Kento Nanami
Ich hatte nicht wirklich erwartet, dass sie mir ehrlich antworten würde, dennoch fand ich es etwas schade, dass sie mir ein Lächeln vorzuspielen versuchte. Eben dieses erreichte leider nicht ihre Samragdaugen, was mir umso deutlicher machte, dass die Kleine gerade wirklich nicht hier sein wollte. Ich verkniff es mir, sie erneut darauf anszusprechen, war ich mir doch sicher, dass ich so oder so keine ehrliche Antwort erhalten würde. Stattdessen sollte mein Fokus darauf liegen, zu verhindern, dass ihre Stimmung noch weiter unter ihrer Tante litt.
Der Speisesaal hatte ähnlich viel Prunkt zu bieten, wie der Salon zuvor. Mittlerweile hatte ich aber gelernt, meinen Blick nicht mehr forschend von einem goldenen Schmuckstück zum nächsten gleiten zu lassen. Mal davon abgesehen waren die Interaktionen im Saal selbst viel einnehmender. So lernte ich zuerst den älteren der Watanabe-Söhne kennen, welcher allerdings wenig Interesse an mir zeigte, sondern sich eher über die fehlende Hashisawa beklagen wollte und dann... Ich konnte ehrlich gesagt nicht fassen, dass der Mann dieser strengen Geschäftsfrau - welcher laut meinen Informationen selbst Firmeninhaber war - solch ein vernarrter Trottel sein sollte. Wie ein verliebter Kolibri umflatterte er seine Frau, als wäre sie die schönste Blume auf einer riesigen Wiese und offerrierte ihr mit überschwänglichen gesten Blumen und Geschenke. Während ich das Schauspiel mit milder Verwunderung beobachtete, schien die Situation für den Rest im Raum Normalität zu sein und auch Frau Watanabe ließ sich vom Schmucketui und dem prächtigen Blumenstrauß nicht beeindrucken. Nein, sie nahm beides nicht einmal selbst entgegen, sondern wies ihren Mann mit strengen Worten zurrecht und ließ ein Dienstmädchen die Geschenke entgegennehmen. Ich würde nicht behaupten, eine andere Raktion von ihr erwartet zu haben und dennoch bemerkte ich überrascht, wie ich einen Funken Mitleid mit dem plötzlich recht bedröppelt dreinschauenden Ehemann hatte.
Zumindest war sein Kummer nicht von Weile und ich begriff zunehmend, wie es Takumi und Yamamoto in diesem sonst so strengen Haushalt gewesen war, solch aufgeweckten Charakterzüge zu entwickeln. Shingen Watanabe schien der absolute Gegenpol seiner Frau zu sein, allerdings vermochte ich nicht zu sagen, ob ich mit ihm besser zurrechtkommen würde, als mit der Hausherrin. Eben diese hatte sich offenkundig dazu entschieden, dass aus meiner Anstellung kein langes Geheimnsis gemacht werden sollte.
Ich hatte befürchtete, dass Yamamoto diese Information schlecht entgegen nehmen würde. Sie schien mich zwar aus irgeneinem Grund ganz... gern zu haben? Gleichzeitig bot mein Charakter nicht sonderlich viel Abwechslung und noch weniger Freude. Ich hatte allerdings auch nie den Anspruch gehabt, sonderlich witzig oder interessant zu wirken. Für die verrückte kleine Sorcerin sollte ich aber wohl die Langeweile in Person sein. Entsprechend verdutzt begegnete ich ihren hell funkelten Augen, als sie mit der Strahlkraft von zehn Sonnen zu mir aufsah. Beinahe als hätte ich mich vor ihren Augen in die Gottheit des Glücks und Reichtums verwandelt. "Ja, wirklich", antwortete ich etwas verzögert und schüttelte über die unerwartete Begeisterung der Blondhaargen den Kopf.
Das folgende Essen verlief recht ruhig und zum Glück auch ohne einen weiteren düsteren Kommentar von Seiten der Hausdame, dennoch schien meine Sitznachbarin alleine unter der drückenden Atmosphäre im Raum zu leiden. Immer wieder stocherte sie unmotiviert in ihrem Abendbrot herum, während kaum eine der hochwertigen Zutaten den Weg in ihren Mund fand. Am Geschmack konnte es gewiss nicht liegen. Ob die Kleine bei solchen Familienessen immer ihren Appetit verlor? Dabei schien der Magen der jungen Frau sonst einem schwarzen Loch zu entsprechen, dass auch noch eine Vorliebe für Süßkram zu haben schien.
Meine sorgenvollen Gedanken wurden mit dem Eintreffen von Watanabes Assistenen unterbrochen. Wahrscheinlich sollte ich nicht einmal überrascht darüber sein, dass man dieses Penthouse schon bezugsfertig gemacht hatte, dennoch nahm ich Schlüsselkarte mit einer kleinen Portion Unglauben entgegen. "Vielen Dank, dass Sie sich diese Mühen gemacht haben." Ich wollte nicht wissen, wie viele der Bediensteten dieser Frau heute hatten Überstunden leisten müssen, nur um diese lausige Wohnung in Schuss zu bringen. Und wieder merkte ich, dass diese Menschen in einer gänzlich anderen Welt lebten.
Tatsächlich versuchte ich den Abschied so kurz wie möglich zu halten. Irgendwie glaubte ich, dass Yamamoto erst wieder richtig würde durchatmen können, sobald sie diese pompösen Wände hinter sich lassen könnte. "Es war mir ebenfalls ein Vergnügen und noch einmal vielen Dank für Ihre Gastfreundlichkeit", meinte ich in die gesamte Runde und verneigte mich - ohne eine Miene zu verziehen - ein letztes Mal flüchtig vor Frau Watanabe, bevor ich sanft meine Hand auf Yamamotos schmalen Rücken platzierte und zusammen mit ihr den Speisesaal verließ. Kaum fiel die Tür hinter uns ins Schloss, glaubte ich zu spüren, wie ein großer Teil der Anspannung, den Körper der jungen Frau verließ. Ich verzichtete darauf, diese Beobachtung anzusprechen, sondern folgte ihr nur schweigend zu ihren Räumlichkeiten, wartete im Flur darauf, dass sie alles Nötige zusammensammelte.
"Sieht aus als hättest du deinen halben Haushalt eingepackt", stellte ich wenig später mit hochgezoegner Augenbraue fest und musterte die große Tasche in ihren Händen. "Gib mir das." Ich wartete auf keine Antwort, sondern schnappte mir einfach den Umhängegurt der Reisetasche, um sie mir in der nächsten Sekunde schon schwungvoll über die Schulter zu legen. Dem Gewicht nach zu urteilen, hatte ich mit meinem vorherigen Verdacht wohl nicht einmal so unrecht, aber mir sollte es recht sein, solange ich den ganzen Kram nicht wegräumen musste.
Erneut legten sich meine Finger sanft auf den Rücken meiner jungen Begleiterin und gaben ihr zu bedeuten, dass auch ich keine Lust mehr hatte, länger in diesem Prunktschloss zu verweilen. Wie von Frau Watanabe angekündigt wartete vor der Tür bereits der Chauffeur bedeutete uns in die Limousine zu steigen. Kaum eine Minute später rollte der pompöse Wagen auch schon durch das nächtliche Tokyo. Auch dieses Mal hielt ich mich in Schweigen gehüllt und ließ stattdessen immer wieder kurz kontrollierend meinen Blick zur hübschen Blondine neben mir schweifen. Es war schon erstaunlich. Innerhalb weniger Wochen hatte ich bereits so viele verschiedene Facetten ihres Charakters entdecken dürfen. Das aufgeweckte Kind, dass sie bei jeder Gelegenheit durch den Raum tanzen ließ und offenkundig dazu dienen sollte, ihren Mitmenschen ein Lächeln auf die Lippen zu zeichnen. Die ehrgeizige Sorcerin, die sich trotz ihrer strengend Tante nicht verbieten lassen wollte, den Kampf gegen düsterte Fluchgeister anzutreten, egal wie viel Angst sie dabei auch verspüren mochte. Das vom Liebeskummer geplagte Model, dass vor lauter Arbeit manchmal ihr eigenes Leben zu vergessen schien und sich bereitwillig in die tröstenden Arme ihrer besten Freundin flüchten konnte. Die lebensfroher Abenteurerin, die mich am liebsten wohl um den halben Globus ziehen würde, um mir all diese Wunder dieser Welt präsentieren zu können. Und heute hatte sich diese sonst so selbstbewusste Kämpferin in ein schüchternes kleines Kind verwandelt, dass sich unendlich vor den strengen Worten ihrer Ziehmutter zu fürchten schien, obwohl sie diese Familie über alles zu lieben schien.
Bevor ich es selbst vollkommen realisieren konnte, lag meine Hand schon auf Yamamotos weichen Haarschopf. "Du hast dich tampfer geschlagen." Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, löste ich meine Hand auch schon wieder und ließ meinen Blick erneut aus dem Wagenfenster schweifen. Die Akademie war nur noch wenige hundert Meter entfernt, das bedeutete: "Entschuldigen Sie?" Ich klopfte gegen die Scheibe zwischen Rücksitzen und Fahrer und wartete darauf, dass sich das verdunkelte Glas nach unten senkte. "William war Ihr Name richtig? Würden Sie bitte die nächste rechts abbiegen und uns dort an der Straßenseite rauslassen. Yamamoto-sans Sachen können sie im Anschluss schon zur Akademie bringen, wir werden später nachkommen."
Auch wenn sich der Fahrer nicht ganz zu mir umdrehte, konnte ich erkennen, wie er verwundert die Stirn runzelte, dennoch nickte er wenige Sekunden später. "Verstanden, Sir."
Ich nickte dankend und ließ mich zurück auf meinen Sitz sinken, während die Scheibe vor mir wieder nach oben glitt. Als der Wagen dann an verlangter Stelle halt machte, nötigte ich meine verwunderte Begleiterin mit Handzeichen dazu, das Auto zu verlassen und verabschiedete mich noch einmal vom Chauffeur.
"Du hast heute abend noch nichts gegessen." Als wären diese Worte Erklärung genug, griff ich den Blondschopf beim Handgelenk und zog sie wenige Meter den Fußweg hinunter. Es ist immer noch da, zum Glück. "Ich hoffe du magst Ramen."
Das kleine Unzari war ein unscheinbares Ramen-Restaurant, in welches mich mein damaliger Schulkamard Haibara Yu das erste mal eingeladen hatte. Auch danach hatten wir fast jede Woche hier gegessen, bis... Bis es mir plötzlich lange Zeit unmöglich wurde, den von Nostalgie geprägten Geruch der herzhaften Suppenbrühe zu ertragen. "Es hat sich kaum verändert", sprach ich mit leicht belegter Stimme und stieß nach kurzem Zögern die helle Tür aus Milchglas auf. Mit dem markanten Geruch furchfluteten mich auch dutzende Erinnerungen, Erinnerungen die ich viele Jahre versucht hatte zu ignorieren. Doch so eine Nahtoderfahrung konnte manchmal wahre Wunder wirken... Ich war Patchwork-Gesicht sicherlich nicht dankbar dafür, dass er meinen Oberkörper in seine Einzelteile zerlegt hatte, aber zumindest hatte er mich daran erinnert, dass Haibaras Tod mich nicht daran hindern sollte, mich auch an die schönen Zeiten zurück zu entsinnen. Und dieser Ort war mit all diesen schönen Zeiten gefüllt worden. Wahrscheinlich musste ich dem Schicksalsgott dafür danken, dass er diesen Ort selbst nach 50 Jahren noch hatte bestehen lassen.
Für enige Sekunden verharrte ich einfach starr im Eingang und ließ meinen Blick über die sporadische Inneneinrichtung des gut besuchten Restaurants schweifen. Es stand im krassen Gegensatz zum prunkvollen Speisesaal der Watanabes und dennoch wirkte er deutlich weniger enschüchternd und einengend. "Ich bin mir sicher, dass du großen Hunger haben musst", behauptete ich Überzeugt und umfasste das Handgelenk der jungen Frau etwas fester. Im Moment war ich mir nicht sicher, ob ich ihr damit helfen wollte oder einfach etwas brauchte, an dem ich mich festhalten konnte.
Ich wählte einen freien Zweiertisch am Ende des schmalen Restaurants aus und bedeutete Yamamoto sich einer der bereitgelegten Speisekarten zur Hand zu nehmen. "Such dir etwas aus." Zum Glück hatte mir Hashisawa ein kleines Taschengeld mit auf den Weg gegeben, weswegen ich sogar in der dankbaren Position steckte, der jungen Sorcerin ein Essen auszugeben. "Sollten sie seit meinem letzten Besuch hier nichts an den Rezepten geändert haben, kann ich für den Geschmack garantieren."
Der Speisesaal hatte ähnlich viel Prunkt zu bieten, wie der Salon zuvor. Mittlerweile hatte ich aber gelernt, meinen Blick nicht mehr forschend von einem goldenen Schmuckstück zum nächsten gleiten zu lassen. Mal davon abgesehen waren die Interaktionen im Saal selbst viel einnehmender. So lernte ich zuerst den älteren der Watanabe-Söhne kennen, welcher allerdings wenig Interesse an mir zeigte, sondern sich eher über die fehlende Hashisawa beklagen wollte und dann... Ich konnte ehrlich gesagt nicht fassen, dass der Mann dieser strengen Geschäftsfrau - welcher laut meinen Informationen selbst Firmeninhaber war - solch ein vernarrter Trottel sein sollte. Wie ein verliebter Kolibri umflatterte er seine Frau, als wäre sie die schönste Blume auf einer riesigen Wiese und offerrierte ihr mit überschwänglichen gesten Blumen und Geschenke. Während ich das Schauspiel mit milder Verwunderung beobachtete, schien die Situation für den Rest im Raum Normalität zu sein und auch Frau Watanabe ließ sich vom Schmucketui und dem prächtigen Blumenstrauß nicht beeindrucken. Nein, sie nahm beides nicht einmal selbst entgegen, sondern wies ihren Mann mit strengen Worten zurrecht und ließ ein Dienstmädchen die Geschenke entgegennehmen. Ich würde nicht behaupten, eine andere Raktion von ihr erwartet zu haben und dennoch bemerkte ich überrascht, wie ich einen Funken Mitleid mit dem plötzlich recht bedröppelt dreinschauenden Ehemann hatte.
Zumindest war sein Kummer nicht von Weile und ich begriff zunehmend, wie es Takumi und Yamamoto in diesem sonst so strengen Haushalt gewesen war, solch aufgeweckten Charakterzüge zu entwickeln. Shingen Watanabe schien der absolute Gegenpol seiner Frau zu sein, allerdings vermochte ich nicht zu sagen, ob ich mit ihm besser zurrechtkommen würde, als mit der Hausherrin. Eben diese hatte sich offenkundig dazu entschieden, dass aus meiner Anstellung kein langes Geheimnsis gemacht werden sollte.
Ich hatte befürchtete, dass Yamamoto diese Information schlecht entgegen nehmen würde. Sie schien mich zwar aus irgeneinem Grund ganz... gern zu haben? Gleichzeitig bot mein Charakter nicht sonderlich viel Abwechslung und noch weniger Freude. Ich hatte allerdings auch nie den Anspruch gehabt, sonderlich witzig oder interessant zu wirken. Für die verrückte kleine Sorcerin sollte ich aber wohl die Langeweile in Person sein. Entsprechend verdutzt begegnete ich ihren hell funkelten Augen, als sie mit der Strahlkraft von zehn Sonnen zu mir aufsah. Beinahe als hätte ich mich vor ihren Augen in die Gottheit des Glücks und Reichtums verwandelt. "Ja, wirklich", antwortete ich etwas verzögert und schüttelte über die unerwartete Begeisterung der Blondhaargen den Kopf.
Das folgende Essen verlief recht ruhig und zum Glück auch ohne einen weiteren düsteren Kommentar von Seiten der Hausdame, dennoch schien meine Sitznachbarin alleine unter der drückenden Atmosphäre im Raum zu leiden. Immer wieder stocherte sie unmotiviert in ihrem Abendbrot herum, während kaum eine der hochwertigen Zutaten den Weg in ihren Mund fand. Am Geschmack konnte es gewiss nicht liegen. Ob die Kleine bei solchen Familienessen immer ihren Appetit verlor? Dabei schien der Magen der jungen Frau sonst einem schwarzen Loch zu entsprechen, dass auch noch eine Vorliebe für Süßkram zu haben schien.
Meine sorgenvollen Gedanken wurden mit dem Eintreffen von Watanabes Assistenen unterbrochen. Wahrscheinlich sollte ich nicht einmal überrascht darüber sein, dass man dieses Penthouse schon bezugsfertig gemacht hatte, dennoch nahm ich Schlüsselkarte mit einer kleinen Portion Unglauben entgegen. "Vielen Dank, dass Sie sich diese Mühen gemacht haben." Ich wollte nicht wissen, wie viele der Bediensteten dieser Frau heute hatten Überstunden leisten müssen, nur um diese lausige Wohnung in Schuss zu bringen. Und wieder merkte ich, dass diese Menschen in einer gänzlich anderen Welt lebten.
Tatsächlich versuchte ich den Abschied so kurz wie möglich zu halten. Irgendwie glaubte ich, dass Yamamoto erst wieder richtig würde durchatmen können, sobald sie diese pompösen Wände hinter sich lassen könnte. "Es war mir ebenfalls ein Vergnügen und noch einmal vielen Dank für Ihre Gastfreundlichkeit", meinte ich in die gesamte Runde und verneigte mich - ohne eine Miene zu verziehen - ein letztes Mal flüchtig vor Frau Watanabe, bevor ich sanft meine Hand auf Yamamotos schmalen Rücken platzierte und zusammen mit ihr den Speisesaal verließ. Kaum fiel die Tür hinter uns ins Schloss, glaubte ich zu spüren, wie ein großer Teil der Anspannung, den Körper der jungen Frau verließ. Ich verzichtete darauf, diese Beobachtung anzusprechen, sondern folgte ihr nur schweigend zu ihren Räumlichkeiten, wartete im Flur darauf, dass sie alles Nötige zusammensammelte.
"Sieht aus als hättest du deinen halben Haushalt eingepackt", stellte ich wenig später mit hochgezoegner Augenbraue fest und musterte die große Tasche in ihren Händen. "Gib mir das." Ich wartete auf keine Antwort, sondern schnappte mir einfach den Umhängegurt der Reisetasche, um sie mir in der nächsten Sekunde schon schwungvoll über die Schulter zu legen. Dem Gewicht nach zu urteilen, hatte ich mit meinem vorherigen Verdacht wohl nicht einmal so unrecht, aber mir sollte es recht sein, solange ich den ganzen Kram nicht wegräumen musste.
Erneut legten sich meine Finger sanft auf den Rücken meiner jungen Begleiterin und gaben ihr zu bedeuten, dass auch ich keine Lust mehr hatte, länger in diesem Prunktschloss zu verweilen. Wie von Frau Watanabe angekündigt wartete vor der Tür bereits der Chauffeur bedeutete uns in die Limousine zu steigen. Kaum eine Minute später rollte der pompöse Wagen auch schon durch das nächtliche Tokyo. Auch dieses Mal hielt ich mich in Schweigen gehüllt und ließ stattdessen immer wieder kurz kontrollierend meinen Blick zur hübschen Blondine neben mir schweifen. Es war schon erstaunlich. Innerhalb weniger Wochen hatte ich bereits so viele verschiedene Facetten ihres Charakters entdecken dürfen. Das aufgeweckte Kind, dass sie bei jeder Gelegenheit durch den Raum tanzen ließ und offenkundig dazu dienen sollte, ihren Mitmenschen ein Lächeln auf die Lippen zu zeichnen. Die ehrgeizige Sorcerin, die sich trotz ihrer strengend Tante nicht verbieten lassen wollte, den Kampf gegen düsterte Fluchgeister anzutreten, egal wie viel Angst sie dabei auch verspüren mochte. Das vom Liebeskummer geplagte Model, dass vor lauter Arbeit manchmal ihr eigenes Leben zu vergessen schien und sich bereitwillig in die tröstenden Arme ihrer besten Freundin flüchten konnte. Die lebensfroher Abenteurerin, die mich am liebsten wohl um den halben Globus ziehen würde, um mir all diese Wunder dieser Welt präsentieren zu können. Und heute hatte sich diese sonst so selbstbewusste Kämpferin in ein schüchternes kleines Kind verwandelt, dass sich unendlich vor den strengen Worten ihrer Ziehmutter zu fürchten schien, obwohl sie diese Familie über alles zu lieben schien.
Bevor ich es selbst vollkommen realisieren konnte, lag meine Hand schon auf Yamamotos weichen Haarschopf. "Du hast dich tampfer geschlagen." Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, löste ich meine Hand auch schon wieder und ließ meinen Blick erneut aus dem Wagenfenster schweifen. Die Akademie war nur noch wenige hundert Meter entfernt, das bedeutete: "Entschuldigen Sie?" Ich klopfte gegen die Scheibe zwischen Rücksitzen und Fahrer und wartete darauf, dass sich das verdunkelte Glas nach unten senkte. "William war Ihr Name richtig? Würden Sie bitte die nächste rechts abbiegen und uns dort an der Straßenseite rauslassen. Yamamoto-sans Sachen können sie im Anschluss schon zur Akademie bringen, wir werden später nachkommen."
Auch wenn sich der Fahrer nicht ganz zu mir umdrehte, konnte ich erkennen, wie er verwundert die Stirn runzelte, dennoch nickte er wenige Sekunden später. "Verstanden, Sir."
Ich nickte dankend und ließ mich zurück auf meinen Sitz sinken, während die Scheibe vor mir wieder nach oben glitt. Als der Wagen dann an verlangter Stelle halt machte, nötigte ich meine verwunderte Begleiterin mit Handzeichen dazu, das Auto zu verlassen und verabschiedete mich noch einmal vom Chauffeur.
"Du hast heute abend noch nichts gegessen." Als wären diese Worte Erklärung genug, griff ich den Blondschopf beim Handgelenk und zog sie wenige Meter den Fußweg hinunter. Es ist immer noch da, zum Glück. "Ich hoffe du magst Ramen."
Das kleine Unzari war ein unscheinbares Ramen-Restaurant, in welches mich mein damaliger Schulkamard Haibara Yu das erste mal eingeladen hatte. Auch danach hatten wir fast jede Woche hier gegessen, bis... Bis es mir plötzlich lange Zeit unmöglich wurde, den von Nostalgie geprägten Geruch der herzhaften Suppenbrühe zu ertragen. "Es hat sich kaum verändert", sprach ich mit leicht belegter Stimme und stieß nach kurzem Zögern die helle Tür aus Milchglas auf. Mit dem markanten Geruch furchfluteten mich auch dutzende Erinnerungen, Erinnerungen die ich viele Jahre versucht hatte zu ignorieren. Doch so eine Nahtoderfahrung konnte manchmal wahre Wunder wirken... Ich war Patchwork-Gesicht sicherlich nicht dankbar dafür, dass er meinen Oberkörper in seine Einzelteile zerlegt hatte, aber zumindest hatte er mich daran erinnert, dass Haibaras Tod mich nicht daran hindern sollte, mich auch an die schönen Zeiten zurück zu entsinnen. Und dieser Ort war mit all diesen schönen Zeiten gefüllt worden. Wahrscheinlich musste ich dem Schicksalsgott dafür danken, dass er diesen Ort selbst nach 50 Jahren noch hatte bestehen lassen.
Für enige Sekunden verharrte ich einfach starr im Eingang und ließ meinen Blick über die sporadische Inneneinrichtung des gut besuchten Restaurants schweifen. Es stand im krassen Gegensatz zum prunkvollen Speisesaal der Watanabes und dennoch wirkte er deutlich weniger enschüchternd und einengend. "Ich bin mir sicher, dass du großen Hunger haben musst", behauptete ich Überzeugt und umfasste das Handgelenk der jungen Frau etwas fester. Im Moment war ich mir nicht sicher, ob ich ihr damit helfen wollte oder einfach etwas brauchte, an dem ich mich festhalten konnte.
Ich wählte einen freien Zweiertisch am Ende des schmalen Restaurants aus und bedeutete Yamamoto sich einer der bereitgelegten Speisekarten zur Hand zu nehmen. "Such dir etwas aus." Zum Glück hatte mir Hashisawa ein kleines Taschengeld mit auf den Weg gegeben, weswegen ich sogar in der dankbaren Position steckte, der jungen Sorcerin ein Essen auszugeben. "Sollten sie seit meinem letzten Besuch hier nichts an den Rezepten geändert haben, kann ich für den Geschmack garantieren."
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Kimatsu Hashisawa
"Hanas Tante hat die beiden zum Abendessen eingeladen", klärte ich Gojo auf und ließ die Info, dass ich ursprünglich auch auf der Gästeliste stand außen vor. Sollte ich zugeben müssen, nur abgelehnt zu haben, da ich um seine Kochkünste bangte, müsste ich mir wohl ein ätzendes Konzert seines Wehklagens anhören müssen. Außerdem wollte ich nicht zugeben müssen, ihn unterschätzt zu haben. Vorher ließ ich mich freiwillig mit hunderten Fluchgeist in einen Käfig einsperren.
Dass ein Gojo Satoru, der sich sonst zu kaum einem Kompliment hinreisen ließ, das nicht gerade sich selbst betraf, bezeichnete mein Curry als "ganz passable". Eine bessere Bewertung hätte ich mir wohl nicht in meinen künsten Träumen erhoffen können, auch wenn sein unverschämtes Grinsen mich beinahe an der Wahrheit seiner Worte zweifeln ließ. "Freut mich", meinte ich dennoch flüchtig. Zumindest schien er tatsächlich satt geworden zu sein, dann müsste ich wirklich nur für mich Abendbrot machen.
"Wow! Welch ein tolles Hobby~", stieß ich so monoton aus, wie es mir nur möglich war. "Ich weiß gar nicht, wie ich dir je für diesen tollen Tipp danken soll..." Warum hatte ich ihn noch gleich gefragt? Ah ja, weil ich offenbar immernoch naiv daran glaubte, mit einem erwachsenen Mann zu reden, dessen Leben sich nicht darum drehte seinen Mitmenschen in einer Tour Streiche zu spielen. Ich müsste mir wohl oder Übel selbst etwas einfallen lassen... wobei? Vielleicht könnte mir auch Ieiri auf die Sprünge helfen, schließlich war Nanami auch ihr Kohai. Mit diesen rosigen Aussichten im Gepäck setzte ich mich auf das Sofa und führte langsam meine Esstäbchen mit Reis und Ei zum Mund. Leider hatte ich die Hitze des frisch gekochten Gerichts unterstätzt und musste mehrere Male hastig ein- und ausatmen bevor ich den Bissen endlich hinunterschlucken konnte. Bevor ich mich aber dem nächsten widmen konnte, hielt mir der Weißhaarige plötzlich sein Handy entgegen. "Was meinst du." Ich stellte Schüssel und Stäbchen auf dem Couchtisch ab und griff nach dem Mobiltelefon. "Verdammt... du hast recht." Es war unmöglich die genaue Gestalt des Fluchgeistes auszumachen, aber dieser seltsam verformte Schwanz gehörte zu keinem mir bekannten Tier. "Warum sollte ein Fluchgeist versuchen, einen Sorcerer auf solch eine Weise anzugreifen...?" Während ich meine eigenen Gedanken laut aussprach, lieferte mir Gojo auch schon die Antwort, die ich mir nicht traute auszusprechen. Dieser Biester hatten es also wirklich spezifisch auf die junge Frau abgesehen... Aber warum? Gojo hatte Recht. Hana mochte alles andere als schwach sein und vor allem ihre ausgereifte Fluchtechnik sollte auf keinen Fall unterschätzt werden, aber es gab sicherlich Sorcerer die eine deutlich größere Gefahrenquelle für Fluchgeister darboten. Außerdem kam es extrem selten vor, dass sich mehrere und verschiedene Fluchgeister auf ein und das selbe Ziel fixierten. Und dann teilten sie auch noch ihre Kraft untereinander...? Irgendwas stimmte da nicht.
Auch mein Gegenüber schien verschiedene Szenerien durchgehen zu wollen, wobei mich seine letzte Vermutung innehalten ließ. Was wenn er Recht hatte? Vielleicht war Hana nicht die Ursache für diese Angriffe... vielleicht war ich es. Für einen Moment wurde es mir unmöglich vernünftig einzuatmen, während sich meine Brust schmerzhaft zusammenschnürte. Was wenn ich an all dem Schuld wäre? Hana war mehrmals fast gestorben! Was, wenn sie nur Ziel der Attacken geworden war, weil ich es vermasselt hatte?!
Bedächtig legte ich das Handy auf den Tisch und schob es zurück zu seinem Eigentümer, bemühte mich währenddessen dazu ruhig weiter zu atmen. Jetzt war nicht der Moment, um die Beherrschung zu verlieren. Sollte ich wirklich Schuld an all diesem Chaos sein, hieß das nur umso mehr, dass ich edlich Verantwortung übernehmen sollte... Ich musste den Fadenzieher hinter all diesen Angriffen finden.
"Du magst recht haben...", meinte ich irgendwann ruhig und sammelte meine Reisschale vom Tisch auf. Als ich dieses Mal die befüllten Essstäbchen Richtung Mund hob, pustete ich mehrfach über den dampfenden Reis, bevor ich ihn mir zwischen die Lippen schob. "Wir sollten ein genaues Auge auf all diese Vorfälle legen." Und sollte ich tatsächlich die Ursache sein, werde ich mich vorerst von Hana fernhalten müssen.
Gojos Vorschlag, die Missionsakten zu studieren, folgend erhob ich mich samt Reisschale vom Sofa und gab der Augenmaske zu verstehen, dass er mir folgen sollte. "Vielleicht findest du es ja beruhigend, dass alle Missionsakten digital angelegt werden und damit deutlich einfacher zu katalogisieren sind." Die Klinke meines Arbeitszimmers drückte ich mit dem Ellenbogen auf und schob mich in den finsteren kleinen Raum. Auch der Lichschalter machte mit dem Ellenbogen bekanntschaft. Jetzt erst ließen sich die dutzenden Regale mit Büchern und alten Akten an den Wänden erkennen. Gegenüber von der Tür, direkt unter dem einzigen Fenster des Zimmers, befanden sich Schreibtisch samt Rechner, welchen ich promt startete, nachdem ich mein mittlerweile zur Hälfte vertilgtes Abendesse auf den Tisch abgestellt hatte. "Das erste Mal das Hana selstam viele Probleme bei einer Mission bekommen hat, war vor etwas mehr als einem Monat gewesen", berichtete ich, während der Rechner hochfuhr und ich aus einem Schreibtischschub mein Notbook hervorzog und dieses dem Weißhaarigen reichte. "Damals habe ich mir noch keinen großen Kopf gemacht, da es auch vorher schon immer mal wieder vorgekommen ist, dass der Grade eines Fluchgeistes falsch eingeschätzt worden war. Aber kaum zwei Wochen später ist es schon wieder passiert." Nachdem ich mein Passwort eingegeben hatte, rief ich die Missionsakten der vergangenen zwei Monate auf. "Alle anderen Vorfälle danach sollten dir schon bekannt sein." Ich ließ mich in meinen Bürostuhl sinken und bedeutete meinem Kollegen hinter mir mit einem Nicken, dass er sich gerne auf dem Sitzsack in der Zimmerecke niederlassen konnte. "Ansonsten kannst du dir auch gerne einen Stuhl aus der Küche organisieren", fügte ich außerdem an und gönnte mir einen weiteren Bissen meines mittlerweile schon gut abgekühlten Abendmales. "Fest steht: Egal was die Ursache für all das auch ist, es muss über einen Monat zurückliegen... warte."
Einem plötzlichen Gedankenblitz suchte ich nach einer speziellen Fallakte. "Endless Dreamer.", murmelte ich und begann damit, aus der Akte vorzulesen. "'Der erste Fall ereignete sich am 18. August in einem kleinen Einfamilienhaus am Rande Tokyos. Der dreizehnjährige Sohn der Familie Tasako wachte plötzlich nicht mehr auf, murmelte aber immer wieder in seinem Schlaf. Seine Eltern sind sich sicher, dass er aus einem ewigen Albtraum einfach nicht mehr aufwachen kann. Die Ärzte haben ihn irgendwann in ein künstliches Koma versetzen müssen, da der Junge nicht wachzukriegen war.' Danach ist es zu immer mehr solchen Fällen gekommen." Ich öffnete die nächste Unterakte. "Kuroko Tina, fünfzehn Jahre alt, schreit in ihrem Schlaf, lässt sich aber nicht mehr wecken. Sarana Tomo, neun, weint und wimmert, ohne auch nur einmal die Augen zu öffnen." Ich klickte mich von einem Eintrag zum nächsten. "Und es betrifft nicht nur die Kinder, hier: 'Nun scheinen wir auch unseren ersten Erwachsenen in die Liste aufnehmen zu müssen'", las ich einen weiteren Eintrag vor. "'Der Staatsanwalt Usui Shishio wurde am 20. September schreiend in seiner Wohnung vorgefunden. Er schrie wohl um sein Leben und das man ihn verschonen solle.' All diese Fälle sammeln sich seit den letzten paar Monaten. Zunächst wurden die Sorcerer noch nicht eingeschaltet, erst als immer mehr Opfer in den Krankenhäusern landeten. Es scheint überwiegend Kinder zu betreffen, aber in letzter Zeit tauchen auch immer mehr erwachsene Opfer auf." Ich öffnete wieder die erste Fallakte. "Nachdem wir das Schema erkannt hatten, wurde ich geschickt, um mir den Jungen der Tasakos anzuschauen, da wir vermuteten, dass er das erste Opfer war. Das ist vor nicht ganz zwei Monaten gewesen." Ich drehte mich im Stuhl zu Gojo um und versuchte seine verhüllten Augen hinter der Maske zu fixieren. "Tatsächlich habe ich an dem Kind Spuren von Fluchkraft entdecken können und er ist offenkundig in einem nicht enden wollenden Albtraum gefangen... Aber ich habe keinen Hinweis zum Ursprung des ganzen finden können." Ein Seufzen spaltete meine Lippen, während ich mich erneut durch die einzelnen Akten klickte. "Aber die Fälle häuften sich immer mehr und die Opfer wurden älter, als würde der Fluchgeist immer stärker werden." Nun war mein Abendessen vollkommen kalt geworden, dennoch ließ ich es mir nicht nehmen, die Reste gierig in mich hinein zuschieben. "Denkst du, da könnte es einen Zusammenhang geben? Bei ein paar Besuchen der Opfer hat mich tatsächlich auch Hana begleitet... vielleicht habe ich sie damit in die Abschusslinie geschoben..." Frustriert blickte ich auf die letzten Reiskrümel in der Schüssel nieder. Natürlich hätte ich nicht wissen können, dass Hana wegen all dem in Gefahr geraten war und dennoch konnte ich das schelchte Gewissen nicht aus meinen Gedanken schieben.
Dass ein Gojo Satoru, der sich sonst zu kaum einem Kompliment hinreisen ließ, das nicht gerade sich selbst betraf, bezeichnete mein Curry als "ganz passable". Eine bessere Bewertung hätte ich mir wohl nicht in meinen künsten Träumen erhoffen können, auch wenn sein unverschämtes Grinsen mich beinahe an der Wahrheit seiner Worte zweifeln ließ. "Freut mich", meinte ich dennoch flüchtig. Zumindest schien er tatsächlich satt geworden zu sein, dann müsste ich wirklich nur für mich Abendbrot machen.
"Wow! Welch ein tolles Hobby~", stieß ich so monoton aus, wie es mir nur möglich war. "Ich weiß gar nicht, wie ich dir je für diesen tollen Tipp danken soll..." Warum hatte ich ihn noch gleich gefragt? Ah ja, weil ich offenbar immernoch naiv daran glaubte, mit einem erwachsenen Mann zu reden, dessen Leben sich nicht darum drehte seinen Mitmenschen in einer Tour Streiche zu spielen. Ich müsste mir wohl oder Übel selbst etwas einfallen lassen... wobei? Vielleicht könnte mir auch Ieiri auf die Sprünge helfen, schließlich war Nanami auch ihr Kohai. Mit diesen rosigen Aussichten im Gepäck setzte ich mich auf das Sofa und führte langsam meine Esstäbchen mit Reis und Ei zum Mund. Leider hatte ich die Hitze des frisch gekochten Gerichts unterstätzt und musste mehrere Male hastig ein- und ausatmen bevor ich den Bissen endlich hinunterschlucken konnte. Bevor ich mich aber dem nächsten widmen konnte, hielt mir der Weißhaarige plötzlich sein Handy entgegen. "Was meinst du." Ich stellte Schüssel und Stäbchen auf dem Couchtisch ab und griff nach dem Mobiltelefon. "Verdammt... du hast recht." Es war unmöglich die genaue Gestalt des Fluchgeistes auszumachen, aber dieser seltsam verformte Schwanz gehörte zu keinem mir bekannten Tier. "Warum sollte ein Fluchgeist versuchen, einen Sorcerer auf solch eine Weise anzugreifen...?" Während ich meine eigenen Gedanken laut aussprach, lieferte mir Gojo auch schon die Antwort, die ich mir nicht traute auszusprechen. Dieser Biester hatten es also wirklich spezifisch auf die junge Frau abgesehen... Aber warum? Gojo hatte Recht. Hana mochte alles andere als schwach sein und vor allem ihre ausgereifte Fluchtechnik sollte auf keinen Fall unterschätzt werden, aber es gab sicherlich Sorcerer die eine deutlich größere Gefahrenquelle für Fluchgeister darboten. Außerdem kam es extrem selten vor, dass sich mehrere und verschiedene Fluchgeister auf ein und das selbe Ziel fixierten. Und dann teilten sie auch noch ihre Kraft untereinander...? Irgendwas stimmte da nicht.
Auch mein Gegenüber schien verschiedene Szenerien durchgehen zu wollen, wobei mich seine letzte Vermutung innehalten ließ. Was wenn er Recht hatte? Vielleicht war Hana nicht die Ursache für diese Angriffe... vielleicht war ich es. Für einen Moment wurde es mir unmöglich vernünftig einzuatmen, während sich meine Brust schmerzhaft zusammenschnürte. Was wenn ich an all dem Schuld wäre? Hana war mehrmals fast gestorben! Was, wenn sie nur Ziel der Attacken geworden war, weil ich es vermasselt hatte?!
Bedächtig legte ich das Handy auf den Tisch und schob es zurück zu seinem Eigentümer, bemühte mich währenddessen dazu ruhig weiter zu atmen. Jetzt war nicht der Moment, um die Beherrschung zu verlieren. Sollte ich wirklich Schuld an all diesem Chaos sein, hieß das nur umso mehr, dass ich edlich Verantwortung übernehmen sollte... Ich musste den Fadenzieher hinter all diesen Angriffen finden.
"Du magst recht haben...", meinte ich irgendwann ruhig und sammelte meine Reisschale vom Tisch auf. Als ich dieses Mal die befüllten Essstäbchen Richtung Mund hob, pustete ich mehrfach über den dampfenden Reis, bevor ich ihn mir zwischen die Lippen schob. "Wir sollten ein genaues Auge auf all diese Vorfälle legen." Und sollte ich tatsächlich die Ursache sein, werde ich mich vorerst von Hana fernhalten müssen.
Gojos Vorschlag, die Missionsakten zu studieren, folgend erhob ich mich samt Reisschale vom Sofa und gab der Augenmaske zu verstehen, dass er mir folgen sollte. "Vielleicht findest du es ja beruhigend, dass alle Missionsakten digital angelegt werden und damit deutlich einfacher zu katalogisieren sind." Die Klinke meines Arbeitszimmers drückte ich mit dem Ellenbogen auf und schob mich in den finsteren kleinen Raum. Auch der Lichschalter machte mit dem Ellenbogen bekanntschaft. Jetzt erst ließen sich die dutzenden Regale mit Büchern und alten Akten an den Wänden erkennen. Gegenüber von der Tür, direkt unter dem einzigen Fenster des Zimmers, befanden sich Schreibtisch samt Rechner, welchen ich promt startete, nachdem ich mein mittlerweile zur Hälfte vertilgtes Abendesse auf den Tisch abgestellt hatte. "Das erste Mal das Hana selstam viele Probleme bei einer Mission bekommen hat, war vor etwas mehr als einem Monat gewesen", berichtete ich, während der Rechner hochfuhr und ich aus einem Schreibtischschub mein Notbook hervorzog und dieses dem Weißhaarigen reichte. "Damals habe ich mir noch keinen großen Kopf gemacht, da es auch vorher schon immer mal wieder vorgekommen ist, dass der Grade eines Fluchgeistes falsch eingeschätzt worden war. Aber kaum zwei Wochen später ist es schon wieder passiert." Nachdem ich mein Passwort eingegeben hatte, rief ich die Missionsakten der vergangenen zwei Monate auf. "Alle anderen Vorfälle danach sollten dir schon bekannt sein." Ich ließ mich in meinen Bürostuhl sinken und bedeutete meinem Kollegen hinter mir mit einem Nicken, dass er sich gerne auf dem Sitzsack in der Zimmerecke niederlassen konnte. "Ansonsten kannst du dir auch gerne einen Stuhl aus der Küche organisieren", fügte ich außerdem an und gönnte mir einen weiteren Bissen meines mittlerweile schon gut abgekühlten Abendmales. "Fest steht: Egal was die Ursache für all das auch ist, es muss über einen Monat zurückliegen... warte."
Einem plötzlichen Gedankenblitz suchte ich nach einer speziellen Fallakte. "Endless Dreamer.", murmelte ich und begann damit, aus der Akte vorzulesen. "'Der erste Fall ereignete sich am 18. August in einem kleinen Einfamilienhaus am Rande Tokyos. Der dreizehnjährige Sohn der Familie Tasako wachte plötzlich nicht mehr auf, murmelte aber immer wieder in seinem Schlaf. Seine Eltern sind sich sicher, dass er aus einem ewigen Albtraum einfach nicht mehr aufwachen kann. Die Ärzte haben ihn irgendwann in ein künstliches Koma versetzen müssen, da der Junge nicht wachzukriegen war.' Danach ist es zu immer mehr solchen Fällen gekommen." Ich öffnete die nächste Unterakte. "Kuroko Tina, fünfzehn Jahre alt, schreit in ihrem Schlaf, lässt sich aber nicht mehr wecken. Sarana Tomo, neun, weint und wimmert, ohne auch nur einmal die Augen zu öffnen." Ich klickte mich von einem Eintrag zum nächsten. "Und es betrifft nicht nur die Kinder, hier: 'Nun scheinen wir auch unseren ersten Erwachsenen in die Liste aufnehmen zu müssen'", las ich einen weiteren Eintrag vor. "'Der Staatsanwalt Usui Shishio wurde am 20. September schreiend in seiner Wohnung vorgefunden. Er schrie wohl um sein Leben und das man ihn verschonen solle.' All diese Fälle sammeln sich seit den letzten paar Monaten. Zunächst wurden die Sorcerer noch nicht eingeschaltet, erst als immer mehr Opfer in den Krankenhäusern landeten. Es scheint überwiegend Kinder zu betreffen, aber in letzter Zeit tauchen auch immer mehr erwachsene Opfer auf." Ich öffnete wieder die erste Fallakte. "Nachdem wir das Schema erkannt hatten, wurde ich geschickt, um mir den Jungen der Tasakos anzuschauen, da wir vermuteten, dass er das erste Opfer war. Das ist vor nicht ganz zwei Monaten gewesen." Ich drehte mich im Stuhl zu Gojo um und versuchte seine verhüllten Augen hinter der Maske zu fixieren. "Tatsächlich habe ich an dem Kind Spuren von Fluchkraft entdecken können und er ist offenkundig in einem nicht enden wollenden Albtraum gefangen... Aber ich habe keinen Hinweis zum Ursprung des ganzen finden können." Ein Seufzen spaltete meine Lippen, während ich mich erneut durch die einzelnen Akten klickte. "Aber die Fälle häuften sich immer mehr und die Opfer wurden älter, als würde der Fluchgeist immer stärker werden." Nun war mein Abendessen vollkommen kalt geworden, dennoch ließ ich es mir nicht nehmen, die Reste gierig in mich hinein zuschieben. "Denkst du, da könnte es einen Zusammenhang geben? Bei ein paar Besuchen der Opfer hat mich tatsächlich auch Hana begleitet... vielleicht habe ich sie damit in die Abschusslinie geschoben..." Frustriert blickte ich auf die letzten Reiskrümel in der Schüssel nieder. Natürlich hätte ich nicht wissen können, dass Hana wegen all dem in Gefahr geraten war und dennoch konnte ich das schelchte Gewissen nicht aus meinen Gedanken schieben.
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