Dusk & Dawn [Asuna & Nico]

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    • Embers Mundpartie war angespannt und ihre Lippen nur noch ein Strich. Der Regen lief ihr in ihre Augen während sie ihren Vater anstierte, der sich scheinbar nicht entscheiden konnte, wer hier nun das größere Übel sein sollte. Sie selbst war einfach am Boden wie festgewachsen stehen geblieben während sich das Bild entfaltete, was sie bereits befürchtet hatte. Als schließlich August das Spielfeld betrat, sah Ember den Moment, in dem Ruperts Blick auf den Arkana fiel und etwas in seinem Kopf zu arbeiten begann.
      „Foremar?“, wiederholte er mit noch immer wütenden, aber fragendem Unterton. „Den Namen hab ich doch schon mal irgendwo gelesen.“
      Hinter ihm bewegte sich June, die sich ebenfalls zu demjenigen umdrehte, der zu sprechen begonnen hatte. Das Lächeln, das August dem Ehepaar entgegenbrachte, stieß scheinbar auf Unverständnis. Es war jedoch June, die ihrem Mann auf die Sprünge half. „Der Teufel aus den Zeitungen…“, sagte sie so leise, dass selbst Ember kaum etwas verstand, das aber dafür sorgte, dass Ruperts Axthand noch fester um den Stiel griff und er seine Brust ein weiteres Mal aufplusterte.
      „Oh, das darf ja wohl nicht wahr sein. Ember, was zur Hölle hat DER hier zu suchen?! Wieso läuft der noch frei herum?! Ich dachte, du hast den wieder eingebuchtet und nicht, dass du mit dem gemeinsame Sache machst! Scheiße, hat der dich irgendwie verzaubert oder was??“, fuhr er abermals auf und hatte Eva auf der anderen Seite wohl vollends vergessen.
      Endlich fand Ember das Gefühl in ihren Füßen wieder. Ohne ein Wort setzte sie steif einen Fuß vor den anderen, vorbei an August, direkt auf ihre Eltern zu. Die Axt war immer noch in Richtung Augusts gerichtet, aber Rupert sah seine eigene Tochter mit einer Mischung aus Enttäuschung und Abscheu an.
      „Ich hatte diese Unterhaltung vor ein paar Minuten schon mit Shawn“, eröffnete Ember ihrem Vater, ihre Stimme so kalt wie der Regen auf ihrer Haut. Sie ließ sich nicht beirren und kam dem Axtmann immer näher. „Du wirst jetzt ein einziges Mal in deinem Leben die Luft anhalten und dich nicht aufführen wie die offensichtliche Axt im Walde. Du reißt dich jetzt das erste Mal zusammen und lässt diese beschissene Axt fallen.“
      Sie hielt knapp vor ihrem Vater an, die Schneide der Axt glänzte im Regen. Er müsste nur einmal kurz ausholen und hätte die Waffe schon in den Körper seiner Tochter getrieben. Er zog die Axt schon ein Stück höher, als sähe er Ember ebenfalls als eine Bedrohung an. Sie jedoch hielt ihre Stimme gesenkt, als sie ein weiteres Mal zu sprechen begann: „Du musst das Haus nicht betreten. Meinetwegen. Bleib hier draußen und frier dir den Arsch ab. Aber dreh dich einmal um und schau dir deine Frau an, die nicht nur völlig durchnässt ist, sondern auch noch Todesangst leidet, wenn du so auffährst.“
      Ruperts Atem war abgehackt als er sich in ein Blickduell mit seiner Tochter begab, die keineswegs klein beigeben würde. Sie setzte keine weiteren Worte ein, als Rupert sich irgendwann leicht nach June umdrehte, die am ganzen Körper schon zitterte. Mehrmals sah er zwischen ihr, Ember und August hin und her ehe er sehr widerwillig die Axt senkte, die Feindseligkeit allerdings in seinen Augen beibehielt.
      „Schön.“
      „Danke.“
      Ember schob sich an ihrem Vater vorbei und berührte ihre Mutter am Arm. Mit großen Augen begegnete June dem Blick ihrer Tochter und Ember wünschte sich, dass das Zucken ihrer Mutter einzig von der Kälte herrührte. „Komm schon. Bringen wir dich wenigstens aus dem Regen, ja?“
      Nach einem Moment nickte June und ließ sich von Ember geleiten, Rupert wie ein Schließwächter direkt hinter ihnen. Noch immer hielt er die Axt umklammert, während er den beiden Frauen folgte. Als sie an August vorbeikamen, warf Ember August einen entschuldigenden Blick zu. Mehr konnte sie in der Sekunde ihm nicht ohne Worte zeigen. Dafür fraß sich der eigene Schmerz über die Situation zu tief in ihre Seele.
    • Erstaunlich, wie schnell sich menschliches Verhalten in Mustern wiederfand, wenn die Angst vorherrschte.
      August Foremar war es gewohnt, gehasst oder gar gehetzt zu werden. Er war es sogar gewohnt, beleidigt zu werden. Doch das meiste, was ihn traurig und gleichsam wütend machte, war der Unterton in dem von Rupert Sallow gesprochenen "DER". Als wäre er ein Tier, das es zu begutachten galt. Ein Tier, das man nicht wollte. Das es zu töten galt.
      "Ich habe Ember mitnichten verzaubert, Mr Sallow und ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie die Axt senken..."
      Natürlich hatte das nicht einmal den Hauch eines Effektes. Wie denn auch? Kopfschüttelnd verschränkte August die Arme vor der Brust. Zum einen, um gegen den herannahenden Frost zu kämpfen und zum Anderen, um seine Wut zu unterdrücken, die aufstieg. Vielleicht war diese unberechtigt, aber was sollte er machen? Er war auch nur ein Mensch...
      Eva trat an Augusts Seite und legte eine Hand auf seine Schulter, ehe er den Kopf schüttelte. Es war nicht der Moment zu fliehen. Sie durften nicht gehen und sich entziehen. Es war genug Hass und Missgunst geschürt worden. Wenn er jemals das Vertrauen dieses Mannes gewinnen wollte, durfte er nicht fortlaufen wie das Tier, das sie in ihm sahen. Es durfte auch keine Gewalt herrschen.
      August lauschte Embers regelrechter mahnender Tirade und sah anschließend zu Rupert, der einzulenken schien. Auf Embers Blick hin nickte August nur und Kälte kroch in seinen Blick, während er der merkwürdigen Konstellation nachsah, die das Haus nun endlich betrat.
      Eva seufzte und kehrte sich die klatschnassen Haare aus der Stirn.
      "Willst du dir das wirklich antun?", fragte sie. "Das sind Menschen wie sie im Buche stehen. Menschen wie diese haben uns früher gejagt und gefoltert...Sie stinken nach Angst."
      "Und genau deswegen werden wir ihnen nichts tun. Wir werden ihnen zeigen, dass nicht alle Rogues gleich sind. Dass wir keine Tiere sind."
      "Du hast den Unterton gehört, ja?! Alleine für die Betonung hätte ihm seine Zähne rausgerissen."
      "Und genau deswegen bin ich der Sprecher und nicht du", bemerkte August kalt, seine eigenen Gefühle kaum versteckend.
      "Er hat dich auch verletzt."
      "Wunden heilen, Eva. Und Zeit ist ein wichtiger Verbündeter. Und jetzt genug von deinen Wutreden. Geh und finde diesen verfluchten MacAllister."
      "Wie du willst. Achte auf dich. Und lass dich nicht von einer Axt meucheln."
      Mit dem nächsten HErzschlag war sie erneut im Nichts verschwunden und August musste seufzen. Das war leichter gesagt als getan.


      Als August das Haus betrat, empfing ihn wohlige Wärme.
      Das Feuer prasselte noch immer im halb eingestürzten Kamin und James hatte sich offenkundig mit Isabella geeinigt. Die junge Frau hatte ihn nach minutenlanger Diskussion offenbar aus der Küche befördert und nun roch das baufällige Haus angenehm nach wärmender Suppe und spanischen Gewürzen.
      James hatte sich derweil in den Hauptraum begeben und die merkwürdige Meute um Ember in Empfang genommen.
      "Äh...Guten Tag?", fragte er erstaunt und sein scharfer Blick fiel auf die Axt in Ruperts Händen. Instinktiv glitt seine Hand zum Ort seiner Waffe und verharrte dort. "Sir?! Ich weiß nicht, was passiert ist, aber..."
      Anhand Embers Blick konnte James zumindest ahnen, dass sie wie erwartet auf August reagiert hatten. Seufzend ließ er die Hand sinken und ging auf die Gruppe zu.
      "Fangen wir anders an. Mein Name ist James Hawthorne. Ich bin der ehemalige Vorgesetzte Ihrer Tochter!", sagte er und schob grinsend seine tellergroße Hand vor. "Wollen wir uns nicht setzen und uns aufwärmen? Ich bin mir sicher, dass man Ihnen bald entsprechendes bringt."

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    • Die Stimmung hätte nicht angespannter sein können. Bereits auf der Treppe ins Obergeschoss waren die Shawn begegnet, der immerzu den Kopf leicht schüttelte, kaum hatte er Ember mit ihren Eltern gesehen. Er war im Anschluss herunter gekommen und hatte sich sofort June angenommen, die mit großen Augen buchstäblich alles anstierte, als wolle es sie im nächsten Augenblick umbringen. Mit einem gequälten Ausdruck half er ihr aus den triefendnassen Schuhen, wohingegen seine Schwester alle Hände voll zu tun hatte mit ihrem Vater.
      „Was zur Hölle ist das hier für eine Bruchbude?“, grummelte Rupert, der immer noch nicht von seiner Axt abgelassen hatte.
      „Der Familiensitz der Sallows“, beantwortete Ember die Frage knapp und betete, dass nicht Isabella auch noch die Zusammenführung sprengte. Zwei Arkana waren zwei zu viele. Mit vorsichtiger Bewegung versuchte Ember ihrem Vater die Axt aus den Händen zu winden, doch er ruckte zurück, nicht gewillt seine Waffe freiwillig abzugeben. „Komm schon. Du weißt besser, dass dir eine Axt nicht viel bringen wird.“
      Seine Mimik sprach eine andere Sprache.
      Embers Aufmerksamkeit sprang zu der Person, die als nächstes den Hauptraum betrat. Zu einem gewissen Grad fühlte sie sich erleichtert, als sie James erblickte, wobei seine Reaktion nicht unbedingt förderlich war. Sofort riss sie die Augen auf und schnitt eine Grimasse, mit der sie auf Rupert und June deutete, damit James vielleicht anhand dessen begriff, dass hier der Brand bei Weitem noch nicht gelöscht war. Denn wie erwartet schien Rupert seinen neuen Feind auserkoren zu haben und hob abermals die Axt an.
      „Ich hab euch mehrmals von ihm erzählt“, schob Ember dazwischen, ihre Augen sprangen zwischen den beiden Männern hin und her. „Der gute Mann, der dafür gesorgt hat, dass ich nicht völlig über die Stränge schlage?“
      Etwas blitzte in Ruperts Augen auf, während er die ausgestreckte Hand, die fast so bullig war wie seine eigene, begutachtete. Dann, ganz langsam, senkte er die Axt und erwiderte den Handschlag steif. „Rupert Sallow. Ich schätze, das war der größte Verlust überhaupt, dass Sie in Rente gegangen sind. Ihr Nachfolger scheint seine Leute überhaupt nicht unter Kontrolle zu haben.“ Er schoss einen Seitenblick zu seiner Tochter, die abfällig schnaubte und beschloss, dass James vielleicht der Einzige hier war, der ihren Vater halbwegs zusammenhalten konnte. Also zog sich Ember ein wenig vorsichtig zurück und überließ die beiden Männer sich selbst, um sich dem anderen Brandherd zu stellen.
      Sie kam zur Tür, als August gerade hereinkam. Sie ließ ihn eintreten und schloss die Tür hinter ihm, mindestens genauso durchnässt wie sie. „Ich habe ja gesagt, dass es eine schwierige Geburt wird. Ich setze jetzt einfach mal meine Karten auf James, dass er ihm wenigstens die Axt ausreden kann.“
      Noch immer war ihre Miene angespannt während sie zu den beiden Männern herübersah, wo Rupert tatsächlich die Axt mittlerweile auf den Boden gelegt und damit begonnen hatte, sein Hemd auszuwringen. „Ich glaube, wir brauchen alle erst mal Handtücher. Eine ganze Menge davon.“
    • August ließ die Spannung des Raumes eine Weile auf sich wirken.
      Und auch wenn ein gewisser Frieden eingekehrt war, so war es doch merkwürdig mit anzusehen, dass Embers Vater die Axt erst sinken ließ, als James zu reden begonnen hatte. Und Ember für ihn geworben hatte.
      Mit einem Mal fühlte sich der Zauberer unendlich alt, als er die Szenerie betrachtete und fragte sich mehr als einmal mehr, wann dieser Hass aufhören würde. Wann würde man Rogues als das akzeptieren, was sie waren? Menschen, die Hilfe gebraucht haben und sich diese selbst hatten suchen müssen, weil die Gesellschaft sie nicht beachtet hatte? Wann würden die Kämpfe und die Angst aufhören?! Vielleicht würde er es nicht erleben. August spürte, dass dies ein Kampf war, den er nur schwerlich erleben würde.
      Als Ember zu ihm trat, grinste er schwach. Doch es lag keine Freude in dem Lächeln. Vielmehr ein Bedauern oder eine Art Erkenntnis.
      "Der Sharokh war eine schwierige Geburt", sagte er ironisch. "Das hier könnte ein Höllenfeuer werden, wenn ich lange in der Nähe deiner Eltern bleibe. Es gibt aber noch ein weiteres Problem. Alsbald müssen wir mit den Arbeiten beginnen und dann wird Magie von Nöten sein. Sie werden mich zaubern sehen und wenn es um das Tor geht, wird es selbst für dich eine neue Erfahrung sein. Darauf sollten wir sie vorbereiten, damit sie nicht allzu sehr fürchten."
      Oder mit Äxten wirbeln.
      An anderer Stelle nickte James und grinste, als er die Hand des Vaters losließ und sie diese ebenso seiner Frau anbot.
      "Freut mich, Ma'am", grinste Hawthorne auf charmanteste Art und wandte sich danach wieder Rupert zu. "Na, den größten Verlust würde ich nicht das nicht nennen. Es lief schon immer einiges schief bei der Polizei, wenn Sie mich fragen. Ich habe es nur ein wenig besser managen können. Und was meinen Nachfolger angeht...Da haben die Kollegen einen schlechten Griff gelandet, aber meist regelt sich das von selbst."
      Wuchtig stemmte er die Hände in die Hüften und sah zu Rupert.
      "Ja, da haben Sie wohl recht", sagte James und sah zu August herüber, der sich sogleich in Bewegung setzte. Handtücher waren sicherlich bereit gelegt worden und es brauchte eine Myriade davon.
      Eilig huschte er die Treppen hinauf und James sah nochmals zu den Eltern.
      "Setzen Sie sich erstmal. Isabella macht gerade eine wunderbare...äh...Suppe. Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung was das ist. Irgendwas spanisches mit Muscheln. Pälla oder so."
      "Paella, Sie Unwissender!", rief Isabella aus der Küche und James schüttelte resignierend den Kopf.
      "Dann eben das. Trocknen Sie sich ab, essen Sie und versuchen Sie die Zeit zu genießen. Ich weiß, es wird schwer, zwischen all den Zauberern, aber es ist möglich. Keiner hier ist Ihnen feindlich gesonnen...Und Sie könnten mir erzählen, was Sie so machen. Also beruflich natürlich. Interessiert mich brennend. "
      August kehrte mit einigen Handtüchern, die er aus den Zimmern geklaut hatte, zurück und legte den Stapel auf den behelfsmäßigen Tisch, ehe er sich zu Ember kehrte.
      "Ich werde kurz nach Liz sehen", sagte er. "Ich hoffe, deine Eltern gewöhnen sich noch etwas ein, damit sie nicht so fürchten müssen."
      Das letzte sagte er mit einem zuversichtlichen Lächeln auf den Lippen, das seine Augen nicht erreichte.

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    • Während Ember den Moment nutzte, um einen etwas weniger brennenden Atemzug zu nehmen, betrachtete sie August, der den Raum mit anderen Augen las. Niemand musste aussprechen, dass ihre Eltern das Paradebeispiel für jene Menschen waren, die dafür gesorgt hatten, dass dermaßen Hetze auf die Zauberer gemacht wurden. Dass Rupert sich ausgerechnet in James Gegenwart weniger aggressiv zeigte, stimmte Ember alles andere als glücklich. Es war eine Notlösung, sie alle hier unterzubringen, und noch wusste sie nicht, ob sie die Idee gut oder schlecht heißen sollte.
      „Du kannst diese Menschen da nicht drauf vorbereiten“, gab Ember kalt zurück und sie unterdrückte den Drang, zu June zu gehen, die als Einzige mit einem Handtuch um die Schultern und altmodisch wirkender Kleidung aus dem Obergeschoss zurückgekehrt war. Sie stellte sich zu ihrem Mann, die Augen noch immer geweitet, während sie mit jedem Geräusch zusammenfuhr und sich hektisch umsah. „Ich will nicht sagen, ignorier sie, aber du wirst keine Rücksicht auf sie nehmen können. Wenn du zaubern musst, dann tu es. Sie werden verschwinden, wenn du es nicht gegen sie richtest.“
      Was eine nüchterne Aussage sein sollte, fühlte sich an wie eine Klinge, die sie sich eigenmächtig in den Bauch trieb. Jedes Wort versenkte die Klinge ein wenig tiefer in ihrem Fleisch, Worte gleich Waffen. Eigentlich wollte sie nicht so über ihre eigenen Eltern sprechen. Immerhin blieben sie Familie und sich dermaßen zu distanzieren fühlte sich nicht richtig an. Trotzdem hatte Rupert vor Minuten eindrucksvoll gezeigt, was er von seiner eigenen Tochter nun hielt.
      Als August nach oben verschwand, schloss Shawn zu seiner Schwester auf. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete das seltsame Schauspiel, wie ausgerechnet James Hawthorne mit Smalltalk über die Berufe ihrer Eltern betrieb. Und scheinbar damit mehr oder weniger Erfolg hatte, denn die Axt glitt immer weiter aus dem Sichtfeld.
      „Ich glaube, Mom war kurz vor dem Nervenzusammenbruch“, sagte Shawn leise und Ember war sich sicher, einen anklagenden Unterton hören zu können.
      „Wesentlich erstaunlicher ist es, dass sie nicht zusammengebrochen ist. Ich will nicht wissen, was mit Eva vorgefallen ist bevor sie hier aufgetaucht sind.“
      „Wer kam eigentlich auf die glorreiche Idee, eine Französin zu schicken?“
      „Gut, konnte August ja nicht besser wissen, oder?“ Sie zuckte mit den Schultern.
      Eine Pause entstand ehe Shawn seufzte und sich von Ember trennte, um anschließend in der Küche zu verschwinden. Vermutlich wurde er angelockt durch den köstlichen Geruch, der sich langsam entfaltete. In der Zwischenzeit war der besagte Rogue wieder aufgetaucht und legte die Handtücher schlauerweise auf einen niedrigen Tisch, anstelle sie direkt den Personen zu reichen. Während Rupert sich mit James in einem Gespräch über das korrekte Pflegen von Kunst- und Echtrasen verlor, starrte June August an wie ein Beutetier seinen Jäger. Dann war er schon wieder bei Ember.
      „Ah, Liz!“, fiel es Ember siedend heiß wieder ein und sie schenkte August einen schuldbewussten Blick. „Da war ja was… Lass mich mitkommen. Ich werde hier sowieso nicht vermisst.“
      Und damit sprach sie nichts Weiteres als die Wahrheit. Also schloss sie sich ihm an und gemeinsam entflohen sie dem Hexenkessel in ein Stockwerk nach oben. Im oberen Stockwerk verlangsamten sie ihre Schritte, als sie sich sicher fühlten, dass man sie unten nicht mehr hören würde.
      „Es tut mir leid, dass sich die Beiden so…. gebärden. Ich dachte mir schon, dass June zusammenbricht, aber dass Rupert dermaßen ausrastet ist selbst mir neu.“ Sie hätte am liebsten in irgendeiner Form Körperkontakt zu ihm aufgebaut, wusste aber nicht, wie. „Das ist nicht ausschließlich gegen dich gerichtet. Sie sind einfach festgefahren in ihrer Meinung. Sie glauben eher den Medien als ihren eigenen Erfahrungen, fürchte ich…“
      August stoppte unvermittelt neben Ember und sie sah vom Boden auf, den sie stur angesehen hatte. Sie standen bereits vor Liz‘ Tür, wie sich Ember mit einem Schulterblick versicherte, und würden das Gespräch wohl auf einen anderen Zeitpunkt vertagen müssen.
      Ember seufzte. Dann hob sie die Hand und klopfte dreimal mit den Fingerknöcheln an die alte Holztür. „Liz? Bist du wach und hast Hunger?“
    • Erstaunlich, wie schnell sich die Ruhe über einen Ort legte, wenn man das, was einen zerrüttete, einfach zurück ließ.
      So oder so ähnlich erging es August, als er die Treppe Stufe um Stufe erklomm und sich lediglich auf das Geräusch seiner Schuhe auf dem Holz konzentrierte. Wäre es vermessen gewesen, zu schreien? Wäre es unangebracht?
      Vermutlich ja. Vermutlich war es genau das, was diese Menschen von ihm, dem Monster erwarteten, wenn man ehrlich genug die Szenerie betrachtete. Sie würden erwarten, dass August Foremar anfing zu schreien und sich mit kalter Autorität den Raum verschaffte, den er brauchte. Den er so dringend brauchte. Sein Kopf fühlte sich an wie ein wackeliger Melonenkompott und innerlich verfluchte er den Tag, an dem die Magie auf die Welt gekommen und sie alle entzweit hatte. Auch wenn er sicherlich wusste, dass dieser Hass bereits Generationen überdauerte, schmerzte es ihn, ihn dennoch am eigenen Leibe und auch in leibhaftiger Person zu erleben.
      Am Fuß der Treppe hielt er kurz inne und atmete durch, um Ärger und Wut hinab zu spülen und sich auf das zu besinnen, was zählte. Und das ging hinter ihm die Treppe hinauf.
      Diese Frau hatte sich gewandelt, sie hatte ihm eine Art von Empfindung nahe gebracht, die er lange verloren glaubte und letztlich war sie alles, was hier und jetzt zählte. Deswegen waren sie hier, in Sallow Manor, in einem Moor am Ende der Welt. Deswegen und nicht wegen Rupert und June, die noch immer angeregt mit James diskutierten. Worüber, das wussten die sieben Teufel.
      Ruhig wollte er soeben an Liz's Tür klopfen, als Ember zu sprechen anhob. Ihre Stimme fühlte sich fremd an, als würde sie versuchen, eine Wune zu heilen, die zu tief war. So tief, das man nicht mehr an Heilung denken konnte. Und doch...Ihre Worte waren seltsam beruhigend, beinahe betörend ruhig. Innerlich spürte August, dass er danach greifen wollte, dieser Ruhe, diesem Zufluchtspunkt, der ihm beinahe abhanden gekommen war. Und den er so vermisste. Die Zeit allein, zu zweit, in ein Bett gekuschelt und der Welt entflohen. Mit Sicherheit war dort auch ein unanständiger Gedanke, jedoch war dies nettes Beiwerk. Es brauchte doch nicht mehr...
      "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen"; sagte er und sah Ember kurz, aber warmherzig an. "Es ist nur...Es ist hart, diese GEfühle zu hören, obschon ich mich daran gewöhnt haben sollte. Doch der Hass, der einem entgegen schlägt, nur weil ich Dinge kann, die sie nicht können, lässt mich in Unverständnis zurück. Und ich wünschte, ich könnte es ändern. Könnte es gut machen, weißt du..."
      August zuckte die Achseln und sah zur Tür, an die Ember klopfte.
      Ruhig und beinahe knarrend gruselig öffnete Liz die Tür und sah hinaus. Noch immer wirkte die Frau unverändert, doch das geschulte Auge vermochte die leichte Rötung ihrer Augen und die geschwollenen Lippen erkennen. Typisch für sie. Sie steigerte sich so her hinein, das Weinen zu unterdrücken, dass sie beinahe körperliche Ausfallerscheinungen bekam.
      "Ich habe keinen Hunger", sagte sie kalt und ohne einen Funken von Unsicherheit.
      "Liz..."
      "Nein, August", schnitt sie ihn kalt ab. "Ich bin es Leid. Ich bin das alles so Leid! Ständig und überall verteufeln sie uns, weil wir Lampen ohne Schalter anmachen können. Sie verteufeln uns, weil Medien uns für Monster halten. Nur weil einer, EINER!..."
      Sie hielt inne und fuhr sich über die Wange um eine Träne fort zu wischen, die sie nicht akzeptierte.
      "Hat eigentlich Jemand eine Ahnung, wie sich das anfühlt?!", sie sah nunmehr Ember direkt an. "Ich hätte gern mit deinem Bruder gesprochen. Auch wenn er unsereins hasst. Aber ich hätte es gern versucht."
      "Ich bin sicher, niemand wollte dich übervorteiln, Liz..."
      "August? Sei so gut und halt einmal deine Klappe! Das ist ein Gespräch zwischen uns beiden. Ich weiß, du meinst es gut, aber das hier ist einfach unfairer Scheißdreck. Also...Was hast du zu sagen, Sallow?!"
      Trotz der Angriffslust ihrer Worte erschien ihre Sprache brüchig und in den Rändern ihrer Augen sammelten sich Tränen. Auch das hatte August noch nie gesehen.

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    • Ember hatte den Moment verpasst, in dem sie Körperkontakt zu August hätte aufbauen können. Doch sein Blick, dieser ungewöhnlich warme Ausdruck in den hellen Augen, machte ihr deutlich, dass sie es auch gar nicht gebraucht hätte. Er fühlte das Band zwischen ihnen und den Versuch, mittels Worten eine Verbindung zu knüpfen. Als nichtmagische konnte Ember sich schlecht in die Lage eines Rogues versetzen, allerdings kannte sie es selbst sehr gut, mit Anfeindung und Ablehnung selbst in den eigenen Reihen umgehen zu müssen. Doch solch eine grundlegende Ablehnung zu erfahren überstieg auch ihren Horizont. Was sie jedoch mindestens genauso unverständlich war, war der Punkt, dass August etwas gutmachen wollte, das man nicht gutmachen konnte. Niemand konnte sich für das entschuldigen, was man war. Niemand konnte das Schicksal eines ganzen Volkes oder einer Rasse auf den eigenen Schultern tragen. August konnte nur für sich selbst Sorge tragen und gerade, als Ember das erwidern wollte, öffnete sich die Tür mit einem gedehnten Knarzen.
      Binnen gefühlter Mikrosekunden scannte Embers wacher Blick Liz‘ Gesicht vollständig. Was sie sah war das Gesicht einer Frau, die ihre eigene Gefühlslage nicht akzeptierte. Die dermaßen im Frust und Wut unterging, dass ihr Körper auf Eigenregie geschaltet hatte. Das bewiesen die geröteten Augen, aus denen sich Tränen lösen wollten, aber nicht durften und die minimal zitternden Lippen, als Liz das Essen ablehnte. Im ersten Moment war selbst Ember überrumpelt, wie sehr es Augusts Assistentin mitnahm, dass…. Moment. Weil sie Shawn weggeschickt hatte?
      Als Liz Augusts Worte abschnitt, brüstete sich Ember bereits und schob Überraschung und Sorge zur Seite. Sie wurde gar ein Stückchen größer, als sie einatmete und sich darauf einstellte, dass gleich Liz Ärger ihr gelten würde. Lediglich die schmaler werdenden Lippen der Detective zeugten davon, dass Liz ihr Mitgefühl bekam, als diese sich eine Träne mit ruppiger Bewegung von der Wange fegte.
      „Zum einen wäre es großartig, wenn du meinen Namen und nicht meine Familie als Anrede für mich benutzt“, gab Ember ruhig zurück und signalisierte indirekt damit, dass sie sich entgegen der Handlungen und Denkweisen ihrer Familie stellte. „Zum anderen habe ich weder dir noch Shawn verboten, miteinander zu reden. Das ist nicht mal mein Recht. Er hat auf meinen Hinweis hin eigenständig reagiert, er hat es sich selbst so ausgesucht.“
      Früher hatte Ember oftmals die Konsequenzen für ihren jüngeren Bruder getragen, doch jetzt tat sie es nicht mehr. Er war alt genug um zu entscheiden, wie er auf Umstände reagierte, die ihm Unwohlsein bereiteten.
      Respektvoll trat Ember einen Schritt zurück, um Liz im Spalt ihrer Tür mehr Raum zu geben. „Ich bin nicht diejenige, die anderen einen Riegel vorschiebt, Liz. Das solltest du auch sehen, indem ich zugelassen habe, dass meine Eltern hierherkommen, wohlwissend, dass sie alles und jeden verteufeln würden. Ich weiß, du hast es nicht mitbekommen, aber vielleicht hätte es dir einen etwas anderen Einblick verschafft, wenn du draußen im Moor gesehen hättest, wie mein eigener Vater mit mir umgegangen ist. Wie meine eigene Mutter mich ansieht, nachdem sie feststellen durfte, dass ich mit August zusammenarbeite.“ Dabei zuckte ihr Blick nicht ein einziges Mal in die Richtung des Rogues, obwohl sie seinen Blick förmlich auf ihr fühlen konnte. „Ihr erfahrt Ablehnung für das, was ihr seid. Ich erfahre Ablehnung, weil ich mit Zauberern arbeite. Also ja, ich kann es gewissermaßen nachvollziehen.“
      Die Angriffslust in Liz‘ Stimme war reine Schutzmaßnahme. Das kannte Ember zu Genüge und sah um die Fassade herum. Die Zauberin war verletzt, weil sie nicht einmal zu Worte hatte kommen können, um etwaige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.
      „Ich musste erst mal mit meinen Eltern fertig werden, damit Rupert niemanden aus Versehen etwas abhackt. Ich musste Shawn dahingehend etwas zuwerfen von dem ich mir dachte, dass er es nehmen und gehen würde. Mein kleiner Bruder ist manchmal etwas kurzsichtig, aber ich versichere dir, dass du noch immer mit ihm sprechen kannst. Schließlich hat er ja auch einen gewissen Draht zu August gefunden, und das will schon was heißen.“
      Ihre Mundwinkel zuckten leicht in dem Wohlwollen, ein Lächeln zu produzieren. Ein aufmunterndes, gutzusprechendes Lächeln. So kurz, wie sie Liz erst kannte, wusste sie nicht, mit ihr umzugehen. Grenzen musste sie erst noch abstecken.
      „Wenn du ihn ansprichst, kann er sich dir im ersten Moment eh nicht erwehren. Ich weiß, wie es aussieht, wenn jemand das Interesse meines Bruders geweckt hat.“
    • I′m scared to get close, and I hate being alone
      I long for that feeling to not feel at all
      The higher I get, the lower I'll sink
      I can't drown my demons, they know how to swim

      BMTH - Can You Feel My Heart



      August verblieb ruhig und überließ den beiden Frauen das Feld ihrer Emotionen. Und Emotionen wallten auf wie sich brechende Wellen. Und sei es auch noch so widersinnig, er verstand beide Seiten.
      Liz indes lauschte ausnahmsweise aufmerksam den Worten der Frau, die sie aus irgendeinem (Jeder andere vermochte den Grund zu erkennen) Grund nicht mochte. Ihre überhebliche Art (zumindest kam es ihr so vor), die selbstgerechte Selbstjustiz in Form einer Bevormundung. Es war immer dasselbe oder? Immer dieselbe Masche und immer dieselben Ausreden. Als seien sie alle Kinder. Kinder, die es zu beschützen galt.
      "Glaub mir, Ember", begann Liz schließlich und öffnete die Tür ganz um sich in den Türrahmen zu legen. Unter ihren weiten Laborkleidern zeigte sich eine recht trainierte Figur, die Embers austrainiertem Körper nicht unähnlich war. "Du hast nicht den Hauch einer Ahnung...Du warst und bist vielleicht nicht diejenige, die ihm verbat, mit mir zu sprechen, das gestehe ich dir zu. Aber dennoch gabst du den Hinweis, weshalb er es nicht tat. Du warst diejenige, die mir den Stempel des verbrannten Mals aufdrückte, auch wenn es vielleicht gut gemeint war! Und das war unfair!"
      Auf ihre Erwähnungen hinsichtlich ihrer Familie wusste Liz zunächst nichts zu sagen, obschon sie den Hinweis mit August mit einem schwachen Grinsen aufnahm. August indes protestierte.
      "Hey!"
      "Komm schon, du weißt sie hat Recht. Erinnerst du dich noch an den einen Wissenschaftler aus meinem Team?! Du hast ihn vergrault."
      "Ich habe nichts dergleich-"
      Liz seufzte und rückte die Brille gerade. "Du hast ihm die Chimäre am ersten Tag gezeigt. Der Gute hat sich eingeschissen."
      Kopfschüttelnd rückte August etwas ab, während Liz sich wieder Ember zuwandte.
      "Nein, ich denke, es wäre nicht gut, wenn ich das nun täte", sagte sie schlussendlich. "Hör zu, mir tut es Leid, dass deine Familie sich unseretwegen von dir entfernt. Muss schwer sein, den Rückhalt der Menschen zu verlieren, die man am meisten liebt. Aber glaub mir, dass du lediglich die Oberfläche dessen ankratzt, was wir erlebt haben. Wir werden verfolgt, gehasst und verteufelt. Alles Schlechte dieser Welt ist unsere Schuld und die der Arkana, diesem Verbrechersyndikat. Dass die meisten Rogues keine Wahl haben, als sich selbst zu unterrichten, weil man unsere Weltansicht verachtet. UNd ja, da sind es die Kleinigkeiten, die einen Unterschied machen. Du bist hier, gibst dich mit uns ab, aber es ist nicht okay, Jemanden zu brandmarken, weil man Wahrheiten aussprechen muss. Ich bin sicher, dein Bruder hätte über kurz oder lang herausgefunden was ich bin und wäre vielleicht fortgelaufen, ja. Vielleicht hätte ich mich getäuscht und würde jetzt Eis essend auf dem Boden sitzen und heulen. Aber es wäre meine Erfahrung! Und die wurde mir genommen."

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    • Jetzt wäre üblicherweise der Zeitpunkt gewesen, in dem Ember auf eine Uhr geschaut und es noch als viel zu früh betitelt hätte. Zu früh, um sich mit solchen Themen zu befassen, zu früh, um an vier Brandherden gleichzeitig zu stehen. Früher wäre sie auf fast jede einzelne Bemerkung seitens Liz‘ angesprungen, ihre jahrelange Arbeit hatte ihr jedoch zugetragen, nicht sofort ihr Mundwerk in Fahrt zu bringen. Trotzdem konnte auch sie nicht unterbinden, dass der Versuch, eine verständnisvolle Atmosphäre und eine, wenn auch, versteckte Entschuldigung anzubringen, in Luft aufging und die Distanz wieder Einzug hielt. Mittlerweile war sich Ember absolut sicher, dass es keine Seite gab, die sie definitiv als schwarz oder weiß markieren konnte. Der Konflikt war auf beiden Seiten festgefahren: Die Menschen, die sich wegen ihrer Minderwertigkeit fürchteten und es jedem vorhielten, der anders war, und die Zauberer, die sich immer wieder auf ihre Opferrolle beriefen oder deswegen zu Gewalt tendierten. Beiden Seiten befeuerten sich immer wieder aufs Neue und seitdem sich Ember für die Grauzone entschieden hatte, wurde ihr es zunehmend immer stärker bewusst. Dieser Konflikt war nichts, was sie kitten konnte. Das überstieg schlichtweg ihre Kompetenz und vielleicht auch Rolle. Aber sie würde zumindest ihr Umfeld beeinflussen – in welcher Art und Weise auch immer.
      „So wie du mir vorwirfst, dass ich dir einen Stempel aufdrücke, verbitte ich mir, dass du dich für meine Familie entschuldigst. Das ist eindeutig deren Problem mit deren engstirniger Sichtweise und da kann nur ein einziger Rogue etwas für. Ein einziger, der ihnen eine Person aus dem Leben gerissen hat und nun dafür verantwortlich ist, dass sie jedem anderen Zauberer eine rote Flagge anheften.“ Die verschränkten Arme waren vor Embers Brust zurückgekehrt. Teilweise, weil sie sich damit davon abhalten wollte, unüberlegte vorschnelle Aktionen zu ergreifen. Aber ihr Tonfall war schon lange nicht mehr so nett und versöhnlich wie noch Minuten zuvor. „Ich vergleiche nicht, was ich erfahre mit dem, was ihr erfahrt. Kann ich auch gar nicht. Aber ich versuche dir wenigstens gerade einzutrichtern, dass ich mir Mühe gebe, es nachzuvollziehen. Wenn du mal Lust hast kannst du gerne August fragen, dass ich sehr genau weiß, dass Rogues sich selbst unterrichten müssen. Selbst lernen müssen. Hab ich selbst am Leib erfahren.“
      Eine Geschichte, die sich Liz gerne von August erzählen lassen konnte, sie hier und jetzt ihr mit Sicherheit nicht erzählen würde.
      „Ich gebe mich nicht mit euch ab. Ich arbeite mit euch zusammen. Hör auf, dich und deinesgleichen selbst schlechtzumachen. Dir gefällt nicht, dass die Menschen euch brandmarken? Dann stell dich nicht so leicht genau da hin, wo sie mit ihrem Eisen hinzielen. Der Großteil der Rogues und Arkana verurteilen mich, weil ich ein Mensch bin und mit der Justiz zusammenarbeite. Ist gar nicht so unähnlich, wenn du mich fragst. Nur bleib ich nicht freiwillig da stehen, wo sie mich haben wollen.“ Sie schnaubte. Konnte es nicht für eine kurze Weile keine ständigen Konflikte geben?
      Scharf deutete Ember mit einem Fingerzeig Richtung Treppe und nach unten. „Jetzt hör auf, dich hier zu verkriechen und komm mit nach unten was Essen. Das hast du nicht nötig und ich werde unangenehm, wenn ich nicht langsam etwas zu essen bekomme.“
    • Liz sah eine ganze Weile zu Ember und im ersten Moment schien es beinahe so als wolle sie Luft holen, um gegen diese unsinnige Argumentation zu sprechen. Es wurde jedoch zu einem Wettbewerb des Schrecklichen und würde in nichts mehr als Trauer und Frust enden, wenn man es logisch betrachtete.
      Daher, und auch weil August ihr aus dem Hintergrund einen warnenden Blick zuwarf, zuckte die mit den Achseln und warf die Tür wieder ins Schloss. Sorgsam fischte sie aus den Sachen, die wild am Boden des Zimmers verstreut lagen, ihr schäbigstes Laborhemd und richtete ihre Brille gerade, ehe sie die Tür aufriss und vor Ember und August nach unten stapfte.
      "Das war ja ein Auftakt...", murmelte August und grinste schwach als er hinter Ember die Treppe hinab stieg.
      Erneut hatte man sich alle Mühe gegeben, das Foyer zu verwandeln. Der Küchentisch war durch die geräumige Tür in das Foyer gewandert, damit man mehr Platz hatte und nahe den Flammen war, die knisternd den Raum wärmten. Die Sofas hatten sie an die Seiten gedrückt und Stühle rund um den Tisch platziert.
      Noch immer hielt James Rupert gefangen und diskutierte mit ihm über allerlei (wie August empfand) Unsinniges. Diesmal erschien es der Alltag seines eigenen Berufes zu sein, denn er schien sich recht lebhaft über seine Rekrutenzeit unter den Jahren von Mrs Thatcher zu unterhalten. Man konnte davon halten, was man wollte, aber zumindest erschien Rupert nicht mehr ganz so argwöhnisch. Eva hatte den Raum derweil verlassen und man konnte ihr nicht verdenken, dass sie auch nur eine Sekunde länger geblieben war, als notwendig. Sie hatte ein Gebiet zu beschützen und es würde nicht allzu lange unbemerkt bleiben, dass der Krieg losgebrochen war. An den Rand des Kamins, auf einen der Sessel, hatten sie ein kleines Radio platziert, aus dem merkwürdige Melodein schepperten. Hin und wieder unterbrochen von weißem Rauschen drang auch hier und dort einmal die Stimme eines Radiosprechers hervor, der über die neuesten Geschehnisse informierte. Der Himmel wusste, wie lange sie hier sicher waren.
      "Wo ist mein Apparat?!", zischte Liz und sah sich beinahe schmerzhaft suchend um. "Wer hat den Apparat abgebaut, er darf nicht berührt werden, er..."
      "Er ist hier!"
      Izabella, die die Küche nunmehr verlassen hatte, wies mit ihrem Kopf auf Augusts Koffer, der unauffällig im Raum stand. Die wilden Haare der Spanierin waren mit einem Band zusammen gefasst und ihre dunklen Wangen waren rosig von der Hitze der Kochplatten. Ihre Hände wischte sie an einem Tuch ab und sah dankbar dabei zu, wie James neben der Unterhaltung noch ein paar Kerzen entzündete, um ein wenig Stimmung am Tisch zu verbreiten.
      "Wie...Was...Also..."
      Liz erschien mit einem Mal in ihren Grundfesten erschüttert. Wie hatten sie...Wie hatten sie den stolzen Apparat, den sie so mühevoll aufgebaut hatte, auch nur ansatzweise bewegen können?
      Erst danach fiel ihr ein, dass er nicht verankert war und es nur weniger Handgriffe bedurfte, das Pendel zu entfernen und die Konstruktion in sich zusammen zu schieben.
      Als Liz mit der Schuhspitze gegen den Koffer drückte, schepperte es darin wie in einem Geschirrschrank. Schlagartig gefror ihr Gesicht mit der Erkenntnis, dass man ihn nicht zusammen geschoben hatte. Sondern einfach nur in den Koffer gestopft...Wie ein Tier...
      "Das kann doch nicht...", wisperte sie, während August sich bereits an den Tisch setzte und einen Stuhl neben sich für Ember heraus zog.
      Izabella grinste und schleppte unter leichtem Stöhnen eine recht gewaltige Wokpfanne herein, die sie mit der Hitze beider Kochplatten bedienen musste. Zufrieden schmetterte sie diese in die Mitte des Tisches, sodass das Geschirr leicht hüpfte, aber ein wohliger Geruch den Raum erfüllte.
      "Ah, Essen. Palla, wie die Alten es lieben."
      "Paella", korrigierte sie James.
      Dieser zuckte die Achseln.
      "Paella, Palla, Pullern, drauf geschissen. Das Herz lacht, wenn es was zu essen gibt und macht Feinde zu Brüdern!"
      "Darauf trinke ich", murmelte August und hob das noch leere Glas. "Bedient euch! Setzt Euch. Esst und trinkt."
      Auf Frieden und Harmonie, dachte er sich.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Innerlich sammelte Ember ihren letzten Reserven, um Liz dann doch mit einer nicht sehr schönen Manier dazu zu zwingen zu tun, was sie wollte. Folglich sah sie, wie die andere Frau vermutlich wohl ansetzen wollte, ihr Blick jedoch an der Detective vorbei ging und Ember sich schmerzlich bewusst wurde, dass das ausschlaggebende Argument nicht sie gewesen war, sondern der Rogue in ihrem Rücken. Dann wurde ihr buchstäblich die Tür vor der Nase zugeknallt, es vergingen etliche Sekunden. Schließlich tauchte sie in der Tür wieder auf, mit sichtlich ramponierten Klamotten, und fegte wortlos an August und Ember vorbei nach unten.
      „Wieso müssen die sich aber auch alle so schrecklich bescheiden anstellen?“, murrte Ember leise, zusammen mit August nun auch auf dem Weg nach unten. „Langsam glaub ich, dass das doch eine nicht so kluge Idee war. Zu viele Sonderformate auf einem Fleck.“
      Besagte Sonderformate hatten sich unten im Foyer völlig neu ausgelebt. Ein weiteres Mal wurde umdekoriert und nun befand sich der Küchentisch vor dem Kamin, der immerhin Wärme ausstrahlte und das heruntergekommene Anwesen mit etwas Licht zu erwärmen suchte. Sofort suchten Embers Augen nach ihren Eltern. Rupert fand sie noch immer erfolgreich in den Fängen von James, der seiner Arbeit alle Ehre machte. Er hielt den Menschen bei der Stange, indem er ihm einfach gar nicht die Zeit ließ, sich mit anderen Anwesenden zu unterhalten oder sich irgendwelche abstrusen Meinungen zu bilden. Wenigstens war hier eine Zündschnur erstmal erstickt worden. Blieb nur die Frage, wo das nächste abgeblieben war. Oder eher die zwei. Denn weder June noch Shawn waren zu sehen. Der Apparat besaß für Ember sichtlich wenig Bedeutung, als sie langsam zum Tisch ging, wo sich August bereits einen Platz ausgesucht und ihr einen Stuhl hervorgezogen hatte. Sitzen konnte sie nicht. Noch nicht. Also ließ sie nur die Hände auf der Rückenlehne ruhen, nachdem sie sich davor postiert hatte.
      Fast hätte sie den Frust von vor wenigen Minuten vergessen, als Izabella einen gewaltige Pfanne herwuchtete und ein unglaublicher Duft den Raum erfüllte. Kein Vergleich zu den Dosenravioli oder der fragwürdigen Suppe, die James ihnen dankbarerweise angeboten hatte. Das hier war eine völlig andere Nummer und insgeheim wusste Ember, dass ihre Mutter …
      Es knarzte hinter ihnen, als jemand aus dem oberen Stockwerk herunterkam. Ember warf einen halbherzigen Blick über ihre Schulter und entdeckte Shawn, der mit June die Treppe gerade am Absatz verließ. Er hatte seinen Garderobe gegen etwas gewechselt, das wie ein viel zu großes Leinenhemd und eine dunkle Cordhose aussah, wohingegen June ein fleckiges, aber ehemals sonnengelbes Kleid irgendwo ausgegraben hatte. Sofort erkannte Ember es als eines jener Gewänder, die in dem Kleiderhaufen in Augusts Koffer gelagert waren.
      Wer zur Hölle hatte ihr ausgerechnet eines dieser Kleider gegeben?
      Offensichtlich musste man die Fassungslosigkeit in Embers Gesicht ablesen können, denn Shawn sah sie nur mit erhobenen Augenbrauen an, als er June auf einen Platz nahe sich und Rupert setzte. Wie als Palisade schirmte er die zierliche Frau von der anderen Seite ab und ließ damit für Liz exakt einen Sitzplatz frei: Den neben sich. Hatte er eine Wahl gehabt? Womöglich?
      Seufzend ließ sich Ember schließlich doch auf den Stuhl neben August sinken und hätte am liebsten die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen. Wie sehr sie sich jetzt die Versammlung der Arkana lieber herbeigewünscht hätte als diesen Zirkus hier. „Gib mir auch ein Glas…“, forderte sie August etwas unwirsch auf, bekam aber ihren Willen und bereute ihn sogleich darauf. War das noch immer das widerliche Gesöff von James?!
      Indes wurde begonnen, die Paella zu verteilen und Shawn holte sich eilig einen Teller, den er seiner Mutter vorschob. Die arme Frau war noch immer am zittern und hatte Augen so groß wie Untertassen, die immer größer wurden, je länger sie die Anwesenden betrachtete. Vermutlich malte sie jedem den Teufel auf die Stirn, ohne zu wissen, wieso eigentlich. Ehrlich erstaunt war Ember jedoch als sie bemerkte, dass ihr Bruder einen weiteren Teller nicht für sich, sondern für Liz organisierte und ihn ihr kommentarlos, aber mit sanfter Geste, hinstellte. Er mied ihren Blick, aber es sprach keine imminente Feindseligkeit aus seiner Handlung.
      Wow, dachte Ember, vielleicht hört er ja doch mal auf seine Schwester…
      „Das ist authentische Paella Valenciana“, kam es plötzlich ganz leise und kaum hörbar von der gegenüberliegenden Seite des Tisches. June hatte ihren Teller untersucht und einen einzigen Löffel probiert, während sie vorsichtig die einzelnen Zutaten separierte. „Sie hat echten Safran für die Farbe benutzt und den Rosmarin zum Schluss nur aufgelegt. Das Fleisch ist Kaninchen, kein Huhn…“
      Da gaffte die Tochter ihre Mutter einen Augenblick lang an, dann seufzte sie etwas erleichtert auf. Wie vorausgesagt war es das Essen, das bei June am ehesten die Dämme brach und genau das hatte Izabella gerade mit Bravour geschafft. Sofern gewisse andere Zauberer jetzt keine Show abzogen.
      An August richtete sie nun ihre nächsten Worte: „Also schauen wir morgen oder später noch mal mit dem Apparat nach Signaturen? Da waren doch Ausschläge, sollten wir die untersuchen? Ah, und ist Eva schon wieder weg? Ich hätte mich gern noch für meine Eltern… hm… entschuldigt. Oh, danke dir.“ Sie nahm einen Teller wunderbar duftender Paella an und ihr lief direkt das Wasser im Munde zusammen.
    • "Evened the scores, then I let it all go fall apart
      And every step forward put a little more sword in your heart
      Looking sideways when I say I'm okay with the past
      But I'm afraid of what I might say if you ask"

      [Bad Omens - The Grey]


      Augusts Gesicht gefror für eine Sekunde lang.
      Als die Gespräche aufzuleben schienen und sich James gegen die abwehrenden Hände von Izabella wehrte, die nach seinen eigenen gierigen Händen griffen, erschien der Tisch für eine kurze Zeit lebendig. Als würde das Anwesen dies zur Kenntnis nehmen, knarzte es von überall her und schien sich in den Geräuschpegel mit einzustimmen. Und doch...Wenn man genau hörte - und das tat Eliza Hawkins - dann konnte man es verstehen. Das sanfte Vibrieren der Magie in der Luft, während sie eilig zu August sah.
      Doch dessen Blick heftete sich kurz auf June in dem Sommerkleid. IHREM Kleid. Bellas Kleid. Das schöne gelbe. Das Wundersame, das sie im Sommer nie ablegte. Selbst die Flecken, die sie mit einem billigen Rotwein verursacht hatte, waren noch darauf. Und jetzt trug es June Sallow.
      Für eine Sekunde lang spürte August irrationale Wut in sich aufsteigen, die er sofort niederkämpfte. Sie konnte nichts dafür. Er hatte nichts gesagt und es blieb auch nicht viel, außer kurz zu Shawn und June zu lächeln und zu nicken.
      "Es steht Ihnen gut", sagte er und wand den Blick anderem zu. Er musste.
      Liz ließ sich auf den Stuhl neben Shawn fallen und sah zu der Pfanne hinauf, während auch Izabella ihren Sitzplatz neben Liz zur einen und James zur anderen Seite einnahm.
      Betrachtete man dies Gelage von gewisser Entfernung aus, so hätte man auf eine illustre Runde tippen können. Eine Runde voll Freunde, die alsbald Geschichten austauschten. Zu Schade, dass es dessen nichts geben würde. August spürte die Unruhe von Ember in dem Moment und legte ihr lächelnd und kurz eine Hand auf den Oberschenkel, ungesehen der neugierigen Blicke. Schwach grinste er ihr zu, ehe er das volle Glas annahm, das von rötlicher Flüssigkeit gefüllt war. Sorgsam reichte er es wunschgemäß an Ember weiter und flüsterte ihr ins Ohr:
      "Arkh. Alter Feenwein."
      Die Flüssigkeit war blutrot, beinahe violett in Färbung und roch schwer nach vergorenen Trauben und anderen Früchten. Ruhig wurde das Essen aufgetragen und zu Augusts Erstaunen füllte Shawn einen weiteren Teller, den er vor Liz stellte. Lächelnd sah August kurz zu den beiden, ehe er sich mit dem Blick entfernte und kurz den Moment auf sich wirken ließ. Das Haus schien sie um umarmen und gutzuheißen, was sie taten. Auch wenn seine innere Uhr unentwegt zu ticken begann. Er spürte die Hand des Schnitters auf seiner Schulter, als er das Glas mit dem Wein anhob und die anderen ansah.
      "Ich weiß, es ist ungewöhnlich", begann er lächelnd. "Ein Tag, der so viel Schlimmes und Strapazen bereit hielt, ist wahrlich kein Grund zum Trinken. Und doch. Ihr müsst wissen, ich stamme aus einem grässlichen Kaff im Norden. Dort, wo man mit Zeitungspapier Suppe isst und mit Gabeln Hühner fängt. Und meine Ma, die kannte einen alten Mann, den wir "den alten Nobby" nannten. Und der alte Nobby meinte in seiner gefühlsduseligen Weisheit: 'Es gibt immer einen Grund zum Trinken. Mit Freunden immer. Aber mit Feinden, Kleiner. Da musst du erst Recht trinken. Denn wer weiß, ob sie nicht nach dem dritten Pint zu Freunden werden!' In diesem Sinne."
      Er streckte sein Glas in die Höhe und freute sich, dass zumindest Liz, Izabella und James es ihm gleich taten.
      "Ich trinke auf Freunde und die, die es noch werden", schloss er und stürzte einen Schluck des Weins hinab.
      Er schmeckte schwer und süß. Ein Versprechen verlorener Träume und Annehmlichkeit. Ein warmes Bett im Sturm. Röte schoss in Seine Wangen und die Gespräche hätten beinahe einfach so wieder eingesetzt, wenn nicht June, ja die gute June, ihr Schweigen gebrochen hätte.
      Eine Sekunde lang herrschte Stille am Tisch, ehe Izabella geräuschvoll ihr Glas absetzte und zu June grinste.
      "Natürlich authentisch. Meine Mutter würde mich erwürgen, wenn ich es nicht richtig mache. Woher wissen Sie so viel davon?", fragte sie interessiert.
      August lächelte und nahm einen Bissen, ehe er sich zu Ember drehte.
      "Ja, morgen", sagte er und nickte. "Wir sollten sehen dass wir den Apparat wieder aufbauen und nach den Signaturen suchen. Es gibt viel zu tun fürchte ich."
      Ein Lächeln umspielte seine Lippen, auch als sie auf Eva zu sprechen kamen.
      "Ja, sie musste fort. Entschuldige dich nicht. Das alles hier...Diese Situation...Ist ein Beginn, eine Chance, Verheißung gar. Hör doch hin. In die Gespräche, das sanfte Lachen und das Knarzen von Gabeln auf Tellern. Man hört einen Sturm der Veränderung herankommen und ichf reue mich, dass ich Teil dieser Woge sein darf, die du mit ausgelöst hast."

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    • "Ich weiß, dass sie in Frankreich ihre ganz eigenen Probleme haben wird. Umso aussagekräftiger, dass sie hier war und ausgerechnet meine verteufelten Eltern mit hergebracht hat", meinte Ember lediglich zu dem Thema und wurde, egal wie sehr sie es drehte und wendete, nicht so ganz mit der SItuation warm.
      Natürlich sah sie die Art, wie August auf den Tisch blickte und in dem Gewirr aus Geräuschen regelrecht aufging. Es war schließlich das, was er sich wohl schon immer gewünscht hatte. Ein Ersatz für eine Familie, die er nie richtig gehabt hatte. Hier saßen Menschen und Zauberer zusammen an einem Tisch, und selbst wenn sich die Harmonie nicht eingestellt hatte, kam es dem Idealbild schon verdammt nahe. Nur kam das alles bei Ember nicht wirklich an. Auch sie hörte die Stimmen und das Gewirr, aber es erreichte sie nicht wirklich. Die Hand, die August auf ihren Oberschenkel platziert hatte und die dort warm lag, ungesehen von neugierigen Blicken, war ein stummer Weckruf dafür, dass Zeit das war, von dem sie aktuell am wenigsten hatte. Dass innerhalb kürzester Zeit dieses Bild nie wieder so in Erscheinung treten würde. Dass die Hand auf ihrem Bein nichts anderes als eine alte Erinnerung sein würde.
      "Ich war in der Gastronomie tätig und erkenne gute Köche, wenn ich sie sehe", erklärte June noch immer so leise, dass ein lautes Lachen von James ihre Worte beinahe vollkommen geschluckt hätten.
      "Eigentlich hat sie später noch viel mehr mit Kochen zutun gehabt. Hat den Kindern im Dorf immer was Neues gezeigt, wenn man sie danach gefragt hat", fügte Shawn hinzu, der sich jetzt schon das dritte Mal dabei ertappte, wie er zu seiner Seite zu Liz schielte und seinen Blick gerade rechtzeitig noch abwandte.
      Just in diesem Augenblick streifte Embers Blick ebenfalls Liz, die nicht zu ihr, sondern zu August sah. Kaum bemerkte sie den Blick der Detective, veränderte sich etwas in den scharfen Augen der Forscherin, und das war Ember mitnichten entgangen. Ein paar weitere Sekunden lang fixierte sie Liz, dann versuchte sie die Stimmen und alles auszublenden und sich auf das zu konzentrieren, was sie spürte. Oder eher versuchte, zu spüren. Denn was auch immer Liz da gerade versucht hatte, August mitzuteilen - Ember nahm es nicht wahr. Einzig den Fakt, dass dieses zwielichtige Gefühl gemildert schien, fiel auch ihr auf. Seltsam.. Das Haus hatte bisher stark unterschieden zwischen Magiern und Menschen. Es konnte nicht sein, dass dieser Zusammenschluss gutgeheißen würde. Das sprach gegen die Logik.
      "Was hat Liz entdeckt?", raunte Ember August zu und kaschierte ihren doch recht alarmierten Blick mit einem Schluck des Weines. Gott, sie musste sich noch immer schütteln als alte Erinnerungen sie trafen und Bilder aus einem kleinen Wohnzimmer und umgeworfenen Möbeln wachriefen.
    • Neu

      August sah kurz zu der Hand auf dem Oberschenkel der Detective und nahm diese fort, damit er mit dem Essen beginnen konnte.
      Er selbst mochte Paella nicht besonders, aber im Angesicht des Abends, der Feindschaft und Freundschaft, würde er seine Abneigung für einen Moment ignorieren.
      Sorgsam nahm er noch einen Schluck und sah über den Tisch, wo er Liz's Blick auffing. Einen Blick, der nicht hätte kälter und klinischer sein können. Eine Normalität bei ihr, bedachte man, dass sie kaum persönliche Gefühle für irgendjemanden hegte, aber dennoch erschien es ihm merkwürdig. Im Grunde war es ein Freudentag, wie er befand, als er die erste Gabel des Essens in seinem Mund versenkte.
      June wurde von Izabella mit einem Lächeln bedacht und einem Kopfschütteln.
      "zu viel der Komplimente", sagte sie akzentschwanger. "Aber ich bin keine gute Köchin. Ich kann vielleicht drei Gerichte kochen und diese auch nur mit Anleitung. Sie hätten meine Mama sehen sollen. Sie machte 1000 Gerichte und mehr. Gefühlt konnte man sie alles über das Essen fragen. War Ihnen also recht ähnlich, wenn man dem jungen Mann glauben darf."
      Sie nickte zu Shawn und pfiff durch die Lippen anerkennend.
      "Sie haben für Ihr Dorf die Lehrerin gegeben? Das finde ich großartig! Wie viele Kinder saßen an Ihrem Esstisch?!", kicherte die junge Zauberin und verschluckte sich beinahe am Wein.
      Liz sah zu Shawn und zuckte die Achseln.
      "Mein Pa hat für mich gekocht, als ich klein war", murmelte sie zwischen zwei Bissen. "Bis er starb. Ich mochte seine Spaghetti."
      James hingegen fachsimpelte noch immer über die Handlichkeit von Handfeuerwaffen bei einem Angelausflug, den er mit einem Kollegen erlebt hatte.
      "...und dann sag ich zu Forsyth: Nein, aber du kannst gerne versuchen, den Flusskrebs zu erschießen, du Affe!"
      Erst danach brach der Polizist in schallendes Gelächter aus und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, das die Gläser hüpften. "Verstehen SIe? Flusskrebse erschießen...Himmelarsch..."
      August schüttelte lächelnd den Kopf und wandte sich Ember zu, die einen merkwürdigen Eindruck machte. Es brauchte keine Magie, um einen kurzen Moment der Angst zu ermitteln. Nur weshalb hier?
      "ICh weiß es nicht", sagte er wahrheitsgemäß. "Das einzige, was ich bemerke ist, dass dieser Beobachtungseffekt ein wenig schwächer wird. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie scheint das Haus es...äh...gutzuheißen, dass wir hier sind und Zeit miteinander verbringen. Aber was ist mit dir? Stimmt etwas nicht?"

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