Vessels [Asuna & Winterhauch]

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    • Anifuris legte den Kopf ein wenig schief.
      "Bettelst du gerade darum, dass man dir die Wahl nimmt?", fragte er nach, die Stirn leicht gerunzelt. Die Falten glätteten sich kurz darauf, als Cain die nächste Frage stellte. Ein winziges, kaum vorhandenes Lächeln umspielte seine Lippen. "Sicher ist sie noch da und kann dich hören."
      In seinem Geist wandte sich Anifuris zu dem Kokon um, in dem Syleas Bewusstsein wütete. Wutentbrannt riss sie an den Fäden, die sich schneller neu sponnen als eine Öffnung freizugeben. Er wusste, dass sie eine Weile brauchen würde, um sich durch den Schutzwall zu kämpfen. Solange das Mädchen nicht wusste, wie man eine andere Aura am effektivsten überlagerte, würde sie lange brauchen. Lang genug, damit die alte Seele tun konnte, wonach ihr stand.
      "Gerade wütet sie in ihrem kleinen Gefängnis", weihte er den Seeker ein, sein Lächeln wuchs bis es fast von einem Ohr zum anderen reichte. "Sie hat freiwillig mit mir getauscht. Nur für die Bestätigung, dass du sie angelogen hast."
      Mit jeder Sekunde die verstrich, jedem Atemzug der seine Lunge erfüllte erdete sich Anifuris mehr. Das letzte Mal war er vor Jahren in dieser Form der Freiheit gewandelt. Nun war es zwar ein anderer Ort, aber die gleichen Umstände. Die galt es zu ändern.
      Er tippte sich mit einem Zeigefinger an die Schläfe. "Also? Wolltest du uns nicht gerade aufklären, was du uns verheimlichen wolltest? Ich sehe da zumindest ein Fragment einer fremden Aura an dir haften. Mit wem hattest du Kontakt, dessen Aurafragment so stark ist, dass es an einer anderen haften bleibt?"
      In Anifuris Augen lungerte eine Neugier, die mehr als nur das beschrieb. Er musste abwägen, ob der Auraträger ihm gefährlich werden konnte oder nicht. Fragmente blieben nur flüchtig zurück, und je nachdem wie lange der Kontakt her war, deutete es auf eine starke Seele hin. Dieses Fragment an Cains Aura war ein Gruß - von einer alten Seele zur anderen.
      Ich schwöre dir, ich verbanne dich in die Untiefen meiner Selbst wenn du ihn anfasst.
      Wirklich, tust du das? Gilt das auch dafür, wenn ich ihn nicht direkt berühre? Versuch doch erst mal, selbst wieder in den Vordergrund zu treten.

      Syleas Widerstand erstarb, nur um darauf nur noch heftiger loszubrechen. In weiser Voraussicht schirmte Anifuris seinen Geist vor ihr ab, damit er ihre zornigen Schreie und Flüche nicht hören musste.
      In der Zwischenzeit deutete Anifuris auf den Stuhl und gestikulierte etwas ungeduldig. "Nun setz' dich doch. Du bist hier so entspannt reingekommen, dem wollen wir nun keinen Abbruch tun. Außerdem wird dein Bericht ein wenig Zeit in Anspruch nehmen."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • "Freiwillig?", schnaubte Cain ungläubig und schüttelte zweifelnd den Kopf, während er weiterhin den Körper der Vesseln nicht aus den Augen ließ. Von der Größe und Kraft her war Sylea keine Gefahr für ihn, allerdings wusste er nicht wie sich das fremde Bewusstsein auf Schnelligkeit und Körperkraft auswirkte. Helyon war fast übermenschlich schnell über den Konferenztisch gehechtet und hier betrug der Abstand nicht einmal zwei Meter. Viel gefährlicher als ein körperlicher Angriff waren die bösartigen mentalen Kräfte des Bewusstseins.
      "Wenn jemand manipuliert wird, würde ich es nicht als freien Willen bezeichnen.", gab der Seeker zu bedenken und betrachtete voller Abscheu den Stuhl auf dem Boden, als wäre dieser das Problem für die ganze Situation.
      Ein kurzes Zögern, dann hob Cain den Stuhl vom Boden auf und stellte ihn geräuschvoll auf die Füße. Für den Augenblick wäre es weiser das Spiel einfach mitzuspielen. Wenn Anifuris tatsächlich das Gespräch suchte und die Wahrheit nicht einfach aus ihm heraus quetschte, hatte Cain vielleicht die Chance die ein oder andere Frage zu stellen.
      Obwohl seine Bewegung Gehorsam suggerierte, sprach der Blick der goldenen Augen eine ganz andere Sprache.
      "Und ich habe nicht gelogen.", sprach er mit nun ruhiger Stimme. "Ich hab nur nicht die ganze Wahrheit gesagt, um sie zu schützen."
      Die eigenen Worte brannten auf seiner Zunge, da er wusste, dass Sylea jedes seiner Worte hören konnte. Er war tatsächlich der festen Überzeugung die junge Rubra nicht mit jeder Einzelheit belasten zu müssen, da sie seiner Meinung nach, sich auf die Versiegelung von Anifuris konzentrieren musste. Und noch drohte ihr keine äußere Gefahr. Dieser Zwischenfall könnte die ganze Situation in eine recht unangenehme Richtung lenken.
      "Sagt dir der Name Helyon etwas?", er fragte sich schon die ganze Zeit ob der bedrohlich wirkende Mann aus dem Konferenzraum, der nun offensichtlich mit diesem Fall beraut worden war und Farina nah stand, gelogen hatte was Anifuris anging. Er traute ihm nicht über den Weg. Die Bemerkung über seine Schwester ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf.
      Cain ergab sich für den Augenblick in das Gespräch, was wohl mehr einem Verhör ähnelte nur das ihm niemand eine grelle Lampe ins Gesicht hielt. Aber er war nicht bereit Anifuris einfach sein Wissen zu überlassen, wenn er momentan noch die Wahl darüber hatte.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Anifuris, der gerade wunderbar unterhalten wurde, lachte kurz auf.
      "Meine Güte, der Stuhl hat dir nichts angetan und ich dir heute auch noch nicht. Ich würde dich ja gerne in deiner trügerischen Wolke aus Selbstsicherheit schweben lassen, aber deine Aura spricht Bände. Im Moment manipulierst du dich nur selbst, kleiner Seeker. Weder drohe ich dir gerade noch zwinge ich dich zu etwas. Deine augenscheinliche Fremdmanipulation findet gerade durch mich gar nicht statt."
      Tatsächlich war Anifuris' Aurenspiegel aalglatt. Weder wirkte er besonders bedrohlich noch in einer anderen Weise einschüchternd. Im Moment war er einfach nur da und lauschte, obwohl man den Nachdruck in seinen Worten mitschwingen hörte.
      "Im Gegensatz zu ihr weiß ich sehr wohl, dass du nicht gelogen hast. Aber Lügen ist so ein mächtiges Wort der Menschen. Damit erzeugt man die wahnwitzigsten Reaktionen."
      Aber er hat doch Purpur in seiner Aura gehabt!!!
      Sinnbildlich rieb sich Anifuris die rechte Ohrmuschel, so als hätte Sylea ihm direkt ins Ohr geschrien.
      Das ist auch korrekt. Ich sagte aber auch, dass Purpur Unbehagen bedeutet. Ich habe nie behauptet, dass diese Farbe gleich einer Lüge sei.
      Als der Name Helyon fiel, zeigte sich keinerlei Regung in dem Vessel. Weder verriet seine Aura etwas, noch reagierte auch nur irgendein Muskel in seinem Gesicht. "Sagt mir leider nicht. Nicht jede Seele trägt ihren Namen über die Jahrhunderte mit sich. Vielleicht hat er seinen gewechselt. Oder ich habe bisher noch nicht die Ehre gehabt, auf ihn zu treffen."
      Unterdessen hatte sich Sylea in ihrer geteilten Wahrnehmung scheinbar beruhigt. Anifuris lockerte seine geistige Wand und horchte, hörte aber nichts. Allerdings erkannte er, dass sie nachdachte. Reflektierte. Grobe Gewalt brachte sie nicht weiter - diesen Schritt hatte sie bereits verstanden.
      "Wir sind doch eine faire Gesellschaft", eröffnete er das nächste Thema, er ahnte bereits, dass der Seeker nichts weiteres über diesen Helyon wusste. "Du hast mir einen Namen geliefert, dafür bekommst du auch eine Antwort. Aber bitte keine unangemessene Frage, wenn du verstehst." Mittlerweile tippte er sich in einem seltsamen Rhythmus mit den Fingern auf einen seiner Unterarme.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Cain Desraeli verschränkte skeptisch die Arme und lehnte sich ein wenig in dem unbequemen Stuhl zurück, jede Zentimeter zwischen Anifuris und ihm selbst, der den Abstand vergrößerte und sei der noch so lächerlich, bändigte seine zum Zerreißen gespannten Nerven. Entspannter wirkte er keinesfalls. Der gesamte Körper hatte eine klare Abwehrhaltung eingenommen. Aber nichts davon würde ihn schützen, wenn das fremde Bewusstsein mit dem Verlauf des Gespräches unzufrieden wurde.
      Ein winziger Funken Enttäuschung schlich sich in den Blick der bernsteinfarbenen Augen, die unablässig Wellen seiner goldenen Aura wiederspiegelte. Helyon war also auch dieser Entität unbekannt. Er hätte alles dafür gegeben diesem arroganten Bastard einen Schritt vorraus zu sein. Anifuris brachte ihn aus dem Gleichgewicht, sowohl mit seiner andauernden Präsenz als auch die wahrheitsgemäßen Worte. Das Wesen in dem gestohlenen Körper wirkte beängstigend zivilisiert und weniger wie eine unkontrollierte Bestie, die alles zerfleischte was sich ihr den Weg stellte. Das Verhalten irritierte ihn und es ärgerte Cain. Die für ihn unsichtbare Aura um seinen Körper schlug unruhige Wellen, als jemand einen Stein in einen Teich geworfen.
      Im Gegensatz zu ihr weiß ich sehr wohl, dass du nicht gelogen hast.
      "Wie verzweifelt muss jemand sein, den Gemütszustand eines Mädchens ausnutzen, dem ein Leben lang sämtliche sozialen Kontakte verwehrt blieben. Sie weiß es nicht besser.", knurrte Cain und fragte sich im selben Augenblick, was das aus ihm machte. Näherte es sich Sylea nicht nur, um an Informationen zu kommen oder ein Heilmittel für seiner Schwester zu finden? Was machte ihn am Ende besser als Anifuris außer das er sich unter dem Deckmantel von Freundlichkeit und Sorge versteckte. Cain schüttelte gedanklich den Kopf. Nein, er sorgte sich wirklich und hatte Mitgefühl mit der Vessel, aber er konnte nicht außer Acht lassen, dass gerade das Monster in ihrem Kopf eine Lösung bot, um Cordelia ein Leben in Freiheit zu ermöglichen.
      "Ein Frage, hm?", flüsterte Cain und atmete den süßlichen Geruch der Vewesung ein, der unterschwellig immer wieder in seine Richtung strömte. "Du hast das fremde Bewusstsein in Farina frei gesetzt. Ich nehme an, es wäre ein leichtes für dich die Prozedur zu wiederholen?"
      Es war gefährlich, was der Seeker hier tat. Das Gespräch lief in eine viel zu private Richtung und würde am Ende Anifuris wahrscheinlich nur noch mehr Munition liefern, aber brauchte für sich Gewissheit.
      "
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • "Ich fürchte, du siehst den Zusammenhang unter einem falschen Aspekt", korrigierte Anifuris Cain. "Wenn ich es nicht getan hätte, würde diese Unterhaltung nicht zustande kommen. Weder bekäme ich den Namen, den ich mir gewünscht hatte, noch du deine Antworten. Das hat rein gar nichts mit Verzweiflung zu tun."
      Interessiert beobachtete er die Aura des Seekers. Sekündlich änderte sie ihre Form und Farbe, was nur überdeutlich zeigte, in welchem Konflikt er sich befand. Nicht nur, dass es ihm offensichtlich missfiel mit der unbekannten Seele zu sprechen - er reflektierte seine Handlungen und stellte fest, was er damit auf Sylea projezierte. Anifuris sah einen Zwiespalt in Cain aufbrechen, der sich kurz darauf durch seine Frage erklärte.
      "Du hast das fremde Bewusstsein in Farina frei gesetzt. Ich nehme an, es wäre ein leichtes für dich die Prozedur zu wiederholen?"
      Für gewöhnlich hätte das alte Bewusstsein nun diabolisch gegrinst, da er den Tausch mit dem Teufel erkannte. Entgegen dieser Annahme blieb seine Miene relativ neutral, beinahe ernst. Es hatte nur Sekunden gebraucht ehe er erkannt hatte, dass diese Frage auf die Schwester des Seekers abzielte. Wenn er jetzt falsch reagierte, hätte er seine einfachste Karte in die Freiheit verspielt.
      "Du zielst auf deine Schwester ab", stellte er fest, die Stimme fernab von Hohn und Belustigung. Er kannte das Gefühl, das sich tief in Cains Herz gesetzt hatte. So viel Mitgefühl der junge Mann auch für das Vessel haben mochte, für seine Schwester würde er sie sogar in den Tod schicken. Ob der Seeker das auch so bewusst wahrnahm, war eine andere Sache. Auren hingegen logen nie.
      "Es ist nicht unbedingt leicht. Wenn ich gegen den Willen der Seele arbeite, funktioniert es erstens nicht schnell und zweitens manchmal nicht so wie gewollt. Der Körper ist nicht dafür gemacht, zwei Auren und zwei Seelen zu halten. Es ist ein natürlicher Konflikt, den die Natur zu lösen versucht indem sie die Auren miteinander verwebt. Dieses Geflecht zu lösen ist eigentlich wider der Natur. Bei Medjab ging es nur deswegen so leicht weil sie ihr Gefängnis verlassen wollte und ihre Auren sich noch klar unterscheiden lassen konnten."
      Sylea hatte jedes Wort gehört. Wenn ihre Auren über zehn Jahre schon verwoben waren, konnte Anifuris leicht die Verbindungen nutzen und sich in den Vordergrund schieben. Es ging nicht darum, wer den anderen übermannte und vom Steuer riss. In dem Moment fiel ihr auf, warum der Kokon Schlitze besaß, egal wie fest man ihn zurrte. Eine vollständige Trennung vom anderen war gar nicht möglich.
      Nachdem sie das festgestellt hatte, besann sich die junge Rubra auf das, was sie einst gelernt hatte. Konzentriert lauschte und fühlte sie nach den Klängen und Farben ihrer verschmolzenen Auren. Sie würde die Übergänge finden und dann das nachahmen, was Anifuris vorhin getan hatte.
      Dies ging selbstverständlich nicht vorrüber ohne bemerkt zu werden. Anifuris' noch immer tippende Zeigefinger erstarb, eines seiner Augen zuckte leicht. "Das Problem ist, dass das Mädchen nicht ganz dumm ist. Sie hat sich gemerkt, wie ich sie vorhin abgelöst habe und versucht nun mich nachzuahmen. Wir haben also nicht mehr viel Zeit, kleiner Seeker. Weißt du, was sich in deiner Schwester eingenistet hat?"

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    • Was zum Teufel machte Cain hier?
      Der Gedanke wirbelte in Dauerschleife durch seinen Kopf. Wenn von diesem Gespräch auch nur ein Wort nach Außen gelang, war er geliefert. Und nicht nur sein Leben war in Gefahr. Im schlimmsten Fall würde er seine Schwester Cordelia und auch die junge Rubra mit über die Klippe stürtzen. Aber das erste Mal seit Jahren hielt er eine Möglichkeit in der Hand, seine Schwester zu befreien und vielleicht dieses Leben hinter sich zu lassen. Auch wenn die Chance verschindet gerring war. Anifuris zu vertrauen war nicht nur leichtsinnig und nachlässig, es war äußerst törricht. Das boshafte Bewusstsein konnte ihm jeden Augenblick in den Rücken fallen und ihn den Wölfen zum Fraß vorwerfen.
      Also war es doch nicht so leicht, zwei Bewusstseine von einander zu trennen. Jedoch war diese Möglichkeit immer noch besser als Nichts. Der Seeker erhob sich aus seiner sitzenden Position und wagte ein paar Schritte durch den Raum. Nachdenklich ließ er sich die Worte von Anifuris durch den Kopf gehen und haderte noch mit sich, wie viel er wirklich preisgeben sollte. Aber am Ende siegte der Wunsch seiner Schwester zu helfen über die Vernunft seines Verstandes.
      "Die Ärzte und Wissenschaftler nennen das Bewusstsein, das meine Schwester befallen hat, 'Scintilla'. Den Funken. Ich war selbst nicht anwesend als es passierte, aber dieses Ding hat mit dem Körper meiner Schwester ein ganzes Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt. Das Feuer hat alles verschlungen und vor nichts und niemanden Halt gemacht."
      Cain rieb sich über die Augen, da er das verräterische Brennen bereits erkannte. Der Anblick war furchtbar gewesen, als der Seeker sich das mit Asche verdreckte Gesicht in Erinnerung rief. Aber in ihren Augen war bereits nichts mehr von seiner kleinen Schwester übrig gewesen, die er eh kaum gekannt hatte. Cain hatte erst von ihr erfahren, als er bereits mitten in seiner Ausbilung steckte. Sie war später geboren, nachdem ihm seine überforderten Eltern abgeschoben hatten. Aber die Ähnlichkeit war unbestreitbar gewesen.
      Mitten in der kleinen Zelle blieb er stehen und wandte sich nun endlich wieder dem Körper der jungen Frau zu, deren Gesicht noch immer befremdlich wirkte sei Anifuris die Kontrolle übernommen hatte. Aber es war eindeutig ihr Gesicht, nur anders. Der Audruck passte nicht.
      "Wo sie versiegelt ist, weiß ich nicht. So lange ich meinen Job mache, ist sie sicher.", seufzte Cain. "Ich weiß wie das klingt."
      Natürlich klang es, als würde der Seeker an der Nase herum geführt werden. Keine Methode bot sich besser an, als Cain durch das Leben seiner Schwester zum Gehorsam zu zwingen. Tu, was man dir sagt und wir helfen ihr.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Da schlich sich ein wissendes Lächeln auf Anifuris Lippen.
      "Scintilla, der kleine Feuerteufel. Taucht so häufig in der Weltgeschichte auf, dass man sie schon als Umweltkatastrophe deklariert."
      Eine der wenigen Seelen, die seit Jahrhunderten ihren Namen beibehielten und demnach auch der Menschheit als solcher bekannt war. Es gab zahlreiche Berichte über Scintilla, die ihren Namen alle Ehre machte. Sie war recht einfach zu stoppen doch in der Zeit von ihrem Auftauchen bis zu ihrer Eindämmung richtete sie meist enormen Schaden an. All dies passte zu Cains Erzählung.
      Da kitzelte es Anifuris am Rande seiner Wahrnehmung. Als er einen Blick zum Kokon warf, der Syleas Bewusstsein hielt, entdeckte er einen ihrer dürren Arme, der sich durch einen Schlitz des Kokons gegraben hatte. Dahinter sah er ihre Augen, die ihn böse anfunkelten. Sie hatte eine Überschneidung gefunden und zog bereits daran. Mal sehen wie lange sie brauchte, um mit ihm die Plätze zu tauschen.
      "Hat man dir jemals bestätigt, dass deine Schwester noch lebt? Einen Beweis für ihre Existenz oder glaubst du leeren Worten, die dich in künstliche Ketten legen?"
      Du versuchst die falsche Technik.
      Ich bin auch nicht so steinalt wie du?! Wie soll ich durch einmal fühlen wissen, was ich machen soll?!
      Deine Aura ist dünner als meine. Ohne einen Auslöser wird es schwierig für dich, meine Abwehr zu überwinden.
      Es. Muss. Auch. So. Klappen.
      Den Disput, den die beiden auf geistiger Eben führten, war bei Anifuris definitiv nicht so leicht abzulesen wie wenn Sylea die führende Kraft war. Folglich entspannte sich Anifuris etwas während er dabei zusah, wie der Seeker zögerlich aufstand und sich etwas im Raum bewegte. Scheinbar hatte sich seine Schockstarre gelöst. Vielleicht sollte man ihm einen weiteren Brocken zuwerfen, der trügerische Sicherheit aufkeimen ließ.
      "Ich korrigiere mich, wir haben wohl doch noch genug Zeit für uns beide. Sie hat zwar herausgefunden, wo sie ansetzen muss, doch die Technik fehlt ihr um mich abzulösen. Ohne einen Auslöser wird es wohl eine Weile dauern bis sie mich wieder einsperren kann."
      Natürlich hütete er sich davor, pikante Details, die ihm längst aufgefallen waren, zu nennen. Er wusste ganz genau, warum dieses junge Mädchen in der Lage war, sein altes Bewusstsein zu bändigen. Dass sie genau wie der Seeker ihm gegenüber ihr Potenzial nicht nutzte. Beide waren unwissend über das, zu dem sie eigentlich in der Lage waren.
      Anifuris musterte Cain, der inzwischen stehengeblieben war und ihn ebenfalls ansah. "Seit wann hat man dich unter Drogen gesetzt? Wann war das erste Mal?", hakte er nach. "Ich bin mir sehr sicher, dass dir niemand wirklich gezeigt hat, wie deine Gabe funktioniert bevor man dich mit dieser Substanz verstümmelt hat. Sylea hat vorhin einen Eindruck bekommen, zu was du ursprünglich in der Lage wärst."
      Zwar hatte er damals nur einen Blick auf das Blind Eye werfen können, doch die Auswirkungen auf Cains Aura waren gravierend gewesen. Der Stoff machte nicht nur süchtig, er beschnitt den Abhängigen in seiner Leistung auf Dauer. Als würde man Vögeln die Schwungfedern stutzen und sie so wieder in die Wildnis aussetzen.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die bernsteinfarbenen Iren glühten, erfüllt mit seiner Aura, im künstlichen Licht der Gefängniszelle. Unbehagen ließ die flackernde Aura um seinen Körper unruhig aufwirbeln. Aber er hatte sich auf dieses Gespräch eingelassen.
      "Nein, ich habe meine Schwester seit ihrer Gefangennahme nicht mehr gesehen. Wenn auch nur die gerringste Chance besteht, dass meine Schwester noch lebt, lasse ich mich dafür gerne weiterhin in Ketten legen. Das Risiko kann ich nicht eingehen." Die Antwort klang selbst in den eigenen Ohren schach und dürftig, aber leider war es die Wahrheit. Er musste daran glauben, dass seine Schwester noch lebte. Alles andere würde sein Leben und alles, was er für sie auf sich genommen hatte, in den Abgrund reißen. Cordelia war der letzte klägliche Rest seiner Familie, der ihm überhaupt noch etwas bedeutete. Die Persönlichkeiten seiner Eltern waren für den jungen Mann nicht mehr als zwei Namen auf einem Stück Papier. Er verschwendete keine Gedanken mehr an sie, so wie sie auch nicht mehr über seine Existenz nachdachten. Aber Anifuris, so abstrakt die Vorstellung auch war, bot ihm einen Ausweg.
      Die Möglichkeit Cordelia zu befreien, in dem Anifruis den Feuerteufel frei setzte, würde auch ihn aus seinem Gefängnis befreien. Sie könnten frei sein. Eine leise Stimme in seinem Kopf erinnerte ihn daran, dass er Sylea in der Gleichung vergessen hatte. Ertappt ging ein kaum merkliches Zucken durch seine Glieder. Die Vessel war ebenso unschuldig und auch nur ein Opfer der Umstände. Er konnte sie nicht den Preis dafür bezahlen lassen.
      "Die Aurasicht...", Cain erinnerte sich an das Gespräch mit der jungen Rubra. "Seit meinem 15. Lebensjahr habe ich nicht mehr einen Tag ohne diese Substanz gelebt. Ich habe nur einmal gesehen, wie sie Ungehorsam mit Entzug bestraft haben. Es hat Vierundzwanzig Stunden gedauert, bis der Seeker aufhörte zu zucken und sich zu finden. Der Anblick hat uns alle abgeschreckt."
      Natürlich fürchtete er sich davor. Jedem Seeker graute es vor dieser Strafe.
      Ein kurzer Augenblick des Zögerns und Cain bewegte sich auf die zierliche Gestalt der Rubra an der Wand zu. Mit jedem Schritt wurde der Gestank ein wenig stärker, aber noch im Bereich des ertragbaren.
      "Ich habe nur eine Frage, Anifuris.", er sprach das Wesen mit seinem Namen an und auch wenn Sylea zuhörte, war diese Frage ganz allein an die Intität in ihrem Kopf gestellt.
      "Wenn Cordelia lebt, und ich glaube fest daran, wärst du dazu in der Lage Scintilla davon zu überzeugen, sich einen anderen Wirt zu suchen?"
      Dabei gab es zwei große Probleme: Herauszufinden, wo Cordelia versteckt wurde und Anifuris in ihre Nähe zu schaffen.
      Es war leichtsinnig, egoistisch und gefährlich. Jede Alarmsirene in seinem Kopf heulte auf.
      “We all change, when you think about it.
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      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
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    • Mit jedem Schritt, den Cain auf das Vessel zutrat, hoben sich seine Augenbrauen Millimeter für Millimeter. Anifuris war offensichtlich erstaunt, wie der junge Mann vor ihm ihm zunächst mit reinem Schrecken gegenüber saß, anschließend sich traute, trotz Vorsicht ein paar Schritte zu wagen und sich ihm nun vollends zuwand. Aus eigenem Antrieb verringerte der Seeker seinen räumlichen Abstand zu Anifuris, so groß war sein Wunsch, seine Schwester zu befreien.
      "Zweifellos."
      Jetzt schrien auch in dem Geist der alten Seele sämtliche Sirenen auf, allerdings war das lediglich Syleas Stimme. Dass ihre Worte aber zeitgleich auch über ihre Lippen, unbeabsichtigt von Anifuris, drangen, hatte niemand von Beiden erwartet: "Du wirst ihn NICHT in leere Versprechungen locken!" Prompt schlug sich Anifuris eine Hand vor den Mund bevor er hinzufügte: "Ups. Da kam sie kurz durch."
      Der Kokon wurde fester gezurrt. Die Fäden schnitten sich in Syleas Oberarm, doch sie hielt an ihrer Position fest. Ein bisschen noch.
      Anifuris stieß sich von der Wand ab und trat ebenfalls ein paar Schritte auf Cain zu. Er stemmte beide Hände in die Hüften während er den jungen Mann vor sich musterte. "Der Entzug von etwas ist im Prinzip eine Form der Verlustangst. Und wo spiegelt sich das wider? Richtig. Und wer kann ein bisschen mit den Auren spielen?"
      Er ließ absichtlich einige Worte unausgesprochen. Tatsächlich war es für ihn ein leichtes, die besagte Resonanzfarbe in der Aura zu isolieren und aufzulösen. Nicht nur konnte er dies bei anderen - er tat es auch bei sich selbst. Es gab Zeiten, da durfte das alte Bewusstsein keine Angst spüren, keine Sorge, jemanden oder etwas zu verlieren. Wer sich diesen Emotionen entledigte war freier, rationaler in seinen Taten. Und ein Stück weniger menschlich.
      Es trennten Cain und Anifuris nur noch etwa eine Meter. Diese Distanz reichte, um seine Aura auszustrecken und am Rande der Bernsteinfarbe zu kratzen. "Du brauchst einen Beweis?", hauchte Anifuris zärtlich während er bereits eine bestimmte Farbe in der Aura des Seekers isolierte, "horch doch einmal in dich. Wo ist denn die Vorsicht, die du mir die ganze Zeit über entgegengebracht hast?"
      Eine hellgrüne Farbkugel waberte zwischen dem Bernstein und dem Königsblau im Raum. Ohne Cain anzufassen konnte Anifuris keine Resonanzen vollständig lösen. Aber isolieren und somit die Wirkung demonstrieren sehr wohl. Als er zur Bestätigung sah, dass sich Cains Augen in Schock weiteten, ließ das alte Bewusstsein los und das Grün mischte sich wieder den Rest von der Aura des Seekers.
      Behutsam ging Anifuris wieder etwas auf Abstand. Rein aus Höflichkeit. Sylea brüllte ihn gedanklich nur einmal an ehe sie wieder in Stille verfiel und weiter arbeitete. Ihre Abscheu ihm gegenüber war omnipräsent.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Obwohl Cain selbst die Entfernung zu Anifuris verkürzt hatte, blieb er dennoch wachsam. Und doch siegte die Unervernunft und der winzige Funken Hoffnung über seinen gottgegebenen Verstand. Die Worte des Bewusstseins ergaben durchaus Sinn. Es klan logisch genug, so dass der Seeker ihnen wider besseren Wissens Glauben schenkte.
      Augnblicklich spürte er die Änderung seines Gemütszustandes. Es war leicht wahrzunehmen, da der süßliche Geruch von Verwesung und Tod mit einem Mal vollständig verschwunden war. Zwar blieb seine Wachsamkeit, aber es fühlte sich plötzlich weniger bedrohlich an. Die goldenen Augen des jungen Mannes blickten mit Unglauben seinen Gegenüber an. Also gab es eine Chance sich von dem Einfluss des Blind Eye zu lösen, aber dafür musste er sich vertrauenvoll in die Hände eines Monsters begeben. Allein der Gedanke war derart töricht, das Cain trotz der Manipulation seiner Aura einen Schritt zurücktrat.
      Wenn er sich Anifuris komplett auslieferte, war die Chance extrem hoch, die Kontrolle über sich und seinen Willen vollständig zu verlieren und erwürde nichts dagegen unternehmen können.
      Als der Körper der jungen Rubra, in diesem Zustand mochte er die Gestalt nicht einmal in Gedanken mit Syleas Namen bennen, ein Stück zurückging, war die Vorsicht und das Misstrauen in voller Stärke wieder zurück. Cain verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.
      Der Durchbruch von Sylea war ihm selbstverständlich nicht entgangen und schürte nur noch mehr die Vernunft, von seinem aberwitzigen Gedanken abzulassen. Aber am Ende war die Versuchung beinahe zu groß.
      "Willst du wirklich behaupten, ich könnte unter deinem Einfluss den Entzug überstehen?", fragte der Seeker und es klang fast zu einfach. Letztendlich schüttelte er den Kopf. Ohne zu wissen, wo Cordelia war, hatte es keinen Sinn über dieses Risiko zu sinieren. Sie müssten erst von hier verschwinden, den Entzug durchziehen bevor es ihn umbrachte und dann gemeinsam weiterziehen. Es klang einfach verrückt.
      "Diese Unterhaltung allein ist Wahnsinn. Ich kann dir unmögich trauen.", murmelte Cain und doch... "Nehmen wir an, ich wüsste einen Weg aus diesem Zellentrakt und wir herrausfinden, wo sie Cordelia aufhalten. Was verlangst du für deine Hilfe und wie kann ich sichergehen, dass du am Ende deinen Teil des Deals einhälst."
      Es war buchstäblich ein Pakt mit dem Teufel. Gedanklich bat er Sylea um Verzeihung, auch wenn sie ihn nicht hören konnte.
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    • Was hast du davon mit ihm einen Deal abzuschließen?
      Ein bisschen Unterhaltung. Irgendwann kämen wir hier auch ohne ihn raus. Aber so macht es doch viel mehr Spaß.
      Sylea schnaubte lediglich. Weder hatte sie den leisesten Hauch einer Ahnung, was Anifuris überhaupt wollte, noch warum er noch nicht längst alles und jeden kurz und klein geschnetzelt hatte.
      "Ich wiederhole mich: Zweifellos. Es wäre das erste Mal, dass ich ein von Menschenhand geschaffene Substanz nicht umgehen kann", antwortete Anifuris und lächelte etwas. Es machte ihm Spaß mit Dingen zu spielen, die ihm neu waren. Vielleicht war es das, was das alte Bewusstsein bei Sinnen hielt und nicht verrückt werden ließ.
      Nun sicher, dass das Mädchen in seinem Geist nicht doch plötzlich mit ihm die Plätze tauschen konnte, bewegte sich Anifuris selbst etwas im Raum. Er brauchte nicht in Starre zu verfallen wenn er wusste, dass er vorerst walten konnte wie er es wünschte. Damit seine Hände etwas zu tun hatten öffnete er den Zopf, den Sylea vor Stunden gebunden hatte, und fuhr mit den Fingern durch die Strähnen.
      "Das Problem ist dein gesunder Menschenverstand. Du wirst dir nie sicher sein können, dass ich das halte, was ich dir verspreche. Weder weißt du, ob ich an Schwüre gebunden bin noch ob ich so etwas wie Ehre oder Anstand besitze." Seine Augen wanderten zum Seeker, der ihn mit gewohntem Argwohn anschaute. Hier und da brach durch das Bernstein seiner Aura ein Ockerton - die Versuchung gegen jegliche Raison zu verstoßen. "Alles, was ich will, bekomme ich über die Zeit. Wenn mir langweilig wird, dann sorge ich dafür, dass das Mädchen durchdreht und mir freiwillig diesen Körper vollständig überlässt. Ob ich sie also gewaltsam breche oder dir einen, nennen wir es Gefallen tue, spielt dann keine Rolle."
      Da blitzte wieder diese Neugier in den braungrauen Augen auf. Anifuris plante etwas, das Sylea umgehend spürte. Auch nahm sie wahr, dass er in ihren Erinnerungen zu blättern begann. Schmerzerfüllt verzog sie das Gesicht, zwang sich aber dazu, den Arm noch immer nach draußen stecken zu lassen.
      "Wir könnten damit anfangen und sehen, ob deine Schwester überhaupt noch lebt", schlug Anifuris vor und streckte eine Hand fordernd in Cains Richtung aus. Ein animalisches Lächeln umspielte seine Lippen. "Gib mir ein wenig deines Blutes und ich werde in Erfahrung bringen, ob eine dir ähnliche Blutlinie noch existiert."
      Sowas kannst du?! Sylea war schockiert.
      Oh, meine Liebe, wir können noch eine ganze Menge mehr.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Cain Desraeli beäugte jede Bewegung des fremden Bewusstsein mit einem gesunden Maß an Skpesis, aber dennoch beunruhigte ihn ein Satz sichtlich. Sicherlich hatte Anifuris die nötige Geduld um einfach abzuwarten, aber Langeweile schien über Zeit auf zu seinem Gegner zu werden. Die Vorstellung, dass er gewillst war Sylea zu Unterhaltungszwecken in den Wahnsinn zu treiben, hinterließ einen säuerlichen Beigeschmack auf seiner Zunge. Oder Cain stellte sich ihm als Versuchskaninchen zur Verfügung.
      Du wirst dir nie sicher sein können, dass ich das halte, was ich dir verspreche.
      "Das habe ich befürchtet," flüsterte der Seeker in den leeren Raum zwischen ihnen. Es gab also keine Möglichkeit Anifuris an sein Wort zu binden und das machte die ganze Sache so brandgefährlich. Cain setzte sich nur sein Leben aufs Spiel, sondern auch das aller Angestellten und anwesenden Menschen in dieser Basis. Konnte er wirklich mit so vielen Seelen spielen nur aus Egoismus? Nervös zuckten seine Finger.
      Am Ende des Tages würde der Seeker alles für seine Schwester tun.
      Der Entschluss blitzte in den bernsteinfarbenen Augen auf und besiegelte sein Schicksal, als er den linken Arm anhob und mit einem kurzen Zögern seine Handgelenk in die ausgestreckte Hand legte. Selbst die Berührung fühlte sich fremd an, als würde ihre Haut unter dem Einfluss von Anifuris eine ganze andere Temperatur ausstrahlen. Es lief ihm eiskalt den Rücken herunter, während er fest in die braunen Iren sah.
      Cain ließ sich willentlich von Anifuris anlocken, ganze wie eine Motte auf die tödliche und lodernde Flamme in ihr Verderben flog. Und wie eine kleine Motte konnte er nicht anders. Der Puls unter dünnen Haut an seinem Handgelenk raste, es war deutlich zu spüren. Der eigene Herzschlag pulsierte und rauschte so laut in seinen Ohren, dass er beinahe nicht anderes mehr hören konnte.
      "Nimm, was du brauchst...", sprach Cain und war selbst ein wenig verwundert darüber, wie fest und entschlossen seine Stimme klang. Er ließ sich verleiten und von der Aussicht auf Freiheit verführen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Anifuris Lächeln mutierte zu einem Grinsen, kaum hatte der Seeker sein Handgelenk in seine Hand gelegt. Es war so einfach mit Menschen zu spielen, wenn man wusste, was ihnen am Wichtigstens war. Für was sie alles über Bord werfen würden. Die Körperwärme eines Anderen strahlte von seiner Handfläche wie ein Sonnenstrahl. Beide Bewusstsein nahmen die Gleiche Wärme wahr, spürten den Puls und hörten die Worte, mit denen Cain dem mächtigen Wesen Erlaubnis erteilte.
      "Meine Güte, du brauchst nicht so theatralisch zu sein. Ich reiße dir schon nicht deine Pulsadern auf", sagte Anifuris und konnte sich eine Spur Hohn nicht verkneifen. "Mir reicht ein Finger."
      Mit den Worten schnappte seine Hand um, seine Finger schlossen sich um Cains Zeigefinger. Mit einer ruppigen Bewegung zog er den jungen Mann einen Schritt näher an sich heran. Hätte er damit gerechnet, hätte Anifuris ihn nicht so leicht bewegen können. Doch dank der Überraschung war es leichter gewesen. Die alte Seele führte Cains Zeigefinger an seine Lippen, öffnete sie und biss dem Seeker in die Fingerkuppe. Ein paar Tropfen Blut benetzten seine Zunge, der Geschmack von Eisen flammte in Syleas Wahrnehmung auf und ließ sie würgen.
      Das hast du wirklich noch nie gemacht, hm?
      Dieselbe Prozedur führte Anifuris mit seinem eigenen Finger durch. Dann drehte er seine andere Hand mit dem Handrücken nach oben um und begann mit seinem Blut eine einzige Rune auf dem Handrücken zu zeichnen.
      "Dann wollen wir mal sehen."
      Es ging so schnell, dass Sylea lediglich einen Strudel wahrnahm, den sie nicht entziffern konnte. Anifuris war in Realzeit nur ein paar Sekunden wie weggetreten. Niemand außer ihm selbst vermochte zu ahnen, was er da gerade tat. Als sich sein Blick wieder fokussierte, räusperte er sich. Anschließend drückte er auf seinen Zeigefinger, damit die Blutung stoppte. Die Rune auf dem Handrücken war wie durch Magie verschwunden und hinterließ lediglich einen schwachen bräunlichen Schatten.
      "Von deiner Blutlinie existieren noch einige auf Erden. Wobei ich allerdings nur eine spüren konnte, die jünger als du war und sich ähnelt Ich würde sagen, sie existiert in irgendeiner Form noch da draußen."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die spöttischen Worten ließen seine Augenwinkel gefährlich zucken, aber Cain biss sich auf die Zunge und unterdrückte den Impuls seine Hand wieder zurückzuziehen. Doch dafür war es bereits zu spät. Mit einer Mischung aus Schock und Faszination folgte sein Blick der Bewegung ihrer Hände und Cain hielt den Atem an, als warmer Atem die Nerven seiner Fingerkuppe traf. Ein Ruck ging durch seinen Körper, als ein spitzer Eckzahn sich in sein Fleisch senkte und die dünne Haut seines Fingers durchbohrte. Der Seeker atmete scharf ein und ballte seine freie Hand zu einer verkrampften Faust. Schmerzen waren ihm nicht fremd, aber vermutlich hätte er mit etwas Ähnlichem rechnen sollen. In dieser Zelle gab es kein Messer oder etwas in der Art.
      Cain warf einen Blick auf die blutige Rune und sah zu, wie diese langsam in der Haut versank bis nur noch ein fahler Schatten davon übrig war. Eine solche Technik hatte er noch nie zu Gesicht bekommen, vermutlich weil er gewöhnlich nicht so nah an seine Zielobjekte herankam gewschwiege denn sich mit ihnen unterhielt oder ihnen Frühstück brachte.
      "Entweder meine Schwester lebt und ist noch bei Verstand oder Scintilla hat ihren Bewusstsein bereits verdrängt, um ihren Körper für sich zu beanspruchen." Das waren die einzigen beiden Möglichkeiten, die es noch gab, wenn Anifuris ein lebendiges Wesen aufgespürt hatte. Eine 50/50 Chance seine Schwester zu retten und die Quote reichte dem Seeker fürs Erste.
      Cain blickte auf seine Fingerkuppe aus der noch immer Blut hervor quoll, ehe er den Saum seines T-Shirts hervorzog und auf die kleine Wunde drückte. Ein Streifen gebräunter Haut kam dabei zum Vorschein. Aus dem Hosenbund seiner Jeans lief eine blasse, fast weiße Narbe über die linke Seite seines Bauches hinauf. Das Ende war bei dem winzigen Stückchen Haut nicht zu erkennen, aber sie wanderte offensichtlich weiter herauf.
      Aus dem Augenwinkel blickte Cain die Gestalt des Mädchens an und fragte sich, wie lange Sylea dem fremden Bewusstsein noch die Kontrolle überlassen würde. Eine Berührung hatte ausgereicht, um Sylea aus dem Konzept zu bringen. Nachdem Anifuris ihn sogar willentlich gebissen hatte, glaubte er nicht daran, dass diese Methode bei dem alten Wesen funktionierte.
      "Gehen wir theoretisch davon aus, dass ich dir glaube. Was verlangst du für deine Hilfe?"
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • "Unter der Sonnen wandeln zu können. Dorthin zu gehen, wohin der Wind mich treibt."
      Das klang unfassbar kitschig und tiefgreifend zugleich. Keine anderen Worten trafen aber das besser, was dieses alte Bewusstsein sich wünschte. Selbst Sylea in ihrem Kokon spürte den Wunsch der Seele nach Freiheit. Sie war auf der Suche nach etwas, dessen Name sie nicht kannte. Ein Hauch Wehmut, der nicht ihr eigener war, schwappte über Sylea hinweg.
      "Ich weiß, dass es dir vermutlich keine Sicherheit gibt. Aber ich werde sicherlich nicht jeden umbringen, der in mein Blickfeld gerät." Beiläufig leckte er sich über die Lippen, als müsse er noch Spuren beseitigen. "Aber ich muss doch ausprobieren, zu was dieser Körper in der Lage ist."
      Sylea schauderte. Noch nie war ihr in den Sinn gekommen, dass die Macht der Seelen davon abhängen könnte, in welchem Körper sie steckten. So wie es klang hatte er in ihr etwas gefunden, was ihm Sicherheit verlieh. Darüber hinaus hatte er sie vorhin gefragt, ob sie diese Blutrunen schon einmal genutzt hatte. In ihrem Gefängnis runzelte sie die Stirn. War das etwas gewesen, das von Anifuris stammte oder etwas tief aus ihren Erinnerungen? Er hatte sie vorhin nach etwas durchsucht, wenn sie sich richtig entsinnte.
      Das stimmte das Mädchen nicht unbedingt besser. Stattdessen überlegte sie sich den nächsten Ansatz, wie sie durch den Kokon brechen konnte.
      "Aber ja, das Blind Eye da ruiniert deinen Aurenfluss. Was auch immer die Menschen da zusammenmischen, es verändert etwas sogar in deinem Blut. Blut dient seit jeher als Katalysator. Ergibt eigentlich nur Sinn, dass sie euch dort beschneiden." Das waren reine Spekulationen, die Anifuris hörbar von sich gab, damit Cain darauf reagieren konnte. Aus dem Augenwinkel registrierte er die Narbe, die sich vom dunkleren Hautton abhob. Ihn störte es allerdings nicht weiter.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die ehrliche Antwort seines Feindes überraschte Cain und traf ihn völlig unvorbereitet. Was ihn jedoch am meisten verwunderte, war das wehmütige Gefühl nach Freiheit. Es fühlte sich an, als hänge ein unsichtbares Gewicht an seinem Körper. Eine Last aus schweren Felsbrocken, dass ihn an Ort und Stelle hielt und ihm das Gefühl gab am Boden fest gekettet zu sein. Zu seiner Verwunderung waren das die ersten Worte die Cain ohne jeden Zweifel glauben schenkte. Vermutlich weil er Ähnliches verspürte, wenn er durch diese Hallen und Korridore wanderte. Eigentlich sehnte sich der Seeker nach Freiheit und einem normalen Leben, seit man ihm die Wahl genommen hatten. Auch er war nur ein Gefangener und ein Werkzeug, für alternde Männer und Frauen in ihrem hohen Elfenbeinturm.
      Cain schluckte einen steinigen Brocken in seinem Hals herunter und sah auf seinen Finger. Die kleine Wunde hatte bereits aufgehört zu bluten und würde in wenigen Tagen schon nicht mehr zu erkennen sein.
      Kurzentschlossen straffte Cain die Schultern und wo Anifuris wieder von ihm Abstand genommen hatte, machte der Seeker einen unerwarteten Schritt nach vorn. Die Entfernung zwischen ihnen verringerte sich ein weiteres Mal, während er in die braunen Augen blickte, als würde er Sylea hinter den Seelenspiegeln suchen. Die goldenen Iren flackerten im Schein der Neonröhre an der Decke.
      "Einen Weg aus diesem Trakt zu finden, wird nicht leicht. Bis auf die Zellen sind alle Flure und Räume mit Kameras ausgestattet." Es wunderte ihn selbst, dass niemand weitere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hatte. Aber vermutlich traute sich niemand in die Nähe von Anifuris. Da benutzt man ihn lieber als Versuchskaninchen und Köder. Immerhin war Cain ersetzbar.
      Vor dem zierlichen Körper der Rubra hielt er inne, es war kaum noch ein halber Meter zwischen ihnen. Unter seiner Haut waren die Muskeln und Sehnen jeder Zeit bereit sich fluchtartig in Bewegung zu setzen. Er ging ein enormes Risiko ein.
      "Wenn du deine Freiheit erlangst," begann er nun mit gedämpfter, rauer Stimme in den Raum zwischen ihnen zu sprechen. "Was geschieht mit Sylea? Ich vermute sie freizugeben, ist nicht Teil deiner Zukunftsplanung?" Die Antwort darauf würde ihm vermutlich nicht gefallen, aber er musste es wissen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Anifuris bewegte sich keinen Zentimeter. Sein entspannter Blick war verschwunden, stattdessen beäugte nun er leicht misstrauisch den Seeker, der sich ihm einfach immer weiter näherte. Der Widerspruch zu dem, wie er die vergangenen Male gehandelt hatte, war einfach zu groß. Ja, er wusste wie es aussah, wenn Menschen verzweifelt nach dem letzten Strohhalm der Hoffnung griffen. Aber das hier war lebensmüde.
      Du hast selbst gesagt, er tut alles für seine Schwester. Sylea brummte diese Bemerkung, beäugte die Situation aber ebenso misstrauisch.
      Sicher. Aber er weiß, dass wir ihn einfach zerfetzen können. Das bringt ihm sein Ziel nicht näher.
      Sylea spürte aufrichtige Verwunderung. Das ist nicht mehr der letzte Strohhalm an dem er festhält. Er befindet sich schon längst im freien Fall.
      Sachte hoben sich Anifuris Augenbrauen, als ihn und Cain nur noch fünfzig Zentimeter trennten. Der Anspannung des jungen Mannes war so groß, dass selbst das alte Bewusstsein sie spüren konnte. Täte er eine verdächtige Bewegung, wäre der Seeker handlungsbreit. Das führte seine Gedanken in eine gänzlich neue Richtung: Wie kampferprobt ist der Junge eigentlich?
      "Wenn du deine Freiheit erlangst," begann Cain nun mit gedämpfter, rauer Stimme in den Raum zwischen ihnen zu sprechen. "Was geschieht mit Sylea? Ich vermute sie freizugeben, ist nicht Teil deiner Zukunftsplanung?"
      Sylea sah in ihrem geteilten Geist eine schier unendliche Masse an Worten vorbeiziehen. Anifuris überlegte, welche Worte er nutzen wollte und sollte, um das auszudrücken, was er nun brauchen würde. Wäre Sylea nicht in ihrem Kokon gefangen, würde die Flut an Worten über sie hereinbrechen und vermutlich jede Synapse durchbrennen lassen. Sie schluckte unwillkürlich. Das war gemeint, als man nach ihrer geistigen Verfassung gefragt hatte.
      "Ich nehme an, du möchtest die Wahrheit hören?", erwiderte Anifuris, sein Tonfall war jener, der für alle Parteien völliges Neuland war. Er sprach mit Vorsicht, wählte seine Worte mit Bedacht und sprach sie langsam aus. Seine Augen verweilten auf dem jungen Seeker, um jederzeit zu reagieren, sollte er sich vor ihm in Bewegung setzen.
      "Du müsstest ihre Akte gelesen haben. Steht da nicht drin, was genau geschehen ist, nachdem man sie mir vorgesetzt hat? Ihr kindlicher Geist hat meinem nicht standhalten können. Sie ist damals bereits gestorben. Sie lebt nur deshalb noch weil unsere Seelen so sehr miteinander verwoben wurden, dass meine Unsterblichkeit auf sie übergegangen ist. Verlasse ich ihren Körper, kehrt sie zu dem Zustand zurück bevor ich sie wiederbelebt habe."
      Sylea wich jede Farbe aus dem Gesicht. Das hatte ihr so niemand berichtet. Kraftlos sackte ihr Arm nach unten und verschwand hinter den Fäden des Kokons. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
      Wenn sie Anifuris austrieb, war das ihr sicheres Todesurteil.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Cain Desraeli fühlte, wie eine eiskalte Welle durch seinen Körper ging, als habe jemand einen Eimer mit Eiswasser über seinem Kopf entleert.
      Also würde Sylea sterben, wenn jemand den törichten Versuch unternahm Anifuris aus ihrem Körper zu bannen. Der fremde Eindringling hielt das Mädchen zwangsläufig mit seiner eigenen Kraft am Leben. Oder handelte es sich nur um eine kluge Schutzbehauptung, um sich vor möglichen Konsequezen zu schützen.
      Der Seeker presste die Kiefer so fest aufeinander, dass die Knochen beinahe weiß unter der gebräunten Haut hervortraten. Das konnte nicht stimmen. Cains rasender Verstand weigerte sich die Worte als Wahrheit aufzufassen. Obwohl er die Akte gelesen hatte und sich die Aussage von Anifruis wie ein fehlendes Puzzleteil in das gesamte Bild einfügte, sperrte sich Cain dagegen. Wie sich Sylea in diesem Moment fühlte musste, mochte er sich gar nicht vorstellen. Es musste niederschmetternd sein, wenn es keine Aussicht mehr darauf gab den eigenen Kopf und Körper jemals wieder für sich alleine zu haben. Und es war allein Anifuris Wohlwollen, dass sie noch bei klarem Verstand war.
      Für einen Augenblick rückte der aberwitzige Plan seine Schwester zu befreien in den Hintergrund. Der Seeker verlor die Kontrolle über seine angespanten Muskeln und überbrückte die letzten Zentimeter zu Anifruis. Mit beiden Händen fasste er nach dem dünnen Kragen des T-Shirts und spührte am Rande die Wärme, die der Körper vor ihm ausstrahlte. Bei jedem Atemzug streiften sich ihre Körper fast.
      "Du lügst...", knurrte Cain und die bernsteinfarbenen Augen, in denen die Aura förmlich aufflammte, fixierten Anifuris.
      Die goldene Aura um den Seeker geriet außer Kontrolle und dehnte sich unter dem Zorn um ihn aus. Wilde Wirbel aus Gold schlugen pulsierend in alle Richtungen aus.
      Als er in die braunen Augen blickte, suchte er nicht Anifuris sondern das Mädchen, dass ihn ebenso hören konnte.
      "Sylea. Du musst kämpfen.", versuchte er sie zu ermutigen. "Ich weiß, dass du mich hörst. Kämpfe, verdammt nochmal."
      Sie würden eine Lösung finden. Irgendetwas musste sie tun können, aber zuerst musste Sylea die Kontrolle über ihren Körper wieder bekommen. Es plagte ihn das schlechte Gewissen und er war ebenfalls bereit ihre Wut zu empfangen, sobald sie wieder Herrin über ihren eigenen Körper war.
      “We all change, when you think about it.
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    • Anifuris seufzte kaum hörbar als er sah, dass sich ein neuer Farbton unter das Bernstein in Cains Aura mischte. Das matschige Braun war erst nur spärlich zu sehen, doch es schwoll mit jeder Sekunde an. Bis es plötzlich in Zinnober umschlug und mit dem Bernstein um die Vorherrschaft kämpfte. Cain packte ihn so schnell am Kragen, dass die alte Seele überrascht aufkeuchte. So schnell hatte er den Jungen nicht eingeschätzt. Umgehend ergriff er mit beiden Händen Cains Handgelenke und hielt sie vorerst an Ort und Stelle.
      "Meinst du nicht es ist unklug, dich absichtlich in direkten Körperkontakt mit mir zu begeben?", flüsterte er leise, eine unausgesproche Warnung stand im Raum.
      Sylea im Inneren war auf ihre Knie gesunken und starrte das Innere ihres Kokons an. War dieser Ausgang wirklich so festgeschrieben? Lag es daran, dass sie eine Rubra war und ihr Schicksal erfüllte? Würde sie ihr Leben lang mit der Seele zusammen existieren oder war sie wirklich nur auf seine Willkür angewiesen?
      Anifuris stöhnte leise, als das Zinnober wie eine Flamme auf sein Königblau überschlug. Was für eine gewöhnliche Person einfach wie die Verletzung seiner Privatspähre war, löste bei ihm Unbehagen aus. Seelen wie seine waren übersensibel wenn sich zwei Auren ungeschützt trafen. Und Zorn war eine extrem starke Emotion.
      "Es tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, aber deine Fragerunde hat sich nicht sonderlich gut auf ihre Psyche ausgewirkt", klärte er den Seeker auf, der ihn noch immer am Kragen gepackt hatte. Statt des spöttischen Lächelns hatte er seine Augen nun zu Schlitzen verengt. Cains Zorn brannte wie Feuer auf Anifuris Haut. Er musste Abstand zwischen sich gewinnen.
      Er schnaubte, als er seinen Griff verstärkte. Statt sich gegen das Zinnober zu wehren griff er gezielt danach. Er ballte die gesamte Farbe zu einem Ball, entriss sie Cain, nur um ihm den ganzen Zorn wie ein Baseball vor den Kopf zu werfen. Sein Griff um die Handgelenke löste sich als der Seeker schwer getroffen nach hinten taumelte. Es reichte, um ihn kurz von sich weisen zu können. Da es sich aber um seine eigene Emotion handelte, gliederte sie sich schnell in seine Aura ein und der junge Mann bekam sein Gleichgewicht beinahe umgehend zurück.
      Gedanklich wandte sich Anifuris zu Sylea um. Er hatte gespürt, wie sich ihr Blick gehoben hatte, als sich ihre Atemzüge vermischt hatten. Das bisschen hatte gereicht, damit die Seele begriff, wie sich das Mädchen am ehesten erden ließ. Er rümpfte abschätzig die Nase.
      Selbst wenn ihr einen Weg findet uns zu trennen - du kannst den Lauf der Natur nicht umkehren.
      Sylea schwieg. Das Gesetz der Natur war ihr durchaus bewusst. Wenn ihr Dasein davon abhing, dass Anifuris als Quelle fungierte, dann musste sie damit umgehen. Damit arbeiten.
      Schön. Dann trennen wir uns eben nicht. Dann muss ich dich halt wegsperren.
      Er lachte lauthals auf, so ungebremst, dass es sich sogar in der Realität widerspiegelte. Du schaffst es doch nicht mal aus deinem Gefängnis da raus. Wie willst du mich dann bitte bannen?
      Frustriert schrie sie auf. Er hatte Recht. Sie konnte sich nicht mal aus ihrem eigenen Gefängnis befreien.
      Da stockte sie. Es war ihr eigenes Gefängnis.
      Sie hatte den Kokon das erste Mal erstellt, um das andere Bewusstsein von sich zu isolieren.
      In dem Moment taumelte Anifuris in ihrer Gefängniszelle rückwärts. Er stolperte über seine eigenen Füße, das Gesicht sichtlich angepisst verzogen. Unsanft fiel er auf den Sandsteinboden, seine Hände schossen zu seinen Schläfen. Sie hatte durch ihn erkannt, wie sie die Kontrolle zurückbekam.
      Innerhalb Sekunden begann sich der Kokon aufzulösen. Dieses Gefängnis stammte aus Syleas eigener Hand. Sie hatte sich buchstäblich selbst damit gebunden, so sehr wünschte sie sich die Trennung von dem anderen Bewusstsein. Aber wenn sie ohne ihn sterben musste, dann müsste sie ihn als Teil ihrer Selbst akzeptieren. Das war der erste Schritt zu Coexistenz. Wie konnte sie die Worte Farinas vergessen?
      Anifuris stöhnte schmerzerfüllt auf, als er von Syleas Bewusstsein verdrängt wurde. Seine Aura schrumpfte, wurde zu der dünnen Linie, die zuvor Syleas Silberstreif gewesen war. Sie tauschten die Positionen, ganz offensichtlich zum Missfallen der alten Seele. Als Sylea wieder ihre Füße, ihre Hände auf dem rauen Stein spürte, sie diejenige war, die blinzelte, hob sie den Blick. Auf der andren Seite des Raumes stand Cain mit dem Rücken zur Wand. Es musste furchtbar ausgesehen und sich angehört haben, als sie Anifuris in seine Schranken wies. Er war noch immer da, als stünde er nur einige Schritte hinter ihr. Allerdings war da nicht mehr der Kokon von vorhin. Stattdessen hatte sie ihm Fesseln angelegt.
      Als Syleas und Cains Blicke sich trafen, beide schwer atmend, brach das Mädchen in Tränen aus. Es waren keine Tränen des Zornes oder der Erschöpfung. Sie wusste, dass das alte Bewusstsein die Wahrheit gesprochen hatte.
      "Ich bin eigentlich schon tot", schluchzte sie, mischte sich mit einem unkontrollierten Aufheulen.
      Anifuris in ihrem Inneren schwieg. Man hätte sogar fast sagen können, dass er für einen Moment andächtig den Blick gesenkt hatte.

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    • Um seine Handgelenke spürte Cain den eisernen Griff von Anifuris. Offensichtlich passte es dem feindlichen Bewusstsein nicht, dass sich der Seeker so nah in seinen persönlichen Raum vorgewagt hatte. Ein triumphierendes Gefühl endlich einen Weg gefunden zu haben Anifruis ein wenig aus dem kalkulierten Gleichgewicht zu bringen. Obwohl der klammernde Griff jetzt beinahe schmerzhaft wurde, strafte Cain die Seele mit völliger Ignoranz.
      "Du bister stärker als er er.", sprach er nur an Sylea gewandt und hoffte, dass die kleine Ablenkung ihr einen Weg ermöglichte sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen und aus ihrem Gefängnis zu befreien. Vorauf er nicht vorbereitet war, war die Tatsache, dass Anifuris ihm nun seine eigene Wut wie ein Wurfgeschoss entgegen schleuderte. Blinder Zorn erfüllte seinen Kopf und ließ den Seeker ruckartig zurück taumeln. Es fühlte sich beinahe an, als hätte ihn ein Schlag mitten ins Gesicht getroffen. Für einen kurzen Moment verlor er fast den Boden unter den Füßen und fand erst Halt an der kalten Betonwand in seinem Rücken. Scharf atmete er ein und schüttelte den Kopf, um seinen Verstand zu klären und die brennende Wut wieder unter Kontrolle zu bekommen. Cain wollte sich erneut auf Anifuris stürtzen und ermahnte sich gedanklich, nicht so grob zu sein. Immerhin war es immer noch der Körper einer zierlichen jungen Frau und er wollte Sylea nicht verletzen. Zumindest nicht mehr, als er es eh schon getan hatte.
      Da fuhr ein Ruck durch besagten Körper und Anifuris taumelte seinerseits, wankte auf den Füßen wie ein dünner Zweig im Sturm.
      Cain zwang sich regungslos zu bleiben und beobachtete mit Schrecken, wie sich der Körper krümmte und unter scheinbaren Schmerzen bog. Wie ein wildes Tier brüllte und fauchte das Bewusstsein, als ihm langsam aber stetig die Kontrolle entglitt. Auf allen Vieren sackte Syleas Leib zu Boden. Seine Hände zuckten an seinen Seiten, als er nach ihr greifen wollte, um sie vor dem Aufprall auf den Beton zu schützen.
      Erst das verzweifelte Schluchzen weckte Cain aus seiner selbstauferlegten Starre. Obwohl er die besagte Tür zu seinem Kopf sorgsam verschlossen hielt, benötigte er nicht seine Empathie um ihre Trauer und ihr Leid zu spüren. Es reichte ihr ins Gesicht zu sehen und die heißen Tränenspuren auf ihren Wangen zu erblicken. Was hatte er getan?
      Die junge Rubra trug bereits eine tonnenschwere Last auf ihren Schulter und er hatte rücksichtslos noch mehr dazu getan.
      Was dann kam, dagegen konnte sich auch Cain nicht wehren. Vorsichtig stieß er sich von der Wand ab und näherte sich langsam der kauernden Gestalt am Boden, die ihn mit tränenverschleierten Augen ansah.
      "Es tut mir so, so leid, Sylea.", brachte er würgend und mit Abscheu auf sich selbst hervor. Bedächtig ging er vor ihr ebenfalls auf die Knie. Sie konnte versuchen ihn zu schlagen oder nach ihm treten, er hätte sie gelassen. Cain nahm all das in Kauf, als er einen Arm um ihre bebenden Schultern legte und das weinende Mädchen an sich zog. Er konnte einfach nicht anders.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”