den muffigen Geschmack selbst auf der Zunge spüren zu können.
      Dann regten sich seine Lider und gaben den Blick auf matte Iren frei, die Embers Herz drei Kilo schwerer machten. Hier sah sie nichts mehr von den Mann, dem sie damals im Evenstar begegnet war. Oder dem, der neben ihr im Bett gelegen hatte. Diesen Blick hatte sie vor sehr sehr langer Zeit kurzzeitig selbst im Spiegel bewundern können, ehe sie sich aus ihrem Loch riss. Nur was sie vermochte galt nicht für alle Menschen um sie herum. Schweigend ging sie neben seinen Beinen in die Knie und befand sich auf Augenhöhe mit ihm. Seine Haut wirkte andersfarbig, die Haare strähnig und stumpf. Seine Stimme... seine Stimme war nur noch ein Echo.
      „Du fragst wirklich, was ich hier mache?“, wiederholte sie mit leichtem Unglaube in der Stimme seine Frage und sog die Luft ein. Diese Adern....
      „Bleib da? Sag bloß du hast Angst, du wärst ansteckend.“ Sie versuchte sich die Sorge in ihrer Stimme nicht anmerken zu lassen, doch ihr Erfolg war nur mittelmäßig. Er trug immer noch die gleichen Kleider wie von dem Abend, wo er zu ihr kam. Seitdem hatte er sich hier wohl verkrochen, ob Absicht oder nicht.
      Ember ignorierte seine Warnung und strich August mit einer Hand sanft die Haare aus der Stirn. „Ich bin ein bisschen beleidigt, muss ich gestehen. Wenn ich etwas verspreche, dann halte ich das auch. Wenn du also rufst, dann komme ich. Du kannst mir noch so viele Essenzen entgegen stellen, die halten mich nicht ab dich zu finden. Ich war vielleicht nur ein bisschen langsam.“
      Sie legte nun beide Hände an seine Wangen und hob sein Gesicht ein wenig an, damit sie es besser begutachten konnte. „Ich hätte gar nicht anders gekonnt. Im PD stand plötzlich ein sehr ungehaltener Hauswirtschaftler und verlangte von mir, seinen – und ich zitiere – Meister zu finden. Wie kann ich dem denn nicht gerecht werden? Und das heißt, dass ich dich hier raus holen werde.“
      Vorsichtig gab Ember Augusts Gesicht wieder frei und fuhr mit sanften Fingerspitzen über seinen Hals und Schulter. Sie hatte von diesen Phänomenen gehört, es aber noch nie in echt gesehen. Demnach wusste sie auch nicht, ob es ein Mittel gab oder nicht.
      „Bisher haben wir noch immer Wege gefunden. Ich bin mir sicher, dass Hakim was weiß. Perley hat schon alles vorbereitet gehabt, wir müssen nur zurück, okay?“
      All ihre Worte waren von einem dezenten Lächeln geschmückt gewesen, einer lautlosen Aufmunterung, die nun von ihr abfiel als sie seinen Blick ein weiteres Mal suchte. Als sie nun weiter sprach, war nichts mehr von der Losgelöstheit zu spüren.
      „DeineFreunde haben mir gesagt, dass wir dich hier zum Sterben allein lassen sollen. Wenn du wirklich allein sein wolltest, dann hättest du mich nicht gerufen. Wenn du es wirklich gewollt hättest, dann wärst du unauffindbar gewesen. Wäre es wirklich soweit gekommen, dann hätte ich dir das nie verziehen, August. Solltest du wirklich gehen, dann ganz bestimmt nicht allein.“
    • Sein Atmen und die Stimme verließen nur ruckartig seinen Körper.
      Als würde wieder und wieder ein Stromstoß durch den geschwächten Leib gehen und ihn davon abbringen, klare Worte oder Atemzüge zu tätigen. Stattdessen wirkte der Zauberer mager und schwach, als er sich der Berührung ergab. Wer wunderte sich, dass diese Frau nicht auf ihn hörte? Es war nicht wirklich verwunderlich, oder? Hatte Ember jemals auf ihn gehört.
      "Ich...", wisperte er und sah ihr schwach in die Augen, hielt kaum ihrem Blicke stand. "Bin nicht ansteckend...Bin...Korrumpiert..."
      Verseucht.
      Von dem, was er liebte. Von dem, was er erforscht hatte über Jahrzehnte. Sachte hob er den aderdurchzogenen Arm und grinste wieder schwach.
      "ist zu weit fortgeschritten...", flüsterte er. "Hat Herz erreicht...Jetzt...Ist es wirklich...Ein schwarzer Klumpen..."
      Keuchend rang sich der Zauberer ein Lachen ab, als er Ember ins Gesicht sah. Soso, Perley hatte also nach seinem Meister verlangt? Hatte sich Sorgen gemacht, was? Und sie? Wo war ihre Motivation.
      Ah, die Essenzen...Ja...Stimmt, er hatte seine Freunde geholt um sie aufzuhalten. August hatte nicht gewollt, dass sie ihn derart verstümmelt bewundern durften. Stattdessen war sie hier. Trotz der Tatsache, dass er nur einmal gerufen hatte. Warum hatte er sie gerufen?
      Weil es nur sie geben konnte, sagte eine Stimme in seinem Inneren, die ihn beinahe erschreckte. Doch sein Leib war zu schwach um eine angemessene Reaktion zu befördern. Schweigsam genoß er die zarten Berührungen an seinem Leib. Gott, wie sehr hatte er sich gewünscht, diese Berührungen in jener Nacht nicht an eben jene zu verlieren? Warum hatte er nicht drauf beharrt?
      August hatte sich mit dem Tod, den Sharokh und so vielen Geistern und Monstren angelegt. Und jetzt gab er auf wegen einer magischen Vergiftung?
      Nur zurück...Ja, das war einfach...einfach zurück. Zurück in ein Leben, das er nicht mochte. Zu Freunden, die er nicht hatte. Zu einer Frau, die ihn nicht liebte. Zu einem Krieg, den er nicht gewinnen konnte. War es nicht ungerecht? Konnte es nicht ein wenig Gerechtigkeit geben?
      Noch ehe sich August versah, hatte sich sein fahler, durchscheinender Leib in die Höhe gehoben. Der verseuchte Arm hing nutzlos an seiner Seite und die Adern setzten sich fort. Wie Krallen gruben sie sich in sein Fleisch und krochen Zentimeter um Zentimeter hinauf.
      "Nicht allein...", wiederholte er.
      Er konnte es spüren. Diese Vergiftung tötete ihn. Und nicht einmal der Tod brauchte einzugreifen. Vielleicht konnte er sie durch das Tor stoßen und dann in Frieden...
      Nein...Nein das war nicht fair.
      Ächzend legte er den gesunden Arm auf ihre Schulter und sah ins Leere. Seine Augen waren starr, beinahe kaum vorhanden, betrachtete man das fehlende Licht in ihnen.
      "Führe mich...", flüsterte er. "Zurück zu dem Tor...Ich sehe nichts...Wenn wir bei Perley sind...Nimm das."
      Sachte glitt seine Hand ins Nichts vor und aus dem Nichts erschien eine Kugel. Sie war blau und von unendlicher Tiefe, als würden sich die Räume übereinander stapeln und sich gegenseitig ansehen. Sie wirkte so unscheinbar und doch vielfältig wie der Zauberer selbst. Witzig, bedachte man die schmale Analogie der Wurzel.
      "Die Essenzen...Sie waren nicht gut zu dir...", wisperte er blind und stützte sich schwer auf Ember, auch wenn es nur eine Hand war. Die Augen des Zauberers sahen ins stille Leere und wünschten doch nur ihr Gesicht zu sehen.
      Die Augen, die vollen Lippen. Nur ein Lächeln. Der Tod nahm einem wirklich jede Freude.

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      Die Essenzen sind verschwunden. Der Rückweg verläuft so problemlos wie du willst. Wenn bei Perley, einfach die Kugel zerdeppern. Dann kommen sie zurück in das DnD. Hakim ist noch nicht da.

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    • Gab es sowas wie magische Transfusionen? Konnte man das, was in den schwarzen Adern steckte, einfach auswaschen und ersetzen? Lag das im Bereich des Möglichen? Was hätte Ember nicht alles dafür gegeben, auf diese Fragen Antworten zu haben. Mit absoluter Sicherheit sagen zu können, dass alles wieder gut werden würde. Dass sie noch Zeit hatten.
      Zeit...
      „Hör auf von deinem Herzen als schwarzen Klumpen zu sprechen“, zischte sie ihn leicht angegriffen an, das Resultat von der ständig anhaltenden Anspannung. Sie hatte keine magischen Fähigkeiten, das Voranschreiten aufzuhalten. Wusste nicht, ob es andere Wege gab, ihm Einhalt zu gebieten. Alles, was sie machen konnte, war die spärliche Zeit zu nutzen und ihn zu denjenigen zu bringen, die etwas wissen konnten. „Wenn du es noch mal so bezeichnest, scheuer ich dir eine. Und ich schwör dir, das tut weh.“
      Unangekündigt erwachte Augusts Körper wieder zum Leben. Ember rückte eilig von ihm ab als er sich plötzlich auf die Füße kämpfte. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah sie, wie sich die Adern fortsetzten. So als hätten sie ein Eigenleben entwickelt. Und wenn sie ihn jetzt recht betrachtete, wirkte er weniger real. Weniger greifbar.
      Eine Sekunde später war auch Ember auf die Beine gekommen. Nun war es ihr nicht mehr möglich, den Ausdruck in ihrem Gesicht zu kaschieren. Ihre Augen sprangen zwischen seinen hin und her, doch sie war sich sicher, dass er sie nicht sah. Umso schwerer schien sein Arm auf ihr zu lasten während sie ihn immer noch nur schockiert ansehen konnte. Sie hatte ihn schon zerfleischt gesehen. Sie hatte ihn totvor sich gesehen. Aber diese Phase, der Leidensweg vor dem Tod war nicht nur neu, er war auch noch viel grausamer. So grausam, dass ihr Herz sich auf die Größe einer Walnuss zusammen zog. In der Tat, er sah nichts mehr.
      „Okay. Mach ich. Wenn wir bei ihm sind“, bestätigte sie ihm und nahm die blaue Kugel an sich, um sie in ihrer Tasche zu verstauen.
      Dann besah sie den mehr tot als lebendig wirkenden Zauberer. Einen Herzschlag lang, einen zweiten und dritten. Dann hielt sie es nicht mehr aus und drehte sich zu ihm ein. Eng legte sie ihre Arme um seinen Körper, drückte ihn an sich und hielt ihn einfach nur. Er mochte sie vielleicht sehen, aber spüren und hören konnte er sie noch. Ihre Augen waren zusammengepresst als sie mit erstaunlich fester Stimme sagte: „Ich hab dich. Ich bring dich zurück und dann halten wir es auf. Ich lass' dich nicht los, okay?“
      Sicherlich zehn Sekunden standen sie einfach nur so da ehe Ember sich mit einem sanften Streichen ihrer Hände über seinen Rücken von ihm löste und ihn an seinem noch intakten Arm zu führen begann. Kaum hatte sie sich von ihm abgewandt und den Blick dorthin gerichtet, wo sei hin musste, trat ein verbissener Ausdruck auf ihr Gesicht.
      Sie wollte immer die Chance haben, etwas zu tun. Nun hatte sie sie.

      Ember folgte rigoros dem Weg, den sie gekommen war. Als sie durch die Wand traten, rechnete sie fest damit, die Essenzen zu sehen. Doch gab es weit und breit keine Spur von ihnen. Eigentlich kam ihr das ganz recht, denn so konnte sie sich auf August konzentrieren und darauf achten, dass sie in angemessenem Tempo durch den Wald kamen. Sie warnte ihn vor Wurzeln, führte im Notfall seine Füße für den nächsten Tritt und ließ seinen Arm in keiner einzigen Sekunde los. Alles, was sie heute erfahren hatte, war in weite Ferne gerutscht. Fast hatte sie ihn soweit.
      Ihr fiel das Herz beinahe in die Schuhe als sie plötzlich und eigentlich zu früh auf Perley stieß. Dieser hatte seinen Begleiter, Marya, scheinbar verloren und war allein unterwegs. Vermutlich hatte sie sich wie die anderen Essenzen einfach verzogen und würde kein Hindernis mehr für sie darstellen. Embers Lippen bildeten nur mehr einen dünnen Strich als Perley sie entdeckte und dann erkannte, wen sie mit sie schleppte. Sein Gesicht glich einer in sich zusammen brechenden Maske, unfähig ein klares Gefühl auszudrücken. Die Detective schüttelte nur vehement den Kopf, um jegliche Nachfrage zu unterbinden. Kaum war sie bei ihm, wühlte sie das blaue Orb hervor und ließ es vor ihnen zu Boden fallen. Dann begann es sich um sie zu drehen, die Umrisse verschwammen und das Nichts verschluckte die Drei.
      Das Nächste, woran sich Ember erinnerte, war der ekelige Boden der Kammer vor dem trüben Spiegel. Neben ihr auf dem Boden lag August, daneben Perley, der wie sie selbst sich gerade orientierte. Dann kickte die Realität.
      „Perley, wir brauchen Hakim, sofort. Magiekorrumption sagt er“, erklärte Ember knapp und war in der nächsten Sekunde schon wieder bei August. Sie fasste direkt wieder seine Hand, dann fühlte sie sein Gesicht ab. Die Adern waren weiter gewachsen und seine Sicht immer noch trüb.
      „Wir sind wieder zurück, August. Wir holen Hakim und dann geht’s weiter, ja? Komm her...“ Sie fing erneut seinen Arm ein und drängte ihn dazu, auf die Beine zu kommen.
    • Das Explodieren der Kugel verbarg das Ächzen des Zauberers, der kurzerhand das Gleichgewicht verlor und sich gegen Ember stützen musste.
      Als sie in die Realität zurückfielen, schien sein Gesicht noch blasser zu werden. Die Adern, welche wie schwarze Finger um sich griffen, breiteten sich immer weiter aus. Mittlerweile hatten sie einen Großteil seiner linken Seite übernommen, und wirkten eher wie lebendige Gebilde als Anderes. Pulsierend und einnehmend durchzogen sie die blasse Haut des Zauberers. Das linke Auge des Arkana war bereits schwarz und nicht mehr wirklich als solches zu erkennen. Die Schlingen hatten das Herz wie eine Hand umfasst und sich darum geschlungen, sodass es beinahe den Anschein erweckte, als läge sein schwarzes Herz außen.
      Die Schmerzen waren unbeschreiblich. August wollte schreien. Er wollte wüten, er wollte toben, doch sein Leib war viel zu schwach. Eigentlich wollte er gehalten werden. im Arm. Und gestreichelt, ehe ihm eine wunderschöne Frau mit leuchtenden Augen sagt, es wird alles wieder gut.
      Ja, August Foremar wollte belogen werden. Er selbst spürte, dass die Korrumption nicht für Hakim heilbar war. eine heilende Hand war durchaus fähig, jedoch erschien ihm die Last dieser Bürde zu gewaltig, um sie zu schultern. Und zum Anderen war er nicht da.
      Eine starke Hand zerrte ihn auf den Boden, wo er still zu Liegen kam. Er spürte Perley mehr als dass er ihn sah. So waren es nur die Stimmen und nicht das besorgte Gesicht des Butlers, der Ember ansah.
      "Das ist Korrumption?", fragte er entsetzt und sah auf den Zauberer. Dort, aus den Ausläufern der Adern...Waren das Pflanzen? Bildeten sich da Blumen? Schwarze Dornen stachen aus den Adern heraus, sodass sie wie schwarze Rosenstängel ausschauten.
      "Hakim müsste gleich kommen, ich...Scheiße noch eins", knurrte er und schlug auf den Boden. "Was soll ich machen..."
      "Aus dem Weg gehen wäre ein Anfang."
      Eine sanfte Stimme begleitete den Raum mit einem Schwung. Ein Lied in weiter Ferne und eine Aura, die vor August blindem Licht wie grell erleuchtet vorkam. Hakims Stimme war sanft wie immer und keine Unruhe keimte in ihr. Das Feuer entflammte den Raum und August spürte unter den Schmerzen die Wärme der Flammen, die ihn so an Ember erinnerten. Seine Ember. Nein, nicht seine. Sie gehörte...Niemandem. Und doch einem Anderen.
      Dennoch suchte seine Hand nach ihr.
      Stoßweise ging der Atem und schwerer fiel die Luft in seine Lungen zu pressen. Während Hakim seine Brust und die Adern abtastete, keuchte er und rang nach Luft, den Körper voller Schmerzen.
      "Will...nicht...", wisperte er zwischen zwei rasselnden Atemzügen. "nicht...so..."
      Hakim antwortete nicht. Warum antwortete er nicht?? Perley sah ihn ungeduldig an und seufzte schließlich. DIe Augen stachen vor Anspannung und Schweiß rann ihm herab.
      "Ich kann ihm nicht helfen", murmelte Hakim und zog sich von seinem geschundenen Leib zurück.
      Boom! Da war es also. Das Ende aller Enden. Unrühmlich und beinahe marginal. August hätte lachen können wenn die Schmerzen ihn nicht wahnsinnig werden ließen. Warum hatte er nur diese zwei Nächte mit Ember verbracht? Warum nicht achtzig? 100?
      "Wie meinst du das?", keifte Perley und trat einen Schritt auf den Arzt zu, der ihn mahnend ansah.
      "Ich kann es nicht lösen. Dies hier...", er wies auf die Adern und das Voranschreiten des Todes. "Kann nicht geheilt werden. Sein Körper ist überladen von Magie. Und der menschliche Geist ist schwach. Es ist ein Wunder, dass er noch stehen konnte...Ich bin untröstlich, meine Liebe..."
      Der Arzt sah zu Ember auf und neigte das Haupt.
      "ich bin mit meinen Kräften hier nicht von Nutzen."
      "DANN SCHER DICH RAUS DU NUTZLOSER DOKTOR; DU!", schrie Perley und fegte das Tablett vom kleinen Tisch in die Flammen. "FUCK!"
      "Jedoch", erhob der Hakim das Wort und sah zu den Beiden besorgten. "Eine Heilung kann nicht erfolgen, da die Magie von innen stammt und mit seiner verwurzelt ist. Eine gezielte Lösung jedoch ist möglich. Die Menschen nennen das Chemotherapie. Eine Art Gift, das in den Körper injiziert wird um ein anderes Gift zu töten. Nur das wir es hier mit Auren machen. Jasper Quill."
      Hakim sah auf und erhob sich. Die sanften Augen verweilten eine Weile auf Perley, der ihn wie einen Heiland anstarrte und dann langsam die Decke ansah.
      "Jasper hat eine Magie, die andere Auren auflösen kann. Mit großer Sorgfalt ist es möglich, diese Aura in August Leib zu leiten und die schadhafte Aura herauszufischen. Es ist riskant und könnte schief gehen, aber es ist seine einzige Chance..."
      Eine Sekunde lang sah Perley den Arzt und dann Ember an.
      Anschließend ging er ruhig zur Treppe.,
      "JUNGE!! SCHWING DEINEN ARSCH HIER RUNTER!"



      Spoiler anzeigen
      Augusts ungefilterte Magie hinter der Korrumption fühlt sich an wie ein Abgrund. Und ist ruhig. Kein Laut dringt er hervor. Nur eine Art Trommelschlag den er hören kann. Stimmen, die ihn rufen.

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    • „Er sagt, dass es das sei. Ich hab bisher nur Bilder davon gesehen, aber nichts sah vergleichbar aus.“
      Perley hatte Ember und August wieder zu Boden genötigt, wo sie neben ihm Platz genommen hatte. Seine deutlich kältere Hand war noch immer von der ihren umfasst während sie selbst die schwarzen Adern betrachtete. Diese Dornen... das war doch nicht mehr normal. Perley reagierte frustriert, verständlich, doch es reichte nicht wirklich an Ember heran. Die Angst, dass es doch keinen Weg hinaus gab, war unglaublich groß. Sie wusste ja, dass der Tag nahte, an dem August sein Ende fand. Aber nicht jetzt, nicht so spontan und unvorbereitet. Nicht... So.
      Dann machte sich Hakims Stimme bemerkbar und sorgte dafür, dass Ember erstmals von August wegsah. Nun war vielleicht doch der Moment gekommen, in dem sie diesen Mann als Heiligen wahrnahm. Anders konnte sie nicht erklären, wie er mit der Ruhe selbst von der Seite erschien und scheinbar alle Zeit der Welt hatte. Er hätte den gesamten Raum in Brand stecken können und doch nicht die Eiseskälte aus ihren Gliedern bannen können, die mit jeder Sekunde sich mehr ihres Körpers bemächtigte.
      Ein Zucken lenkte die Detective ab. Augusts Hand zuckte und bewegte sich, fühlte nach etwas. Einen Augenblick später hatte sie sie ergriffen und mit beiden Händen umschlossen. Ihre Daumen strichen abwechselnd über den Handrücken in einer beruhigenden Gestik. Nichts davon schien zu helfen während Hakim ihn abtastete und dabei in Schweigen verfiel.
      Schweigen war nie gut.
      Schweigen bedeutete immer schlechte Nachrichten.
      Wenn Hakim schwieg....
      Ember schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Noch bevor der Heiler die Diagnose stellte, wusste sie schon um den Wortlaut. Sie hatten zusammen einen Angriff eines Sharokhs überstanden. Er hatte den Tod schon einmal ein Schnippchen geschlagen. Wäre schon zweimal vor ihren Augen verblutet und hatte sich doch immer wieder gefangen. Und jetzt war es ausgerechnet eine Vergiftung, die sein Ende besiegeln sollte. Nur am Rande ihrer Wahrnehmung hörte Ember Perley, wie er Hakim anfuhr. Wut und Verzweiflung, die er nicht anders verarbeiten konnte, bahnten sich ihren Weg während Ember in absolute Stille verfiel. Nicht einmal ihren eigenen Herzschlag hörte sie, als sie Augusts Wange streichelte und nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte.
      Es war das Scheppern von Metall, dass sie aus ihrer Schockstarre riss und dazu brachtek aufzusehen. Perley fluchte lautstark auf und bildete einen jähen Kontrast zu der ruhigen, leisen Stimme des Heilers. Als spräche er eine andere Sprache starrte Ember ihn von unten an und stellte fest, dass sie wie gelähmt wirkte. Perley hingegen war es ganz und gar nicht. Wie der Leibhaftige brüllte er die Treppen hinauf, wobei es Ember nicht wirklich wunderte, dass keine postwendende Antwort kam.
      „Hakim... wie genau ist es dazu gekommen? Er war vorher schon angeschlagen und hat es nur kaschiert, richtig?“, fragte sie den Heiler leise. „Ich dachte, seine Zeit wäre eher abgelaufen und nicht... sowas.“
      Ember legte ihre Hand auf Augusts Brust, wo sich die Ranken verdichteten. Wieder einmal musste sie sich auf andere verlassen und hoffen, dass es funktionierte. Was hätte sie nicht dafür gegeben, eigenmächtig das Schwarz aus seinen Adern zu tilgen und wieder alles in Ordnung zu bringen. Nur dieses eine Mal.
      „Mr. Caulson, wieso ist Hakim da unten? Oh, warte, ihr habt August gefunden!“, kam es von oben und das eilige Getrippel von Füßen verriet ihnen, dass Jasper in der Tat auf dem Weg war.
      Seine Schritte stockten plötzlich bevor sie in noch schnellerem Gang sich fortsetzten. Er musste jetzt sogar Stufen übersprungen haben. Als er um die Ecke kam, fand sich keine Spur von jugendlichem Leichtsinn in seinem Gesicht. Seine Augen fanden erst Perley, dem der Zweifel noch immer lesbar im Gesicht stand, dann zu Hakim, der seltsam unbefangen wirkte. Erst dann entdeckte er Ember am Boden und schlussendlich August.
      Seine Augen weiteten sich und fingen sofort an wie Bernstein zu glühen. „Er macht diesen Krach?“, hauchte der Junge während er langsam näher kam. „Scheiße, ich hab gedacht, ihr habt irgendwas beschworen oder so.... Was sind das für Ranken? Warte mal... kommen die aus seinem Körper?“
      Man versorgte Jasper mit einem kurzen Abriss über ihren Plan. Sehr gut erinnerte sich Ember an den Jungen, der jetzt die Hände über den Kopf zusammen geschlagen und sich verpisst hätte. Doch davon war erschreckend wenig über. Jasper nickte und setzte sich neben Ember auf dem Boden. Er lächelte sie entschuldigend an als er ihre Hand von seiner Brust wischte.
      „Meinst du, du kriegst das hin?“ Neutrale Stimme, aber etwas schneidendes schwang unterschwellig mit.
      „Hey, das hat auch bei dir funktioniert und da hatte ich keinen Plan, was ich mache. Ich bin besser geworden, keine Sorge. Ah, Hakim, ich wollte später mit Ihnen auch noch was besprechen, wenn's geht“, sagte Jasper und verschwendete keinen Blick sowie Zeit.
      Seine Hand fächerte sich auf Augusts Brust flach auf und dann lauschte er. Einen Moment später trat der Heiler hinzu und berührte den Jungen an der Schulter. Stimmte, der Junge brauchte jemanden, der ihm Zugang und ein gewisses Maß an Kontrolle gewährte.
      „Siehst du? Ich hab dir nicht zu viel versprochen...“, murmelte Ember leise und hoffte einfach nur.

      Jasper musste sich mehrfach neu orientieren. Sobald er zu lauschen begann, brach ein Chaos mit unbeschreiblicher Wucht über ihn hinein, dass er rein gar nichts anderes mehr hören konnte. Ein gesammeltes Chaos, wild und unbeherrscht, bei dem man leicht die Kontrolle verlieren konnte. Es übermannte ihn, ertränkte seine eigene Melodie bis zum Punkt der Unkenntlichkeit. Er kratzte die Grenze, wo er sich selbst aus den Augen verlor, um unter dem Wirrwarr etwas anderes zu hören. Einen rhythmischen Schlag, der so gar nicht in das konfuse Chaos zu passen schien. Sofort heftete sich Jasper daran, hielt es fest und begann, Stimmen zu hören, die etwas riefen, was er nicht verstand. Dahinter glich es einer Wand, hinter der.... Nichts kam. Gähnende Leere. Er kannte keine Auren von lebendigen Menschen, die schwiegen.
      Trotzdem hatte er nun den Marker gefunden, den er suchte. Den Unterschied, den es abzutrennen galt. Und damit würde er nun beginnen.

      Ember fiel als Erste auf, dass die Dornen abfielen. Dass die äußersten schwarzen Adern an Schärfe verloren und wie Hämatome langsam aufzuplatzen begannen. Ihr Puls beschleunigte sich schlagartig als sie hastig darauf zeigte.
      „Hakim, das ist gut, oder?!“
      Jasper hatte derweil die Augen geschlossen und reagierte nicht mehr. Ihm stand Schweiß auf der Stirn während er sich mit Stille umgab, um seine Konzentration nicht zu brechen.
      „Siehst du, es funktioniert...“ Sanft streichelte Ember Augusts Kopf.
      Es würde klappen.
      Es musste.

      Spoiler anzeigen
      Jasper löst es bis zum Ende hin auf. Wenn sie August zum Ruhen wegbringen, weicht Ember ihm nicht mehr von der Seite. Jasper hängt sich danach an Hakims Fersen.
    • Will ich es greifen ist es schon nicht mehr da
      Niemand war mir jemals ferner und so nah

      Nicht mal Stille sagt, wie tief

      Wie ein ungeschickter Brief

      Was zerbrach als ich in Deine Augen sah


      ASP - Ungeschickte Liebesbriefe



      Man sagt, ein menschliches Herz blutet nur einmal aus.

      Als sie August wie einen Toten die Treppe hinauf trugen, nachdem Jasper regelrecht erschöpft in sich zusammen gesunken war, erschien einem diese Erkenntnis beinahe obsolet. Hier lag ein Mann auf vier kräftigen Händen, der dem Tod viel zu oft bereits ein Schnippchen geschlagen hatte. Vielleicht auch einmal zu oft, wenn man es genau nahm.

      An dieser Stelle, geneigter Leser, sind wir angelangt, nicht wahr? August Foremar, seines Zeichens Forscher und liebender Sucher, lag innerlich zerrüttet in seinem viel zu großen beinahe leeren Bett im Obergeschoss eines Hauses, was er verabscheute. Sein Geist glich von innen einem zerborstenen Spiegel, vor dem ein kleiner Junge zärtlich begann, die Teile seines Wahns wieder zusammen zu setzen.

      Ob er genesen war?

      Nun, das ist schwer zu sagen, nicht wahr?

      Die Adern waren nach Sallows zutreffender Beobachtung aufgeplatzt und hatten schwärzlichen Teer in den Raum gegossen, der jedoch bei Berührung von Luft regelrecht verdampfte. Als Ember ihre Ausruf tätigte, hatte Hakim bereits genickt und das Verschwinden bezeugt, auch wenn sie dies vor gewaltige Probleme stellte. Nicht nur gewaltig. Eher kolossal.

      Der Zauberer war seither nicht erwacht und im Bett sah er beinahe mickrig aus. Als würde er in den Laken versinken. Doch seine Aura pulsierte. Hakim hatte eine Hand noch auf seine Brust gelegt und den Puls sowie die Aura ertastet. Sie war da. Sie regenerierte. Die Frage war nur wie lange es dauerte.

      Während sich die Beteiligten im Zimmer befanden, sah Hakim eindringlich zu Jasper, Ember und Perley. Seine Augen sprachen Bände, fraßen sie sich doch beinahe in die der Beteiligten.

      "Das, was gerade geschehen ist, muss unter uns bleiben", mahnte er bissig und hob den Finger. "Das was gerade geschehen ist, könnte eine Revolution in der magischen Grundlagenforschung bedeuten und Jasper zu einem internationalen Ziel machen. Wenn die Welt oder andere Menschen herausfinden, dass er magische Korrumption heilen kann, wird jeder Zauberer, jeder Arkana, ja sogar jede Behörde dieser Welt den Jungen jagen..."

      Perley nickte und sah zu Jasper. Das waren Aussichten.

      "Dein Geheimnis ist sicher bei uns", nickte er. "DIe Frage ist eher, was geschieht jetzt mit August?"

      "Er wird eine Weile das Bett hüten. Die Himmel wissen, wie lange. Vielleicht eine Stunde, vielleicht Wochen. Seine Kraft ist massiv geschwächt. Ich stelle ihn unter meinen offiziellen Schutz damit nicht einer der Arkana auf die Idee kommt, sein Gebiet zu beanspruchen."

      Caulson nickte und seufzte erleichert. Gefühlt war er zwanzig Jahre gealtert, betrachtete man seine Gesichtsfarbe.

      "Ich mache...Nudeln. Ja, Nudeln", murmelte er und verzog sich aus dem Raum.

      Selbst Hakim stand unschlüssig da, ehe er einen Seitenblick zu Ember warf und zwinkerte. Schließlich legte er dem Jungen eine Hand in den Rücken und schob ihn sanft aus der Tür.

      "Du hattest etwas mit mir zu besprechen? ", fragte er grinsend.


      Es dauerte noch weitere zwei Stunden.

      Mit einem schmerzverzerrten Ächzen rief sich August Foremar aus dem Schlaf und öffnete flatternd die Lider. Der Schmerz war von ihm gewichen, die Dunkelheit noch immer umfangen. Doch das Augenlicht war besser. Zwar sah er noch immer nur Schemen und den Hauch von Licht, aber zumindest nicht mehr beiernde Schwärze. Seine Hand berührte eine weitere Hand, die er nicht sehen, aber spüren konnte.

      Es konnte nur eine Hand sein. Sie war warm und wunderbar. Ewig wirkend und nah. Auch wenn sie fern erschien. Und auch wenn sein Unterbewusstsein noch immer den Gedanken an eine trauernde Ember über Ruairi MacAllister aufrief wie eine Smartphone-App, so war es zumindest tröstlich, nicht allein zu sein.

      "H-hey...", wisperte er mit einem Krächzen als Stimme, ehe er den Kopf unter klingelnden Kopfschmerzen zu Ember drehte.

      Sie sah mitgenommen aus. Sie war wunderschön.

      Das silberne Haar wirkte stumpf und zerzaust. Wie Wellen aus flüssiger Seide.

      Selbst die Lippen, die er so mochte, spröde und zerschlissen. Und doch schöner denn je.

      "Was...Was ist passiert?", flüsterte er und hob seine Rechte nah an sein Auge.

      Kein Schatten...Nichts dergleichen war sichtbar. Wo waren die Adern hin? Die Korrumption?

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    • Jasper hatte es tatsächlich geschafft. Wie auch immer er es angestellt haben mochte, Augusts Aura und Puls waren noch da. Irgendwann im Laufe des Prozesses war er ohnmächtig geworden und so konnte Ember nur dabei zusehen, wie die beiden Männer ihn raus aus dem Koffer und hoch in sein Zimmer trugen. Neben ihr folgte Jasper, der schwer atmete und sich nicht ansatzweise bewusst war, was er da gerade geleistet hatte. Zu sehr waren sie alle darauf fixiert, dass August noch immer ohne Bewusstsein war.
      In seinem Zimmer angekommen wirkte der Rogue verlassen in seinem Bett. Ember hatte sich einen Stuhl heran gezogen, um sich neben ihn zu setzen und ihn keine Sekunde lang allein zu lassen. Noch wusste keiner, ob es funktioniert hatte. Noch wusste keiner, ob Jasper alles intakt gelassen hatte, was zu dem Arkana gehörte. Der Mann wirkte nicht mehr ganz so blass und man mochte meinen, dass seine Züge sogar entspannt aussahen. Sie würde gleich noch einen Waschlappen besorgen und zumindest sein Gesicht abwaschen...
      „Was? Wieso Ziel?“, ließ Jasper seine Stimme das erste Mal seit Minuten hören. Er war in der Nähe der Tür stehen geblieben und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkte müde, geschafft, aber in seiner Stimme schwang Angst mit.
      „Du hast eine tödliche Krankheit geheilt, Jasper. Du hast was stoppen können, das selbst Hakim nicht heilen kann und bist damit die Antwort auf die Ängste der Zauberer“, erklärte Ember während sie unter der Decke nach einer leblos wirkenden Hand suchte und sie ergriff.
      „Warum sagt mir das keiner?!“
      „Weil es nichts geändert hätte, oder?“
      Jasper klappte den Mund wieder zu. Richtig, es hätte nichts geändert. Selbst wenn er aus dem Nichts hätte Gold erschaffen können, er hätte es getan wenn es bedeutete, dass er damit jemandem das Leben rettete. Keine Sekunde hatte er hinterfragt, dass die Hoffnung auf ihm gelegen hatte und welchen Stellenwert seine Tat besaß. Nun stand der Junge, der nicht einmal volljährig war, vor einem Riesenproblem. Hatte Noland das alles schon einkalkuliert? Ein Zufall konnte es jedenfalls nicht gewesen sein.
      Als Hakim sagte, er wüsste nicht, wie lange August ohne Bewusstsein war, blickte sie auf. Er hatte keine Wochen. Er hatte nur noch Tage. Jetzt hatte sie es tatsächlich geschafft, die Korrumption aufzuhalten, nur um festzustellen, dass er vielleicht ohne einmal wieder aufzuwachen vom Tod geholt werden würde. Unbewusst drückte sie seine Hand etwas stärker. Er würde schon noch eher zurückkommen. Daran bestand kein Zweifel. Er würde zu ihr zurückkommen. Und während sie den erschreckend winzig wirkenden Arkana im Bett musterte, verabschiedeten sich die Anwesenden aus dem Raum und schenkten ihr die Ruhe, die sie bitter nötig hatte.

      Kaum hatte Hakim draußen im Flur die Tür geschlossen, war Jasper herumgewirbelt und durchbohrte den Arkana mit seinen Blicken. Dieser Mann hatte ihm nun schon zweimal gezeigt, dass seine eigenen Fähigkeiten nicht unbedingt das waren, für die er sie gehalten hatte. August hatte ihm Großteile des Außenkonstruktes erklärt, was es bedeutete, ein Zauberer zu sein, aber er würde niemals den Blick haben wie dieser Mann vor ihm. Jasper hatte den Entschluss schon lange gefasst, dass er sich mit seinen Fähigkeiten befassen musste, nun noch umso so sehr wie nie zuvor.
      „Ich habe immer gedacht, Zauberer seien ein furchtbares Volk. Dass gerade die Arkana mit ihrer Macht alles unterjochen. Sie haben gesehen, dass ich mit mir selbst nicht klargekommen bin und verleugnet hab, was ich kann. Und wenn ich jetzt noch höre, dass mich gefühlt die ganze Welt jagen wird, wenn herauskommt was ich kann... Dann kann ich nicht hier bleiben.“
      Nicht so bleiben, wie ich bin.
      Sein Ausdruck wurde weich, schüchtern gar während er einen Schritt zurücktrat, um dem Arkana Raum zu geben. „August kann mir, glaube ich, nicht beibringen, was ich wissen muss. Sie hingegen schon. Ich glaube, dass Sie derjenige sind, der meine Fähigkeiten besser einschätzen kann. Außerdem weiß ich nicht, wie lange er überhaupt noch macht...“ Er sah an Hakim vorbei zur Tür. „Ich wollte Sie fragen, ob ich Sie begleiten darf und Sie mich ausbilden können.“

      In der Zwischenzeit wartete Ember an Augusts Seite auf sein Erwachen. Sie hatte kurz nachdem sie allein gelassen worden war, ihr Handy gezückt und sich auf Arbeit krankgemeldet für den morgigen Tag. Den Freitag konnten sie alle wohl auch auf sie verzichten. Montag würde sie sich neu überlegen, wie sie weiter verfahren würde. Nach einer weiteren Zeit des Überlegens, was sie ungelogen eine Viertelstunde gekostet hatte, schrieb sie ebenfalls Ruairi. Kryptisch umschrieb sie, dass sie bei August war und dass es einen Zwischenfall gegeben hatte, der sie zeitweise in Anspruch nahm. Es kostete sie weitere wertvolle Minuten ehe sie noch die vollen Namen von Augusts Freunden hinzufügte. Und dass er tatsächlich einen Newgate aufgenommen hatte und daher vielleicht die Verbindung rührte.
      Irgendwann war Ember müde geworden, der Abend schritt schließlich gnadenlos voran. Ihr Handy hatte sie zur Seite gelegt und sich es etwas bequemer im Stuhl gemacht, doch zu keinem Zeitpunkt ließ sie Augusts Hand los. Allmählich ließ sie den Kopf hängen und begann ein wenig zu dösen während sie darauf wartete, dass das Schicksal seine Arbeit tat.
      Dann klang ein leises Ächzen und Embers Augen flogen zu Augusts Gesicht. Er bewegte sich nicht viel, aber immerhin etwas. Die Augen, die unter den lang verschlossen gebliebenen Lidern zum Vorschein kamen, waren weniger getrübt als noch zuvor. Hoffnung und Erleichterung breitete sich wie Samt auf ihrer Zunge aus als sie seine kratzige Stimme hörte und da wusste, dass er wieder da war. Ein unsicher wirkendes Lächeln erschien in ihrem Gesicht, nicht ganz schlüssig darüber, ob es noch zu früh war sich zu freuen.
      „Ich hab dir versprochen, einen Weg zu finden. Und das hat tatsächlich funktioniert. Wir sind deine Korrumption losgeworden“, erklärte Ember und entschied, dass entweder Hakim oder Jasper selbst ihm sagen sollten, dass der Junge ihn gerettet hatte. Zwar war sie nicht diejenige gewesen, die ihn gerettet hatte. Allerdings war sie diejenige gewesen, die ihn zurückgeholt hatte.
      „Wie schaut es mit dem Sehen aus? Wird's besser? Deine Augen sehen immerhin schon besser aus.“ Sie war aufgestanden und halb auf das Bett geklettert, um einen genaueren Blick auf sein Gesicht zu bekommen. „Warum hast du vorher nichts gesagt? Du hattest die Anzeichen doch sicherlich schon seitdem du mit Jasper im Untergrund gewesen warst. Wieso musste es erst soweit kommen? Es gab genug Leute, die dir hätten helfen können. Außer...“ Sie nahm einen gedehnten Atemzug. „Außer du wolltest nicht, dass dir jemand hilft. Damit du, wie deine Essenzen es sagten, allein stirbst und Ruhe findest.“
    • Ach der arme Junge...
      Hakim sah zu Jasper hinab und fühlte eine jähe Woge des Mitleids aufwallen. Er konnte sich gut in die Lage des jungen Mannes einfinden und auch wenn er es positiv durchdachte, war das Leben des Jungen fortan ein Spießrutenlauf. Wenn Jemand entdeckte, zu was Jasper fähig war, würde vermutlich wirklich die ganze Welt den Jungen jagen. Nur um seiner Kräfte habhaft zu werden.
      Blutige Erinnerungen an ein entbehrungsreiches Leben flammten in dem Hakim auf, während er Jasper ansah und nickte.
      "Zauberer sind mitunter furchtbare Wesen", murmelte er nachdenklich. Seine Stimme klang dabei wie ein alter Motorradmotor, ausgezehrt und angestrengt. "Jedoch unterjochen nicht alle Arkana ihre Gebiete und die anderen Rogues. Zumeist arbeiten sie Hand in Hand. Jedoch kann ich dies nicht sagen. Ich habe vor einigen Jahren eine Klinik errichtet, um den Menschen gutes zu tun. Vielleicht..."
      Auf Jaspers Bitte hin sah der Arzt hinab und seufzte.
      Ein Lächeln machte sich auf dem ernsten Gesicht breit.
      "Ich werde dich nicht so gut schützen können wie August", murmelte Hakim und sah nach vorne zur Ausgangstür. "Aber ich kann dir Zeigen, wie du deine Kräfte meistern kannst. Eines jedoch solltest du dir bewusst machen, junger Jasper: Solltest du selbst an der Korrumption erkranken, fürchte ich, wird dir keiner helfen können. Es ist ein Wunder, das August noch Magie wirken konnte in diesem Zustand. Normalerweise frisst die Aura sich selbst. Also sollten wir darauf achten, dich nicht zu überlassen. Ich kann dich ausbilden. Doch nur wenn du bereit bist, alles hinter dir zu lassen. Ich warte noch eine Stunde im Foyer des Hauses. Verabschiede dich und packe deine Habe, wenn du mitkommen willst..."
      Schweigsam legte der Hakim ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte, ehe er den Weg nach unten antrat.

      August hob schweigsam den Kopf und seufzte.
      "Wasser...", flüsterte er und wies auf das Glas, das er spürte. Erstaunlich, wie schnell seine Kräfte zurückkamen. Hatte seine Mutter doch bei einem Faktor nicht gelogen. Nachdem EMber ihm das Glas reichte nahm er zwei gierige Schlucke und legte sich anschließend wieder kraftlos ins Bett. Mit jeder Minute, die verging, trat mehr Licht und Kraft in seine Augen und machten es ihm schwerer, zu ignorieren, wei sehr er sich nach ihr gesehnt hatte.
      Konnte man von Liebe sprechen? Na, vielleicht noch nicht. Oder doch? Wann war es passiert, dass er derart Freude empfand wenn er Embers Gesicht (wenngleich nur schemenhaft) sah?
      "Das hast du", sagte er krächzend und lächelte, ehe er fortfuhr, Embers Fragenhagel zu beantworten. Es war nicht mehr die Zeit für Stolz und Geheimnisse. "Das Sehen wird besser. Ich kann sehen, dass du wunderbar aussiehst. Und eine harte Zeit hattest, offenbar."
      Sachte legte sich seine Hand auf ihren Oberschenkel und ruhte dort, genoß die Wärme des Körpers. "Warum habe ich nichts gesagt...Ich denke, es war Stolz. Ich merkte die Anzeichen, nachdem ich den Hortar zerfallen ließ. Es war zu viel, eine Überdosis Magie sozusagen."
      Immer wieder machte der Zauberer Pausen und atmete durch, als strenge ihn das Sprechen an, obgleich es so viel zu sagen gab.
      Als sie die Essenzen ansprach seufzte er und suchte nach ihrer Hand, damit er sie zitternd an seine spröden Lippen führen konnte.
      "Ich weiß, es ist die Bitte eines Narren, aber kannst du mir vergeben? Ich war stolz und hochmütig und dachte, ich kann es besiegen. Ich habe die Korrumption erforscht, seitdem sie auf der Welt zugegen ist und dachte, ich hätte den Schlüssel gefunden. Doch bei MacAllister merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Die Aura dort war so gewaltig, dass ich wusste, dass ich mich übernahm, aber..."
      Wie hätte er Ember nicht helfen können? MacAllister war ihm gleich, aber Ember...Sie hatte gerufen. Er war gekommen. Das war eine einfache Regel zwischen ihnen.
      "Ich habe mich einfach übernommen", murmelte er. "Anschließend wollte ich hierher und regenerieren, aber...Ich hab wohl die falsche Abzweigung genommen. Da ich dachte, wieder in eine Falle getappt zu sein, errichtete ich die Essenzen. Habe wohl etwas zu viel Kraft hinein gelegt, denn sie sollten dich nicht aufhalten...Ich wollte nicht alleine sterben, aber dass ich diesem verteufelten Leben manchmal überdrüssig bin, werde ich nicht leugnen..."
      Traurig blickte er auf ihre Hand und sah sie an. Noch immer war sie ein Schemen, aber ihre Augen als Schatten erkennbar.
      "Musst du nicht arbeiten? Ihr habt doch diesen Fall...Dieses Spiel, oder nicht?"

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    • Ich werde dich nicht so gut schützen können wie August.
      Ob Hakim vergaß, dass der Teufel nicht mehr lange machte? Sein Ablaufdatum war festgeschrieben und Jaspers Zukunft ausladend genug, als dass er sich darum Gedanken machen musste. Er wollte in Zukunft niemanden haben, der ihn schützte. Er würde auf sich selbst aufpassen müssen.
      „Vielleicht bin ich ja immun? Wer weiß das schon“, grinste Jasper unstet nachdem Hakim ihm seine Bitte nicht abgeschlagen hatte sondern sogar daran dachte, sie zu erfüllen. „Alles klar.“
      Er sah Hakim noch hinterher bis jener die Treppe nach unten verschwunden war. Sein Puls schlug ihm bis in die Ohren und Aufregung packte ihn. Nun würde er nicht nur einem Zauberer folgen, den er nicht kannte, sondern einem Arkana dazu. Einem, der in einem anderen Land residierte und ihm womöglich aufzeigte, was er in seinem Leben eigentlich erreichen sollte. Mit diesem Gefühl lief er in sein Zimmer und stopfte alles, was er hatte, in seinen Koffer. In der Zeit, die er hier war, hatte der Junge nicht viel anhäufen können. Ergo waren die Sachen schnell gepackt – so schnell, dass er noch Zeit fand, vor dem Zimmer seines Onkels Halt zu machen und nach einem Klopfen es zu betreten.
      Noland saß an einem Tisch und schrieb etwas. Was genau es war sah Jasper nicht, denn der alte Mann räumte das Schreiben sofort weg als er die Tür hinter sich hörte. Danach drehte er sich auf dem Stuhl zu seinem Neffen und musterte ihn. „Sieht ganz danach aus, als wärst du abreise bereit.“
      Jaspers Ausdruck verlor seine Fröhlichkeit. „Ist das nur ein Zufall oder täuscht mich mein Gefühl nicht, dass du all das hier wusstest?“
      Nolands blaue Augen fixierten seinen Neffen eindringlich. So langsam wurde sich Jasper bewusst, dass dieser Mann eigentlich von ihnen allen derjenigen mit den meisten Geheimnissen sein konnte. Er hielt sich stets aus dem Gröbsten heraus hielt und es uneinsichtig machte, was er überhaupt bezweckte.
      Genau diesen Verdacht bestätigte er nun. „Du brauchst lange, um misstrauisch gegenüber bestimmten Umständen zu werden. Das solltest du dir ebenfalls abgewöhnen bei dem Weg, den du einschlagen wirst. Ja, ich wusste, dass dein Aufenthalt hier nur ein Zwischenstopp sein würde. Dass August nicht derjenige sein würde, der dich lehrt. Ich wusste um dein Potenzial, aber nicht, dass du dir ausgerechnet Hakim aussuchst. Von daher wäre es wenigstens schön, wenn du ein Handy bei dir hast und dich manchmal melden würdest. Ich hatte nie eine Familie und du bist immerhin mein Neffe.“
      „Woher wusstest du es?“ Seine Stimme war heiser. Also hatte sich seine Mutter gar nicht von sich aus bei Noland gemeldet? Er wusste, wo er sie fand? Hatte er ihn vielleicht sogar gegen seinen Willen seinen Neffen entführt, ohne dass er es wusste?
      „Ich lese Erinnerungen und ich bin alt. Mir sind schon so viele Menschen und Zauberer untergekommen und nicht jeder birgt nur das in seinen Erinnerungen, was für den Einzelnen interessant erscheint. Du hast bei Ember gesehen, dass ich alles finden kann, was ich möchte. Vielleicht kam mir in dieser Lebensspanne auch der ein oder andere talentierte Zauberer unter?“ Er lächelte ein Lächeln vollkommen leer von jeglicher Wärme.
      Es war das erste Lächeln seines Onkels, das Jasper aufrichtigAngst einjagte, als er seinem Onkel den Rücken kehrte und mit seinen Sachen nach unten ins Foyer stieg.

      Ember reichte August das Glas mit Wasser, das sie sicherheitshalber für ihn oder eben sich am Nachttisch bereit gestellt hatte und nahm es wieder zurück, bevor er sich wieder zurücksinken ließ. Er bewegte sich wieder, ebenfalls ein gutes Zeichen. Das zarte Pflänzchen der Hoffnung keimte vorsichtig auf.
      „Harte Zeit? Ich? Hast du mal in den Spiegel geschaut?“ Sie schürzte die Lippen. „Ich durfte mich mit William anlegen und hab ihn fast erwürgt. War sehr spaßig, seiner Magie auszuweichen.“
      Eine Hand wanderte zu ihrem Oberschenkel. Instinktiv legte sie ihre eigene auf die seine und hielt sie an Ort und Stelle. Endlich keine leblos wirkende Hand mehr zu spüren war so unglaublich viel wert... Und sein Lächeln. Es wirkte nicht farbenfroh oder gar strahlend. Es mochte nicht so kraftvoll sein, wie man es sich erhofft hätte, allerdings trug es keinen Schleier mehr, den er so gern davor legte. Es war unverhohlen und echt, vollkommen und unverändert.
      „Du hast das mit Ruairi getan, weil ich dich darum gebeten hab. Egal was es mit dir anstellt. Das ist... rücksichtslos.“
      Wie konnte Thomas sich erdreisten zu behaupten, er sei ein Monstrum? Ein Monstrum handelte nicht selbstzerstörerisch nur für einen anderen Menschen. Er hätte nie seine Freunde geopfert, die er so geliebt hat. Es war schlichtweg nicht möglich, dass sie einen höheren Stellenwert als seine Freunde bekleidete. Wobei die Geste, mit der der ihre Finger an seine aufgesprungenen Lippen führte, Zweifel zuließen.
      „Das war primär wohl meine Schuld, dass du die falsche Abzweigung genommen hast. Ich hab dich noch nie so aufgewühlt gesehen wie an dem Abend“, sagte Ember leise und entschied, dass es keine Zeit mehr für Herumgetanze gab. „Ruairi war da, weil wir den Abend zusammen verbringen wollten. Er kam in mein Leben als du verschwunden warst und hat keinen Hehl darum gemacht, dass er sich für mich interessiert. Aber keiner von uns hat es offiziell gemacht. Vielleicht weil wir selbst nicht wissen, was das zwischen uns sein soll. Und als er dann sterbend auf dem Boden lag, konnte ich nicht anders. Ich habe euch beide so gut es ging von einander getrennt weil ich wusste, dass ihr beide was für mich übrig habt. Jetzt blinzel doch nicht so.“
      Ember ergriff seine Hand auf ihrem Oberschenkel, drehte die Handfläche nach oben und begann die einzelnen Fingerglieder abzustreichen.
      „Ich hätte dir vielleicht eher von ihm erzählen sollen, dann wärst du vielleicht nicht so schockiert gewesen. Nur hast du dann plötzlich angefangen, deine Gefühle nicht mehr so stark zu verstecken und dann stand ich zwischen den Stühlen. Ich weiß, dass ich stark für dich empfinde, aber benennen kann ich es noch nicht.“
      Ein Seufzen.
      „Ich hab mich für morgen krankgemeldet. Niemand wusste, ob du dein Bewusstsein überhaupt zurückerlangen würdest und ich habe dir versprochen, nicht allein zu sein. Aber.... deine Essenzen haben mir ein paar Dinge erzählt. Deine Freunde, die ich jetzt das erste Mal wirklich erleben konnte. Weißt du, dass du mir nie erzählt hast, wieso Thomas dir das Wort in den Rücken geritzt hat? Jetzt weiß ich es.... Wieso? Sie waren deine besten Freunde und so wie du ihnen hinterher trauerst kann es doch unmöglich sein, dass du sie alle wissentlich in den Tod geschickt hast, oder?“
    • Gäbe es Worte, um Augusts Gefühle zu beschreiben, während Ember sprach, er hätte sie ohnehin nicht sprechen können. War der erste Teil noch von freundlicher, gar fröhlicher Natur, so erstreckte sich das Spektrum seines Gesichts von Schmerz hin zu unendlicher Trauer, als sie zum zweiten Teil kam.
      Seufzend betrachtete er ihrer beider Hände und lächelte schwach, aber kurz.
      "Ja...William", murmelte August und schloss kurz die Augen, um seinen Freund zu imaginieren. "William war der Mutigste von uns und nie ein Kämpfer. Er hat den Kampf und Gewalt gehasst, obgleich er die vermutlich tödlichste Magie besaß, die ich jemals gesehen hatte. So mächtig und vernichtend und zart wie eine Rose vom Gemüt. Er hätte vermutlich nicht mal einer Fliege etwas getan."
      August schüttelte im Anschluss den Kopf. Sie irrte sich nicht, aber er wollte nicht, dass sie sich Vorwürfe machte. Nicht für etwas, für das sie nichts konnte.
      "Du kannst nichts dafür", flüstert er. "Es war richtig, mich zu rufen. Vermutlich wäre MacAllister sonst gestorben. Und glaub bitte nicht, ich hätte nicht bereits geahnt, dass etwas nicht stimmt. Ich mag kein Gedankenleser wie Noland sein und auch nicht so talentiert in Verschleierung wie manch Anderer, aber man merkt es dir an, dass du haderst. Mach dir bitte keine Gedanken. Du bist mir weder Rechenschaft noch Antwort schuldig. Und ich kann es verstehen. Gerade wenn man nicht weiß, was man für Jemanden empfindet, ist es am Schwersten, einen kühlen Kopf zu behalten."
      Beweisstück A bin ich, dachte August und ließ sich wieder zurückfallen. Noch immer streichte sie seine Hand und er fragte sich, wie lange ein schönes Gefühl anhalten konnte.
      Zu den Stühlen sagte er kaum etwas und nickte nur. Ein ritterlicher Mann hätte jetzt gesagt, dass der Andere die bessere Partie war. Immerhin wohnte ihm nicht der Tod an. Und er hatte keinen Kontakt zu den Toren und den anderen merkwürdigen Gestalten. Mit ihm war Embers Leben auf dem Wege normal zu sein. Zumindest so normal wie es sein konnte.
      Aber das Herz, das Wummernde in seiner Brust, wollte dies nicht. Es ließ ihn eisern schweigen, während sie weitersprach und als sie zum letzten Teil ihrer Worte kam, würde ihm übel.
      Nun...Was sollte er sagen?
      "Habe ich nicht?", fragte er leicht erstaunt. "Nun, ich bin nicht stolz darauf, dass er es tun musste... Ich fürchte, du hast ein positiveres Bild von mir als du haben solltest. Es ist wahr, Ember."
      Beinahe flehentlich sah er sie an.
      "Es ist wahr, was sie dir sagen. Ich habe die Tore geöffnet. Und es waren zwei. In meinem Wahn und aufgrund dessen, was ich in dem ersten Tor sah, wollte ich es ihnen zeigen. Ich wollte ihnen beweisen, dass meine Theorien nicht falsch oder verrannt waren. ALs wir das Tor öffneten wusste ich bereits, dass es das Falsche war. Und da ich es spüren konnte, dieses Böse, dieses...Wahnsinnige. Wusste ich, dass sie in den Tod gingen. Nur deswegen habe ich es geschafft, meine Magie noch rechtzeitig zu wirken."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell