Vessels [Asuna & Winterhauch]

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Vessels [Asuna & Winterhauch]

      Vorstellung

      Es war das erste Mal seit 2 Tagen, dass Sylea sich einen Moment nahm, um durchzuatmen. Ohne Unterbrechung war sie gelaufen, hatte jegliche Kontakte so gut sie wusste gemieden und war nun in einem Wald angekommen, der scheinbar nicht nur aus einem kleinen Schutzgebiet bestand. Schwer atmend saß das Mädchen zwischen den großen Wurzeln einer massiven Eiche, die sie beinahe wie einen Käfig einschlossen. Wind und Wetter hatten mit der Zeit den Erdboden abgetragen und so eine Vertiefung unterhalb des Wurzelwerkes gebildet in der sie saß und ihre Gliedmaßen musterte. Vor ihrer Flucht war die blaue Jeans sauber und ohne Risse gewesen. Nun hatte das Gestrüpp und der matschige Boden der Flüsse, die sie überquert hatte, ihre Spuren hinterlassen. Anstelle einer Jacke hatte sie nur eine dünne Decke mitgenommen, die sie wie einen Umhang um sich gelegt hatte. Das T-Shirt darunter hatte ihre Arme nicht sonderlich schützen können, die über und über mit roten Striemen versehen waren. Braune Strähnen klebten in ihrem Gesicht, die sie mit ihren Fingern fort strich.
      Diese zwei vergangenen Tage erschienen Sylea nur wie ein Wimpernschlag im Vergleich zu den Jahren in der Isolation. Man hatte sie wie ein Tier eingesperrt gelassen, gehalten von unsichtbaren Käfigstäben. Aber ihre Wärter kamen nicht herum den Menschen in ihr zu sehen und so hatte sie zumindest ein bisschen Wissen erhaschen können, was in den vergangen Jahren auf der Welt passiert sein mochte. Schon bevor sie zum Vessel geworden ist, war sie nie verreist. Folglich besaß sie praktisch keine Orientierung. Das Einzige, das sie wusste, war, dass eine Rückkehr zu ihrer Familie undenkbar war. Man würde sie wieder einsperren, noch stärker gesichert als jemals zuvor. Obzwar sie nun die Kontrolle über ihren Köper zurück hatte, sah nur jeder das Etwas in ihr. Bei dem Gedanken wanderte ihre Hand an ihre Brust. Stimmt, sie hatte schon lange nichts mehr von ihm gehört. Dass es jedoch noch da war, war unumstößlich.
      Warum das Mädchen plötzlich den Bannkreis übertreten konnte, der sie seit Jahren in der kleinen Kathedrale bannte, konnte nur auf eine Erschöpfung der Magie schließen lassen. Da niemand in Erfahrung bringen konnte, wer den Kreis erschaffen hatte oder wie lange er bereits existierte, war es unmöglich gewesen, seine Kraft zu erneuern. Scheinbar konnten die Außenstehenden nicht einmal festlegen, wie lange er noch funktionieren mochte. Doch das hier war nun die einzige Chance für Sylea. Wenn es jemanden gab, der das Etwas halten konnte, könnte er auch einen Weg kennen, wie man es zumindest wieder aus ihr heraus bekäme. Zumindest hoffte sie das mit ihrer jugendlichen Naivität.
      Es stand außer Frage, dass man ab dem Punkt, an dem ihr Verschwinden bemerkt worden war, Jagd auf sie gemacht werden würde. Sylea war eine Rubra - sie wusste, wie die Welt funktionierte. Alles Übernatürliche, das die Menschheit gefährden konnte, musste irgendwie unter Kontrolle oder zur Strecke gebracht werden. Sie hatte gelernt, dass ihre Aufpasser Wächter waren und nicht für den Kampf zwangsläufig ausgelegt waren. Anstelle ihrer gab es Hunter, die genau für ihre Situation ausgebildet worden waren. Sylea schüttelte sich bei dem Gedanken daran, dass ihr aller Wahrscheinlichkeit nach schon jemand auf den Fersen war. Irgendwann würde sie allerdings eine Pause machen wollen und solange man sie noch nirgends gesichtet hatte, erschien ihr dieser Ort als vorerst sicher genug. Zum Glück war es Sommer und sie musste sich wegen der Kälte nicht unbedingt einen Kopf machen. Unterwegs hatte sie alles Essbare, das sie sah, eingesammelt und sich in ihren Beutel gesteckt. Besagter Beutel war im Endeffekt nichts anderes als ein etwas umfunktionierter Kollektenbeutel, den sie bis zur Hälfte mit Beeren und essbaren Pflanzen gefüllt hatte.
      Nun, wo Syleas Körper ihr nicht mehr zum Rennen riet, begann ihr Kopf wilde Gespinste zu erfinden. Gewaltsam hielt sie sich davon ab daran zu denken, wie eine Konfrontation ausfallen möge. Sie konnte und würde nicht auf das Etwas in ihr zurückgreifen, zu groß war ihre Angst, es wieder aufzuwecken. Aber sie konnte sich ja anders helfen, wenn es sein musste. Ihr Blut war eine Gabe, angeboren in den Rubra-Clan hinein. Zwar hatte sie seitdem sie das Etwas in sich bannen musste, keine Zauber mehr gewirkt, aber es war wie ein autonomer Ablauf, den der Körper nie vergass. Irgendwann überwog dann die Müdigkeit, die ihren Geist wie schwerer schwarzer Samt umhüllte, sodass ihre Augen einfach zu fielen.
      Stattdessen schreckte Sylea plötzlich auf, als sie leises Bellen wahrnahm. Sofort schoss ihr Puls in die Höhe, die Müdigkeit war wie verflogen. Eng presste sie sich soweit es ging in die hinterste Ecke der Unterhöhlung und wartete ab. Es konnten Spaziergänger sein. Es konnten wilde Hunde sein. Es konnte alles sein. Wenn sie jetzt aus ihrer Höhle überhastet flüchtete, würde man sie lauthals durch das Geäst hören können. Blieb sie vor Ort, saß sie buchstäblich mit dem Rücken zur Wand. Ging sie, würde sie weiter Spuren hinterlassen, blieb sie, führten alten Fährten vielleicht zu ihr. Ihre schlimmsten Ausmalungen waren möglicherweise schneller gekommen, als sie es sich gewünscht hatte. Doch sie setzte auf die leise, abwartende Karte. Wie gesagt, es konnte schließlich alles sein. Oder sie hatte vielleicht nur etwas Glück.
      Dann erspähte sie etwas zwischen den knorrigen Wurzeln. In größerer Entfernung bewegte sich eine Person, vermutlich ein Mann, mitsamt zwei Hunden. Er trug einen langen Mantel, die Hände in den Taschen vergraben. Die beiden Hunde, mittelgroß und freilaufend, wuselten von links nach rechts immer auf der Suche nach dem nächsten spannenden Geruch. Sylea hatte Glück - es war tatsächlich nur ein Spaziergänger.

      @Winterhauch

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"

    • “You don’t look like a monster.”
      “I’ll tell you a secret. The really bad monsters never look like monsters.”



      Eine warme Sommerbrise strömte durch die dicht bewachsenen Baumkronen über seinem Kopf. Das sanfte Rascheln der Blätter, war wie ein Flüstern, dass ihn zu sich rief. Irgendwo im Unterholz knackten ein paar kleine Äste, Büsche und Gestrüpp wurde bei Seite geschoben. Unter schweren Stiefeln bog sich das Gras. Aber Cain blendete jegliches Geräusch in seinem Umfeld aus. Nur nicht das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln. Mit geschlossenen Augen sog er die Aura des Waldes in sich auf. Rechts von ihm zwitscherten ein paar Singvögel im Geäst, die aber aufgeschreckt davon flatterten, als sich die schweren Schritte seine Position näherten. Mit geschärften Sinnen streckte er sein Bewusstsein aus, so weit, bis er das Gefühl hatte sich selbst in zwei Teile zu reißen. Nichts. Immer noch nicht. Das Zielobjekt musste irgendwo in diesem Waldstück sein. Er hatte vor einigen Minuten etwas gespürt, einen Impuls der Angst. Die Emotion war schwach und gedämpft gewesen, aber dennoch spürbar. Was ihn jedoch mehr geködert hatte war der bittere Geschmack, der sich zäh auf seine Zunge gelegt hatte. Das Gefühl statischer Aufladung in der Luft hatte sich über seine Unterarme gelegt, er hatte die Ärmel seines Sweatshirts hochgekrempelt, so dass sich die feinen Härchen aufstellten. Cain riss die Augen auf, als ihn etwas an der Schulter traf.
      "Was ist los, Desraeli? Die Spur verloren?" Höhnisch erklang die Stimme eines Hunters, Marcus, in seinen Ohren. Am liebsten hätte er sich umgedreht und ihm das hässliche Grinsen aus dem vernarbten Gesicht geprügelt. Marcus hatte bei der Jagd nach Seelen bereits einiges einstecken müssen, aber er präsentierte die Narben wie Trophäen. Eine besonders auffällige durchtrennte die rechte Augenbraue und zog sich über das Auge bis zum Kinn.
      "Wenn ihr euch nicht wie eine Herde Elefanten bewegen würdet, wäre es deutlich leichter." Knurrte Cain gereizt zurück. Er wusste, was von ihm erwartet wurde. Das Zielobjekt ausfindig machen und die Hunter auf kürzestem Weg hinführen. Es herrschte höchte Alarmbereitschaft, das Ziel wurde als hochgefährlich eingestuft. Wieder ruckte es in seiner Schulter. Marcus hatte ihm erneut proviszierend auf die Schulter geklopft.
      "Jetzt mach schon. Wir wollen zum Abendessen zu Hause sein." Der Hunter versetzte Cain einen groben stoß nach vorn. Es war kein Geheimnis, dass die Hunter die Seeker als gerringer einschätzten. Unwirsch schob der Seeker, die Hand in seinem Rücken von sich und ging etwas tiefer in den Wald.
      "Ihr wartet hier auf mein Signal. Verstanden?" Knurrte er über die Schulter hinweg und wurde mit widerwilligem Nicken belohnt. Auch wenn es ihnen nicht gefiel, ohne den Seeker würden sie ihr Ziel nie finden. Und Cains wenig herzerwärmende Art machte die Situation nicht besser.
      Bedächtig schob er ein paar Äste zur Seite und verschwand im schattigen Gebüsch. Erst als er genug Abstand zu der Gruppe hatte, atmete er tief durch und legte dabei den Kopf in den Nacken. Es nützte nichts. Aus einem Holster an seinem Oberschenkel, zog er eine Phiole auf die er eine Nadel aufsetzte. Die Flüssigkeit darin war von eisblauer Farbe und schimmerte im Licht, dass durch die Baumkronen fiel. Blind Eye. Das Teufelszeug, dass ihn ankettete wie einen Gefangenen. Aber er hatte keine Wahl. Ohne Zögern versenkte er die spitze Nadel in seiner Halsbeuge. Die Wirkung setzte beinahe sofort ein, auch wenn Cain absichtlich eine gerringere Dosis benutzte. Der Rand seines Blickfeldes begann in Schwarz auszufransen, wie eine alte Decke. Die Geräusche verschwanden, als hätte man ihm Watte über die Ohren gelegt. Aber er war immernoch er selbst.
      Und da spürte er es. Er schmeckte es, roch es. Es war ein faulig, süßlicher Geruch, der ihm die Kehle zuschnürte und seine Atemwege fast blockierte. Die schwere Bitterkeit verklebte seinen Hals, als er schluckte. Cain setzte sich in Bewegung. Was zuvor noch kaum spürbar war, erdrückte ihn nun fast. In den Lichtreflexen der Sonne glühten seine Augen wir geschliffener Bernstein. Tief atmete er durch die Nase ein, wie ein Jäger der seine Beute roch. In einer unnatrülich wirkdenden, ruckartigen Bewegung drehte sich sein Kopf nach links zu einer alten, gigantischen Eiche.
      Die Schritte des Seekers waren kaum zu hören, während er sich dem beeindruckenden Geflecht aus Wurzeln näherte. Je näher kam, umso schwerer fiel ihm das Atmen. Jemand, nein, etwas versteckte sich hier. Cain ging um den Baum herum, bis er eine Vertiefung zwischen den Wurzeln entdeckte. Und Fußspuren. Seine Finger schlossen sich um die knorrige Rinde, als er einen Fuß in die höhlenartige Ausbuchtung setzte. Seine schimmernden Augen blickten hinein und fixierten sich auf eine zierliche Gestalt.
      Cain blinzelte. Schwarzes Haar fiel ihm wirr in die Stirn.
      Er hatte sicherlich viel erwartet. Aber kein junges Mädchen, dass eher verschreckt als furchteinflößend wirkte.
      Ein Mädchen im selben Alter, das Cordelia jetzt haben musste.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Trügerische Erleichterung machte sich in Syleas müden Körper breit, als sie sich etwas entspannte. Spaziergänger waren nicht gefährlich und da sie nicht wusste, wie weit genau sie sich von der nächsten Siedlung befand, war es auch nichts ungewöhnliches. Sie atmete mehrmals langsam durch, spürte die Kälte der Erde in ihrem Rücken und die Hitze in ihrem Gesicht.
      Ihre Atmung setzte aus, als sie Finger an den Wurzeln entdeckte. Dann einen Fuß, der sich in die Öffnung schob.
      Niemand würde sich dieser Eiche grundlos nähern. Erst recht nicht mit dieser vorsichtigen und tastenden Herangehensweise. Ein Körper verdeckte das wenige Licht, das wie Hoffnungsschimmer durch die Lücken der Wurzeln schien. Doch es waren seine Augen, die so unnatürlich trotz der Dunkelheit schimmerten. Sie starrten sich beide ein paar Sekunden lang an ehe es Sylea war, die als nächstes reagierte.
      Eigentlich hatte sie den Mann vor sich anschreien wollen, es kam allerdings nur ein heiseres "Geh weg!" hervor. Ihre Stimme spiegelte deutlich ihre Strapazen wider. Sie stieß sich von der Wand in ihrem Rücken ab, eine Art Drohgebärde wie Tiere es taten, wenn sie sich in die Ecke gedrängt fühlten und vor ihrer Verteidigung warnten. Im Endeffekt fiel sie dabei nur nach vorn auf ihre Knie, aber es reichte, um den Fremden rückwärts taumeln und aus ihrem Sichtfeld verschwinden zu lassen. Sylea wusste nicht, dass Cain als Seeker gerade unter der Wirkung von Blind Eye stand und ihre Aura ihn regelrecht zu erdrücken drohte.
      Panisch versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihre geschundenen Hände gruben sich in den kalten Boden, als sie sie zu Fäusten ballen wollte. Niemand hatte ihr gesagt, dass ihre Aura dermaßen leicht zu orten war. Hätte sie das gewusst, wäre sie weiter gerannt. So lange, bis ihre Beine versagt hätten und sie irgendwo einfach bewusstlos zusammengebrochen wäre. Dann hätte sie zu sich selbst sagen können, sie hatte alles in ihrer Macht stehende versucht. Stattdessen hatte sie sich nun in eine Situation manövriert, in der sie buchstäblich mit dem Rücken zur Wand saß.
      Sie wählte die Flucht nach vorne.
      "Ich bin eine Rubra. Ich will nicht gewaltätig werden. Ich hab ihn unter Kontrolle!", schrie sie aus ihrer Höhle, man hörte deutlich die Mischung aus Angst und Panik. Wer genau hinhörte vermochte allerdings herauszuhören, dass sie ihren eigenen Worten absoluten Glauben schenkte. Wenn er schon länger in seiner Profession tätig war, dann kannte er ihren Clan und musste einschätzen können, zu was die Rubras fähig waren.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Finsternis. Cain sprüte sie mit jeder Faser seines Körper.
      Jedes Seele trug die Dunkelheit mit sich. Die eine mehr, die andere weniger. Aber Cain spürte sie körperlich, ebenso wie die schwere Aura, die nach ihm zu greifen schien. Was ihn stutzig machte, war das fehlende Stimmengewirr. Die meisten Seelen brüllten ihren Schmerz und ihre Wut in die Welthinaus, obwohl der Großteil der Weltbevölkerung gar nicht dazu in der Lage war ihre Stimmen zu hören. Verschwommen drangen Worte an sein Ohr und für einen Augenblick schüttelte er den Kopf, als würde er versuchen eine lästige Fliege loszuwerden, die um seinen Kopf herum schwirrte. Die Stimme klang auch wie das Summen eines Insekts. Störend. Ablenkend.
      Ein Welle erfasste ihn und brach über seinen Kopf zusammen, verstopfte seine Kehle und ließ ihn hörbar nach Luft schnappen. Sie war ihm näher gekommen, vermutlich ohne es zu wollen. Cain nahm noch war, wie sie stürzte und ihn ansah. Aber sein eigener Blick schien geradewegs durch sie hindurch zu gehen. Der Seeker hob einen Arm vor das Gesicht, als wolle er einen unangenehmen Geruch abschirmen. Er bekam keine Luft. Taumelnd stolperte der Schwarzhaarige über die Wurzeln zurück und hatte noch genug Beherrschung um nicht zu fallen. Mit der freien Hand wühlte er in der Innenseite seiner Jackentasche herum und zog eine Pistole daraus hervor. Mit einem Klicken entsicherte er die scheinbare Waffe, ehe er sie in den Himmel richtete. Der Finger zögerte am Abzug.
      Sie war so jung. Wie Cordelia. Ruckartig schüttelte er den Kopf, als könne er so das Bild seiner kleinen Schwester aus seinem Kopf werfen. Und ein Rubra. Warum hatte ihm niemand gesagt, dass das Zielobjekt eine Rubra war? Etwas versuchte sich nach vorne in seinen Verstand zu drängen, schaffte es aber nicht durch den dichten Nebel, den das Blind Eye um seine Sinne erzeugte. Rubra. Da gab es etwas dass er wissen sollte.
      Die Gedanken flossen zäh durch seinen Kopf, als er endlich den Abzug betätigte. Mit einem schrillen Kreischen zischte das rote Leuchtsignal in den Himmel. Cain wankte auf der Stelle. Und lauschte in die gespenstische Stille in seinem Kopf. Er musste seine Aufgabe erfüllen. Er musste seine Schwester retten.
      Es dauerte nur wenige Minuten bis sich eine Gruppe von Huntern durch die Böschung auf den Baum zu bewegte. Und damit auch auf das Mädchen, dass sich dort versteckte. Skeptisch beäugte Marcus den Seeker, dem bereits die Schweißperlen auf der Stirn standen.
      "Schafft ihn bei Seite." Bellte er den Befehl und zog selbst ein schlankes, aber durchaus tödliches Schwert von seinem Rücken. Jeder Hunter war auf den Umgang mehrerer Waffen geschult. Aber jeder hatte seine Spezialität. Marcus liebte den Nahkampf. Er sah seinen Gegnern gerne in die Augen. Andere um ihn herum zogen Schusswaffen aus ihren Holstern. Sowohl Klingen als auch Munition war speziellen Segnungen und Ritualen unterworfen worden, um gegen die Kräfte der Seelen, Dämon, wie auch immer die Leute sie nennen wollten, bestehen zu können. Die Hunter waren allesamt in schwarz gekleidet, mit schweren Stiefeln und verstärktem Gewebe unter ihrer Kleidung.
      Cain wurde aus der Schusslinie gezogen. Jemand gab ihm eine leichte Ohrfeige, um ihn zur Besinnung zu holen.
      "Hey! Desraeli! Aufwachen, Dornröschen!"
      Der Seeker blinzelte und hätte beinahe den Boden unter den Füßen verloren. Die Trance die das Blind Eye versachte, fühlte sich wie ein ausgewachsener Kater, sobald man ihrem Griff wieder entkam. Stöhend fasste er sich an den Kopf.
      "Rubra..." Murmelte er. Wo hatte er den Namen schon einmal gehört? Das Mädchen in dem Bannkreis. Ruckartig hob er den Kopf. Er kannte die Horrorgeschichten. Aber wussten die Hunter, wen sie da vor sich hatten.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Jede einzelne Muskelfaser war bis zum Zerreißen gespannt. Die Sinne geschärft bis über das Mögliche hinaus. Das Mädchen sah den Mann nicht mehr, sie hörte lediglich Geräusche, die wie Schritte klangen. Etwas wurde gezogen, entsichert. Dann etliche Sekunden Stille. Die Vögel im Wald sangen weiterhin ihr friedliches Lied unbehelligt von dem Drama, das sich hier gerade abspielte. Dann zerriß ein Kreischen die Stille und brachte die Natur um sie herum gewaltsam zum Schweigen. Sylea schlug sich die Hände vor die Ohren, ein Fiepen klang noch immer nach. Das rote Licht, das nun die Sonnentrahlen ersetzte, markierte den Anfang vom Ende. Stumm sah sie zu, wie das Leuchtsignal, ein unmissverständliches Zeichen für die Hunter, in den Himmel stob. Es würde nur Minuten dauern bis die Verstärkung eintraf. Minuten, in denen sie entscheiden musste, was sie tun sollte.
      Siedend heiß stach ihr plötzlich die Kälte der Erde in ihren Händen in den Sinn und riss sie aus der Schockstarre. Wenn sie rannte, würde man sie jagen wie ein Tier, eine Hetzjagd deren Ausgang von vornherein absehbar war. Also tat sie das, was sie am Besten als eine Rubra tun konnte, ohne das Etwas in ihr zu kitzeln. Mit ihren von Dreck verkrusteten Finger begann sie, ringsum Runen in den Boden zu zeichnen. Sie tat es nur aus dem Gedächtnis heraus, Erinnerungen an ihre frühe Kindheit. Als sie den Kreis geschlossen hatte, spürte sie einen leichten Druckabfall; die Barriere war erzeugt. Wie stark sie war, wusste sie nicht. Ein Versuch war es zumindest wert.
      "Schafft ihn bei Seite."
      Der Ausruf ließ Sylea abermals zusammenzuckten. Das waren die Hunter, die herrische Stimme musste dem Anführer des Trupps gehören. Instinktiv rutschte sie wieder ganz nach hinten in die Höhle. Sie wusste, dass man sie nicht so einfach umbringen konnte. Aber irgendwie musste man sie auch aus ihrer Höhle bekommen. Dies wiederum bedeutete, es musste zuerst die Situation gesichert werden. Draußen ergab sich nun ein Stimmengewirr, aus denen sie nur ein paar Fetzen gewinnen konnte.
      "Bitte geht einfach weg! Ich hab die Kontrolle, es passiert nichts!", schrie Sylea plötzlich, beim letzten Wort brach ihr die Stimme weg. Die Anspannung war so groß, dass ihr ganzer Körper bereits zitterte. Doch in ihrem Geist war nur sie allein.
      Ein kurzer Moment Stille. "Kommst du dann freiwillig raus?", fragte eine Männerstimme.
      "...Nein." Ob das klug war, war eine andere Geschichte.
      "Dann holen wir dich so raus."
      Die Frage hatte nur dem Zweck gegolten zu erfahren, ob sie bereit war, Gewalt anzuwenden. Da sie dies verneint hatte, tauchte eine neue Silhouette vor den Wurzeln auf. Sie war deutlich kräfter gebaut, in schwarz gekleidet und eine sehr prägnante Narbe prangte in seinem Gesicht. Als er Anstalten machte, durch die Wurzeln zu gehen, blieb er unvermittelt stehen. Er war vor die Barriere gestoßen, doch er verzog nicht mal eine Miene. Stattdessen zog er sich wieder zurück und besprach etwas, dass sie nicht verstand. Im nächsten Moment löste sich ein Schuss. Sylea schrie kurz auf, da die Kugel ihren Schutzkreis nicht zerstört hatte, aber stark an ihrem Bewusstsein riss. Sie versuchten, ihre Barriere gewaltsam zu durchbrechen.
      Syleas Barriere hielt 4 weiteren Schüssen stand.
      Das Brechen der Barriere ging einher mit einem Verlustgefühl der Realität. Es hielt nur eine Sekunde lang an, doch für Sylea, die es seit Jahren nicht genutzt hatte, war es eine Ewigkeit. Für jemanden mit Aurensicht sah das Brechen der Barriere aus wie hauchfeine Glasscherben, die im Licht der Sonne in verschiedenen Farben glitzerten ehe sie sich in Luft auflösten. Damit war auch der Ausgang dieser Option eindeutig.
      Mit zitternden Gliedern kletterte sie aus ihrem Loch ins Licht der Sonne, das durch das Blätterdach brach. Mittlerweile war sie von Kopf bis Fuß mit Dreck bedeckt, trotz der leichten Sonnenstrahlen fröstelte sie. Ihr Blick ging einmal im Kreis. Etliche bewaffnete Männer in schwarz und nur einer, der in kleiner Entfernung zu ihnen im Wald stand. Derjenige fasste sich gerade an den Kopf und sah alles andere als gut aus.
      "Dafür, dass du so gefährlich sein sollst, scheinst du dich ja wunderbar mit deinem Schicksal abzufinden", spottete Marcus, der Mann mit der Narbe im Gesicht. Sie alle hielten einen gebührenden Abstand, denn jeder wusste, dass der Schein trügte. Man hatte das Mädchen als unberechenbares Gefahrengut deklariert und so wurde sie nun auch gehandhabt. Sie wussten, dass man sie nicht töten konnte. Aber um sie zu transportieren brauchte sie ja nur bewusstlos zu sein.
      Sylea antwortete nicht. Sie hielt Marcus' Blick stand bis sie ihren Gliedmaßen wieder etwas spürte. Dann machte sie urplötzlich auf dem Absatz kehrt und rannte, weg von der Truppe. Sie kam gerade mal halb um den Baum herum, da blieb sie irgendwo hängen und fiel bäuchlings hin. Es dauerte zwei weitere Sekunden bis ein Schmerz, so stark, dass sie fast das Bewusstsein verlor, von ihrem Bein hoch in ihren Geist schoss. Panisch drehte sie sich etwas auf die Seite, um den Grund ausfindig zu machen.
      Marcus war ihr nach dem ersten Satz direkt hinterher gehechtet. Um sie an jeglicher Flucht zu hindern hatte er sein Schwert von hinten durch ihre Wade getrieben und sie somit zu Fall gebracht. Nun steckte das Schwert wie ein abartiger Pfeiler durch ihr Fleisch im Boden. Blut sickerte bereits aus den Einstichstellen. Sylea verlor jegliche Kontrolle über ihre Fassung. Tränen rannen ihr über die Wangen und nahmen ihr jegliche Sicht. Kein sauber artikuliertes Wort kam ihr über die Lippen sondern nur noch schmerzerfüllte Laute. Marcus ragte vor ihr auf, seine Hand an dem Schaft seines Schwertes. Wie ein unheilvolles Omen.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Asuna ()

    • Ohrenbetäubende Schüsse hallten durch den ansonsten friedlichen Wald, so das sämtliche Waldbewohner einfach Reißaus nahmen. Der durchdringende Ton klingelte in seinen empfindlichen Ohren. Cain widerstand nur knapp dem Drang, sich die Hände auf die Ohren zu pressen, um den Lärm auszublenden. Es war beinahe verlockend, sich noch eine Dosis der verführerischen Droge zu setzen, die bläulich an seinem Holster schimmerte. Cain hasste sich dafür.
      Ablenkung bot das Mädchen, nein, eigentlich die junge Frau, die verdreckt und völlig am Ende aus ihrem Unterschlupf kroch. Sie sah furchtbar mitgenommen aus und der Seeker erlaubte sich einen Funken Mitleid. Sie würde leben, aber unter welchen Bedingungen. Hatte Cordelia auch so ängstlich gewirkt, als man sie geschnappt hatte? Der Gedanke rammte ihm einen betäubenden Schmerz mitten in die Brust. Kurz spürte er ihren Blick auf sich, immer noch empfänglich für die schwere Aura, die das Mädchen umgab. Er blickte zu ihr herüber. Deutlich kleiner als er und eher von zierlicher Gestalt. Er überragte sie vermutlich um mehr als nur einen Kopf. Marcus spottende Worte empfand er als unnötig. Die Lage war schon schlimm genug, ohne dass er ihr Ziel auch noch demütigen musste. Nicht alle Hunter waren wie der hochgewachsene Marcus mit den dunkelblonden Haaren. Aber Cain hatte schnell begriffen, dass Marcus vor allem auf seine Machtposition stand. Und das spielte er nur zugerne aus. Immerhin war er einer der Besten. Das musste selbst der Seeker zugeben. Er war rücksichtslos und brutal, aber äußerst effektiv. Das zeigte sich nun auch als er der Flüchtenden augenblicklich nachsetzte.
      Ehrlich schockiert sah Cain zu, wie er sein Schwert erhob die die dünne, scharfe Klinge durch die Wange des Rubra bohrte. Der Schmerzschrei bereitete ihm mehr Kopfschmerzen als die Schüsse zuvor. Er machte einen Schritt nach vorn, wurde aber von einer starken Hand über der Brust aufgehalten.
      "Reißt dich zusammen, Desraeli." Wütend funkelten die bernsteinfarbenen Augen, als er seinen Gegenüber anblickte. Es war nicht so, dass Cain nicht ebenfalls im Nahkampf ausgebildet war. Er war sogar recht gut, wollte man meinen. Aber das Blind Eye raubte ihm jedes Mal sämtliche Energie. Energisch schob er die unerwünschte Hand von seinem Körper und schwankte leicht, als er einen weiteren Schritt machte. Mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurden seine Tritte sicherer, seine Haltung wieder gerader. Bis er sich schließlich zu seiner vollen größe aufrichtete. Dennoch wirkte er neben Marcus geradezu schmächtig, obwohl sich auch unter einen eigenen schwarzen Sachen die sehnigen Muskeln spannten.
      "Marcus..." Die Stimme aus seinem Mund war rau, aber nicht zu tief, als würde Stein auf Stein schleifen. "Das reicht. Sie kann nicht mehr fliehen." Obwohl die Wirkung der Droge mit jeder Sekunde weiter abnahm, spürte er noch immer die drückende Aura, die seine Lungen leicht zusammen presste. "Marcus." Das zweite Mal schwang etwas wie eine Warnung in seiner Stimme mit. Cain blickte auf das tränennasse Gesicht. Die Tränen zeichneten deutliche Spuren in dem von Dreck bedeckten Gesicht.
      Blitzschnell, man hätte es ihm bei seiner augenblicklichen Verfassung kaum zugetraut, griff er nach dem Schwertarm des Hunters. Die beiden tauschten über ihre Blicke einen stummen Machtkampf aus. Selbst die Hunter im Hintergrund beäugten das ganze aus wohlüberlegter Entfernung.
      "Sie sagte, sie sei eine Rubra. Wenn sie die Rubra ist, sollten wir versuchen keine schlafende Bestie zu wecken." Der diplomatische Weg erschien ihm der sinnvollste. Grimmig riss der Hunter das Schwert aus der blutenden Wunde, mit einem ekelerregenden, schmatzenden Geräusch von verletzten Fleisch.
      "Von einem erbrämlichen Fixer wie dir, lass ich mir gar nicht sagen. Merk dir das." Drohend richtete Marcus die blutige Schwertspitze Cain. Letzter bewegte sich keinen Zentimeter, atmete aber erst aus, als der Hunter seine Waffe wegsteckte. Jemand drückte Cain ein paar Handfesseln in die Hände. Robuste, schwere Dinge auf denen diverse Symbole und Siegel eingraviert waren. Ein zusätzlicher Schutz für den weiteren Transport. Ein wenig schwerfällig kam der Seeker neben dem schluchzenden Mädchen in die Hocke.
      "Gib mir deine Hände..." Sprach er so gleichgültig wie möglich. An seinem Hals waren diverse Narven von Einstichen zu erkennen, alte und frische.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Kurz nachdem sie das Schwert in ihrem Bein gesehen hatte, war Sylea kraftlos mit dem Kopf auf den Boden gesackt. Die Tränen liefen ihr heiß über das Gesicht, so heiß wie ihre eigenen Blutrinnsale an ihrem Bein. Es kostete sie alle Kraft, halbwegs bei Sinnen zu bleiben. Zu groß war die Angst, dass Er in ihrem Inneren aufwachen mochte. Alles, was sie mitbekam war, dass nichts passierte. In ihren Ohren rauschte es fürchterlich, abwechselnde Schübe in heiß und kalt fluteten ihren Körper. Wehrlos lag sie auf dem Waldboden und sie verabscheute sich selbst dafür. Zwei Tage lang war sie frei gewesen. War ein weiterer Versuch auf kurze Freiheit es wert, einen weiteren Massenmord auszulösen?
      Am Ende war es ein kleiner Ruck sowie ein widerliches Geräusch, dass Sylea wieder etwas Verstand einflößte. Und der befahl ihr, wenigstens nicht im Dreck liegen zu bleiben. Sie sah zwei Männer neben sich aufragen, eindeutig in einer Form des Disputs. Noch immer weinte sie, als sie vorsichtig ihr Bein betastete. Prompt wurde ihr übel. Wie sollte sie auch Wunden wie diese kennen?
      Dann hockte sich Cain neben sie. Sylea beachtete ihn nicht, sie musste nun gegen eindeutigen Schwindel ankämpfen. Allerdings brachte sie nun ihre Stimme dazu, zu funktionieren. "Ich habe doch gesagt, ich habe ihn unter Kontrolle. Sonst wärt ihr jetzt alle schon tot." Eine bisher unausgesprochene Tatsache.
      Die Aufzeichnungen von jenem Tag in der Kathedrale waren sehr detailliert ausgefallen. Man konnte von außerhalb des Bannkreise das Wesen in dem kleinen Mädchenkörper beobachten und wenn sich die Aufzeichner bei einem sicher waren, dann dass es ohne zu zögern alles niedermähte, das ihm irgendwie quer kam. Irritierend war nur der einzige Satz, der damals über ihre Lippen kam: Dieser Tod ist nicht der Schlimmste, den ich euch überbringen kann.
      Syleas Augen fokussierten sich endlich wieder nachdem einfach keine Tränen mehr kamen. Die Anspannung hatte sich in diesem Moment entladen und nun fühlte sie sich einfach nur leer. Ihr Blick zog abermals eine Runde, musterte jeden einzelnen der Männer und blieb an Marcus hängen. Sie wollte keinen Hass verspüren, durfte es nicht. Aber wie konnte man es ihr verübeln? Sie wusste nicht, was sie hätte erwarten sollen in den Augen dieser Jäger. Sicherlich keine Angst, aber... Genugtuung? Bestätigung? In ihren Augen war die junge Rubra nichts anderes als eine Beute.
      "Gib mir deine Hände..."
      Mühsam riss sie ihren Blick von ihrem Peiniger los und schwenkte ihn herüber zu Cain. Sie erinnerte sich an seine Augen, er war derjenige, der die Hunter gerufen hatte.
      Er war schuld an allem.
      Syleas Kiefer spannten sich an als sie die Fesseln sah. Für einen Moment lang überlegte sie ernsthaft, ihn gewaltsam aufzuwecken. Diese Menschen, die Jagd auf ihresgleichen machten, auszuradieren und vom Anbild der Welt verschwinden zu lassen. So schnell dieser Gedanke auch Wurzeln schlagen mochte - Sylea war schneller darin, Unkraut aus den Ritzen ihrer Entschlossenheit zu reißen.
      "Die sperren mich weg. Bis sie herausfinden, wie man mich umbringen kann. Aber ich kann nicht sterben. Sie haben's versucht", hauchte sie zart. Es war eher ein neutraler Kommentar als eine Veranschaulichung ihrer Angst. Dieses bisschen verdeutlichte, wie abgeklärt Sylea diesbezüglich war. Sie wusste um die Handlungen, die Konsequenzen und das Ergebnis.
      Leise stöhnte sie, als sie ihre Hände zu dem Seeker brachte.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Vorsichtig, fast schon sanft, umfasste er mit seiner Hand ihre schmalen Handgelenke. Unter der Berührung zuckten seine Finger unkontrolliert. Eine stetige Kälte kroch seine Finger und schließlich seinen Unterarm hinauf. Cain konnte es spüren, dieses Ding, das sich wie ein Parasit in dem Mädchen eingenistet hatte. Um seine Augen zuckte es leicht. Die geweiteten Pupillen hatten mittlerweile wieder ihre normale Größe angenommen und ihre Aura wurde erträglicher für ihn, bis sie zu einem dumpfen Summen verkam. Ein Hintergrundrauschen mit dem er zu leben gelernt hatte. Der Seeker sah ihr nicht mehr in die Augen, als sie ihre Worte wieder fand.
      Die Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug. Es war eine Erleichterung wieder richtig Luft zubekommen. Dabei wäre er niemals wirklich erstickt. Es war nur die Art und Weise, wie ihn die Auren der Seelen belasteten. Und das Monster in ihrem Körper war stärker als alles was er je erspürt hatte.
      "Ich weiß." Cain sprach ruhig, aber es lag etwas endgültiges in seiner Stimme. Mitleid konnte er sich nicht leisten und dennoch, die junge Frau vor ihm auf dem Waldboden war zu jung für dieses Schicksal. Er konnte sich nicht vorstellen, welche Qualen sie bereits durch gestanden hatte. Zurück in der Basis würde er die Unterlagen einsehen. Was steckte da in ihr, dass sich die hohen Tiere des Rates so davor fürchteten.
      "Beeil dich." Knurrte es aus knapp zwei Metern entfernen, wo Marcus ungeduldig mit den Fingerspitzen trommelte. Mit einem leisen Klicken schloss Cain die schweren Fesseln um ihre Handgelenke. Die Symbole, die in der Titanliegierung prangten, leuchteten in einem fahlen Licht kurz auf. Ein Zeichen, dass sie sich aktiviert hatten um die böse Seele in Schach zu halten. Der Seeker wurde das dumme Gefühl nicht los, dass im Ernstfall nichts der Macht in ihrem Inneren stand halten konnte.
      Cain Desraeli blickte nun herab auf ihr blutendes Bein. Ein unnötiger Akt der Brutalität, aber eindeutig Marcus Handschrift. Er spürte die hasserfüllten Blicke deutlich in seinem Nacken und was er als nächstes tat, würde der jungen Frau gar nicht gefallen. Und auch Cain war wenig begeistert, aber in ihrer Nähe konnte er die Schwingungen ihrer Aura besser kontrollieren.
      Ohne zu fragen, schob er erst einen Arm um ihre Schultern und den zweiten unter ihren Kniekehlen hindurch.
      "Still halten..." Raunte er und hob sie mit einer Umsicht hoch, als hätte ernsthaft Sorge ihr noch mehr weh zu tun. Die Versorgung der Wunde musste warten, bis sie bei den Fahrzeugen waren. Cain war kein grausamer Mensch, noch erfreute er sich an dem Leid anderer. Er war nicht einmal freiwillig hier. Er vergewisserte sich, dass er sie sicher hielt und sammelte seine verbliebenen Kraftreserven, um sie nich wieder fallen zu lassen. Marcus murmelte ein abfällgies Kommentar zu einem seiner Mitstreiter. Der Seeker hörte nur deutlich die Worte Freaks und erbärmlich heraus. Dabei verzog er nicht eine Miene. Er hatte gelernt die gehässigen Kommentare zu ignorieren. Während er sie durch den Wald trug, hinterließ sie eine feine Spur aus Blutstropfen.
      Nach etwas einer halben Stunde, es dämmerte bereits und die Luft wurde kühler, erreichte der Trupp aus Huntern und Cain anonym wirkende ebenfalls schwarze Fahrzeuge. Darunter ein Transporter. Die Tür stand bereits offen, als hätte man auf sie gewartet. Zusammen mit dem Mädchen im Arm bestieg er das Transportfahrzeug und setzte sie auf einer Bank an der Wand ab. Zwei Hunter, aber ohne Marcus, stiegen zu ihnen und schlossen die Tür. Die Schusswaffen griff bereit in der Hand.
      Überrschenderweise nahm Cain nicht ihr Gegenüber Platz sondern setzte sich in den Zwischenraum auf den Boden. Prüfend sah er zu ihr auf, ehe er ihr Fußgelenk mit der Hand umschloss und das verletzete Bein zu sich zog.
      "Was zum Henker tust du da?!" Kam es von der Seite. Cain wimmelte die Hand ab, die nach seiner Schulter fasste.
      "Im Gegensatz zu euch beiden, habe ich mir meinen Anstand nicht beim Training aus dem Kopf prügeln lassen. Sie ist verletzt." Knurrte er bissig.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Sylea spürte Cains Hände eiskalt an ihren eigenen. Er würdigte sie keines Blickes, vielleicht lag dies aber daran, dass er als Seeker mehr von dem Wesen wahrnahm als sie selbst. So wie es auch mit ihrem Aurenbild sein mochte. Folglich hielt er den Kontakt nur so lange wie unbedingt nötig. Sie sah ihn zwischendurch aufatmen, was sie missverstand als eine Art Erleichterung darüber, dass man sie doch so einfach hatte festnehmen können. Der winzige Funke der Wut begann unterschwellig in ihr zu glühen.
      "Beeil dich." Knurrte es aus knapp zwei Metern entfernen, wo Marcus ungeduldig mit den Fingerspitzen trommelte.
      Am liebsten wären sie ihm bissig ins Wort gefallen, aber es fehlte ihr einfach an Kraft. Sie war fertig mit der Welt. In dem Moment, in dem sie zum Halten gekommen war, waren die Karten bereits ausgespielt worden und sie hatte ihr Blatt in den Händen. Allerdings reichte es für einen extrem unterkühlten Blick. Er hinderte den winzigen Funken nicht daran, die Glut weiter zu entfachen.
      Als sich das schwere Metall mit einem Klicken schloss und die Symbole aufleuchtete, spürte Sylea absolut nichts. Weder das Gefühl eingeschränkt noch in irgendeiner Art limitiert worden zu sein. Selbstverständlich schwieg sie über diese Feststellung zumal sie nicht wusste, ob das so nicht sogar gewollt war.
      Zugegebenermaßen erschrocken reagierte sie, als Cain sie hochhob. Dies hatte zweierlei Gründe. Zum einen hatte sie seit gut 10 Jahren keinerlei menschliche Berührungen mehr erfahren. Dass ein Fremder sie einfach so anfasste löste in ihr ein Unbehagen aus, so stark, dass es den Schmerz für eine Sekunde lang ausblendete. Zum anderen lief es ihr nun komplett eiskalt den Rücken herunter. Es war wie eine Woge, die sich zwischen den Stellen bewegte, die der Seeker berührte. Zum jetztigen Zeitpunkt kam es ihr nicht in den Sinn, dass es eben daran lag, dass Cain ein Seeker war. Lediglich das Wissen, was Seeker auszeichnete hatte man ihr beigebracht. Nicht, wie sie zu dem wurden, was sie waren.
      Syleas Protest erfolgte umgehend. Sie trommelte ihrem Träger auf die Brust, zu scheu, um das Logischste zu tun und ihm einfach ins Gesicht zu schlagen. Ihr war es egal, ob sie wieder im Dreck landete. Wenn, dann wollte sie in Würde eigenständig in ihre Zelle humpeln. Cain gab sich davon unbeeindruckt und schlug sein Ziel ein mit der Absicht, sie ganz bestimmt nicht fallen zu lassen.
      Dann drangen Worte an ihre Ohren, die sie innehalten ließ. Sie wandte ihren Kopf bis sie Marcus sah und die Worte ihm zuschreiben konnte. Er machte keinen Hehl daraus und merkte seinen Mitstreitern nur weiter Dinge an. Angst war ein Gefühl, mit dem die junge Rubra gut haushalten konnte. Erschöpfung war ihr mehr als bekannt. Schmerz war ihr nun auch nicht wirklich fremd, aber als sich die Glut in ihrem Herzen in eine kleine Flamme verwandelte, lernte sie nicht nur Wut kennen, sondern Hass. Dieses Gefühl, was sich so andersartig anfühlte, fühlte sich auf subtile Art gut an. So gut, dass sie es nicht eindämmte, sondern der Flamme noch Zunder zuwarf. Sie wusste besser als alle anderen, wie leicht sie sie alle einfach umbringen konnte. Es war schon beinahe zu einfach. Mit jedem Schritt den Cain tat malte sie sich neue Szenarien aus, was sie mit Marcus anstellen konnte.
      Jeder Mensch hat eine Schwachstelle. Lass sie mich finden, dann setzen wir sie ihm vor und quälen es solange, bis er den Verstand verliert.
      Sylea zuckte so heftig zusammen, dass sie fast aus Cains Armen gefallen wäre. Sie konnte glasklar ausmachen, dass dieser Gedanke nicht ihr eigener gewesen war. Da war sie wieder - die Angst, so urtümlich und tief in ihr vergraben wie ihr Bewusstsein selbst. Prompt erstickte sie die Flamme in ihrem Herzen bis nicht mals mehr die Glut vorhanden war. Dann lauschte sie in sich hinein. Und hörte nichts. Daraufhin hing sie nur noch erschöpft und regungslos in Cains Armen und ließ sich forttragen.
      Im Transporter sah sie schweigend auf den Seeker herab, der sich scheinbar tatsächlich um ihr Bein kümmern wollte. Dieses Mal schaffte es nicht einmal mehr ein Zucken durch ihren Körper. Sie spürte allmählich, wie die Kombination aus Kälte, Angst, Erschöpfung, Schock und Blutverlust ihren Tribut verlangte.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Prüfend blickten die ungewöhnlich gefärbten Augen zu der erschöpften jungen Frau auf. Der Griff um ihr Fußgelenk hatte sich minimal verstärkt, als rechnete er damit, dass sie austreten würde. Bis vor wenigen Augenblicken hatte er einen Impuls gespürt. Etwas Eisiges, dass ihm einen Schauer nach dem Anderen durch die Adern jagte. Doch jetzt wirkte das Mädchen nur noch erschöpft, als würde sie jeden Moment kraftlos von der Sitzbank rutschen.
      Ohne den Blick von ihrem blassen Gesicht zu nehmen, streckte er eine Hand nach hinten aus und zog einen kleinen Verbandskasten unter der gegenüberliegenden Sitzbank hervor. Vorsichtig krempelte er den Saum ihrer Jeans Zentimeter für Zentimeter nach oben über Wade. Als er an der Stichwunde ankam, spürte er das warme Blut, dass langsam über seine Finger rann. Sein Gesicht war bar jeder Emotion während er den Schaden begutachtete und schließlich in den Verbandskasten griff, um einen sauberen Tupfer herauszuholen.
      "Das war unnötig." Sprach er leise in ihre Richtung, während er das Blut fortwischte, um die Wunde besser sehen zu können. Ein glatter Stoß durch Muskeln und nur eine Haaresbreite an ihrem Knochen vorbei. "Wahrscheinlich tröstet es dich nicht, aber es tut mir leid. Marcus ist ein eiskaltes Arschloch." Pinzette und Tupfer landeten klapperten neben ihm auf dem Boden. Als nächsten zog er das Desinfiktionsspray hervor.
      "Zähne zusammen beißen." Raunte er ihr zu, ehe er die brennende und alkoholhaltige Flüssigkeit auf die Wunde sprühte. Dabei schlangen sich seine Finger wie ein Schraubstock um ihr Fußgelenk. Er war wirklich nicht erpicht darauf einen harten Tritt ins Gesicht zubekommen. Für Außenstehende mochte es seltsam wirken, wir umsichtig Cain mit dem Zielobjekt umging. Aber ihr Schicksal war schon grausam genug, es war das Mindeste, was er tun konnte. Noch einmal wischte er das Blut von dem Eintrittswunde und griff dann um ihre Wade herum, um das selbe mit der Austrittswunde zu machen. Er war sicherlich kein ausgebildeter Sanitäter, aber wenn er sich nicht daraum kümmerte, würde es niemand tun. Den Huntern war es egal.
      "Dein Name ist Sylea, oder?" Cain schien zu versuchen, das verletzte Mädchen ein wenig abzulenken. Sylea Rubra. Die Zahnräder in seinem Kopf bewegten sich schwerfällig, um die Erinnerungen in Gang zu bekommen. Beinahe jeder kannte die tragische Geschichte der Rubra Familie. Ein kleines Mädchen willentlich geopfert für das größere Wohl. Und ebenso gefürchtet. Bisher hatte es keine hinreichende Lösung gegeben, die böse Seele in ihrem Körper zu beseitigen. Und nach ihrer eigenen Aussage, konnte sie nicht sterben. Der Parasit hielt wahrscheinlich seinen Wirt am Leben. Es er konnte sich nicht vorstellen, wie hilflos sich Sylea fühlen musste.
      Mit geübten Handgriffen wickelte er einen Verband um die noch blutende Wunde. Ein Experte würde sich das Ansehen müssen, er konnte den Schaden nicht einschätzen, den das Schwert angerichtet hatte. Cain überprüfte den richtigen Sitz des Verbandes, ließ das Hosenbein jedoch hochgekrempelt. Kühle Finger glitten über den weißen Stoff, durch den sich das Blut bald durchdrücken würde. Der Seeker blieb auf dem Boden sitzen und behielt sie genau im Auge, falls sie doch fallen sollte. Die ganze Zeit über wurde er von den beiden Huntern skeptisch beäugt. Sie verstanden nicht, warum er sich kümmerte.
      Unter ihren Füßen erwachte das Fahrzeug zum Leben und setzte sich holprig auf dem Waldweg in Bewegung. Der Seeker wusste selbst nicht genau, wohin sie Sylea bringen würden. Dahin gehend hatte man ihn leider nicht eingeweiht. Er hatte sich bereits damit abgefunden, dass er als Mittel zum Zweck diente.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Alles, was Sylea gerade verspürte, war eine Grabeskälte. Wie tiefster Frost hatte sie sich durch ihre Haut und Muskeln durchgekämpft, um nun ihre Knochen mit Schmerz zu erfüllen, der wie winzige spitze Eiskristalle sich auszubreiten drohte. Ihr Blick war unfokussiert - sie betrachtete seitdem Cain sie im Transporter abgesetzt hatte stets den gleichen Punkt auf dem Boden des Wages. Mittlerweile konnte sie schon Flecken unterscheiden, die durch vehementes Reinigen eigentlich nicht mehr sichtbar sein durften.
      Als Cain dann anfing zu reden konnte sie ihm nur ihr Gehör schenken, und selbst das nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit. Sie spürte die Blicke der beiden Aufpasser auf sie beide. Der Seeker vor ihr musste doch ein wenig Mitleid verstehen wenn er sich extra die Mühe machte, ihre Wunde zu versorgen. Es war kein Muss, aber anscheinend gab sie ein dermaßen erbärmliches Bild ab, dass es den jungen Mann vor ihr am Boden zu kümmern schien.
      Der Einsatz des Desinfektionsmittels sorgte dafür, dass sich Sylea wahnsinnig verspannte. Als wäre es die letzte Aufgabe, die diese Muskeln noch zu erfüllen hatten, gaben sie alles und verwandelten sie in eine Salzstatue. Kein Laut entwich ihr, jedoch warf sie den Kopf dermaßen in den Nacken, dass sie an der Seitenwand des Transporters anschlug. Ihre Augen waren zusammengekniffen, die Kapuze rutschte ihr vom haselnussbraunen Haar. Erst jetzt, als ihr Umhang seine Form nicht mehr einhalten konnte, erkannte man auch den typischen Rubraschmuck, der sich tief um ihren Hals schmiegte und sich bis über die Schlüsselbeine zog. Die geflochtenen Bänder mit den typischen blutroten Steinen, meist Beryllderivate, trug jeder des Clans an der Körperstelle seiner Wahl.
      "Dein Name ist Sylea, oder?"
      Während Cain Sylea einen Stoffverband anlegte, versuchte er scheinbar abzulenken. Langsam öffnete sie die Augen und sah zu ihm hinunter. Sie öffnete die Lippen und brachte nur ein flüstern zustande: "Ja, aber das wisst ihr. Ihr seid aufgeklärt über eure Beute."
      Dann merkte sie, wie sich ihr Körper entspannte und der Schwindel zurückkehrte. Schnell stellte sie fest, dass sie ihn nun nicht mehr bekämpfen konnte. Dies zeigte sich daran, dass ihr Kopf langsam hin und her wankte. Noch bevor ihr Kopf auf ihre Brust sackte, erhaschte sie einen Blick auf den Hunter ihnen schräg gegenüber. Für einen winzigen Moment lang hätte sie schwören können, ein Grinsen in seinem Gesicht gesehen zu haben. Dann war sie bewusstlos.
      Dies entging den beiden Aufpassern nicht. "Die Kleine ist jetzt erst mal weg vom Fenster. Steh auf und setz dich woanders hin, der edle Ritter wird nicht mehr gebraucht." Ganz offensichtlich waren sie froh, dass sie den Rest der Fahrt ohne irgendwelche Probleme bestreiten konnten.
      Oh, wie sehr konnte man sich bloß täuschen.
      Der Trupp war vielleicht fünf weitere Minuten in Stille weitergefahren, da fing der Hunter, der Sylea schräg gegenübersaß, an unruhig hin und her zu rutschen. Er hatte den Kopf leicht gesenkt und sah eher so aus, als würde er über was nachdenken.
      "Hey. Hey Gerrit, alles klar?", fragte sein Kollege ihm gegenüber und stieß ihn am Fuß an.
      Gerrit gab nur undeutliche Laute von sich, die verdächtig nach einem Wimmern klangen. Irritiert streckte sein Kollege die Hand nach Gerrit aus und packte ihn an der Schulter.
      "UAAAAAHH! MACHT, DASS ES AUFHÖRT!"
      Sowohl Hunter als auch Seeker standen binnen Sekundenbruchteilen auf ihren Füßen, einzig Sylea saß immer noch zusammengesackt an ihrem Platz. Noch bevor irgendjemand weiter reagieren konnte, hatte Gerrit seine Pistole gezogen. In seinen Augen stand der Ausdruck puren Terrors, kein Stück Menschenverstand war mehr darin zu lesen. Es dauerte nur zwei weitere Sekunden ehe er die Waffe entsichert und sich an die Schläfe hielt.
      Der sich lösende Schuss riss Sylea aus ihrer Bewusstlosigkeit. Sie blinzelte träge, das Chaos um sie herum war enorm. Der Transporter hatte angehalten, die Tür des Wagens war rot gesprenkelt. Gerrit, der Hunter ihr gegenüber, starrte sie mit ausdruckslosen Augen an, das klaffende Austrittsloch für sie nicht sichtbar. Ein unwirklicher Moment stellte sich ein, als sich sich in diesen leeren Augen verlor. War sie das gewesen? Sie schüttelte ihre Hände, noch immer sicher in den Handschellen verwehrt.
      Nun wurde die Tür aufgerissen und Gerrits Leiche fiel mit einem dumpfen Ton auf den Waldboden. Sylea starrte hinterher, der andere Hunter sprang schneller als seine Beine ihn tragen konnten aus dem Fahrzeug und sogar der Seeker musste erst einmal raus aus diesem viel zu kleinen geschlossenen Raum.
      Lage sichten war angesagt.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Mit einem zornigen Funklen in den Augen blickte Cain zur Seite, was den Hunter doch ein wenig einzuschüchtern schien. Im Ernstfall war der Hunter ihm körperlich überlegen, aber was Cain an Muskelkraft fehlte machte er mit Geschwindkeit wieder weg. Widerwillig, aber er sah auch die Wahrheit in dem Befehl, kam er etwas ungelenk in dem schwankeden Fahrzeug auf die Beine und setzte sich Sylea gegenüber auf die anderen Sitzbank. Nachdenklich verschränkte er die Arme vor der Brust und behielt die junge Frau im Auge. Ein wenig besorgt starrte er auf den Punkt, an dem ihr Kopf gegen die Wand geschlagen war. Nun rollte ihr Kopf fast leblos unter dem Ruckeln des Transporters von einer Schulter zur anderen.
      Etwas beunruhigte ihn. Er hatte genau den Augenblick gespührt, als die junge Frau das Bewusstsein verloren hatte. Das war durchaus ungewöhnlich. Selbst im Schlaf oder bewusstlos spürte er die Auren um sich herum. Die eigene Seele verschwand nicht einfach, nur weil der Körper sich zur Ruhe legte. Die Aktivität war immer da, stets messbar. Selbst die Hunter strahlten für ihn eine kaum fühlbare Spur ab. Eine Energie, die jedem lebenden Wesen inne wohnte. Cain kniff die Augen prüfend zusammen und beobachtete das Ausdruckslose Gesicht von Sylea. Angespannt trommelte er mit den Fingerspitzen auf seinen Oberarm und hoffte, dass der Konvoi schnell sein Ziel erreichte.
      Die Stimmen der Hunter rissen ihn aus seiner Starre. Als erste hörte er nur ein leises, wehleidiges Wimmern. Die Quelle war schnell ausgemacht und er blickte zu Gerrit, meinte er sich zu erinnern, er hatte den Mann vorher vielleicht zwei Mal gesehen.
      "Stimmt was nicht?" Die Frage seinerseits ignorierend, versuchte der dritte Mann im Wagen seinen Kollegen wach zu rütteln. War er eingeschlafen? Da riss Gerrit den Kopf hoch und flehende Worte stolperten über seine Lippen. Ein überaus ungute Gefühl, wie das Prickeln feiner Nadeln kroch ihm in Nacken. Cain ignorierte es fürs Erste, die Waffe, die plötzlich in zitternden Händen lag, erforderte seine ganze Aufmerksamkeit. Für den Bruchteil einer Sekunde war der Seeker wie erstarrt, dann sprang er von seinem Platz auf und auf Gerrit zu.
      "Fuck...!" Cain wollte dem Mann, der offenstichtlich quälende Panik litt, die Waffe aus der Hand reißen. Da löste sich der Schuss.
      Blut spritzte an die Wände des Laderaum, besprenkelte den Boden und traf mit heißen Tropfen seine Wange. Erstarrt bilckte Cain auf den leicht qualmenden, kreisrunden Einschuss im Schädel des Hunters. Das Blut perlte hinab über sein eigenes Kinn. Geistesabwesend wischte er sich die rote Flüssigkeit von der Haut, und hinterließ eine verschmierte Spur auf seinem Gesicht.
      Was er dann spürte, hätte Cain beinahe von den füßen gerissen. In dem Augenblick als Sylea die Augen aufschlug, erfasste ihn eine Welle der Übelkeit. Da war er wieder dieser süßlilche, schwere Geruch nach Verfaultem. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und die Wirkung war selbst ohne das Blind Eye so überwältigend, dass Cain zur Tür stürzte sobald sich diese öffnete. In seinem Kopf pochte es schmerzhaft. Er konnte nicht denken.
      "Zurückbleiben...!" Würgte er mühevoll hervor und fasste sich an die Schläfen. Die Hunter, die von allen Seiten heranströmte, die Fahrzeuge am Straßenrand hektisch abgestellt, blieben wie angewurzelt stehen.
      "Was ist denn das für eine Sauerei!?" Marcus umrundete den Transporter und blickte auf die Leiche seines Mitsteiters. "Scheiße, Desraeli! Was zum Teufel..." Der Blick des blonden Hunters richtete sich in den Laderaum, wo ihr Zielobjekt, träge nach draußen blickte.
      Marcus riss einem anderen Hunter neben sich die Pistole aus der Hand.
      "Das reicht. Befehle hin oder her." Todesmutig kletterte er in den Laderaum und entsicherte die Waffe. "Was hast du getan, du kleines Miststück? Dann wollen wir mal sehen, ob die Theorie stimmt..."Wütend drückte er ihr den Lauf der Waffe direkt zwischen die Augen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Man sagt, im absoluten Ausnahmefall des Stresses und der Überforderung vergeht die Zeit wie in Zeitlupe.
      Dies war nun für Sylea der Fall. Die fünf Minuten Pause haben gereicht, damit sich ihr Blutdruck normalisierte, die Wunde am Bein sich bereits zu schließen begann und ihr sonst so scharfer Verstand wieder Einzug hielten. Trotzdem wurde sie dieses leere Augenpaar nicht los. Es gab keinen anderen logischen Grund, warum der Hunter plötzlich gestorben war. Weder Cain noch sein Kollege hatten Waffen in der Hand gehabt. Der Tote hatte sich selbst gerichtet und da Sylea ganz genau wusste, wie Er vorging, schrieb sie es seiner Handschrift zu.
      Aber es war ihr Körper. Ihr Zorn, der den Hunter dazu getrieben hatte.
      Sie hatte ihren ersten Menschen umgebracht.
      Die Zahnräder in ihrem Verstand ächzten, als sie vergeblichen versuchten, sich in einander zu verzahnen. Ihre Augen waren geweitet vor Schreck, die Atmung beschleunigte sich. Abermals horchte sie tief in sich hinen und vernahm nur Stille. Hatte Er das Zeitfenster genutzt, in dem sie bewusstlos gewesen war? Dann hatte sie ein gewaltiges Problem.
      Sofort brach außerhalb des Transporters ein Stimmengewirr aus, aber Sylea konnte Marcus sofort aus ihnen heraushören. Kurz darauf wackelte der Transporter, als besagter Hunter mit gezogener Pistole zu ihr in den Laderaum stieg. Es hatte keinen Sinn, sich zu bewegen, weshalb die junge Rubra einfach dort sitzen blieb, wo sie war.
      "Was hast du getan, du kleines Miststück? Dann wollen wir mal sehen, ob die Theorie stimmt..."
      Sylea spürte die Mündung der Waffe eiskalt auf ihrer brennenden Stirn. Marcus presste den Lauf der Waffe so hart gegen sie, dass ihr Kopf bis an die Rückwand gedrückt wurde. Doch statt Angst stand dieses Mal nur eine Emotion in ihren lodernden Augen: Hass.
      "Probier's aus", forderte sie ihn heraus, keiner von beiden brach den Blickkontakt. "Als ich eben bewusstlos geworden bin, ist das mit deinem Kollegen passiert. Willst du's selbst erfahren?"
      Marcus schnaufte, Sylea atmete kaum. Ihre Karte, dass sie harmlos war, hatte sie verspielt. Das Makabere an der Situation war, dass sie keine leere Drohung aussprach. Sollte er sie hier und jetzt töten, würde der kanalisierte Hass vermutlich ausreichen, um den gesamten Konvoi in ein Massengrab zu verwandeln. Sollte Marcus auch nur halb so schlau sein wie sein Ruf nach Effizienz war, dann würde er jetzt einen Rückzieher machen und neu überlegen, wie sie weiter verfahren.
      Diese Erkenntnis erlangte der Hunter satte sechs Schnaufer später. Er klickte mit der Zunge, als er die Waffe senkte und einen nachdenklichen Blick nach draußen warf. Sylea atmete ausgiebig aus, in der falschen Annahme, dass es vorbei war. Sie war 10 Jahre weggesperrt worden, hatte nie die grausame Welt der Erwachsenen kennengelernt. Dies rächte sich jetzt. Da sie ihn ohne sein Schwert vor sich hatte stehen sehen, war sie unterbewusst davon ausgegangen, dass schon nicht passieren würde.
      Dass Marcus Sylea dann ohne Vorwarnung eine Kugel durch den Fuß jagte und damit dann auch dem Wagen ein neues Loch verpasste, hatte sie nicht einkalkuliert.
      "Das. Für Gerrit." Worte des Hunters, die das erste Mal einen Hauch von Bestürzung verlauten ließ.
      Daraufhin fiel ein wutentbrannter Aufschrei von Sylea. Mit allem was sie hatte hechtete sie nach vorne, die gefesselten Hände ausgestreckt als wolle sie eigens damit versuchen, den um längen kräftigeren Marcus zu erwürgen. Dieser wich ihr ohne Probleme aus, hüpfte aus dem Wagen und schlug die Tür hinter sich zu. Dann hörte ein Schloss, das vorerst verriegelt wurde.
      "Nein, nein, nein, nein, NEIN!", brüllte sie weiter, selbst unsicher darüber, ob es an seinem Verschwinden lag oder die Angst überwog, der Hass würde schlafende Monster wecken können. Sie sackte auf dem Boden des Transporters zusammen, ignorierte den Fuß, der mit jedem Pulsschlag Schmerz und Adrenalin durch ihre Adern jagte.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Der Boden unter seinen Füßen wankte bedrohlich, während er mit getrübtem Blick zusah, wie Marcus wütend in den Laderaum stieg. Er durfte auf keinen Fall abdrücken. Aber Cain brachte nicht ein Wort heraus. Galle stieg seinen Hals hinauf und er schluckte mit Mühe die Übelkeit herunter. Mit jeder Sekunde drückte sich der faulige Gestank mehr und mehr in seine Atemwege. Der Hunter würde sie alle noch umbringen, wenn er seinen Zorn nicht in den Griff bekam. Der Verlust eines Mitstreiters war immer ein herber Schlag, aber sie konnten es sich nicht leisten die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Obwohl Cain der düstere Gedanke schüttelte, dass sie schon längst nicht mehr Herr der Lage waren. Ein Schuss erklang dumpf aus dem Laderaum des Fahrzeuges, während die Kugel mit der Wucht glatt den Boden durchschlug.
      In diesem Augenblick setzte sich auch Cain in Bewegung und stolperte über die Straße zu einem der geparkten Fahrzeuge. Mit einem ekelhaften, erstickten Geräusch beugte er sich nach vorn entleerte seinen gesamten Mageninhalt in das frische Gras am Straßen rand. Mühevoll stützte er sich an der Motorhaube ab. Die Hand war so schweißnass, dass sie beinahe von dem glatten Lack abrutschte.
      Es war nicht die Tatsache, dass Marcus geschossen hatte, sondern die immer weiter ansteigende, knisternde Energie in der Luft, die seinen Magen auf links drehte. Eine Tür wurde lautstark zu geworfen und alles, was er deutlich hörte, war da Flehen von Sylea in seinen Ohren. Überdeutlich nahm er ihre Stimme war, dass er kaum bemerkte wie Marcus wutschnaubend auf ihn zukam.
      Der Hunter packte ihn, mittlerweile war er so bleich wie eine kahle Wand, und riss ihn herum. Mit einem dumpfen Aufprall schlug Marcus den Seeker mit dem Rücken auf die Motorhaube.
      "Was war das!?" Drohend lehnte sich Marcus über den noch immer hustenden und würgenden Cain, der aus Reflex nach den Armen griff deren Hände ihn schmerzhaft an den Schultern packten. "Wie konntest du nicht merken, dass sie ausrastet!? Was war mit den verdammten Fesseln los? Die Siegel hätten das verhindern müssen!" Er hob ihn leicht an, nur um ihn erneut ruckartig gegen das Fahrzeug zu pressen. Die spärliche Luft wurde aus Cains Lungen gedrückt.
      "Marcus..." Murmelte jemand hinter dem Hunter und der Ton schien auszureichen, dass er von dem jungen Mann abließ. "Scheiße, fuck..." Knurrte Marcus nur ungehalten und stampfte einige Meter davon. Cain hörte nicht, worüber gesprochen wurde, alles was er spürte, war die drängende Aura, die aus dem Transporter glitt und immer weiter um sich griff. Er fühlte Schmerz. So eine Macht hatte er noch nie verspürt.
      Eine Hand riss ihn auf die Füße, ehe ein für ihn fremder Hunter, ihm ein Funkgerät in die Hand drückte.
      "Du. Wieder rein in den Wagen. Behalt sie dieses Mal richtig im Auge. Keine Fehler mehr."
      Ohne klaren Verstand bugsierte man ihn gnadenlos in Richtung Transporter. Hätte er mehr als Magensäure im Körper, hätte er sich erneut übergeben. Sein Kopf ruckte zu Marcus, der ihn grimmig ansah.
      "Glaubst du wirklich, ich lasse noch einmal einen von meinen Leuten in ihre Nähe?" Cain presste die Zähne so verbissen aufeinander, dass seine Keifermuskeln schmerzten. "Mach deinen verdammten Job."
      Die Tür des Wagens wurde entriegelt, doch bevor die schreiende und verletzte, heraus stürzten konnte, wurde Cain ihr förmlich entgegen geschubst. Kurz prallte der Seeker gegen die zierliche, junge Frau. Die Tür knallte erneut ins Schloss, fest verschlossen.
      Cain schlug die Hand vor Mund und Nase und schob sich augenblicklich von Sylea weg, in die hinterste Ecke des Laderaumes umso viel Platz wie möglich zwischen sich und der Quelle der vernichtenden Aura zu bringen. Es war keine Angst in seinen Augen. Unter den stockenden Atemzügen hob sich sein Brustkorb nur schwerfällig.
      "Du musst dich beruhigen." Presste er hervor, gedämpft duch seine Hand. "Gib ihnen nicht die Genugtuung, dass sie recht haben. Das du wirklich bist, was sie sagen." Er klang atemlos. "Ein Monster." Schweißperlen bildeten sich auf seinen Schläfen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Die Tür des Laderaums wurde so schnell aufgeschlossen und hinter Cain wieder verriegelt, dass Sylea keinerlei Reaktionsspielraum hatte. Noch immer war sie auf dem Boden auf allen Vieren gewesen, als der Seeker praktisch in sie hinein geworfen wurde. Ihr entkam nur ein dumpfes "Umpf", da war sein Gewicht auf ihr schon wieder verschwunden. Nun hockte er in der letzten Ecke und nutzte so viel Platz wie nur irgendwie möglich zwischen ihnen aus. "Du musst dich beruhigen." Presste er hervor, gedämpft duch seine Hand. "Gib ihnen nicht die Genugtuung, dass sie recht haben. Das du wirklich bist, was sie sagen." Er klang atemlos. "Ein Monster." Schweißperlen bildeten sich auf seinen Schläfen.
      Sylea starrte ihn einige Sekunden lang mit geöffnetem Mund an. Der Ruck, der sich durch das Fahrzeug tat als es die Fahrt wieder aufnahm, schien auch die junge Rubra wieder in Fahrt zu bringen. Wankend kam sie auf die Beine und fühlte sich auf eine verquerte Art und Weise mächtig. Man hatte ihr keinen Hunter mehr als Aufpasser hingesetzt, zu groß die Angst, dass ihm das gleiche Schicksal widerfahren mochte. Stattdessen opferten sie ihren Seeker, der zwar deeskalierend wirken wollte, allerdings nur das Gegenteil damit bezweckte.
      "Du!", schrie sie ihn an, um ihren Fuß hatte sich bereits ein blutroter Spiegel gebildet, "du bist schuld an dieser ganzen Misere! Du hättest gehen können. Keiner von den Idioten hätte mich ohne dich finden können. Aber du..." Felsenfest stand sie an Ort und Stelle, nur der Wagen wog sie manchmal von der einen Seite zur anderen.
      Der Zorn schlug immer noch Wellen in ihre. Was auch immer sie da gerade machte, dem Seeker schien es nicht wirklich zu gefallen. Angst hatte sie noch in keinem Augenpaar hier gesehen, aber offensichtlich ging es ihm wirklich nicht gut.
      "Es geht hier nicht um Genugtuung", fauchte sie weiter, ein Schlagloch bugsierte sie in die andere Ecke des Transporters, "in mir ist ein Monster. Das macht mich zu einem. Ich habe meinen Status als Mensch verloren, mein Clan hat mich verstoßen. Und warum? Weil ich damals nicht gestorben bin! Hätte ich einfach wie alle anderen meinen Zweck erfüllt und wäre krepiert mit dem Ding, dann gäbe es hier gar kein Problem!" Ihre Stimme baute immer mehr an Kraft auf, bis sie am Ende beinahe wieder schrie. "Keiner von euch versteht es, immer wieder zu sterben und einfach immer wieder aufzustehen!"
      Syleas Atem ging stoßweise. Dieser Ausbruch reichte, damit sich ihre initial angestaute Wut vorerst entlud. Keuchend stand sie in der Ecke, die Arme durch die Fesseln gen Boden gerichtet. Ihr Fuß rutschte in ihrem eigenen Blut immer wieder weg, sodass sie ihn neu positionieren musste. "Und jetzt stell dir vor, dir wird eine unbekannte Seele eingepfercht und du bist dafür zuständig, sie im Zaum zu halten. Ich weiß doch selbst nicht mal, wie Er tötet."
      Die weiteren Worte waren deutlich ruhiger formuliert, obzwar da immer noch dieser Hauch an Zorn mitschwang, jedes Mal, wenn sie Cain ansah. Ächzend ließ sie sich auf der Bank fallen und streckte das verletzte Bein von sich. Marcus hatte immerhin den Fuß angeschossen, wo er das Bein schon verletzt hatte. Sie schaute grimmig, als sie begann, umständlich den Stoffverband an ihrer Wade abzuwickeln. Demonstrativ hielt sie Cain das Bein hin. Die Eintrittstelle vom Schwert hatte sich bereits soweit geschlossen, dass sie vorerst nicht wieder anfangen würde zu bluten. "Ist das in deinen Augen etwa normal?"

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • In einem wichtigen Punkt lag sie falsch. Cain spürte so einiges. So drang durch den zähen Nebel aus Finsternis und Fäulnis etwas anderes zu ihm durch. Ihre reine und ungefilterte Wut. Und es fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Es hatte jahrelanges Training erfordert, sich von den Emotionen anderer abzuschotten. Es war so leicht sich in ihnen zu vertricken. Gefühl waren nie simpel, sie liefen nicht linear in eine Richtung sondern verstrickten sich stets in einem undurchsichtigen Gewirr. Und es war viel zu leicht sich darin zu verstricken. Bis zum dem Punkt, an dem man nicht mehr zwischen dem eigenen Selbst und dem Wesen anderer trennen konnte. Obwohl es ihm schwer fiel, atmete Cain tief durch und richtete sich im Sitzen ein wenig auf. Er durfte sich von ihrer Wut nicht mitreißen lassen sondern musste ruhig bleiben.
      "Du irrst. Ich konnte dich nicht einfach gehen lassen." Murmelte er leise, fast nicht hörbar. Wenn er seine Befehle nicht ausführte, war seine Schwester in Gefahr. Sie war die einzige Person in seinem Leben, die ihm noch wichtig war. Was mit ihm passierte, spielte keine Rolle. Solange Cordelia in Sicherheit sein würde. Sie musste leben, dafür würde er sorgen.
      Mit unsicheren Fingern wischte er sich die von Schweiß feuchten Strähnen aus seiner Stirn, wobei er Sylea nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Um das Gefühl der Atemlosigkeit zu lindern, öffnete er den Kragen seiner schwarzen Jacke. Mit den Fingerspitzen rieb er in einer unbewussten Geste über die Einstiche in seinem Hals. Es juckte unter der Haut. Weitgehend schwieg der Seeker und ließ die Schimpftirade über sich ergehen. Er verstand das Bedürfnis der Wut und der Verzweiflung Luft machen zu müssen. Sylea musste jünger sein als er, ein paar Jahre sogar und trug dennoch eine schlimmere Last als er. Cain hatte nie behauptet herzlos zu sein, er durfte Einzelschicksale nur nicht zu anh an sich heran lassen. Das Mädchen vor ihm war nicht die erste Vessel, die um ihre Leben gefleht hatte. Oder die ihn angesehen hatte, mit Vorwürfen und dem Gefühl von Verrat in den Augen. Aber Cain war ebenso kein guter Mensch. Andere zu Opfern für seine eigene Schwester war sicherlich egoistisch und von Eigennutz geprägt.
      Mit jedem Wort das sie ihm förmlich entgegenschrie, verrauchte die Wut ein wenig mehr. Und so sah er mit Erstaunen in den gelblichen Augen, dass die Wunde an ihrem Bein sich fast gänzlich geschlossen hatte. Völlig von selbst lehnte er sich vor, nur ein paar Zentimeter. Er war immer noch gefühlte Meilen von ihr entfernt.
      "Nein..." Schüttelte er schließlich den Kopf. "Normal ist das nicht. Aber was ist schon normal in dieser Welt." Er ließ den Kopf mit einem dumpfen Geräusch an die Wand fallen. Er wirkte immernoch leichenblass.
      "Und nein, du bist kein Monster. Das, Er, was immer in dir steckt, ist das wahre Monster. Du hast den Hunter nicht getötet." Cain schloss erschöpft die Augen. Er war fertig. "Genaugenommen warst du nicht mal bei Bewusstsein, als das passiert ist. Deine Wut und deine Angst sind nicht die Ursache dafür. Sie sind nur der Katalysator den dieses Ding braucht, um anzugreifen. Ich weiß nicht, ob dir das jemals irgendjemand gesagt hat, aber das ist nicht deine Schuld." Es war auch nicht die Schuld seiner Schwester, als ganze Familien den Falmmentod fanden.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Beide Parteien hatte sich seit ihrem unfreiwilligen Zusammenschluss keinen Moment mehr aus den Augen gelassen. Es wunderte Sylea ein bisschen, dass der Seeker anscheinend um jedes bisschen Atemluft verhandeln musste und durch das Öffnen seines Kragens jetzt nur noch an seinem Hals herumrieb. Von der Droge hatte man ihr selbstverständlich nicht erzählt. Je mehr sie über die Arbeitsweise des Rates erfuhr, umso eher konnte sie sich dagegen wappnen.
      Was ihr allerdings nicht entging, war die Veränderung in der Modulation seiner Stimme, kaum hatte sie ihre Tirade beendet. Zwar verstand sie jedes Wort, das er sagte, aber eine große Bedeutung schenkte sie ihnen nicht. Nicht, wenn sie aus seinem Mund kamen. Sie runzelte dennoch die Stirn. So wie Cain nun dort saß, die Augen geschlossen, schien ihm das Atmen wenigstens etwas leichter zu fallen. Solange sie hier eingepfercht war, konnte sie ihn auch als Versuchsobjekt missbrauchen.
      Sylea atmete sieben Mal in bestimmten Intervallen tief ein und wieder aus. Eine Art Meditation, die die Rubras durchführten, wenn sie sich konzentrieren mussten. Nur ein ausgeglichener Geist konnte sich mit einem anderen messen. So schob sie alles Emotionen, die sie gerade vorfand, in die hinterste Ecke einer Schublade tief in ihrem Selbst und schob sie zu. Als sie dann die Augen öffnete, herrschte Gleichgültigkeit in ihrem Geist. Zumindest vorerst.
      Tatsächlich sah man den Effekt auf den Seeker umgehend. Als hätte man ihn unter einer tonnenschweren Last befreit, atmete er selbst tief durch. Dies notierte sie sich umgehend gedanklich. So kaschierte man die Aura vollständig.
      "Nicht ganz", korrigierte die junge Rubra Cain in seiner Annahme, was der Katalysator gewesen sein mochte, "Er schläft. Ich glaube, es ist egal, welche Emotion es am Ende ist solange sie stark genug ist. Das könnte ihn wecken. Sicher weiß ich es nicht. Seit etwa 3 Jahren habe ich die vollständige Kontrolle zurück. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Das heute war das erste Mal."
      Natürlich hatte sie ihre Wächter am Bannkreis mit den gleichen Informationen versorgt. Natürlich schenkte niemand ihr Glauben. Wieso sollten sie auch, man konnte nie wirklich sicher sagen, mit wem man jetzt im Körper des Mädchens gesprochen hatte.

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die Tatsache, dass Sylea ihn zu ihrer persönlichen Laborrate machte, kam ihm keine Sekunde lang in den Sinn.
      Dafür war er zu sehr damit beschäftigt, sich in einer aufrechten Position zu halten. Erleichterung durchflutete seinen Geist, als sie die drückende Aura und der chaotische Wirbel aus Emotionen sich zurück zog und schließlich völlig verrauchte. Kurz glaubte er nicht an einen Zufall für diesen zweifelhaften aber erholsamen Zustand, aber es auch nicht wichtig. Jedenfalls nicht im Augenblick. Saubere, klare Luft strömte gefühlt seit Ewigkeiten endlich wieder in seine geqälten Lungen. Das Gewicht auf ihm würde leichter und er fühlte seinen Körper endlich wieder wie einen Teil von sich selbst.
      Die plötzliche Audruckslosigkeit in ihrem Blick verwirrte ihn. Anscheinend hatte sie ihre Emotionen und ihren Geist besser unter Kontrolle, als er zuerst vermutet hatte. Der Wechsel geschah so schlagartig, dass sich Misstrauen in ihm regte. Davon ließ er aber nichts nach Außen dringen sondern behielt nun wieder seinen prüfenden Augen auf ihr, nachdem er sich gezwungen hatte, diese wieder zu öffnen. Das erste Mal kam ihm der zweifelhafte Gedanke, mit wem er eigentlich sprach. Aber konnte nichts spüren, rein gar nichts. Und für den Augenblick war ihm dieser Umstand genug. Er brauchte dringend Schlaf.
      Das Funkgerät in seiner Hand gab ein störenden und unerwartetes Rauschen von sich.
      "Hey, Desraeli. Lebst du noch?" Knurrend verdrehte Cain die Augen, als er die Stimme von Marcus laut und deutlich durch das Funkgerät hörte. Es war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, dass der Seeker nicht sein größter Fan war. Er drückte den Knopf um den Kanal zu öffnen.
      "Leider muss ich dich enttäuschen, ich habe noch nicht versucht mir das Gehirn wegzupusten. Du wirst mich also noch eine Weile ertragen müssen." Darauf kam keine Antwort mehr, nur monotones Rauschen.
      Mit einem Seufzen streckte der Seeker die langen Beine aus und ließ die Hände samt Funkgerät in seinen Schoß fallen.
      "Hast du eine Vermutung, warum Es oder Er, wie du sagst, so lange inaktiv war?" Cain wirkte ehrlich interessiert daran, auch wenn er sein Zweifel an der Geschichte hatte, aber wenn sie schon unfreiwillig zusammnen in diesem Laderaum eingepfercht waren, konnte er die Zeit auch nutzen. "Ich habe noch nie gehört, dass es einer Vessel gelungen ist, so lange das fremde Bewusstsein zu unterdrücken. Meine..." Cain stockte und sprach nicht weiter. Er musste aufpassen und nicht zu leichtsinnig sein. Persönliche Informationen konnten leicht missbraucht werden.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Das Rauschen des Funkgeräts war das erste neue Geräusch, das unangenehm laut im Transporter ertönte. Syleas Blick fiel direkt auf das Gerät, das sie zuvor noch gar nicht bemerkt hatte. Es war also schon so weit gekommen, dass man auf Tonübertragung zurückgreifen musste.
      Anschließend beobachtete sie Cain dabei, wie er sich etwas mehr Raum für seine Beine gönnte. Die erste Reaktion dieser Art, seitdem man ihn hier mit ihr eingeschlossen hatte. Auf der einen Seite hatte sie aufrichtiges Interesse daran, einen Außenstehenden nach mehr Informationen zu befragen. Wie das Leben außerhalb war, seine Ziele, Schwierigkeiten... Jedoch zügelte sie harsch diese Gedanken. Er war noch immer ein Fremder, der ihr diese Lage eingebrockt hatte. Ein bisschen Sympathie für jemanden zu hegen, der einen nicht gänzlich wie ein Objekt behandelte, war durchaus nachvollziehbar. Allerdings war ihre Zeit hier nur eine sehrz kurze auf Zeit - erst recht wenn man bedachte, wie lange Sylea noch leben mochte. Es würde ihr nicht viel bringen, einen Bindung mit jemanden aufzubauen, den sie eigentlich eh nicht mochte.
      Unterdessen hatte die junge Rubra damit begonnen, ihren angeschossenen Fuß zu untersuchen. Sie hatte ihn aus den klebrigen Stofffetzen befreit und die Beine so überschlagen, dass der verletzte Fuß seitlich gelagert besser von ihr untersucht werden konnte. Es handelte sich um einen sauberen Durchschuss, was auf dieser Distanz auch absehbar gewesen war. Trotzdem zuckte ihr Augenlid, als sie mit kalten Fingerspitzen die Haut um das Loch befingerte.
      "Hast du eine Vermutung, warum Es oder Er, wie du sagst, so lange inaktiv war? Ich habe noch nie gehört, dass es einer Vessel gelungen ist, so lange das fremde Bewusstsein zu unterdrücken. Meine... " Der Seeker unterbrach sich in seinen eigenen Worten, doch der Schaden war bereits angerichtet.

      Grünbraune Seelenfenster hatten sich bereits auf Cain gerichtet. "Mutter? Cousine? Schwester? Tochter?", fragte sie nach und zählte mehrere Optionen auf, um zu verdeutlichen, dass sie bereits annahm, er sprach von einem Angehörigen. "Eine Unterdrückung über Jahre kenne ich auch nicht. Coexistieren ja."
      Warum genau sie das Etwas in sich tatsächlich unter Kontrolle bekommen mochte, wusste sie nicht. Was sich über Jahre in ihrem vermischten Bewusstsein abgespielt hatte, waren für sie später nur vielleicht Stunden. Am ehesten würde sie es damit vergleichen als würde man versuchen, dickflüssiges Öl von seinem Körper nur mit Wasser abzuwaschen. Irgendwann hatte sie einfach keine Spuren des Öles mehr gespürt, aber es hatte sich bereits in ihre Poren gesetzt.
      "Das heißt, du hast jemand in deiner Familie, der ebenfalls beseelt worden ist und nicht coexistieren kann?"

      copyright by Vertify


      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Für diesen beiläufigen, aber für ihn schwerwiegenden Fehler, hätte er sich am liebsten selbst aus dem fahrenden Transporter geworfen, wäre dieser nicht von Außen verriegelt. Cain war niemand, der willentlich mit seiner Lebensgeschichte um sich warf. Es war auch keines sonderlich schöne Geschichte. Seufzen fasste er sich mit zwei Fingern an den Nasenrücken und wirkte wieder äußerst angespannt. Dieses Mal aber eher weniger wegen Sylea. Er ärgerte sich stark über die eigene Inkompetenz. Der Seeker sollte nicht darüber sprechen. Das sollte er wirklich nicht.
      Durch zusammen gekniffende Augen blickte Cain zu der jungen Frau herüber und senkte die Hand zurück in seinen Schoß, ehe er in einer gewohnten Geste über das Holster an seinem Bein fuhr. Sobald er zurück war, musste er seinen Vorrat aufstocken. Es war nicht mehr viel übrig und er war nicht sehr erpicht darauf, dass ihm das Teufelszeug ausging. Ohne die regelmäßigen Injektionen mit sehr gerringen Mengen, würde Cain wie ein Kartenhaus in sich zusammen fallen. Er hatte schon Fälle gesehen. Ein wirklich grauenhafter Anblick, wie die betroffenen Seeker sich vor Schmerzen gewunden hatten, von Schweiß durchnässt. Das Betteln und Flehen in ihren Stimmen war kaum zu ertragen gewesen. Zwar war es verpöhnt, aber der Entzug wurde auch durchaus von Zeit zu Zeit als Strafe angewandt. Und das wollte niemand riskieren. Das Dumm an der ganzen Sache war nur, dass er mit jeder Zufuhr immer mehr brauchte, um noch normal zu funktionieren.
      Er war müde und sein Schädel brummte, als hätte sich ein Schwarm Hornissen darin eingenistet.
      "Ich habe das dumme Gefühl, ich sollte dir das nicht erzählen." Seine Tage waren gezählt, er würde wahrscheinlich nie wieder ein normales Leben führen können, er musste nur so lange durchhalten, bis seine Schwester geheilt oder eher befreit war. Alles andere spielte keine Rolle.
      "Meine kleine Schwester." Dabei sah er nachdenklich an die Decke des Transporters, wo die eingebaute Neonröhre bei jedem zu harten Schlagloch flackerte.
      "Sie müsste jetzt ungefähr so alt sein wie du. Vielleicht ein wenig jünger. Sie ist...am Leben. Noch. Man versucht ihr zu helfen."
      Noch während er die Worte aussprach, wusste Cain, wie naiv er klang. Was ihn noch mehr ärgerte. Er wusste doch nicht einmal wo sie war und das sie Cordelia gezielt dazu verwendeten, ihn unter Kontrolle zu behalten. Als wenn er irgendeine andere Wahl hätte.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”