Before Doom gets us [JJK][Marien & Amalia]

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    • Kento Nanami


      Ich hatte nicht wirklich erwartet, dass sie mir ehrlich antworten würde, dennoch fand ich es etwas schade, dass sie mir ein Lächeln vorzuspielen versuchte. Eben dieses erreichte leider nicht ihre Samragdaugen, was mir umso deutlicher machte, dass die Kleine gerade wirklich nicht hier sein wollte. Ich verkniff es mir, sie erneut darauf anszusprechen, war ich mir doch sicher, dass ich so oder so keine ehrliche Antwort erhalten würde. Stattdessen sollte mein Fokus darauf liegen, zu verhindern, dass ihre Stimmung noch weiter unter ihrer Tante litt.
      Der Speisesaal hatte ähnlich viel Prunkt zu bieten, wie der Salon zuvor. Mittlerweile hatte ich aber gelernt, meinen Blick nicht mehr forschend von einem goldenen Schmuckstück zum nächsten gleiten zu lassen. Mal davon abgesehen waren die Interaktionen im Saal selbst viel einnehmender. So lernte ich zuerst den älteren der Watanabe-Söhne kennen, welcher allerdings wenig Interesse an mir zeigte, sondern sich eher über die fehlende Hashisawa beklagen wollte und dann... Ich konnte ehrlich gesagt nicht fassen, dass der Mann dieser strengen Geschäftsfrau - welcher laut meinen Informationen selbst Firmeninhaber war - solch ein vernarrter Trottel sein sollte. Wie ein verliebter Kolibri umflatterte er seine Frau, als wäre sie die schönste Blume auf einer riesigen Wiese und offerrierte ihr mit überschwänglichen gesten Blumen und Geschenke. Während ich das Schauspiel mit milder Verwunderung beobachtete, schien die Situation für den Rest im Raum Normalität zu sein und auch Frau Watanabe ließ sich vom Schmucketui und dem prächtigen Blumenstrauß nicht beeindrucken. Nein, sie nahm beides nicht einmal selbst entgegen, sondern wies ihren Mann mit strengen Worten zurrecht und ließ ein Dienstmädchen die Geschenke entgegennehmen. Ich würde nicht behaupten, eine andere Raktion von ihr erwartet zu haben und dennoch bemerkte ich überrascht, wie ich einen Funken Mitleid mit dem plötzlich recht bedröppelt dreinschauenden Ehemann hatte.
      Zumindest war sein Kummer nicht von Weile und ich begriff zunehmend, wie es Takumi und Yamamoto in diesem sonst so strengen Haushalt gewesen war, solch aufgeweckten Charakterzüge zu entwickeln. Shingen Watanabe schien der absolute Gegenpol seiner Frau zu sein, allerdings vermochte ich nicht zu sagen, ob ich mit ihm besser zurrechtkommen würde, als mit der Hausherrin. Eben diese hatte sich offenkundig dazu entschieden, dass aus meiner Anstellung kein langes Geheimnsis gemacht werden sollte.
      Ich hatte befürchtete, dass Yamamoto diese Information schlecht entgegen nehmen würde. Sie schien mich zwar aus irgeneinem Grund ganz... gern zu haben? Gleichzeitig bot mein Charakter nicht sonderlich viel Abwechslung und noch weniger Freude. Ich hatte allerdings auch nie den Anspruch gehabt, sonderlich witzig oder interessant zu wirken. Für die verrückte kleine Sorcerin sollte ich aber wohl die Langeweile in Person sein. Entsprechend verdutzt begegnete ich ihren hell funkelten Augen, als sie mit der Strahlkraft von zehn Sonnen zu mir aufsah. Beinahe als hätte ich mich vor ihren Augen in die Gottheit des Glücks und Reichtums verwandelt. "Ja, wirklich", antwortete ich etwas verzögert und schüttelte über die unerwartete Begeisterung der Blondhaargen den Kopf.
      Das folgende Essen verlief recht ruhig und zum Glück auch ohne einen weiteren düsteren Kommentar von Seiten der Hausdame, dennoch schien meine Sitznachbarin alleine unter der drückenden Atmosphäre im Raum zu leiden. Immer wieder stocherte sie unmotiviert in ihrem Abendbrot herum, während kaum eine der hochwertigen Zutaten den Weg in ihren Mund fand. Am Geschmack konnte es gewiss nicht liegen. Ob die Kleine bei solchen Familienessen immer ihren Appetit verlor? Dabei schien der Magen der jungen Frau sonst einem schwarzen Loch zu entsprechen, dass auch noch eine Vorliebe für Süßkram zu haben schien.
      Meine sorgenvollen Gedanken wurden mit dem Eintreffen von Watanabes Assistenen unterbrochen. Wahrscheinlich sollte ich nicht einmal überrascht darüber sein, dass man dieses Penthouse schon bezugsfertig gemacht hatte, dennoch nahm ich Schlüsselkarte mit einer kleinen Portion Unglauben entgegen. "Vielen Dank, dass Sie sich diese Mühen gemacht haben." Ich wollte nicht wissen, wie viele der Bediensteten dieser Frau heute hatten Überstunden leisten müssen, nur um diese lausige Wohnung in Schuss zu bringen. Und wieder merkte ich, dass diese Menschen in einer gänzlich anderen Welt lebten.
      Tatsächlich versuchte ich den Abschied so kurz wie möglich zu halten. Irgendwie glaubte ich, dass Yamamoto erst wieder richtig würde durchatmen können, sobald sie diese pompösen Wände hinter sich lassen könnte. "Es war mir ebenfalls ein Vergnügen und noch einmal vielen Dank für Ihre Gastfreundlichkeit", meinte ich in die gesamte Runde und verneigte mich - ohne eine Miene zu verziehen - ein letztes Mal flüchtig vor Frau Watanabe, bevor ich sanft meine Hand auf Yamamotos schmalen Rücken platzierte und zusammen mit ihr den Speisesaal verließ. Kaum fiel die Tür hinter uns ins Schloss, glaubte ich zu spüren, wie ein großer Teil der Anspannung, den Körper der jungen Frau verließ. Ich verzichtete darauf, diese Beobachtung anzusprechen, sondern folgte ihr nur schweigend zu ihren Räumlichkeiten, wartete im Flur darauf, dass sie alles Nötige zusammensammelte.
      "Sieht aus als hättest du deinen halben Haushalt eingepackt", stellte ich wenig später mit hochgezoegner Augenbraue fest und musterte die große Tasche in ihren Händen. "Gib mir das." Ich wartete auf keine Antwort, sondern schnappte mir einfach den Umhängegurt der Reisetasche, um sie mir in der nächsten Sekunde schon schwungvoll über die Schulter zu legen. Dem Gewicht nach zu urteilen, hatte ich mit meinem vorherigen Verdacht wohl nicht einmal so unrecht, aber mir sollte es recht sein, solange ich den ganzen Kram nicht wegräumen musste.
      Erneut legten sich meine Finger sanft auf den Rücken meiner jungen Begleiterin und gaben ihr zu bedeuten, dass auch ich keine Lust mehr hatte, länger in diesem Prunktschloss zu verweilen. Wie von Frau Watanabe angekündigt wartete vor der Tür bereits der Chauffeur bedeutete uns in die Limousine zu steigen. Kaum eine Minute später rollte der pompöse Wagen auch schon durch das nächtliche Tokyo. Auch dieses Mal hielt ich mich in Schweigen gehüllt und ließ stattdessen immer wieder kurz kontrollierend meinen Blick zur hübschen Blondine neben mir schweifen. Es war schon erstaunlich. Innerhalb weniger Wochen hatte ich bereits so viele verschiedene Facetten ihres Charakters entdecken dürfen. Das aufgeweckte Kind, dass sie bei jeder Gelegenheit durch den Raum tanzen ließ und offenkundig dazu dienen sollte, ihren Mitmenschen ein Lächeln auf die Lippen zu zeichnen. Die ehrgeizige Sorcerin, die sich trotz ihrer strengend Tante nicht verbieten lassen wollte, den Kampf gegen düsterte Fluchgeister anzutreten, egal wie viel Angst sie dabei auch verspüren mochte. Das vom Liebeskummer geplagte Model, dass vor lauter Arbeit manchmal ihr eigenes Leben zu vergessen schien und sich bereitwillig in die tröstenden Arme ihrer besten Freundin flüchten konnte. Die lebensfroher Abenteurerin, die mich am liebsten wohl um den halben Globus ziehen würde, um mir all diese Wunder dieser Welt präsentieren zu können. Und heute hatte sich diese sonst so selbstbewusste Kämpferin in ein schüchternes kleines Kind verwandelt, dass sich unendlich vor den strengen Worten ihrer Ziehmutter zu fürchten schien, obwohl sie diese Familie über alles zu lieben schien.
      Bevor ich es selbst vollkommen realisieren konnte, lag meine Hand schon auf Yamamotos weichen Haarschopf. "Du hast dich tampfer geschlagen." Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, löste ich meine Hand auch schon wieder und ließ meinen Blick erneut aus dem Wagenfenster schweifen. Die Akademie war nur noch wenige hundert Meter entfernt, das bedeutete: "Entschuldigen Sie?" Ich klopfte gegen die Scheibe zwischen Rücksitzen und Fahrer und wartete darauf, dass sich das verdunkelte Glas nach unten senkte. "William war Ihr Name richtig? Würden Sie bitte die nächste rechts abbiegen und uns dort an der Straßenseite rauslassen. Yamamoto-sans Sachen können sie im Anschluss schon zur Akademie bringen, wir werden später nachkommen."
      Auch wenn sich der Fahrer nicht ganz zu mir umdrehte, konnte ich erkennen, wie er verwundert die Stirn runzelte, dennoch nickte er wenige Sekunden später. "Verstanden, Sir."
      Ich nickte dankend und ließ mich zurück auf meinen Sitz sinken, während die Scheibe vor mir wieder nach oben glitt. Als der Wagen dann an verlangter Stelle halt machte, nötigte ich meine verwunderte Begleiterin mit Handzeichen dazu, das Auto zu verlassen und verabschiedete mich noch einmal vom Chauffeur.
      "Du hast heute abend noch nichts gegessen." Als wären diese Worte Erklärung genug, griff ich den Blondschopf beim Handgelenk und zog sie wenige Meter den Fußweg hinunter. Es ist immer noch da, zum Glück. "Ich hoffe du magst Ramen."
      Das kleine Unzari war ein unscheinbares Ramen-Restaurant, in welches mich mein damaliger Schulkamard Haibara Yu das erste mal eingeladen hatte. Auch danach hatten wir fast jede Woche hier gegessen, bis... Bis es mir plötzlich lange Zeit unmöglich wurde, den von Nostalgie geprägten Geruch der herzhaften Suppenbrühe zu ertragen. "Es hat sich kaum verändert", sprach ich mit leicht belegter Stimme und stieß nach kurzem Zögern die helle Tür aus Milchglas auf. Mit dem markanten Geruch furchfluteten mich auch dutzende Erinnerungen, Erinnerungen die ich viele Jahre versucht hatte zu ignorieren. Doch so eine Nahtoderfahrung konnte manchmal wahre Wunder wirken... Ich war Patchwork-Gesicht sicherlich nicht dankbar dafür, dass er meinen Oberkörper in seine Einzelteile zerlegt hatte, aber zumindest hatte er mich daran erinnert, dass Haibaras Tod mich nicht daran hindern sollte, mich auch an die schönen Zeiten zurück zu entsinnen. Und dieser Ort war mit all diesen schönen Zeiten gefüllt worden. Wahrscheinlich musste ich dem Schicksalsgott dafür danken, dass er diesen Ort selbst nach 50 Jahren noch hatte bestehen lassen.
      Für enige Sekunden verharrte ich einfach starr im Eingang und ließ meinen Blick über die sporadische Inneneinrichtung des gut besuchten Restaurants schweifen. Es stand im krassen Gegensatz zum prunkvollen Speisesaal der Watanabes und dennoch wirkte er deutlich weniger enschüchternd und einengend. "Ich bin mir sicher, dass du großen Hunger haben musst", behauptete ich Überzeugt und umfasste das Handgelenk der jungen Frau etwas fester. Im Moment war ich mir nicht sicher, ob ich ihr damit helfen wollte oder einfach etwas brauchte, an dem ich mich festhalten konnte.
      Ich wählte einen freien Zweiertisch am Ende des schmalen Restaurants aus und bedeutete Yamamoto sich einer der bereitgelegten Speisekarten zur Hand zu nehmen. "Such dir etwas aus." Zum Glück hatte mir Hashisawa ein kleines Taschengeld mit auf den Weg gegeben, weswegen ich sogar in der dankbaren Position steckte, der jungen Sorcerin ein Essen auszugeben. "Sollten sie seit meinem letzten Besuch hier nichts an den Rezepten geändert haben, kann ich für den Geschmack garantieren."



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      Kimatsu Hashisawa


      "Hanas Tante hat die beiden zum Abendessen eingeladen", klärte ich Gojo auf und ließ die Info, dass ich ursprünglich auch auf der Gästeliste stand außen vor. Sollte ich zugeben müssen, nur abgelehnt zu haben, da ich um seine Kochkünste bangte, müsste ich mir wohl ein ätzendes Konzert seines Wehklagens anhören müssen. Außerdem wollte ich nicht zugeben müssen, ihn unterschätzt zu haben. Vorher ließ ich mich freiwillig mit hunderten Fluchgeist in einen Käfig einsperren.
      Dass ein Gojo Satoru, der sich sonst zu kaum einem Kompliment hinreisen ließ, das nicht gerade sich selbst betraf, bezeichnete mein Curry als "ganz passable". Eine bessere Bewertung hätte ich mir wohl nicht in meinen künsten Träumen erhoffen können, auch wenn sein unverschämtes Grinsen mich beinahe an der Wahrheit seiner Worte zweifeln ließ. "Freut mich", meinte ich dennoch flüchtig. Zumindest schien er tatsächlich satt geworden zu sein, dann müsste ich wirklich nur für mich Abendbrot machen.
      "Wow! Welch ein tolles Hobby~", stieß ich so monoton aus, wie es mir nur möglich war. "Ich weiß gar nicht, wie ich dir je für diesen tollen Tipp danken soll..." Warum hatte ich ihn noch gleich gefragt? Ah ja, weil ich offenbar immernoch naiv daran glaubte, mit einem erwachsenen Mann zu reden, dessen Leben sich nicht darum drehte seinen Mitmenschen in einer Tour Streiche zu spielen. Ich müsste mir wohl oder Übel selbst etwas einfallen lassen... wobei? Vielleicht könnte mir auch Ieiri auf die Sprünge helfen, schließlich war Nanami auch ihr Kohai. Mit diesen rosigen Aussichten im Gepäck setzte ich mich auf das Sofa und führte langsam meine Esstäbchen mit Reis und Ei zum Mund. Leider hatte ich die Hitze des frisch gekochten Gerichts unterstätzt und musste mehrere Male hastig ein- und ausatmen bevor ich den Bissen endlich hinunterschlucken konnte. Bevor ich mich aber dem nächsten widmen konnte, hielt mir der Weißhaarige plötzlich sein Handy entgegen. "Was meinst du." Ich stellte Schüssel und Stäbchen auf dem Couchtisch ab und griff nach dem Mobiltelefon. "Verdammt... du hast recht." Es war unmöglich die genaue Gestalt des Fluchgeistes auszumachen, aber dieser seltsam verformte Schwanz gehörte zu keinem mir bekannten Tier. "Warum sollte ein Fluchgeist versuchen, einen Sorcerer auf solch eine Weise anzugreifen...?" Während ich meine eigenen Gedanken laut aussprach, lieferte mir Gojo auch schon die Antwort, die ich mir nicht traute auszusprechen. Dieser Biester hatten es also wirklich spezifisch auf die junge Frau abgesehen... Aber warum? Gojo hatte Recht. Hana mochte alles andere als schwach sein und vor allem ihre ausgereifte Fluchtechnik sollte auf keinen Fall unterschätzt werden, aber es gab sicherlich Sorcerer die eine deutlich größere Gefahrenquelle für Fluchgeister darboten. Außerdem kam es extrem selten vor, dass sich mehrere und verschiedene Fluchgeister auf ein und das selbe Ziel fixierten. Und dann teilten sie auch noch ihre Kraft untereinander...? Irgendwas stimmte da nicht.
      Auch mein Gegenüber schien verschiedene Szenerien durchgehen zu wollen, wobei mich seine letzte Vermutung innehalten ließ. Was wenn er Recht hatte? Vielleicht war Hana nicht die Ursache für diese Angriffe... vielleicht war ich es. Für einen Moment wurde es mir unmöglich vernünftig einzuatmen, während sich meine Brust schmerzhaft zusammenschnürte. Was wenn ich an all dem Schuld wäre? Hana war mehrmals fast gestorben! Was, wenn sie nur Ziel der Attacken geworden war, weil ich es vermasselt hatte?!
      Bedächtig legte ich das Handy auf den Tisch und schob es zurück zu seinem Eigentümer, bemühte mich währenddessen dazu ruhig weiter zu atmen. Jetzt war nicht der Moment, um die Beherrschung zu verlieren. Sollte ich wirklich Schuld an all diesem Chaos sein, hieß das nur umso mehr, dass ich edlich Verantwortung übernehmen sollte... Ich musste den Fadenzieher hinter all diesen Angriffen finden.
      "Du magst recht haben...", meinte ich irgendwann ruhig und sammelte meine Reisschale vom Tisch auf. Als ich dieses Mal die befüllten Essstäbchen Richtung Mund hob, pustete ich mehrfach über den dampfenden Reis, bevor ich ihn mir zwischen die Lippen schob. "Wir sollten ein genaues Auge auf all diese Vorfälle legen." Und sollte ich tatsächlich die Ursache sein, werde ich mich vorerst von Hana fernhalten müssen.
      Gojos Vorschlag, die Missionsakten zu studieren, folgend erhob ich mich samt Reisschale vom Sofa und gab der Augenmaske zu verstehen, dass er mir folgen sollte. "Vielleicht findest du es ja beruhigend, dass alle Missionsakten digital angelegt werden und damit deutlich einfacher zu katalogisieren sind." Die Klinke meines Arbeitszimmers drückte ich mit dem Ellenbogen auf und schob mich in den finsteren kleinen Raum. Auch der Lichschalter machte mit dem Ellenbogen bekanntschaft. Jetzt erst ließen sich die dutzenden Regale mit Büchern und alten Akten an den Wänden erkennen. Gegenüber von der Tür, direkt unter dem einzigen Fenster des Zimmers, befanden sich Schreibtisch samt Rechner, welchen ich promt startete, nachdem ich mein mittlerweile zur Hälfte vertilgtes Abendesse auf den Tisch abgestellt hatte. "Das erste Mal das Hana selstam viele Probleme bei einer Mission bekommen hat, war vor etwas mehr als einem Monat gewesen", berichtete ich, während der Rechner hochfuhr und ich aus einem Schreibtischschub mein Notbook hervorzog und dieses dem Weißhaarigen reichte. "Damals habe ich mir noch keinen großen Kopf gemacht, da es auch vorher schon immer mal wieder vorgekommen ist, dass der Grade eines Fluchgeistes falsch eingeschätzt worden war. Aber kaum zwei Wochen später ist es schon wieder passiert." Nachdem ich mein Passwort eingegeben hatte, rief ich die Missionsakten der vergangenen zwei Monate auf. "Alle anderen Vorfälle danach sollten dir schon bekannt sein." Ich ließ mich in meinen Bürostuhl sinken und bedeutete meinem Kollegen hinter mir mit einem Nicken, dass er sich gerne auf dem Sitzsack in der Zimmerecke niederlassen konnte. "Ansonsten kannst du dir auch gerne einen Stuhl aus der Küche organisieren", fügte ich außerdem an und gönnte mir einen weiteren Bissen meines mittlerweile schon gut abgekühlten Abendmales. "Fest steht: Egal was die Ursache für all das auch ist, es muss über einen Monat zurückliegen... warte."
      Einem plötzlichen Gedankenblitz suchte ich nach einer speziellen Fallakte. "Endless Dreamer.", murmelte ich und begann damit, aus der Akte vorzulesen. "'Der erste Fall ereignete sich am 18. August in einem kleinen Einfamilienhaus am Rande Tokyos. Der dreizehnjährige Sohn der Familie Tasako wachte plötzlich nicht mehr auf, murmelte aber immer wieder in seinem Schlaf. Seine Eltern sind sich sicher, dass er aus einem ewigen Albtraum einfach nicht mehr aufwachen kann. Die Ärzte haben ihn irgendwann in ein künstliches Koma versetzen müssen, da der Junge nicht wachzukriegen war.' Danach ist es zu immer mehr solchen Fällen gekommen." Ich öffnete die nächste Unterakte. "Kuroko Tina, fünfzehn Jahre alt, schreit in ihrem Schlaf, lässt sich aber nicht mehr wecken. Sarana Tomo, neun, weint und wimmert, ohne auch nur einmal die Augen zu öffnen." Ich klickte mich von einem Eintrag zum nächsten. "Und es betrifft nicht nur die Kinder, hier: 'Nun scheinen wir auch unseren ersten Erwachsenen in die Liste aufnehmen zu müssen'", las ich einen weiteren Eintrag vor. "'Der Staatsanwalt Usui Shishio wurde am 20. September schreiend in seiner Wohnung vorgefunden. Er schrie wohl um sein Leben und das man ihn verschonen solle.' All diese Fälle sammeln sich seit den letzten paar Monaten. Zunächst wurden die Sorcerer noch nicht eingeschaltet, erst als immer mehr Opfer in den Krankenhäusern landeten. Es scheint überwiegend Kinder zu betreffen, aber in letzter Zeit tauchen auch immer mehr erwachsene Opfer auf." Ich öffnete wieder die erste Fallakte. "Nachdem wir das Schema erkannt hatten, wurde ich geschickt, um mir den Jungen der Tasakos anzuschauen, da wir vermuteten, dass er das erste Opfer war. Das ist vor nicht ganz zwei Monaten gewesen." Ich drehte mich im Stuhl zu Gojo um und versuchte seine verhüllten Augen hinter der Maske zu fixieren. "Tatsächlich habe ich an dem Kind Spuren von Fluchkraft entdecken können und er ist offenkundig in einem nicht enden wollenden Albtraum gefangen... Aber ich habe keinen Hinweis zum Ursprung des ganzen finden können." Ein Seufzen spaltete meine Lippen, während ich mich erneut durch die einzelnen Akten klickte. "Aber die Fälle häuften sich immer mehr und die Opfer wurden älter, als würde der Fluchgeist immer stärker werden." Nun war mein Abendessen vollkommen kalt geworden, dennoch ließ ich es mir nicht nehmen, die Reste gierig in mich hinein zuschieben. "Denkst du, da könnte es einen Zusammenhang geben? Bei ein paar Besuchen der Opfer hat mich tatsächlich auch Hana begleitet... vielleicht habe ich sie damit in die Abschusslinie geschoben..." Frustriert blickte ich auf die letzten Reiskrümel in der Schüssel nieder. Natürlich hätte ich nicht wissen können, dass Hana wegen all dem in Gefahr geraten war und dennoch konnte ich das schelchte Gewissen nicht aus meinen Gedanken schieben.


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    • Hana Yamamoto

      Ich bedankte mich noch dafür, als mir Nanami meine -zugegeben schwere- Reisetasche abnahm und für mich bis zum Auto trug. Dort angekommen, nahm wir auf dem weichen Leder Platz und ließen uns von William in Richtung Akademie fahren. Doch mit dem was dann kam, hatte ich nicht gerechnet: Nanami legte sanft seine Hand auf meinen Schopf und lobte mich. Ihm war es scheinbar auch nicht entgangen, dass ich mich vor meiner Tante fürchtete. Und obwohl der Blondhaarige nur wenig sagte, reichten diese Paar Worte aus, um eine Welle der Gefühle in mir hervorzubringen. Eine Welle, die mich fast übermannte und mich beinahe die Tränen in die Augen schießen ließ. Glücklicherweise konnte ich sie noch einigermaßen unterdrücken und konnte sie auf glasige Augen reduzieren. "Danke", brachte ich gerade noch so hervor. Wann hatte sich das letzte Mal ein Trost so gut angefühlt, wie jetzt gerade? Nicht viele Menschen trafen ins Schwarze, wenn es um meine Gefühlswelt ging. Eigentlich hatte es bis hierhin nur Kimatsu geschafft, jedes mal genau zu wissen, was ich fühlte oder dachte. Natürlich hatte ich einen aufgedrehten und albernen Charakter, der viele Menschen denken ließ, ich wäre für jeden ein offenes Buch, doch das war nur eine Seite an mir und nur die wenigsten schafften es, hinter diese Fassade zu blicken. Um ehrlich zu sein, war es mir so auch ganz lieb. Ich hatte lange an mir gearbeitet, um mir diese Heiterkeit zu bewahren. Sie erinnerte mich an meine Eltern und wenn ich genau diese Seite an mir verlor, verlor ich auch den letzten Rest zu ihnen. Auch wenn es mich manchmal schrecklich einsam machte, war es mir das wert.
      "Huh? was hast du vor?", fragte ich Nanami verdutzt, als er sein Gespräch mit William beendet hatte. Doch statt mir direkt zu antworten, hielten wir bald darauf an und der Blondhaarige und ich stiegen aus. Er meinte, dass ich heute Abend noch nichts gegessen hätte und zog mich kurz darauf hinter sich her. Überrascht von seiner Aufmerksamkeit, starrte ich kurze Zeit auf seinen Hinterkopf, ehe sich meine Lippen zu einem warmen Lächeln formten und ich ihm ohne Widerstand folgte.
      'Mama, Papa, ich bin einem weiteren liebenswerten Menschen begegnet'
      Wenig später kamen wir in dem kleinen Lokal an, von dem Nanami gesprochen hatte. "Und wie!", grinste ich auf seine Frage hin, ob ich Ramen mögen würde. Wir betraten den Laden und mein Begleiter schien in eine leichte Melancholie zu verfallen, als er feststellte, dass sich hier kaum etwas verändert hatte. Erneut legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Er schien besondere Erinnerungen an diesen Ort zu teilen, darum wollte ich ihm alle Zeit gewähren, die er benötigte um sich mit dem Umstand, nach 50 Jahren wieder hier zu sein, anfreunden zu können. "Erkennst du noch Leute vom Personal?", fragte ich ihn irgendwann vorsichtig, während uns unsere Plätze zugewiesen wurden.

      Nachdem ich meine leere Schüssel auf dem Tisch abgestellt hatte, seufzte ich zufrieden. Das tat gut. Immerhin hatte ich seit unserem Frühstück heute morgen nichts mehr zu mir genommen. Nanami bezahlte unser Essen und wir verließen das Lokal wieder. "Danke fürs Essen und danke für heute", lächelte ich. "Lass uns noch ein Stückchen spazieren gehen. Die Herbstluft ist gerade so angenehm kühl", meinte ich und schlenderte auch schon los.
      "Wie kamt ihr eigentlich darauf, dass du mein Assistenz werden sollst?", fragte ich irgendwann und sah dabei zu dem Blondhaarigen hinauf.
      Wir redeten noch eine ganze Weile miteinander und hatten uns immer mehr von der Akademie entfernt, als ich plötzlich einen Regentropfen auf meiner Nase spürte. "Huh?" Erst war es einer, doch in nur wenigen Sekunden hatte sich der kleine Tropfen zu einem riesigen Schauer geformt. Wo kam das denn plötzlich her?!
      "Nanamin, du hast doch deine Schlüsselkarte dabei oder? Lass uns doch schon zu dem Penthouse laufen, das ist von hier aus deutlich schneller zu erreichen, als die Akademie", meinte ich und griff im nächsten Moment auch schon nach seinem Handgelenk, ehe ihn hinter mir herzog. Tatsächlich dauerte es nur zehn Minuten zum besagten Penthouse, allerdings hatten diese zehn Minuten ausgereicht, um uns vollkommen zu durchnässen.
      Etwas außer Atem betrat ich gemeinsam mit Nanami das Gebäude, welches er zukünftig beziehen könnte. Wir wurden direkt mit einer angenehmen Wärme empfangen, die jegliche Kälte aus unseren Körper verbannen wollte. Durch den Schauer hatte es draußen ordentlich an Temperatur verloren, dabei war es vorhin schon etwas kühl gewesen.
      "Wo ist deine Schlüsselkarte?", fragte ich ihn, als wir im Fahrstuhl standen und ich die '30' für das 30. und somit letzte Stockwerk drückte. Oben angekommen öffnete sie die Fahrstuhltür und wir traten in einen kleinen Vorraum, mit einer riesigen Tür, die sich nur durch die Karte öffnen ließ. "Hier ist der Scanner, du bist die Karte davor halten, dann öffnet sich die Tür", erklärte ich ihm. Nur wenig später standen wir in der riesigen Penthouse Wohnung und ich trat beiseite, damit Nanami den ersten Eindruck verarbeiten konnte. Ich zog meine Schuhe aus und schlüpfte in die Hausschuhe an der Garderobe. "Komm, ich zeig dir das Ankleidezimmer und das Bad. Dann können wir uns frisch machen", lächelte ich ihm entgegen und führte ihn durch das riesige Wohnzimmer, zu seinem Masterbad. "Das hier ist das Hauptbad. Du kannst hier duschen gehen, ich nehme das beim Gästezimmer. Und da drüben ist das Ankleidezimmer, komm mit." Als wir das Zimmer betraten fiel mir auf, dass William meine Sachen zur Akademie gebracht hatte und ich nun ohne Wechselwäsche dastand. "Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich mir einen Hoodie klaue, oder? William hat meine Sachen schon rüber gefahren und ich würde mich echt schlecht fühlen, wenn ich ihn extra dafür von seinem verdienten Feierabend abhalten würde", erklärte ich dem Blondhaarigen mit einem schiefen Lächeln. Gott sei dank schien er nichts dagegen zu haben und ich zog einfach einen schwarzfarbigen Pulli hervor. "Dann bis später. Ich schreib noch schnell Matsu-chan, dass wir heut Abend nicht mehr kommen werden. Nicht, dass sie sich noch Sorgen macht." Mit diesen Worten verabschiedete ich mich von Nanami und ging zum Gästebad, wo ich erst Kimatsu schrieb und mich anschließend unter die Dusche stellte. "Was für ein Tag", murmelte ich, nachdem ich das heiße Wasser in empfang nahm.

      Nachdem ich fertig war, schmiss ich mich in meine Unterwäsche und den schwarzen Kapuzenhoodie den ich mir von Nanami ausgeliehen hatte. Ich rubbelte mir noch die Haare trocken und entfernte die letzten Make-up Reste, ehe ich mich aus dem Bad begab und nach Nanami suchte. "Nanami?", rief ich durch die Wohnung.
      "Ah... hier bist du." Er stand vor der großen Glasfront und blickte dabei auf die regnerische Stadt hinab. Das Licht war nicht angeschaltet und nur die Straßenlaternen und etlichen LED-Schilder Tokios, spendeten uns ihre Lichtquelle. Etwas verlegen stand ich in dem Türrahmen und tippelte ein wenig mit meinen nackten Füßen auf dem Boden. Da ich mein Glätteisen nicht dabei hatte, trockneten meine Haaren zu kleinen Löckchen heran und auch dieser oversized Pullover war ganz anders als meine Garderobe. Zu allem Überfluss kam da noch mein ungeschminktes Gesicht, dessen Wangen von der Hitze der Dusche noch ein wenig gerötet waren. Ich zeigte mich nur sehr selten anderen in einer solchen Aufmachung, weshalb es mir ein wenig peinlich war, nun so vor dem Blondhaarigen zu stehen. "Uhm... ich glaube das heiße Wasser tat der Wunde an meinem Oberschenkel nicht gut... er ist seit gerade eben deutlich röter als vorher", bemerkte ich deutlich verlegen.

      Nanamis Penthouse

      Master Bedroom


      Ankleidezimmer


      Master Bathroom


      Büro


      Wohnzimmer


      Küche


      Gästezimmer


      Gäste Badezimmer



      Satoru Gojo

      Ich beobachtete die junge Frau vor meinen Augen eindringlich. Kimatsu war jemand die sonst perfekt ihre Emotionen hinter einer ruhigen Fassade verbergen konnte, nur diesmal wollte es ihr nicht so recht gelingen und ich glaubte auch schon zu wissen warum. Scheinbar ging die Verbindung der beiden Frauen tiefer, als anfangs angenommen. Allerdings schien mir Kimatsu auch so, offene Sorge für ihre Schüler empfinden zu kennen. Doch wenn es um den Golden Retriever ging, schien diese Sorge schneller und intensiver auszufallen, als bei ihren restlichen Schülern. Lag dies vielleicht daran, dass Hana-chan überdurchschnittlich viel Unfug anstellte und man sie in einer Tour überwachen musste oder war es viel mehr die Umstand, dass die beiden deutlich mehr als ihr Lehrer-Schüler-Verhältnis miteinander teilten und zu guten Freundinnen geworden waren. Nun, im Grunde war es egal. Ich wusste nur, dass die junge Frau vor mir nichts ungeschehen lassen würde, um ihren Schützling in Sicherheit zu wissen.
      "Solange Nanami bei ihr ist, dürfte sie zumindest in Sicherheit sein", meinte ich schließlich und hoffte so insgeheim, die junge Frau ein wenig beruhigen zu können. Ich ärgerte sie an sich zwar sehr gerne, aber ich wollte es auch nicht übertreiben, schon gar nicht in einer solchen Situation. Sogar ich wusste, dass dies der falsche Zeitpunkt war, um dumme Kommentare abzugeben.
      "Was auch immer der Grund sein mag: Dich trifft keine Schuld", versuchte ich der Weißhaarigen klar zu machen. Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände und ich glaubte auch nicht daran, dass meine Worte sie in irgendeiner Art und Weise erreichen würden. Sie hatte sich bereits dazu entschieden, die Schuld auf sich zu nehmen, sollte sie auf einer ihrer Missionen einen Fluchgeist verärgert haben. "Schuldig sind nur jene, die Verbrechen begehen. Mach dich also nicht dafür verantwortlich, sollte der Kleinen etwas passieren. Nicht, dass Nanami das zulassen würde, aber ich glaube du weißt was ich meine."
      Die junge Frau schnappte sich ihr Essen und erhob sich von ihrem Stuhl, ehe sie mir das Zeichen gab ihr zu folgen. Ausnahmsweise tat ich mal, was mir aufgetragen wurde und folgte ihr, in ihr Büro.
      Gott sei Dank hatten wir die moderne Technik auf unserer Seite und ich müsste nicht etliche Akten durchforsten, um auch nur den kleinsten Hinweis zu finden. Damit würden wir uns wertvolle Zeit sparen. Vorausgesetzt die Antwort würde sich in diesen Missionsberichten finden. Ich hoffte zwar darauf, aber sicher war ich mir dabei nicht. Meine Erklärung klang plausible, aber ich hatte nun schon oft genug am eigenen Leib erfahren müssen, dass Fluchgeister nicht wie Menschen dachten und häufig ganz andere Motive und Beweggründe hatten, als wir Menschen.
      Ich machte es mir in dem Sitzsack bequem und nahm das Notebook entgegen, welches mir Kimatsu reichte. "Es war schon mehrfach vorgefallen, dass Hana-chan gegen stärkere Fluchgeister kämpfen musste?", fragte ich die junge Frau. An sich war es nicht so unglaublich ungewöhnlich, jedoch ließ mich die Menge der Vorfälle etwas stutzen. Spätestens nach dem zweiten Mal in so kurzer Zeit, hätte ich die junge Frau kein drittes mal entsandt. Sie konnte von Glück reden, dass Nanami und ich damals zu rechten Zeit am rechten Ort waren, ansonsten hätte es sie dahin gerafft. Was hatte sich Shoko dabei nur gedacht, die Kleine loszuschicken? Waren sie derart unterbesetzt, dass es abgesehen außer Hana-chan niemanden mehr gab oder war der Krötenartige Fluchgeist deutlich schwächer eingeschätzt worden, so dass man die junge Sorcerin problemlos auf ihn loslassen konnte?
      "Sag mal: Hat Hana-chan auch Sorcerer in ihrer Familie? Eltern oder Geschwister? Tante oder Onkel?", wollte ich irgendwann von der jungen Frau wissen. "Wenn ja, dann sollten wir auch ganz dringend ihre Akten durchgehen. Und auch die, verstorbener Bezugspersonen, die auf eine unnatürliche Art und Weise gestorben sind. Es kann gut sein, dass man sie schon viel länger im Visier hat und es uns aber erst jetzt auffällt", meinte ich, während ich mich weiter durch die Akten las. Gott sei Dank hatte Hana-chan verglichen zu vielen anderen ihrem Alter noch nicht ganz so viele Missionen abgeschlossen, was wohl vor allem ihrer Halbzeitstelle zu verdanken war. Das hieß für uns weniger Arbeit.
      Kimatsu ließ eine Akte vor und stellte mir die verschiedenen Opfer vor. "Hmm... Das könnte passen. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann habt ihr diesen Fluchgeist noch nicht ausgetrieben oder?", fragte ich Kimatsu. Dann überlegte ich kurz. "Ein Fluchgeist der Albträume hervorruft?" Ich überlegte erneut. "Ich glaube du kannst dich von deinem Schuldgefühl befreien." Ich grinste der jungen Frau entgegen. "Hana-chan ist eine Sorcerin deren Fluchtechnik auf Licht basiert. Ich glaube ihre Fähigkeiten sind gefährlich für den Fluchgeist, der sich wahrscheinlich an der Finsternis labt", erklärte ich. "Wir sollten eines der Opfer gemeinsam mit Hana-chan besuchen gehen und schauen, ob ihre Fähigkeiten den Fluch irgendwie brechen können. Wenn sie es wirklich schaffen sollte, hätten wir somit unsere Antwort auf die ganzen Attentate und können sie besser beschützen und es würde auch nur noch eine Frage der Zeit sein, bis wir uns diesen Albtraum-Fluchgeist schnappen und austreiben können", sprach ich meine Gedanken aus. Kompliziert wird es nur dann, wenn Hana-chans Fähigkeiten keinerlei Wirkung auf die Flüche des Fluchgeistes haben. Dann müssten wir tatsächlich wieder ganz von vorne anfangen und uns einen neuen Anhaltspunkt suchen, allerdings wollte ich nicht jetzt schon den Teufel an die Wand malen. Nicht, wenn Kimatsu endlich ein wenig Hoffnung hatte und sich nicht die Last aufbürdete, die schuldige an diesen ganzen Vorfällen zu sein.

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    • Kento Nanami

      Es war schon ganz lustig mit anzusehen, wie schnell und intensiv sich die Laune der jungen Frau wandeln konnte. Einen Moment lang spiegelte ich ihr breites Grinsen sogar mit einem feinen Lächeln und bedeutete ihr mit einem Fingerzeig sich nach Herzenslust am Menü des Restaurants zu bedienen. Ihre Frage jedoch musste ich mit einem Kopfschütteln beantworten. "Nein, selbst der Koch scheint jemand Neues zu sein. Vielleicht der Sohn des alten Chefs." Kurz wanderten meine Augen zur offenen Küche, wo ein schwarzer Haarschopf eifrig von einem Kochkessel zum nächsten Wechselte. "Aber es sind auch schon fast 60 Jahre vergangen, seitdem ich das letzte Mal hie gewesen war und schon damals war das Lokal schon recht alt gewesen." Ich glaubte mich daran zu erinnern, dass Haibara mir berichtet hatte, dass das Restaurant schon mehrere Generationen überlebt hatte, ohne je etwas an seinem Erfolgsrezept zu verändern. Auch in den vergangenen Jahren schien sich daran nichts geändert zu haben, wenn ich mir so die Menge an Menschen an den Tischen besah.
      Ein paar Minuten später durfte ich Yamamoto auch schon zufrieden dabei beobachten, wie sie sich die Ramen genüsslich in den Magen lud, was ihre Laune direkt noch etwas mehr zu heben schien. Entsprechend ließ ich es mir nicht nehmen, etwas Trinkgeld dazulassen, bevor wir beiden das kleine Lokal bereits wieder hinter uns ließen.
      Da gegen den kurzen Spaziergang nichts einzuwenden war, wanderte ich einfach ruhig neben der jungen Frau her, bis sie endlich die Frage stellte, auf die ich bereits eine Weile wartete. "Deine Tante meinte, dass du im Moment wohl keine Assistenz and deiner Seite hast und nachdem ich ihr etwas mehr von meinem alten Job als Büroangestellter berichtet habe, schien sie mich wohl als recht geeignet zu sehen. Und ganz nebenbei könnte ich auch noch als dein Bodyguard fungieren." Ich verzichtete darauf, ihr darüber hinaus von den Fluchgeistern zu berichten, die es auf sie abgesehen zu haben schienen. Aus irgendeinem Grund glaubte ich, dass die Kleine sich in diesem Fall nur unnötige Sorgen machen würde und im schlimmsten Fall würde sie sich wohl noch Vorwürfe machen. Außerdem war mir immer noch nicht klar, was es mit diesen seltsamen Angriffen auf den Blondschopf auf sich hatte, allerdings glaubte ich, dass Hashisawa im Moment genau diesem Problem etwas genauer auf den Zahn fühlen würde.
      Unsere weiteren Gespräche drehten sich um ihre Arbeit im Unternehmen und die ein oder andere Geschichte aus meiner zeit als Sorcerer. Tatsächlich achtete ich irgendwann kaum noch auf den Weg, dem wir folgten, musterte nur hin und wieder die grünen Smaragde in ihren Augen, sobald sie im milchigen Licht der Straßenlaternen aufleuchteten. Es war seltsam und angenehm zugleich solch ein langes und doch irgendwie belangloses Gespräch mit ihr zu führen. Wir hatten kein festes Thema, kein Ziel, dass wir mit unseren Worten verfolgten. Wir redeten einfach... Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal einfach nur mit jemanden geredet?
      Bevor ich mir diese Frage beantworten konnte, wurde sie mir im strömenden Regen aus dem Kopf gewaschen. Erst jetzt realisierte ich auch, wie weit wir uns von der Jujutsu High entfernt hatten und verkniff mir ein entnervtes Seufzen. Yamamoto hingegen hatte bereits eine gute Idee parat. "Klingt nach einem Plan", meinte ich nickend und kramte die erwähnte Schlüsselkarte aus meiner Jeanstasche, nur um in der nächsten Sekunde schon am Handgelenk gepackt zu werden. Protestlos ließ ich mich von der jungen Frau durch die patschnassen Straßen ziehen, immerhin schien sie genau zu wissen, wo es lang ging. Sie hatte recht, das Penthouse lag um einiges Näher als die Schule und dennoch hatten wir zu viel Zeit im strömenden Regen verbracht, weswegen mittlerweile kein einziges trockenes Kleidungsstück noch an meinem Köper lag. Ähnlich sah es auch bei Yamamoto aus, weswegen ich es mir tunlichst verkniff die Augen ihren Hals abwärts wandern zu lassen. Stattdessen folgte ich ihren Anweisungen und öffnete nach der Fahr mit dem Aufzug, welche sich wie eine halbe Ewigkeit angefühlt hatte, zügig die Tür zu meinem neuen "Zuhause".
      Natürlich hatte ich bereits erwartet, dass mir Frau Watanabe keine kleine Abstellkammer zur Verfügung stellen würde, aber das hier... war einfach zu viel. Das war keine Wohnung für eine einzelne Person, hier würden Problemlos zwei Familien samt Kindern Platz finden. Zumindest die Einrichtung erschlug einen nicht so sehr wie der pompöse Prunk aus der Villa, was schon deutlich mehr meinem Geschmack entsprach. Dennoch befürchtete ich, dass alleine das moderne Sofa inmitten des weitläufigen Wohnraumes mein halbes Jahreseinkommen schlucken würde.
      Während Yamamoto zum Ankleidezimmer folgte, hefteten sich meine Augen immer wieder an die breite Glasfront gegenüber dem Eingang. Auch wenn gegen eben diese gerade tausende Regentropfen prasselte, konnte man dahinter die unendlichen Lichter der Stadt im Dunkel der Nacht glitzern sehen. Ein wahrlich zauberhafter Anblick. Im Gästezimmer angekommen, machte mich meine Begleitung allerdings auf ein anderes Problem aufmerksam. "Natürlich habe ich nichts dagegen, streng genommen gehören diese Sachen immerhin noch nicht einmal wirklich mir." Schließlich hatte ich noch keinen festen Vertrag mit Frau Watanabe unterzeichnet. Umso verrückter war es allerdings, wie schnell die Frau es fertig gebracht hatte, dieses Penthouse auszustatten. Woher kannte sie überhaupt meine Kleidergröße?
      Ich nickte nur stumm, als sich der Blonde Flummi eilig einen schwarzen Pulli aus dem begehbaren Kleiderschrank zog und sich ins Gästebad verabschiedete. Ich machte mich stattdessen daran, die mir noch fremden Sachen nach etwas kleidsamen zu durchforsten und entschied mich nach kurzer Zeit für ein schlichtes graues Shirt und schwarze Jogger Hosen.
      Als ich bald darauf das Bad betrat, ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass alleine dieses größer war, als meine erste eigene Wohnung. "Was man sich mit Geld nur alles leisten kann...", murmelte ich, während ich mich endlich aus den nassen und kalten Klamotten schälte. Zumindest hatte ich noch nie so viel Platz in einer Dusche gehabt.

      Knapp zehn Minuten später verließ ich erfrischt und trocken - wenn auch noch mit feuchten Haaren - das riesige Badezimmer und wanderte in den noch viel gigantischeren Wohnbereich des Penthouses. Ich verzichtete darauf, den Lichtschalter zu suchen sondern hielt stattdessen geradewegs auf die weite Glasfront zu. Noch immer prasselte reichlich viel Regen gegen die breite Scheiben, doch in den Tropfen verfing sich das Licht der Stadt und schien jeden einzelnen zum Glänzen zu bringen. Ich wusste nicht, wie lang sich mein Blick an diesem Spektakel festhielt, doch als ich endlich Yamamotos Stimme in meinem Rücken hörte, mussten wohl schon einige Minuten ins Land gegangen sein. Die Dunkelheit machte es schwer, ihr Gesicht genau auszumachen, dafür strahlten mich ihre nackten Oberschenkel praktisch an. Hastig hob ich meine Augen wieder zu ihrem Gesicht... bis mich ihre Worte dazu zwangen meinen Fokus erneut auf ihre langen Beine zu legen. "Also hast du dich doch verbrüht." Endlich setzte ich mich in Bewegung und kam genau auf sie zu. Aus der Ferne könnte ich unmöglich den Zustand ihres Oberschenkels bewerten. Plötzlich machte ich mir auch kaum noch Gedanken darüber, dass die Kleine praktisch nur in einen übergroßen Pulli gehüllt war, die Verletzung auf ihrem Bein hatte Priorität. "Tut es sehr weh?" Bei ihr angekommen, drückte ich den Lichtschalter neben dem Türrahmen und begutachtete die rote Haut ihres Oberschenkel. Das sah wirklich nicht sonderlich gesund aus. "Setzt dich aufs Sofa", wies ich sie schließlich ernst auf. "Ich hoffe, dass die Tiefkühltruhe ein paar Eiswürfel zu bieten hat", hoffte ich laut, während ich mich zur offenen Küche des Raumes aufmachte. Tatsächlich wartete der hochmoderne Kühlschrank mit einem eigenen Eiswürfelspender auf, woraufhin ich ein gutes Dutzend davon in einer schnell ausfindig gemachten Tüte auffing und eben diese noch einmal in ein Küchentuch wickelte. "Wir sollten die Stelle schnellstmöglich runterkühlen", erklärte ich, während ich zu Yamamoto zurückkehrte, welche sich wie verlangt auf dem Sofa niedergelassen hatte. Ich nahm kurzerhand eben ihr Platz und griff sanft nach dem Knöchel des verletzten Beines. "Leg deinen Oberschenkel auf meinen", verlangte ich, während ich sie am Knöchel sowieso schon zur Bewegung zwang. "Sag mir, wenn es zu kalt wird." Und schon landete der improvisierte Eiswickel auf der geröteten Haut ihres Oberschenkels. Jetzt erst glitt mein Blick wieder zu ihrem Gesicht, nachdem mein Fokus bis eben noch auf ihrer Verletzung haftete. Im zuvor noch abgedunkelten Raum war mir gar nicht richtig aufgefallen, wie herrlich ihre feuchten blonden Locken ihr ungeschminktes Gesicht umrahmten. Plötzlich wirkte sie noch jünger als zuvor. Leicht gerötete Wangen, sie sich unter meinen Fingerspitzen sicher unendlich weich anfühlen würden, große aufmerksame Smaragdaugen, die jede meiner Bewegungen zu verfolgen schienen, volle Wimpern, die auch ohne Mascara unendlich lang erschienen und volle pinke Lippen, die das Gesamtbild perfekt abzurunden vermochten. Sie sollte öfter das lästige Make-Up ablegen. Ich wusste selbst nicht genau, wo dieser plötzliche Gedanke entsprungen war, aber ich konnte ihn nicht verleugnen. Yamamoto war auch vor heute Abend in jeder Situation schön gewesen, aber nun glaubte ich eine komplett neue Frau vor mir sitzen zu haben, deren Glanz mich unerbittlichen in den Bann zu ziehen schien. Seltsam...
      Ich schüttelte mild den Kopf und zwang mich dazu, mich wieder auf den Eisbeutel in meiner Hand zu konzentrieren. "Fühlt es sich schon etwas besser an? Sollte das hier noch nicht reichen lässt sich in diesem riesigen Penthouse sicherlich noch ein Medikit samt Heilsalbe für Verbrennungen auftreiben."



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      Kimatsu Hashisawa

      Ich bemerkte nur mit halben Ohr, wie Gojo scheinbar versuchte mich aufzumuntern, allerdings hatte ich im Moment weder Zeit noch Lust um darauf einzugehen... selbst wenn seine gutherzige Tat wohl beinahe an ein Wunder grenzen mochte. Doch die Situation verbat es mir, seine Worte zu bejubeln, noch war es mir gestattet in weiteren Schuldgefühlen zu versinken. Zuerst sollte ich mich daran machen, die Lage zu klären. Ich musste Hana beschützen, alles andere kam danach.
      "Es sind keine stärkeren Fluchgeister gewesen", erwiderte ich ruhig auf den vorwurfsvollen Unterton in seiner Stimme. "Zumindest hätten sie es nicht sein dürfen. Kaum einer der Flüche auf die Hana angesetzt wurde, hat Grade 3 überschritten, oftmals setzten wir sie sogar nur an Grade 4 Flüche an, da sie sich dabei wohler fühlt." Während ich sprach, ließ ich meinen Blick kein einziges Mal vom Bildschirm vor mir gleiten. "Doch diese Zwischenfälle sind besonders gewesen. Die Flüche hätten Grade 4, maximal Grade 3 sein sollen, doch kaum das Hana gegen sie kämpfen musste, entpuppten sich diese Biester als Grade 2 und höher." Ich rief die Akte von Hanas letzter offiziellen Mission auf. "Als ihr beiden sie gerettet habt ist es auch nicht anders gewesen. Dieser Fluchgeist hätte niemals so stark sein dürfen und meintet ihr nicht auch, dass irgendeine seltsame Fluchkraft von ihm auszugehen schien." Endlich wendete ich mich wieder zum Weißhaarigen um. Es war unmöglich, seine Augen hinter der schwarzen Maskerade zu erkennen, dennoch glaubte ich die strahlend blauen Seelenspiegel dahinter sehen zu können. "Was ist, wenn ein anderer Fluchgeist diese Monster mit seiner Kraft gespeist hat? Eventuell fällt es uns deswegen so schwer, ihn aufzuspüren, da er sich selbst nie zeigt?"
      Meinem Verdacht folgend durchforstete ich erneut die Datenbänke und suchte speziell nach Fällen, in denen die Stärken der Flüche falsch eingeschätzt worden sind. "Tatsache. Zwar ist es bei niemandem so krass wie bei Hana, aber auch ein paar andere Sorcerer haben über das letzte Jahr angegeben, dass sie auf Missionen geschickt worden sind, die sich als härter herausgestellt haben, als zunächst angenommen." Schon vor einem ganzen Jahr. Wie lange versteckt sich dieses Monster schon vor unseren Augen? "Man könnte fast meinen, dass Vieh hat seine Fähigkeiten zunächst etwas ausprobiert..."
      Zuletzt fixierte ich mich wieder auf die Fallakten rund um Endless Dreamer und runzelte wenig später bei Gojos seltsamer Frage die Stirn. "Ihre Familie?" Kurzerhand rief ich Hanas Personalakte auf. "Sie hat ihre Älter vor über zehn Jahren bei einem Autounfall verloren. Die Polizei hat damals behauptet, dass das autonome Gefährt eine Fehlfunktion hatte und das Ehepaar eine Klippe hinuntergejagt hat." Wirklich etwas genaues zu dem Vorfall ließ sich nicht in der Akte finden, doch ich konnte mich noch gut an die wenigen Sachen erinnern, die mir Hana erzählt hatte und auch ihre Tante hatte ab und an von ihrem verstorbenen Bruder berichtet. "Hanas Vater ist Sorcerer gewesen, laut Ieiri sogar einer der besten." Kaum hatte ich das ausgesprochen, bildeten sich neue Fragezeichen in meinem Schädel. Einer der besten? Aber wie konnte ein Sorcerer seines Kalibers so einfach bei einem simplen Autounfall ums Leben kommen? "Angeblich haben wohl beide an dem Abend etwas getrunken und sollen auf dem Weg nach Hause müde gewesen sein." Aber selbst ein betrunkener Sorcerer ist noch immer ein Sorcerer. "Glaubst du etwa, das könnte auch was mit de aktuellen Fällen zutun haben?" Wieder legten sich meine Augen forschend auf Gojo, welcher ebenfalls die Akten durchzugehen schien. Es war interessant ihn in solch einem ernsten Zustand zu beobachten. Es mochte nicht das erste Mal sein, dass ich ihn so zu Gesicht bekam und dennoch war es noch immer etwas seltsames ihn so... erwachsen zu sehen.
      Bald schon landete unser Gespräch wieder beim Albtraum-Fluchgeist. "Nein, wir haben ihn noch nicht einmal ausfindig machen können. Auch wenn ich Reste von Fluchkraft an den Opfern habe spüren können, war es unmöglich eine Spur zu erkennen, dabei sollte ein so starker Fluch seine Präsenz nicht so einfach unterdrücken können." Außer natürlich er hatte bereits ein Level erreicht, dass ihm erlaubte seine Kräfte nach belieben zu steuern. Sollte es sich vielleicht sogar um einen S-Grade handeln? "Bisher ist tatsächlich noch keiner der Opfer gestorben, weswegen wir vermuten, dass die Albträume selbst und die damit resultierenden negativen Gefühle eine Nahrungsquelle für ihn sein könnten."
      Ich war ihm tatsächlich dankbar, für seinen erneuten versuch, meine Schuldgefühle zu mindern, dennoch konnte ich diese Last noch nicht von meiner Brust heben. Selbst wenn er recht haben sollte, war ich diejenige gewesen, die Hana mit auf diese Mission geschleift hatte. Hätte ich die junge Frau nicht gefragt, ob sich mich begleiten wollte, wäre sie auch nie in den Radius dieses Monsters gelangt... "Du magst recht haben." Ich bemühte mich jegliches Gefühl aus meiner Stimme zu tilgen, er musste ganz bestimmt nicht wissen, was so eben in meinem Kopf vorgeht. "Wir sollten tatsächlich Hanas Fähigkeiten an den Opfern testen." Das könnte die junge Sorcerin zwar umso mehr in den Fokus der Feinde stellen, aber diese Menschen verdienten eine echte Chance endlich wieder aus ihren Träumen zu erwachen, außerdem wurde Hana so oder so schon verfolgt. Dieses Mal wussten wir zumindest, auf was wir Acht geben mussten und ich vertraute darauf, dass Nanami seinen Job gut machen würde. Der Umstand, dass der sonst so ichbezogene Gojo auch nicht müde wurde, die ausgeprägten Fähigkeiten seines Kollegen zu betonen schenkte mir dabei sogar noch etwas mehr Zuversicht. "Sobald sich die Chance ergibt, werde ich sie fragen, ob-"
      Eine schrille Melodie durchflutete plötzlich den Raum und schnitt mir zugleich das Wort ab. "Wenn man vom Teufel spricht", meinte ich leicht schmunzelnd und griff nach dem ungeduldig vibrierenden Handy auf der Schreibtischplatte, welches mir ein breitgrinsendes Gesicht meiner Anruferin präsentierte. "Alles in Ordnung, Hana?", fragte ich, kaum dass ich den grünen Hörer betätigt hatte.
      Zu meiner Erleichterung klang die junge Frau weder angespannt noch unglücklich. Ein wahres Wunder, wenn man bedachte, dass sie bei ihrer strengen Tante hatte zu Abend essen müssen. Nanami schien einen besseren Job abzuliefern, als zunächst erwartet. "Es regnet...?" verdutzt ließ ich meinen Blick zu Fenster gleiten. Bis vor kurzem war es mir nicht einmal aufgefallen, wie unerbittlich der Regen gegen die Scheibe donnerte. Hatte bis eben nicht noch der Mond geschienen? Wie lange saßen Gojo und ich schon in diesem stickigen kleinen Büro? "Okay, verstehe. Dann sieh zu, dass du trocken bleibst und dich nicht erkältest. Bis morgen und gute Nacht."
      Etwas seltsam fühlte es sich schon an, zu wissen, dass sie alleine mit einem Mann, den sie kaum einen Monat kannte, alleine in einer Penthouse-Wohnung übernachten würde. Zugleich glaubte ich, Nanami vertrauen zu können, außerdem war die Blondine erwachsen genug...
      "Scheinbar sind die beiden vom Regen erwischt worden, als sie noch etwas spazieren gewesen sind", erklärte ich nun dem Weißhaarigen, der nur meine Hälfte des Gespräches mitbekommen haben konnte. "Nanamis neues Penthouse ist näher gewesen, als die Schule, weswegen sie diese Nacht dort schlafen würden." Zum Glück konnte man Frau Watanabe vertrauen, dass sie die Wohnung innerhalb weniger Stunden schon auf Hochglanz polieren lassen hatte, weswegen die beiden morgen wahrscheinlich sogar genug Zutaten für ein Frühstück im Kühlschrank würden finden können.
      Mein Blick glitt zur altmodischen Analoguhr über der Bürotür. Die Zeit war tatsächlich schneller vergangen, als erwartet... Wir beide hatten gut eine Stunde mit unseren Nachforschungen verbracht und bald würde die Uhr elf schlagen. "Du musst müde sein. Du kannst also ruhig ins Bett gehen. Ich sammel nur noch ein paar Daten und Fakten zusammen, damit wir diese später auswerten und nachverfolgen können." Mit einem kurzen Kopfnicken gab ich dem Weißhaarigen dabei zu verstehen, dass er mich gerne schon allein lassen könnte. "Das Notebook kannst du gerne fürs erste behalten, ich werde dir die Daten später zukommen lassen." Mit diesen Worten wendete ich mich auch schon wieder zur hell leuchtenden Bildschirmoberfläche zu. "Ich wünsche dir noch eine gute Nacht."

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    • Hana Yamamoto

      „Es geht“, antwortete ich ihm. „Verglichen zu den Verletzungen aus den Kämpfen mit Fluchgeistern ist das gar nichts. Aber es ist ein wenig unangenehm“, erklärte ich. Nanami kam auf mich zu und begutachtete die verbrühte Stelle an meinem Oberschenkel, ehe er mir die Anweisung gab, mich auf das Sofa zusetzen. Ich tat was er verlangte und wartete auf ihn, nachdem er in der Küche verschwunden war, um etwas zum Kühlen zu suchen. Als er dann wiederkam, nahm er neben mir Platz und griff nach meinem Knöchel, welchen er in einer sanften Bewegung zu sich zog. Ein leichtes Kribbeln legte sich auf die Stelle, an der er meine Haut berührte. Schnell legte ich auch mein anderes mein über seine Oberschenkel, da ich außer meiner Unterwäsche und dem übergroßen Hoodie nichts weitertrug, sollte ich zumindest darauf achten, meine Beine geschlossen zu halten.
      Nachdem Nanami das Eis auf meinen Oberschenkel legte, zuckte ich aus Reflex ein wenig zusammen und das vorherige Brennen wich einem spannenden Gefühl auf meiner Haut. Ich brauchte ein paar Augenblicke, bis ich mich an die Kälte und das neue Gefühl gewöhnt hatte, jedoch entspannte ich mich zunehmend und konnte auch wieder leichter atmen. Je mehr ich mich entspannte, desto offener wurde ich für die Eindrücke in meiner Umgebung und erst jetzt wollte mir auffallen, wie nah Nanami und ich uns eigentlich waren. Anfangs hatte ich meinen Fokus noch auf seine Hand gelegt, welche sich um die verbrühte Stelle an meinem Oberschenkel kümmerte, doch irgendwann wanderte mein Blick zu dem Shirt, das der Blondhaarige trug. Es lag relativ eng an und betonte die darunter verborgenen Muskeln. Ich hatte schon damit gerechnet, dass er gut in Form war, aber das überraschte selbst mich. Innerlich konnte ich über mich nur den Kopf schütteln. Was hatte ich da nur wieder für Gedanken? Und wieso schlug mein Herz so schnell? Auch das Kribbeln in meinem Bauch war ein ungewohntes Gefühl. Normalerweise lösten solche Momente, nichts in mir aus, ganz gleich, ob mein Gegenüber eine vertraute Person wie Kimatsu war oder einer meiner damaligen Freunde. Nicht einmal Gojos Gegenwart brachte mich derart aus der Fassung. Sollte ich vielleicht zum Arzt gehen? Nicht dass ich noch einen unentdeckten Herzinfarkt hatte oder sich ein Bandwurm in meine Eingeweide gefressen hatte. Vielleicht sollte ich Ieiri mal wieder einen Besuch abstatten.
      Erst Nanamis nächste Worte, holten mich aus meinen Gedanken und ich sah hastig zu ihm hinauf, nur um direkt in seine braunen Seelenspiegel zu blicken. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich seine Gegenwart aus dem Konzept gebracht hatte. „A-Alles gut!“, unterbrach ich ihn schnell, als er von einer Salbe zu reden begann. „Fühlt sich schon viel besser an. Ich hatte wohl echt Glück, dass sich keine Brandblasen gebildet haben. Meine Tante würde toben vor Wut, sollten sich Narben bilden.“ Ich wollte mir gar nicht ausmalen, welch gemeine Dinge sie mir wieder an den Kopf werfen würde. Ich hob erneut meinen Blick, nur um zu realisieren, dass mich Nanami immer noch ansah. Hatte ich etwas im Gesicht oder lag es daran, dass ich diesmal nichts im Gesicht hatte? „Ah… tut mir leid. Meine Tante hatte mich ermahnt, den Leuten nicht zurecht gemacht entgegenzutreten“, entschuldigte ich mich für meinen ungeschminkten Anblick. Im Normalfall wäre ich Nanami so niemals unter die Augen getreten, allerdings sollte ich die Wunde an meinem Oberschenkel kühlen, bevor sie noch schlimmer wurde. Glücklicherweise war ich mit einer reinen Haut und vollen Wimpern gesegnet, weshalb ich hoffte, dass mein ungeschminkter Anblick Nanami nicht allzu sehr verschreckte. Ich erinnerte mich noch wage daran, dass es mir zu Beginn meiner Modelkarriere nichts ausgemacht hatte, mich ungeschminkt vor anderen zu zeigen. Doch je mehr Zeit ich mit meiner Tante verbrachte und sie immer häufiger meine Makel kritisierte, desto unwohler fühlte ich mich in meiner eigenen Haut. Irgendwann war es zur Normalität geworden, mich zurecht zu machen, bevor ich mein Zimmer verließ und das Make-up erst dann von meinem Gesicht zu waschen, wenn ich es nicht mehr verlassen würde. Die einzige Person, bei der ich keinerlei Scham verspürte, die zu sein die ich war, war Kimatsu. Ich wusste, dass es ihr egal war, wie ich aussah, solange ich nur gesund und munter war. Doch laut meiner Tante, sollte sich eine Frau immer wie eine Dame verhalten und kleiden. Wir sollten uns nicht anmerken lassen, wenn wir zu wenig schliefen, Augenringe oder hängende Schultern waren ein Tabu. Unnötige Kalorien sollten vermieden werden und sechs Mal die Woche zum Training zu gehen war ein absolutes Muss. Allerdings sollte man sich dabei nicht erwischen lassen, immerhin sollte es nicht so aussehen, als sei man von Äußerlichkeiten besessen. Niemand wollte als oberflächlich abgestempelt werden. Meine Tante hatte mehrfach erwähnt, dass die Welt, in der wir uns bewegten, anders war, als jene in der ich mit meinen Eltern aufwuchs. Sie hatte mir früh unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es Liebe nur gegen Leistung gab und die Leistung die ich ihr als Gesicht für ihre Marke gab, war ein stets makelloses Auftreten, dass die Leute dazu animiere sollte, ihre Produkte zu kaufen.
      Die Gedanken an mein schlechtes Verhältnis zu meiner Tante, ließen mich meine Eltern noch mehr vermissen, als ich es sonst schon tat. Vielleicht war aber war ich heute allgemein nicht ganz so gut beisammen, nach den heutigen Geschehnissen war das aber wohl keine große Überraschung. Eine gute Menge Schlaf sollte ausreichen, um meinen angestauten Kummer wieder verdrängen zu können.
      „Ich glaube das reicht, die Stelle fühlt sich schon viel besser an. Danke“, meinte ich an Nanami gewandt. „Es ist schon recht spät, ich denke ich werde dann mal schlafen gehen“, erklärte ich ihm und nahm ihm den Beutel mit den Eiswürfeln ab, ehe ich meine Beine von seinen Oberschenkeln nahm und aufstand. „Danke für heute und gute Nacht“, lächelte ich, ehe ich den Eisbeutel in der Küche entsorgte und anschließend im Gästezimmer verschwand, wo ich mich unweigerlich schlafen legte. Der heutige Tag war anstrengend genug gewesen und ich wusste nicht, was mein Zwangsurlaub noch so mit sich brachte, weshalb ich meinen nächtlichen Schlaf mit Freude entgegennahm.

      Am nächsten Morgen war ich überraschend früh wach und schaffte es leider nicht noch mal einzuschlafen, weshalb ich mich dazu entschied, das Frühstück für Nanami und mich vorzubereiten. Eigentlich hatte ich vorgehabt, meine Kleidung von gestern überzuziehen, jedoch hatte ich vergessen, die Heizung anzuschalten, weshalb die Klamotten noch immer klatschnass waren. Ich seufzte leise. „Also doch noch Hoodie.“
      Ich ging in die Küche und durchwühlte die Schränke, um mir einen Überblick über die Lebensmittel zu schaffen, die mir zur Verfügung standen. „Oh… Schoki!“ Ich entschloss mich dazu, meine derzeitige Mission zu pausieren und mich völlig auf das neue Ziel zu konzentrieren. Leider lag die Tafel Schokolade zu weit oben, weshalb ich mich auf die Zehenspitzen stellte, um an die Packung zu gelangen. Doch auch das wollte nicht helfen, weshalb ich einen Stuhl heranzog und mich auf diesen Stellte. „Endlich!“ Ich nahm die Schokolade aus dem Schrank und stieg vom Stuhl herab, ehe ich die Verpackung öffnete und genüsslich in die Süßigkeit hineinbiss. Glücklich über den süßlichen Geschmack auf meiner Zunge, machte ich mich weiter daran, die Regale zu durchforsten. Bald schon hatte ich mich dazu entschieden, für Nanami und mich ein paar Frühstückssandwiches vorzubereiten. Er schien Brot sehr gerne zu essen, darum wollte ich ihm das Beste zu bereiten, dass er jemals in seinem Leben gegessen hatte. Ich hatte keine Ahnung, ob es mir gelingen würde, aber immerhin zahlten sich die etlichen Stunden aus, die ich als Kind in der Sterneküche meiner Tante verbracht hatte.
      Nachdem ich den Teig hergestellt hatte, ließ ich diesen für eine dreiviertel Stunde ruhen und kümmerte mich um die Soße und den Belag für die Sandwiches.
      Gut gelaunt belegte ich die Brote und richtete sie auf den Tellern an, nachdem ich noch etwas Obst aufgeschnitten hatte und uns Rührei machte. Anschließend räumte ich alles auf und machte frischen Kaffee für Nanami. Für mich richtete ich ein Glas Apfelsaft her, da ich den Geschmack von Kaffee absolut nicht mochte. „Vielleicht brauchen Erwachsene den bitteren Geschmack, um überhaupt irgendetwas zu empfinden“, überlegte ich laut. „Naja, mir solls recht sein, solange mich niemand von meiner heißen Schokolade trennt.“ Mein Blick huschte zu dem hohen Küchenschrank, hinter dessen Tür, sich die angebrochene Schokolade von vorhin befand. „Aaaalsooo… wenn man etwas anfängt, sollte man es auch beenden“, versuchte ich mir mein morgendliches Schlickern zu rechtfertigen. Ohne einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden, ob es so gesund war, eine ganze Tafel Schokolade vor dem Frühstück zu verdrücken, schnappte ich mir erneut einen Stuhl und stellte mich drauf, um die dunkelbraune Verpackung mit Süßem Inhalt zu nehmen. Just in diesem Moment hörte ich die Schlafzimmertür von Nanami aufgehen. Wie angewurzelt blieb ich auf dem Stuhl stehen und drehte mich langsam zu dem Blondhaarigen um. Ich versuchte gar nicht erst, die Schokolade in meinen Händen zu verstecken und schenkte ihm stattdessen ein schiefes Lächeln. „Ein wenig Calcium und Eisen vor dem Frühstück gefällig?“, versuchte ich die positiven Aspekte der Süßigkeit in meinen Händen hervorzuheben. Wieso fühlte ich mich eigentlich so ertappt? Ich war eine erwachsene Frau und konnte so viel Schokolade zum Frühstück essen, wie ich nur wollte! Genau das wollte ich gerade sagen, als ich mich ein wenig zu stürmisch auf dem Stuhl umdrehte und meinen Halt verlor. Shit! Ich kniff die Augen zusammen und drückte die Schokolade an mich, während ich mich emotional auf eine harte Landung einstellte.


      Satoru Gojo

      Es wunderte mich nur wenig, dass meine Worte Kimatsu nicht erreichen wollten. Sie schien sich bereits die Schuld für alles zu geben und nichts und niemand würde ihr diese Last von den Schultern nehmen. Ich verkniff mir ein Seufzen und kümmerte mich stattdessen um die Fallakten vor meiner Nase. Diese Sache würde sie mit sich selbst ausmachen müssen, ich würde ihr da nur wenig helfen können. Allerdings hatte ich den Entschluss gefasst, Kimatsu vor meinem Verschwinden eine Lektion in Verantwortung und Schuldzuweisung zu geben. Normalerweise waren es meine Schüler, denen ich gelegentliche Standpauken hielt, wenn mir ihre Art und Weise zu denken nicht gefallen wollte. Doch dieses Mal war es die hübsche Weißhaarige, die mein Herz ungewohnt schwer werden ließ. Eigentlich machte ich mir bei Erwachsenen nicht allzu viele Gedanken darüber, welche Perspektive sie auf die Welt hatten, doch mir war schon vor einer ganzen Weile aufgefallen, dass ich bei Kimatsu eine Ausnahme machte. Es gefiel mir, mich mit ihr zu unterhalten -auch wenn ich sie die meiste Zeit über ärgerte. Ich freute mich über ihre Reaktionen und darüber, wenn sie mir ihre Gedanken und Gefühle mitteilte, wobei letzteres eher selten der Fall war. Sie sprach maximal davon, dass ich ihr auf die Nerven ginge.
      Doch die Kimatsu, die nun vor mir saß, war so ganz anders als die vergangenen Wochen und gleichzeitig passte diese Art perfekt zu dem Bild, dass ich mir bereits von ihr gemacht hatte.
      Bei ihren nächsten Worten horchte ich auf. „Ein Sorcerer der bei einem Autounfall ums Leben kommt?“, fragte ich sie skeptisch. „Niemals. Das könnte vielleicht noch einem Ichiji passieren, aber keinem starken Sorcerer, zumindest nicht ohne Drogeneinfluss.“ Ich war mir schon jetzt sicher, dass irgendjemand -oder besser gesagt irgendetwas- nachgeholfen haben musste. „Es wundert mich zugegeben ein wenig, dass niemand weiter nachgeforscht hat“, gestand ich ihr. Vor allem, weil Ieiri in dieser Welt überlebt hatte. Hatte man ihr damals nicht die Leichname der beiden überlassen? Oder wurden sie einfach so beerdigt, ohne dass je jemand eine Autopsie an den beiden durchgeführt hatte? Doch soweit ich wusste, wurden alle Leichen untersucht, die keinen natürlichen Todes gestorben sind. Wieso also hatte man bei Hanas Eltern eine Ausnahme gemacht? Oder wurden sie vielleicht untersucht und einfach nichts gefunden? In der Regel hinterließen Fluchgeister Spuren, sobald sie agierten und ihre Kraft nutzten, doch unsere jetzigen Gegner schienen wahre Meister darin, sich verdeckt zu halten und aus dem Schatten heraus zu kämpfen. Das versprach noch spannend zu werden.
      Meine Gedanken wurden durch das Klingeln von Kimatsus Handy unterbrochen und ich sah der jungen Frau schweigend dabei zu, wie sie allem Anschein nach, mit dem hyperaktiven Flummi redete. Ich bekam zwar nur die Hälfte der Unterhaltung mit, doch ich glaubte schon zu wissen, auf was es hinauslief und ich hatte mit meiner Vermutung recht. Nachdem die junge Frau aufgelegt hatte, erklärte sie mir, dass Hana und Nanami in ein Unwetter geraten waren und nun in Nanamis neuer Wohnung schliefen, da diese wohl näher gewesen war als das Schulgebäude. Ich schmollte ein wenig. Irgendwas lief hier doch gewaltig falsch. Wie konnte jemand einfaches wie Naname ein Penthouse beziehen, während ich -Gojo Satoru- in einer kleinen Wohnung auf dem Schulgelände der Akademie festgehalten wurde. Mir erlaubte man nicht einmal das Gelände ohne Erlaubnis von Kimatsu oder Ieiri zu verlassen! Die Welt war wirklich ungerecht zu starken, gutaussehenden Männern wie mir.
      „Ist in Ordnung. Du solltest aber auch nicht mehr länger als absolut nötig machen. Männer stehen nicht auf Augenringe“, grinste ich ihr frech entgegen. Allerdings hoffte ich wirklich, dass sie sich meine Worte ein wenig zu Herzen nahm und es nicht mit der Recherche zu den Fällen übertrieb. „Ruh dich gut aus und bis morgen“, verabschiedete ich mich von der jungen Frau und nahm noch das Notebook mit, ehe ihr Büro verließ und mich in das Gästezimmer zurückzog, dass ich vorübergehend bezog. Erst jetzt fiel mir auf, dass Kimatsu und ich die erste Nacht, allein in ihrer Wohnung verbrachten. Bisher hatte uns wenigstens Nanami Gesellschaft geleistet und auch Hana hatte den Großteil ihrer freien Zeit hier verbracht… Was war das nur für ein seltsames Gefühl in meinem Bauch? Hatte ich mir vielleicht den Magen verdorben? Naja, sollte es bis morgen nicht besser geworden sein, könnte ich immer noch Ieiri aufsuchen und mich von ihr behandeln lassen.
      Ich versuchte keine weiteren Gedanken mehr zu verschwenden und machte mich stattdessen fertig fürs Bett und legte mich direkt schlafen.

      Am nächsten Morgen wachte ich zu meiner gewohnten Zeit auf und machte mich entspannt fertig. Als ich mein Zimmer verließ, traf ich in der Küche bereits auf die Weißhaarige. „Du scheinst aktuell nicht auf der Suche nach einem Partner zu sein, oder?“, bemerkte ich trocken und spielte auf die leichten Schatten unter ihren Augen an. „Zumindest scheinst du dir dies bezüglich nicht allzu viel Mühe zu geben.“ Dass sie es aber auch gleich wieder so übertreiben musste. Kimatsu gehörte zwar zu jenen, die ihr Leid gut verstecken konnten, allerdings hatte ich sie in den letzten Wochen oft genug auf Missionen begleitet, um die versteckte Müdigkeit in ihren Blicken erkennen zu können. „So wie ich dich kenne, hast du dir die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, richtig?“, wollte ich von ihr wissen, nachdem ich gegenüber von ihr Platz genommen hatte. Es war ungewohnt, derjenige zu sein, der jemanden aufgrund seiner Arbeit tadelte. Es erinnerte mich an die Mission mit der Sternenplasmahülle. Riko zuliebe hatte ich auf meinen Schlaf verzichtet, um stets auf der Hut vor potenziellen Attentätern zu sein, während sie ihre letzten Tage in Freiheit genießen konnte. Damals war es Suguru gewesen, der seine Sorgen äußerte und mir auftrug, langsamer zu machen. Es fühlte sich zugegebenermaßen ein wenig seltsam an, nun selbst die Rolle des Vernünftigen einzunehmen und meinen Gegenüber für den aktiv herbeigeführten Schlafmangel zu tadeln. „Das war nichts, was sofort hätte erledigt werden müssen. Nachdem Besuch im Krankenhaus, hättest du doch immer noch weiterforschen können. Dieser Fluchgeist scheint schon eine ganze Weile aktiv zu sein, ein paar Stunden mehr oder weniger machen da auch nichts mehr aus“, seufzte ich und bediente mich schließlich an dem Essen, welches sie bereits hergerichtet hatte. „Guten Appetit.“ Während wir uns stärkten, legte sich mein Blick immer wieder auf die Weißhaarige vor mir. Ich achtete darauf, dass sie wenigstens genug zu sich nahm. Wenn sie schon nicht richtig schlafen wollte, sollte sie sich ihre Energie zumindest aus Nahrung beschaffen, wobei das auf kurz oder lang natürlich kein Ersatz war. „Hat sich deine Nachtschicht wenigstens gelohnt?“, wollte ich irgendwann von Kimatsu wissen, während ich mir den Reis mit Fisch einverleibte. Erneut fiel mir auf, dass mir dieses -wenn auch recht simple- Frühstück sehr gut schmeckte. Teilweise konnte ich nicht beurteilen, ob es nur an dem Essen an sich lag oder aber auch an der jungen Lehrerin, die eine seltsam entspannende Wirkung auf mich zu haben schien. In ihrer Nähe zu sein, war überraschend erholsam. Anfangs dachte ich noch, dass es daran lag, dass man sie so gut ärgern konnte, doch es schien mehr als nur das zu sein. Wir konnten auch mehr oder weniger ernste Gespräche miteinander führen und ich fand es nicht weniger… schön? Ich müsste dringend aufpassen, dass ich sie nicht zu nah an mich heranließ. Immerhin würden Nanami und ich diese Dimension verlassen, sobald wir wussten, wie wir wieder zurückkamen. Wir könnten schlecht hierbleiben, während meine Schüler um ihr Überleben kämpften. Ich könnte es mir nicht verzeihen, sollte einer von ihnen ums Leben kommen, weil ich nicht schnell genug zurückgefunden hatte. Doch gleichzeitig sträubte sich auch etwas in mir, wenn ich daran dachte, Kimatsu und Hana zurückzulassen. Vor allem erstere wollte ich bei ihren Missionen noch häufiger begleiten. Ich sollte mich innerlich besser darauf einstellen, bald Abschied zu nehmen. Ich wusste zwar nicht, wie viel Zeit noch ins Land gehen würde, bis sich unsere Wege wieder trennten, doch würde es sicher nicht mehr allzu lange dauern. Genau dieser Gedanke war es, der mein Herz seltsam schwer werden ließ. Es war fast so, als wolle es mir mitteilen, hierzubleiben und nicht zurückzukehren. Dass das keine Option war, war mir durchaus bewusst. Ich hatte noch einen Auftrag zu erledigen, den ich nicht ungeschehen lassen konnte. Meiner Schüler verließen sich auf mich und konnte und wollte sie nicht im Stich lassen.
    • Kento Nanami

      "Nur weil du schon schlimmere Verletzungen überstanden hast, dass du diese hier unterschätzen solltest", murmelte ich konzentriert, während ich den Eiswickel zusammenstellte. Als ich wenig später plötzlich zwei Beine auf meinem Oberschenkel liegen hatte, musterte ich die Kleine kurz verwundert, bis ich ihre Intention begriff und ihr innerlich für ihr Handeln dankte. Diese elende Pulli verdeckte längst nicht genug... Auch wenn das natürlich nicht heißen sollte, dass ihr Anblick unangenehm wäre, ganz im Gegenteil. Aber genau das war eigentlich auch das Problem, weswegen ich mich verbissen darauf konzentrierte, ihre Verbrennung zu kühlen, ohne meine Augen unnötig wandern zu lassen.
      Wenig später durfte ich auch noch begreifen, dass der quirlige Flummi an meiner Seite unter Nervosität zu leiden schien, zumindest ließ mich ihre gestotterte Antwort genau das vermuten. Doch irgendwie stand ihr dieser schüchterne Ausdruck gut zu Gesicht, weswegen ich es mir erlaubte ihr ein beruhigendes Lächeln zu schenken. "Sag aber sofort bescheid, sollte es wieder schlimmer werden." Leider war meine gute Laune schnell dahin, als die junge Sorcerin von ihrer Tante zu reden begann. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was die verkrampfte Geschäftsführerin ihrer ach so geliebten Nichte eingetrichtert hatte, damit sie sich für ungeschminktes Auftreten entschuldigen musste. "Du siehst mit und ohne künstlicher Farbe im Gesicht wunderschön aus und selbst wenn nicht, solltest du dich für so etwas niemals entschuldigen." Ich konnte nicht behaupten, dass mir mein eigenes Auftreten und meine Garderobe egal waren. Ich liebte meine gebügelten Anzüge und legte Wert auf eine perfekt sitzende Krawatte, aber meine Auswirkung war mir dabei reichlich egal. Ich trug diese Sachen nicht, um meinen Mitmenschen zu gefallen, sondern weil ich mich selbst wohl damit fühlte. "Du bist es niemanden schuldig, für ihn oder sie gut auszusehen, außer dir selbst", meinte ich daher ernst und fixierte die hellen Smaragde ihrer leuchtenden Augen. "In dieser Welt gibt es immer jemanden, der etwas an dir auszusetzen hat, aber das ist sein Problem und nicht deines."
      Meine Oberschenkel fühlten sich erstaunlich kalt and, als sich der blonde Flummi schließlich in die Nacht verabschiedete und sich eilig vom Sofa erhob. Kurz starrte ich auf die Stelle, auf welcher soeben noch ihre Beine geruht hatten, bevor ich ihr zunickte. "Ich wünsche dir auch eine gute Nacht. Der Tag war lang, also ruh dich ausgiebig aus." Dasselbe galt wohl auch für mich, weswegen ich nicht lange zögerte und mich ebenfalls in mein neues Schlafzimmer zurückzog. Das riesige Bett und die samtige Bettwäsche schienen mich dabei für meinen alten Lebensstil verspotten zu wollen, dennoch musste ich bitter feststellen, dass ich noch nie auf einer so weichen Matratze hatte schlafen können.

      Der nächste Morgen begrüßte mich mit weichen Sonnenstrahlen und dem unerwarteten Duft nach frischen Brot. Ich verzichtete darauf, mich in frische Klamotten zu hüllen und wanderte direkt auf die Tür zu, hinter welcher ich bereits reges Treiben zu hören glaubte. War die Kleine sonst auch schon immer so früh wach gewesen? Und seit wann machte sie das Frühstück? Darum bemüht, keinen Mucks von mir zu geben, stieß ich die Tür nur einen kleinen Spalt breit auf und weitet verdutzt die Augen, als ich eine zufrieden grinsende Yamamoto dabei beobachten durfte, wie sie soeben zwei offenkundig selbst gebackene und noch dampfende Brote belegte. Eigentlich hätte ich mich schon längst bemerkbar machen müssen, aber aus irgendeinem Grund beschloss ich weiter still an der Tür zu verharren und die Kleine bei ihren Bemühungen zu beobachten. Sie wirkte schon fast wie ein kleines Eichhörnchen, dass mit voller Begeisterung und Überzeugung Wintervorräte zusammensammelte. Von der deprimierten Yamamoto von gestern war gar nichts mehr zu erkennen, stattdessen konnte ich eine junge und aufgeweckte Frau dabei beobachten, wie sie mühevoll und konzentriert zwei Frühstücksteller herrichtete. Ich merkte, wie sich ein seltenes Grinsen auf meine Lippen schlich, während sie sich über den bitteren Geschmack von Kaffee beschwerte, nur um zwei Minuten später in gefährlicher Höhe eine angebrochene Tafel Schokolade aus dem Hängeschrank zu kramen. Ein Eichhörnchen, dass voller Freude seine eingelagerten Vorräte ausbuddelt, überlegte ich und fragte mich, wohin all diese Kalorien eigentlich verschwanden, immerhin war es schwer auch nur einen Makel an ihrem Körper zu erkennen. Und das obwohl sie selbst am frühen Morgen nicht auf ihre geliebten Süßspeisen verzichten konnte.
      Ich schüttelte amüsiert den Kopf, bevor ich endlich die Entscheidung traf, mich zur Erkennung zu geben und die Tür zu diesem Zweck geräuschvoll aufstieß. Keinen Moment später, strahlte mir die junge Frau mit einem schiefen Lächeln entgegen. Allerdings legte sie ihren geliebten Snack für keine Sekunde aus den Händen, während sie versuchte ihre Sucht nach Süßkram mit der Aufnahme wichtiger Mineralien zu verteidigen. "Wenn du das sagst, muss es wohl stimmen", kommentierte ich mit einem Schulterzucken und ließ mein überdimensionales Schlafzimmer endgültig hinter mir. Kaum eine Sekunde später musste ich meinen entspannten Schritt allerdings schon wieder aufgeben, als die Kleine die Sitzfläche des Stuhls unter ihr gnadenlos zu überschätzen schien und sich unvermittelt im freien Flug Richtung hartem Küchenboden befand. "Achtung!"
      Es waren wohl solche Momente, bei denen ich all den harten und schmerzhaften Trainingsstunden in der Jujutsu-High dankbar sein sollte. Ohne sie, wäre ich sicher nicht in der Lage gewesen, die mehreren Meter zwischen mir und dem Blondschopf rechtzeitig zu überwinden, doch ein mit Fluchkraft verstärkter Sprung ließ mich das Mädchen gerade noch rechtzeitig aus der Luft pflücken.
      "Und du bist dir sicher, dass du mit dieser tollpatschigen Ader als Sorcerin arbeiten darfst?", fragte ich, sobald ich mir sicher war, dass ich ihren Kopf von einer traumatischen Begegnung mit den harten Fließen unter uns hatte bewahren können. Fließen die sich ähnlich kühl anfühlten, wie die Eisfläche gestern Nachmittag... und diese gesamte Situation machte es nicht gerade besser. Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden, lag die junge Frau in meinen Armen... mit dem kleinen aber wichtigen Unterschied, dass sie außer einem zu großen Pullover kaum etwas am Leib trug. Ich glaubte ihre nackten Beine an meinen zu spüren und befürchtete, dass sie unter dem weiten Oberteil keinen BH trug... Ich zwang mich dazu, den Blick auf ihrem Gesicht verweilen zu lassen.
      "Alles in Ordnung?" Das helle Sonnenlicht des Morgens ließ ihre ungeschminkten Züge noch jünger und weicher erscheinen, als das kalte Lampenlicht gestern Abend. Und ohne die lästige Mascara an ihren Wimpern schien ihren grünen Augen prompt dreimal soviel Strahlkraft innezuwohnen als je zuvor. Ich brauchte eindeutig zu lange, um mich aus dieser seltsamen Trance zu lösen und mich endlich vom Boden aufzustemmen. Eine Hand verweilte noch immer schützend an Yamamotos Hinterkopf, während ich mich mit der anderen langsam in die Höhe drückte... noch immer gelang es mir nicht wirklich, meinen Blick von den glänzenden Smaragden unter mir zu trennen. "Warum bist du eigentlich schon so früh wach?", versuchte ich mich selbst von der gesamten Situation abzulenken, während ich endlich auch ihren Kopf freigab und mich vom Küchenboden erhob, um ihr kurz darauf helfend die Hand entgegenzustrecken. "Konntest du nicht gut schlafen?" Mein Fokus glitt zur Küchenzeile - zum Teil, um nicht weiter über ihre langen Beine nachdenken zu müssen, aber auch um das lecker aussehende Frühstück zu bestaunen. "Und meinst du nicht, du hast es ein wenig übertrieben." Gemütlich ging ich an ihr vorbei und ließ meine Nase über das duftende Sandwich gleiten. Woher wusste sie eigentlich, dass ich solche Sachen liebte? Auch der Kaffee roch ziemlich verlockend, während mich die danebenstehende heiße Schokolade beinahe ein weiteres Mal schmunzeln ließ. Wann hatte ich das letzte mal so oft das Bedürfnis verspürt zu lächeln? Wer hätte gedacht, dass es einen Flummi auf zwei Beinen brauchte, um wieder solche Gefühle in mir zu wecken. "Aber danke für deine Mühen, das sieht sehr lecker aus", betonte ich schließlich und machte mich daran, die Teller samt Inhalt zum Essenstisch zu tragen. "Kommst du?" Nachdem ich auch unser beider Tassen an ihren Platz getragen hatte bedeutete ich Yamamoto, mir gegenüber Platz zu nehmen. Erst als sie meiner Bitte nachgekommen war, dankte ich ihr noch einmal höflich für das Frühstück und gönnte mir einen ersten großen Bissen von dem noch warmen Sandwich. Der Geschmack vom frischen Brot mischte sich mit dem saftigen Belag. Wow, die Kleine hatte offenkundig Talent. "Es schmeckt wunderbar", verkündete ich daher ehrlich und nickte Yamamoto anerkennend zu. "Woher hast du eigentlich gelernt, so etwas auf die Beine zu stellen?" Mir fiel es schwer zu glauben, dass Frau Watanabe ihre Nichte in der Küche arbeiten ließ, glaubte ich doch, dass die hart arbeitende Geschäftsfrau solche Aufgaben eher ihren zahlreichen Bediensteten überließ. "Es ist beeindruckend, dass du bei deinem vollgepackten Terminkalender überhaupt genug Zeit hattest, um so etwas zu lernen", fügte ich noch neugierig hinzu und gönnte mir einen weiteren Bissen. "Aber ich muss zugeben, ich bin dankbar für dieses unerwartete Talent an dir. Vielleicht solltest du es häufiger präsentieren."


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      Kimatsu Hashisawa

      Ich war nicht die Einzige, die vom Unfalltod der Yamamotos nicht überzeugt war, auch Gojo meldete eindeutige Bedenken an. "Du hast recht, da muss mehr dahinter stecken." Und ich würde es dringend herausfinden müssen. Sollte der Tod der beiden etwas mit unseren aktuellen Fällen zu tun haben, sollte ich mir das Ganze unbedingt etwas genauer anschauen. "In dem Bericht hier steht, dass man tatsächlich nach Fluchkraft Ausschau gehalten hat", berichtete ich mit starrem Blick auf den Bildschirm. "Man hat aber nichts finden können. Allerdings sind aber auch ein paar Stunden vergangen, bis die ersten Einsatzkräfte vor Ort gewesen sind, da sich das Ganze mitten in der Nacht zugetragen hat." Dennoch sollte es eigentlich möglich sein, auch nach längerer Zeit noch Spure von Fremdeinwirkung zu erkennen. Allerdings gab es auch ein paar spezialisierte Fluchgeister, die durchaus ihre Spuren verdecken konnte. Sollte unser Feind etwa auch in diese Kategorie fallen? Aber warum hatte ich dann bei all den anderen Opfern aus dem letzten Jahr Reste von Fluchkraft finden können? Irgendetwas passte hier einfach nicht zusammen...
      "Bis morgen", winkte ich Gojos Worte ab. Scheinbar schien er bereits meine Pläne für diese Nacht zu erahnen, allerdings war es mir gleich, ob ich nun tiefe Ringe unter den Augen trug oder nicht. Mal davon abgesehen, wäre es nicht das erste mal, dass ich länger aufblieb oder sogar die gesamte Nacht durchmachte. Einige Aufträge ließen mir nichts anderes übrig und die aktuelle Lage würde es mir sowieso unmöglich machen, die Augen zu schließen. Solange ich keine Antworten auf meine dutzenden Fragen erhielt, würde ich mich sowieso nur ruhelos im Bett hin und her wälzen.
      Also wartete ich darauf, dass mein maskierter Mitbewohner die Zimmertür hinter sich schloss und fixierte endlich wieder den Bildschirm vor mir.
      "Yamamoto Kenshin..." Seine Akte war tatsächlich gut gefüllt. Der Mann muss zu Lebzeiten eine halbe Legende gewesen sein... es war ein Frevel, dass seine Taten trotzdem noch von dem "großen" Gojo Satoru überschattet wurden, welcher selbst fünfzig Jahre nach seinem Verschwinden noch zu den beeindruckendsten Sorcerern zählte, den unsere Welt je gesehen hatte. Dabei hatte Hanas Vater einige der mächtigsten Fluchgeister exerziert, die unsere Zeit zu bieten gehabt hatte. Doch auch, wenn all diese vergangenen Erfolge reichlich beeindruckend und spannend waren, musste ich mich auf seinen letzten Auftrag fokussieren. "Was zum...?!"
      Heute suche ich ein junges Opfer auf, dass sein zwei Tagen nicht mehr aufgewacht ist. Ein Window ist Nachbar der Familie und soll eine düstere Gestalt gesehen haben, die sich über den Jungen gebeugt hat, bevor in sein seltsames Koma gefallen ist.
      Ich konnte die Worte kaum glauben, die ich da las. Warum hatte das niemand bemerkt? Warum war niemand die alten Einträge durchgegangen? Ja, es waren schon über zehn Jahre vergangen, seitdem die Yamamotos gestorben waren, aber... Ich klickte weiter durch die Akte. Leider schien dieser eine kurze Beitrag aber der letzte gewesen zu sein, den Yamamoto Kenshin verfasst hatte. Drei Wochen vor seinem Tod. "Drei Wochen vor seinem Tod?" Ich legte den Kopf schief und scrollte erneut durch die Akte. Aber tatsächlich, da war nichts. Kein weiterer Eintrag, kein Bericht über sein vorgehen... nichts. "Wie kann das sein? Warum hat er so lange nichts mehr geschrieben? Oder...?" Ich getraute es mir nicht, den Gedanken auszusprechen. Aber konnte es sein, dass die Einträge gelöscht wurden? Nur... warum?
      Ich setzte meine Forschung fort. Dieses mal verließ ich die Gefilde von Yamamoto Kenshins Akte und suchte nach ähnlichen Fällen wie Endless Dreamer und wurde irgendwann auch fündig. Immer mal wieder konnte ich Berichte lesen, wo es um komatöse Opfer ging, doch selten berichtete der gleiche Sorcerer zweimal vom gleichen Fall... oder sollten auch diese Fallakten gelöscht worden sein.
      Einem Verdacht folgend, zerrte ich eine Schublade meines Schreibtisches auf und kramte zügig Stift und Papier an die Oberfläche. "Das erste Mal wurden diese Opfer tatsächlich in Kenshins Bericht erwähnt... Vor dreizehn Jahren." Schnell flitzte der Stift über das noch jungfräuliche Papier. "Danach schienen zwei Jahre lang Ruhe zu herrschen bis..." Ich öffnete die nächste Akte. "'Zwei Geschwister scheinen in demselben Albtraum gefangen zu sein und wollen seit über dreißig Stunden nicht erwachen.' Das Klingt genauso wie die anderen Fälle, doch danach gibt es keine Erwähnung mehr davon." Ich schrieb die Daten nieder und googelte nach den Namen der Kinder und wurde tatsächlich fündig. "Sie sind eine Woche später wie aus Zauberhand wieder aufgewacht?" Ich arbeitete die restlichen Fälle mit einem ähnlichen System ab, jedes Mal mit demselben Ergebnis. "Sie sind meist ein paar Tage oder Wochen wieder aufgewacht und es gab meist nie mehr als einen Aktenverweis..." Grübelnd fing ich an das Internet zu durchstöbern: Ungewöhnliche Fälle von langanhaltenden Albträumen.
      Das Ergebnis war erstaunlich, passte aber tatsächlich in meine Vermutungen. "Es gibt viel mehr Artikel und Verweise zu solchen Vorfällen, als Sorcerer es je niedergeschrieben haben. Ob manche Fallakten vielleicht komplett gelöscht wurden." Oder die Opfer waren jedes Mal erwacht, bevor einer von uns auf sie aufmerksam werden konnte? Schließlich erreichte ich die jüngsten Vorfälle und durfte feststellen, dass wir uns tatsächlich vertan hatten. Hatte ich zuvor noch geglaubt, dass Endless Dreamer erst seit wenigen Monaten aktiv war, durfte ich nun ernüchtert lesen, dass es schon vor knapp einem Jahr Vorfälle gegeben hatte. "Damals waren vor allem Kleinkinder betroffen und sie sind... sogar gestorben." Aus irgendeinem Grund war das alte Muster durchbrochen. Diese Kinder waren nicht nach ein paar Tagen aufgewacht, stattdessen waren sie verstorben. Waren es zunächst noch so wenige gewesen, dass sie offenbar niemanden auffielen, war die Zahl vor ein paar Monaten plötzlich immer weiter gestiegen. "Das heißt, dass Endless Dreamer stärker wird... Wahrscheinlich ernährt er sich von der Lebenskraft und der Furcht seiner Opfer." Ich bannte jeden einzelnen meiner Gedanken auf dem Papier, welches mittlerweile einer riesigen und leider recht chaotischen Mindmap glich. "Bis vor einem Jahr muss der Fluchgeist aber genau dabei noch Probleme gehabt haben... oder ihm ist jemand in die Parade gefahren." Nachdenklich zerkaute ich das Ende meines Bleistiftes. "Doch seitdem dieser Jemand nicht mehr da ist, sind auch die Akten wieder vollständig." Um genau diesen Verdacht zu kontrollieren, klickte ich besagte Akten erneut durch, zum Teil waren nicht einmal mehr die Namen der Verfasser vermerkt. Außer... "Da!" Sofort flog mein Stift erneut über das schon gut gefüllte Papier. "Talkon Marios. Ein Ausländer?" Er war nach Kenshin der zweite gewesen, der scheinbar etwas mit Endless Dreamer zu tun gehabt hatte... das wahr allerdings auch schon wieder 11 Jahre her. Ob er noch auffindbar war? Ob er überhaupt noch lebte? Nun, diese Fragen galt es zu beantworten. Vielleicht wüsste Shoko etwas genaueres, immerhin hatte sie weitreichende Kontakte zu verschiedenen Clans, auch im Ausland. Doch bevor ich ihr all diese Fragen herantragen konnte, sollte ich etwas Ordnung in meine verwirrende Mindmap bringen. Ein Blick zur Uhr verriet mir, dass ich mittlerweile schon sechs Stunden hier verbracht hatte, sicher würde bald die Sonne aufgehen. Dementsprechend könnte ich auch auf die wenigen Stunden Schlaf, die mir noch blieben gerne verzichten. Stattdessen begann ich damit, all meine gesammelten Erkenntnisse in ein übersichtliche Datei zu übertragen, welche ich später auch Gojo zukommen lassen konnte... Irgendwie war es schade, dass ich ihm all diese Ideen nicht sofort präsentieren konnte, war es zuvor so angenehm gewesen, zusammen mit ihm Ideen zu sammeln. Wow, dass ich mal Gojo und das Wort angenehm in einem Gedanken verwenden würde... Aber ich konnte es zugleich auch nicht leugnen. Der Mann war nun einmal nicht nur verboten stark und - einigermaßen - gutaussehend, sondern auch recht intelligent. Ich fragte mich bereits, was er wohl zu meinen Funden sagen würde und bemühte mich umso mehr, eben diese übersichtlich in eine Datei zu verpacken.

      Knapp eine Stunde später streckte ich mich endlich auf meinem Stuhl aus. Meine Schultern schmerzten und mein unterer Rücken würde mir wohl auch eine ganze Weile nicht verzeihen, nachdem ich die gesamte Nacht vor diesem elenden PC verbracht hatte. Aber meine Ausbeute war dafür umso besser. Zufrieden sendete ich mein vollendetes Werk an das Notebook, dass ich dem Maskenfanatiker am Vorabend in die Hände gedrückt hatte, denn endlich erhob ich meinen schmerzenden Körper und schleifte ihn ins Badezimmer. Ich hatte noch nie viel Wert auf reine Haut gelegt, aber vielleicht lag es auch daran, dass ich glücklicherweise mit eben jener beschenkt worden war. Selbst die angestaute Müdigkeit wollte sich daher kaum auf meinen Zügen zeigen, nur der entfernte Hauch von feinen Ringen unter meinen braunen Augen könnte Hinweis auf eine durchzechte Nacht sein. Ich sollte Mutter bei Gelegenheit dringend nochmal für ihre guten Gene danken, die sie mir spendabler Weise vermacht hatte. Nach einer kurzen erfrischenden Dusche konnte ich sogar einen Großteil meiner Erschöpfung aus meinen Gliedern waschen und stand schon wenige Minuten später vor dem Herd. Während der Reis im Kocher warm wurde, klopfte einer der Angestellten der Schule an der Tür und händigte mir eine Tasche mit Hanas Sachen aus, die gestern wohl ihr Chauffeur hergebracht haben musste. Halt... bedeutete das etwa, dass sie keine Wechselkleidung im Penthouse dabei hatte? Ich sollte diese Sachen später dringend zu ihr bringen.
      Doch zuvor hieß es Frühstück vorbereiten. Mittlerweile kannte ich auch schon den Morgenrhythmus meines aufdringlichen Mittbewohners recht gut und wusste, dass er jeden Moment gähnend in seinem Türrahmen stehen sollte. Allerdings hatte er heute keine sonderlich geistreichen Guten-Morgen-Grüße für mich parat.
      "Wer hat jemals behauptet, dass ich einen Partner haben will", entgegnete ich in ähnlichen trockenen Ton, in welchen er zuvor seine Frage gepackt hatte. "Im Gegenteil: Ich habe im Moment keine Lust auf solch eine Zeitverschwendung", fügte ich an und platzierte unser Frühstück auf dem Esstisch. Allerdings ärgerte es mich schon etwas, dass diesen elenden Adleraugen des Weißhaarigen einfach nichts entgehen wollte. Es war absolut demütigend von einem geistigen Kleinkind wie ihm eine Standpauke aufgetischt zu bekommen, weswegen ich mich selbst dabei ertappte, wie ich seinen Blicken auswich. Wow, Kimatsu, jetzt fängst du sogar schon an, dich selbst wie ein kleines Kind zu benehmen. Zumindest konnte ich mir das Schmollen verkneifen und hob zuletzt sogar wieder meine Augen in seine Richtung. "Ich hätte mit all den neuen Erkenntnissen die wir gestern Abend gesammelt haben, sowieso nicht schlafen können, außerdem möchte ich dir in einer Sache widersprechen." Mahnend hob ich meine Essstäbchen in seine Richtung. "Auch wenn dieser Fluchgeist schon länger sein Unwesen treibt, könnte jede weitere Stunde, die wir warten fatale Folgen haben, immerhin ist Hana in den letzten paar Wochen mehrfach in großer Gefahr gewesen. Die Angriffe scheinen immer häufiger und aggressiver zu werden, also sollten wir so schnell wie Möglich eine Lösung dafür finden."
      Ich merkte wie die lange Nacht mein gestriges kleines Abendbrot hatte verpuffen lassen, weswegen ich mich nun auch nicht lange bitten ließ und gierig Backfisch und Reis in mich hineinschob. Auf Schlaf verzichten war definitiv einfacher, als eine Mahlzeit ausfallen zu lassen.
      Nachdem Gojo endlich seine ungewohnte Schimpftirade beendet hatte, schien er wieder bereit sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. "Mhm", beantwortete ich seine frage mit einem Flüchtigen Nicken, bevor ich den letzten Bissen Reis hastig hinunterschluckte. "Ich habe bereits alle neuen Erkenntnisse an das Notebook gesendet, dass ich dir gestern geschickt habe", begann ich dann und beeilte mich mit dem nächsten Happen Reis. "Unser Albtraum-Fluchgeist muss schon mindestens 13 Jahre lang aktiv sein und Hanas Vater war der erste gewesen, der auf ihn angesetzt wurde. Allerdings konnte ich nur einen Eintrag dazu finden." Da Gojo im Moment weder sein Notebook zur Hand hatte und ich mit unserem Frühstück auch nicht zurück in mein stickiges Büro gehen wollte, schob ich meinem Gegenüber meine zusammengekritzelte Mindmap entgegen. Erst als es zu spät war, realisierte ich, dass ich dutzende kleine Zeichnungen darauf gebannt hatte, um die einzelnen Opfer darzustellen, während ich den potentiellen Albtraum-Fluchgeist als einen dunkle Monsterwolke verbildlicht hatte. "Ignorier... die Kritzeleien einfach...", murmelte ich, bevor ich meine Finger über die wichtigsten Aufzeichnungen wandern ließ. "Wie du siehst, ist Hanas Vater, Yamamoto Kenshin, nicht der einzige gewesen, doch auch bei all den anderen habe ich maximal zwei Einträge in der Akte finden können und von allen wurden die Namen gelöscht, außer von einem." Mein Finger wanderte über das Papier, während mich meine freie Hand regelmäßig mit frischem Reis belieferte. "Und noch vor einem Jahr sind alle Opfer recht jung gewesen und sie sind alle wieder aufgewacht. Außerdem konnte ich im Internet deutlich mehr Artikel finden, als in unseren Akten. Irgendwer scheint die Aufzeichnungen verfälscht zu haben." Den nächsten Reisbissen schluckte ich mit einer Portion Tee hinunter. "Doch vor einem Jahr änderte sich plötzlich alles, bis es vor ein paar Monaten Überhand übernahm, so das wir es einfach nicht mehr übersehen konnten. Doch die meisten älteren Opfer sind schon nicht mehr am Leben." Ich nahm meine Hand vom Zettel und richtete mich wieder gerade auf. "Wir sollten deinen Vorschlag noch heute in die Tat umsetzen. Sollte Hana wirklich etwas gegen Endless Dreamer unternehmen können, sollte sie heute noch diesen kleinen Jungen der Tasako-Familie aufsuchen, bevor es zu spät ist." Ich beeilte mich auch die Reste meines Frühstücks samt Tee in meinen Magen zu überführen und machte mich kurz darauf daran, den Tisch abzuräumen. "Am Besten wir sammeln die beiden jetzt gleich im Penthouse auf", während ich sprach schnappte ich mir die Reisetasche, die man mir zuvor übergeben hatte. "Scheinbar hat Hana ihre Wechselkleidung hier gelassen." Als nächstes rief ich uns beiden ein Taxi und hielt meine Begleitung zur Eile an. Erst als wir gemeinsam im Wagen saßen, bemerkte ich wie selbstverständlich ich davon ausgegangen war, dass er mitkommen würde... Dabei hatte ich ihn gestern am Liebsten noch abstechen wollen, nachdem er mich ungefragt auf meiner Mission verfolgt hatte...

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    • Hana Yamamoto

      Ich kniff meine Augen zusammen und bereitete mich emotional darauf vor, jeden Moment Bekanntschaft mit dem Boden unter uns zu machen. Doch zu meiner Überraschung kam fiel der Aufprall leichter aus, als erwartet. Nachdem ich mir vollkommen sicher war, dass ich mich nicht mehr im Flug befand und der Sturz geschehen war, öffnete ich langsam meine Augen. Perplex stellte ich fest, dass Nanami genau wie gestern in der Eishalle, über mir lag. Nur dieses mal hatte er auch seine Hand an meinen Hinterkopf gelegt, um mich vor größeren Verletzungen zu schützen. Im Normalfall hätte mich dieser Moment sicher zum Erröten gebracht, doch seine Worte brachten mich so sehr zum Schmollen, dass ich mir über unseren engen Körperkontakt keine Gedanken machen konnte. "Natürlich! Ich bin ja nicht immer so tollpatschig." Nanami fragte mich ob alles in Ordnung sei und ich nickte schnell. "Nichts passiert, dank dir." Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass wir beide von dem harten Boden aufstehen würden, doch aus irgendeinem Grund setzte sich der Blondhaarige nicht in Bewegung, sondern starrte auf mich hinab. "Nanami?", fragte ich und legte meinen Kopf ein wenig zur Seite, während ich fragend zu ihm hinauf sah. Endlich setzte er sich in Bewegung, behielt aber dennoch seine Hand an meinem Hinterkopf. Vielleicht traute er sich nicht loszulassen, aus Sorge, ich könnte beim Aufstehen erneut ausrutschen und hinfallen. Bei Gelegenheit sollte ich meine Tante darum bitten, ihm eine Gehaltserhöhung zu geben...
      Irgendwann schaffte es der Blondhaarige sich von mir zu lösen und wollte auch schon direkt wissen, warum ich schon so früh wach war. Die Frage konnte ich ihm nicht verübeln, so hatte er mich in den letzten Wochen doch eher als Schlafmütze kennengelernt. "Doch, habe ich", antwortete ich ihm auf seine Frage, nachdem wir beide endlich wieder auf unseren Füßen standen. "Ich glaube, ich war einfach so müde, dass ich direkt in die Tiefschlafphase gerutscht bin und dementsprechend weniger Schlaf brauchte", überlegte ich. "Jedenfalls fühle ich mich gut erholt. Aber was ist mit dir? War das neue Bett angenehm zum Schlafen oder sollen wir es noch mal austauschen?", fragte ich ihn. Zwar glaubte ich, dass die Einrichtung viel Komfort bot, aber vielleicht traf es doch nicht ganz Nanamis Geschmack und dadurch, dass er hier eine ganze Weile zubringen wird, sollte er sich auch wohlfühlen.
      "Wieso denn übertrieben?", wollte ich von ihm wissen und sah fragend zu ihm hinauf, als er schon in die Richtung der belegten Brote ging und diese begutachtete. "Nichts zu danken. Ich hoffe es schmeckt dir", lächelte ich und räumte noch schnell den Stuhl beiseite, von welchem ich vor nur wenigen Momenten gestürzt war. Währenddessen deckte Nanami schon mal den Tisch und wir konnten wenig später das leckere Frühstück verspeisen. Ich hatte Glück gehabt, denn offenbar schien das belegte Brot und der schwarze Kaffee genau seinen Geschmack zu treffen. Ich lächelte ihm entgegen. "Das freut mich zu hören." Ich hatte offenbar die richtige Entscheidung getroffen, ihm genau dieses Frühstück herzurichten.
      "Als meine Eltern gestorben sind, hat meine Tante mich bei sich aufgenommen. Ich habe mich anfangs in dem großen Anwesen nicht gut einleben können. Ich kam auch nicht gut damit zurecht, dass meine Tante so ganz andere Erziehungsmethoden hatte, als meine Eltern. Ich fühlte mich innerhalb der Familie etwas verloren, weshalb ich mich mit meinem Kindermädchen und den anderen Bediensteten angefreundet habe. Ich habe unserem Küchenchef gerne beim Kochen und Backen zugeschaut und durfte später auch mithelfen. So konnte ich mir einiges Aneignen, wobei ich den ersten Kontakt zur Küche durch meine Mutter gemacht habe. Sie war auch eine sehr gute Köchin und hat mir einiges beibringen können", erzählte ich, während mir bei dem Gedanken an meine Mutter ganz warm ums Herz wurde. "Irgendwann ist es aber aufgeflogen und meine Tante hatte alle Bedienstete abgemahnt und mir eindrücklich erklärt, dass ich meine Zeit ins Lernen investieren soll. Mein Terminkalender war als Kind auch schon recht voll, ich habe Benimm-Unterricht bekommen, musste neben Japanisch auch noch Englisch und Französisch lernen, habe Tanzstunden bekommen und wurde zusätzlich in den anderen Schulrelevanten Fächern unterrichtet. Außerdem habe ich heimlich an meinen Fähigkeiten als Sorcerin trainiert." Ich überlegte kurz, um mir meine angeeigneten Fähigkeiten als Köchin erklären zu können. "Ich glaube ich habe mir einfach die Zeit genommen. Es war etwas, worauf ich mich den ganzen Trag gefreut habe, darum ließ ich häufig meine Aufgaben liegen und hab mich einfach in die Küche geschlichen. Ich glaube ich war einfach ein Vergnügungssüchtiges Kind", grinste ich Nanami meine Antwort entgegen. Ich erinnerte mich an die unerträgliche Einsamkeit in meinem Herzen, die sich nach dem Tod meiner Eltern in mir breit gemacht hatte. Darum schien ich alles daranzusetzen, nicht alleine zu sein und umgab mich stets mit vielen Menschen. "Anfangs haben mich die Abmahnungen der Bediensteten sehr verschreckt und ich wollte nicht riskieren, dass sie gekündigt wurden, weshalb ich nicht mehr zu ihnen gekommen bin. Allerdings war ich irgendwann so gut mit meiner 'Lichtbruch-Technik', dass ich sie auch für kurze Zeit auf mich anwenden konnte. Das ist dieselbe Technik, mit der ich mein Schwert unsichtbar mache, damit ich es problemlos mit mir herumführen kann. Ich habe mich unsichtbar gemacht und unserem Koch heimlich beim Kochen zugeschaut. Das ist auch echt lange gut gegangen, aber genau deswegen sind meine Noten nicht besser geworden, weshalb sie mich beobachtete und auf frischer Tat ertappte. Du glaubst gar nicht wie wütend sie darüber war, dass ich noch immer an meinen Fähigkeiten trainierte und mich über ihre Befehle hinwegsetzte", grinste ich Nanami entgegen. Allerdings wich meinem Grinsen einem etwas bedauerndem Lächeln auf meinen Lippen. "Allerdings war der Preis den wir alle zahlen mussten, sehr hoch. Alle Bediensteten mit denen ich mich gut verstanden hatten, wurden fristlos gekündigt und meine Tante sperrte mich eine Woche lang in meinem Zimmer ein und verbot mir jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Onkel Shingen konnte sich das ganze aber nicht mit ansehen und ist Abends heimlich zu mir gekommen, um mir eine gute Nacht Geschichte vorzulesen. Ren hatte mir damals heimlich ein paar Süßigkeiten durch das Fenster geworfen und Takumi verbrachte Stunden vor meiner Tür und hat dort mit seinen Spielzeugautos gespielt und wir haben zusammen über die Zukunft geredet und darüber, dass er Astronaut werden möchte." Ein warmes Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit, als ich an die selbstlosen Taten der drei Männer zurückdachte. "Nach dieser Woche lernte ich das neue Personal und mein neues Kindermädchen kennen. Ich verstand mich mit ihnen so schlecht, dass ich nicht mehr das Bedürfnis hatte, mehr zeit mit ihnen zu verbringen, weshalb ich mich auf meine schulischen Aufgaben konzentrieren konnte. Aber scheinbar ist noch einiges von damals hängen geblieben", grinste ich nun wieder. "Ah, sorry! Die Geschichte hat dich sicher gelangweilt", entschuldigte ich mich mit einem schiefen Lächeln.


      Satoru Gojo

      "Oi, oi, oi. Hat man dir nicht beigebracht, dass man mit Stäbchen nicht auf Menschen zeigt?" Ich seufzte kurz. "Ich versteh deine Sorge, um deine Schülerin. Aber du scheinst vergessen zu haben, dass Nanami bei ihr ist. Er ist ein hervorragender Sorcerer und würde eher sein eigenes Leben opfern, als dabei zuzusehen, wie Hana-chan von einem Fluchgeist verletzt wird. Ihm ist die nächste Generation wichtiger als sein eigenes Leben. Er müsste sich nicht mal gut mit ihr verstehen und trotzdem würde er Hana-chans Leben priorisieren. Solange sie bei ihm ist, wird ihr ganz sicher nichts geschehen. Außerdem wird sie sich nur Sorgen machen, wenn sie hört, dass sich ihre Freundin die Nächte um die Ohren schlägt. Du magst zwar gut darin sein, deine Müdigkeit vor anderen zu verstecken, aber du solltest Hana-chans wachsame Augen nicht unterschätzen", sprach ich nun doch ungewohnt ernst. Just in diesem Moment erinnerte ich mich an das Gespräch mit der Blondhaarigen, dass ich mitten in der Nacht mit ihr geführt hatte. Sie hatte sofort eins und eins zusammenzählen können und wusste direkt, dass mich etwas beschäftigte.
      "Seit 13 Jahren?", fragte ich Kimatsu nun doch etwas überrascht. Das war ein langer Zeitraum. Doch noch mehr überraschte mich die Tatsache, dass es Hanas Vater war, der auf diesen Fluchgeist angesetzt wurde. "Erst stirbt ihr Vater und dreizehn Jahre später hat man es auf seine Tochter abgesehen? Das kann kein Zufall sein", überlegte ich laut. Ich überlegte welche Ursachen dieser Hexenjagd zur Grunde liegen könnten. War es Rache? Besaß diese Familie etwas, dass diesem Fluchgeist gefährlich werden könnte oder hatten sie etwas in ihrem Besitz, dass er für seine Pläne gebrauchen könnte?
      Meine Gedanken wurden von Kimatsu unterbrochen und sie reichte mir ihre Mindmap, die sie wohl gestern Abend angefertigt hatte. Mit Überraschung musste ich vorstellen, dass sie junge Frau ein großes Talent für die Malerei besaß. Prompt fragte ich mich, ob sie noch mehr ungeahnte Talente hatte, von denen ich nichts wusste. Jedes Mal wenn ich glaubte, sie besser zu kennen und gut einschätzen zu können, bewies sie mir das Gegenteil und überraschte mich mit etwas komplett Neuem.
      Ich grinste ein wenig. "Hatte da jemand Langeweile oder warum hast du die Teletubbies und ein Spaghettimonster dahin gemalt?", neckte ich sie. Natürlich waren ihre Zeichnungen deutlich genug und ich konnte perfekt erkennen, was sie darstellen sollten, aber dies hielt mich trotzdem nicht davon ab, die junge Frau ein wenig damit aufzuziehen, zumal es ihr ohnehin ein wenig unangenehm schien, mir eben diese zu präsentieren. "Wenn du willst kann ich das nächste mal für dich als Model stehen", sprach ich und ging direkt in Pose, wobei ich meine Augenbinde abnahm und ihr meine Augen präsentierte. Ich machte zu dem einen kleinen Schmollmund und setzte einen übertriebenen flirteten Blick auf.
      Nachdem ich die Weißhaarige dann endlich genug geärgert hatte, legte ich mir meine Augenbinde wieder an und konzentrierte mich auf ihre neuen Erkenntnisse. "Das klingt fast danach, als sei der Fluchgeist stark gewachsen", bemerkte ich auf ihre Worte hin. "Es ist seltsam, dass es erst so überhand nehmen musste, bis man die ganzen Opfer zueinander in Verbindung setzen konnte. Außerdem stimmt irgendwas mit den Akten nicht. Irgendjemand muss sie manipuliert haben. Ich glaube nicht dass der Fluchgeist in den Akten dazu in der Lage ist, darum wird er sich sicherlich mit jemandem zusammengeschlossen haben, der das für ihn organisieren kann. Entweder ein Sorcerer mit einer hohen Sicherheitsfreigabe oder ein Fluchgeist mit manipulativen Fähigkeiten. Beides keine sonderlich angenehmen Vorstellung, wenn du mich fragst." Ich stimmte Kimatsus Vorschlag zu und beendet genau wie sie mein Frühstück, ehe ich mich erhob und der jungen Frau die Reisetasche abnahm. "Lass mich das machen", meinte ich, ohne ihr eine Begründung zu liefern.
      Kimatsu kümmerte sich um eine Mitfahrgelegenheit und wir mussten auch nicht lange auf einen der Assistenzaufseher warten. „Du solltest Hana-chan vielleicht eine Nachricht schreiben, dass wir auf dem Weg zu ihnen sind“, erinnerte ich Kimatsu, während wir in den Wagen stiegen und von einem der Assistenzaufseher zu unserem Ziel gefahren wurden.
      Beim Penthouse angekommen, klingelten wir brav vor der Eingangstür, ehe uns wenig später aufgemacht wurde. Wir fuhren ins oberste Stockwerk, wo bereits Hana an der Tür auf uns wartete. Etwas verwundert stellte ich fest, dass sie nichts weiter als einen schwarzen Hoodie in Übergröße trug. Ich hatte sie bisher noch nie in einer solchen Aufmachung gesehen, jedoch fiel mir wieder ein, dass die beiden gestern im strömenden Regen angekommen waren. Vermutlich waren ihre Sachen noch nicht trocken gewesen. Es war also die richtige Entscheidung, ihre Tasche mitzunehmen. „Matsu!“ Der blonde Flummi warf sich stürmisch in die Arme ihrer Freundin und schmiegte sich wie ein verspieltes Kätzchen an meine Begleiterin. Und was war mit mir?
      „Hey, ich hab‘ dir deine Tasche mitgebracht“, unterbrach ich die beiden. Hana sah zu mir auf und ihre Augen weiteten sich, ehe sie erst leichenblass wurde, nur um anschließend rot wie eine Tomate anzulaufen.
      „Vielen Dank!“ Mit diesen Worten wich sie schnell meinen Blicken aus und nahm mir das Gepäckstück ab, ehe sie kurz darauf im Gästebad verschwand, um sich herzurichten. "WIR MACHEN EINEN AUSFLUG, VERSTECK DICH ALSO GUT", rief ich ihr hinterher. Kann sich ja nur um Stunden handeln…
      Kimatsu und ich traten in die Wohnung ein und ich sah mich ein wenig eingeschnappt um. Vielleicht hätte ich gestern Abend doch mitkommen sollen. Dann hätte dieses Penthouse mir gehört und nicht Nanami. Er mochte vielleicht aufgrund seiner Arbeit im Büro bessere Referenzen haben als ich, aber meinem Charme konnte niemand widerstehen. Auf der anderen Seite war ich nicht besonders scharf darauf, einen 9 to 5 Job zu beginnen, bei dem ich mich auch noch um Hanas Arbeit kümmern musste. So gesehen war der Blondhaarige also nicht zu beneiden. Doch das Penthouse hätte ich trotzdem gerne.
      Mein Blick wanderte zu Nanami, der ebenso in seiner Schlafkleidung vor uns stand. "Wir glauben einige Verbindungen zu einem Fall gefunden zu haben, den Hanas Vater vor 13 Jahren angenommen hat. Eventuell ist dieser unabgeschlossene Fall Grund für seinen Tod und die Attentate auf Hana. Wir fahren ins Krankenhaus zu einem der Opfer und schauen, ob Hanas Fähigkeiten irgendwas mit dem Fall zu tun haben könnten", erklärte ich dem Blondhaarigen ungewohnt ernst. "Sag ihr nicht, dass der Fall in Verbindung zu ihrem Vater steht." So wie ich Nanami konnte, musste ich ihm das nicht extra sagen. Er wusste schon wie er mit dem Golden Retriever sprechen musste, ohne dass sie sich zu viele Sorgen machen würde. Sollten sich unsere Vermutungen allerdings bewahrheiten, sollten wir Hana trotzdem irgendwann die Wahrheit sagen. Allerdings wollte ich sie nicht verunsichern, solange wir noch keine klaren Beweise dafür hatten. "Du solltest dich auch umziehen gehen, es sei denn du möchtest von den Krankenschwestern als Patient der Geschlossenen betrachtet werden", grinste ich ihm frech entgegen.
      Nach einer Weile kam Hana fertig gestylte zu uns zurück und. Diesmal trug sie eine schwarze enge Hose, einen schwarzen Rollkragenpullover, schwarze Boots und eine ebenso schwarze Lederjacke. Ihr geschminktes Gesicht verbarg sie unter eine medizinischen Maske und die blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Den blonden Schopf verbarg sie unter einer schwarzen Capi. Sie legte kam auf uns zu und legte sich währenddessen ihr Schwert um, welches sie noch im selben Moment unsichtbar werden ließ. Als dann alle soweit waren, machten wir uns auf Richtung Auto. „Was genau machen wir jetzt eigentlich?“, fragte Hana, nachdem wir in das schwarze Gefährt gestiegen waren und uns auf den Weg ins Krankenhaus machten. „Wir wollen eine Theorie überprüfen“, erklärte ich der jungen Frau. „Es gibt Hinweise darauf, dass der Fluchgeist, der für die endlosen Träume der Menschen verantwortlich ist, seine Energie aus der Dunkelheit zieht. Darum wollen wir testen, ob deine Fluchtechnik dem irgendwie entgegenwirken könnte“, versuchte ich ihr das ganze so einfach wie möglich zu erklären. Sie schien etwas überfordert mit dem Vorhaben. „Aber es hat nicht mal Ieiris umgekehrte Fluchtechnik ausgereicht, um etwas zu bewirken“, erklärte sie ihre Zweifel. Ich winkte ab. „Mach dir deswegen keine Gedanken. Du kannst das eine nicht mit dem anderen vergleichen." Hana schien noch immer nicht hundertprozentig überzeugt zu sein, doch immerhin wehrte sie sich nicht gegen unser Vorhaben.
      Nach einer längeren Autofahrt kamen wir endlich beim Krankenhaus an und fragten direkt an der Rezeption nach der Zimmernummer des kleinen Jungen, ehe wir uns genau dorthin aufmachten. "Er ist nicht alleine", bemerkte ich, als wir vor der Tür standen. Anstandshalber klopfte ich an das Holz und wartete auf unseren Einlass.
    • Kento Nanami

      Zum Glück schien ihr frühes Erwachen nichts mit Alpträumen oder unangenehmen Gedanken zu tun und wenn ich ehrlich war, wirkte sie heute sogar noch strahlender als gestern Abend. Also beschloss ich ihren Worten Glauben zu schenken und freute mich umso mehr auf das gemeinsame Frühstück. Als ich offen kommunizierte, wie gut ihr dieses gelungen war, verwandelte sich die junge Frau mir gegenüber mehr denn je in strahlenden Sonnenschein. Das solch kleines Lob solche Freude in ihr auslöste... Vielleicht sollte ich mir angewöhnen ihr häufiger Komplimente zu bereiten, schließlich war ihr Lächeln ein weitaus schönerer Anblick, als die verbissene Miene die sie gestern bei ihrer Tante zur Schau getragen hatte.
      Ich hatte nicht erwartet eine solch ausführliche Antwort auf meine Frage zu erhalten und dennoch hörte ich ihr geduldig zu. Während es wirklich schön war, etwas mehr über den quirligen Flummi zu erfahren, der deutlich mehr Facetten in sich trug als zunächst angenommen, so wütend und betroffen machte mich ihre Geschichte auch. Ich versuchte mir nichts dieser Emotionen anmerken zu lassen, während ich mich eher darauf konzentrierte, meine Laune mit dem köstlichen Sandwich zu heben... leider gelang das nur in Teilen.
      Über den Tod ihrer Eltern war ich auch zuvor schon informiert gewesen, auch hörte ich nicht zum ersten Mal, dass Yamamoto daraufhin bei den Watanabes untergekommen war, allerdings... Ich hatte Watanabe Akane und ihre zwanghaften Kampf für Perfektionismus eindeutig unterschätzt. Dabei hatte ich natürlich nichts dagegen, wenn die Frau sich eben diese Standards selber auferlegte, aber ihrer eigenen Nichte? Einem Kind, dass noch dazu gerade ihre Eltern verloren hatte? Sollte das wirklich noch immer irgendeine Form von fehlgeleiteter Liebe sein, oder war es schlichtweg ihr Ziel gewesen, Yamamoto in ihre folgsame Puppe zu verwandeln? Der gerade noch so frische Geschmack des Sandwiches in meinem Mund wurde zunehmend bitter.
      Ob sie mit ihren Söhnen genauso umging? Sollte dem so sein, hatte sie offenkundig drei unschuldigen Kindern ihre Jugend geraubt... Sie hatte ihrer Nichte verboten Sorcerin zu werden, verhielt sich aber selbst kaum anders, als all die verbissenen alten Sorcerer-Clans die ihren Jüngsten all die Lasten der Welt auf die Schultern legten.
      Es war faszinierend, wie Yamamoto es schaffte, all dies mit einem Lächeln zu berichten. Allerdings konnte ich erkennen, dass eben dieses gegen Ende immer mehr Brüche erhielt. Wahrscheinlich gab sie sich allein die Schuld dafür, was mit den Bediensteten geschehen war. Dabei hatte sie sich nur selbst verwirklichen wollen.
      "Es ist nicht langweilig", meinte ich sofort in ruhigen Ton und wischte mir die Finger an einer Serviette ab, nachdem ich auch den letzten Bissen Sandwich hinuntergeschluckt hatte. "Kein bisschen. Und du warst ganz sicher nicht 'vergnügungssüchtig'!" Ich merkte wie meine Stimme lauter wurde und räusperte mich kurz. Das hier war nicht der richtige Zeitpunkt, um laut und emotional zu werden. "Du warst ein Kind, dir hätte all die Zeit und Freude zugestehen sollen, die das Leben zu bieten hat. Es gibt keinen Grund sich für deine Wünsche zu schämen oder gar schuldig zu fühlen." Wieder merkte ich wie ein Kloß aus Rage meine Kehle hinaufkletterte, während ich mir den kleinen Blondschopf dabei vorstellte, wie sie einsam und allein in einem Zimmer eingesperrt war und um all die Menschen bangte, die ihre rechthaberische Tante aus dem Anwesen geworfen hatte. Ich hätte gestern nicht so höflich zu diesem elenden Weibsbild sein sollen... Ich schluckte die neue Wut mit etwas Kaffee hinunter und fixierte die grünen Edelstein-Augen vor mir. "Die Einzige, die sich für ihr Handeln schämen sollte, ist deine Tante, die dir eine falsche Form von Liebe aufgezwungen hat, ohne dich ein einziges Mal nach deiner Zustimmung zu fragen." Ähnlich wie gestern Abend lag meine Hand auf ihrem Kopf, bevor ich mir dessen wirklich bewusst werden konnte. Nachdem sie ihre Haare gestern gewaschen hatte, fühlten sie sich noch weicher an, als in meiner Erinnerung. Ob das der Grund dafür war, dass ich dieses Mal deutlich länger braucht, um meine Finger von ihren weichen Locken zu lösen? Letztendlich legte sich meine Hand aber wieder brav auf die Tischplatte, ohne dass ich meinen Blick von der Sorcerin löste.
      "Eine Sache wundert mich allerdings. Wenn deine Tante schon damals so strickt gegen deine Ausbildung als Sorcerin gewesen war, wie hast du dann je die Erlaubnis erhalten auf die Jujutsu-High zu gehen?" Tatsächlich schwirrte diese Frage schon seit gestern Abend durch meinen Schädel, nachdem ich Frau Watanabe und ihre Ansichten etwas näher hatte kennenlernen "dürfen". Außerdem fragte ich mich nun mehr denn je, wie es Hashisawa gelungen war, die strenge CEO für sich zu gewinnen und wie die werte Dame wohl irgendwann reagieren würde, sollte sie herausfinden, dass ihre wertvolle Nichte doch noch als Sorcerin tätig war. Zumindest konnte ich nun mehr den je verstehen, warum mir Hashisawa so intensiv eingetrichtert hatte, vor Frau Watanabe kein Wort über meine Job zu verlieren.

      Nach unserem stärkenden Frühstück half ich meiner liebreizenden Köchin dabei, den Abwasch in die Spülmaschine zu räumen und wunderte mich gemeinsam mit ihr darüber, dass sich Hashisawa für einen Besuch anmeldete. Beziehungsweise schien sie irgendeine Mission mit uns zu planen? Außerdem wollte mir die Formulierung in ihrer Nachricht nicht ganz gefallen: Wir sind gleich da. Wieso "wir"? Sie hatte doch nicht wirklich den weißhaarigen Freak mit dem Hang zur Selbstdarstellung mitgeschleppt, oder? Sollte der nicht eigentlich immer noch piano spielen und sich möglichst bedeckt halten? Gleichzeitig war es mir schmerzlich bewusst, dass man ihn wahrscheinlich nicht einmal mit Stahlketten in der Wohnung festhalten könnte und akzeptierte einfach mein Schicksal, dass unaufhaltsam auf mich und mein neu erobertes Penthouse zurollte.
      Nur wenige Minuten später klingelte besagtes Schicksal auch schon verheißungsvoll an der Tür. Irgendwie verfluchte ich die Überwachsungskamera dafür, dass sie mir jetzt schon Gojos maskiertes Gesicht präsentieren musste und hoffte darauf, dass der Aufzug im zwanzigsten Stock stecken bleiben würde... Allerdings würde ich danach wohl nur Mitleid mit Hashisawa bekommen, die auf engsten Raum mit diesem Kerl eingesperrt werden würde. Also gab ich mich geschlagen und begrüßte die Neuankömmlinge mit der gebotenen Höflichkeit. Hana hingegen hatte deutlich mehr Emotionen zu bieten und grinste den beiden freudig entgegen. Ihrer Freundin lag sie kurze Zeit später sogar schon in den Armen und ich wollte Gojo spontan die verdeckten Augen ausstecken, als diese kurz verwundert über die leichte Bekleidung der Blondine huschten. Halt... Ich wollte was? Gut, es gab dutzende Situationen in denen ich noch viel schlimmeres mit der wandelnden Nervensäge anstellen wollte, aber... ich wusste genau, dass er niemals irgendwelche niederträchtigen Gedanken gegenüber der jungen Frau aushecken würde und dennoch störte mich schon dieser kurze Blick. Und aus einem noch seltsameren Grund wollte es mir nicht zusagen, dass die Kleine kurze Zeit später rot anlief, wie eine überreife Tomate. War sie mir gegenüber gestern auch so unendlich verlegen gewesen? Nein... sie hatte sich für ihre Erscheinung entschuldigt, aber ich konnte mich nicht entsinnen auch nur ein einziges Mal diese roten Wangen an ihr gesehen zu haben. Ich hatte gewusst, dass Yamamoto Gojo praktisch verehrte und es sollte mich auch nicht wundern, dass sie eventuell noch andere Emotionen für ihn in sich trug... und dennoch wollte mir eben dieser Gedanke absolut nicht zusagen.
      Kurz haftete mein Blick noch auf der Tür des Gästebads, in welchem der blonde Flummi soeben entschwunden war, dann zwang ich mich dazu, meinen Fokus auf Gojo und Hashisawa zu legen. Es kam selten vor, dass der notorische Quatschkopf eines Sorcerers mal einen ernsten Tonfall anlegte, entsprechend schnell begriff ich also, wie prekär die Lage sein musste. Seine Erklärung war dabei alles was ich im Moment brauchte, auch wenn ich zunächst nicht genau wusste, was ich mit dieser mächtigen Information anfangen sollte. Hatte Yamamoto mir nicht erzählt, ihre Eltern wären bei einem Unfall ums Leben gekommen? Doch nun sollte der gleiche Fluchgeist dahinter stecken, welcher es nun auf sie abgesehen hatte?
      "Ich habe dir eine Datei aufs Handy gesendet", fügte Hashisawa nun mit einem Blick zum Badezimmer hinzu. Auch ihr schien es äußerst wichtig zu sein, dass ihre Freundin nichts von all diesen neuen Erkenntnissen erfuhr. "Bitte achte darauf, dass Hana nichts davon zu Gesicht bekommt, aber dort kannst du alle wichtigen Eckpunkte einsehen, die ich zu diesem Fall zusammentragen habe können."
      Ich nickte verstehend und zog mein neues Mobiltelefon aus meiner dunklen Pyjama-Hose und verschob die frisch erhaltene Datei in einen passenden Order. Danach strafte ich Gojo noch mit einem genervten Blick, nachdem er sich einen Kommentar über meine Kleidung nicht hatte verkneifen können und kam dann dennoch recht zügig seinem Vorschlag nach. Wenn die beiden Recht hatten, sollten wir wirklich keine unnötige Zeit mit langen Diskussionen verschwenden. Wer wusste schon wie viel Zeit diesem Jungen noch blieb?
      Meine heutige Garderobe unterschied sich kaum von meiner sonstigen. Ein simples Blaues Hemd, zu einer grau-braunen Anzughose und meiner stets-geliebten Krawatte. Meine stumpfe Klinge verschwand unter dem farblich abgestimmten Sacko. Zuletzt richtete ich noch Kragen und Hemdärmel, bevor ich zum Wohnzimmre zurückkehrte. Yamamoto verbrachte noch ein paar Momente länger im Badezimmer, nur um später als düsterer Punk wieder aufzutauchen. Es war interessant zu beobachten, welche Taktiken die junge Berühmtheit anwendete, um sich vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen und auch wenn sie in diesem Outfit eine komplett andere Aura verströmte, befürchtete ich, dass sie ihre Schönheit dennoch nicht ausreichend würde verbergen können. Alleine die leuchtenden Smaragdaugen würden sie wohl früher oder später verraten. Allerdings war das im Moment nicht wichtig. Wir hatten eine Aufgabe zu erledigen. Irgendwie gefiel es mir zwar nicht, dass die Kleine damit eventuell mehr denn je in die Schussbahn unserer Feinde geraten könnte, aber wahrscheinlich war es für diese Sorge eh schon zu spät. Und wenn Gojos und Hashisawas Theorie tatsächlich stimmen sollte, könnten bald schon dutzende Leben gerettet werden.

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    • Kimatsu Hashisawa

      "Ich habe sicher nicht vergessen, dass Nanami an ihrer Seite ist und ich vertraue auch auf ihn und seine Fähigkeiten, aber du lässt es geradewegs so klingen, als sollte ich froh darüber sein, wenn er sein Leben für Hana aufgibt." Energisch schüttelte ich den Kopf nach links und rechts. "Wenn ich es verhindern kann, will ich dass keiner der Beiden in Gefahr gerät und am liebsten wäre es mir auch, wenn es gar keine Notwendigkeit dafür gäbe, Hana zu beschützen." Zudem wäre ich im Endeffekt Schuld daran, sollte Nanami bei seiner Arbeit tatsächlich umkommen. Eigentlich sollte es mein Job sein, auf Hana acht zu geben. Dass hatte ich Frau Watanabe vor Jahren versprochen und nun wälzte ich meine Aufgaben einfach an den nächstbesten ab... Ich wollte keinen der Beiden in einer Gefahr wissen, die ich eventuell auch abwenden hätte können.
      Gleichzeitig wunderte ich mich immer noch darüber, wie Gojo sich vor mir beinahe aufregte und versuchte mir ins Gewissen zu reden. Wer hätte gedacht, dass dieser Kerl in der Lage war, sich seines Alters entsprechend zu verhalten, allerdings wollte ich nicht zu lassen, dass er mich wie ein kleines Kind behandelte, dass strenger Erziehung bedurfte. Also ignorierte ich seine weiteren Worte zu meiner durchzechten Nacht und schenkte ihm erst wieder Aufmerksamkeit, als er sich den wichtigen Themen widmete. "Das habe ich mir auch schon gedacht", entgegnete ich, als der Weißhaarige eine Verbindung zwischen Yamamoto Kenshins Tod und den aktuellen Geschehnissen zog.
      Ähnlich wie gestern Abend, spürte ich regelrecht wie wir direkt auf Augenhöhe miteinander reden konnten. Ich musste ihm meine Gedankengänge nicht lange erklären, damit er sie verstand und er zog bald schon die gleichen Schlüsse, die auch meine Gehirnwindungen durchzogen hatten... Ich würde es nie offen zugeben, aber diese Arbeit zusammen mit ihm machte irgendwie... Spaß. Nun ja... bis zu dem Punkt, an dem er sich über meine künstlerischen Talente lustig machte. Ich musterte ihn mit kalten Augen, während mir eine Sekunde später seinen himmelblauen Seelenspiegel entgegenglitzernden. Wieder musste ich zu meinem eigenen Verdruss feststellen, dass dieser Mann unangenehm gutaussehend war und diese perfekten Augen umrahmt von silbern glänzenden Wimpern machten es nicht besser. Dennoch ließ ich nicht zu, dass er mich seinem Augengeklimper überrumpelte. "Da zeichne ich doch lieber ein echtes Spaghetti-Monster und auch die dämlichen Teletubbies sind im Vergleich zu dir immerhin noch niedlich." Um mich nicht unnötig in seinen Augen zu verlieren senkte ich meine eigenen zurück auf das Blatt Papier. Waren die Kritzeleien den wirklich so misslungen? Ja, ich hatte sie in der Nacht nur halbherzig auf das Papier geklatscht und sie gehörten ganz sicher nicht zu meinen größten Errungenschaften, aber ich bildete mir ein, dass sie zumindest gut als das zu erkennen waren, was sie darstellen sollten. Ich schüttelte milde den Kopf. Warum machte ich mir überhaupt etwas aus den Worten dieses Quatschkopfes? Selbst wenn er die Zeichnungen okay gefunden hätte, hätte er mir das wahrscheinlich nie gesagt...
      Ich verwarf die dämlichen Überlegungen aus meinen Gedanken und konzentrierte mich wieder auf das Wesentliche. "Du hast Recht, wobei ich nicht hoffen möchte, dass jemand aus unseren eigene Reihen in den Unterlagen herumgepfuscht hat." Doch wenn ich ehrlich war, wirkte eben diese Erklärung beinahe schon plausibler. Selbst wenn ein Fluchgeist intelligent und geschickt genug gewesen sein sollte, in unsere Datenbank vorzudringen, hätte dass dann nicht schon viel früher bemerkt werden sollen? Immerhin waren all unsere Systeme und Schutzwälle darauf angelegt, vor allem Eingriffe von Außen zu erkennen. Doch wenn es um Angriffe von Innen ging... Außerdem erschien es fragwürdig, dass so ein mächtiges Monster sich über dreizehn Jahre lang bedeckt hielt, bevor es endlich richtig in Aktion trat. Nein, da mussten andere Hände im Spiel gewesen sein. "Vielleicht kann uns dieser Talkon, Marios weiter helfen. Leider habe ich keine nennenswerten Informationen zu ihm gefunden. Ich glaube auch, dass er nicht aus Japan stammt. Aber ich habe Ieiri bereits eine Nachricht geschrieben. Vielleicht weiß sie genaueres." Egal wer dieser Mann auch sein mochte, wahrscheinlich war er der Einzige, der uns genaue Antworten geben könnte. Natürlich nur, solange er auch noch am Leben war...
      Da ich bisher noch nicht in der Lage war, dieser Frage nachzugehen, war es an der Zeit sich auf die Dinge zu fokussieren, die in meiner Macht standen. Auch Gojo schien voller Tatendrang zu stecken und überraschte mich sogar für einen Moment, als er mir unvermittelt Hanas Reisetasche aus den Händen fischte. "Wow", ich versuchte meine Verwunderung nicht einmal zu verstecken. "Es steckt also tatsächlich ein kleines Fünkchen Gentleman in dir." Etwas beeindruckt legte ich den Kopf zur Seite. "Danke. Allerdings hättest du dir die Mühe nicht machen müssen, so schwer ist die Tasche nun wirklich nicht." Trotzdem zettelte ich keinen kindischen Kampf an, bei dem ich versuchte ihm den Henkel zu entreißen, sondern machte es mir stattdessen zur Aufgabe alle Türen in unserem Weg zu öffnen. Im Wagen angekommen informierte ich Hana mit einer kurzen Nachricht über unser Erscheinen und sendete Nanami unsere Erkenntnisse in einer verschlüsselten Datei zu.
      Wenige Minuten später standen wir schon vor dem hohen Wohngebäude an dessen Spitze eine riesige Penthouse-Wohnung thronte. Nachdem Frau Watanabe vor drei Jahren erfahren hatte, dass ich neben der Wohnung an der Schule nur noch eine schlichte Dreizimmerwohnung mein Eigen nannte, hatte sie mir einmal versucht, eben dieses Apartment zu schenken. Ich hatte damals höflich abgelehnt und war bis heute froh mit dieser Entscheidung. So schön wie die Wohnung da oben auch sein mochte, genoss ich die gemütliche Enge meiner Wohnung. Es gab kaum einen Platz in dem ich mich wohler fühlte als in meinem sonnendurchfluteten Atelier, das mir genau genug Platz gab, um meine Kunst ausleben zu können. Umso glücklicher machte es mich, dass mein Verzicht von damals nun ermöglichte, dass Nanami diesen freien Platz beziehen konnte, vor allem da die Wohnung nah der Akademie gelegen war.
      Der Aufzug brachte uns in Windeseile nach Oben, dort angekommen wurde ich von einer strahlenden Hana empfangen, welcher ich auch umgehend ein feines Lächeln schenkte. Es war erleichternd sie in solch einer guten Stimmung zu erleben, nachdem ich sie gestern praktisch im Löwenkäfig zurückgelassen hatte. Auf Nanami war offenkundig wieder mal Verlass gewesen, weswegen ich auch ihm einmal kurz lächelnd und stumm dankend zunickte. "In diesen Sachen verkühlst du dich doch noch", bemerkte ich nun an Hana gewandt und musterte ihren nackten Beine. "Halt... hast du dich gestern also doch verbrüht?" Besorgt zuckten meine Finger zu der geröteten Stelle an ihrem Oberschenkel.
      "Wir haben es gestern Abend noch versorgt", warf Nanami schnell ein. "Die Rötung ist schon deutlich abgeklungen."
      Hieß das etwa, dass es gestern noch schlimmer ausgesehen hatte? Ich wusste nicht, ob ich Hana tadeln sollte oder nicht, schließlich hatte sie ihre Verbrennung gestern heruntergeredet. Gleichzeitig wusste ich, dass sie eh nicht weiter auf mich hören würde und beschloss einfach ein weiteres Mal für Nanamis Fürsorge dankbar zu sein.
      Wenig später verschwand die junge Frau schließlich im Gästebad und schmiss sich in angemessene Kleidung. Gojo und ich nutzen die Chance, um Nanami die Lage zu erklären. Wie erwartet nahm der erfahrene Sorcerer die neuen Informationen mit Fassung auf und ich zweifelte auch nicht daran, dass er eben diese vor Hana verbergen würde. Irgendwie bereitete es mir zwar Unbehagen, den quirligen Sonnenschein zu belügen, aber solange ich meine Vermutungen nicht untermauern konnte, wollte ich keine alten Wunden aufreißen. Das Mädchen hatte schon mit genug Hürden in ihrem Leben zu kämpfen, dieser Fall hier sollte keine weitere werden.
      Ein paar Minuten später saßen wir alle vier im Wagen und Gojo belieferte Hana mit den wichtigsten Eckpunkten unserer heutigen Mission. Sie wirkte zunächst skeptisch, aber ich war mir sicher, dass sie es deswegen nicht weniger versuchen würde. Knapp eine Stunde später erreichen wir endlich das Krankenhaus, in welchem ich prompt meinen allgemeingültigen Ausweis samt Sonderrecht vorzeigte und mir den Weg zum Krankenzimmer des Tasako-Jungen zeigen ließ.
      "Er ist nicht alleine."
      Gojos Bemerkung ließ mich kurz innehalten. Manchmal können seine Augen tatsächlich recht praktisch sein, stellte ich stumm fest und schob mich in vorderste Front, nachdem er angeklopft hatte.
      "Wer sind Sie?"
      Mein Verdacht trübte mich nicht, als ich einem Paar mittleren Alters gegenüberstand. Die Eltern des Jungen, welche ich vor einigen Wochen schon einmal getroffen hatte. Ich konnte Verwunderung und Skepsis in den müden und erschöpften Augen der beiden erkennen und beschloss mich zunächst einmal mit einer höflichen Verbeugung vorzustellen. "Entschuldigen Sie unser plötzliches Erscheinen. Mein Name ist Hashisawa Kimatsu und das sind meine Kollegen." Mit einer kurzen Handbewegung deutete ich auf meine Begleiter. Dann reichte ich den beiden höflich meine Ausweis entgegen. "Wie sie sehen, sind wir Teil einer Spezialbehörde, die sich mit Fällen beschäftigt, die außerhalb der Fähigkeiten von Polizei und Staat stehen."
      Zögernd nahm der Mann mir den Ausweis ab und musterte ihn für einen Moment. "Ich... habe Sie schon einmal gesehen, vor ein paar Monaten. Sie haben sich meinen Sohn schonmal ansehen wollen. Aber Sie hatten keinen Erfolg."
      Ich nickte langsam. "Sie haben Recht, aber wir glauben einen neuen Anhaltspunkt gefunden zu haben."
      Die beiden musterten sich skeptisch, dann legten sich ihre Augen wieder auf mich, wanderten kurz über meine drei Begleiter, bevor sie wieder an mir hafteten. "Und auch dieses Mal dürfen wir wohl nicht im Raum bleiben?"
      Ich nickte sanft. "Ja, leider. Es tut mir leid. Aber ich verspreche Ihnen, dass wir nur das Beste für ihren Sohn wollen."
      Frau Tasako stieß ein Seufzen aus und nickte langsam. "Mein Sohn wird mit jedem Tag schwächer... Wenn es auch nur die leiseste Chance geben sollte, dass er wieder aufwacht, möchten wir diese ergreifen." Zittrige und kalte Finger legten sich flehend um meine Hände. "Bitte versuchen Sie alles, um meinen Sohn zu retten."
      Ich pinselte mir ein weiches Lächeln auf die Lippen. "Ich werde nichts unversucht lassen, Tasako-san. Versprochen."
      Tränen der Verzweiflung und Hoffnung sammelten sich in den müden Augenwinkeln der Mutter, bevor sie und ihr Mann beschlossen, den Raum zu verlassen. Ich wartete noch ein paar Sekunden, bevor ich Hana zunickte. "Lass deine Magie wirken."
      Ich glaubte immer noch Skepsis in ihren Augen ausmachen zu können, aber lange bitten ließ sich die junge Sorcerin dennoch nicht. Ich wusste, dass sie alles tun würde, um dieser jungen Familie helfen zu können und so beobachte ich gespannt ihre Bewegungen. Ihre Hand legte sich sanft auf die Augen des Kindes, wenige Momente später durchdrang Hanas Fluchkraft das Zimmer und legte einen feinen Heiligenschein um den Kopf des Jungen. Die gesamte Prozedur war schneller beendet als erwartet, als die Finger des Kindes plötzlich zu zucken begannen. "Schaut!", meinte ich erstaunt und huschte auf die andere Bettseite, um das Gesicht des Jungen genauer betrachten zu können. "Er wacht wirklich auf!"
      Mein Herz schlug mit jeder Sekunde höher. Hatten wir also wirklich die Heilung für Endless Dreamer gefunden?! In diesem Fall hatte es der Fluchgeist also wirklich auf Hana abgesehen. Sie war eine ernste Bedrohung für ihn.
      "Mama?", ruhelos scannten die dunkelbraunen Augen des Jungen den Raum ab, doch sie verharrten kaum an einem Punkt. "Mama? Papa? Wo bin ich?" Seine Finger tasteten ängstlich über das Bett unter ihm.
      Schnell fing ich seine Hand mit meiner ein, was den Jungen kurz zusammenzucken ließ, doch ich ließ schnell meine ruhige Stimme über ihn rieseln. "Alles gut, Kleiner. Deine Eltern sind gleich vor der Tür, du wirst sie gleich wieder sehen können."
      Seine Pupillen glitten in meine Richtung, schienen aber nicht in der Lage sich an meinem Gesicht festzusetzen. Ich runzelte verwirrt die Stirn. "Wer bist du? Wo ist meine Mama? Wo ist mein Papa? Warum ist es hier so dunkel?" Entsetzen pflanzte sich in meinen Geist, während die angstvollen Augen des Jungen erneut mit milder Panik durch den Raum suchten. Er... konnte nichts sehen? "Mama! Papa!"
      Seine Hand weiter in meiner haltend hob ich ehrfürchtig meinen Blick zu Hana. Verdammt! Wie erwartet lagen Schock, Frust und tiefer Kummer in ihren Augen. Sie gab sich die Schuld für die Erblindung des Jungen.
      "Yuuko?!" Bevor ich auf die Blondine zuschreiten und sie beruhigen konnte, kamen die überwältigten Eltern durch die Tür gestürmt und stolperten fassungslos an der eingefrorenen Hana vorbei und knieten sich umgehend an das Bett ihres Sohnes. "Yuuko! Mein Sohn. Du bist wach!" Die aufgelöste Mutter zerrte das perplexe Kind unter Tränen in ihre Arme, das Schluchzen in ihrer Brust klang auch in der Kehle ihres Mannes wieder, bis auch der kleine Yuuko weinend in die Brust seiner Mutter versank. "Mama! Papa!"
      Für ein paar Sekunden beobachtete ich die herzergreifende Familienzusammenführung einfach nur, bis sich alle endlich etwas beruhigt hatten, bis... "Mama... Papa... könnt... könnt ihr bitte das Licht anmachen."
      "Wie bitte?" Hastig löste sich die Mutter von ihrem Sohn und fixierte dessen Augen, denen es immer noch nicht gelingen wollte, die Gesichter seiner Eltern zu finden. "Yuuko... bist du etwa...?"
      Ich hatte mich in der Zwischenzeit an Hanas Seite geschoben und meinen Arm aufmunternd um ihre Schultern gelegt. Dennoch schien sie mit jeder verstreichenden Sekunde weiter in sich zusammenzusinken. "Ich glaube sie ahnen es leider schon." Beide Eltern drehten sich langsam zu mir um. "Wir haben ihn zwar aus seinem Koma erwecken können, aber leider scheint Yuuko sein Augenlicht verloren zu haben."
      Für mehrere Moment schienen beide nicht zu wissen, wie sie mit der Information umgehen sollten. Sie musterten mich, ihren Sohn und dann sich gegenseitig. Dann plötzlich pressten beide unvermittelt ihre Stirn vor uns auf den Boden. "Wa-was zum?! Stehen Sie doch bitte auf!"
      Ich wollte die beiden an den Schultern packen und ihnen aufhelfen, aber sie lehnten kopfschüttelnd ab. "Wir sind Ihnen zu tiefen Dank verpflichtet, Hashisawa-san. Sie haben unserem Sohn das Leben gerettet." Noch immer lag ein mildes Schluchzen in der Stimme des Familienvaters.
      Ich schüttelte den Kopf und hockte mich erneut vor die beiden. "Sie sollten nicht mir danken." Dieses mal hoben sie endlich die Köpfe und folgten meinem Finger, der auf Hana deutete. "Sie ist diejenige, die die Magie gewirkt hat."
      Ein mildes Lächeln legte sich auf meine Lippen, als die Mutter hastig zurück auf ihre Beine sprang und Hana stürmisch umarmte. "Danke! Danke! Sie sind ein wahrer Engel! Sie haben meinen Sohn endlich wieder zurück in das Reich der Lebenden geholt. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll."
    • Hana Yamamoto

      Etwas überrascht sah ich zu Nanami hinauf, als dieser plötzlich lauter wurde und mit ernster Stimme meinte, dass ich nicht vergnügungssichtig gewesen sei. Ein leichtes aber dennoch dankbares Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab. Es war eine wahre Wohltat für mein Herz, diese Worte aus dem sonst so vernünftigen Mann zu hören. Mir war schon häufiger aufgefallen, dass Nanami einen Unterschied zwischen den Menschen machte, die jünger und jenen die älter waren als er. Er schien beinahe alles daran zusetzen, dass es den jüngeren Generationen gestattet war, zu lernen und langsam erwachsen zu werden, etwas das in unserem Job eine Seltenheit war. Für viele von uns war das normale Leben mit dem Eintritt in die Akademie vorbei. Und viel zu schnell würden bereits die ersten Verluste auf uns warten, die uns die bittere Realität ins Gewissen prügelte. Ich hatte schon viele gebrochene Seelen auf dem Campus der Akademie umherirren sehen, versuchte aber alles daran zu setzen, nicht selbst eine von ihnen zu werden. Verglichen zu den anderen Schülern hatte ich damals das große Glück gehabt, eine wohlhabende Tante an meiner Seite zu wissen, die mehr als glücklich darüber wär, meinen Job als Sorcerin an den Nagel zu hängen. Ich hatte im Gegensatz zu vielen anderen, eine einfache Möglichkeit gehabt, den Beruf zu wechseln, sollte es mir zu viel werden. So viel Glück hatten nur die wenigsten und somit fristete ein Großteil ihr Leben damit, nach Fluchgeistern zu jagen, bis sie schließlich selbst den Löffel abgaben. Eigentlich war es ein Wunder, dass nicht bereits alle von uns vollkommen verrückt geworden waren.
      Plötzlich legte sich erneut Nanamis warme Hand auf meinen Kopf. Ein warmes Kribbeln machte sich in meiner Magengrube breit, ähnlich wie gestern Abend, als er mir meinen verbrühten Oberschenkel kühlte. "Danke", lächelte ich ihm entgegen, nachdem er mich mit seinen aufmunternden Worten aufgebaut hatte. Irgendwie schaffte er es immer wieder, die Last von meinen Schultern zu nehmen. Etwas, wofür ich ihm sehr dankbar war.
      Schließlich nahm er seine Hand wieder von meinem Schopf und fragte mich, wie ich die Erlaubnis meiner Tante bekommen hätte, trotz ihrer Einstellung zu Sorcerern, auf die Jujutsu-High zu gehen. "Habe ich nicht", schmunzelte ich und lehnte mich in den Stuhl zurück. "Sie hat meine Entscheidung nicht unterstützt und mich vor die Wahl gestellt: Entweder eine Laufbahn als Sorcerin oder ein Teil der Familie sein. Meine Entscheidung fiel auf ersteres und ich habe noch am selben Abend meine Sachen gepackt und mein Zimmer in der Jujutsu-High bezogen. Auch wenn meine Tante und ich kein gutes Verhältnis zueinander pflegen, fiel mir es überraschend schwer, diese Entscheidung zu treffen. Aber seit dem Tod meines Vaters war ich die einzige Person, die ich kannte, die Fluchgeister sehen konnte. In der Schule hatte man mich als Freak abgestempelt und ausgegrenzt oder gemobbt. Ich hatte mich ein wenig verloren gefühlt und als ich dann die Möglichkeit hatte, auf Leute meines Gleichens zu treffen, musste ich die Chance einfach ergreifen, um mich selbst besser kennenzulernen. Dort habe ich auch erst davon erfahren, dass sowohl meine Tante, als auch mein Cousin Ren Fluchgeister sehen können. Takumi kann manchmal ein paar Umrisse erkennen und Onkel Shingen sieht gar nichts. Hätte ich dieses Wissen eher gehabt, wäre ich vielleicht niemals auf die Akademie gegangen", überlegte ich laut. "Ich habe meine Ausbildung dort beendet und bin dann auf eine Mission mit meinen ehemaligen Klassenkameraden gegangen... dort ist... etwas vorgefallen...", ein Schleier der Trauer legte sich auf meine Gesichtszüge, als ich an meinen verstorbenen Klassenkamerad zurückdachte. "Ich habe angefangen meine Familie zu vermissen und wollte sie wiederhaben. Meine Tante gestattete es mir, zu ihnen zurückzukehren, wenn ich meinen Job als Sorcerin an den Nagel hing. Das habe ich auch einige Monate lang gemacht, aber es wurden immer mehr Fluchgeister, also habe ich heimlich wieder damit angefangen, sie zu jagen", erzählte ich Nanami.
      Wir hatten gerade unser Frühstück beendet und räumten den Tisch ab, als es plötzlich an der Tür klingelte. Das müssten Matsu und Gojo gewesen sein. Der Blondhaarige stand von seinem Platz auf und öffnete die Tür, während ich mich hinter ihn stellte und auf unsere Gäste wartete. Als sich wenig später die Tür vom Fahrstuhl öffnete, fiel ich meiner besten Freundin voller Freude um den Hals. Ich hatte sie bereits angefangen zu vermissen und freute mich, sie endlich wieder bei mir zu haben. Natürlich war ihr die gerötete Stelle an meinem Oberschenkel sofort aufgefallen und ich hatte mich bereits auf eine kleine Standpauke eingestellt, die aber zu meiner Überraschung ausfiel.
      Dann aber meldete sich Gojo zu Wort und mir fiel erst jetzt auf, in welch einer Aufmachung ich vor ihm stand. Der Schock musste mir ins Gesicht geschrieben stehen und ich merkte auch, wie mir mein gesamtes Blut in den Kopf lief. Es war mir so peinlich, dass ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Eilig nahm ich ihm die Tasche ab und rannte so schnell ich konnte, ins Gästebad, wo ich die Tür hinter mir verschloss. Man war das peinlich!
      Nachdem ich meine Aufregung unter Kontrolle gebracht hatte, zog ich mich schnell um und legte mir ein leichtes Make-Up auf, ehe ich zurück zu den anderen ging, welche bereits auf mich warteten.
      Gemeinsam verließen wir das Penthouse und stiegen in den schwarzen Wagen, wo mich Gojo über unser heutiges Ziel aufklärte. Er meinte zwar, dass ich Äpfel nicht mit Birnen vergleichen konnte, aber ich war dennoch skeptisch gegenüber ihrer Idee. Ich hoffte zwar darauf, dass wir die Menschen helfen könnten, aber ich glaubte nicht daran, dass ausgerechnet meine Fluchtechnik von Nutzen sein würde. Immerhin war ich nur eine Sorcerin Semi-Grads zwei.

      Bei dem Krankenhaus angekommen, übernahm glücklicherweise Kimatsu das Reden. Sie stellte sich in solchen Dingen schon immer besser an als ich und gab der Familie einen kleinen Fünkchen Hoffnung. Darum ließen sich die Eltern des kleinen Jungen auch nicht lange bitten und verließen das Zimmer, während mir die Weißhaarige das Zeichen dazu gab, meine Fluchtechnik an den Jungen anzuwenden. Etwas zögernd legte ich meine Hand auf seine Augen und ließ das warme Licht in seinen Kopf fließen, in der Hoffnung all seine Albträume verschwinden zu lassen.
      Ich zuckte vor Schreck einmal kurz zusammen, als der Junge sich bewegte und hörte augenblicklich damit auf, meine Fluchtechnik zu wirken. Erst bewegten sich seine Finger, dann war es die komplette Hand und anschließend öffnete der kleine Junge seine Augen. Ich war überwältigt von meinen Glücksgefühlen, tatsächlich etwas gegen den Fluchgeist ausrichten zu können. Doch dieses Gefühl erlosch so schnell, wie es gekommen war, denn es stellte sich heraus, dass der Junge sein Augenlicht verloren hatte. Schuldgefühle fraßen sich in meinen Körper und nagten sich bis tief in meine Knochen hervor. Ein Gefühl purer Panik kam in mir hervor, als auch noch die Eltern in das Zimmer gestürmt waren. Ich versuchte mich so gut es ging, darauf einzustellen, dass ich jeden Moment von ihnen beleidigt werden würde, dass sie versuchte mich zu schlagen oder mich und die Akademie auf Schmerzensgeld verklagen würden. Instinktiv wich ich einige Schritte zurück und versuchte mich hinter Kimatsu zu verstecken, welche mir versuchte Trost zu spenden.
      Doch entgegen all meiner Erwartungen, reagierten sie ganz anders. Viel zu spät realisierte ich, dass die beiden sich plötzlich tief vor uns verneigten und sich auch noch bedankten. Es war für mich völlig unverständlich, wie sie auf diese Weise reagieren konnten und nicht völlig wutentbrannt versuchten, auf uns einzudreschen. Als Kimatsu dann aber den Fokus auf mich legte und ihnen mitteilte, dass ich ihren Sohn aufgeweckt hatte, raste mein Herz erneut vor lauter Panik. Ich wollte gerade nach Nanamis Ärmel greifen, als ich mich schon in der Umarmung der Mutter wiederfand. Wie angewurzelt stand ich dar und versuchte einzuordnen was hier gerade geschehen war. Die Mutter dankte mir? Ich hatte ihrem Sohn das Augenlicht genommen! Er würde nie wieder ein normales Leben führen können. Ich hatte ihm seine ganze Zukunft verbaut und das obwohl er noch so jung war!
      Die Schuldgefühle lasteten mittlerweile so schwer auf meinen Schultern, dass sie mich in die Knie zwangen und ich mich aus der Umarmung löste. Ähnlich wie die beiden zuvor, landete nun auch mein Kopf auf dem Boden und ich entschuldigte mich immer wieder dafür, dass ich dem Jungen sein Augenlicht ruiniert hatte. Sofort gingen sie dazwischen und versuchten mich aufzumuntern, sagten mir, dass sie dankbar dafür waren, dass er Leben konnte. Sie munterten mich auch und boten mir Komfort, doch ich war der festen Überzeugung, dass nicht ich diesen Komfort brauchte, sondern ihr Sohn. Die Luft im Zimmer wurde zunehmend stickiger und ich glaubte nur noch schwer Luft zu bekommen. Kraftlos stemmte ich mich zurück auf meine Füße und sah zu Kimatsu. "Kümmer' dich bitte um den Rest... ich muss ganz dringend etwas frische Luft schnappen", flüsterte ich ihr zu und verließ kurz darauf das Zimmer.
      Vor dem Krankenhaus angekommen suchte ich mir eine stille Ecke und lehnte mich gegen die Krankenhausmauer, ehe ich mein Handy hervorholte und Kenji anrief.
      "Miss Yamamoto, ist alles in Ordnung bei Ihnen?", fragte er direkt. Ich räusperte mich kurz, um ein mögliches Zittern in meiner Stimme zu überspielen. "Richte bitte einen Dauerauftrag bei der Bank für mich ein, der auf drei Konten gehen soll. Ein Konto soll neu eröffnet werden und auf den Namen Tasako Wataru laufen. Die anderen beiden laufen bitte über Tasako Yamato und Tasako Chiyo. Alle Konten sollen monatlich mit 500.000,00 Yen versorgt werden. Aber sorg dafür, dass das Konto für Tasako Wataru bis zu seiner Volljährigkeit eingefroren bleibt. Außerdem möchte ich, dass du eine eine Krankenversicherung für ihn abschließt. Volles Programm. Alle künftigen Kosten sollen abgedeckt werden, von Impfungen, bis hin zu Operationen und möglichen Therapieformen. Und schau nach, ob die Familie sich bisher in irgendeiner Form verschuldet hat. Wenn dem so ist, zahl die Schulden von meinem Privaten Konto ab", wies ich ihn an. "Und kein Wort zu meiner Tante." "Verstanden, Miss Yamamoto." "Danke." Mit diesen Worten legte ich auf und ließ mein Handy wieder in meiner Jackentasche verschwinden. Kraftlos ließ ich mich an der Mauer in die Hocke sinken und versuchte zu verarbeiten, was gerade geschehen war. Eine überwältigende Welle an Emotionen brach über mich ein und erlaubte mir nicht länger, meine Tränen zurückzuhalten. Weinend umklammerte ich meine Beine ließ meinen Gefühlen freien Lauf.


      Satoru Gojo

      Wir traten in das Krankenzimmer ein und wurden direkt von zwei überraschten Augenpaaren begrüßt. Es war die richtige Entscheidung gewesen, Kimatsu das Reden zu überlassen. Die besorgten Eltern kannten die junge Frau bereits und schienen ihr überraschend viel Vertrauen entgegenzubringen. Es musste an den sozialen Fähigkeiten der Weißhaarigen liegen, die Situationen immer genau richtig einschätzen zu können und so die Leute für sich zu gewinnen. Es war nicht das erste Mal, dass ich beobachten konnte, wie Fremde in ihrer Gegenwart etwas entspannten und ihr darüber hinaus auch noch einen Vertrauensvorschuss gaben. Es dürfte sicher nicht einfach für das Ehepaar gewesen sein, ihren Sohn allein mit vier -mehr oder weniger- seltsam gekleideten Menschen zurückzulassen. Auf der anderen Seite dürften sie aber auch nicht mehr allzu viel zu verlieren haben. Auch sie schienen bereits verstanden zu haben, dass die Lage ihres Jungen mehr als akut war und er wahrscheinlich nicht mehr allzu lange haben dürften. So legten sich voller Verzweiflung die Finger der besorgten Mutter um die Hand von Kimatsu. Flehend sah sie in ihre Augen und hoffte darauf, von der jungen Sorcerin getröstet zu werden. Sie hoffte auf Erlösung und darauf, ihren Jungen endlich wieder in den Armen halten zu können. Unsere Leben als Sorcerer hatten viele Schattenseiten und diese hier war sicher eine davon. Sollten Hanas Fähigkeiten den Kleinen nicht heilen können, so würden wir den Eltern dabei zusehen können, wie sie innerlich mit dem Gedanken abschließen würden, ihren Sohn bald zu verlieren. Manchmal konnten die sozialen Interaktionen dieses Jobs weitaus belastender sein, als die Fluchjagd an sich. Ich hatte in der Vergangenheit so gut es ging versucht, meine Schüler vor solchen Konfrontationen zu bewahren, doch besonders Megumi und Yuuji schienen nicht eher ruhen zu können, bis sie den Hinterbliebenen Trost und Hoffnung hatten spenden zu können. Dabei schienen sie selbst viel zu oft die Lasten auf ihren Schultern zu unterschätzen und es war mein Job, ihnen das egoistisch sein beizubringen. Ganz nebenbei bemerkt beherrschte es wohl auch niemand so gut wie ich.

      Die Eltern verließen das Zimmer und Hana startete mit ihrer Fluchtechnik. Sie schien ein wenig überfordert, wie sie anfangen sollte. Doch letztendlich entschied sie sich dazu, ihre Hand auf die Augen des Jungen zu legen und aktivierte ihre Fähigkeiten. Gespannt sah ich ihr dabei zu, wie sie das helle Licht wirken ließ, es war das erste Mal, dass ich sie in Aktion beobachten konnte. Ich erinnerte mich daran, dass Hana trotz eigener Sphäre nur dem Semi-Grad 2 angehörte. Ich hatte zwar auch noch die Begründung dafür im Kopf, trotzdem war es immer wieder spannend, die Fähigkeiten anderer Sorcerer kennenzulernen. Bei Kimatsu war es nicht anders gewesen. Ich hatte sie für keinen Augenblick als schwach gehalten, trotzdem hatte sie mich positiv mit ihrer Stärke und ihren Fähigkeiten überraschen können und ich wartete schon freudig unsere nächste Mission ab. Na gut, wahrscheinlich war es eher ihre Mission, aber es war ohnehin klar, dass ich sie auch dahin begleiten würde. In der Wohnung war es tagsüber zu langweilig da ich nichts zu tun hatte und ich selbst musste mir eingestehen, dass ich meine Zeit ganz gerne mit der schlechtgelaunten Lehrerin verbrachte. Sie zu necken, gab meinem Alltag deutlich mehr Freude.

      Hana hatte es geschafft. Sie heilte den Jungen, doch musste er eben dafür einen heftigen Preis bezahlen. Schnell stellte sich heraus, dass das grelle Licht der jungen Frau zu stark gewesen war und dem Jungen das Augenlicht nahm. Irgendwie war es ironisch, dass sie mit ihren Fähigkeiten, die Dunkelheit in seinem Körper vertrieb, nur um ihn anschließend ein Leben in völliger Finsternis zu schenken. Ich selbst betrachtete das ganze nüchtern und war der festen Überzeugung, dass Hana genau das richtige getan hatte. Doch ein Blick in ihre Richtung genügte, um zu wissen, dass sie absolut nicht mit meiner Meinung mitgehen würde. Der Schock schien ihr ins Gesicht geschrieben und ich merkte, wie sie sich erst hinter Kimatsu und anschließend hinter Nanami verstecken wollte. Doch die Kleine konnte der festen Umarmung der überglücklichen Mutter nicht entkommen. Ich hoffte, dass die Worte der Frau, Hana von ihren Schuldgefühlen befreien würden, doch sie schienen sie nicht einmal zu erreichen. Sie wirkte überfordert und wie in Trance, bis sie schließlich aus den starken Armen der Mutter rutschte und auf die Knie ging, um sich bei den Eltern zu entschuldigen. Mir wollte eben jener Anblick nicht gefallen. Sie müsste dringend lernen, egoistischer zu werden und den wahren Wert ihrer Arbeit erkennen. Sie war wohl offenbar noch zu jung gewesen, um ihrer eigenen Existenz einen höheren Stellenwert zuzuschreiben.
      Langsam schaffte sie es, sich auf ihre Beine zu stemmen und verließ daraufhin beinahe fluchtartig das Zimmer. Ein kurzer Blick zu Nanami genügte, um ihm zu verstehen zugeben, dass er ihr folgen sollte. Sie brauchte in diesem Moment nicht nur emotionale Unterstützung und jemanden der ihr die Verantwortung von den Schultern nehmen könnte, sondern auch einen Sorcerer, der auf sie Achtgeben könnte. Wir befanden uns immerhin in einem Krankenhaus und es wimmelte in jeder Ecke nur so von Fluchgeistern. Wir konnten zudem unsere Theorie bestätigen und wussten nun ganz sicher, dass man es auf den sonst so quirligen Blondschopf abgesehen hatte. Ab sofort würden wir jede Sekunde des Tages mit einem Angriff auf sie rechnen müssen.
      „Bitte richten Sie Ihrer Kollegin von uns aus, dass wir ihr unendlich dankbar dafür sind, dass sie uns unseren kleinen Engel zurückgegeben hat. Yuuko mag es nun etwas schwerer haben, aber wir werden immer für ihn da sein und er wird sich sicherlich ganz bald an die neue Situation gewöhnt haben. Er wird ein gutes Leben führen können und das verdanken wir Ihnen allen.“ Die Mutter des Jungen hatte noch immer Tränen in den Augen, doch das erste Mal seit unserem Treffen, glaubte ich sowas wie Hoffnung in ihnen sehen zu können. „Machen wir. Lass uns gehen Kimatsu“, sprach ich an die junge Lehrerin neben mir gewandt und verließ anschließend gemeinsam mit ihr das Zimmer. Ich hatte es nicht eilig zu den zwei anderen zurückzukehren und genoss stattdessen die Zweisamkeit meiner Begleiterin und mir, weshalb ich etwas langsamer als sonst ging. „Sie haben es also wirklich auf Hana-chan abgesehen“, bemerkte ich schließlich. „Was machen wir jetzt? Ich glaube kaum, dass Hana-chan in ihrem Zustand weitere Opfer heilen möchte.“ Ich überlegte kurz. „Vielleicht kein ein Gespräch mit Ieiri helfen. Unter Umständen könnte sie auch gemeinsam mit Hana-chan einen Weg ausklügeln, der die Betroffenen heilen kann, ohne irgendwelche Einbußen zu machen.“ Ich sah zu der Weißhaarigen hinunter und bemerkte, wie ihre braunen Augen im Licht des Krankenhauses glänzten. Für einen kurzen Moment glaubte ich mich sogar in ihnen zu verlieren und sie etwas zu lang angestarrt zu haben.
      „Hat Hana-chan noch jemanden in ihrer Familie, der ihr vielleicht mehr über ihre Fluchtechnik beibringen könnte? Oder ist diese alte Hexe die einzige Familie, die sie noch hat?“, wollte ich wissen. Mir selbst war kein Sorcerer aus meiner Zeit bekannt, der denselben Familiennamen trug, oder ansatzweise ähnliche Fähigkeiten hatte. Darum musste die Kleine einer kleinen Familie entstammen, die nicht auf das Jagen von Flüchen spezialisiert waren. „Auch wenn ich Hana-chans Fluchtechnik zum ersten Mal sehe, gehört Licht zu den ältesten Elementen. Selbst wenn sie niemanden hat, könnten wir vielleicht in den alten Bibliotheken Anhaltspunkte zu ihren Fähigkeiten finden und sie beim Training unterstützen. Je schneller wir diesem Fluchgeist den Gar ausmachen, desto besser.“ Ich wusste, dass auch Kimatsu insgeheim unter den Machenschaften dieses Monsters litt. Die Lehrerin schien sich jede freie Sekunde um ihre Schützlinge zu Sorgen, vor allem dann, wenn sie nicht wusste, wie es um sie stand. Ich konnte ihre Sorge gut nachvollziehen, auch wenn es bei mir selbst nicht so extrem war, wie bei Kimatsu, sorgte ich mich ebenso um meine Schüler. Genau deswegen war es mir auch so wichtig, so schnell wie möglich zu ihnen zurückzukehren. Sie alle waren stark, keine Frage, aber gegen ihre derzeitigen Gegner hatten sie nicht die geringste Chance. Ich wollte nicht wiederkehren, nur um ein einziges Blutbad vorzufinden. Die Treppen des Sieges sollten nicht von den Leichen meiner Schüler gespickt sein. Sie müssten überleben. Alle.
      Ich bemerkte, wie ich mich von meinen Gedanken hatte übermannen lassen und mir fiel erst viel zu spät auf, dass ich nicht darauf gehört hatte, was Kimatsu mir antwortete. Ich legte ein schräges Lächeln auf meine Lippen und sah zu meiner hübschen Begleitung hinunter. "Sorry, was hast du gesagt?", wollte ich von ihr wissen. Da wir uns immer mehr dem Ausgang des Krankenhauses näherten, blieb ich stehen, um ihre Antwort zu hören. Ich wusste, dass draußen Hana und Nanami auf uns warten würden und dieses Gespräch war nicht für die Ohren der jungen Frau gedacht. Sie machte sich ohnehin schon viel zu große Vorwürfe für das, was geschehen war, wenn sie jetzt auch noch erfuhr, dass man es auf sie abgesehen hatte, würde sie wahrscheinlich reif für die Klapse sein.

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    • Kento Nanami

      Wie erwartet hatte Yamamoto wohl tatsächlich nie die Erlaubnis erhalten, die Jujutsu-High zu besuchen. Dabei konnte ich mir fast bildlich vorstellen, wie die junge Teenagerin sich störrisch von den ihr auferlegten Fesseln ihrer Tante befreite und mit erhobenen Haupt endlich ihren eigenen Weg einschlug. Dabei konnte sie definitiv stolz auf sich und alles was sie erreicht hatte sein. Ihre Fluchtechniken waren beeindruckend ausgereift, wenn man bedachte, wie lange sie nicht hatte an ihnen Arbeiten dürfen. Doch bald schon legte sich dunkel wabernde Trauer über ihre eben noch so freudig glänzenden Augen und ich glaubte direkt zu verstehen, worauf sie hinaus wollte. Sie sprach es zwar nicht aus, aber ich war mir sicher, dass sie bei besagter Mission einen ihrer Kameraden verloren hatte... Ich wusste sehr gut, wie leicht einen so etwas brechen konnte. Ich würde nicht leugnen, dass vor allem Haibaras einer der Gründe dafür war, dass ich nach der Schule fürs erste nicht mehr als Sorcerer arbeiten wollte. Und ich würde auch nicht behaupten, dass mich eben diese Erinnerung seither weniger verfolgte und dennoch hatte ich mich nicht allzu lange von diesem verfluchten Job fernhalten können. Ich musterte den blonden Sonnenschein vor mir. Auch sie hatte sich nicht lange fern halten können. Welch eine Ironie. Wer hätte gedacht, dass sie und ich uns in solch einer Angelegenheit so ähnlich sein könnten.

      Nach unserem Gespräch erreichte unser ansonsten angenehmes Frühstück ein recht schnelles Ende und knapp zwei Stunden später fanden wir uns auch schon in einem nach Desinfektion stinkenden Krankenzimmers wieder. Der Anblick des Jungen in dem Bett aus weißen Laken bereitete mir umgehend Kummer. Sein Gesicht war eingefallen und wirkte müde, obwohl er seit Wochen kein Auge geöffnet hatte. Obwohl er künstlich ernährt zu werden schien, musste der Fluch immer mehr an seinen Kräften zehren und würde über kurz oder lang auch das Leben des Jungen einfordern. Entsprechend verzweifelt wirkten auch die Eltern des Kindes, welche Hashisawa praktisch anzuflehen schienen. Irgendwie schaffte es die Frau, den beiden einen Funken Hoffnung zu schenken, ohne ihnen falsche Versprechungen zu unterbreiten. Doch ob dieser Funken in Flammen aufgehen würde, lag einzig und allein an Yamamoto. Als diese schließlich ihre langen und zierlichen Finger auf die Augen des Jungen platzierte kehrte absolute Stille in den Raum ein. Ähnlich wie bei den anderen, hafteten meine Augen gebannt auf dem hellen Lichtkegel, der bald schon den Kopf des Kindes einhüllte und eine seltsame Wäre zu verteilen schien. Die folgenden Sekunden schienen schleppend langsam zu verstreichen, bis sich endlich unerwartete Regung im Junge bemerkbar machte.
      Sie ist also wirklich der Schüssel, schoss es mir durch den Kopf, während ich beeindruckt beobachtete, wie der Junge seine Augen aufschlug und sich verwirrt versuchte im Raum zu orientieren. Deswegen hat es also auch dieser Albtraum-Fluchgeist auf sie abgesehen. Einerseits war es nicht gerade schön zu wissen, dass da draußen tatsächlich ein Monster war, dass den Tod dieser unschuldigen Jungen Frau herbeirufen wollte. Zugleich hatten wir damit zumindest endlich die Gewissheit auf unserer Seite und wir wussten, wer unser eigenes Ziel werden sollte.
      Doch die Freude über das Erwachen des Junges schien nicht lange anzuhalten, stattdessen schienen sich schon bald tiefe Schuldgefühle in Yamamotos Augen zu spiegeln, kaum dass sie realisierte, dass das Kind geblendet war. Er war erblindet. Ich machte einen bedächtigen Schritt auf sie zu, während sie sich beinahe panisch hinter Hashisawa zu verstecken versuchte. Dabei hatte sie dem Jungen doch das Leben gerettet? Wie konnte sie sich nur selbst die Schuld für etwas geben, für das sie nicht einmal wirklich etwas konnte?
      Bevor ich ihr diese Worte selbst über konnte, lag sie auch schon in der festen Umarmung der Familienmutter. Erleichterung breitete sich in meiner Brust aus, als ich realisierte, wie dankbar die Eltern waren. Es war ihnen sicher nicht egal, dass ihr Sohn nie wieder das Tageslicht würde sehen können, aber zumindest würde er die Sonne der Wärme weiterhin auf der Haut genießen können. Er würde leben, atmen, lachen. Nachdem sein Tod bis eben noch so unausweichlich erschienen war, sollte eben das auch die Hauptsache sein, doch wenn ich den Blick der Blondhaarigen richtig deutete, galt das nicht für sie. Ich spürte wie sich meine Brust für einen Moment schmerzhaft zusammenzog, als sie sich vor den Eltern auf den Boden warf und um ihre Vergebung flehte. Es kostete mich all meine Beherrschung, mich nicht neben sie auf den Boden zu hocken und ihr tröstend den Rücken zu reiben. Doch zum Glück reagierten die Tasakos sofort und bemühten sich darum, die junge Frau zu beruhigen... ihr Erfolg hielt sich sichtlich in Grenzen. Kurz zögerte ich noch, als sie plötzlich aufgelöst aus dem Raum stürmte, doch noch bevor Gojo und Hashisawa mir ihre bittenden Blicke zuwerfen konnten machte ich mich schon auf den Weg, ihr zu folgen. Sie sollte in solch einem Moment nicht alleine sein, davon abgesehen schwärmten dutzende Fluchgeister durch die Gänge des Krankenhauses und ich konnte es mir nicht erlauben, die blonde Sorcerin hier allein zu lassen. Wer wusste schon, wann der nächste Angriff auf sie erfolgen würde? Nachdem sie ihre Fähigkeiten hatte beweisen können, war eben dieses Risiko sogar größer denn je.
      Bald schon hatte ich zu der jungen Frau aufgeschlossen, hielt mich aber noch kurz im Verborgenen, während ihre Stimme zitternd an mich herangetragen wurde. Ich wusste nicht genau, mit wem sie da telefonierte, auch wenn ich einen Verdacht hatte. Doch ihre Intension war eindeutig. Es wäre nicht nötig gewesen, der Familie all diese Gelder zukommen zu lassen, zugleich hoffte ich, dass ihr eben dass einen Teil ihrer unbegründeten Schuldgefühle von den Schultern würde nehmen können.
      Erst nachdem sie das Handy beiseite gelegt hatte und sich zunehmend ihn einen schluchzenden Embryo verwandelt hatte, schälte ich mich aus meiner Deckung, schritt langsam und ruhig auf sie zu und setzte mich direkt neben ihr an die Mauer, darauf bedacht, dass meine Schulter leicht gegen ihre drückte. "Ohne dich würde dieser Junge nie wieder die Wärme seiner Eltern spüren können", begann ich irgendwann leise und hoffte, dass sie mich über ihr eigenes Weinen hinweg hören konnte. "Er würde nie wieder aufstehen können. Er würde nie wieder mit jemanden reden können. Nie wieder lachen. Spielen. Weinen. Schreien. Leben." Als wäre es schon reine Normalität für mich geworden landete meine Hand schon wieder auf ihrem bebenden Kopf. Bedächtig strich mein Daumen über ihre weichen Haare. "Es ist nicht deine Schuld, dass der Junge sein Augenlicht verloren hat. Es ist die Schuld des Fluchgeistes, dass er überhaupt erst hier gelandet ist. Doch du hast ihm vor dem schlimmsten gerettet." Langsam rutschte meine Hand von ihrem Kopf, legte sich zunächst auf ihre Schultern und wanderte dann beruhigend ihren Rücken auf und ab. "Um ehrlich zu sein, war ich erstaunt und überrascht. Obwohl sich der Kleine in einem grauenvollen Zustand befunden hat, ist es dir gelungen, ihn aus seinen Albträumen zu reißen." Ich lehnte mich stärker in ihre Richtung und zog sie zugleich auch etwas näher an meine Brust, ermutigte sie dazu sich gegen mich zu lehnen. "Also lass dich bitte nicht weiter von diesen Schuldgefühlen zerfressen. Du hast heute ein junges Leben gerettet." immer wieder wanderte meine Hand ihren Rücken auf und ab. Auch wenn ich verstehen konnte, was gerade durch den Kopf der jungen Sorcerin ging, wollte ich nicht, dass sie sich weiter mit solchen Gedanken quälte. Sie schien sich sowieso schon mehr als genug Last auf die eigenen Schultern zu laden. Es war ein Wunder, dass sie eben unter dieser noch nicht zusammengebrochen war. Umso mehr hoffte ich darauf, dass ich ihr einen Teil des Gewichtes würde abnehmen können. Um das zu erreichen sollte ich mich darum bemühen, nicht nur meine Arbeit als ihr Bodyguard sondern auch als ihr zukünftiger Assistent vernünftig auszuführen. Laut Hashisawa neigte der energiegeladene Flummi wohl dazu, sich hin und wieder zu überarbeiten, was aus dem Mund der über ambitionierten Lehrerin beinahe wie ein schlechter Scherz klang. Doch eben deswegen sollte ich meine Arbeit als Assistent so gewissenhaft wie möglich angehen und nebenbei sollten wir alles daran setzten diesen Albtraum-Fluchgeist zu erledigen. Ein so gutmütiges Mädchen wie Yamamoto sollte nicht weiter in Gefahr schweben müssen, immerhin hatte sie scheinbar schon genug ihrer Jugend einbüßen müssen.
      Nach einigen Minuten lockerte ich meinen Griff um die junge Frau etwas und ließ meine Augen kontrollierend über ihre Mimik wandern. "Geht es dir etwas besser? Möchtest du aufstehen." Meine Finger schlossen sich behutsam um ihre zierlichen Schultern, bereit dazu, ihr jederzeit auf die Beine zu helfen. "Gojo und Hashisawa werden sicher auch bald kommen."


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      Kimatsu Hashisawa

      Es wunderte mich nicht wirklich, als ich bemerkte, wie sich Hana hinter mir zu verbergen suchte, wusste ich doch zu genau, wie schnell sich die Frau an allem die Schuld geben konnte. Schon damals, als Ito... Ich schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht die Zeit sich an mein Versagen von damals zu erinnern. Ich durfte keinen weiteren Kummer in die aktuelle Situation bringen. Umso dankbarer war ich der Familienmutter, dass sie ohne Zögern ihrer tiefen Dankbarkeit Ausdruck verlieh. Auch wenn die Worte der beiden Eltern einen gewissen Effekt auf Hana zu haben schienen, reichte es offensichtlich aber noch nicht, um die junge Frau von ihrem Kummer zu lösen. "Hana?!", rief ich ihr kurz voller Sorge, als sie plötzlich quasi aus dem Raum flüchtete. Ich verkniff es mir, ihr hinterherzulaufen, hatte ich hier doch noch einen Job zu erledigen. Stattdessen wendeten sich meine Augen einmal kurz zu Nanami, welcher sich allerdings schon in Bewegung gesetzt hatte, bevor ich ihn um irgendetwas hätte bitten können. Ein flüchtiges Lächeln der Erleichterung umspielte meine Lippen.
      Auf ihn ist tatsächlich reichlich viel Verlass... Zumindest mehr als auf mich. Ich unterdrückte ein Seufzen und bemühte mich stattdessen darum, der zurückgebliebenen Familie im Krankenzimmer ein ruhiges Lächeln zu präsentieren. "Das werde ich ihr natürlich gerne ausrichten", versprach ich aufrichtig und trat an das Bett des noch immer weinenden Jungen heran. "Yuuko?" Sein Kopf zuckte in meine Richtung, Tränen färbten zunehmen den Rand seiner Augen rot und die Panik in seinem Gesicht war beinahe greifbar. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Kopf. "Du hast unglaubliche Stärke bewiesen, indem du solange durchgehalten hast und ich weiß auch, dass du die Herausforderungen deiner Zukunft wirst meistern können." Auch wenn die Wasserfälle seiner Tränen noch lange nicht versiegen wollten, unterbrach der Kleine sein lautes Schluchzen. Ich legte ein zuversichtliches Lächeln auf meine Lippen und musterte kurz die beiden Eltern, die die Hände ineinander verschränkten und sich mit glasigen Blick an die Seite ihres Sohnes schoben. "Du hast eine tolle Familie und ich weiß, dass deine Eltern alles dafür geben werden, dir eine fantastische Zukunft zu ermöglichen." Als würden die beiden meine Worte unterstützen wollen, schlossen sie ihren Sohn gemeinsam in ihre Arme, woraufhin ich einen Schritt zurück machte.
      "Ma-Mama? Papa?", stammelte der Kleine nur und griff mit seinen zierlichen Händen nach den Armen seiner Eltern.
      "Yuuko", säuselte seine Mutter und rieb ihre Wange gegen sein dunkles Haar. "Das wichtigste ist, dass du endlich wieder bei uns bist. Den Rest werden wir gemeinsam schaffen."
      Als das Schluchzen des Jungen nun wieder einsetzte glaubte ich eine Veränderung in seinem Ton erkennen zu können. "H-heißt das... die Albträume haben ein Ende?", fragte er zitternd. "Sind die Monster endlich we-weg?"
      "Ja, das sind sie", bestätigte ich lächelnd und nickte den mir dankbar zublinzelnden Eltern entgegen. "Eine zauberhafte junge Dame hat sie für dich vertrieben."
      Die Tränen des Kindes wurden größer, während er sich in die Umarmung seiner Eltern drückte. "D-danke... Kannst du.. de-der Dame von mir danke sagen?"
      Ich merkte, wie sich meine Brust für einen Moment zusammenzog, während mich dieser kleine Junge mit seiner ehrlichen Dankbarkeit erstaunte. "Ja... das werde ich", versicherte ich mit sanften Ton. "Ganz sicher sogar."
      Danach folgte ich stumm Gojos Aufforderung. Wir sollten uns nicht länger als nötig hier aufhalten. Die drei brauchten Zeit für sich, sicherlich hatten sie viel miteinander zu reden, außerdem wollte ich Nanami und Hana nicht zu lange auf uns warten lassen.
      "Du hast recht, Hana ist offenkundig das Ziel", bestätigte ich, während Gojo seine eigene Gewissheit aussprach. Und auch bei seinen nächsten Worten nickte ich träge. Er hatte Recht, Hana würde nicht aufhören sich die Schuld für die Erblindung des Jungen zu geben und würde sich eventuell auch weigern, weitere Opfer zu heilen. Nur wenn diese kurz vor dem Tod stünden, doch solange wollte ich nicht warten. "Das einzige andere Familienmitglied, dass sie noch hat ist ihre Großmutter... allerdings ist die keine Sorcerin." Ich schüttelte leicht den Kopf. "Doch sie war viele Jahre lang mit einem verheiratet", erinnerte ich mich weiter und legte nachdenklich die Stirn in Falten. "Leider kann ich mich nicht mehr genau an die Akte erinnern, ich weiß nur, dass sie sich ewig nicht mehr hat blicken lassen nachdem Hanas Eltern gestorben sind und auch ihr Kontakt zur restlichen Familie ist verschwindend gering. Soweit ich weiß hat sie auch nicht die beste Beziehung zu den Watanabes." Was wohl nicht weiter verwunderlich war, bei den steifen Ansichten von Watanabe Akane. "Allerdings könnte Hana wissen, wo sie steckt." Ich legte Daumen und Zeigefinger an mein Kinn. Vielleicht sollten wir die alte Dame wirklich einmal kontaktieren. Auch wenn sie keine Sorcerin sein mochte, wusste sie vielleicht etwas mehr über Hanas Fähigkeiten und könnte der jungen Frau vielleicht weiterhelfen. Eventuell könnte sie Hana auch die Schuldgefühle nehmen, die auf ihren Schultern lasteten. Solange die Sorcerin verstand, dass sie mit ihrem Handeln Leben rettete und nichts an den einhergehenden Konsequenzen ändern konnte, würde ihr vielleicht schon ein großer Stein vom Herzen fallen. "Vielleicht können wir ein Treffen der beiden organisieren. Wahrscheinlich täte es Hana allgemein auch gut, sich mit einer Familienangehörigen auszutauschen. Und währenddessen sollten wir noch einmal alle Opfer abklappern. Vielleicht können wir doch noch ein paar neue Spuren finden. Vor allem nachdem wir nun wissen, wonach wir Ausschau halten müssen."
      Während ich meine Pläne schmiedete, beschleunigte ich auch meine Schritte, stieg in mir immer mehr der Wille eben diese Überlegungen in die Tat umzusetzen. Leider wurde ich allzu abrupt gestoppt. "Und da glaube ich einmal, dass du professionell bist...", stieß ich kopfschüttelnd hervor und blieb neben ihm stehen. "Wir sollten am besten Hana fragen, ob sie damit einverstanden wäre, sich mit ihrer Großmutter zu treffen. Sie mag keine Sorcerin sein, aber vielleicht kann sie dennoch helfen. Solange Nanami sie dorthin begleitet, sollte alles in Ordnung gehen. Vielleicht kannst du dich auch mit ihm abwechseln." Ich wollte nicht weiter von dem Blondhaarigen verlangen, dass er Rund um die Uhr den Bodyguard spielte und auch wenn ich Gojo noch vor ein paar Wochen ungern mit Hana allein lassen wollte - wer wusste schon, welchen Unsinn er dieses mal aushecken würde - war ich mir mittlerweile bewusst, dass mein geliebter Schützling in seiner Nähe mindestens genauso sicher wäre, wie bei Nanami. "In der Zwischenzeit werde ich mir noch einmal die alten Fälle genauer ansehen und mich auf eventuelle neue Angriffe vorbereiten. Spätestens wenn Hana beginnt weitere Opfer zu heilen, werden sich unsere Feinde sicherlich bemerkbar machen." Es mochte ein riskanter Plan sein, aber früher oder später mussten wir uns dem Fluchgeist stellen und da war mir früher eindeutig lieber als später. Wer wusste schon, wie viel stärker er in ein paar Wochen und Monaten schon sein konnte... "Ich hoffe doch, dieses Mal haben deine geschwächten Öhrchen meine Worte verstanden, denn noch einmal werde ich sie dir sicher nicht vorkauen." Mit diesen Worten schob ich mich aus dem Krankenhaus und hielt nach Hana und Nanami Ausschau. Ob der Sorcerer es wohl wirklich geschafft hatte, die junge Frau zu beruhigen? Ansonsten sollte ich Zuhause so schnell wie möglich einen heißen Kakao für meine ehemalige Schülerin zusammenbrauen.

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    • Hana Yamamoto

      Es dauerte gar nicht lange, da hatte sich Nanami zu mir an die Wand gesetzt. Ich versuchte mich mit seinen Worten zu trösten und zog mich sanft an sich heran. Schluchzend schlang ich meine Arme um den Blondhaarigen und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. "A-Aber ich habe ihn all seiner Träume beraubt", weinte ich. Er mochte die kleinen Dinge im Leben genießen können, jedoch würde er keine Entscheidungsgewalt mehr über die großen Ereignisse haben. Er könnte kein Polizist oder Feuerwehrmann werden. Er würde seine Lieblingsfilme- und Serien nie wieder auf dieselbe Art genießen, wie er es bisher getan hat und man würde ihm konstant erklären, wie schön diese Welt doch sein konnte. "E-Er muss n-noch mal von vorne b-beginnen und vieles neu e-erlernen", schluchzte ich. Was geschah, wenn er eines Tages völlig unzufrieden mit der Entscheidung war, sein Augenlicht gegen das Leben einzutauschen? Vielleicht hatte ich dem Jungen mehr Leid aufgebürdet, als er händeln konnte.
      Nanami ließ sich von meinen Worten nicht abhalten und streichelte immer wieder sanft mit seiner Hand über meinen Rücken. Seine Nähe half mir, mich langsam zu beruhigen. Er war noch immer der festen Überzeugung, dass es nicht meine Schuld gewesen war, dass der junge erblindete und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als seinen Worten eines Tages Glauben zu schenken. Es dauerte noch einen kurzen Moment, bis mein Tränenfluss vollkommen versiegt war und ich wieder Herr über meine Atmung wurde, doch irgendwann konnte ich mich in den Armen meines Begleiters beruhigen. "Danke", sprach ich irgendwann leise an Nanami gerichtet. Ich wusste nicht, wann ich meine Schuldgefühle gegenüber dem kleinen Jungen begraben könnte, doch wusste ich, dass dank Nanami ein großer Schritt in die richtige Richtung möglich war.
      Ich war schon lange jemand gewesen, der schnell Freundschaften schließen konnte, doch selbst für mich war es eigenartig, wie schnell mir der Blondhaarige ans Herz gewachsen war. Ich war ihm unendlich dankbar, für all die Dinge, die er in den letzten Wochen für mich getan hatte und ich würde ihm sicherlich auch noch in der Zukunft zu Dank verpflichtet sein.
      Irgendwann löste sich Nanami ein Stückchen von mir und legte sanft seine Hände auf meine Schultern, während er mich fragte, ob ich aufstehen wollte. Auch ich löste mich langsam mit einem leichten Nicken von ihm. Ich stelle mir vorsichtig auf meine Beine und wischte mir noch mal meine Tränen aus dem Gesicht, ehe ich mir meine Maske wieder über die Nase zog. Ich hatte wirklich keine Lust darauf, morgen Bilder meiner verweinten Augen auf all den Klatschmagazinen dieses Landes zusehen. Ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich gemeinsam mit Nanami zu Kimatsu und Gojo zurückkehrte, welche bereits vor dem Ausgang des Krankenhauses auf uns zu warten schienen.


      Satoru Gojo

      Ich grinste auf Kimatsu hinab. "Wer der Stärkste ist, muss nicht der professionellste sein", erklärte ich ihr. "In der Regel brauche ich keine Schlachtpläne, um meine Gegner zu zerstören." Tatsächlich hatte es mir bisher ausgereicht, für meine Missionen nur einen groben Plan zu bekommen. Ich hatte mich zunehmend weniger auf die Daten verlassen, die man mir hatte zukommen lassen und stürzte mich lieber direkt ins Getümmel, um mir ein eigenes Bild der Lage zu machen. Es kam schließlich auch hier und da mal vor, dass die Scouts einen Gegner völlig falsch einschätzten und auf diese Weise Rang-B Sorcerer für Rang-A Fluchgeister eingesetzt wurden. Mir war es mit der Zeit immer wichtiger geworden, mich auf meine eigene Stärke verlassen zu können, um genau diesen Dingen zu entgehen. Ich machte den Scouts oder Assistenzaufsehern keine Vorwürfe, jedoch war es Fakt, dass durch ihre Fehleinschätzungen Menschen starben. Meist waren es junge Sorcerer, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten und die sicherlich Großes leisten könnten, würde man ihnen nur die Zeit zum Wachsen geben, die sie benötigen würden. Allerdings glaubte ich nicht daran, dass sich dieses Problem jemals lösen würde, solange die Alten da oben das Sagen hatten. Sie würden immer und immer wieder diesen Kindern ihre Jugend rauben, solange es zu ihrem Vorteil ist und genau das müsste sich ändern. Ich wollte endlich dieses Generationentraumata durchbrechen und eine neue Welt für meine lieben Schüler schaffen. Allerdings wusste ich auch, dass den Großteil dieser Arbeit die neuen Generationen machen müssten. Sie würden auf den Gedanken kommen müssen, dass die Methoden dieser Leute komplett veraltet waren und dass es an ihnen lag, genau daran etwas zu ändern. Ich könnte ihnen lediglich eine Unterstützung in diesem Kampf sein, aber den Rest müssten sie aus eigener Kraft bewerkstelligen.
      "Auch wenn dieser Albtraum-Fluchgeist nicht direkt mein eigener Feind ist, werde ich sicherlich nicht zulassen, dass er Hana-chan etwas antun würde", beruhigte ich Kimatsu. Ich wollte nicht, dass sie gleich wieder ausrastete und dachte, ich würde das ganze hier nicht ernst nehmen.
      "Vielleicht wollte ich deine Engelsgleiche Stimme einfach nur ein zweites Mal hören", scherzte ich und sah der jungen Frau grinsend entgegen, während diese sich schon an mir vorbei schob, um das Krankenhaus zu verlassen. Ich schmunzelte kurz und folgte ihr anschließend aus dem Krankenhaus hinaus. Lange mussten wir auf Hana und Nanami nicht warten, da traten die zwei schon an uns heran. Hana wirkte noch immer etwas aufgelöst und man konnte ihr deutlich ihren Tränenfluss ansehen. Sie mochte zwar eine Capi tragen und einen Großteil ihres Gesichtes unter der Maske verstecken, jedoch sprachen ihre rote Augen für sich. Aber immerhin hatte sie es geschafft, sich wieder zu beruhigen und weinte nicht mehr. Das sollten wir für heute einen Erfolg nennen.
      "Hana-chan, es ist alles in Ordnung. Der Kleine wollte dass wir dir seinen Dank ausrichten. Du hast ihm sein Leben gerettet. Das ist etwas, wozu nicht mal Ieiri im Stande war und darauf solltest du stolz sein", tröstete ich sie und legte beiläufig meine Hand auf ihre Kopfbedeckung. "Lass uns zurückfahren. Dann kannst du dich ein wenig ausruhen." Der Golden Retriever nickte stumm und wir machten uns gemeinsam auf den Rückweg. Im Wagen setzte sich Hana direkt neben ihre Freundin und umklammerte für die gesamte Autofahrt den Arm der jungen Frau, während sie ihren Kopf an die Schulter der Weißhaarigen anlehnte und so ein wenig zur Ruhe kam. Die nächsten Tage würden für uns alle etwas anstrengend werden, weshalb sich jeder von uns so viel Ruhe wie möglich gönnen sollte. Sicherlich müsste ich vermehrt ein Auge auf Kimatsu haben, damit diese nicht jetzt schon in ihrer Arbeit versank und sich genügend Pausen gönnte. Ihr Fleiß und Drang zur Arbeit mochte zwar sehr löblich sein, allerdings waren es auch Eigenschaften, die mir bei der jungen Frau irgendwie so gar nicht gefallen wollten. Warum konnte ich nicht sagen, müsste es mir doch eigentlich egal sein.


      ~Zeitsprung von ein paar Tagen~


      Hana Yamamoto

      Endlich war es so weit! Endlich konnte ich Mama Kaori und die Jungs wiedersehen! Voller Aufregung saß ich neben Matsu im Auto, während meine Augen praktisch an der Scheibe klebten und jeden einzelnen Baum beim Vorüberziehen beobachteten. Matsu kam auf die Idee, dass wir mal wieder ihre Familie besuchen könnten und lud mich ein. Ich hatte in den letzten paar Tagen unendlich viel Zeit damit verbracht, geeignete Geschenke zusammen zu suchen, die ich als Gastgeschenk mitbringen könnte. Mama Kaori meinte zwar immer wieder, dass das nicht nötig sei, doch empfand ich selbst viel zu viel Freude daran, ihr und ihren Kindern Geschenke zu machen, dass ich mich dabei nicht zügeln konnte. Hoffentlich hatte Milo das besorgen können, worum ich ihn gebeten hatte. Es sollte mittlerweile ein leichtes für ihn sein, in Kimatsus Atelier einzudringen und einige ihrer Bilder mitgehen zu lassen, immerhin war er schon geübt darin und Kimatsu ihre Wohnung außerhalb der Akademie seit längerem nicht mehr besucht. Schließlich schien sie im Augenblick in ihrer Arbeit zu versinken, ein Umstand der mich sehr unglücklich machte. Ich hatte es zwar genossen, die letzten Tage so viel Zeit mit Gojo verbringen zu können, aber auch er konnte meine Matsu nicht ersetzen. Ich wusste, dass ihre Arbeit sehr wichtig war, weshalb ich mich nicht beschweren oder gar einmischen wollte, aber trotzdem musste ich sagen, dass sie mir sehr fehlte. Umso mehr freute es mich daher, dass wir beide nun im Auto saßen und uns auf dem Weg zu ihrer Familie machten. Wir würden sogar eine Nacht dort verbringen und morgen früh zu meiner Oma fahren, die nicht weit von Kimatsus Mutter lebte. Ich hatte also ein komplettes Matsu Wochenende vor mir. Ich war so ein Glückspilz!
      Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir endlich bei dem Haus der Familie an und Kimatsu parkte den Wagen. Noch bevor sie ihn hatte ausschalten können, hatte ich mich von meinem Sitz abgeschnallt und die Autotür aufgerissen, um aus dem Wagen zu stürmen. Sofort füllten sich meine Lungen mit der frischen Landluft, während ich meinen Blick auf den Eingang des Hauses richtete. "Miloooo!" Ich sah den jungen Mann mit einem Werkzeugkasten neben sich stehend, am Eingangstor. Voller Vorfreude rannte ich an Kimatsu vorbei und direkt auf ihn zu, während ich ihn zu einer festen Umarmung zwang. Sanft legte sich seine Hand auf meinen Kopf, welchen er mir tätschelte. "Wie schön dich zu sehen! Geht es dir gut?", fragte ich den Dunkelhaarigen und sah dabei lächelnd zu ihm hinauf. Just in diesem Moment öffnete sich die Haustür und ich löste mich wieder von Milo, als ich Mama Kaori sah. Ich wollte gerade auf sie zu rennen und in eine feste Umarmung verwickeln, als ich eine Vollbremsung machte und mich zu Kimatsu umdrehte, welche ihren Bruder Milo begrüßte. Ungeduldig wartete ich darauf, dass sie ihre Mutter umarmte, während ich voller Vorfreude auf das Warme Gefühl in meiner Brust wartete, welches mich ereilen würde, sobald ich den Armen der schönen Brünette lag. "So aufregend!" Ich hatte die Hände vor meiner Brust gefaltet, während meine Pupillen sich zu Diamanten verformt haben mussten und ich voller Freude auf die Umarmung der Braunhaarigen Schönheit wartete. Dann endlich war ich dran und schmiss mich förmlich in ihre Arme. "Mama Kaori, ich bin wieder zu Hause!" Ich schmiegte mich noch mehr an sie und atmete den vertrauen Duft ein, den die Frau von sich gab. "Du siehst auch heute wieder so schön aus." Ich umarmte sie noch eine ganze Weile, ehe mir auffiel, dass es noch jemand anderes gab, den ich unbedingt begrüßen musste. "Suzaku!" Ich schlang meine Arme um seinen Oberkörper und sah mit einem breiten Lächeln zu ihm hinauf. "Ich habe dich so vermisst! Wie geht es dir? Ist dein Studium auch nicht zu schwer?", wollte ich von ihm wissen, während ich noch immer nicht die Anstalten machte, ihn loszulassen. 60 Sekunden Umarmungen waren das absolute Pflichtprogramm, dem sich heute niemand entziehen könnte.
      "Ah! Da fällt mir ein, dass ich noch ein paar Geschenke für euch in Matsus Kofferraum habe... Könntest du mir bitte beim Ausladen helfen?", fragte ich den Schwarzhaarigen und sah bittend zu ihm hinauf, während ich ihn noch immer in meiner Umarmung gefangen hielt. Hoffentlich freuten sie sich über die neuen Geschenke.

      Hanas Outfit :3


      Plus schwarzer Mantel :3


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    • Kimatsu Hashisawa

      Ich wusste nicht genau, ob es wirklich die richtige Entscheidung war, bei all den Geschehnissen der letzten Wochen ein entspanntes Wochenende bei meiner Mutter zu verbringen. Aber ich hatte ihr versprochen, vorbeizukommen und kaum etwas war schlimmer, als meine enttäuschte Mutter... Sie war ein Profi daran mir mit den kleinsten Bemerkungen ein unendlich schlechtes Gewissen zu machen, während meine Brüder mir auch Monate lang in den Ohren gelegen hätten. Also hielt ich meinen ursprünglichen Wochenendsplan bei und musterte mit einem feinen Lächeln Hana dabei wie sie neben mir im Auto von Vorfreude und Aufregung überflutet wurde. Alleine das sollte schon Entlohnung genug für unseren Ausflug sein, außerdem würden wir morgen genug Zeit haben, Hanas Großmutter besuchen zu gehen, die nicht unweit meines Familienhauses lebte. Mit etwas Glück wusste die alte Dame etwas mehr zu unserem Fall, beziehungsweise könnte Hana den ein oder anderen Tipp hinsichtlich ihrer Fähigkeiten unterbreiten.
      Die vergangenen Tage hatte ich konstant über Fallakten gehangen, solange ich nicht gerade meine Schüler unterrichtete oder kleine Missionen erfüllte. All das war allerdings auch nur möglich gewesen, weil Gojo sich aufopferungsvoll um Hana gekümmert hatte. Unfassbar... Das mir einmal das Wort "aufopferungsvoll" im Zusammenhang mit dem egozentrischen Maskenfanatiker in den Sinn kommen würde...
      Nanami hatte seine Zeit damit verbracht, sich auf seinen neuen Job vorzubereiten, schließlich würde Hana ab Montag wieder voll in ihre Berufsleben starten und der Sorcerer schien den Plan zu verfolgen, sie dabei mit allen Mitteln zu unterstützen. Da er sich für diese Arbeit allerdings in sein Penthouse zurückgezogen hatte, musste ich nun mit dem Fakt leben, dass Gojo allein in der Schule und meiner Wohnung zurückgeblieben war... Aus eben diesem Grund hatte ich ihm den Auftrag gegeben, meine gesammelten Informationen anzusehen und vielleicht nach weiteren Hinweisen Ausschau zu halten. Mit etwas Glück beschäftigte ihn das lange genug.
      Umso näher wir meinem Elternhaus kamen, desto mehr schien die Großstadt hinter uns zu verschwinden. Es war kaum zu glauben, dass diese bewaldete Region überhaupt noch Teil Tokyos sein sollte. Allein der Anblick der bewachsenen Berghänge ließ Nostalgie in mir wach werden und plötzlich freute ich mich mehr denn je darauf endlich wieder meine Mutter und Brüder sehen zu dürfen.
      Doch die Freude in Hanas Herzen musste noch deutlich größer sein, so schnell wie sie aus dem Auto gesprungen war, kaum dass ich es vor dem alten Haus zum stehen gebracht hatte. "Hier hat sich echt nichts verändert", murmelte ich kopfschüttelnd, als ich meinen Bruder Milo dabei entdeckte, wie er das morsche Eingangstor zum Grundstück zu flicken versuchte. Doch auch wenn das altmodische Haus schon einige Schäden und Mängel aufwies, wollte meine Mutter es einfach nicht aufgeben. Ich würde wohl nie ganz verstehen können warum, aber ich hatte begriffen, dass man sie nicht würde überreden können. Entsprechend dankbar war ich also, dass Milos handwerkliches Geschick die Bude schon des Öfteren vor dem Einsturz hatte bewahren können. Als Hana nun voller Begeisterung auf ihn zustürzte, löste er sich von seiner aktuellen Arbeit und nahm die stürmische Umarmung der jungen Frau mit einem feinen Lächeln auf den Lippen entgegen. "Auch schön, dich wieder zu sehen, Hana-chan", meinte er sanft und tätschelte wie selbstverständlich ihren Kopf. "Und mir geht es blendend wie du siehst. Ich hoffe, dir geht es auch gut?" Fragend legte er den Kopf schief und schien in ihren Augen nach der Antwort forschen zu wollen, allerdings wurde er just unterbrochen.
      Kaum trat meine Mutter aus dem Haus, schien Hanas Begeisterung eine neue Stufe zu erreichen. Ich nickte derweil meinem Bruder nur einmal grüßend zu und folgte dem blonden Wirbelwind Richtung Eingangstür. Bald schon merkte ich, wie die Blondine auf halber Strecke innehielt und unterdrückte ein belustigtes Seufzen. Dass sie mir aber auch immer den Vortritt lassen musste. Um sie nicht weiter auf die Folter zu spannen, trat ich kurzerhand an ihr vorbei und ergab mich der festen Umarmung meiner Mutter. "Schön dich endlich mal wieder hier zu haben, mein Schatz", säuselte sie mir glücklich ins Ohr.
      "Ich bin auch froh, hier zu sein, Mutter", antwortete ich lächelnd und drückte mich aus ihrer Umarmung. Hinter mir wartete jemand, der diese deutlich nötiger hatte als ich.
      "Hana-chan, mein Süße, ich habe dich so sehr vermisst." Fest schloss meine Mutter die Blondine in ihre Arme und wiegte sich mit ihr einem halben Tanz gleichend hin und her. "Du musst dringend häufiger vorbei kommen, einen Sonnenschein wie dich kann ich jeden Tag gebrauchen", kicherte die Familienmutter zufrieden und drückte der Sorcerin einen mütterlichen Kuss auf die Stirn. "Du bist viel hübscher, meine Liebe. Ich glaube du bist sogar noch schöner geworden, als das letzte mal, dass wir uns gesehen hatten." Begeistert wanderten die Finger meine Mutter über Hanas weiche Gesichtszüge, als würde sie ein einzigartiges Kunstwerk bestaunen. "Wie eine kleine Sonne."
      Zuletzt durfte sich mein jüngster Bruder der festen Umarmung unterziehen, wobei er sich kurz ähnlich wie Mutter gemeinsam mit Hana hin und her wiegte. "Ich dich auch, Hana", berichtete er mit einem breiten Lächeln. "Und du weißt doch, das Studium ist ein klacks für mich." Mit breitem Siegergrinsen tätschelte er der jungen Frau ähnlich brüderlich den Kopf, wie es Milo zuvor auch getan hatte, bis sich Hana an all die Mitbringsel erinnerte, die sie heute Morgen noch in den Kofferraum gequetscht hatte.
      "Du kannst es einfach nicht lassen, was?" Meine Mutter schüttelte mit einem feinen Grinsen das Gesicht. "Dabei sage ich dir doch immer wieder, dass dein Erscheinen für uns Geschenk genug ist."
      "Mutter hat recht", pflichtete Suzaku nickend bei. "Wir sind einfach froh, endlich mal wieder dein Lachen hören zu dürfen."
      Milo beschränkte sich auf ein zustimmendes Nicken, allerdings war Hana nicht aufzuhalten, weswegen Suzaku sich auch schnell geschlagen gab und der jungen Blondine brav zum Auto folgte.
      "Ist auch alles in Ordnung bei dir, mein Schatz?", hakte meine Mutter plötzlich etwas ernster nach, als Hana und mein kleinster Bruder beim Auto angelangt waren.
      Verwundert hob ich meinen Kopf zu der erfahrenen Frau. Wie schaffte sie es nur immer wieder, mich so einfach zu durchschauen. Dennoch nickte ich zuversichtlich. "Ja, alles in Ordnung. Warum fragst du?"
      Die mintgrünen Augen wanderten zu meiner aufgedrehten Begleiterin. "Hana-chan hat sich noch fester an mich geschmiegt als sonst... als würde sie irgendetwas bedrücken."
      Ich unterdrückte ein leises Lachen, während mir auch Milos besorgter Blick nicht entging, der sich nun in Richtung Blondine schob. Offenkundig war für sie Hana schon lange enger Bestandteil der Familie geworden und ich war ihnen unfassbar dankbar dafür. "Sie hat die letzten Tage ein paar Dinge durchmachen müssen", hielt ich mich vage. Ich wollte meine Familie nicht in meine Probleme auf Arbeit verwickeln, meine Mutter machte sich so schon genug Sorgen.
      "Ist das so...", murmelte sie nun nachdenklich. Dann hob sie mit einem Schmunzeln den Kopf. "Dann ist es ja nur gut, dass ich extra viele Kekse gebacken habe." Sie hob ihre Stimme und wendete sich zu Hana. "Ich hoffe du magst Cookies mit Schokostückchen, Süße. Ich habe auch schon heißen Kakao bereitstehen für dich."
    • Hana Yamamoto

      Mama Kaoris Worte gingen hinunter wie warmes Öl. Ich selbst war bei meiner Tante in einem sehr strengen Haushalt aufgewachsen, der nur wenig liebevoll und vor allem autoritär war. Perfektion stand über allem und wer nicht in dieses Bild hinein passte, wurde eben passend gemacht. Mein Frühstück nahm ich stets mit einigen verletzenden Sprüchen zu meiner Figur ein und auch alle anderen Mahlzeiten, sahen nicht besser aus. Noch nie hatte ich aus dem Mund meiner Tante, solch warme und wertschätzende Worte gehört. Wäre ich nicht voll mit Glücksgefühlen, wäre hier sicher schon die ein oder andere Träne geflossen.
      Irgendwann schaffte ich es, mich von der attraktiven Brünette zu lösen und umfing stattdessen Suzaku in eine warme Umarmung. Glücklich über seine Reaktion, schmiegte ich mich direkt näher an ihn heran und genoss einfach das vertraute Gefühl dieser Familie.
      Natürlich versuchte mir Mama Kaori die Geschenke wieder auszureden, allerdings hatte ich den Sturkopf meines Vaters geerbt, weshalb ich darauf bestand, ihnen diese Geschenke mitzubringen. Ich hatte sie schließlich nicht, in mühevoller Arbeit für sie zusammengesucht und hierher transportiert, nur damit ich mit all den Sachen wieder zurück nach Hause fuhr.
      Glücklicherweise stellte sich Suzaku zum Tragen zur Verfügung, weshalb ich ihn am Handgelenk packte und fröhlich hinter mir her zog. Am Auto angekommen, gab ich sein Handgelenk wieder frei und öffnete stattdessen den Kofferraum, in welchem mehrere große Kisten gelagert wurden. Wenn ich mir das ganze von dieser Perspektive aus ansah, fragte ich mich wirklich, wie ich vorhin das ganze Zeug hatte unterbringen können. "Hana ist gut in Tetris", grinste ich Suzaku stolz an, während auch er seinen Blick auf die Kartons hatte schweifen lassen. Da ich die anderen nicht lange warten lassen wollte, schnappten wir uns kurzerhand das ganze Zeug und brachten die Kisten in das Wohnzimmer des Hauses. Da ich vorab alle Sachen beschriftet hatte, würde auch jeder wissen, zu wem was gehörte. Nachdem wir die Kisten endlich abgestellt hatten, schälte ich mich aus meinem Mantel und meinen hohen Schuhen, ehe Mama Kaori wieder das Wort ergriff. Ich glaubte, dass sich meine Augen erneut in funkelnde Diamanten verwandelten, während ich die Frau vor mir anstrahlte. "Kekse und Kakao?!", wollte ich noch mal von ihr wissen. "Aber sowas von!" Voller Freude schmiss ich mich erneut in ihre Arme und tankte ein wenig mütterliche Liebe auf. So musste es sich anfühlen, eine richtige Familie zu haben. Es war ein Gefühl, dass ich mit den Jahren im Haus der Watanabes vergessen hatte, doch dank Matsu, hatte ich es wieder für mich entdecken können und das war wahrscheinlich nur einer von vielen Gründen, warum ich auf ewig in ihrer Schuld stehen würde.
      Wir versammelten uns um den Esstisch, doch noch bevor ich Platz nahm, sah ich zu Milo hinüber. Gerade gab es nur eine Sache, die noch wichtiger als Kekse und heiße Schokolade waren -und das sagte ich wirklich selten. "Milo. Hast du, Du-weißt-schon-was, besorgen können?", fragte ich ihn und funkelte ihn mit verheißungsvollen Augen entgegen. "Selbstverständlich. Ich geh es sofort holen." Ich sah ihm noch mit einem breiten grinsen nach, ehe ich mich auf den Boden um den Tisch setzte und geduldig auf den Schwarzhaarigen wartete. Nur wenige Momente später kam er schon mit einem Gemälde in der Hand zurück und reichte es mir. Ich nahm es in beide Hände und hielt es von meinem Körper weg, während meine Augen über die buntbemalte Leinwand fuhren. "Woooow! Matsu-chan, das ist wirklich unglaublich! Der Wolf ist so unfassbar niedlich!", strahlte ich und sah dann von dem Rand des Bilderrahmens hinüber, zu den Augen meiner Lieblingsfreundin. "Schau mal her", sagte ich und präsentierte Suzaku neben mir, das Bild seiner Schwester. "Matsu-chan hat so viel Talent, findest du nicht auch?" Ich fand nach wie vor, dass eben dieses verschwendet wurde, weil sie ihre Bilder nur ihren engsten Vertrauten zeigte und nicht mit der Welt teilte. Allerdings würde ich für sie sofort eine Abendgala mit Kunstinteressenten und Sponsoren organisieren, sollte sie sich eines Tages doch noch dazu entscheiden, ihre Kunst zu Geld zu machen. Bis dahin musste ich mich also mit den Bildern zufrieden geben, die mir Milo ergaunern konnte.
      "Wenn du die anderen Bilder irgendwann verkaufen möchtest, sag mir rechtzeitig bescheid, ich kauf sie dann alle ab", sagte ich fröhlich und stellte das Bild vorsichtig beiseite, um mich endlich den duftenden Keksen und der heißen Schokolade zu widmen. Wie nicht anders zu erwarten, schmeckten diese Dinge himmlisch und ein glücklich und zufriedener Ausdruck legte sich auf meine Gesichtszüge. Ich war im Paradies angekommen.
    • Kimatsu Hashisawa

      Es war wirklich ein reiner Segen beobachten zu dürfen, wie Hana zunehmend zu strahlen begann. Vielleicht hätte ich sie viel früher schon einmal wieder hierher bringen sollen, doch wie sagte man: Lieber zu spät als nie? So beobachtete ich zufrieden, wie der goldene Wirbelwind die dutzenden Geschenke aus dem Kofferraum kramte. Noch immer fragte ich mich, wie wir die ganzen Pakete überhaupt da rein bekommen hatten, aber offenbar galt das zu einen von Hanas verborgenen Talenten.
      Schließlich betraten wir das Haus und ich saugte direkt den altbekannten Geruch ein. Der Duft von frisch gepressten Orangen, eine Mischung aus Kakao und noch warmen Keksen und der angenehme Geruch nach Natur, der jedes einzelne Zimmer zu durchströmen schien. Dutzende Kindheitserinnerten durchfluteten meinen Kopf, während ich ruhig durch den Flur wanderte, an mehreren Blumenvasen vorbei und unzähligen Familienbildern an den Wänden... und ab und an waren da auch meine Gemälde dabei. "Wann hat Milo das denn schon wieder aufgetrieben...", murmelte ich kopfschüttelnd und verharrte vor einem der Gemälde an der Wand. Darauf zu sehen war ein überdimensionaler Vollmond, welcher über einer verschneiten Berglandschaft thronte. Ich hatte das Bild vor nicht ganz zwei Monaten gemalt. Wann hatte mein Bruder seit dem nur wieder die Zeit gefunden, die Tür zu meinem Atelier zu knacken? Scheinbar hatte es auch nichts gebracht, das neue Schloss zu installieren.
      Ich verkniff mir ein Seufzen und folgte schließlich den anderen ins Wohnzimmer. Wie erwartet, hatte Mutter bereits den Kotatsu-Tisch reichlich gedeckt. Neben den frisch gebackenen Cookies wartete auch ein Korb voller Obst auf uns, wobei die Hälfte sicher aus ihrem eigenen Anbau stammte. Noch bevor ich mich im Schneidersitz am Tisch platzieren konnte, durfte ich leider beobachten, wie Milo ein weiteres meiner Gemälde hervorzauberte und es der ungeduldigen Hana entgegen hielt. "Wolltet ihr mit diesen Deals nicht endlich aufhören...?", murmelte ich kopfschüttelnd, konnte das freudige Kribbeln in meiner Magengrube allerdings nicht verneinen, als ich das begeisterte Lächeln auf dem Gesicht der Blondine beobachten durfte. Ich zeigte meine Arbeit ungern anderen. Es war damals schon eine große Überwindung gewesen, es meiner Familie zu präsentieren und auch Hana hatte ich nicht sofort mein Atelier präsentieren können. Doch zugleich freute ich mich jedes Mal darüber, das Glitzern in ihren Augen zu sehen, sobald sie eines meiner Gemälde betrachteten... auch wenn ich bis heute nicht verstand, was sie an eben diesen so beeindruckend fanden. Ja, ich mochte nicht schlecht im Malen sein, aber sonderlich ausgefallene Meisterwerke brachte ich auch nicht gerade zustande... So schüttelte ich auch mild den Kopf, als mich Hana - mal wieder - darauf ansprach meine Kunst doch zu verkaufen. "Ich mache das für mich und nicht für irgendwelche großen Galerien", meinte ich ruhig und dankte meiner Mutter mit einem kurzen Nicken, als sie mir ein Glas frischen O-Safts vor die Nase schob. "Und noch weniger habe ich vor, Geld damit zu machen."
      "Dabei hat Hana recht, du könntest sicher ein halbes Vermögen machen, Schwesterherz." Suzakus Schmunzeln war zu entnehmen, dass er bereits die Gewinne im Kopf zu kalkulieren schien. "Ich wette, wenn wir ein paar Online-Anzeigen stellen, finden wir sofort dutzende Käufer."
      "Nix da." Ich warf nachdrücklich den Kopf von einer Seite zur anderen. "Ich will meine Bilder nicht verkaufen und fremden Menschen zeigen... Es reicht mir schon, dass meine eigene Familie sich unerlaubt Zugang zu ihnen gestattet." Als ich Milo einen strafenden Blick zuwarf, hob der nur in geheuchelter Furcht die Arme.
      Ich schüttelte erneut den Kopf und beschloss mich lieber auf die Kekse und Früchte zu konzentrieren. Hana schien nebenbei genüsslich in ihrem Kakao zu versinken.
      "Wie ich sehe, scheint es dir zu schmecken, Süße", stellte meine Mutter zufrieden fest und tätschelte Hana wie nebenbei den Kopf. "Du musst dringend wieder öfter vorbei kommen, meine Söhne zeigen mir nie so offen, wenn ihnen etwas schmeckt."
      "Das stimmt doch gar nicht, Mutter", warf Suzaku ein. "Ich sage dir immer wieder, was für eine gute Köchin du bist."
      "Ja, aber dein stoischer Ton dabei, lässt mich zunehmend an der Aussage zweifeln", protestierte die Ältere und entlockte mir ein feines Schmunzeln. Es war schön zu sehen, dass sich in diesem Haushalt nichts geändert hatte.
      "Die Kekse schmecken wunderbar, Mama", erklärte ich ihr und lächelte sie offen an.
      Ein Lächeln, dass meine Mutter in doppelter Kraft zu spiegeln wusste. "Danke, mein Schatz." Dann wendete sie sich schon wieder an genießerische Hana. "Ich habe von Kimatsu gehört, dass ihr beiden morgen zusammen deine Großmutter besuchen wollt? Möchtest du ihr vielleicht auch etwas mitbringen? Wenn du möchtest, können wir heute noch etwas zusammen kochen." Mutter wusste, dass Hana es eigentlich gewöhnt war, im Haus der Watanabe von oben bis untern verwöhnt und bedient zu werden und ich glaubte, dass sie der jungen Frau eben deswegen immer wieder anbot gemeinsam mit ihr zu Kochen oder andere Haushaltsaufgaben zu erledigen. Sie versuchte ihr ein paar der Dinge beizubringen, die ihr eigentlich ihre eigene Mutter hätte beibringen sollen. "Doch davor wollte ich noch etwas den Garten fegen und vom ganzen Laub befreien", berichtete sie nun weiter. "Wärt ihr so lieb, mir dabei zu helfen. Die Jungs wollten in der Zwischenzeit das Tor und meinen Kleiderschrank reparieren?"
      "Was ist denn mit deinem Schrank passiert?", hackte ich verwundert ein.
      "Ach nichts weiter aufwendiges. Es ist nur wieder eines der Bretter herausgebrochen."
      "Ja, weil Mutter seit über zwanzig Jahren keinen neuen Schrank gekauft hat und das Holz zusehends morsch wird", beschwerte sich Suzaku, versteckte seinen Ärger aber hinter dem Apfel, welcher so eben seinen Zähnen zum Opfer fiel. Allerdings hielt ihn sein voller Mund nicht davon ab, weiter zu zetern. "Wie oft hafen wir dir fon gefaft, dasch wir ohne Fofleme einen neuen fufammen bauen fömmen? (Wie oft haben wir dir schon gesagt, dass wir ohne Probleme einen neuen zusammenbauen können)" Er schien selbst zu bemerken, dass seine Worte kaum zu verstehen waren und schluckte einmal hinunter. "Den alten haben wir mittlerweile sowieso schon so oft repariert, dass da kaum noch ein originales Teil dran ist."
      Mutter musterte ihren jüngsten Sohn für ein paar Momente schweigend, als würde sie über etwas nachdenken, schüttelte dann aber den Kopf. "Bevor er nicht komplett in sich zusammenfällt, möchte ich meinen alten Schrank behalten." Bevor sich Suzaku weiter beschweren konnte, richtete sie sich aber schon wieder an Hana. "Also? Ist es okay, wenn ich dich im Garten etwas um Hilfe bitte?"
    • Hana Yamamoto

      "Nix da!", sprachen Kimatsu und ich gleichzeitig, als Suzaku vorschlug, ein paar Onlineanzeigen freizuschalten. Während die Weißhaarige ihren Einwand damit begründete, dass sie ihre Bilder niemandem sonst zeigen wollte, hatte ich einen ganz anderen Grund. "Niemand darf vor mir Matsus Bilder abkaufen! Wenn sie jemals zu Verkauf stehen sollten, kaufe ich sie -alle!", sagte ich fest überzeugt und sah mit ernsten Augen zu Suzaku hinauf. Ich war ihr größter Fans, seit der ersten Stunde. Es wäre nur fair, wenn mir zuerst die Chance eingeräumt werden würde, alle Bilder abzukaufen, die sie jemals gemalt hatte. Sie würden zu meinen größten Schätzen gehören und ich würde einen Teufel tun, sie jemand anderem zu überlassen.
      Um mich wieder zu beruhigen, wendete ich mich meiner heißen Schokolade zu und genoss das warme Gefühl in meiner Magengrube, dass mir dieses heiße Getränk bescherte. Ein glückliches Glucksen drang aus meiner Kehle und ich seufzte zufrieden. Wir müssten in Zukunft deutlich häufiger herkommen, vor allem jetzt, wo Weihnachten so kurz vor der Tür stand und ich Schoki on Mass konsumieren konnte, ohne dass es mir jemand streitig machen konnte. Die Konversation zwischen Mama Kaori und Suzaku entlockte mir ein leises Kichern. "Wäre Suzaku ein Tier, dann definitiv eine grummelige, alte Katze."
      Mama Kaori erwähnte irgendwann den morgigen Ausflug zu meiner Oma, weshalb ich wieder zu ihr hinauf sah. "Das würde sie sicher sehr freuen!", nickte ich ihr zustimmend zu. "Omi ist normalerweise etwas wählerisch mit dem Essen, dass sie nicht selbst zubereitet hat, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ein großer Fan von deinem Essen sein wird", lächelte ich zuversichtlich. Mama Kaoris Essen musste man einfach lieben!
      "Liebend gern!", platzte es direkt mit strahlenden Augen heraus, als sie mich um Hilfe für den Garten bat. Es machte mich unfassbar glücklich, dass ich hier einen Ort gefunden hatte, an dem ich gebraucht wurde und Dinge bewirken konnte. Im Hause Watanabe würde man mich schnell ersetzen können und auch als Model hatte ich nicht wirklich eine bedeutende Rolle. Ich hatte einen gewissen Marktwert vorzuweisen, aber die Fashionwelt würde sich auch ohne mich weiterdrehen.
      Ich kicherte erneut, als Suzaku mit vollem Mund sprach und dabei neue Wort Kreationen erschaffte. "Vielleicht doch lieber ein Vielfraß", neckte ich ihn. "Du kannst mich das nächste mal doch einfach anrufen. Ich organisiere dir dann einen neuen Kleiderschrank und einen Aufbauservice", meinte ich und sah etwas besorgt zu der Brünette hinauf. Warum nur hing sie so sehr an all diesen kaputten Dingen?

      Wir beendeten gemeinsam das Essen und ich half noch schnell beim Abdecken des Tisches, ehe ich schon zur Garderobe stürmte und mir meinen Mantel überzog. "Ich geh noch schnell zum Auto und besorge mir flacheres Schuhwerk", erklärte ich und verschwand auch schon aus dem Haus. Ich ging direkt zum Auto und kramte meine Reisetasche auf den Rücksitzen hervor, wo ich ein deutlich flacheres Paar Schuhe hervornahm und diese gegen die schwarzen High Heels an meinen Füßen eintauschte. Wie gut, dass ich immer zu viel als zu wenig einpackte.
      Ich kehrte zu den anderen zurück und half Mama Kaori dabei, das Laub wegzukehren und den Hof zu fegen. Schon bald hatte mein Kleid und der Mantel mehrere Staubflecken von der Gartenarbeit aufzuweisen. Tante Akane wäre wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen, hätte sie mich so gesehen. Doch mich machte dieser Anblick überraschend glücklich. Ich fühlte mich wie ein normales Mädchen, mit einer normalen Familie und ich schaffte es tatsächlich, weder an Fluchgeister noch ans modeln zu denken. Die Gartenarbeit hatte irgendwas meditatives an sich und ich machte sie wirklich gern, vor allem wenn ich wusste, dass ich Mama Kaori damit unterstützen konnte.
      "Alle aus dem Weg, hier kommt Hana-chan!" Mit diesen Worten nahm ich Anlauf und rannte geradewegs auf den riesigen Laubhaufen zu, den wir zusammengetragen hatten, ehe ich mich laut lachend hinein warf. "Wow, man liegt wie auf Wolken!" Ich blieb noch einen kurzen Moment liegen und sah zum bewölkten Himmel über mir hinauf. Der Wetterdienst hatte Schnee vorhergesagt und ich dachte darüber nach, wie schön es wäre, den ersten Schnee mit Matsu und den anderen begrüßen zu dürfen. Ich wollte endlich einen Schneemann bauen, heiße Schokolade trinken, eine Schneeballschlacht machen, noch mehr heiße Schokolade trinken...
      Ich hing noch kurz meinen Gedanken nach, ehe ich mich aus dem riesigen Laubhaufen erhob und die Blätter zusammentrug, die ich bei meinem Sprung in den Blätterberg verteilt hatte. Als ich fertig war, wanderte mein Blick zu den Jungs am Gartentor und ich erkannte, dass Suzaki alleine stand. Ich nutzte die Gelegenheit und gesellte mich zu ihm, während ich den Weg kehrte. "Duu, Suzaki? Sagen wir, ein Unfallchirug hat einen bewusstlosen Patienten bei sich im OP liegen und die einzige Möglichkeit sein Leben zu retten, wäre es ihm sein Bein zu amputieren, müsste der Chirug dann rechtliche Konsequenzen fürchten?", fragte ich ihn, während ich mich auf das Fegen konzentrierte. Ich traute mir nicht, in sein Gesicht zu schauen, da ich aus irgendeinem Grund Angst davor hatte, dass er direkt wissen würde, worum es ging. Natürlich war dieser Gedanke schwachsinnig, aber ich wollte nicht, dass die drei davon erfuhren, dass ich einem kleinen Jungen das Augenlicht genommen hatte. Zu groß war meine Angst, dass sie mich verstoßen könnten.
    • Kimatsu Hashisawa

      Es war nicht das erste Mal, dass Hana Mutter anbot, neue Möbel für sie zu organisieren. So wie ich die Blondine kannte, hätte sie in null Komma nix sogar ein komplett neues Haus organisiert. Aber all das Stand für Mum nicht zur Debatte. "Danke für dein Angebot, Süße, aber ich brauche wirklich keinen neuen Schrank." Es war dieser Blick in Mutters Augen... Sie erinnerte sich an etwas, dass sie einfach nicht loslassen wollte und es wohl auch nicht konnte. Ich befürchtete, dass es ihr Mann war, der in diesen Momenten immer wieder vor ihrem inneren Auge erschien. Ich konnte es nicht fassen, dass sie diesen elenden Kerl immer noch nicht vergessen wollte. Es waren bereits zwanzig Jahre vergangen, seitdem er uns im Stich gelassen hatte. Und er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, auch nur eine Nachricht für uns zu hinterlassen. Ihn hatte es nicht geschert, wie sehr Mutter unter seinem Verschwinden zu leiden hatte. Ihm war es egal gewesen, dass er nicht nur mich sondern vor allem auch seine zwei kleinen Söhne zurückgelassen hatte. Mutter hatte sich von jetzt auf gleich alleine um drei Kinder kümmern müssen. Für sie war es keine Option gewesen, sich an den Yuma-Clan zu wenden, in welchem sie hatte aufwachsen müssen und mein Erzeuger schien selbst auch keine andere Familie gehabt zu haben. Also hatte es auch nie Großeltern gegeben, bei denen wir hätten unterkommen können. Jahrelang hatten wir in Armut gelebt, während Mutter sich den Arsch für uns aufriss... Auch in dieser Zeit hatte er sich nie blicken lassen. Ich war mir mittlerweile nicht einmal mehr sicher, dass er noch lebte, doch Mutter schien an eben dieser Hoffnung eisern fest zuhalten. Das musste auch der Grund dafür sein, dass sie sich weder von diesem alten Haus, noch von dessen Inneneinrichtung trennen konnte. Ich hatte es allerdings auch schon aufgegeben, sie weiter überzeugen zu wollen. Ich konnte sie schließlich nicht dazu zwingen, ihren verschollenen Mann aufzugeben und solange sie ihr Leben ansonsten wieder in vollen Zügen lebte, sollte ich mich glücklich schätzen. Immerhin hatte das auch schon einmal ganz anders ausgesehen...

      Nach unserem kleinen Kaffeekranz verlagerten Hana, Mutter und ich uns zügig in den Garten, Milo trat erneut den Kampf mit dem dem rostigen Eingangstor an, während Suzaku sich - noch immer etwas genervt - ins Schlafzimmer verzog. Ich nutzte unsere Zeit draußen, um intensiv den Duft nach frischem Graß, feuchtem Laub und fruchtbarerer Erde durch meine Nase zu saugen. Zwar hatte die Jujutsu-High trotz der zentralen Lage auch reichlich viel Natur zu bieten, aber die Wälder in dieser Gegend befanden sich auf einem anderen Level. Die Bäume waren größer und kräftiger, die Luft war zum Großteil vom Smock der Stadt befreit und vor allem die Tierwelt hatte eine höhere Vielfalt zu bieten, als die Schule in der Innenstadt. Entsprechen leicht fiel es mir, meine Fühler in Form meiner Fluchtechnik in alle Himmelsrichtungen auszustrecken, um einen detaillierten Überblick über Meine Umgebung zu erhalten. Die Tausenden Augen von Fliegen, Mücken und Schmetterlingen, waren besser als jede Überwachungskamera, während es mir die weiten Wurzeln der Bäume erlaubten selbst in einem halben Kilometer Entfernung noch jeden potentiellen Eindringling zu identifizieren.
      Nachdem ich nun wusste, dass Hana das Ziel des Albtraum-Fluchgeistes sein musste, konnte ich mir keine groben Schnitzer leisten. Solange sie an meiner Seite war, war ich für ihre Sicherheit verantwortlich und ich würde nicht zulassen, dass uns irgendjemand aus dem Hinterhalt Angriff.
      Dennoch wollte ich auch diesen Moment mit meiner Mutter und dem warmen Sonnenstrahl einer Frau nicht missen und beteiligte mich tatkräftig an der Gartenarbeit. Hana schien dabei eindeutig den meisten Spaß zu haben. Man sollte eigentlich meinen, dass die "verwöhnte" Erbin es Millionen-schweren Unternehmens solche Arbeiten verachten sollte, aber Mutter hatte schon früh erkannt, dass es eben solche Aufgaben waren, die die junge Frau am meisten brauchte. Bei den Watanabes war es Hana kaum gestattet einen Finger krumm zu machen, nicht einmal das Kochen wurde ihr gestattet, egal wie viel Spaß es ihr auch machte. In den Augen ihrer Tante waren nur die Qualitäten wichtig, die später Profit herausschlagen konnten... Wie sich ihre Nichte dabei fühlte schien aber leider viel zu oft zu kurz zu kommen.
      Umso mehr schien Hana hier aufzublühen. Mutter bat sie mit Absicht darum, ihr bei allen möglichen Hausarbeiten zu helfen, schien eben dies doch am besten ein "normales" und ruhiges Leben widerzuspiegeln. Und wenn ich ehrlich war, genoss ich diese einfachen Aufgaben auch ungemein. Während ich das Laub auf dem Rasen zusammenfegte, musste ich nicht ständig an die Gefahren denken, die uns gerade umschwebten. Ich musste nicht daran denken, welchen Fluchgeistern ich mich als nächstes würde stellen müssen. Ich musste mich nicht darum sorgen, was meine Schüler wohl gerade machten und ob ich ihnen genug beigebracht hatte, damit sie ihre nächste Mission unbeschadet überstehen würden. Gerade -jetzt und hier - war es einzig und allein mein Job die bunten Blätter auf dem grünen Rasen auf einen Haufen zu befördern. Danach hatte ich immer noch genug Zeit, meine Gedanken erneut um meine Probleme kreisen zu lassen. Und irgendwie befürchtete ich, dass mir zuerst der elende Maskenheld in den Sinn kommen würde. Hoffentlich hatte er die Füße still gehalten und wanderte nicht gerade unbeaufsichtigt durch halb Tokyo... Ob er schon die Fallakten hatte sichten können, die ihm vorbereitet hatte?
      Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte meine Gedanken doch von diesen Sorgen im Moment befreien und vor allem dieser Trottel sollte kein Teil meiner Überlegungen sein. Da konzentrierte ich mich doch viel lieber auf die lachende Hana, die den zusammengeschobenen Laubhaufen in ihr provisorisches Wolkenbett verwandelte. "Ach ist das so?", fragte ich schmunzelnd nach, als sie berichtete, wie weiß der Laubhaufen doch war. Spontan ließ ich mich neben sie in das Naturbett sinken und betrachtete den klaren Himmel über uns. Mittlerweile hatte die Sonne schon ihren Zenit überschritten, was bedeutete dass wir reichlich Zeit hier draußen verbracht haben mussten.
      "Danke für Arbeit, ihr zwei." Mutter grinste auf uns hinab. "Ohne euch wäre ich sicher nicht so schnell fertig geworden."
      "Nicht der Rede wert", erwiderte ich und erhob mich von meiner weichen Liegefläche und half Hana dabei, den Laubhaufen zurück in seine ursprüngliche Form zu schieben.
      Nach getaner Arbeit kehrten gingen wir wieder in Richtung Hauseingang, um im Vorgarten die letzten Reste Laub zusammenzukehren. Suzaku musste Mutters Schrank bereits repariert haben, da er zusammen mit Milo am Gartentor das Werkzeug zusammenräumte. Scheinbar hatte es der angehende Architekt auch geschafft, dass alte rostige Teil wieder gerade zu biegen. Während Mutter bereits ins Haus zurückkehrte, um uns ein paar Erfrischungen zu organisieren, beobachtete ich etwas verwundert, wie Hana sich an Suzaku heranschob. Ihre Frage an ihn lies mich aufhören, glaubte ich doch genau zu wissen, warum sie genau das wissen wollte.
      "Hm", begann der junge Jurastudent nachdenklich. "Das Hauptanliegen und auch die hauptsächliche Aufgabe des Arztes ist es natürlich Leben zu retten und im Fall eines Patienten, der nicht einwilligungsfähig ist, würde er sicher in jedem Fall die Amputation bevorzugen. Solange es sich wirklich um einen Notfall handelt, ist der Arzt daher dazu befugt, eigenverantwortlich zu handeln. Das trifft natürlich nur zu, wenn es keine Patientenverfügung gibt, die etwas Gegenteiliges verlangt und auch Betreuungsbefugte mit Vorsorgefollmacht sollten immer vorher befragt werden. Doch solange es in diesem Fall eine Einwilligung gab, die im besten Fall schriftlich festgehalten wurde, sollte es auch da keine rechtlichen Folgen geben." Es war immer wieder seltsam meinen kleinen Bruder dabei zu beobachten, wie er in seinem Fach aufging... Irgendwie wirkte er in solchen Situationen plötzlich sehr erwachsen. "Ansonsten sollte der Patient - solange er einwilligungsfähig ist - natürlich über jegliche Behandlung und entsprechende Risiken aufgeklärt werden. Theoretisch besteht ansonsten immer die Gefahr, dass sich ein Patient im Nachhinein rechtlich gegen den Arzt stellen will. Doch wenn es um Leben und Tod geht und der behandelnde Arzt nachweisen kann, dass es keine andere Möglichkeit gab, den Patienten zu retten, entscheidet das Gericht in der Regel auch zugunsten des Chirurgen." Erst als Suzaku seinen kleinen Monolog beendet hatte, wendete er sich wieder an Hana vor sich. "Aber warum willst du das eigentlich plötzlich wissen?"
    • Hana Yamamoto

      Ich versuchte Suzakus Worten zu folgen und nickte immer mal wieder verstehend, ehe er seinen kleinen Vortrag beendet hatte und ich nicht anders konnte, als erleichternd aufzuatmen. Demnach müsste ich keine rechtlichen Konsequenzen fürchten, oder? Als er mich dann aber fragte, warum ich das alles von ihm wissen wollte, zuckte ich ertappt. "A-Ach das... a-also ich hab da so eine Doku über Wale gesehen", fing ich an und überlegte Fieberhaft nach einer passablen Lüge. "J-Ja genau, ü-über Wale! Und dem einen Wal musste die Schwanzflosse abgetrennt werden, weil die ganz doll infiziert war und die haben ihm dann eine neue Prothese gebaut, mit der der Wal wieder in die Freiheit entlassen werden konnte. Darum habe ich mich während der Reportage gefragt, wie es in dem Fall bei Menschen aussehen würde", log ich. Hah! Wenn das mal keine gelungene Lüge war. Wann bin ich nur so gut darin geworden? Musste wohl an der Zeit liegen, die ich die letzten Tage mit Gojo verbracht hatte. Ich war noch immer fasziniert davon, wie einfach ihm die größten Lügen über die Lippen kamen und wie schnell sein Hirn schaltete, wenn Matsu oder Ieiri ihn tadeln wollten. Ich fragte mich innerlich, ob er schon immer ein Talent fürs Lügen besaß, oder ob er sich dieses erst über die Jahre angeeignet hatte. Aber laut Ieiri konnte er sich schon in der Schule gut aus der Affäre ziehen -ließ sich dafür aber auch fast jedes mal von Yaga erwischen.
      "Ah! Es wird immer später! Mama Kaori wartet sicher schon mit Snacks auf uns. Komm." Mit diesen Worten ließ ich den Besen fallen und zog Suzaku einfach hinter mir her. Wir gingen ins Haus und, wo ich meinen dreckigen Mantel und die Schuhe auszog, ehe ich ins Bad ging, um mir meine Hände zu waschen. Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass nicht nur meine Kleidung und meine Hände dreckig geworden waren, sondern auch mein Gesicht. Doch aus irgendeinem Grund gefiel mir die leichte Staubschicht auf meinen Wangen, weshalb ich sie noch nicht wegwischen wollte. Es war einer dieser seltenen Momente, indem ich vollkommen zufrieden mit meinem Anblick im Spiegel war und ich das mochte, was ich sehen konnte. Ein warmes Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich verließ mit einem guten Gefühl, das Badezimmer, um in die Küche zu gehen. "Mama Kaori, lass uns endlich etwas kochen!", sagte ich ganz aufgeregt und sah zu der Braunhaarigen hinauf, während ich sie erneut in einer warmen Umarmung empfing und mich an sie schmiegte. "Was machen wir? Ramen? Sushi? Gebratenen Reis?", wollte ich von ihr wissen. "Egal was es ist, ich werde dir definitiv eine gute Assistentin beim Schneiden sein", sprach ich voller Überzeugung. Ich wollte ihr unbedingt so gut es ging, im Haushalt an die Hand gehen. Ich wollte mich nützlich machen und nicht von oben bis unten bedienen lassen. Ich hatte schon damals nicht verstanden, warum ich nicht kochen durfte, wenn ich doch zwei gesunde Hände besaß, die mit anpacken konnten. Natürlich lebte meine Tante in einer Welt, in der man sich über den Haushalt gar keine Gedanken machte, aber für mich hieß das noch lange nicht, dass man nicht doch diese Dinge erledigen könnte. Irgendwo machte es ja auch Spaß, zumindest für mich. Manchmal fragte ich mich, ob Tante Akane die Freude an diesen Dingen komplett vergessen hatte, oder ob sie sich lediglich an wirtschaftlichem Erfolg erfreuen konnte -vorausgesetzt irgendetwas konnte ihr kaltes Herz berühren. Einmal mehr stellte sich mir die Frage, wie Onkel Shingen ihr Herz erobern konnte, wo sie doch keines zu besessen schien.
      Langsam löste ich mich von der Brünetten Schönheit und drehte mich zu den anderen herum. "Ihr helft doch mit beim Kochen, oder Matsu, Milo, Suzaku?", wollte ich von den dreien wissen und sah ihnen mit einem Blick entgegen, der kein 'Nein' akzeptieren würde. Ich wollte das warme Gefühl von damals wiederbekommen, wenn die Angestellten und ich ein neues Gericht ausprobierten. Die Küche hatte stets so lebendig gewirkt und ich hatte diese Momente seit jeher vermisst. Nun, da ich endlich einen Ort zum Ankommen gefunden hatte, wollte ich diese alte Erinnerung wieder aufleben lassen. Zusammen mit Menschen, die mir wichtiger nicht sein könnten. "Es würde mich wirklich freuen, wenn wir gemeinsam kochen könnten", sprach ich nun deutlich sanfter, da ich ein schlechtes Gewissen, wegen meinem fordernden Blick von eben hatte und lächelte die drei liebevoll an.
    • Kimatsu Hashisawa

      Auch wenn mein kleiner Bruder offenkundig nicht der verworrenen Lüge der jungen Sorcerin glauben wollte, machte er keine Anstalten, sie auf eben diese anzusprechen. "Wale also... okay." Scheinbar war er zufrieden, solange auch Hana gut mit seiner Antwort leben konnte und ich war ihm eben dafür dankbar. Nicht nur, weil er ihr einen großen Teil ihrer Sorgen hatte nehmen können, sondern auch weil er umsichtig genug war, sie nicht weiter zu dem Thema zu befragen. Vielleicht sollte ich ihn zum Dank doch mal wieder ein Essen ausgeben?
      Letztendlich war es auch schon wieder Zeit das Essen vorzubereiten, weswegen ich beschloss die letzten Reste Laub zusammenzufegen, während Hana meiner Mutter im Haus schon einmal bereitwillig zur Hand ging. Es war immer wieder eine reine Freude die junge Frau zu beobachten, wie sie bei eben diesen einfachen Aufgaben aufblühte, als gäbe es nichts besseres im Leben. Entsprechend hielt ich mich sogar später etwas zurück, als ich den beiden Frauen in der Küche zur Hand ging, wusste ich doch, dass Hana solche Momente mit meiner Mutter genoss. Allerdings hatte Mum scheinbar schon den Kühlschrank und die Vorratskammer gut gefüllt, weswegen wohl einiges zu tun sein könnte. "Wenn du nichts dagegen hast, können wir eine Mischung aus allem machen, dann kannst du auch mehr deiner Großmutter mit bringen", bestätigte meine Mutter meinen Verdacht. "Für Sushi habe ich zwar leider nicht genug Seetang gekauft, aber vielleicht können wir stattdessen ein paar Onigiri machen", schlug sie vor und nickte mir schon verheißungsvoll zu. Auch meiner Brüder verstanden schnell, dass sie sich nicht aus der Affäre würden ziehen können und packten bereitwillig mit an. Es war schon erstaunlich, dass wir uns nicht die ganze Zeit im Weg standen, bedachte man doch die geringe Größe unserer Küche, doch jeder wusste genau, was er oder sie zu tun hatte. Knapp eine Stunde später hatten wir sechs bunt zusammengestellte Bentos kreiert inklusive warmer Miso-Suppe und Hana und mir wurde auch eine Schale Ramen gegönnt. Mutter und meine Brüder schienen für eben diese nicht mehr genug Hunger aufbringen zu können.
      "Itadakimasu", ertönte es von uns gemeinsam bevor ich mich auch schon gierig aus das Essen stürzte. Ja, bei Mutter schmeckte es eindeutig immer noch am besten.
      Den restlichen Abend verbrachten wir mit lockeren Gesprächen, ich gönnte mir zusammen mit Milo eine Flasche Sake und genoss ansonsten einfach nur die gelöste Stimmung. Wie lange war es schon her, dass ich mich mal wieder so entspannen und zurücklehnen hatte können? Vor allem Hanas Lachen war dabei immer wieder ein zauberhafter Anblick, während meine Brüder sich scheinbar alle Mühe zu geben schienen, eben dieses Lachen immer weiter aufrecht zu erhalten. Und das obwohl Milo alles andere als gut im Erzählen von Witzen war. Doch in seinen Augen war Hana schon lange zu einer kleinen Schwester mutiert und ihre gute Laune schien ihm ein großes Anliegen zu sein.
      Irgendwann nahm aber auch dieser Abend ein Ende und ich kuschelte mich zusammen mit Hana in mein altes Bett in meinem alten Zimmer, welches sich seit meinem Auszug nicht verändert hatte. Noch immer war eine Ecke des Zimmer vollgestellt mit alten Malutensilien, während an der Wand eines meiner ersten "besseren" Bilder hing, welches eine Biene beim Landeanflug auf eine strahlend helle Sonnenblume darstellte. An der gegenüberliegenden Wand ächzte ein Regalschrank unter der Last dutzender Bücher, darunter Werke zu Natur und Umwelt, aber auch die ein oder andere Fanatsy-Story die ich mir in jungen Jahren allzu gerne durchgelesen hatte. Es war beeindruckend wie viel Nostalgie in diesem einzelnen Raum auf mich wartete und wie unendlich wohl ich mich hier doch fühlte. So viele schöne Erinnerungen.
      Entsprechend zufrieden schlief ich schließlich auch ein, wobei die Anstrengungen der vergangenen Tage es mir leicht machten, schnell in einen tiefen Schlaf zu sinken.

      "Es ist schade, dass ihr schon wieder gehen müsst." Meine Mutter mochte eine erwachsene Frau mit drei Kindern sein, aber das hielt sie sicher nicht davon ab einen kindischen Schmollmund zu ziehen.
      "Wenn genug Zeit bleibt, schauen wir heute Abend vielleicht noch einmal kurz vorbei", meinte ich, während ich die Tasche mit dem Essen für Hanas Großmutter sorgfältig im Kofferraum verstaute. "Ich werde vorher auf jeden Fall noch einmal anrufen."
      "Milo und ich werden heute Abend aber wohl schon wieder im Studentenwohnheim sein", stellte Suzaku etwas niedergeschlagen fest und trat an Hana heran. "War dennoch schön, dich endlich wieder gesehen zu haben." So wie er die Arme ausbreitete, war klar, dass er auf eine Umarmung zum Abschied wartete. "Ich hoffe, auf ein nächstes Mal muss ich nicht wieder so lange warten."
      "Ich stimme meinem kleinen Bruder zu", fügte Milo an und lehnte sich dann verheißungsvoll zu Hana vor. Auch wenn er flüsterte wollten mir seine Worte nicht entgehen. "Ich wette innerhalb der nächsten zwei Wochen schaffe ich es schon das nächste Gemälde zu ergattern."
      "Hey!" Ich zog ihn an der Schulter beiseite. "Seit wann bist du zu solch einem zwanghaften Dieb mutiert?" Milo sah davon ab, mir zu antworten sondern grinste mich nur schelmisch an. Ich stieß nur ein Seufzen aus und wendete mich noch einmal zu meiner Mutter um. "Lass dir bitte nicht einfallen, ohne uns etwas am Haus zu reparieren und pass gut auf dich auf."
      Zur Antwort wurde ich in eine warme Umarmung gezogen. "Natürlich, mein Schatz. Du weißt doch, wie umsichtig ich bin."
      "Ja... und genau das bereitet mir auch solche Sorgen."
      Ihr Lachen vibrierte sanft gegen meine Brust, bevor sie sich langsam wieder löste und an Hana wendete. "Du musst auch gut auf dich aufpassen, Süße." Natürlich wurde auch die Blondhaarige herzlich zum Abschied geknuddelt. "Und gibt auch etwas auf meine Tochter acht, du weißt ja, wie wenig sie ihre eigene Gesundheit wertschätzt."
      "Ich komme klar", währte ich mich sofort und erntete hochgezogene Augenbrauen von meinen Brüdern und meiner Mutter.
      Ich verzichtete darauf, mich weiter zu verteidigen und akzeptierte stattdessen murrend Suzakus Umarmung, bevor ich mich endlich hinter das Lenkrad klemmte. Hana wurde derweil bis zur Autotür begleitet und meine Mutter drückte ihr noch einen kurzen Kuss auf die Stirn. "Richte deiner Großmutter herzliche Grüße von mir aus und ich freue mich schon auf deinen nächsten Besuch."
      Mit diesen abschließenden Worten startete ich schließlich den Motor und fuhr den Wagen vom Grundstück.
    • Hana Yamamoto

      "Au ja", rief ich begeistert, als Mama Kaori davon sprach, eine Mischung aus allem zu kochen. Das war wirklich wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Doch das Beste an dem ganzen war, dass die anderen beim Kochen mitmachten und wir mehr Zeit gemeinsam verbringen konnten.
      Nachdem gemeinsamen Kochen, setzten wir uns an den Tisch und aßen gemeinsam. Ich hatte meinen Appetit in den letzten Tagen verloren, doch nach der Arbeit im Garten, dem vielfältigen Menü welches wir gemeinsam zubereitet hatten und der ausgelassenen Stimmung, hatte ich eben diesen wieder gefunden und verputzte so viel Essen, als gäbe es keinen Morgen mehr.
      Dementsprechend zufrieden ließ ich mich Abends neben Matsu in die weichen Laken fallen. Zufrieden über den erfolgreichen Tag, kuschelte ich mich an meine beste Freundin und beanspruchte ihre Körperwärme für mich. "Gute Nacht, Lieblingsmensch", gähnte ich leise und schloss meine Augen. "Lass uns morgen auch wieder viele leckere Dinge essen."

      'Ich will noch nicht gehen', kam es mir als erste Gedanken, nachdem Matsu ihrer Mutter in den Armen lag. Währenddessen breitete auch Suzaku seine Arme aus und lud mich zu einer warmen Umarmung ein, zu der ich natürlich nicht nein sagte. Ich drückte den Schwarzhaarigen eng an mich und genoss die warme Geste. Bei seinen Worten musste ich jedoch lächeln und sah zu ihm hinauf. Ich schüttelte den Kopf. "Ich werde sicher gehen, dass unser nächstes Wiedersehen nicht solange auf sich warten wird", versprach ich ihm. Dann aber lehnte sich schon Milo zu mir hervor und flüsterte mir ins Ohr, dass er es in den nächsten zwei Wochen noch einmal schaffen sollte, ein Bild von Matsu mitgehen zulassen. Ich löste mich von Suzaku und funkelte stattdessen Milo mit leuchtenden Augen an, ehe ich ihm vor lauter Dankbarkeit um den Hals fiel. Matsus Beschwerde ignorierte ich dabei gekonnt. "Schreib mir, sobald du es hast, ich komme dann sofort vorbei!", strahlte ich. Dann aber schmuste ich mich nur einmal kurz an Milo heran, ehe ich mich von ihm verabschiedete und nur noch Mama Kaori fehlte, um diesen schönen Ausflug zu beenden. Etwas wehmütig, ließ ich mich in ihre warme Umarmung ziehen, erwiderte diese aber augenblicklich und schlang meine Arme fest um die zierliche Brünette. "Versprochen, ich werde sowohl auf Matsu-chan, als auch auf mich acht geben", versprach ich ihr. "Und wenn du etwas benötigst -egal was-, melde dich bitte bei mir", bat ich sie. Mein Blick wanderte zu den Jungs hinüber. "Und ihr zwei bitte auch."
      Schweren Herzens löste ich mich von Mama Kaori, da ich wusste, dass ich heute noch woanders sein musste und ich freute mich auch, meine Oma wiederzusehen. Aber die Zeit hier war so schnell vergangen, dass ich noch lange nicht bereit dazu gewesen war, mich jetzt schon zu verabschieden.
      "Bis bald", winkte ich den dreien zum Abschied und stieg zu Matsu in den Wagen.
      "Ich weine nicht! Hana-chan weint nie! Hana-chan ist eine starke Frau!", sprach ich auf der Fahrt zu meiner Oma, während mir offensichtlich Tränen die Wangen hinter liefen. "Und das sind auch keine Tränen, sondern eine neue Fluchtechnik die ich ausprobiere", stellte ich direkt klar. "Sie nennt sich 'Zwiebeln schneiden' und soll den Gegner in die Flucht jagen." Zugegeben, an dem Namen müsste ich noch ein wenig feilen, aber ich war mir sicher, dass sie effektiv sein würde.

      Nach einer guten Dreiviertel Stunde kamen wir an dem Bauernhaus meiner Oma an und ich merkte, wie die Freude auf das Treffen, all den vorherigen Kummer in meinem Herzen überschattete. Ähnlich wie gestern, stürzte ich aus dem Wagen der Weißhaarigen Schönheit, kaum dass er zum Stehen gekommen war.
      "OMIIII!", rief ich, als ich die alte Dame draußen im Vorgarten ihre Blumen bewässern sah. Sie legte die Gießkanne beiseite und drehte sich um. So schnell es ihr die alten Beine erlaubten, kam sie auch auf mich zugelaufen. "Hana-chan, meine kleine Kirschblüte!" "Omi!" Stürmisch fiel ich der Frau um den Hals und zog sie fest in meine Arme, während ich das zweite mal am heutigen Tag zu weinen begann. "Omi! Ich habe dich so sehr vermisst!", schluchzte ich. "Ich dich doch auch, mein Schatz." Ich spürte durch den Unterton in ihrer Stimme, ihr warmes Lächeln. Sanft streichelte sie mir über den Schopf und gab mir einen Kuss auf die Stirn, während mein Schluchzen sein absolutes Maximum erreicht hatte. "Scheint so, als sei das Leben in den letzten Wochen nicht ganz fair zu meiner Enkelin gewesen zu sein." Ihre Worte trafen ins Schwarze und doch spendeten sie mir ein wenig Trost. Sie war eine kluge Frau mit viel Lebenserfahrung und einem großen Herzen. Sie wusste immer sofort, was los war und niemand konnte ihr etwas vormachen. Eine Fähigkeit die gleichermaßen beeindruckend wie auch beängstigend sein konnte. Aber dennoch wusste ich, dass meine Gefühle bei ihr an einem sicheren Ort waren, dass ich sie nicht regulieren musste und ihnen freien Lauf lassen durfte. In ihrer Anwesenheit durfte ich menschlich sein.
      "Ah, Kimatsu-chan!" Während meine Oma mich in den Armen hielt und tröstete, wanderte ihr Blick zu der Weißhaarigen. Ein warmes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. "Wie schön, auch dich wiederzusehen. Meine Güte, unser letztes Treffen muss schon Ewigkeiten her sein. Du wirst von Jahr zu Jahr immer schöner." Sie streckte einen Arm nach ihr aus, um sie in die warme Umarmung mit einzubinden. Eine ganze weile standen wir einfach so dar, ehe mir auffiel, dass ich noch ein paar Geschenke für meine Oma dabei hatte. "Warte Omi, Matsus Mama hat Essen für dich zubereitet und ich habe dir noch ein paar Lebensmittel aus der Großstadt mitgebracht, an die du hier im Dorf nur schwer ran kommst", erklärte ich ihr. "Hana-chan du bist ein Schatz. Und bitte richte Kaori, meinen Dank aus." Eilig lief ich zum Wagen und holte alles heraus, ehe wir in das gemütliche Bauernhaus gingen und es uns bei einer Tasse Tee und Gebäck im Wohnzimmer gemütlich machten.
      Zu Beginn redeten wir überwiegend Smalltalk und ich erkundigte mich vor allem, über den Gesundheitszustand der Grauhaarigen. Sie hatte schon seit ihrer Kindheit einen geschwächten Körper gehabt, doch all dies wurde Schlimmer, als sie kurz vor dem Tod meiner Eltern ihre erste Krebsdiagnose bekam. Sie hatte viel gekämpft und lange gebraucht, um wieder zurück im Leben anzukommen, nur um den ganzen Mist fünf Jahre später noch mal zu wiederholen.
      Irgendwann stand meine Oma aber von ihrem Platz auf und verschwand kurz im Badezimmer, ehe sie wenig später mit einer Haarbürste und einer alten Schatulle mit Haarschmuck wiederkam. Ein freudiges Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich setzte mich sofort auf den Boden vor dem Sofa. Meine Oma nahm hinter mir Platz auf dem weichen Möbelstück platz und ich lehnte meinen Rücken gegen ihre Beine, ehe sie sanft durch meine Haare kämmte. "Jetzt erzähl aber mal: Was bedrückt dich so sehr, meine kleine Kirschblüte? Ich habe dich schon lange nicht mehr so niedergeschlagen erlebt und versuch gar nicht erst, mich alte Frau anzulügen!", mahnte sie mich mit ihrer typischen liebevollen Strenge. Ich würde es gar nicht erst versuchen, hatte ich doch keine Chance, gegen ihre weibliche Intuition. "Ich weiß, du redest nicht gerne darüber... Aber könntest du mir vielleicht alles über Papas und Opas Fähigkeiten als Sorcerer erzählen, dass du weißt?", fragte ich sie und merkte, wie sie kurz inne hielt, bevor sie mich weiter kämmte. "Ich wusste, dass du mich eines Tages darum bitten würdest und ich bin dankbar, dass es solange gedauert hat", sprach sie mit sanfter Stimme und ich glaubte, wieder ihr Lächeln herauszuhören. Ich wollte ihr einen verwunderten Blick zuwerfen, jedoch kam ich nicht dazu, da ich meinen Kopf still halten sollte, weshalb meine Augen kurz die von Matsu suchten.
      "Hana-chan, Kimatsu-chan. Das was ich euch jetzt erzählen werde, muss unter allen Umständen bei euch bleiben. Ihr dürft niemals zulassen, dass Akane-chan und der Rest unserer Familie davon erfahren, habt ihr verstanden?" Ich nickte leicht. Was war es nur, dass Oma solange hatte verbergen wollen?
      "Seine Fähigkeiten hat dein Vater nicht von deinem Opa geerbt, sondern von mir-" "WAS?!" Vor lauter Entsetzen hatte ich mich nun doch zu der Grauhaarigen umgedreht, um in ihrem Gesicht Anzeichen für eine Lüge zu finden. "DU BIST SORCERIN?!" "War", berichtigte sie mich und drehte meinen Kopf wieder, so dass sie mich leichter frisieren konnte. "Nur für eine kurze Zeit. Ich habe meine Karriere direkt an den Nagel gehangen, als ich Schwanger wurde. Ich habe diesen Job nur ein paar Jahre ausgeführt und doch habe ich so viele Familien gesehen, in denen Mutter oder Vater fehlten. Ich wollte meinen eigenen Kindern dieses Leid ersparen", erklärte sie uns. "Da hatte ich aber noch nicht geahnt, dass dein Opa sich von mir trennen würde, weil ich mit einem Mädchen schwanger war und es zur Welt bringen wollte. Ich habe euch erzählt, dass der Vater von Kenshin und Akane, als Held gestorben sei, weil ich nicht wollte, dass sich deine Tante die Schuld dafür gibt, dass die beiden ohne Vater aufwachsen mussten. Das wäre zu viel Last für die Schultern eines kleinen Kindes gewesen, nicht wahr?" Omi lächelte erneut und begann damit, meine Haare einzudrehen. "Ich hatte gehofft, dass die zwei meine Fähigkeiten nicht vererbt bekommen haben, aber leider war dem nicht so Akane-chan hatte sich glücklicherweise gegen eine Laufbahn als Jujutsu Sorcerer entschieden aber dein Vater war nicht davon abzubringen, anderen zu helfen. Irgendwann musste ich einsehen, dass ich weder sein Talent, noch seine Wünsche ignorieren konnte. Dein Vater besaß nicht nur Unmengen an Fluchkraft, er verstand seine Fähigkeiten besser als jeder andere. In unserer Familiengeschichte war er der einzige dokumentierte Sorcerer, der seine Fluchtechnik umkehren und andere heilen konnte. Einigen von uns ist es immer mal wieder gelungen, sich selbst heilen zu können, aber andere aufgrund von umgekehrter Fluchtechnik zu heilen ist extrem selten." "Papa war wirklich so stark?!" "Aber ja. Und weißt du, wer ihm diese Stärke gegeben hat?" Oma befestigte meine Haare mit ein paar kleineren Nadeln, während sie weiter sprach. "Es waren du und deine Mutter. Hana-chan, dass du lebst ist ein riesiges Wunder." Omas Stimme hatte einen schmerzhaften Unterton angenommen, als hätte sie sich an etwas zurück erinnert, dass sie am liebsten vergessen hätte. "Ich erinnere mich, als sei es erst gestern gewesen." Sie war mit meiner neuen Frisur fertig und steckte zum Abschluss eine Haarnadel mit Kirschblüten verziert in mein Haar. "Ein neuer Fluchgeist war erschienen und hat deine Mutter verflucht, als sei sie gerade im 4. Monat mit dir schwanger war. Zunächst hatten wir es gar nicht bemerkt. Deine Mutter litt vermehrt unter Albträumen und bekam nur sehr wenig Ruhe. Als dein Vater, Haruna bei Shoko vorstellte, fanden sie heraus, dass sich ein Fluchgeist an ihrer Energie bediente, während sie am Schlafen war. Er hatte sie verflucht und damit auch dich. Es dauerte fast zwei Monate, bis sie auf das Problem gestoßen waren und es war bis zum Schluss nicht klar gewesen, ob du diesen Energieverlust als ungeborener Fötus unbeschadet überleben würdest. Ich hatte Kenshin in seinem ganzen Leben noch nie so verzweifelt gesehen. Doch er nutzte seine Verzweiflung und arbeitete an seinen Fähigkeiten, bis er schließlich in der Lage war, den Fluch von deiner Mutter zu brechen. Als du dann auf die Welt kamst, waren deine Augen geschlossen und du hast keinen Mucks von dir gegeben. Gott, du sahst so klein und zerbrechlich in seinen Armen aus", sprach Oma und legte sanft ihre Hände um meine Wangen, nachdem ich mich zu ihr umgedreht hatte. "Dein Vater konnte dir nur das Leben retten, weil er dir immer wieder seine Energie zukommen ließ und seine Umkehrtechnik nutzte, um dich zu heilen. Doch auch die Umkehrtechnik hat ihre Grenzen und die Tatsache, dass du zu einer solch aufgeweckten, gesunden Frau heranwachsen konntest, gleicht einem Wunder, wo du als Kind doch so schrecklich oft krank warst." Oma strich mit ihrem Daumen die Tränen unter meinen Augen weg. "Glaub mir Hana-chan, für deine Eltern gab es kein schöneres Geräusch, als deine aufgeweckte Stimme, kein schöneres Bild, als deine Fingerabdrücke an der frisch geputzten Scheibe und kein schöneres Gefühl, dich in ihren Armen zu halten. Nichts machte sie glücklicher, als deine Frage nach einer 2. Portion und einem Nachtisch, wenn du nach langer Krankheit endlich wieder Appetit hattest. Und nichts machte sie stolzer, als dich beim Wachsen zu begleiten", sprach sie sanft. "Oma...!", brach es aus mir heraus. "Der Fluchgeist ist wieder zurück!", schluchzte ich, doch Oma schien nicht überrascht. "Er hat einen kleinen Jungen verflucht. Ich habe versucht ihn zu heilen, doch dabei habe ich ihm das Augenlicht genommen." Ich weinte bitterlich und legte meinen Kopf auf ihrem Schoß ab, während sie mir sanft über den Schopf streichelte. "Hana-chan, meine kleine Kirschblüte... Ja, die Farben die diese Welt zu bieten hat, sind wahrlich schön, doch sie sind nichts, verglichen zu den Farben, die die Menschen in sich tragen. Die Welt in all ihrer Pracht zu sehen, hat nichts mit dem Augenlicht zu tun, sondern mit der Einstellung eines Menschen. Wer weiß, vielleicht wird dieser Junge am Ende seines Lebens mehr gesehen haben, als wir alle zusammen." Omas Worte legten sich wie ein warmer Schleier, auf mein blutendes Herz und half dabei, die Wunden zu verschließen. Es war ein Fehler gewesen, sie erst jetzt aufzusuchen und nicht schon am selben Abend zu ihr zukommen, wäre mir doch viel Kummer erspart geblieben.

    • Kimatsu Hashisawa

      So traurig Hana auch bei der Verabschiedung meiner Familie war, so überglücklich lief sie ihrer Großmutter kurze Zeit später auch schon in die Arme. Mit Freude durfte ich beobachten, dass auch die alte Dame, sich unendlich über den Besuch ihrer strahlenden Enkeltochter zu freuen schien. Offenkundig, sollte Hana auch ihr mal etwas häufiger einen Besuch abstatten.
      Ich nickte der alten Dame grüßend zu. "Sie übertreiben, Yamamoto-san, ich sehe aus wie immer. Aber auch schön Sie endlich wieder zu sehen, es ist wirklich schon zu lange her."
      Ich folgte den beiden Frauen in das alte Bauernhaus, welches beinahe ein ähnliches heimisches Gefühl in mir erweckte, wie mein altes Familienhaus gestern Vormittag. Hana schien es da ähnlich zu gehen, zumindest ließ sie sich nicht zweimal bitten, als ihre Großmutter, ihr anbot, die goldenen Haare der jungen Frau in eine schöne Frisur zu verwandeln.
      Ich war beeindruckt, wie schnell es der alten Dame gelungen war, Hanas Kummer zu erkennen und noch mehr erstaunte es mich, wie schnell sich die junge Frau zu öffnen begann. Es war eine gute Idee gewesen, hier her zu kommen. Und das nicht nur aus einem Grund. Ich hielt für einen Moment überrumpelt den Atem an, als die alte Dame gestand, dass sie und nicht ihr Mann Jujutsu Sorcerer gewesen war. Während sie der entsetzen Hana und mir berichtete, warum sie diesen Umstand so lange geheim gehalten hatte, und warum ihr Exmann sie verlassen hatte, versuchte mein Schädel zu begreifen, welche Konsequenzen diese neuen Informationen mit sich bringen würden. Nicht nur könnte Hana damit aus erster Quelle lernen und verstehen, wie sie ihre Fähigkeiten einsetzen könnte und welche weiteren Techniken sie eventuell noch beherrschen könnte... die gute alte Yamamoto-san wäre auch in Gefahr. Sollten sie und Hana tatsächlich gemeinsam trainieren, würde der Fluchgeist, der es auf die Blondine abgesehen hatte, früher oder später auch die alte Dame als ein Ziel identifizieren... Ich sollte dringend Vorkehrungen treffen. Jemand musste auf die sie Acht geben. Vielleicht... Ich hatte morgen sowieso vor einen alten Klassenkameraden aufzusuchen, da in seiner Nähe auch jemand von Endless Dreamer betroffen war. Vielleicht könnte ich ihn dabei direkt auch darum bitten, auf Yamamoto-san Acht zu geben.
      Bevor ich den Gedanken weiter führen konnte, wurde ich von einer weiteren Geschichte der alten Dame überrumpelt. Noch bevor sie hatte geboren werden können, hatte es ein Fluchgeist auf sie abgesehen? Die Symptome die Großmutter Yamamoto dabei ansprach weckten einen bösen Verdacht... es musste der gleiche Fluchgeist gewesen sein, der auch jetzt immer wieder hinter der Sorcerin her war. Hanas Vater musste damals schon ein großes Hindernis für dieses Biest gewesen sein und da die Chance bestanden hatte, dass die Tochter die Fähigkeiten des Vaters erben würde, wollte man sie offenkundig ausschalten. Yamamoto Kenshin hatte aber offenkundig bewiesen, welche Kraft in ihm steckte... Ich sollte ihm dankbar dafür sein. Wie wäre mein Leben wohl ohne diesen Sonnenschein verlaufen? Ich schüttelte milde den Kopf, wollte ich mir eben das nicht einmal ausmalen. Stattdessen versuchte ich mich weiter auf das Gespräch der beiden konzentrieren, wurde aber leider je unterbrochen.
      Was zum?!
      Über den gesamten Ausflug hinweg war es natürlich auch mein Job gewesen, auf Hana Acht zu geben, entsprechend hatte ich meine Fluchtechnik genutzt, um die gesamte Umgebung in einem halben Kilometerradius im Auge behalten zu können. Doch genau jetzt registrierten meine ausgestreckten Fühler ein feindliches Signal. Ein Fluchgeist war eindeutig auf dem Weg zu uns.
      "Ich bin Ihnen unendlich dankbar, dass Sie mir genug vertraut haben, um auch mir dieses Geheimnis zu erzählen", wendete ich mich an Hanas Großmutter und erhob mich von meinem Platz. "Ich verspreche, Ihre Geschichte für mich zu behalten", versicherte ich mit einer milden Verbeugung und legte meine Augen auf Hanas Gesicht, aus welchem endlich ein Teil der Schulgefühle entschwunden war, die sie seit ein paar Tagen mit sich herumtrug. "Ich möchte euch beiden aber gerne etwas Zeit geben, damit ihr euch frei auszutauschen könnt." Ich konnte den Drang nicht unterdrücken, einmal kurz Hanas goldenen Haarschopf zu tätscheln, darauf bedacht, ihre frisch gestaltete Frisur nicht zu zerstören. "Außerdem bin ich lange nicht mehr durch die Wälder hier gewandert und ihr wisst, wie sehr ich eben diese liebe und genieße." Kaum noch 200 Meter und der Fluchgeist stand vor der Tür, ich durfte keine Zeit verlieren. "Also bitte lasst euch alle Zeit und lasst euch gerne schon das Essen meiner Mutter schmecken, ich bin bald wieder da." Mit diesen Worten beeilte ich mich, dass Haus zu verlassen, ließ mir aber meine Eile nicht anmerken. Hana und ihre Großmutter sollten nichts von meiner Sorge bemerken. Kaum hatte ich jedoch meinen Fuß vor die Haustür gesetzt, stieß ich mich energisch vom Boden ab und schnellte meinem Feind entgegen. Meine Fluchteilung, die die Bäume, Gräser und Insekten der Umgebung durchzog, machte es mir leicht, die exakte Position meines Gegners zu erkennen. Doch noch während ich durch die Baumkronen von einem Ast zum nächsten sprang, kramte ich die kleine Filmkamera aus meiner Tasche, die ich mir gestern früh vorsorglich eingesteckt hatte. Wir hatten immer noch keine Ahnung, wie unser Gegner aussah und er schien seine Kraft mit verschiedenen anderen Fluchgeistern zu teilen, ohne selbst entdeckt zu werden. Sollte ich meinen baldigen Kampf aufzeichnen können, könnten wir dieses Problem aber vielleicht endlich überwinden. Zumindest vertraute ich irgendwie darauf, dass Gojos geschärfte Augen Licht ins Dunkel bringen könnten.
      Kaum hatte ich die kleine Action-Kamera an meine Brust geschnallt, wurde ich auch schon mit fünf echsenhaften Augenpaaren begrüßt, die mir verwundert entgegenstierten. Passend zu seinen vielen Augen, hatte mein beschuppter Gegner auch noch zehn lange und mit scharfen Krallen ausgestattete Beine zu bieten, von denen er mit zwei direkt entgegenschleuderte, offenkundig in dem Bestreben mich schnellstmöglich aus dem Weg zu räumen. Ein gekonnter Sprung zur Seite machte seinen Versuch fruchtlos, während ich drei seiner Augen untauglich machte, indem ich sie kurzerhand mit kleinen Dolchen spickte. Das echsenähnliche Biest fletschte die spitzen und giftig wirkenden Zähne und setzte mir nach. Ich ließ mich von dem Ast fallen, auf dem ich eben noch gestanden hatte und ließ im Fall den nächsten Dolch in die Brust des Fluchgeistes sausen. Ein scharfes Zischen machte deutlich, dass mein Angriff gesessen hatte und ich fing an, an der Stärke meines Gegner zu zweifeln. "Maximal Grade 2", überlegte ich leise und kramte einen längeren Dolch unter meinem Gürtel hervor, durchzog ihn mit meiner Fluchkraft und tat dasselbe mit meiner linken Faust. Eben jene bekam der Echsen-Fluchgeist als erstes verabreicht, als er sich auf mich hinunter fallen ließ. Ich spürte, wie mehrere seiner Knochen brachen, während ich ihn gegen den nächsten Baum schleuderte. Benommen schüttelte das Biest den Kopf, versuchte sich zu orientieren. Ich ließ ihm nicht die Zeit dazu. Ein heftiger Tritt gegen den beschuppten Bauch, sendete den Fluchgeist mehrere Meter in die Ferne, fort vom friedlichen Bauernhaus hinter mir. Weg von Hana und ihrer Großmutter. Ich setzte dem Biest nach, weitere Tritte folgten, bis ich glaubte genug Abstand zwischen mir und dem Haus aufgebaut zu haben. Zu diesem Zeitpunkt fauchte mich mein schwächlicher Gegner nur noch aus reiner Verzweiflung an, seine Angriffe endeten allerdings jedes Mal erfolglos. Mittlerweile hatte sich das Monster auch schon von vier seiner gefährlich anmutenden Gliedmaßen verabschieden müssen und humpelte entsprechend geschwächt vor mir davon.
      "Vielleicht bist du doch nur ein x-beliebiger Fluchgeist. Alle anderen, die es bisher auf Hana abgesehen hatten, sind eindeutig stärker gewesen." Ich machte mir keine Mühe, dem Echsenbiest schnell hinterher zu hechten, als es mühevoll einen Strommast emporkletterte. Mein nächster Dolch würde seinen Kopf treffen und damit wäre dieser Kampf erledigt. Doch gerade als ich zum Wurf ausholte, glaubte ich eine Veränderung in der Luft zu spüren. Alarmiert hefteten sich meine Augen auf das Biest an der Spitze des Strompfahles. "Was zum?!" Bis eben hatte es kaum die Blutung seiner Wunden stoppen können, doch plötzlich leuchteten mir wieder alle zehn Echsenaugen entgegen und auch die krallenbewährten Beine waren zurück an Ort und Stelle. "Wie kann das-?!" Bevor ich meine Worte beenden konnte, glitzerten die gelben Echsenaugen auch schon direkt vor meinem Gesicht. Irgendwie gelang es mir, den scharfen Krallen zu entgehen, aber der lange Schwanz des Fluchgeistes traf mich unerwartet in die Seite und schleuderte mich mehrere Meter durch den Wald. Gerade noch rechtzeitig nutzte ich die feinen Äste umliegender Bäume, um meinen Flug sanft aufzufangen und stierte verwundert meinem Gegner entgegen. Wie konnte er plötzlich so schnell werden?... Er ist eindeutig stärker geworden. Vielleicht sogar Grade 1?
      Ich umgriff den Dolch in meiner linken Hand fester, als das Biest entsetzlich schnell auf mich zuschoss. Doch dieses mal war ich vorbereitet. Nachdem ich den Zähnen und Krallen ausgewichen war, empfing ich den schwarzgrün flimmernden Echsenschwanz mit meinem Dolch. Allerdings würde dieser sicher auch bald wieder nachwachsen. Ich durfte mich nicht mehr weiter zurückhalten, auch wenn ich dann eventuell keine brauchbaren Informationen mehr erhalten würde. Noch bevor mein Gegner, den Verlust seines Schwanzes bedauern konnte, war ich auf seinen Rücken gesprungen und hämmerte meine Faust mit Nachdruck in seinen Schädel. Sofort sackte es benommen zusammen und die splitternden Schuppen unter meiner Hand boten mir die perfekte Angriffsfläche. Sofort ließ ich die Spitze des Dolches in die Lücke der Verteidigung sausen. Unter mir wand sich der Fluchgeist mit aller Kraft. Ich schränkte seine Bewegungen ein, indem ich meine Fluchteilung in die umliegenden Büche und Bäume sendete, welche sich umgehend mit Ästen und Zweigen um das Echsenbiest wickelten. Danach war es ein leichtes, den Dolch immer tiefer in mein Opfer zu bohren und gleichzeitig mit meiner Fluchkraft zu füttern. Kurze Zeit später hörte es endlich auf sich zu wehren. Der Kampf war gewonnen.
      Kurz klopfte ich den Staub von meiner Kleidung und kontrollierte die Seite, in die mich das Mistvieh getroffen hatte. "Mehr als einen blauen Fleck muss ich wohl nicht befürchten", murmelte ich zufrieden und versteckte die gerötete Stelle sorgfältig wieder unter meinem Pulli.
      Auf meinem Rückweg zum Bauernhaus sammelte ich all meine zuvor geworfenen Dolche wieder ein und orderte die Pflanzen und Insekten in meiner Kontrolle an, die Beweise des stattgefunden Kampfes zu verbergen. Hana sollte hiervon nichts erfahren. Ich wollte, dass sie unseren kleinen Wochenendausflug absolut positiv in Erinnerung behielt. Entsprechend sorgfältig verstaute ich auch die Action-Kamera wieder an ihren Platz, bevor ich letztendlich durch die Haustür schritt. Sobald ich wieder Zuhause war, müsste ich die Aufnahmen dringend zusammen mit Gojo sichten. Wir mussten rausfinden, woher das Echsenbiest seine plötzlich Kraftboost erhalten hatte.
      "Ich hoffe, ich bin nicht zu früh zurück?", meinte ich scherzhaft, als ich das Wohnzimmer aufsuchte. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass der Kampf mit dem Fluchgeist kaum zwanzig Minuten angedauert hatte. Gut.
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