Vessels [Asuna & Winterhauch]

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    • Wenn man eine bildliche Vorstellung davon brauchte wie es aussah, wenn jemand bis auf die Grundfeste seiner Selbst erschüttert wurde, dann musste man nun nur Sylea anschauen. Sie hatte sämliche Fassung verloren und weinte hemmungslos die Tränen, die sie über Jahre angesammelt hatte. Ihr bislang sorgsam aufgebautes Kontrukt aus selbsterzählten Lügen und aufgezwungenen Wünschen brach ins sich zusammen und riss alles um sich herum mit sich. Diese Reaktion war so stark, dass selbst Anifuris sich davor nicht vollends verschließen konnte und den Blick abwenden musste. Er gewährte ihr in diesem Moment die Einsamkeit in ihrem Geist, den sie seit 10 Jahren vermisste.
      Zunächst realisierte Sylea gar nicht, dass Cain seinen Arm um sie gelegt hatte. Ihr ganzer Körper bebte unkontrolliert als wollte jede einzelne Muskelzelle ihren eigenen Willen durchsetzen. Irgendwann dämmerte es ihr, dass sie noch nicht ganz geerdet war. Erst als sie spürte, wie Cains Körperwärme durch ihre Shirts drang und sie daran erinnerte, dass sie beide noch lebendig waren, kam sie vollends in der Realität an.
      Sie machte sich keine Gedanken darum, was sie nun tat. All ihre Gedanken kreisten um den Fakt, dass sie laut Naturgesetz das Recht verwirkt hatte, hier auf Erden zu wandeln. Dass eine fremde Seele sie zuerst getötet und anschließend wiederbelebt hatte. Dass sie nie das Leben führen würden, was sie sich gewünscht hatte.
      Syleas Körpergedächtnis ließ ihren schmächtigen Rumpf unter der Berührung zusammenfahren. Er erinnerte sich schmerzlich daran, was vor Jahren geschehen war, als man sie so angefasst hatte. Erinnerungen, zu verstörend für ein Kind, durchliefen ihren Körper und schrien ihn an, zu fliehen. So weit es geht zu weichen, um dem Terror zu entgehen.
      Doch Syleas Psyche siegte über ihren Körper. Es war das erste Mal, dass jemand ihr Trost spendete, sie in den Arm nahm. Das tat, wonach sie sich schon immer gesehnt hatte. Es war ihr egal, ob es nur aus Mitleid war. Egal, dass das alles ein perfider Plan sein konnte nur um sie später endgültig über die Klippe zu treiben. Da streckte sie die Arme aus und schlang sie um den Brustkorb des Mannes, den sie nicht mal eine Woche kannte und der darüber entscheiden sollte, wie es mit ihr weiterging. Es fühlte sich für sie so unwirklich an, einen anderen warmen Körper zu berühren. Der sich mit jedem Atemzug unter ihr bewegte. Sie hatte ihr Gesicht in seiner Schulter vergraben damit kein Licht an ihre Augen drang. Sie wollte nur die Wärme spüren, den Herzschlag eines anderen Menschen. Der Beweis des Lebens.

      Es hatte beinahe fünfzehn Minuten gedauert bis sich Sylea beruhigt hatte. Als sie es wieder ertragen konnte loszulassen, tat sie es umgehend und robbte ein wenig nach hinten, weg von Cain. Nach ihrer Panikattacke gewann das Körpergedächtnis die Oberhand und zwang sie dazu, sich aus der Umarmung zu lösen. Es war eine Mischung aus Erleichterung und Schmerz zugleich.
      Schwer atmend strich sie sich die Haare aus dem Gesicht, ihre Augen brannten wie Feuer. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie jemals so heftig geweint hatte. Noch immer war das zweite Bewusstsein in ihr in schier weiter Ferne abgerückt.
      "O...okay...Es geht wieder", sagte sie leise als Bestätigung mehr zu sich selbst. Sie hatte ihre Arme um sich geschlossen in dem traurigen Versuch, die Erinnerung an die Umarmung aufrecht zu erhalten. "Naja, immerhin bin ich wieder da."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • The silence between them was dark water. He could not cross it.
      He couldn’t walk the line between the decency she deserved and
      the violence this path demanded.
      If he tried, it might get them both killed.


      Beinahe hätte Cain den Arm von ihren zarten Schultern gelöst, die Anspannung unter seiner Hand nur all zu sehr spürbar. Die stille Frage in seinem Kopf erklang, ob Sylea jemals eine Umarmung erfahren hatte. Auf seine letzte Berührung hatte sie so heftig reagiert und auch jetzt musste der Seeker nicht lange auf eine ensprechende Reaktion warten. Allerdings war diese gänzlich anders als erwartet. Mit einem Schluchzen streckten sich ihm Arme entgegen, die sich fest um seinen Brustkorb schlangen. Der zierliche Körper des Mädchen sackte gänzlich gegen den eigenen und er hätte fast vergessen zu atmen.
      Aus Reflex hob Cain seine freie Hand und legte sie an den Hinterkopf Slyea's, als jene ihr Gesicht in seiner Schulter vergrub. Heiße Tränen sickerten durch den dünnen Stoff seines T-Shirts, bis die salzigen Tropfen in seine Haut sickerten. So musste es sich anfühlen, wenn das Herz brach. Wie hatte er jemals auch nur daran denken können, einen Pakt mit Anifuris zu schließen. Der Seeker verzog angewidert das Gesicht, ehe er seufzte und Sylea noch ein wenig näher an sich zog. Cain würde einen Weg finden, irgendwo zwischen dem Schwarz und Weiß, aus dem er eigentlich wählen musste.
      Der harte Bruch folgte, als das Beben ihrer Schultern verebbte und das Schluchzen an seiner Schulter verstummte. Ohne Zögern gab er Sylea frei und zog seine Arme und Hände von ihrem Körper zurück. Ohne Zweifel war alles gerade etwas zu viel und womöglich mehr als sie ertrug. Die Kälte der Zelle grub sich selbst doch das T-Shirt, als ihm die Wärme entrissen wurde. Leere Hände sanken kraftlos in seinen Schoß.
      "Ich hätte das nicht tun dürfen.", murmelte Cain in die nun befremdlich wirkende Kälte der Gefängniszelle, während er Sylea mit einem undefinierbaren Blick zwischen Reue und Ärger über sich selbst ansah. Mit dern Worten meinte er zu keinem Zeitpunkt sie in den Armen gehalten zu haben, sondern seinen überaus dämlichen Versuch Anifuris Hilfe zu gewinnen. Er sparte sich die Frage, ob es ihr gut ging.
      Sylea sah so verloren aus, das der Seeker sich zwingen musste einfach an Ort und Stelle sitzen zu bleiben.
      "Keine Lügen mehr ab jetzt. Ich verspreche es."
      Seufzend schlug beugte er etwas ungelenk die Beine in einen Schneidersitz, da ihm langsam die Knie auf dem harten Betonboden unbequem schmerzten. Sein linker Fuß war während der letzetn 15 Minuten eingeschlafen.
      "Soll ich gehen?", flüsterte er was und wartete eigentlich nur darauf, dass Sylea ihn aus der Zelle warf.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Syleas braungraue Augen schossen zu Cain als dieser fragte, ob er gehen sollte. Für sie ergab es keinen Sinn, warum sie ihn aus der Zelle werfen sollte. Allerdings... konntes es auch sein, dass er selbst am liebsten diesen Ort hinter sich lassen wollte und in weiser Voraussicht statt kann soll benutzt hatte.
      "Ah... ich... zwinge dich nicht, hier zu bleiben. Du kannst auch gehen, wenn du willst. Er schweigt zur Zeit." Sowohl der Ausdruck in ihrem Blick als auch ihre Stimme verrieten, dass Zweisamkeit mit der Stimme in ihrem Kopf das Letzte war, was sie nun gebrauchen konnte. Es grauste das Mädchen davor, die Frage nach dem Warum zu stellen. Aber genau das würde passieren, wenn sie keinerlei Ablenkung hatte und sich mit dem älteren Bewusstsein befassen musste.
      Wenn Anifuris diesen Ausgang längst wusste, warum hatte er ihren Geist nicht unlängst gebrochen? Was hielt ihn davon ab, völlig in seinem neuen Körper aufzugehen, kaum hatte er es aus dem Bannkreis geschafft? Ihr bisheriger Kontakt mit ihm bestätigte ihr, dass er mit ihr kein Mitleid hatte. Ob dieses Wesen überhaupt zu dieser Regung fähig war, war für sie ein Rätsel.
      Anstatt es dem Seeker gleich zu tun, zog Sylea ihre Knie zu sich, ließ von ihrem Oberkörper ab und umschlang nun ihre Beine. Sie machte sich instinktiv klein in der Hoffnung, es zöge an ihr vorrüber. So zerbrechlich ihre Körperhaltung auch wirken mochte, in ihren Augen zeichnete sich langsam etwas anderes als Schock und Trauer ab. Die Bitterkeit war in ihre Augen gekrochen.
      "Weißt du, du musst mit ihm keinen Handel abschließen", ihre Stimme war noch immer zerrüttet. "Ich bringe ihn dazu mir zu zeigen, wie es geht. Wie man Auren trennt. Wenn er ein Teil von mir ist, dann muss ich irgendwie Zugriff auf seine Fähigkeiten haben. Ich brauche nur Zeit zum Lernen."
      Sylea würde Anifuris dafür bluten lassen, dass er versäumt hatte, ihren Geist in Scherben zu zerschlagen. Wenn er es bis jetzt nicht getan hatte, dann würde sie jegliche Versuche dieser Art widerstehen. Das war der erste Schwur, den sich die Rubra selbst schwor.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Kopfschüttelnd blickte Cain zu der zerbrechlich wirkenden Vessel herüber, als wartete er nur darauf das die Haut Risse und Sprünge bekam, wie angeschlagenes Porzellan. Weder wollte er Sylea nach dieser bitteren Erkenntnis über ihr Leben allein lassen, noch hatte er das Bedürfnis seinen Vorgesetzten und Helyon nun gegenüber zutreten. Die kleine, dunkle Zelle stellte eine Art Zuflucht dar. So makaber dieser Gedanke in seinem Kopf auf klang.
      Der Seeker schloss die Augen verhielt sich für einen langen Augenblick ganz still. Die Minuten schienen wie Sandkörrner durch seine Sanduhr zu laufen. Cain öffnete die geistige Tür in seinem Kopf und tastete sich mit einer Aura, die er nicht sehen konnte, in den Raum. So sah er auch nicht wie sich seine Aura ausdehnte bis sie silberne Hülle der jungen Frau flüchtig streifte. Aber er spürte es, eine Bitterkeit und Frustration, die sich schwer auf seine Zunge legte während die Muskeln in seinem Brustkorb sich so stark zusammenzogen, als wollten sie die Luft aus einen Lungen drücken. Es war das erste Mal das er sich friedlich und ohne Hast gestattete, sich auf Auraebene direkt nach ihr auszustrecken. Einerseits wollte er ihren Gemütszustand überprüfen und andererseits sicherstellen, dass Anifruis sich im Augenblick tatsächlich zurückgezogen hatte.
      Prüfend öffnete er die Augen einen Spalt und blickte Sylea direkt an. Er ließ zu, dass sie goldene Aura seine Augen flutete. Die Iren glühten im fahlen Licht der Gefängniszelle. Es war leicht seine Sinne nach ihr zu strecken, auch über die paar Meter hinweg und gleichzeitig mit ihr zu sprechen, wenn er die nötige Ruhe dafür hatte.
      "Zeit ist genau der Faktor, den wir nicht haben.", sprach er mit ruhiger Stimme während seine Aura einen schwachen Puls abgab. "Dieser Helyon. Bei seiner Anwesenheit sträubt sich alles in mir. Wer auch immer er ist, er ist gefährlich und hat offensichtlich Informationen über meine Schwester. Oder er blufft. Es wurde nicht im einzelnen besprochen aber ich befürchte, wenn ich ihnen nichts Neues oder einen Schwachpunkt zu Anifuris liefern kann, wird der Rat mich hier abziehen. Und sie werden diesen Helyon auf die loslassen. Er schien sehr angetan Anifuris zu begegnen. Dass er Farina nahesteht beruhigt mich in der Sache auch nicht wirklich."
      Cain reckte das Kinn in ihre Richtung, die Augen nun gänzlich geöffnet. Doch der Ausdruck in ihnen schien ein wenig weggetreten, während seine Aura sich fließend im Raum bewegte. Vielleicht, wenn sie einen Ort finden konnten, an dem sie eine Weile untertauchen konnten. Ein sicheres Versteck unter dem Radar für Sylea wo sie er Training beginnen konnte und er konnte damit beginnen zu recherchieren um den Aufenthaltsort seiner Schwester ausfindig zu machen. Jocelyn würde sichherlich helfen, aber wusste nicht, ob er seine Freundin da mit hineinziehen wollte. Aber die Probleme türmten sich ebenso auf. Wie sollten sie aus Hollow Point entkommen? Und es blieb das lebensbedrohliche Problem bezüglich des Blind Eye. Wenn Cain sich vom Nachschub abschnitt, war es nur eine Frage von Tagen oder Wochen, je nachdem wie viel er stehlen konnte. Anifuris war augenblick seine einzige Chance das ganze zu überleben.
      "Ich fasse es nicht, dass ich das sage.", brummte er. "Aber wir müssen dich hier raus holen."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Sylea erschauderte just in dem Moment, als Cains Aura die ihre streifte. Der Kontakt war so flüchtig wie ein Windhauch, leicht und unbeschwert. Trotzdem war das hier etwas anderes. Seitdem sie Anifuris als einen Teil von sich anerkannt hatte, fühlte sie sich entblößter als zuvor. Der gedankliche Panzer, mit dem sie sich von dem anderen Bewusstsein abgeschirmt hatte, war zeitgleich ein Schutzwall um sie selbst gewesen. Sie konnte es zwar nicht sehen aber sie spürte, dass man ihren Silberstreif nun etwas besser greifen konnte.
      Sylea blinzelte lediglich während sie Cains Worten lauschte. Stillschweigend beobachtete sie, wie sich die Augen des jungen Mannes ihr gegenüber beim nächsten Augenaufschlag veränderten. Seine Augen brannten alte Feuer und verwehrten dem Vessel, den Blick abzuwenden.
      "Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist Anifuris an das Weiterbestehen dieses Körpers gebunden. Er wird also vermutlich alles dafür tun, dass man uns nicht verstümmelt. Einen abgerissenen Arm kann er, glaube ich, nicht einfach so regenerieren." Sie machte sich weniger Gedanken um diesen ominösen Helyon. Sofern er sie nicht in Stücke riss, sah sie wenig Gefahr in einem Namen, dessen Person sie nicht kannte.
      Noch immer lag ein Gefühl in der Luft, unsichtbar und nicht in Worte zu fassen. Die Schwere im Raum, akkumuliert durch die letzten Minuten, schien immer weiter zu weichen und etwas Neuem Platz zu machen. Später wusste Sylea, dass sie Cains Aura auf diese Weise wahrgenommen, wenn auch nicht gesehen hatte. Fast hätte sie gesagt, sie würde eine Süße auf ihrer Zunge schmecken, die gar nicht da war. Ihre geschundenen Nerven wurden von einer Ruhe überlagert, als würde Honig über sie rinnen.
      "Du hast echt schöne Augen, wenn du das machst", murmelte Sylea leise, leider gab es da kein Geräusch, was ihre Stimmte überdecken konnte. Allerdings schenkte sie ihren eigenen Worten nicht die Aufmerksamkeit, wie sie vielleicht es hätte tun sollen. Stattdessen starrte sie Cain immer noch seltsam verträumt an.
      Könntest du dich bitte nicht einlullen lassen?
      Da schreckte Sylea kurz zusammen und wachte aus ihrem Tagtraum auf.
      "Ich fasse es nicht, dass ich das sage.", brummte er. "Aber wir müssen dich hier raus holen."
      "Das klingt jetzt vielleicht etwas seltsam. Sag dem Rat, was ich dir vorhin erzählt hab. Dann sollten sie darauf achten, dass unserem Körper nicht viel passiert. Sie wissen nicht, dass ich mich schnell regeneriere. Wenn du mir dann also einen Arm brichst oder so, holt man mich vielleicht kurz raus?" Vielleicht eine bessere Alternative als der Versuch zu türmen, wenn sie zu den Waschräumen unterwegs war.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Der eigenen Aura so viel Spielraum zu lassen, fühlte sich seltsam befreiend an. Cain spührte eine überraschende Leichtigkeit dabei als wäre seine Aura ein physischer Teil seines Körpers, den er für Jahre unter schweren Ketten fest an sich gebunden hatte, ohne ihm jeglichen Freiraum zur Bewegung zu geben. Seine Aura glich einem verkümmerten Muskel, der viel zu selten genutzt wurde. Der Seeker, selbst wenn er bewusst die Tür in seinem Kopf geöffnet hatte, hatte seine Aura stehts gut sorgsam kontrolliert. Nun breitete sie sich frei und beinahe neugierig in der kargen Zelle aus.
      Cain spürte einen sanften Puls in seiner Aura, der nicht von seinem eigenen Bewusstsein ausging. Die einzige andere Quelle im Raum war Sylea. Der flüchtige Kontakt ihrer Auren schlug seichte Wellen, wie sie entstanden wenn ein kleiner Stein über eine stille Wasseroberfläche sprang. Der Seeker erschauderte imselben Augenblick wie die junge Rubra. Bei ihren Worten kräuselte sich ein vorsichtiges Lächeln auf seinen Lippen. Als schön hatte seine Augen bisher niemand bezeichnet. Unheimlich, befremdlich, verstörend...Er hatte sie alle schon tausende Male gehört. Cain öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, als ein Zucken durch den Körper der jungen Frau ging.
      Wie ein gespanntes Gummiband schnappte seine Aura mit aller Kraft zurück zu ihrem Besitzer, um sich wieder wie ein blassgoldener Schimmer um seinen Körper zu legen. Er wünschte er könnte es sehen, aber dazu fehlte ihm das Training. Cain blinzelte und versuchte das schwammige Gefühl in seinem Kopf loszuwerden, damit er ihren Worten folgen konnte.
      "Ich werde dir definitiv nicht den Arm brechen. Es muss einen anderen Weg geben." sagte Cain fassungslos und wunderte sich gleichzeitig über den rauchigen Ton seiner Stimme. Allerdings würde ein vorgetäuschter Schwächeanfall auch niemanden überzeugen. Man würde Sylea nur unter drastischen Bedingungen aus der Zelle holen und an die Oberfläche lassen. Der Gedanke Jocelyn um Hilfe zu bitten, kam ihm in den Sinn. Aber konnte er wirklich jemanden in diese Sache mit hineinziehen? Allerdings war dort noch eine ganz andere Sache, die ihm unter den Nägeln brannte.
      "Bist du gar nicht wütend auf mich? Wieso vertraust du mir noch?", sprach der Seeker ruhig und sah sie dabei direkt, die Augen in ihrem Normalzustand zurück versetzt. Er hatte ernsthaft in Betracht gezogen, sich mit Anifuris zu verbünden. Scheinbar war sein Geist schwächer als er gedacht hatte. Anifuris hatte ihm einen winzigen Körper angeboten und er hatte verzweifelt angebissen.
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      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Syleas nachdenklicher Gesichtsausdruck wich Erstaunen.
      "Ich war wütend auf dich weil du mich erst in diese Lage gebracht hast. Auf der anderen Seite hast du mir dein Wort gegeben, keine Lügen mehr zu erzählen. Du willst mir helfen, darüber sind wir uns einig. Dass du aber noch immer deine Schwester retten willst, kann dir doch keiner vorhalten." Diese Unterhaltung sorgte dafür, dass sie abgelenkt wurde. Langsam, aber stetig, lockerten sich ihre starren Glieder, die sie wie ein Käfig umgaben.
      Was hat er vorhin mit seiner Aura gemacht?
      Er hat sie expandiert. Ausgeweitet und auf die Suche geschickt. Als sie deine berührt hat, hast du darauf reagiert.
      Kann ich das auch?
      Natürlich. Mit meiner Hilfe siehst du sie auch im Gegensatz zu ihm.
      "Außerdem nehme ich es niemanden übel, wenn er auf die zuckersüßen Worte einer alten Seele reinfällt." Sylea lächelte etwas entschuldigend zu Cain. "Aber ich wüsste wirklich nicht, wieso man mich sonst hier rausholen sollte. Außer vielleicht, man lässt diesem... Helyon?... freie Hand. Ich weiß nicht, wer von beiden stärker ist. Aber ich würde fast wetten, dass Anifuris ihm zumindest ordentlichen Schaden zufügen könnte." Auf Kosten ihrer geistigen Gesundheit vermutlich.
      Dann blinzelte Sylea ein paar Mal verdächtig so, als hätte sie etwas im Auge. Sie löste ihre Haltung auf und hielt sich die eigene Hand vors Gesicht.
      "Oh. Hätte nicht gedacht, dass das meine Farbe ist." Leicht verdutzt ließ sie die Hand sinken und richtete ihren Blick wieder auf Cain. Dann zog sie ihre Augenbrauen zusammen, so als müsse sie sich extrem konzentrieren.
      Dank Anifuris sah sie das Silber ihrer eigenen Aura, ebenso wie das goldene Flimmern um den Seeker herum. Deswegen kam ihr also das Bild von Honig in den Sinn. Der Farbton war sehr ähnlich. Es fiel dem Vessel mittlerweile leichter, ein Gespräch zu führen und nebenbei der Stimme in ihrem Kopf zu lauschen. Diese erklärte ihr gerade Sachverhalte teilweise per Stimmte, manchmal aber auch mit Bildern. Es war seltsam. War sie Anifuris nur deswegen so negativ gegenüber eingestellt gewesen weil man es ihr so weißgemacht hatte?
      Plötzlich verlagerte sie ihr Gewicht nach vorne und befand sich auf allen Vieren. Sie näherte sich dem jungen Mann etwas an, setzte sich auf ihre Knie und streckte die rechte Hand aus.
      "Mach du das auch mal. Ich kann sie noch nicht so weit expandieren", sagte Sylea in einem Kontext, der ohne Anifuris Worte kaum Sinn ergab.
      Als Cain seine Hand ebenfalls langsam hob, vielleicht weil er zögerte aufgrund des unbekannten Ausgangs, ließ Sylea ihre nur ein paar Zentimeter vor seiner in der Luft schweben. Sie sah, wie sich Silber und Gold annäherten und schließlich berührten. Sie beide zuckten zurück, es fühlte sich seltsam intim an. Zumindest intimer als es sollte. Fasziniert musterte Sylea ihre Handinnenfläche.
      "Cool..."
      Der Austausch unter Auren ist zeitgleich wunderbar als auch gefährlich. Jemand wie ich könnte dir deine Aura mit Leichtigkeit entziehen, wenn du sie so ausstreckst. Ein Lebewesen ohne Aura stirbt. Deswegen sind jene Seelen, die Aurenmanipulation beherrschen so gefährlich.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Ein solches Verständnis für seine Situation hatte der Seeker wirklich nicht erwartet, aber die Erleichterung, die wie eine Welle über ihn kam, hatte etwas äußerst Tröstliches. Außer Jocelyn hörte sonst niemand zu und es tat gut, mit jemandem zu sprechen.
      Das Lächeln auf seinen Lippen wirkte dennoch ein wenig blass, als er sich in gewohnter Geste an die Einstiche an seinem Hals fasste.
      "Uns wird schon etwas einfallen und bis dahin habe ich hoffentlich das Problem gelöst, nicht bereits nach 48 Stunden im Entzug zu verrecken. Bedauerlicherweise muss ich zugeben, dass wir dafür vermutlich doch die Hilfe von Anifuris benötigen." Der Gedanke behagte ihm nicht, aber die Worte der Seele hatten durchaus Sinn gemacht. Und vielleicht hatten sie auf lange Sicht alle etwas von ihrer riskanten Unternehmung.
      Verwirrt blickte Cain auf, als Sylea scheinbar zusammenhanglos zu sprechen begann und begriff erst verzögert, dass sie mit den fremden Seele in ihrem Kopf sprach.
      Mit einer Mischung aus Neugierde und einer deutlichen Frage in den golden Augen beobachtete der Seeker, wie sich Sylea auf allen Vieren auf ihn zu bewegte. Was hatte sie vor. Direkt vor ihm stoppte die junge Frau und streckte ihm auffordernd die Handfläche entgegen. Erst ihre nächsten Worte ergaben wieder Sinn für ihn und er begriff.
      Behutsam hob er seine Hand an und spiegelte ihre Geste, in dem er die eigene Handfläche ihrer gegenüber hielt. Er konnte nicht sehen was passierte, aber er spürte wie ihre Aura zögerlich seine eigene streifte. Ein Zucken lief durch seinen Körper, ehe er scharf die Luft einsog. Die Berührung war ein wenig unbeholfener als zuvor und einen Hauch zu stark, dass er die Schwingung bis in seine Knochen spürte. Aber es hatte ebenso eine ungeahnt wärmende Wirkung auf ihn. Die Haut seiner Handfläche kribbelte unter der Annäherung.
      Mit einem Schmunzeln auf den Lippen sah er Sylea an und vergaß ihre brenzlige Lage für ein paar Sekunden, als er den Kopf schief legte und blind seine Aura ein paar Zentimeter ausdehnte und eine Erwiderung gegen ihre schickte. Als würde man seinen Gegenüber mit dem Finger anstupsen.
      "Was sagt er?", sprach Cain und schien ehrlich interessiert an dem inneren Gespräch der beiden. Er konnte an ihren Augen erkennen, dass sie sich unterhielten.
      “We all change, when you think about it.
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      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • "Mh, eigentlich nichts Neues?", antwortete Sylea mit fraglichem Unterton. Hin und wieder drifteten ihre Pupillen weg, so als würde sie kurz über etwas nachdenken. Ein deutliches Zeichen, dass sie sich mit Anifuris unterhielt. Abermals zuckte ihr Körper unter Einwirkung der fremden Aura.
      "Lebewesen ohne Auren sterben. Das wussten wir. Er zählt sich selbst anscheinend zu denen, die Auren manipulieren und scheinbar entziehen können. Das einen wiederum tötet. Also nichts, was wir uns nicht bereits dachten."
      Du verschweigst ihm einen anderen Punkt.
      Sylea runzelte die Stirn. "Und er scheint auf etwas anderes hinauszuwollen. Ich kann fühlen, dass er es uns erklären wollen würde aber sich davor sträubt, es zu zeigen. Warte mal. Seit wann sträubt er sich, die Kontrolle zu übernehmen und macht es nicht einfach?"
      Eine Mischung aus Irritation und Sorge überkam die junge Rubra. Das war so ziemlich der mit Abstand gefährlichste Moment für sie. Sie hatte es als selbstverständlich wahrgenommen, dass er einfach die Kontrolle forderte, wenn ihm danach war. Dieses Zögern, das seitens der alten Seele bestand, war neu.
      Ein paar Sekunden schwieg Sylea, die Irritation hatte sich nur verfestigt, als sie wieder das Wort hob: "Er sagt, wenn er sie gewaltsam zu sich reißt, hat es nicht dieselbe Wirkung. Mehr erklärt er nicht, er - Hey, komm zurück!" Sie rief Anifuris hinterher, der sich eigenmächtig von ihrem Geist abgekapselt hatte und scheinbar wirklich kein Wort mehr darüber verlieren wollte. "Scheint ein altes Verfahren zu sein...", murmelte Sylea gedankenverloren. Mit Anifuris' Verschwinden lösten sich auch ihre bunten Aurenfarben buchstäblich in Luft auf.
      Ein tiefes Seufzen kam von dem Vessel während sie sich einmal kurz das Gesicht rieb.
      "Ich bin hier unten ja etwas limitiert. Macht es Sinn hier zu überlegen, wie wir vorgehen oder meinst du, du hast draußen einen besseren Einfall?"
      Sie richtete ihren Blick wieder auf Cain und stellte fest, dass sie fast schon vergessen hatte, wie schlecht es um sie stand. Vielleicht sollte sie einfach mehr im Jetzt leben, solange es noch ging.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • "Vielleicht benötigt Anifuris eine gewisse Einwillung von seinem Gegenüber. Keine Ahnung, ob das Sinn macht."
      Beiläufig zuckte Cain mit den Schultern und seine Stirn legte sich nachdenklich in tiefe Falten. Ab diesem Punkt auch er nur noch spekulieren. Jedenfalls hatte Anifuris ihn bereits fühlen lassen, wie es war, wenn die eigene Aura durch eine fremde Macht manipuliert wurde. Und dem besagten Augenblick war er nicht gerade im Verteidigungsmodus gewesen. Er hatte sich Anifuris sogar freiwillig genähert.
      Aber dieser Gedanke brachte sie gerade nicht weiter. Der Seeker war sich nicht sicher, ob er im Ernstfall die junge Frau vor sich wirklich eine so schwere Verletzung zufügen konnte, dass ihren Bewachern keine andere Wahl blieb als sie auf die Krankenstation zu bringen. Helyon erschien ihm ebenfalls als schlechte Wahl. Wenn die beiden Entitäten aufeinander trafen, konnte niemand sagen, was am Ende noch von Sylea übrig blieb.
      "Es gibt da jemanden, der uns eventuell helfen kann, dich hier heraus zu bekommen. Aber ich weiß nicht, ob es wirklich fair ist, noch jemanden in dieses Chaos mit hineinzuziehen." Grübelnd legte er die Hände in den Schoß. Er würde sich etwas einfallen lassen müssen.
      Erst da fiel Cain auf, dass die junge Rubra ihn mit einem undeutbaren Blick ansah. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht während sie scheinbar angestrengt einen Gedanken verfolgte. Der Seeker stützte die Ellbogen auf seinen Knien ab und lehnte sich leicht nach vorn.
      "Stimmt etwas nicht? Sylea?", fragte Cain mit Neugierde aber auch Besorgnis in der Stimme. Der Tag war für beide bisher keine leichte Nummer gewesen. Es gab vielen worüber sie nachdenken musste und so viele neue Gefahren, die sie umschiffen mussten.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Zu Cains Nachteil konnte er keine Gedanken mitanhören. So bekam er auch nichts von der Auseinandersetzung mit, die sich Sylea gerade mit Anifuris lieferte. Erste Anzeichen waren die blauen Streifen, die sich verdächtig durch Syleas Silberstreif zu graben begannen. Die war dabei zu dissoziieren.
      "Er... findet unsere Grundidee... nicht schlecht", presste sie zwischen den Lippen hervor, die sich nur noch als schmale Linien in ihrem Gesicht abzeichneten. Ihr Blick war unfokussiert - offensichtlich waren gerade beide Bewusstseine präsent. Wenn auch nicht unbedingt freiwillig. Als sich ihr Blick schärfte, hatte Nachtblau ein großes Stück Silber geschluckt. Ihre Augen verengten sich minimal.
      "Aurenmanipulatoren benötigen keine Einwilligung um zu tun, was sie wollen."
      Die Worte waren hart, schnitten förmlich durch die Luft in der kleinen Zelle. Noch immer schlug das Silber Wellen, kämpfte sich durch das Nachtblaue Meer, nur um immer und immer wieder von Wellen in die Schranken gewiesen zu werden. Allerdings war ihr Streif um ihren Körper dicker als die letzten Male, als sie die Kontrolle verloren hatte.
      Die Atmosphäre in der Zelle schlug von einem Moment auf den andren um. Anifuris Aura strahlte dieselbe Bosheit aus wie beim ersten Mal im Transporter, als er den armen Hunter in den Wahnsinn getrieben hatte. Genau das lag nun auch in Syleas, oder eher Anifuris Augen. Kaum hatte sein Satz geendet langte er in Cains Richtung. Er wusste ganz genau, dass der Überraschungsmoment der Einzige war, in dem er dem Seeker nah genug kommen konnte. Er packte ihn an einem Handgelenk und riss daran. Da der Körper des Mädchens deutlich leichter war, zog er sich an den jungen Mann heran statt andersherum. Für den Bruchtteil einer Sekunde sah es so aus, als wollte er die Umarmung von vorhin wiederholen. Wäre da nicht die schiere Mordlust in seinen Augen gewesen. Er gab Cains Handgelenk frei und presste seine Hand auf die Brust seines Gegenübers.
      "Wir brauchen keine Zustimmung, um das zu tun", grollte er, ein Geräusch, das die zarte Kehle gar nicht hätte erzeugen dürfen.
      Anifuris war nun nah genug dran, er hatte den Körperkontakt, den er brauchte um seine volle Wirkung entfalten zu können. Sein Nachtblau schlug in windeseile auf das Berstein über, legte sich wie ein Schatten darüber und schien sich an sie zu heften. Als er seine Aura zurückholte, riss er fast Cains komplette Aura mit sich. Anifuris Blick bohrte sich in Cains Augen, und da blizte Sylea für einen Moment durch: Ohne Aura stirbst du! Tu was! Blanke Panik flimmerte in den braungrauen Augen auf, die sich der uralten Mordlust geschlagen geben musste.
      "Du wirst fahrlässig, kleiner Seeker", hauchte er beinahe verführerisch in Cains Gesicht.

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    • Beunruhigt beobachtete Cain die Veränderungen im Gesicht der jungen Rubra. Der Fluchtinstinkt seines Verstandes schrillte in einem ohrenbetäubenden Ton und doch bevor er reagieren konnte, durchschnitt die Stimme Syleas den Raum. Nur klang es gar nicht nach ihr, denn in den Worten schwang ein kalter Widerhall mit. Anifuris hatte sich aus seinen Ketten befreit und zurück an die Oberfläche gekämpft. Zu spät erkannte der Seeker die Gefahr, die sich gerade vor ihm manifestierte.
      Mit einem erstaunlichen kraftvollen Griff hatte das Wesen sein Handgelenk und riss daran. Wäre nicht die Hand auf seiner Brust gewesen, wäre der zierliche Körper direkt gegen ihn geprallt. Die Wucht brachte ihn aus dem Gleichgewicht und die Welt vor Cains Augen kippte. Hart schlug sein Rücken auf dem kalten Betonboden auf, ebenso wie ein Hinterkopf mit einem dumpfen Aufprall.
      Reflexartig griff Cain nach dem Handgelenk der Hand, die sich gegen das rasende Herz drückte. Wie ein Schraubstock umschlangen seine Finger das Handgelenk, während er mit glühenden, goldenen Augen in das verzerrte Gesicht ausah. Der Schock stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Und der Vorwurf in seinen Ohren war so wahr, dass er sich nicht dagegen wehren konnte. Er wurde nachlässig und vor allem leichtsinnig.
      Ein Ruck ging durch seinen Körper, als eine fremde Macht nach seiner Aura griff. Er konnte es nicht sehen aber spüren, als würde eine gewaltige Kraft an einem Teil von ihm reißen. Der Schmerz des Zuges war so stark, das für den Bruchteil einer Sekunde weiße Blitze vor seinen Augen zuckten. Ein Keuchen entfloh seiner Kehle und fast sah es so aus, als würde Cain sich seinem Schicksal ergeben. Er hatte mental nichts gegen Anifuris in der Hand. Zumindest nicht das er wüsste. Dafür war sein Wissen zu spärlich.
      Aber was er hatte war der Vorteil an körperlicher Kraft. Anifuris hatte den Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt, aber der Kraftunterschied ihrer Körper war dennoch auf seiner Seite. Syleas Gestalt war immer noch leichter und zierlicher als sein Eigene.
      Der flehende Blick, der kurzzeitig durch die braunen Augen zu ihm hinab blitzte, wirkte sie an Katalysator.
      Cain begann sich unter Anifuris zu regen, als der Überlebenswille einsetzte. Er musste sich befreien und Abstand gewinnen.
      "Sorry..." würgte er gequält hervor und riss das Knie nach oben, um es mit voller Wucht in Slyeas Magengrube zu rammen. Gleichzeitig mit der Bewegung hob er den Oberkörper vom Boden ab, um den schlanken Körper von seinem zu werfen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Ein Grinsen erschien auf Anifuris Lippen kurz bevor Cains Knie sich in seine Magengrube grub. Es war so flüchtig gewesen, dass es genauso gut eine optische Täuschung gewesen sein mochte. Er flog regelrecht von dem Seeker herunter und krümmte sich auf dem Boden. Ein trockenes Husten erfüllte den Raum, doch da schoss sein Kopf bereits wieder in die Höhe. Ruckartig zog er seine Beine unter seinen Torso und richtete sich in einer Hocke auf. Er kauerte fast schon wie ein Tier auf dem Sandsteinboden, die Hände als Stütze zu den Seiten auf dem Boden aufgestellt. Noch immer brannten seine Augen. Es war noch nicht genug.
      Im Inneren schrie Sylea Anifuris an, nicht das zu tun, was er nun vorhatte. Sie riss an ihrer gemeinsamen Kontrolle über den Körper, was in einem abstrusen und unwirklichen Zucken des zierlichen Körpes resultierte.
      "Denkst du, Abstand reicht?", blaffte er Cain an und streckte seine Aura wieder nach ihm aus.
      Dieses Mal suchte er nach einer bestimmten Farbe. Tief unter der Anspannung und dem Schock vergraben lag sie, die Farbe, so mächtig wie jene der Liebe: Angst.
      Anifuris isolierte Cains Angst, ließ sie wachsen, bis sie fast das komplette Gold seiner Aura vereinnahmte. Entgegen jeglicher Annahme konnte er keine bestimmten Bilder in dem Geist seiner Opfer erzeugen. Er verstärkte nur das, was lediglich schon da war. Als würde man etwas von klein auf vergiften. Folglich wusste Anifuris nicht, welche Horrorszenarien sich in dem Kopf des Seekers nun abspielen mochte. Ob es seine Schwester war, die auf grausamste Art dahingerafft wurde. Ob es etwas mit Sylea zu tun hatte. Ein Entzug vielleicht.
      Es war so stark, dass es einem die Luft abschnüren konnte. Die Farbe der Angst umgab Cain vollständig, das war es gewesen, was den Hunter im Wagen dazu getrieben hatte, sich selbst zu richten. Der Hunter war schwach, wie stand es um den Seeker?
      Die allmächtige Vorstellungskraft schien zumindest ihre Wirkung bei ihm nicht zu verfehlen. Seine Körperhaltung wurde schwammig, zeigte Lücken. Lücken, die Anifuris nutzte um den Abstand zwischen sich wieder zu überbrücken. Abermals stürzte er sich auf Cain mit allem, was der dürre Körper hergab. Wieder schlug der junge Mann mit dem Rücken auf dem Boden auf, dieses Mal saß Anifuris aber breitbeinig auf seiner Hüfte. Blitzschnell hatten sich seine kalten Finger um Cains Kehle geschlungen. In Anifuris Augen stand nun allerdings nur Leere - als würde er nicht denken.
      Sylea hielt ihn davon ab, seinen Griff zu verstärken. Ihre eigene Angst untergrub das Nachtblau, auch wenn sie wusste, warum Anifuris dies gerade tat. Sie konnte den Anblick nicht ertragen. Nicht heute, nicht er.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Der unsagbare Druck auf seinem Brustkorb ließ für einen kurzen Augenblick nach. Gierig schnappte Cain nach Atem und rollte sich auf die Seite, nur um sich mühevoll auf Hände und Knie aufzustemmen. Die ruckartige Bewegung sorgte dafür, dass Sterne vor seinen Augen tanzten während sein Kreislauf versuchte irgendwie mit plötzlichen Angriff zurechtzukommen.
      Grauenhaft und unwirklich muteten die Zuckungen an, die den zierlichen Körper fest im Griff hatten. Der Seeker konnte den Blick nicht von dem schrecklichen Bild abwenden, als würden zwei unsichtbare Parteien an den Gliedmaßen zerren. Wo Anifuris bei ihrem vorherigen Gespräch nur zivilisiert gewirkt hatte, blickte er jetzt direkt in die Augen einer gefährlichen Bestie. Cain kam nicht einmal dazu, seine eigene Nachlässigkeit zu bedauern. Wenn er hier und heute starb, hatte er es aufgrund seiner mangelnden Wahsamkeit sicherlich verdient. Aber so leicht würde er es Anifuris nicht machen.
      Cain war kaum auf die Knie gekommenund richtete den Oberkörper auf, da drangen die drohenden Worte an seine Ohren. Was dann geschah, würde er später nur schwerlich in geordnete Silben fassen können. Etwas Fremdes zerrte an seinem Inneren und für einen winzigen Moment glaubte der Seeker, das sein Schäde zu zerspringen drohte. Das Glühen in seinen Augen flackerte noch einmal protestierend auf, brannte geradezu und erlosch dann völlig.
      Eine Flut aus Bildern, vielleicht auch Erinnerungen, prasselte auf ihn nieder wie der eiskalte Regen eines Gewittersturms. Und sie zogen und zerrten an seinem Geist. Die Stimme von Cordelia ertönte mit einem spitzen, panischen Schrei in seinem Kopf, als würde sie Höllenqualen leiden. Tatsächlich sah er, als er den Kopf hob, wie ihr kindlicher Leib in Flammen stand und von der Hitze quälend verzehrt wurde. Sie schrie um Hilfe, doch als Cain die Hand ausstreckte, erkannte er schwere Eisenketten, die seinen Körper wie gelähmt am Boden hielten. Das Bitten und Betteln war fast zu viel für seinen Verstand. Doch etwas passte nicht. Es konnte nicht echt sein. Cordelia müsste wesentlich älter sein zu diesem Zeitpunkt. Cain blinzelte und gerade, als er den vertrauten Betonboden unter seinen Handflächen erkannte, stürtzte sich der zierliche Körper des Mädchen wieder auf ihn wie ein wildes Tier.
      Als Cains Kopf erneut auf dem Boden aufschlug, verschwamm wieder das Bild vor seinen Augen. Panik erfüllte seinen ganzen Körper, als er sich in einem leeren Raum wiederfand, die Wände klinisch weiß und steril, bis auf das leuchtende, rote Blut über dem weißen Fließenboden. Leere braungraue Augen starrten zu ihm auf. Slyea zerfetzt und in Stücke gerissen, um das Monster aus ihrem Körper zu locken.
      Du hast es mir versprochen... Totenbleiche Lippen bewegten sich abstrakt und verzogen sich zu einem abartigen Grinsen.
      Nein, er hätte das nie zugelassen. Das hier war nicht echt. Nicht die Wirklichkeit.
      Der Seeker schlug die Augen auf und blickte in das verzerrte Gesicht Syleas, die Augen leer und ausdruckslos. Fast glaubte er sich in einer neuen Horrorvorstellung zufinden, ehe sein Gehirn wieder zu arbeiten begann.
      Eine Hand lag in eindeutiger Weise um seine Hals und das federleichte Gewicht Syleas drückte auf seine Hüften.
      "Sylea..." krächzte er und war sich hundertprozentig sicher, dass die Seele des Mädchen, der einzige Grund war, warum noch nich tot war. Der Leib über ihm war regungslos und Cain begriff, dass das hier seine letzte Chance war. Sein ganzer Körper schmerzte und brannte. Zittrige Finger schoben sie zwischen ihre Körper und Mann am Boden berührte beinahe zärtlich ihre Wange.
      "Es ist nicht deine Schuld...", presste er zwischen den Zähnen hervor. "Und es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid." Cain nutzt die Starre des Mädchen und stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab. In einem Gewirr aus Armen und Beinen brachte Sylea zu Boden, ein Knie in ihren unten Rücken gedrückt und eine Hand zwischen ihren Schulterblättern. Es war zwar kein gebrochener Arm, er wusste aus eigener Erfahrung wie sehr eine ausgekugelte Schulter schmerzte und zur Not konnte er sie selbst wieder richten. Mit der freien hand griff er nach ihrem linken Arm.
      "Tut mir leid," murmelte er erneut mit Schweißperlen auf der Stirn. Er war leichenblass. Dann zog er ihren linken Arm mit einem kraftvollen Ruck zurück bis ein ekelerregendes Knirschen erklang und das Schultergelenk aus der Gelenkpfanne sprang.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Wie erwartet reagierte der Seeker unter Anifuris genau so, dass sich die Welt um sie beide drehte. Seine schiere Körperkraft hob den Körper des Mädchens verdächtig leicht von sich. Die Mischung aus Adrenalin, Angst und Reue verlieh ihm neue Kräfte, die die alte Seele im Körper der Rubra wie den Rauch eines wunderbaren Räucherstäbchens in sich aufsog. Er nahm dafür in Kauf, dass anschließend er mit dem Bauch auf dem Boden lag, ein Knie in seinem unteren Rücken und den linken Arm ausmanövriert.
      Cain konnte es zwar nicht sehen, aber Anifuris lächelte. Eine handgreifliche Auseinandersetzung hatte er seit Jahrhunderten nicht mehr gehabt. Zu schade, dass er nun in einem weichlichen Mädchenlaib steckte. Wobei... es gab ja noch so viele weitere Möglichkeiten, die das Schicksal ihm durch Zufall auf dem Silbertablett serviert hatte.
      In ihrem Geist stand Anifuris allein vor den Fenstern, die ihre geteilten Augen waren. Ein Stück hinter ihm stand Sylea, frei und ungebunden. Die Anspannung stand ihr ins Gesicht geschrieben während sie zuließ, dass das alte Bewusstsein vollkommene Handlungsfreiheit hatte. Allerdings verunsicherte sie Anifuris Blick, den er ihr über seine Schulter zuwarf, zutiefst.
      Das wird dir nicht gefallen. Tu mir den Gefallen und beiß dir auf die Zunge. Ich hasse das hohe Kreischen von Mädchen.
      Sekunden später verstand Sylea, was er damit meinte. Als Cain ihr die Schulter auskugelte, spürten beide Seelen im gleichen Körper den gleichen Schmerz. Anifuris schien kaum davon betroffen, das tiefe, schmerzerfüllte Stöhnen, das plötzlich die Stille in der Zelle auseinanderriss, stammte einzig und allein von Syleas Anteil an ihrem Körper. Anifuris, noch immer in Kontrolle, atemte schwer und stoßweise, als er den Kopf auf dem Boden drehte, damit er aus dem Augenwinkel einen Blick auf Cain erhaschen konnte. Seine Augen widersprachen den geplagten Atemstößen in abstruser Art und Weise. In diesem Augenblick konnte man beide Bewusstseine in einem einzigen Körper sehen.
      "Das reicht nicht", knurrte Anifuris in einer Mischung aus Hohn und Schmerz in der Stimme. Er spuckte nach seinen Worten aus - rosa gefärbter Speichel verteilte sich auf dem Boden. Als er zu grinsen begann und seine nicht fixierte rechte Hand zu seinem Gesicht zog, schwante allen nichts Gutes.
      Sylea war auf die Knie gesackt und hielt sich die Schulter, die in ihrem Geist völlig unberührt war. Ächzend hob sie den Blick, Anifuris strömte eine Aura aus, die sich nie kannte. Lediglich sachte Berührungen, tief in ihren Erinnerungen, sagten ihr, dass er etwas plante. Etwas anstellen würde, was bahnbrechend sein könnte.
      Mit zittriger Hand erreichte sein Zeigefinger seinen Mundwinkel. Wie befohlen hatte sich Sylea auf die Zunge gebissen, und das sogar in der Realität. Das Blut glitzerte auf seinen Fingerspitzen, dunkelrot wie ein unheilvoller Rubin. "Halbherzige Versuche werden dich nicht retten. Eigentlich auch egal", sagte er, blind zog er mit seinem Finger eine Linie auf seiner Wange. Seine Augen waren geweitet, ob eine Spur Wahnsinn darin lag, stand außer Frage. "Vielleicht sollte ich mich erbarmen und dich hier erlösen. Dann siehst du deine Schwester wenigstens wieder."
      Eine weitere Linie wurde vervollständigt.
      "Der kleine Feuerteufel steckt noch in ihrem Körper. Aber als ich dein Blut genutzt habe, fühlte ich nur noch ihren Geist."
      Die nächste Linie war fertig.
      "Scintilla hat den Körper der Schwester so ausgebrannt wie die Stadt, die du gesehen hast. Aber wenn ich dir das gesagt hätte, wärst du nie auf den Deal eingegangen."
      Die Rune war vervollständigt. Mit Schrecken in den Augen spürte Sylea die Wirkung in sich selbst. Von jetzt auf gleich spürte sie, wie sie alle Kräfte in ihren Gliedern verlor. Säße sie nicht bereits auf dem Boden ihres gedanklichen Reiches, dann wäre sie jetzt zusammengebrochen.
      In der Realität erschlaffte ihr gemeinsamer Körper. Es war, als hätte man einer Marionette die Fäden durchgeschnitten. Doch noch immer grinste Anifuris, denn er sah an Cains Aura, dass die Rune wirkte. Er hatte eine Blutrune genutzt, die ihm die Möglichkeit verschaffte, bestimmte Aspekte seines Zieles zu Versiegeln. Er musste nur im Tausch etwas von sich selbst dafür opfern. Diese Rune war endlich, er selbst als Wirker konnte ihre Wirkung lösen. Wissentlich tauschte er seine Motorik ein, die er jetzt sowieso nicht brauchte. Er hatte den Seeker gereizt, ihn versucht bis aufs Blut dahin zu bekommen, dass er an der Kante der Schlucht stand und etwas tat, das er gar nicht wollte.
      Anifuris hatte seine Motorik gegeben, um eine Emotion des Seekers zu bannen: Sein Mitleid samt Mitgefühl für die junge Rubra.

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    • Warum lächelte Anifuris? Selbst der gleißende Schmerz, den er verspüren musste, sorgte nicht dafür, dass dieses unheimliche Lächeln von seinen Lippen verschwand. Cain atmete schwer und spürte immernoch, wie der Rhythmus seines Herzens in einem unregelmäßigen Takt in seiner Brust schlug. Das Zerren und Reißen an seiner Aura zeigte deutliche physische Auswirkungen. Der Atem ging flach, er schwitzte vor Anstrengung und seine Muskeln fühlten sich schwer an wie Blei.
      Der Schmerzenslaut war für seine Ohren die reinste Folter, auch wenn er deutlich in den graubraunen Augen das boshafte Wesen erkennen konnte. Es war ein abstrakter und undwirklicher Anblick die zweigespaltene Persönlichkeit gleichzeitig wahrzunehmen. Den die gequälten Laute klangen bedauerlicherweise eindeutig nach Sylwa. Anifuris sah ihn direkt durch die Seelenspiegel des gestohlenen Körper an und schien noch lange nicht mit ihm fertig zu sein.
      "Reicht nicht für was?", zischte der Seeker. "Was willst du damit bezwecken?"
      In seinen Augen wechselten sich Verwirrung, Ratlosigkeit und eine unterschwellige Wut auf Anfuris stetig ab. Er begriff einfach nicht, was die fremde Seele mit diesem Anrgiff auf ihn bezweckte. Für was sollte das gut sein? Obwohl Cain sich auf die Rune konzentrieren sollte, die Anifuris gemächlich mit dem eigenen Blut schrieb, richtete sich alle Aufmerksamkeit auf die grausigen Worte, die ihm entgegen geschleudert wurden. Die Kontrolle in seinen Augen begann zu bröckeln, während er unbewusst den ausgekugelten Arm fester packte, als überlege er ihr die Gliedmaße noch weiter zu verdrehen.
      "Du bluffst...", knurrte der Seeker und es war dennoch ersichtlich, dass er selbst an dieser Feststellung zweifelte. Hatte er sich tatsächlich so leicht manipulieren lassen? Für Anifuris war er nicht mehr als ein Spielzeug, dass er ganz nach seinem Willen verborg und Cain spielte mit. Aus seiner Kehle löste sich ein rauen Grollen, dass verdächtige Ähnlichkeit mit einem zornigen Knurren hatten. Unter ihm erschlaffte der Körper der jungen Rubra, als wäre sämtliche Spannung aus allen Muskeln verschwunden. Sie wirkte beinahe leblos, wenn da dieses grausame Grinsen nicht gewesen wäre.
      Anstatt nun von Sylea abzulassen, passierte etwas gänzlich anderes. Ein Schatten huschte über Cains Gesicht, ehe sein Gesicht sich vor Zorn verzerrte. Jegliche Gelassenheit und Kontrolle schien aus ihm herauszufließen und er blickte ohne jegliches Mitleid auf das Mädchen hinab. Es war ein einziger brennender Gedanke in seinem Kopf: Er wollte Anifuris wehtun. Für die Lügen, die Manipulation.
      "Sei still. Nichts als dreckige Lügen...", grollte er und ließ den ausgekugelten Arm, achtlos fallen ehe er seine Finger in dem braunen Haar vergrub und den Kopf so stark in den Nacken riss, dass es schmerzen musste.
      "Halt. Dein. Maul." Mit einem kräftigen Rück ließ er ihren Kopf mit der Stirn voran auf den Betonboden zurückschnellen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
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      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Anifuris gurgelte nur etwas, als Cain seinen Kopf in den Nacken riss. Es klang wie ein verunstaltetes Lachen seinerseits, das es nicht völlig aus den Untiefen seiner Kehle geschafft hatte. Aber seine Augen sprachen dieselbe Sprache. Er brauchte keine Worte dafür.
      Als der Seeker seinen Schädel allerdings wieder Richtung Boden schickte und seine Stirn als erstes aufschlug, begann sich alles vor seinen Augen zu drehen. In ihrem Geist flackerte das Licht vor ihren Augen, sowohl Sylea als auch Anifuris sahen nur Sterne tanzen. Doch wo die alte Seele erschreckend unbeeindruckt mit verschränkten Armen vor den Seelenfenstern stand, war die junge Rubra komplett am Ende. Irgendwie schien nur sie den Schmerz zu leiden, ihn zu spüren und zu verarbeiten. Sie stöhnte nur schmerzgeplagt auf, während sie komplett die Orientierung verlor. Ihr war schlecht, anders schlecht als die letzten Tage.
      "Du bist ein blutiger Anfänger", lachte Anifuris und drehte seinen Kopf. An seiner Stirn hatte sich ein rotes Rinnsal gebildet, geschuldet dem rauen Boden der Zelle. "Du hegst selbst die Befürchtung, dass sie schon längst tot ist. Dass ihr Körper nur noch eine leere Hülle ist. Deine ganze Qual, die du ertragen musst, wäre umsonst."
      Er versuchte sich etwas zu bewegen, jedoch ohne Erfolg. In ihrem Inneren verfinsterte sich Anifuris Miene weiter. Es war immer noch nicht genug.
      "Willst du wissen, was sie mit Vesseln anstellen, deren Rettung ausgeschlossen ist? Frag doch mal Sylea. Zu jener Zeit war ich die meiste Zeit präsent, die schlimmsten Mordversuche hat sie gar nicht mitbekommen. Man hat uns mit glühenden Eisenstäben gepfählt, versucht mit Angelschnur zu erdrosseln, vergiftet. Und jetzt stell dir vor, was mit deiner kleinen süßen Schwester passiert ist, die NICHT so unsterblich ist wie wir. Wie oft sie in Qual nach ihrem Bruder geschrien hat!"
      Dies entsprach der Wahrheit. Wäre zu der Zeit Sylea präsent gewesen, wäre ihr Geist vermutlich längst zerschmettert worden. Torturen dieser Art waren nicht für Kinder gedacht. Wenn Cains Schwester das Gleiche durchmachen musste, dann war es fast zu 100 Prozent sicher, dass sie spätestens an dem Trauma gestorben sein musste.
      "Willst du deine jahrelang angestaute Wut nicht auslassen,hm?! Hier hast du die Chance!", bellte Anifuris fast schon manisch Cain an, der immer noch in seinem Rücken stand.

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    • Hinter den bernsteinfarbenen Augen loderte die Aura vor Zorn auf wie ein kaum zu löschender Waldbrand. Jede Silbe, die Anifuris in den Raum warf, fachte die Flammen weiter an und der Seeker sah sprichwörtlich nur noch Rot. Der Anblick des Blutes auf der Stirn des Mädchen hätte ihn im Normalfall stutzig machen müssen. Vielleicht hätte der Seeker seine Handlungen in Frage stellen sollen, aber da war nichts in seinem Kopf außer brennender Wut. Seine ganze Aura triefte davon und er verströmte es aus jeder einelnen Pore.
      Erneut gruben sich seine Finger schmerzhaft in das braune Haar, als er den Kopf ein weiteres Mal mit voller Wucht gegen den Betonboden stieß. Der Blick in seinen Augen verlor mit jeder Sekunde an Menschlichkeit, als hätte jemand eine rasende und tobende Bestie von der Kette gelassen. In einem hatte Anifuris nämlich recht. Alles, was sich in den letzten Jahren aufgestaut hatte, brach nun aus dem Cain hervor. Unter Zwang, ja, was es nicht weniger wahr machte. Der Frust über seine Unfähigkeit zu handeln, die Wut auf die Organisation die ihn und seine Schwester im Stich ließ, die blühende Angst Cordelia bereits verloren zuhaben. Er hatte niemanden außer seiner Schwester. Wer war er, wenn man ihm diesen Grund zum Käpmpfen auch noch wegnahm.
      Und der dreckige Bastard unter ihm wagte es auch noch zu lachen. Es war dieses höhnische und eiskalte Lachen, dass das Fass endgültig zum Überlaufen brachte und nicht die verletzenden und grausamen Worte. Die Sätze waren zu einem dumpfen Hintergrundrauschen verschwommen. Der Seeker nahm nicht einmal mehr die sonst allgegenwärtige, erstickende Präsenz von Anifuris war, die ihn zumeist zu ersticken drohte. Kein Gestank nach süßer Verwesung oder Fäulnis. Der angefachte Zorn überdeckte sämtliche Warnsignale seiner Wahrnehmung, während sich sein Blick auf die graubraunen Augen konzentrierte, die ihn kalt ansahen. Selbst Syleas Name war aus seinem Gedächtnis wie ausradiert. Als Anifuris ihren Namen aussprach, löste es nichts aus. Es war der Name einer Fremden. Was interessierte ihn ein Mädchen, dass er keine zwei Tage kannte, wenn seine Schwester irgendwo Höllenqualen litt.
      Draußen vor der Tür machte sich aufgrund der Geräuschkulisse langsam Unruhe breit. Ein harsches Klopfen pollterte gegen die Zellentür.
      "Desraeli! Was ist da los!", brüllte einer der Soldaten von draußen.
      Cain riss den eigenen Kopf ruckartig hoch und warf einen finsteren Blick zur Tür.
      "Bleibt draußen!", donnerte Cain. Niemand würde ihm hier in die Quere kommen. "Es ist zu gefährlich." Eine fadenscheinige Ausrede, die auch die Soldaten nicht überzeugte. Schwere Stiefel trampelten über den Flur, als immer mehr Bewegung in die Wachen kam. Nicht lange und sie würden die Zelle auch ohne sein Einverständnis stürmen.
      Der Druck von Außen stachelte den Seeker nur noch weiter an. Das Blut rauschte kochend in seinen Ohren und anstatt vernünftiger Worte kam nur ein weiteres Grollen über seine Lippen, das beinahe animalisch klang. Alles, was er hörte, war der unnatürlich laute Schlag des eigenen Herzens in seiner Brust.
      Cain verlagerte sein Gewicht, mehr Bewegungsfreiheit zu bekommen. Das der Körper unter ihm wie leblos erschien, spielte ihm sichtlich in die Karten. Langsam richtete er sich auf und blickte auf den Körper hinab. Später würde ihn die Erinnerungen hieran verschlingen, doch als er dort stand und den Blick über Sylea wandern ließ, spürte er nichts. Gezielt brachte seinen Fuß mit voller Wucht auf ihr Knie hinab. Ein Knirschen und Knacken ertönte befriedigend in seinen Ohren, als Kniescheibe und Gelenke unter seinen schweren Stiefeln nachgaben. Anifuris würde ihm nicht entkommen.
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    • Ganz kurz blitzte Sorge in Anifuris Augen auf, als er das Chaos draußen vor der Zelle hörte. Wenn sie zu früh die Zelle stürmten, gäbe es keine AUsrede für ihn das Wachpersonal nicht in seine Einzelteile zu zerlegen. Wenn sie ihm die Tür öffneten und er noch unbeschadet unter dem Seeker lag, dann würde er sich den Weg nach draußen mit blutigen Händen freisprengen.
      Zu ihrem Glück ließ es Cain nicht bis dahin kommen. Es war ein beinahe schon wohliges Erschaudern, dass durch Anifuris Körper rauschte und seine Lippen kräuseln ließ. Er hatte sein Ziel erreicht. Es bedurfte der Rune nicht mehr. In dem Moment, wo der Fuß des Seekers wie eine Guillotine nach unten sauste, löste die alte Seele die Rune und gab seine Kontrolle über den Körper vollends auf. Er sah noch, wie sich Cains Aura mit eine gewaltsamen Welle wieder in den Ursprungszustand zurückversetzte, das Gold Überhand nahm. Und das Mitgefühl seine vollends aufgerührte Seele flutete.
      Sylea wurde in ihrem Geist hart nach vorn gerissen. Anifuris, der sich quasi in Luft auflöste und in bislang unbekannte Untiefen ihrer geteilten Gedanken verschwand, fand sich das Mädchen allein in dem Raum wieder. Bei dem grellen Licht blinzelte sie heftig, dann hörte sie ein Geräusch, das sie nur aus den frühesten ihrer Erinnerungen kannte: Das Brechen von Knochen.
      Es dauerte knapp eine Sekunde, dann färbte sich die Welt vor Syleas Augen strahlend weiß. Der unbändige Schmerz, der in ihr aufflammte und ihr sämtliche Luft zum atmen nahm paarte sich mit verdrängten Erinnerungen, die sich unnachgiebig in den Vordergrund kämpften. Ein schlechter Film an Torturen, die man ihr mit 16 blutjungen Jahren zugefügt hatte, lief gnadenlos vor ihrem inneren Auge ab und drohte, ihren Verstand zu zermalmen.
      Wenn Cain dachte, Syleas Schrei war schlimm, als Marcus mit dem Schwert ihr Bein durchbohrt hatte, dann kannte er keine echte Pein. Das Geräusch, dass das Mädchen nun von sich gab, war schlimmer als alles, was er bisher von ihr gehört hatte. Ein Kreischen wandelte sich in Heulen, blutiger Speichel sammelte sich vor ihrem Mund auf dem Boden und färbte den hellen Sandstein rosa. Irgendwann ebbte es zu einem heiseren Gurgeln, dann zu einem wimmern ab. Sie bekam keine Luft mehr. Ihre Brust schien einfach keinen Platz mehr dafür zu haben.
      Aber genau das war es, was sie gewollt hatte. Sie hatte ihn über die Grenze bringen müssen. Das war der Weg mit der besten Erfolgsquote, hier rauszukommen.
      Ihre rechte Hand grub sich mit grausamer Langsamkeit in den Sandstein. Ihre Hand bebte, genau wie der Rest ihres gesamten Körpers, als sie einfach nur liegen blieb und um jeden einzelnen Atemzug kämpfen musste. Mühsam füllte sie ihre Gedanken mit dem Fakt, dass sie schon schlimmeres erlebt hatte. Dass der Mann in ihrem Rücken es nicht freiwillig getan hat. Dass er ihr nicht mutwillig Schmerzen zufügte, sie nicht als Monstrosität betrachtete, die man um jeden Preis töten musste.
      Dieses Wissen hielt sie davon ab, vollständig durchzudrehen. Langsam begann sich die Umwelt am Rande ihrer Wahrnehmung in ihr Sichtfeld zurückzukämpfen. Ihre Sicht war verschwommen, unkontrollierte Tränen, von denen sie dachte keine mehr zu besitzen, liefen ihr Gesicht hinab. Mühsam wandte sie sich etwas, um Cain zumindest sehen zu können.
      Stumm formte sie mit den Lippen: Es tut mir leid.
      Sylea fand ihre Stimme noch nicht wieder.

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    • Schwer atmend blickte Cain auf den zierlichen Körper hinab, als ein Ruck durch seinen eigenen Leib lief. Beinahe hätte es ihn aus dem Gleichgewicht gebracht, als ein schmerzhaftes Gefühl seine Sinne flutete. Der Schrei in seinen Ohren war Schlimmer, als alles, was er je vernommen hatte. Die Qual war für ihn fast körperlich greifbar, als ihr Schmerz seine Sinne flutete. Geradeso schaffte es Cain die Tür in seinem Kopf reflexartig zu zuwerfe, bevor der Schmerz ihn überrollen konnte und in die Knie zwang. Doch das zurück gewonnene Mitgefühl wandelte sich binnen Sekunden in etwas gänzlich anderes: Schuld. Was hatte er getan?
      Blinzelnd sah der Seeker die junge Rubra an und ließ den Blick über ihre Stirn gleiten, wo unverkennbar Blut klebte ebenso wie auf dem kalten Boden. Tränen liefen über die blassen Wangen, bei deren Anblick Cain speiübel wurde. Jegliche Farbe fiel ihm aus dem Gesicht, als er das zertrümmerte Knie bemerkte. Hatte er wirklich...? Stolpernd trat er zurück, bis sein Rücken gegen die Wand der Zelle prallte. Schweißperlen ranne an der Seite seines Gesichts hinab. Als sie Sylea ihn ansah und es war tatsächlich die junge Rubra, die ihm mit tränenverschleierten Augen entgegen blickte, hätte sich Cain am liebsten übergeben.
      Wie konnte sie ihn jetzt noch ansehen? Natürlich, Anifuris hatte ihn gekonnt manipuliert und ihrem Blick nach zu urteilen, hatte sie es offenbar nicht nur toleriert sondern auch noch unterstützt. Beide hatten ihn dazu gezwungen entgegen seines natürlichen Wesens zu handeln. Cain war kein brutaler Mensch und als aller letztes war er grausam. An seinen Seiten ballten sich die Hände so stark zu Fäusten, dass sich die Nägel in seiner Handflächen bohrten. Ob er wütend auf Sylea war, vermochte er gerade nicht zu beurteilen. Alles was er augenblick fühlte war, dass er von sich selbst angewidert war. Wir hatte er das zulassen können?
      Er schaffte es nicht mehr ihrem Blick stand zuhalten und wandte die goldenen Augen starr zur Tür.
      In diesem Moment brachen die Soldaten schwer bewaffnet die Tür auf, für sie war der markerschütternde Schrei das Zeichen gewesen endlich zu handeln. Schockiert blickten die Männer auf das Bild des Jammers, dass sich ihnen bot.
      "Was für eine Scheiße ist das denn?", grollte einer von Ihnen und ging an Sylea vorbei um Cain am Kragen zu packen, aber der Seeker wirkte vor Schock wie weggetreten.
      "Er hat ihr das Knie zertrümmert.", murmelte jener der, der neben der jungen Rubra kniete. "Das muss versorgt werden."
      Obwohl alle um die Gefahr wussten, die Sylea inne wohnte, stand es jedoch nicht in ihrem Befehl eine medizinische Versorgung zu unterbinden. Cain nahm das Geschehene nur verschwommen war, als man Sylea vom Boden aufhob und aus der Zelle trug. Ein fester Griff am Arm bugsierte ihn ebenfalls hinaus.
      "Das wird ein Nachspiel haben, Desraeli." Die Worte drangen kaum zu ihm vor, als wäre er tief unter Wasser.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”