Vessels [Asuna & Winterhauch]

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    • Die sanfte Berührung der Hand an seinem Rücken ließ Anifuris eher alarmierter als entspannter wirken als er Mortimer im Halbdunkel ins Gesicht starrte, der seinen Blick mit ebenso großer Intensität begegnete. Das seltsam anmutende Grinsen war noch immer auf den Lippen des Mädchens zu sehen während Anifuris ganz genau wusste, dass der Bibliothekar nicht verstanden hatte, was ihm gerade gelungen war. Und es ihm auf der Seele brannte, das Wissen zu aquirieren. Doch noch bevor auch nur einer von ihnen etwas sagen konnte, klickte es.
      Ein leises Klicken, das für Unwissende alles mögliche in der Welt hätte sein können. Doch beide Seelen, Jahrhunderte und Jahrtausende alt, kannten dieses Geräusch, das nur die Sicherung einer Schusswaffe von sich gab. Ihre Blicke richteten sich auf Cain, der sich aufgesetzt hatte und die Handfeuerwaffe auf sie gerichtet hatte. Er wirkte desorientiert, bekam scheinbar nur schwer Luft und seine Aura war ein einziges Chaos.
      Allein das war schon bemerkenswert. So bemerkenswert, dass Anifuris einmal kurz die Tatsache ausnutzte, dass Mortimer das Vessel noch immer am Rücken berührte und der Seelendieb so eine direkte Verbindung ihrer Auren herstellen konnte. Als das Purpur das Grün des Archivars berührte, erzitterte Anifuris' ganzes Selbst kurz unter dem schieren Alter, mit dem er ihn übertrumpfte. Er ging nicht weiter drauf ein, ließ nur das Purpur wie ein Filter darüber hinweggleiten und gewährte dem Babylonier einen ganz kurzen Einblick in die Aurensicht. Und damit Sicht auf den goldenen Sturm, der gerade um Cain tobte. Es dauerte nur wenige Sekunden der Stasis an ehe sich ihre Verbindung wieder löste und es wieder so war als sei nichts geschehen. All dies geschah ohne auch nur eine einzige Bewegung der Vessels, die noch immer am Boden verharrten.
      Selbst Anifuris war sich nicht sicher, wie es korrekt gewesen wäre, dem Seeker zu antworten. Was auch immer er mit seiner Seele angestellt hatte schien ihn näher an seinen Ursprungszustand zurückzubringen als erwartet. Aber etwas stimmte nicht, nicht gänzlich. Es kribbelte im Kopf des Diebes weil er spürte, dass Cains Seele arbeitete. Aber zu welchem Zweck konnte er nicht bestimmen.
      "Sie sitzt vor dir", antwortete Anifuris fast genauso leise, spürte allerdings nichts von dem Mädchen in sich.
      Selbst seine Manipulation an ihrem Bewusstseinsstaub schien sie nicht zurückzuholen. Diese Erkenntnis ließ das tot geglaubte Herz der alten Seele einen Sprung machen. Was auch immer sie getan hatte - scheinbar hatte sie sich wirklich verabschiedet oder war dermaßen aufgelöst, dass der Anker gewaltig sein musste, der sie wieder hervorbrachte. Vielleicht hatte er das erste Mal nicht nur alle Mittel, sondern auch noch wahrhaftig freie Hand.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die Berührung grenzte an Fahrlässigkeit.
      Allerdings war eine mächtige Seele wie der Babylonier es gewöhnt so gut wie unantastbar zu sein. Eine Charakterschwäche, die ihn zwangsläufig im Wandel der Zeit irgendwann die Exitestenz kosten würde an die er sich mit aller Macht klammerte. Der Ewigkeit überdrüssig zu sein und gleichzeitig die Endgültigkeit des Sterbens zu akzeptieren, verstand lediglich jemand der ebenso lang lebte wie der Bibliothekar. Insgeheim fürchtete sich jeder vor dem Ende und vor der Bedeutungslosigkeit der eigenen Seele sobald sie in abermillionen winziger Brüchstücke zerstob.
      Die feingliedrigen Finger des Babyloneirs zuckten unwesentlich auf dem schmalen Rücken. Die Handfläche kribbelte unter den unsichtbaren Füßchen abertausdener winziger Ameisen. Wie lange war es her, dass eine fremde Aura ihn berührt hatte? Die Empfindungen schwankten zwischen unangenehm und faszinierend. Jedoch überwog die unmissverständliche Neugierde in der Sekunde, als sich ein Meer aus leuchtenden Farbspielen vor seinen Augen auftat.
      Einem glühenden Sandsturm gleich stob die goldene Aura des Seekers in alle Himmelsrichtungen. Einem lebendigen Puls gleich zog sich das Gold an den physischen Körper zurück um nur wenige Augenblicke später erneut auszudehnen. Dabei tat die Aura dies in einem unregelmäßigen Rhythmus, wie ein Herz, das ins Stoplern geraten war. In seinem peripheren Sichtfeld schimmerten ein kräftiges Smaragdgrün mit einem leuchtenden Puprur. Während das Gold den Raum mit einer fast hitzigen Wärme erfüllte, wirkte das Grün glatt und kalt wie ein geschliffener Edelstein.
      Ein schwer deutbares Lächeln verzog die ebenmäßigen und jugendlichen Gesichtszüge des Bibliothekars. Der Hauch von Enttäuschung, als sein Blickfeld sich wieder normalisierte, ließ sich nicht vollständig unterdrücken.
      Das leise Flüstern direkt neben dem Konstrukteur lenkte den Fokus wieder auf das durchaus gefährliche Problem in Form eines möglichen Projektils zwischen seinen Augen. Mortimer bemerkte ein minimales Zucken im Augenwinkel des desorientieren Mannes, dessen Hand mit der Waffe verräterisch zitterte. Was der Babylonier allerdings nicht mehr zu sehen bekam, war der absolute Stillstand des goldenen Sturms, als Sylea geflüsterte Worte in der Dunkelheit des Raumes erklang. Mit einem lautlosen Paukenschlag zog sich die Goldaura schlagartig zurück und glättete sich wieder zu einer friedliche, neutralen Oberfläche. Was blieb war ein schwaches und zu irgnorierendes Stechen in seiner Brust.
      Cain presste die Hand fest gegen seinen Brustkorb und blinzelte mehrmals hintereinander. Der tranceartige Ausdruck seiner Augen klärte sich mit jedem Wimpernschlag ein weinig mehr. Ein schwerer Atemzug kämpfte sich quälend in seinen Lungen ehe der Seeker langsam und kontrolliert wieder ausatmete. Für den Bruchteil einer Sekunde spiegelte sich die reinste Form von Verwirrung in seinem Gesicht wieder. Er erinnerte sich nicht daran, nach seiner Waffe gegriffen zu haben. Hatte jemand gesprochen?
      Verdächtig waren jedoch die zwei Gestalten die vor seinem Bett am Boden kauerten. Wachsamkeit funkelte in seinen Augen, als er die Waffe etwas senkte. Die Ruhe, die ihn erfasste fühlte sich richtig und falsch zugleich an.
      "Nein, ist sie nicht...", knurrte Cain erstaunlich ungehalten und erinnerte damit eher an den selbstlosen jungen Mann, obwohl er den Sinn seiner eigenen Worte nicht begriff.
      Ein weiteres Blinzeln und auch der Gesichtsausdruckt nahm eine gleichgültige Neutralität an.
      Der Zauber war vorbei.
      "Haben wir dich geweckt, mein Guter?", flötete Mortimer fröhlich wie aus dem nichts. "Mein lieber Anifuris hat mich daraum gebeten ein wenig von meinen einzigartigen Fähigkeiten vorzuführen, da wir leider nicht mit einem gesunden Schlaf gesegnet sind. Offenbar habe ich mich etwas hinreißen lassen."
      Cains Augen schmälerten sich angesichts der dreisten und wirklich schlechten Lüge, die er mangels einer besseren Erklärung vorerst hinnahm. Etwas pochte in einerm Hinterkopf, ein lästiger Gedanke, der einem einfach nicht einfallen wollte. Sichtlich frustriert schwang der Seeker die Beine aus dem Bett. Er war hellwach und würde heute Nacht keinen Schlaf mehr finden, das wusste er. In Kürze hatte er sich vollständig angezogen und warf einen wortlosen Blick über die Schulter zu seinen beiden fragwüridgen Begleitern bevor er durch die Tür und für den Rest der Nacht verschwand.
      "Macht, was ihr wollt. Ich bin nicht euer Kindermädchen."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”

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    • Egal was sich in diesen Minuten oder vielleicht auch nur Sekunden abzuspielen gedachte - Anifuris konnte nicht anders als fasziniert den jungen Mann anzustarren, der unter seiner Auraschicht noch andere Veränderungen durchlief, die nur der Seelendieb fühlen konnte. Wie jahrunderte altes dickes Eis, das einen Sprung in seiner gewaltigen Masse erfuhr und das Knacken so laut und unheilvoll durch das gesamte Konstrukt schallen ließ, dass es einem Angst und Bange wurde.
      Es dauerte erschreckend viele Sekunden bis Cain sich seiner wieder bewusst wurde und offensichtlich verwirrt die Waffe senkte, die er völlig unterbewusst gezogen hatte. Keiner von ihnen hatte mitbekommen, dass er eine mit sich führte und erst recht nicht wie er sie unter sein Kissen geschmuggelt hatte. Seine Reaktion war reine Routine gewesen, unterbewusstes Handeln, das es nicht wissentlich kontrolliert hatte. Was auch immer Anifuris dort angestellt hatte; es war gebrochen und hatte seine Wirkung auf den jungen Mann verloren.
      Mortimers erheiterte Stimme riss den Seelendieb schließlich völlig aus seinem Konzept. Dessen Lüge war so fadenscheinig, dass selbst Anifuris leicht angewidert das Gesicht verzog. Es war eine Sache, wirklich nicht lügen zu können. Eine gänzliche andere, es aus Spaß an der Freunde gar nicht erst richtig zu versuchen.
      Während sich Anifuris langsam wieder aufrappelte hatte sich Cain bereits angezogen und verschwand durch die Tür ins Nichts. Nachdenklich blinzelte die alte Seele ihm hinterher ehe er nur leise seufzte und sich zu seinem Bett zurückbegab. Ausladend ließ er sich auf die Matratze fallen, ein seltsames Gefühl der Wehmut machte sich in seinem Inneren bemerkbar. Es dauerte nicht weniger lange bis er feststellte, dass es nicht seine Emotion war. Zumindest nicht vollständig.
      "Schade. Scheinbar hat es nicht so lange gehalten, wie ich gedacht habe", brach er schlussendlich das Schweigen und sah dabei zu wie der Babylonier seine eigenen Kreise zog. "Ich habe ja schon lange widerlegt, dass die Seele eines Lebewesens unantastbar ist. Aber bis heute habe ich auch geglaubt, dass sie nicht veränderbar ist. Diese wenigen Momente zeigen jedoch, dass es sehr wohl möglich ist."
      Erst jetzt, völlig verspätet, schüttelte es seinen Körper in einem heftigen Anfall. Es sah aus wie Schüttelfrost, dabei befreite sich seine Aura nur von den letzten Resten des Smaragdgrüns, das sich fast wie natürlich von seinem Purpur abgestoßen zu fühlen schien. Dieses Phänomen hatte er schon öfter beobachten können wenn er mit mächtigen Seelen in Kontakt trat. Eine vergleichbar heftige Reaktion hatte er allerdings schon länger nicht mehr.
      "Ich bin mir wirklich nicht sicher, wie lange sich dieser Zustand hält. Bisher würde ich sagen, dass sich das Bewusstsein des Mädchens hier fast aufgelöst hat. Aber eben nur fast. Scheinbar ist es fast egal, was der Seeker versucht, er dringt nicht zu ihr durch. Ich bin mir echt nicht sicher, was das soll..."
      Sein Blick driftete Richtung Fenster ab, wo der Regen noch immer gegen die Scheibe prasselte.
      "Wieso hast du versucht, den kleinen Seeker zu belügen?"

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    • Der Babylonier grinste in der Dunkelheit.
      Mit einem glucksenden Kichern lehnte sein Rücken am hölzernen Rahmen des Hotelbettes während sein Blick auf die Tür gerichtete war, die geräuschvoll zürück ins Schloss gefallen war. Die Verwirrung im Gesicht des Seekers war einfach zu köstlich gewesen. Der Junge war wirklich nicht dumm, aber schien für den Augenblick seinen Fuß direkt auf der Leitung geparkt zu haben. Der Seelendieb konstruierte eine bemerkenswerte und geschickte Manipulation desSeelenkerns, obwohl sich dieser wehement dagegen sträubte. Das Unterbewusstsein, gesteuert durch reinsten Instinkt, wehrte sich gegen den unnatürlichen Zustand. Sicherlich hatte sich der Seeker willentlich einen Teil seines Wesens entreißen lassen, aber Unterbewusstsein und Verstand gingen nur in den seltensten Fällen Hand in Hand.
      "Hättest du ihm lieber die Wahrheit erzählt?", fragte Mortimer und ließ den Kopf in den Nacken fallen.
      Im Schattenspiel der Nacht glühte die grüne Iris seiner Augen wie die eines Raubtieres auf der Pirsch. Einzelne, rabenschwarze Strähnen fielen ihm verirrt in die Stirn als er den Kopf etwas zur Seite kippte um Anifuris besser ansehen zu können.
      "Abgesehen davon, dass er uns sowieso kein einziges Wort geglaubt hätte, war ich neugierig wie dein Schoßshündchen reagiert.", flüsterte Mortimer beinahe in das stille Hotelzimmer. "Die spontane Verwirrung über meine offensichtlich plumpe Lüge war die erste ehrliche Reaktion, die er in den letzten Stunden gezeigt hatte. Selbst sein Zorn nach unserer Rückkehr wirkte leer und helbherzig. Uner gerade noch sagte er ihren Namen mit solcher Sehnsucht, obwohl er das vertraute Gesicht keines zweiten Blickes würdigt seit ich zu euch gestoßen bin.
      Also, ja. Ich gebe dir vollkommen Recht. Sein Unterbewusstsein wehrt sich und du verlierst Stückchen für Stückchen die Kontrolle."
      Mit einem plötzlichen Ruck richtete sich der Babylonier auf und drückte sich vom Boden hob. Ein leises Lachen erklang dumpf, als würde er sein Gesicht in die eigene Schulter drücken, wobei er sich mit den Händen auf den Knien aufstützte.
      Der Bibliothekar streckte schließlich genüsslich den Rücken durch unde zog etwas aus seiner Tasche. Ein weiterer filigraner Schlüssel funkelte in seinen Händen. Eine mögliche symbolische Geste, denn er ließ das kühle Metall gemächlich durch seine schlanken Finger gleiten.
      "Egal, was das Bewusstsein deines Vessels in seinen gelösten Zustand versetzt hat...Ich bin mir sicher es braucht nur den richtigen Schlüssel.", damit rutschte der tatsächliche Schlüssel in seiner Hand zurück in seinen Ärmel und verschwand.
      Einen Schlüssel aus reinstem Gold, der allerdings nicht aus dem wertvollen Edelmetall bestand.
      Mortimer zweifelte nicht daran, dass die Seele des Mädchens antworten würde, sobald die Wellen der goldenen Aura nur hoch genug schlugen und ohne Zweifel ein heilloses Chaos dabei anrichteten.

      Das nächste Mal sahen Mortimer und Anifuris den Seeker erst in den frühen Morgenstunden am geliehenen Fahrzeug wieder gegen dessen Heck er lehnte und die Knöchel scheinbar lässig überkreuzt hatte. Dass er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, war unübersehbar an den tiefen Schatten unter seinen Augen zu erkennen. Ein dichter Nebel ruhte über der malerischen Landschaft in seinem Rücken und stieg beinahe unheilvoll aus den schottischen Wäldern empor.
      Der Anblick hatte durchaus etwas maystisches und prophetisches ansich, denn der Neben drohte alle um sich herum zu verschlucken.
      Der Babylonier schmälerte die Augen und fixierte den unsteten Blick des Seekers.
      Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte die alte Seele das ungute Gefühl einen zu großen Stein ins Rollen gebracht zu haben.
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    • Ja, Anifuris hätte Cain am liebsten die Wahrheit gesagt. Die Art, wie man am effektivsten die Seele eines anderen Lebewesen manipulierte, war an Wahrheiten und Hingaben gekopellt und gerade deswegen so aufwendig. Es war so filligran wie das Ausbalancieren einer Waage, die bereits unter dem Gewicht einer Feder zu kippen drohte.
      "Das ist auch so eine Sache, die nicht gänzlich in das klinische Bild passt. Ich weiß ganz genau, welches Fragment ich in mir aufgenommen habe und welche ich unberührt gelassen habe. Er dürfte aufrichtigen Hass und dergleichen noch problemlos spüren. Aber auch mir ist aufgefallen, dass es hohl wirkt. Ich glaube, sein Unterbewusstsein und Verstand sind wirklich nicht aufeinander eingestellt. Wenn er das jemals hinbekommen sollte wird es schwierig für mich...", sinnierte der Seelendieb auf seinem Bett.
      Er verlor die Kontrolle nur, weil er Angst hatte, die Waage aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mit dem Seeker hatte er ein kleines Goldstück serviert bekommen, dessen Wert viel zu hoch war als dass man fahrlässig daran kratzte. Mit Leichtigkeit hätte er den jungen Mann festsetzen können und systematisch seine Seele zerlegen können bis er nur noch ein sabbernder Haufen war. Aber das war es nicht, was der Seelendieb wirklich bezwecken wollte. Er suchte den Anker, der sein Vessel daran hindern würde einen Weg zu finden, sein Bewusstsein aufzulösen.
      "Du kennst das Mädchen nicht. Wenn sie sich richtig verrannt hat, wird sie uns nie wiederfinden."

      Am nächsten Morgen schritten die beiden Seelen wie ein vertrautes Paar aus dem Hotel zum geliehenen Fahrzeug. Wer sensibel genug war spürte beim Anblick allerdings, dass beide Parteien ständig auf halbacht waren und sich sehr subtil ständig im Blick hatten. Als rechneten sie damit, dass der andere alsbald seinen Schachzug machen würde.
      Anifuris hob jedoch beide Augenbrauen als sein Blick auf Cain fiel. Der junge Mann sah wirklich gerädert aus. Scheinbar hatte der Ausbruch vergangener Nacht einen höhren Tribut gezollt als er ihnen weißmachen wollte. Sein Blick ging an dem Seeker vorbei in die Landschaft mit dem perfekten Wetter für ihr Vorhaben. Nebel war ein gutes Zeichen, zumindest für die beiden Seelen.
      "Du siehst wirklich, wirklich nicht besonders gut aus", bemerkte Anifuris unnötigerweise und blieb in angemessenem Abstand vor Cain stehen.
      Er hatte selbstverständlich mitbekommen wie sich Mortimers Blick leicht geändert hatte und das beunruhigte ihn mehr als alles andere. So langsam bekam auch er das Gefühl, dass sie es hier mit einer tickenden Zeitbombe zutun hatten. Und das gefährdete den Plan von ihnen allen.
      Anifuris klickte leise mit der Zunge. Hier draußen konnte er den jungen Mann schlecht überfallen und gewaltsam gefügig machen. Aber er musste ihn irgendwie von dieser Unruhe befreien, die ihn wahnsinnig werden lassen würde.
      "Du hast ein klitzekleines Problem mit deiner emotionalen Feinfühligkeit", sagte Anifuris leise, dieses Mal ohne Spott oder Hohn. "Du führst mit deinem Unterbewusstsein gerade Krieg. Es fordert deine Fähigkeit zurück zu lieben. Wenn du das nicht unter Kontrolle kriegst, drehst du früher oder später durch. Außer, du lässt mich ein wenig Feinmotorik betreiben und es ein wenig.... richten."
      Richten war hier vielleicht das falsche Wort, aber vielleicht brachte es ein wenig, mit halboffenen Karten zu spielen. So wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die sprichwörtliche Bombe hoch ging.

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    • Der Seeker verschränkte die Arme zu einer kläglichen, symbolischen Mauer vor der Brust.
      Die Silhouetten im Nebel erweckten den Eindruck von Spukgespenstern, die sich beinahe lautlos über den mit Kies bedeckten Parkplatz bewegten. Ein argwöhnisches Geräusch zwischen Schnauben und tonlosem Kichern erklang tief aus seiner Kehle, bei der wenig charmanten Begrüßung durch Anifruis. Die gesamte Körperhaltung sprach deutlich von Abwehr und einer Kluft, die sich langsam über die zerbrechliches Basis zwischen ihnen ausbreitete. Die goldene Iris flackerte rastlos im fahlen Licht des Morgens.
      "Charmant. Hab schon schlimmer ausgesehen...", murmelte er. Die Stimme war rau vom Schlafmangel.
      Cain stieß sich leicht vom geliehenen Fahrzeug ab und umrundete die schwarze Limousine mit ein paar wenigen Schritten.
      Wahrscheinlich gaben die drei Reisenden ein äußerst merkwürdiges Trio ab. Der Seeker ähnelte in seinem komplett schwarzen Outfit wie ein schlecht getranter Auftragsmörder inklusive schwarzer, enganliegender Handschuhe. Der Babylonier mit seinem eleganten Anzug, der wenig für eine ausgiebige Wanderung geeignet war, wirkte ebenso fehl am Platz wie das junge Mädchen, dass zwischen den Männern sofort heraus stach. Und niemand traute dem jeweils anderen über den Weg.
      "Vergiss es. Ich bekomm das allein hin.", zischte Cain und rieb sich mit dem Handballen unbewusst über das Brustbein. Etwas in seinem Kopf und Verstand rebellierte und begehrte gegen die Vorstellung auf, dass Anifuris seine Fähigkeiten ein weiteres Mal nutzte um die eisigen Klauen in seine Seele zu schlagen. Der Seeker sperrte sich gegen den Versuch der alten Seele und ohne für ihn sichtbar, schlug die goldene Aura kurzzeitig zu allen Seiten aus wie eine Warnung.
      Der Ausdruck auf dem Gesicht des Archivars wirkte simple gesagt recht erheitert. Mit dem Widerstand hatte er nicht gerechnet, aber es machte die gesamte Unternehmung umso spannender.
      "Nun denn. 'The Game's a foot'!", kicherte der Babylonier während er die Phrase rezitierte und öffnete schwungvoll die Tür zur Rückbank.
      Die Augenbraue des Seekers zuckte gefährlich, während er sich noch einmal umsah. Er wusste bereits, wo sie unterwegs das Fahrzeug abstellen würden. Den Rest des Weges ging es versteckt und zu Fuß durch die neblige Landschaft. Auskundschaften und Schwachpunkte erkennen.
      Ohne zu warten, schwang sich Cain hinter das Steuer und trommelte auf dem Lederbezug des Lenkrads herum.
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    • Wie der gute Beobachter, der Anifuris nun einmal war, schwieg er lediglich und ließ den Seeker machen. Er war ihm gegenüber feindlicher eingestellt als vielleicht jemals zuvor, vermutlich merkte er das nicht einmal richtig. Er fuhr einen kalten Krieg mit seinem Unterbewusstsein und merkte nicht einmal das.
      Anifuris Blick hinüber zu Mortimer war mehr als vernichtend. Scheinbar erheiterte dies alles den Babylonier mehr als dass es ihm Sorge bereitete. Obwohl es dies durchaus tun sollte. Denn dort, wo sie nun hinfuhren konnten kleine Fehler selbst für sie beide schwerwiegende Konsequenzen haben. Nun hatte der Seelendieb im Auto vor sich eine nervliche Bombe in Form eines Seekers sowie eine unberechenbare alte Seele, die sogar noch mehr Spaß daran fand als er selbst. Wieso noch gleich nahm Anifuris diesen Akt überhaupt auf sich? Ach ja - weil er sich Erkenntnisse aus den Untiefen des Verließes des Rates erhoffte.
      Schlussendlich schüttelte er lediglich den Kopf und setzte sich nach hinten auf die Rückbank neben Mortimer. Dann ging der Höllentrip mal los, den er sich selbst eingebrockt hatte.

      Scheinbar hatte Cain genau geplant, wie sie vorgingen. Das Dreiergespann war schweigend gefahren bis der junge Mann den Wagen abseits auf leicht abschüssigem Gelände geparkt hatte und meinte, von hier an würden sie per Fuß weitergehen. Der Nebel hatte sich nicht gelichtet sondern machte eher den Eindruck, als würde er noch dichter werden. Ein Umstand, der ihnen alle durchaus in die Karten spielte, wenn auch nicht unbedingt dem einzigen Menschen in der Runde. Verlor Cain die beiden Seelen aus den Augen würde er ohne sein Blind Eye vermutlich einen Moment brauchen, um sie wiederzufinden. Allein konnte er das Hell Gate sicherlich nicht stürmen.
      "In welche Richtung müssen wir?", fragte Anifuris ruhig nach und reagierte auf den Fingerzeig Cains mit einem Nicken.
      Dann zog er los, begleitet von Mortimer und dem Seeker über bewaldetes und grasiges Gelände. Die Feuchtigkeit lag schwer auf den Blättern und Grashalmen und hatte kurze Zeit später ihre Hosenbeine durchnässt. Ihr Schuhwerk war auch nicht hierfür ausgelegt, sodass die Nässe auch durch das Material drang. Mortimer war mit seinen etwas weiteren Klamotten wohl am schlimmsten dran, aber niemand hinterfragte es. Gerade er sollte sich dem spielend leicht annehmen dürfen.
      Nachdem sie eine Weile gegangen waren wurde Anifuris langsamer und hielt schlussendlich an. Er richtete sich gerade auf, vertraute auf den Schutz des Nebels, und streckte seine Aura aus. Es mangelte ihnen zwar an einem gewöhnlichen Sensoriktypen, aber mit dem Seelendieb konnten sie wenigstens andere Dinge erörtern. Zum Beispiel, dass in etwa zwei Kilometern vor ihnen ein Eingang in den Untergrund führte, der von mindestens zwei Menschen bewacht wurde. Dahinter nahm er zahlreiche weitere Auren von jeglichen Kalibern an. Und wenn er sich sogar anstrengte, dann könnte er sogar behaupten, eine bestimmte, leicht wahnsinnige brennende Aura wahrnehmen zu können, tief unter Tonnen von Erdreich begraben.
      Anifuris leckte sich über die Lippen. "Einfach bewachte Eingänge ohne Gefäße. Ich denke, sie haben Sicherheitsmaßnahmen im Inneren. Alles, was es durch den Eingang schafft, soll nie wieder herauskommen, könnte ihre Devise sein."

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    • Beiläufig berührte der Babylonier die taubehangenen Blätter der Sträucher zur seiner Linken.
      Langfingrige Hände streiften federleicht über junge Triebe und das feuchte Grüne der Flora, die sie im dichten Nebel umgab. Wie lange war es her, dass er etwas anderen gespürt hatte, als die staubigen Seiten alter Bücher und Manuskripte? Wann hatte Mortimer das letzte Mal mit ungetrübten Augen und frei die Welt in Augenschein genommen? Und obwohl er Materie in ihrer reinsten und ursprünglichsten Essenz nach seinem Willen formte und manipulierte, fühlte sich nichts realer und wahrhaftiger an, als die raschelnden Blätter unter seinen Fingerspitzen.
      Cain beobachtete den Babylonier mit scharfen Augen.
      Der Bibliothekar stach aus der nebligen Landschaft heraus, wie ein Schmetterling unter grauen Motten. Nicht durch eine exotische und bunte Farbgebung, sondern durch den teuren Anzug und dem Blick eines Träumers, der noch nie in seinem Leben die Welt außerhalb seiner Träume gesehen hatte. Es war beunruhigend, wie harmlos der Babylonier in diesem Moment wirkte. Der sanfte Ausdruck auf seinem Gesicht und die kindliche Neugier in den Augen hatten etwas Unheimliches. Keiner wusste, wann der Gemütszustand der alten Seele in das nächste Extrem umschlug.
      Über die Schulter des Archivars glitt sein Blick zum Seelendieb, der voran ging.
      Beim Anblick der schmalen Schultern zog sich etwas schmerzlich in seiner Brust zusammen in dem erfolglosen Versuch die fremdartigen Splitter in seiner Seele, von deren Existenz Cain nichts wusste, zu verstoßen. Hartnäckig krallten sich die fremden Partikel fest, wie kleine Parasiten. Kurz hielt der Seeker inne und riss den Kopf zur Seite, als ein verhallenden Lachen durch den Nebel erklang.
      Anifuris Worte rissen Cain aus den Gedanken und das Lachen in seinem Kopf verstummte. Hatte Anifuris recht und er wurde wahnsinnig? Aber ein nervtötendes Pochen in seinem Hinterkopf sträubte sich mit aller Kraft dagegen, den Seelendieb noch einmal sein Werk verrichten zu lassen.
      "Kannst du die Wachen ausschalten?", murmelte Cain und schloss zu Anifuris auf um in einem gebührenden Abstand neben ihm stehen zu bleiben. Aus dem Augenwinkel warf er einen flüchtigen Blick in das Gesicht des Mädchen, dessen Ausdruck unter dem Einfluss der alten Seele seltsam fremdartig wirkte. Eine Eigenart, die ihm schon immer einen Stich versetzte hatte. Auch jetzt, wobei er es eigentlich nicht fühlen durfte. Die goldene Aura war schon seit geraumer Zeit nicht mehr glatt und unbewegt, über traten fasrige Ausläufer aus der Hülle hervor und über seiner Brust tobte ein Wirbel aus feinsten Goldpartikeln. Zwischen den wirbelnden Wellen lugte hin und wieder etwas gänzlich anderes hervor: Schwärze, so dunkel, dass sie jedes Licht verschluckte.
      Mortimer, der auf der anderen Seite von Anifuris seinen Platz eingenommen hatte, fixierte die dichte Nebelfront.
      "Überlass mir die Sicherheitstüren. Der Mechanismus ist lächerlich und hält meinen Kräften nicht stand.", mischte sich der Babylonier ein und das smaragdgrün seiner Augen funkelte im Wettstreit mit dem Anhänger um seinen Hals.
      "Mein Wissen über das Hellgate ist leider etwas angestaubt.", fügte er hinzu und wandte sich an Anifuris. "Aber benutzen sie noch Bannkreise der Rubras als Versiegelung der einzelnen Sektionen? Spürst du etwas, mein Freund?"
      "Gemäß dem Fall es trifft zu, kannst du etwas dagegen tun?", fragte Cain an den Babylonier gerichtet.
      "Möglicherweise lassen Sie sich durch altbabylonische Runen aushebeln, aber das braucht seine Zeit.", antwortete Mortimer.
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    • Anifuris lauschte der kurzen Unterhaltung zwischen Mortimer und Cain nur beiläufig. Er hatte die Augen halb geschlossen und sich völlig darauf konzentriert, seine Aura wie kleine suchende Vögel auf den Weg zu schicken. Sie dabei nicht zu verlieren war eine Kunst für sich und bedurfte umso mehr Konzentration und Fähigkeit, je weiter sich die Aura vom Körper entfernte. Dann auch noch die eigene Signatur so zu ändern, dass man sie nicht direkt auf ihn zurückverfolgen konnte, setzte dem ganzen nur die Krone auf. Seine Sucher touchierten die beiden Wachen am Eingang und stahlen sich weiter ins Innere vor. Bis Anifuris plötzlich den Kontakt zu seinen Aurenfetzen verlor und schnappartig Luft holte.
      "Die beiden Männer sollten kein Problem sein", sagte er etwas kurzatmiger als beabsichtigt.
      Da erst bemerkte er den Seeker, der zwar in einer gewissen Distanz, aber immer noch neben ihm stand. Für einen Moment fiel der alten Seele alles aus dem Gesicht als er das reine Chaos der goldenen Aura sah. Ausbrüche in dieser Form waren nichts ungewöhnliches, erst recht nicht nachdem er mit der dazugehörigen Seele gespielt hatte. Die schwarzen Lücken jedoch, die sich immer wieder dazwischen zeigten, beunruhigten ihn mehr als nur ein wenig.
      Ein leises Fluchen entkam ihm. Im nächsten Moment sprang er den jungen Mann an seiner Seite regelrecht an. Wie erwartet reagierte Cain viel zu gut, besser noch als zu jedem vorherigen Zeitpunkt ihrer Bekanntschaft. Da sich Anifuris mit seinem ganzen Körper ihm entgegenwarf konnte Cain den Schwung nicht abfangen und viel nach hinten über. Doch anstatt dumpf aufzuprallen warf er das Mädchen in einer Rolle über sich nach hinten weg. Er kam gerade noch mit dem Rücken auf dem nassen Boden auf während Syleas Körper einen Augenblick länger dafür brauchte. Als sich der Seeker auf alle Viere gerollt hatte kam Anifuris gerade mit dem Rücken auf dem Boden auf und starrte verdrossen durch die Grashalme zu dem jungen Mann herüber. Er streckte die Hand aus - und ließ einen ungerichteten Schwall seiner Aura direkt auf den ohnehin schon angeknacksten Mann los.
      Anifuris wusste, dass dieser immense Druck in Cains Zustand dafür sorgen sollte, dass er das Bewusstsein verlor. Doch statt wie ein nasser Sack zusammen zu klappen biss er nur die Zähne und kniff die Augen zusammen, als leide er immense Kopfschmerzen. Das reichte dem Seelendieb um sich auf alle Viere zu rollen und abermals nach vorn zu hechten. In der gleichen Bewegung presste er seine zierlich wirkende Hand auf die brennende Stirn und sprengte sich mit viel zu großer Gewalt durch die Schutzschichten der Aura von ihnen beiden. Es war nur ein Sekundenbruchteil, in dem Anifuris die fremdartigen Partikel in Cains Seele sah, nach ihnen griff und sie aus ihm herausriss.
      Gerade als er das geschafft hatte, katapultierte ein immenser Aurenpuls Anifuris von Cain weg. Die Verbindung löste sich, die fremdartigen Partikel lösten sich an der Luft einfach auf. Anifuris fiel nach hinten wieder ins nasse Gras, sein Blick ging in den Himmel, den er durch all den Nebel nicht sehen konnte. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine Hand krallte sich krampfhaft in den Stoff an seiner Brust. Sein Mund war aufgerissen und er japste nach Luft.
      Der goldene Impuls war dermaßen stark gewesen, dass er durch Anifuris' Aura die haarfeine Silberschicht getroffen hatte, die Syleas Bewusstsein darstellte. Jetzt kam langsam Bewegung in den Silberstreif, der ganz seichte Wellen schlugen. Der Sandnebel in ihrem geteilten Bewusstsein fing an sich langsam zu verdichten, allerdings keine Form anzunehmen. Anifuris, im Besitz über die Kontrolle ihres Körpers, litt dadurch Aussetzter in Atmung und Pulsschlag. Verbissen versuchte er, sein Gleichgewicht herzustellen und kurz bevor ihm weiß vor den Augen wurde, beruhigte sich der Silberstreif wieder.
      Augenblicklich erlangte er einen gleichmäßigen Atemzug wieder und er rappelte sich ächzend auf die Beine. Ihm gegenüber stand Cain, den es scheinbar nicht so sehr getroffen hatte. Aber immerhin hatte der Seelendieb es geschafft, die Partikel wieder aus dem Mann zu lösen. Scheinbar hätten sie sonst mehr Schaden als Hilfe angerichtet.
      "Sorry", keuchte er und schüttelte seine feuchten Haare aus, "das war ein wenig... überstürzt."
      Er wartete nicht auf eine Reaktion als er seine Aufmerksamkeit auf Mortimer richtete.
      "Du kannst die beiden Menschen auch gerne in Gummibälle verwandeln oder was auch immer. Aber ich wusste nicht, dass sie Rubrakreise verwenden. Wenn ja, dann sollte ich leicht brechen können..."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Der Angriff erfasste den Seeker völlig unvermittelt.
      Mit beeindruckender Wucht prallte der schlanke Körper der Rubra gegen seine Brust und brachte den angeschlagenen Cain damit aus dem Gleichgewicht. Nichts hätte ihn auf diese plötzliche Attacke vorbereiten können. Hart prallte der Seeker mit dem Rücken auf den taufeuchten Untergrund des Verstecks hinter der Böschung und es presste ihm förmlich die Luft aus den Lungen. Atemlos und mit einem erstickten Laut schnappte der überrumpelte Seeker nach Luft, ehe der Reflex seines Muskelgedächtnisses einsetzte. Den Schwung des Übergriffs ausnutzend beförderte er Anifuris von sich. Keuchend stemmte er sich auf alle Viere und kaum hatte er den Kopf herumgerissen, traf ihn die Aura des Seelendiebs in einer gewaltigen Welle.
      Der Schmerz, der hinter seiner Stirn explodierte, ließ grelle Lichtblitze in seinem Blickfeld tanzen und nahm ihm kurzzeitig die klare Sicht. Cain fasste sich an den Kopf und stieß ein schmerzerfülltes Stöhnen aus. Mit zusammen gekniffenen Augen erkannte er die Gefahr nicht, die erneut zum Sprung ansetzte. Eine Hand, die sich eiskalt an seiner erhitzten Stirn anfühlte, verstärkte den blendenden Schmerz in seinem Kopf bis ihm beinahe das Bewusstsein schwand. Etwas durchbrach die Schichten seine Aura und grub sich mit eiserner Gewalt bis zum Seelenkern vor. Es war pures Glück, dass Cain sie nicht durch einen Aufschrei verriet, denn ihm fehlte der benötigte Sauerstoff dafür. Eine Art gepeinigtes Gurgeln erklang tief in seiner Kehle, als musste er sich jeden Augenblick übergeben. Er erstickte.
      Für einen Sekundenbruchteil pulsierte die blanke Panik durch seine Aura.
      Der Druck in seinem Brustkorb baute sich in besorgniserregender Geschwindigkeit auf und entlud sich schlagartig in einem einzelnen, kräftigen Impuls. Die goldene Aura fegte einer Welle gleich über die Anwesenden hinweg, dass es selbst Mortimer in der Bewegung schwanken ließ, der das Spektakel mit unverhohlener Neugierde beobachtete. Mit erregter Faszination spürte der Babylonier das zaghafte Silber, dass sich im Bewusstsein des Seelendiebs rührte. Eine glühende Erkenntnis blitzte in den wissenden Augen des Archivars auf, während er darum bemüht war jegliche Regung aus seinem Gesicht zu verbannen.
      "Was...?", keuchte Cain, als er seine Atmung wieder unter Kontrolle hatte. Jedoch kam er über das erste Wort nicht hinaus, als er sich plötzlich zusammen krümmte und sich augenblicklich in das feuchte Gras übergab um einen brennenden Schwall Galle hervor zu würgen. Hustend kam er auf die Beine und wischte sich angewidert mit dem Ärmel über den Mund.
      Zornig trat er einen Schritt auf Anifuris zu und war sichtlich überrumpelt von der schieren Ignoranz des Seelendiebes zu dem Geschehenen. Cain schluckte die Frage und die langsam abschwellende Übelkeit herunter, als sein Blick zu Mortimer flog.
      "Mir scheint ihr zwei seid immer für eine Überraschung gut. Jedenfalls wird es nie langweilig.", kicherte der Babylonier. "Obwohl ich das Timing etwas bedenklich finde."
      Mit einem Kopfnicken sah er zu den beiden bewaffneten Männern in militärischer Kleidung, die zu ihrem Glück nichts von der Unruhe mitbekommen hatten.
      "Es wird mir ein Vergnügen sein.", flüsterte Mortimer. Bei dem eisigen Ton seiner Stimme gefror Cain das Blut in den Adern.
      Die smaragdgrünen Augen fixierten die Männer vor der massiven Stahltür.
      Ohne Vorwarnung explodierten die Überwachungskameras links und rechts des Eingang in die unterirdische Einrichtung. Dabei fielen keine winzigen Trümmerteile zur Erde sondern knallbunte Papierschnipsel. Selbst die Explosion hatte eher wie das dumpfe Ploppen einer kleinen Konfettikanone geklungen.
      Wer mit einem überraschten Aufschrei der Männer gerechnet hatte, wurde bitter enttäusch. Diese griffen sich ohne ersichtlichen Grund ins Gesicht und zerrten an schwarzen, enganliegenden Masken, die die untere Gesichtshälfte verdeckten. Es dauerte ein paar Sekunden bis das ungeübte Auge erkannte, dass der Stoff offensichtlich mit der Haut verschmolzen war und sich weiter ausbreitete bis es auch Nase und Augen bedeckte. Letztendlich verschwand das gesamte Gesicht vollständig unter der undurchdringlichen Schwärze. Verzweifelt kratzten Nägel über die Oberfläche, ehe die Körper der Männer zuckend und krümmend in sich zusammen brachen. Mortimer hatte die Wachen ohne mit der Wimper zu zucken außer Gefecht gesetzt.
      Entspannt schlenderte der Babylonier durch den Nebel auf die noch zuckenden Körper zu und schritt einfach an ihnen vorbei. Gebieterisch hob er eine Hand, die Handfläche noch vorn gekehrt, ehe er den Arm in einer wischenden Bewegung nach Links schwang. Unter einem Ächzen und metallischen Knirschen schoben sich die Stahlflügel der Türen zu beiden Seiten auseinander, wobei die komplizierten Bolzen der Schlösser einfach brachen und auseinander gerissen wurden.
      Mortimer blickte über seine Schulter zu seinen Begleitern und kratzte sich mit einem schiefen Grinsen am Hinterkopf.
      "Verzeihung. Ich war so lange nicht mehr im Außendienst, ich habe mich wohl ein wenig gehen lassen..."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Anifuris wankte unmerklich und kaschierte es, indem er sich mit seinen Händen auf seinen Oberschenkeln abstützte. Natürlich war das hier das reinste Popcornkino für den babylonier gewesen und er hatte gespürt, wie eine Welle der Erkenntis den Archivar getroffen hatte. Natürlich war er viel zu aufmerksam, als das ihm die kleinsten Anzeichen entgehen würden.
      Folglich klickte der Seelendieb nur genervt mit der Zunge als der Babylonier sie auf das schlechte Timing hinwies. Keiner der beiden Männer am Tor hatte etwas von dieser Aurenexplosion mitbekommen, aber Anifuris fröstelte. Der Impuls war stark genug gewesen, dass zumindest zwei der dort unten eingeschlossenen Seelen darauf reagierten und eine Veränderung ihrer Aura anzeigten. Also waren mindestes zwei der Seelen dort unten in der Lage, etwas mit Auren anzufangen. Ein erwartetes Auskommen.
      Bei Mortimers Bestätigung hin fühlte sich Anifuris weniger getroffen als Cain. Sein Hinweis war offenkundig so gemeint, dass die beiden Männer vor der Tür einfach sterben sollte. Ein Tötungskommando in Form eines zu schick gekleideten Mannes, der viel zu leichtfertig in die eisernen Fänge des Bodenmauls wanderte. Und so sah Anifuris nur dabei zu, wie der Babylonier die Männer binnen Sekunden zu Fall brachte, die Kameras in Konfetti verwandelte und die schwere Eisentür so leicht entsicherte, als seien es Streben und Sicherungen aus Streichhölzern anstelle Eisenbolzen. Fast augenblicklich danach war der Seelendieb schon losgestampft und winkte Cain schlicht zu, dass er ihm folgen sollte.
      "Konfetti und Ersticken finde ich allgemein noch ziemlich harmlos", merkte Anifuris an als er über die zuckenden Männer herüber stieg und einen Blick auf die schwere Sicherung der Tür warf.
      Das bedeutete Abwehr gegen physische Gewalt. Weit und breit sahen sie allerdings noch nicht, dass gegen eine Gewalt wie ihre nützlich war. Der Rat musste eine Abwehrstrategie haben um Angriffe wie ihren abzuwehren. Jetzt war wohl Konzentration angesagt. Er stellte sich an Mortimers Seite und sah den langen, schräg abfallenden Gang hinab. Links und rechts gingen vorerst keine Türen ab. Weiter unten jedoch zweigte sich der Gang auf.
      "Ein Vorschlag. Alles, was uns physisch eine Gefahr werden könnte überlasse ich dir, alles was uns psychisch Probleme bereiten könnte fällt unter meinen Bereich. Was hältst du von der Aufteilung?"
      Abermals streckte er seine Aura ein winziges bisschen aus. In den nächsten Metern fand er keine Auffälligkeiten und auch an den Wänden entdeckte er keine verdächtigen Runen, die eingeritzt worden waren. Vermutlich kamen die nächsten Sicherheitsvorkehrungen erst weiter unten in den Gängen. Je tiefer sie in dieser Bestie stecken, umso schlechter kam man wieder aus ihren Gedärmen hervor.

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    • "Harmlos liegt wohl im Auge des Betrachters.", kicherte Mortimer und deutete mit einem Wink in Richtung des Seekers, der beim Anblick der letzten Zuckungen des erstickten Wachpersonals den Eindruck machte sich gleich ein zweites Mal ins Gebüsch zu übergeben.
      Cain hatte in seiner Laufbahn als Seeker schon einiges an Grausamkeiten gesehen. Die Kaltblütigkeit mit der Mortimer einen Mord beging, als würde er mit Strohpuppen spielen, traf ihn eiskalt und mit erbarmungsloser Härte.
      Für seinen persönlichen Geschmack bereitete es dem seltsamen Archivar ein wenig zu viel Freude. Cain hatte in seiner Laufbahn eine Vielfalt von Grausamkeiten gesehen, aber die Aura, die Mortimer umgab, bescherte ihm Ungehagen.
      Beiläufig zuckte der Babylonier mit den Achseln während sein Grinsen zu einer ungesunden Breite anwuchs bis es beinahe von einem Ohr zum anderen reichte.
      "Ein ausgezeichneter Plan, mein gerissener Freund.", stimmte der Bibliothekar vergnügt zu, als wäre ihm der Ernst der Situation nicht bewusst.
      Der Seeker warf einen vorsichtigen Blick in das Schlund aus kalten Metall und grauem Beton. Kaum überschritt Cain die erste Schwelle in den versteckten Eingang durchfuhr seinen Körper ein heftiger Ruck. Mit dem ausgestreckten Arm stützte er sich am stählernen Ramen der aufgebrochenen Tür ab. Ein Stimmengewirr erhob sich hinter seiner Stirn ehe er sämtliche Schutzmechanismen hochfuhr, die sein Verstand zu bieten hatte. Die schiere Anzahl an Bewusstseinen die auf engstem Raum an diesem Ort eingepfercht waren, löste fast eine vollständige Reizüberflutung aus - vor allem nach dem Übergriff von Anifuris. Cain schüttelte den Kopf, als könnte er mit dieser Methode die fremden Gedanken abschütteln.
      Der Lärm verstummte und schrumpte zu seinem monotonen Summe in einem gut versteckten Winkel seines Denkens.
      "Jemand hat uns bemerk," fügte Cain mit grimmiger Miene hinzu und betrat hinter Mortimer und Anifuris die Stufen, die ins Maul der Bestie führten. Die Veränderung der Aurasignatur in der Tiefe war ihm nicht entgangen.
      "Kannst du sie spüren, Anifruis. Ist Scintilla wirklich nocht hier?", fragte Cain mit gedämpfter Stimme und konnte nur hoffen das Jace sich nicht geirrt hatte.
      Die Treppen führten in einer Spirale in die Tiefe während um sie herum die Temperatur spürbar abfiel. Auf dem Weg nach unten fielen weitere Überwachungskameras in einer bunte Explosion dem Babylonier zum Opfer. Mittlerweile dürften auch die Sicherheitsmitarbeiter innerhalb von des Hellgate bemerkt haben, das etwas im Busch war. Immer mehr Bildschirme im Überwachungsraum färbten sich schwarz, bevor sie erkennen konnten, um wen es sich bei den Eindringlingen handelten.
      "Halt...", knurrte Cain und schob sich zwischen den beiden Seelen hindurch, denn er bisher zu seinem Leidwesen hinterher getrottet war wie ein gehorsamer Schoßhund.
      Mit einem stummen Kopfnicken deutete er an die Decke des gefühlt endlosen Korridors an dessen Ende sich ein Fahrstuhl befand.
      In die graue Betondecke waren feine Linien zu erkennen ebenso links und rechts an den Wänden sowie auf dem Boden. Ein Stück von ungefähr 10 Metern war geradezu mit haarfeinen Runen zugepflastert. Er fragte sich, was passieren würde, wenn einer seiner Begleiter den Korridor betrat. Was Cain spürte, war ein widernatürlicher Puls, der die Runen umgab.
      "Da wollte aber jemand auf Nummer Sicher gehen...", kommentierte Mortimer. "Das sind Runen des Rubra-Clans, wenn ich mich nicht irre."
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      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
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    • Anifuris warf einen Blick über seine Schulter zurück. In der Tat wirkte Cain empfindlich getroffen und plötzlich kam sich Anifuris ein wenig... unterschätzt vor. So ein Gesicht hatte der Seeker noch nie gezogen, egal wen er getötet hatte. Und das waren, mitnichten, so einige. Scheinbar hatte die gemeinsam verbrachte Zeit den Effekt mit sich gebracht, dass der Seelendieb harmloser oder gar sanfter erschien als der Babylonier. Er würde diesen Standpunkt dringend korrigieren müssen.
      "Ach, uns hat jemand bemerkt? Wiiiiirklich?", flötete er beinahe sorglos und spazierte an Mortimers Seite beschwingt die Treppenstufen hinab, die sie Meter für Meter tiefer unter die Erde bugsierten. "Es sind mindestens zwei Seelen hier eingekerkert, die etwas mit Auren anfangen können. Diese haben uns bemerkt. Aber ich kann dich beruhigen, kleiner Seeker, Scintillas Aura kann ich fühlen. Das kleine wahnsinnige Miststück liegt weiter unten in einer Einzelzelle."
      Eigentlich rechnete der Dieb damit, dass jeden Moment ein Schwarm an Sicherheitspersonal in den Gang strömte und sie angriff. Allerdings blieben solche Angriffe zu seiner Verwunderung aus, nicht einmal ein Menschenseele näherte sich ihnen. Als wären sie komplett allein bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in diesem Erdschlund.
      Kurze Zeit später erhellte ausgerechnet der Seeker die beiden Seelen, warum ihnen niemand entgegenkam. Cain schob sich zwischen den beiden hindurch und deutete auf die Decke, die über und über mit Runen gespickt war und deren Linien sich über die Seiten bis auf den Boden zogen. Was Mortimer ganz richtig bemerkte entlockte Anifuris ein selbstgefälliges Lächeln. Er schob den Seeker etwas harsch zur Seite und näherte sich den Linien an, die, je näher er kam, in seinem Kopf zu summen begannen. Kurz bevor die erste Linie begann ging er die in Hocke und richtete den Blick nach oben.
      "Nummer sicher gehen ist gut. Ich würde mir ehrlich gesagt sogar bei dir Sorgen machen, wenn du hier einfach durchmaschieren wolltest", kicherte Anifuris nachdem er sich in den Finger gebissen hatte und eine Blutlinie hin zu der Runenlinie zog. Augenblick dröhnte ein Puls ähnlich eines Gongschlages durch den Gang. Ein akustisches Signal, dass man versuchte, den Kreis zu brechen.
      "Man hat einen Rubraangehörigen genötigt, als diese Runen mit seinem Blut und Leben zu setzen. Betritt ein Vessel diesen Bereich wird die Verbindung von Seele und Körper getrennt. In den meisten Fällen wird die Seele sogar aus dem Körper gelöst. Du hingegen würdest vielleicht wie ein Fisch an Land auf dem Boden liegen bleiben."
      Anifuris zeichnete eine sehr alte Rune aus den Anfängen des Clans. Er verband sie mit seiner Blutlinie und brachte einige der Zeichen an der Decke und den Wänden zum leuchten und schließlich zum vollständigen Verblassen. Das widerholte er mit immer neuen Runen, die scheinbar die gezogenen überschrieben.
      "Das dauert einen Moment. Aber wenn man selbst die Zeichen begründet hat und das Wissen darüber verloren gegangen ist, helfen ihnen die Schutzmechanismen leider nicht viel", sinnierte er zufrieden während er Zeichen nach Zeichen aushebelte bis schlussendlich der Gang völlig normal aussah.
      Er war der erste, der eine Hand über die Linien streckte und nichts passierte. Seufzend stand er auf und klopfte sich den Staub von den Knien.
      "Schlaue Konstruktion. Sie wehren sich nicht gegen das Eindringen sondern eher dagegen, hier wieder rauszukommen", stellte der Seelendieb fest und fühlte gar, wie die alten Seelen im Inneren aufzubehren drohten. Sie spürten zwei der ihren und reagierten auf die Anwesenheit.

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    • Die Bestätigung, das der Feuerteufel sich tatsächlich unter ihren Füßen befand, erfüllte Cain mit Erleichterung und gleichzeitig mit einer unterschwelligen Besorgnis. Im hintersten Winkel seines Verstandes pochte die bisher ignorierte Ahnung, dass Anifuris ihn geschickt an der Nase herumführte. Es gab keinen handfesten Beweis, dass seine Schwester die Übernahme durch Scintilla überlebt hatte.
      Etwas rührte sich im Seelenkern des Seekers. Hauchdünne Haarrisse auf zogen sich über die pulsierende Ummantelung, wie unzählige Sprünge in feinem Porzellan. Ungehört und ungesehen.
      Neugierige Augenpaare bohrten sich in den Hinterkopf des Seelendiebes, der auf die unzähligen Bannkreise zuging, als schlenderte er durch einen hübschen, friedlichen Park und nicht durch die Gänge eines Hochsicherheitsgefängnisses. Mortimers Blick funkelte wissbegierig über das angewandte Wissen, dessen Zeuge er wurde. Cain zeigte eine Mischung aus Skepsis und ehrlicher Verwunderung. Für einen Augenblick bildete er sich ein die säuerliche Note von Kränkung in der gefilterten Luft zu schmecken. Es war eine feine Nuance, die für gewöhnlich untergangen wäre.
      "Ich nehme an, dass der Ansturm an freiwilligen Gästen für einen Kurzurlaub eher dürftig ausfällt.", grinste der Babylonier und beobachtete fasziniert, wie die kunstvollen Blutrunen vibrierten. Von unsichtbarer Hand in Schwingung versetzt und fortgewischt Kreide von der Schiefertafel. Es war erstaunlich, was Anifuris mit ein paar Tropfen lebendigen Blutes anzustellen vermochte.
      "Abgesehen davon hat der Rubra-Clan mit wertvollen Informationen über die gefangene Seele in der alten Kirche nicht gerade um sich geworfen. Ich bezweifle, dass irgendjemand außer den Clanmitgliedern wirklich wusste, welche Mächte sie in Sylea eingepfercht hatten.", murmelte Cain und wagte als erster einen Schritt in den deaktivierten Zirkel. Als die Silben des Namens über seine Zunge rollten, flackerte das Gold in seinen Augen kurzzeitig auf wie die Flamme einer fast verlöschenden Kerze die einen neuen Schub Sauerstoff als Nahrung erhielt.
      "Zumindest wissen wir mittlerweile, dass der Rat nicht den blassesten Schimmer von deiner Existenz hatte, Anifuris. Allerdings verstehe ich immer noch nicht, wozu diese ganze Geheimniskrämerei gut war", fügte er hinzu.
      Vor dem Fahrstuhl blieb er stehen und glitt mit den Fingerspitzen über die blanken Knöpfe, die weder Nummern noch Buchstaben aufwiesen. Nachdenklich bildeten sich kleine Fältchen zwischen seinen Augenbrauen, ehe er einen winzigen Puls seiner Aura gegen das kühlte Metall schickte. Die ganze Zeit über hatte er seine Aura aus Selbstschutz nah bei sich gehalten.
      Cain erspürte die spärlichen Reste verblasster Seelen - menschlicher Natur - und drückte aus einem intuitiven Impuls heraus in scheinbar willkürlicher Reihenfolge die Tasten des Bedienungsfeldes.
      Mit einem klischeebehafteten 'Ping' setzte sich der Aufzug in Bewegung.
      "Kannst du spüren wie weit unter uns sich Scintilla befindet?", fragte der Seeker, während sie ungeduldig warteten.

      Spoiler anzeigen
      Scintilla befindet sich am tiefsten Punkt des Hellgate in Einzelhaft, in der Abteilung für unkontrollierbare Seelen mit der Klassifizierung "Elementare". Der Bereich muss größten statischen Belastungen durch diverse Elemente standhalten. Die Zelle von Scintilla ist eher vergleichbar mit einer großen Kuppel, deren Wände aus feuerfestem Material besteht.
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    • "Was soll ich sagen? Sie wollten einen Gott und bekamen mich."
      Anifuris wollte schon immer mal diese groteske Floskel sagen und grinste süffisant in sich hinein und folgte Cain wie ein Schatten. Asbald hatte er einen zweiten, der etwas größer als der andere war und die die Nachhut bildeten.
      "Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, wem die Rubras da gehuldigt haben. So einen Schwachsinn habe ich ihnen ganz bestimmt nicht vermacht. Aber dass sie eines Tages mich durch Zufall beschwören hat ja niemand ahnen können. Ich war damals auch etwas... ungehalten weil man mich einfach so aus dem Maelstrom gerissen hat. Da wäre jeder etwas ungehalten. Kannst du dir vorstellen als wenn man dich direkt zu einer Rede vor Kollegen nötigt, obwohl du gerade erst wach geworden bist."
      Seelen, wie er mittlerweile herausgefunden hatte, kamen in eine Art Maelstrom, einem Sammelsurium an Seelen aus denen konstant bezogen wurde, wenn ein neues Leben die Erde betrat. Was mit den Göttern war, wusste Anifuris nicht. Aber diejenigen, die einst Menschen waren und sich soweit von ihrer Natur entfernt hatten wie er, trieben als Störpunkt in diesem Strom. Und das war das Geheimnis dahinter warum es neben den Göttern auch scheinbar Menschen als Seele zurück in ein Vessel auf die Erde schafften. Die Anmerkung war geschickt gesetzt weil er somit erfahren würde, ob Mortimer dieses Phänomen auch kannte oder ob der direkte Transfer ihn davor bewahrte.
      "Welche Geheimniskrämerei? Dieser Bunker hier? Irgendwo muss der Rat doch seine Karnickel unterbringen und welcher Ort ist besser geeignet als ein Bau?", fragte die alte Seele völlig unberührt während er dabei zusah, wie Cain erfolgreich die Tastenfolge für den Aufzug herausfand und er sich in Bewegung nach unten setzte.
      "Ich hätte geschätzt, dass man sie irgendwo ganz-", setzte Anifuris an nachdem er seine Augen geschlossen und seine Aura auf Suche geschickt hatte.
      Seinen Satz konnte er nicht vollenden, als sich vor seinem geistigen Auge ein regelrechtes Labyrinth auftat. Die verschiedenen Ebenen der Einrichtung überlappten in seiner Wahrnehmung und machten Abgrenzungen schwierig. Allerdings bekam er einen Eindruck davon, wie groß das Hell Gate tatsächlich war. Vermutlich war das gesamte Konstrukt hier noch nicht einmal abgeschlossen und die riesigen, abwechslungsreichen Kammern am Boden deuteten darauf hin, dass die dicken Kaliber dort stationiert waren.
      "Dass man sie irgendwo ganz unten stationiert hat. Am Boden sind diverse Kammern errichtet worden. Ich würde sagen, bestimmt 200 Meter runter, wenn nicht mehr. Keine Ahnung, nach was sie es kategorisieren, aber es sieht geordnet aus. Weiter hinten, gleiche Ebene, sind deutlich kleine Kammern. Mindestens ein Insasse hat uns bereits bemerkt."
      Mit einem Mal piepte der Aufzug ein weiteres Mal. Sie waren mit Sicherheit noch nicht dort angekommen, wohin sie wollten, aber die Tür scherte sich nicht sonderlich darum. Anifuris riss in dem Moment die Augen auf, als sich der erste Spalt in der Tür zeigte und die Sicht auf einen einzigen, voll vermummten bewaffneten Soldaten freigab. Noch bevor irgendjemand reagierte, schoss Anifuris Hand durch den breiter werdenden Spalt, packte den Mann an der Kehle und riss ihn mit einer Urgewalt, die Sylea niemals beherrschen könnte, in den Aufzug. Mortimer und Cain wurden harsch an die Wände gepresst während sich der Dieb um 180 Grad mit seiner Beute gedreht hatte und den Soldaten an die Wand des Aufzuges drängte.
      "Setzt den Aufzug in Bewegung", befahl er Cain mit einer Eiseskälte in der Stimme, als er aus reiner Sicherheitsmaßnahme den Soldaten gar nicht weiter reagieren ließ.
      Am Rande seiner Aura fühlte er, dass er gerade ein Vessel in Händen hielt. Welche Seele auch immer in diesem Soldaten steckte, sie kam nicht einmal dazu aufzubegehren. So arg wurde sie allein durch Anifuris Aura unterdrückt, die den winzigen Aufzug bis zum Bersten ausfüllte. Der Soldat fing plötzlich gequält an zu schreien, seine Hände griffen nach Anifuris Armen und drückten mit unmenschlicher Kraft zu bis es schließlich knackte. Anifuris verzog nicht einmal das Gesicht als sein Unterarmknochen brach. Er brauchte seine Kraft sowieso nicht mehr um den Soldaten da zu halten.
      Dann bekam der Soldat plötzlich keine Luft mehr als sich etwas in der purpurnen Aura des Diebes veränderte. Seine Augen traten hervor, als würde er ersticken, dabei durchbrach Anifuris gerade systematisch und in absurder Geschwindigkeit dessen Schilde, bis er an den Kern der anderen Seele stieß. Wer auch immer er einst gewesen war - nach einem beherzten Griff hörten die Schreie urplötzlich auf und die Gegenwehr erstarb. Als Anifuris seinen Griff löste fiel der Mann leblos in sich zusammen, die Augen leer und der Körper völlig schlaff. Über ihm thronte Anifuris, dessen Aura sich um das neue Seelenfragment schloss und es in seine einzuarbeiten begann. Binnen kürzester Zeit erstreckte sich der Plan der Einrichtung, soweit der Soldat ihn denn kannte, in seinem Geiste. Er absorbierte die Erinnerungen und machte sich diesen Vorteil zu nutze. Geistesgegenwärtig rieb er sich den Arm nachdem er vier längliche und verankerte Runen aus Blut auf seinen Arm gezeichnet hatte, die zu verbrennen schienen und nur verblasste Abbilder auf der Haut zurück ließen.
      "Scintilla ist in einer Pyrokammer. Sie haben Bereiche nach Fraktionen eingeteilt, sie sitzt im Elementarbereich ein. Die Kammern repräsentieren den besten Schutz zum Festhalten solcher unkontrollierbaren Seelen", erklärte er sein neu gewonnenes Wissen und schob den Leichnam mit einem Fuß weiter in die Ecke.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Ein argwöhnisches Geräusch, das zwischen Schnauben und ersticktem Lachen schwankte, erklang aus der Ecke des Aufzuges, in der Cain neben der Aufzugsteuerung an der kühlen, glatten Metallwand des beengten Raumes lehnte. Die Floskel schien den Humor des Seekers meilenweit zu verfehlen, lediglich der Babylonier drehte grinste unter leichten Zuckungen seiner Mundwinkel. Der Seeker beäugte seine fragwüridgen Begleiter aus der maximalen Entfernung, die der begrenzte Freiraum zuließ. Der Versuch allein erschien lächerlich, angesichts der geballten, übernatürlich Kräfte. Oberflächlich betrachtet stellten die menschlichen Hüllen keine sonderlich Gefahr war. Lediglich die mächtigen aber ungewollten Passagiere verliehen den Körper unmenschliche Kräfte. Der Geist hatte also durchaus Einfluss auf den physischen Körper.
      Schweigend beobachtete Cain den kurzen Wortwechsel der Seelen und saugte die Informationen auf wie ein Schwamm.
      Der Babylonier durchquerte den winzigen Raum mit nicht einmal zwei Schritten und stoppte Schulter an Schulter mit Anifuris. Alleinig aus dem Augenwinkel warf Mortimer einen Blick hinab auf den bräunlichen Haarschopf des Vessels neben sich.
      "Du hast es also gesehen? Das Anfang und das Ende." fragte Mortimer mit blitzenden, grünen Augen. Ein eigenartige Regung durchströmte die schimmernde Iris. Der Ausdruck verflog ebenso schnell wie er gekommen war: ein verräterischer Funken zwischen Wissbegierigkeit und der Furcht vor der Endgültigkeit. Mortimer vertiefte das Thema bewusst nicht. Die Frage klang unverfänglich und die Ahnungsloskgeit darin erschien auf den ersten Blick gut versteckt. Und er verabscheute es, etwas nicht zuwissen. Der Babylonier hatte nie das Sterben seiner physischen Form miterlebt, war nie aus dem Maelstrom gezerrt worden. Im Prinzip war er nie gestroben. Er existierte ohne Unterbrechnung ohne die kleinste Atempause.
      Eine empfindliche Empathie, obwohl sie Cain unzählige Schwierigkeiten bescherte, hatte auf der anderen Seite ebenso Vorteile. Für den Bruchteil einer Sekunde erspürte er die dezente Nuance von Angst. Die Andeutung von Übelkeit säuerlich in der stickigen Luft des Aufzuges und der kaum spürbare Anstieg eines Herzschlages. Die feine Duftspur witterte der Seeker wie ein gut dressierter Jagdhund.
      Bevor Cain sich erneut in das Gespräch einmischen konnte, öffnete sich die Aufzugtür.
      Gleich einer Strohpuppe schleuderte Anifuris den ahnungslosen Soldaten gegen die hinterste Wand des Aufzuges. Der Seeker und der Archivar hatten gerade noch genug Zeit übrig, um sich an den gegenüberliegenden Wänden in Sicherheit zu bringen. Beide Männer pressten sich mit dem Rücken so flach wie möglich gegen das kalte Metall. Ohne den Blick von Syleas zierlicher Gestalt abzuwenden - Cain blinzelte, als Bilder wie die Erinnerung eines Fremden vor seinen Augen zuckten - und tastete blind nach dem Bedienungsfeld. Zügig fand er den richtigen Knopf und setzte den Aufzug erneut in Bewegung.
      Reflexartig verschloss der Seeker die vollständige Wahrnehmung seines Verstandes, als er den ersten Fingerzeig bekam, dass Anifruis seines Mächte entfesselte. Ein ruckartiger Atemzug füllte seines Lungen mit dem süßlichen, erstickenden Gestank nach Verweseung. Und dann spürte er nichts mehr. Auf dem beengten Raum fuhr Cain seine hyperaktiven Sinne, in diesem Fall seinen Geruchssinn und die den Teil des Verstandes für Furcht, auf das absolute Minumum herunter. Er wollte weder die Todesqualen der Seele noch die altvertraute aber verhasste Aura des Seelendiebes in voller Gänze abbekommen. Er durfte keine Risse in seiner Kontrolle zulassen, je näher ihre Gruppe zum Kern der Basis vorstieß. Jeder noch so feine Sprung in seiner Hülle konnte sie zerreißen. Das Gold bildetete eine glatte und enganliegende Schutzhülle um den Seeker, nicht eine winzige Verästelung bewegte sich aus dem Schimmer.
      Das Brechen eines Knochens hatte einen ganz eigentümlichen Klang, den Cain kaum in Worte fassen konnte.
      Er wusste, dass es ein Knochenbruch war noch bevor er einen Blick auf den entsprechenden Arm geworfen hatte.
      Ein zarter Puls, kaum spürbar, löste sich aus dem Goldschimmer.
      Eine zertrümmerte Kniescheibe unter seinem Stiefel, das übermächtige Gefühl von Wut.
      Und das tiefe Loch als er sich seiner Tat bewusst wurde.
      Cain schloss die Augen.
      Erst als Anifuris sprach und eine gespenstische Stille eingekehrt war, schlug er die Augenlider auf.
      Die goldschimmernde Iris flackerte unstet doch seine Gesichtzüge waren unbewegt. Ein flüchtiger Blick sank auf den zuvor gebrochenen Arm, der nun von verblassten Blutrunen geziert wurde. Er fühlte überrascht, wie ihn Erleichterung durchströmte.
      "Verlieren wir keine Zeit, bevor noch mehr Soldaten auftauchen. Damit jeder von uns das bekommt, was er will." antwortete Cain und drückte die unterste Taste der Aufzugsteuerung.
      Wissen für Anifuris und den Babylonier. Cordelia für den Seeker.
      Sylea...Cain schüttelte den Kopf, als umschwirrte ihn eine lästige Fliege.
      Der Aufzug ruckelte zu einem Halt ehe die Türen auseinander glitten.
      "Ich wusste, dass du irgendwann hier aufschlägst, Desraeli", knurrte es ihnen entgegen. "Hoffentlich mit eingezogenem Schwanz und um Vergebungs bettelnd wie ein braver Schoßhund."
      Mit einem gehässigen Grinsen begrüßte Marcus die Neuankömmlinge im Herzen des Hellgate
      Eine Gruppe gut ausgerüsteter und schwer bewaffneter Hunter starrte ihnen über die Läufe der Waffen entgegen, zu deren Füßen war eine Abfolge von Runen in den Beton geäzt worden. Mit genauem Auge ließ sich leicht verfolgen, dass sich ein schlanker Ring aus Runen über Boden, Seitenwände und Decke zog. Cain knirschte mit den Zähnen.
      "Passt auf den Runenzirkel aus.", knurrte er. "Er erzeugt ein elektrostatisches Feld. Versucht ihr die Runen zu übertreten, werdet ihr gegrillt."
      Cain hatte einen solchen Runenzirkel bereits im Einsatz gesehen. Den Geruch nach verbranntem Fleisch würde er so schnell nicht wieder loswerden.
      Es entsprach nicht seiner Natur die beiden Seelen zu schützen, die sich ohne jeden Zweifel bei der ersten Gelegenheit seiner entledigen würden. Auf der anderen Seite kam er weder ohne Anifuris noch ohne den Bablylonier lebendig und an einem Stück wieder an die Oberfläche.
      "Ich würde liebens gerne noch weiter plaudern, aber wir essen zeitig.", grinste der Hunter mit den dunkelblonden, kurzen Haaren und der vertrauten Silhouette eines Schwertes über seiner Schulter. Er trat einen Schritt zurück aus der Schussbahn hinaus.
      Und dann brach die Hölle los.
      "Feuer!"
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Winterhauch ()

    • "Keine Zeit verlieren ist wohl nicht ganz richtig. Der Soldat gerade war eine Vorhut, ein Späher. Wenn er ausgeschaltet ist bekommt der Rest sofort die Information, dass ihm etwas widerfahren ist. Vermutlich bekommen wir jetzt nur noch mehr Personal als vorher zu spüren."
      Die gesamte Einrichtung war ein einziger brummender Haufen, der, je tiefer man kam, umso chaotischer wurde. Wo der Seelendieb zu Beginn noch gut einzelne Seelen lokalisieren konnte, verschwammen sie hier unten allmählich und ließen sich schlechter voneinander abgrenzen. Einzelne Spitzen ließen noch gut lokalisieren, so wie jene in den Zellen ganz am Boden des Hell Gates.
      Als die Aufzugstür surrend aufglitt kam die bekannte Stimme sowohl Sylea als auch Anifuris zeitgleich zu Ohren. Ein kurze, nicht leicht zu definierende Welle schwappte über Anifris hinweg als sich ein Urkern ihres geteilten Bewusstseins an den Besitzer eben jener Stimme erinnerte. Seine Augen flogen direkt auf Marcus, der inmitten seiner schwer bewaffneten Truppe ein hämisches Grinsen aufgesetzt hatte und somit dafür sorgte, dass Anifuris selbst sein Lächeln verlor. Wenn er sich richtig entsann hatte er diesen Hunter damals schon zerplatzen sehen wollen. Ihn so auf dem Silbertablett serviert zu bekommen war reinster Luxus.
      Wären da nicht die anderen Hunter gewesen.
      "Warst du nicht der, der Sylea das Schwert durch's Bein gejagt hat?", warf Anifuris sachlich dazwischen, doch dann verzerrte sich sein Gesicht plötzlich zu einer Fratze. Das war der Kerl gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass sie im Hollow Point gelandet waren.
      Ganz kurz, erschreckend flüchtig sogar, streiften die Augen der alten Seele die Runenkreise. Definitiv brechbar, allerdings kostete das Zeit und vorallem Ruhe, die er jetzt nicht bekommen würde.
      Wie auf's Stichwort erfüllte ohrenbetäubender Lärm die Gänge. Anifuris und Cain tauchten beide hinter den schächtigen Rahmen des Aufzuges ab, in dem die Türen aufgegangen waren. Die alte Seele machte sich so flach wie es nur irgendwie ging und dankte den Stahltüren dafür, die Schüsse wenigenstens abzuhalten. Sein Blick flog zu Mortimer, der fast schon gelangweilt in der offenen Tür stand und den die Kugeln scheinbar zu meiden schienen. Wobei - sie schienen eher abgelenkt zu werden, so als flögen sie einen Bogen um den Babylonier.
      "Warst du nicht für das Handfeste zuständig?", brüllte Anifuris über den Lärm hinweg und fiel in die Hocke, als eine Kugel die Wand knapp über ihn durchschoss. "Ich mach den Kreis, du die Fleischberge?"
      Ein Puls ging durch die Räume als Anifuris seine Aura ausstreckte. Er berührte den Kreis und zuckte wie nach einem Schlag zusammen. Der Effekt erstreckte sich sogar darauf, wenn man den Kreis zu lösen versuchte. Das Gesicht noch immer zur Fratze verzerrt griff er abermals beherzt nach dem Kreis, sodass ihm einzelne Haare zu Berge standen und seine Kiefermuskeln verkrampften. Stück für Stück löste er die verketteten Runen während er darauf setzte, dass der Babylonier seinen Teil des Deals einhielt.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Der Babylonier blickte unbeeindruckt in verwirrte Gesichter.
      Beiläufig erhob er den ausgstreckten Zeigefinger während das verzerrte Grinsen auf seinem Gesicht mit jeder Sekunde breiter wurde. Der Kugelhagel beeinträchtigte den seltsamen Archivar in keinster Weise. Von unsichtbarer Hand gelenkt, machten die rotierenden Geschosse einen scharfen Bogen um seine Gestalt und schlugen hinter ihm in der Rückwand des Aufzuges ein. Innerhalb weniger Augenblicke zeichneten die Einschusslöcher das beeindruckend, exakte Abbild seiner Silhouette in den Stahl. Die Fähigkeit der Materia reichte soweit, dass der Konstrukteur die wenigen Partikel in der Luft nutzte um die Flugbahn der Kugeln zu manipulieren. Es hatte durchaus seinen Grund warum Seelen seiner Art fast ebenso gefürchtet waren wie die Manipulatoren und Seelendiebe. Die Materia kannte buchstäblich keine Grenzen, obwohl sie sich in Mortimers Fall auf die Beeinflussung toter Materie beschränkte.
      Ein unwesentliches Nicken blieb die einzige Reaktion des Babyloniers auf Anifuris' Frage ehe ein unmenschliches Grollen erklang, dass dermaßen an Lautstärke gewann, dass es selbst der Lärm der Schüsse übertönte. Der Angriff endete ruckartig und mündete in einem Moment der Ratlosigkeit, als sich die Hunter umsahen. Hinter dem Bannkreis fühlten sie sich sicher, was sieh schon bald als fataler Fehler herausstellte.
      "Irgendwelche Einwände?" Grinsend blickte der Babylonier über seine Schulter zurück.
      "Tob dich aus.", knurrte Cain mit glühenden Augen. "Aber das Arschloch mit dem Schwert gehört mir. Wir haben da noch eine kleine Meinungsverscheidenheit zu klären."
      "Wunderbar!", lachte Mortimer, während das Grollen im Hintergrund weiter anschwoll und klatschte in die Hände.
      Die Hunter begriffen schnell, dass das monströse Geräusch nicht von dem unscheinbaren Archivar vor dem Bannkreis stammte sondern von den Betonwänden. In dem Augenblick, in dem Mortimers Händflächen aufeinander trafen, knirschte es unangenehm im Beton.
      Verinzelte, winzige Risse zogen sich wie ein Spinnennetz über die raue Oberfläche, ehe mit einem Krachen größere Spalten aufbrachen. Durch die Öffnungen wanden sich schwarz, isolierte Kabel wie abstrakte, schlangenähnliche Kreaturen. Die Neonröhren über ihren Köpfen flackerten besorgniserregend, als mit einem Zischen die Kabel aus den Wänden schossen und sich um Gliedmaßen, Hälse und Torse schlangen. Ähnlich einer Schlingpflanze umwickelten die Stromkabel die Hunter. Ein Schrei ertönte, als der erste Hunter seine Waffe fallen ließ, nachdem der Babylonier ihm mit einem Schnippen und einer Kabelschlinge das Hangelenk brach. Dem ersten Hunter folgte eine Kettenreaktion, bis alle Waffen am Boden lagen.
      Mortimer liebte den großen Auftritt und ließ sich merklich mehr Zeit als notwendig war.
      Mit fast daramtischer Gemächlichkeit zog er die Hunter mithilfe seiner verlängerten Arme aus Kabeln in Richtung Wände, die bei genauer Betrachtung recht instabil wirkten. Nach einander versanken die bedauernwerten Gefangenen in der unbeständigen Oberfläche wie in Treibsand.
      Cain wartete geduldig auf die letzte Rune, die sich wie ein welkes Blatt auf dem Boden kräuselte und letztendlich erlosch.
      Aus der Hocke schoss der Seeker nach vorn und schnellte am Babylonier vorbei. In der Art und Weise, wie er über sich windende Kabel sprang oder unter ihnen hindurch tauchte und geschickt zuckenden Gliedmaßen auswich, zeigte sich das jahrelange Training des Seekers. Die militärische Ausbildung war auf Geschwindigkeit und Geschick ausgelegt, nicht auf den Umgang mit schweren Waffen.
      Und es war die Schnelligkeit und der Überraschungsmoment, der es Cain ermöglichte den muskulöseren Körper von Marcus zu Boden zu reißen. Mit voller Wucht prallte er gegen den breiten Brustkorb, dass der Hunter nach Luft schnappte.
      Als der Babylonier die Hände senkte, schauten lediglich der ein oder andere Fuß oder Hand aus der nun wieder massiven Wand hervor. Das letzte Zucken einzelner Finger war schnell vorbei. Wie absurde Wandskulpturen säumten sie den Korridor.
      Inmitten dieses seltsamen Gebildes kniete Cain über seinem Rivalen und drückte jenem die eigene Schwertklinge gegen die Kehle.
      "Warum konntest du nicht einfach deinen verdammen Job machen", zischte Marcus und schluckte schwer, wobei sich sein Kehlkopf gefährlich gegen die rasiermesserscharfe Schneide drückte.
      Der Seeker verzog das Gesicht zu einer Fratze, die nur flüchtige Ähnlichkeit mit einem Grinsen hatte.
      Ohne Vorwarnung riss er das Schwert hoch und bohrte die Klinge durch seine Wade. Das Glühen in den goldenen Augen war mittlerweile so intensiv, dass sich überquellende Aura aus seinem Augenwinkel löste wie Nebel. Marcus schrie gequält auf, wobei die Narbe in seinem Gesicht noch mehr zu verzerren schien. Es verschaffte Cain Genugtuung.
      "Irgendwelche letzten Worte bevor ich die Welt von einem Monster befreie?", knurrte er.
      Aus irgendeinem Grund lächelte Marcus.
      Es war eine Erkenntis in den Augen des Hunters, während er Cain musterte und sich der Endgültigkeit der Situation bewusst wurde.
      "Hat dir das kleine Miststück dermaßen den Kopf verdreht, dass es dir gleich ist, wie viele Unschuldige um dich herum sterben? Der Cain, den ich in Erinnerung habe, hätte das nie zugelassen. Ich bin hier nicht das Monster.", sagte Marcus mit verwirrender Ruhe.
      Bei dem letzten Satz ging ein Ruck durch den Seeker.
      Es war eine ruckartige Zuckung seiner Muskeln, als wüsste seine Körper nicht welche Bewegung als nächstes kam. Was übrig blieb war ein Zittern, ein angespanntes Vibrieren unter der Haut.
      "Bye, Marcus.", sagte Cain tonlos, zog das Schwert aus der Wade und rammte es dem Hunter durch die Kehle.
      Schweratmend sah der Seeker zu wie das Licht in den Augen des Hunters verblasste.
      “We all change, when you think about it.
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    • Anifuris hörte nicht nur das Grollen, er fühlte es auch. Genauso sehr wie er das Aufbegehren all jener Seelen hörte, die auf den Puls reagierten, der vom Babylonier ausging. Die unterschiedlichen Stimmen in seinem Kopf ergaben eine Kakophonie wider jener Schönheit und taten ihr Bestes, den Seelendieb von seiner Arbeit abzuhalten. Die Stimmen verschmolzen mit den Schreien der Hunter im hinteren Gang zu einer undeutbaren Masse während Anifuris konzentriert die einzelnen Runen löste und darauf vertraute, dass Mortimer ihn sicher in seiner Ecke sitzen lassen würde.
      Mit einem zufriedenen Schnauben löste er schlussendlich die letzte Rune und erhob sich aus seiner Hocke. Als er hinter der Tür hervorkam und den Flur erblickte, nachdem der Archivar seinen Teil eingehalten hatte, brauchte er zugegebenermaßen einen Augenblick ehe er realisierte, was da aus den Wänden des Ganges noch hervorstand. Er war sich nicht sicher, ob er es beeindruckend schrecklich oder einfach nur schrecklich schön finden sollte. Der ausschlaggebende Punkt war jedoch, dass sie selbst die Räumlichkeiten manipulieren konnten ohne scheinbar direkte Konsequenzen zu erfahren. Wie konnte solch ein Bunker dann diesen berüchtigten Ruf aufbauen?
      Eine Sekunde später fanden die graubraunen Augen den Seeker, der über einer Gestalt kauerte. In der ansonsten absoluten Stille hätten alle Anwesenden jedes noch so leise Wörtchen Marcus' hören können. Doch hielt sich der Seelendieb nicht weiter daran auf sondern setzte seinen Weg in Richtung des ehemaligen Runenkreises fort. Zumindest bis der Schmerzensschrei erklang und ihn dazu nötigte, wieder zu Cain zu sehen. Sowohl der Aufschrei als auch der Anblick ließen die alte Seele völlig kalt. Trotzdem ging eine kalte Welle durch sein Inneres, als die Kombination Syleas Bewusstsein berührte. Sie erinnerte sich, als sie in dieser Position gesteckt hatte und fürchtete sich davor zu sehen, wie es dem Seeker Genugtuung verschaffen würde. Unbarmherzig setzte Anifuris jedoch einen Fuß vor den anderen bis er schließlich an der Seite Mortimers zum Halten kam. Von da aus bekam er den letzten Wortwechsel noch mit ehe Cain Marcus' Kehle durchbohrte.
      "Ich wette mit dir, dass Sylea es nicht gutgeheißen hätte", merkte er trocken an und hob die Augenbrauen, als das Feedback eine Pulsation der goldenen Aura war. So kräftig war sie schon länger nicht mehr gewesen. "Mich wundert vielmehr, dass sie auf Hunter zurückgreifen. Menschliche Hunter. Das hier soll das Fort Knox der Menschen sein und dann fällt die Sicherung dermaßen lachhaft aus?"
      Er runzelte die Stirn. Gut, manche der Kreise hätten definitiv mehr Wirkung auf andere Vessel gehabt. Aber das Personal war trotzdem mehr als dürftig. Der einzelne Wachmann im Aufzug war bislang das einzige Vessel, das ihnen begegnet war. Irgendwo lag der Hase im Pfeffer und sie wussten noch nicht, wo.
      Augenscheinlich in aller Seelenruhe wartete Anifuris ab, bis sich Cains Aura stabilisiert hatte und sich der junge Mann wieder aufrichtete. Er reinigte völlig routiniert seine Klinge an den Klamotten des Toten bevor er sie wieder sicher verwahrte und immer noch ein marodiertes Bild abgab. In einem Punkt musste die alte Seele dem jüngst verstorbenen Marcus rechtgeben: Cain nahm gerade willentlich die Tode zahlreicher Unschuldiger in dieser Hinsicht in Kauf. Dass er es jedoch nicht für Sylea, sondern für sich selbst tat, hatte Marcus womöglich einfach nicht gewusst.
      "Wir sollten dann mal weiter....", verkündete Anifuris und steuerte die Richtung an, in die die Elementarkammern liegen mussten.
      Die restliche Strecke gingen sie schweigend. Keiner wollte etwas sagen, dass den jeweils anderen aus seiner Konzentration riss. Bis Anifuris ihnen bedeutete, dass sie noch einmal links abbiegen mussten, um dann in den Verteilergang mit den Türen zu den jeweiligen Kammern zu gelangen. Mit jedem Schritt, den sie nahmen, beschlich die alte Seele ein ungutes Gefühl. Welches sich noch verschlimmerte, als er einen ähnlich nachdenklicken Gesichtsausdruck bei dem sonst so monoton wirkenden Babylonier entdeckte. Auch er schien etwas wahrzunehmen, das sich der Wahrnehmung eines Menschen entzog. Etwas brachte die äußersten Schichten ihrer Seele zum Vibrieren und sorgte dafür, dass er das erste Mal wirklich hellhörig wurde. Mit der bisher größten Sorgfalt bog das Dreigespann um die nächste Ecke und bekam freie Sicht auf einen breiter ausfallenden Gang mit einer Sackgasse. Die Decke war deutlich höher ausgearbeitet und fünf schere Türen führten scheinbar zu den Zellen, in denen die Elementare sitzen mussten. Und in einer von ihnen fühlte Anifuris Scintilla.
      Vor den Türen, genau mittig, stand ein einzelner Stuhl, aufgestellt vor einem schwarzen gusseisernen Kessel. Neben dem Kessel, der über einer irrwirklichen Flamme zu köcheln schien, lag eine klobige unförmige Keule. Auf dem Stuhl saß ein rothaariger Junge, der bei dem Eintreffen des Dreiergespanns aus seiner gelangweilt wirkenden kauernden Haltung erwachte. Er war ein schmächtig geratener Junge mit Sommersprossen im Gesicht und einer Mimik, die viel zu alt für die gerade einmal zwölf Jahre waren, die er zu sein schien. Aber kaum hatten sich seine und Anifuris Blicke getroffen, setzte der Seelendieb keinen Schritt mehr weiter.
      Der Junge rutschte auf dem Stuhl herum bis er ihnen frontal gegenüber saß. Die Beine hatte er weit ausgestellt, wie es sonst nur gestandene Männer taten, und lehnte die Ellbogen auf seinen Oberschenkeln ab. Die Hände verschränkte er ineinander, um sein Kinn darauf abzulegen.
      "Zwei Seelen und ein Mensch machen ihr Aufwarten und sorgen dafür, dass der Rat mich schickt? Ich bin ein wenig beleidigt", murmelte der Junge und musterte die drei Angreifer ruhigen Blickes. "Einen Babylonier habe ich schon länger nicht mehr gesehen. Bist du nicht sogar der, den sich der Rat hält?"
      Anifuris schüttelte sich plötzlich. Ihm lief es eiskalt den Rücken herunter je länger der Junge sprach. Ihm fiel sogar sämtliche Farbe aus dem Gesicht ohne zu wissen, wer ihm da gegenüberstand. Diese Reaktion hatte nicht einmal Mortimer bei ihm auslösen können.
      "Der junge Mann dort möchte zu Scintilla und man hat mich gebeten, einen Blick auf euch zu werfen. Vorzugweise sollte ich mich vermutlich um die beiden Seelen dort neben dir kümmern...", er runzelte ein wenig die Stirn und es sah einen Moment lang so aus, als glühten seine Augen ein wenig. "... Cain. Soll ich dir den Gefallen tun und die beiden Wiedererweckten zurück in den Maelstrom schicken?"
      Anifuris starrte den Jungen fassungslos an. Es war das erste Mal in seiner Geschichte, dass er keiner gewöhnlichen Seele gegenüberstand. Ähnlich musste es dem Archivar zu seiner Seite ergehen.
      Der Junge lächelte ein totes Lächeln. Seine Aufmerksamkeit lag einzig und allein auf dem Seeker zwischen den beiden Vesseln. "Die zwei zu deiner Seite wissen, dass sie nicht unüberlegt handeln sollten. Du jedoch kannst es nicht wissen. In euren Breitengraden nennt man mich Dagda."
      Sie standen das erste Mal einem echten Gott gegenüber.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Eine seltsame Leere erfüllte den Verstand des Seekers.
      Die erlösende Genugtuung über den Tod des Hunters, der ihr seit Beginn seiner Ausbildung mit nichts anderem als Geringschätzung angesehen hatte, hielt lediglich ein paar wenige Sekunden an. Danach kam wieder das Nichts. Ein undefinierbares Rauschen in seinen Ohren und das Gefühl ein Loch in der Brust zu tragen, das mit nichts gefüllt werden konnte. Nicht mit Wut. Nicht mit Rache.
      Eine Welle des unkontrollierbaren Zorn bahnte sich ihren Weg und fegte in einem kraftvollen Puls aus flimmerndem Gold durch den Korridor, der dem Szenario aus einem Horrorfilm erschreckend ähnlich sah. Anifuris Worte hatten einen Nerv getroffen, von dem Cain nicht wusste, dass er noch existierte und zu einer Gefühlsregung fähig war.
      "Sylea ist aber nicht hier...", zischte er grimmig und erhob sich vom Boden, durch dessen grobkörnige Beschaffenheit das warme Blut sickerte.
      Cain betrachtete die blutige Klinge in seiner Hand mit verzerrtem Gesichtsausdruck, als bereitete ihm der Anblick körperliche Schmerzen. Ein tiefer Atemzug ließ seine Schultern erbeben, ehe Ruhe in den aufgewühlten Zustand seiner Aura einkehrte. Durch dünne Haarrisse im Goldschimmer sickerten feinste, schwarze Partikel in den Gang aus tristem Beton in dem es nach Tod und Blut stank.
      Mit widererlangter Ruhe wischte der Seeker das Schwert sauber und beschloss die Waffe an sich zu nehmen. Etwas grob löste er den Schultergurt von Körper des Hunters und schlüpfte selbst hinein. Ein paar notwendige Korrekturen später, hatte er den Sitz des Waffenhalfters angepasst und schob sich das Schwert über den Rücken. Es war keine typische Waffe für einen Seeker, die üblicherweise nicht mehr bei sich trugen, als eine einfache Handfeuerwaffe. Seeker waren keine Kämpfer. Eigentlich waren sie mehr Jäger als es die Hunter jemals sein konnten und das Gewicht der Klinge fühlte sich schwerer auf seinem Rücken an, als sie wahrscheinlich sollte.
      Schweigend folgte Cain den beiden Seelen tiefer in die Gänge des Kaninchenbaus.
      Der Babylonier sah aus dem Augenwinkel zu Anifuris herüber.
      Über seine Lippen huschte ein wissendes Lächeln, ehe er beiläufig mit den Schultern zuckte und mit einem Funkeln in den Augen wieder nach vorn sah.
      "Mein Ruf wäre ruiniert, wenn ich nicht einmal dazu in der Lage wäre, in mein eigenes Konstrukt einzubrechen.", grinste Mortimer, ehe er sich auf dem Absatz drehte um rückwärts zu gehen und Anifuris unverwandt ansah, die Hände dabei auf dem Rücken verschränkte. "Pardon, hatte ich nicht erwähnt, dass das Hellgate mein Werk ist? Vor langer Zeit war das hier...", Mortimer machte eine allumfassende Geste. "...ein tiefverzweigtes Höhlensystem. Ich habe hier für viele Jahre mein Dasein gefristet, weit weg von der Menschheit, derer ich überdrüssig geworden war. Es war eine Zeit, in der die Seelen freimütig wüteten und sich der Rat in seiner Anfangszeit mit den fremden Mächten überfordert sah. Das sie mich fanden, war ein glücklicher Zufall. Der Rat gab mir Zugang zu Wissen und Immunität. Dafür bot ich ihnen meine Dienste an und gab ihnen das hier. Das Tor zu ihrer eigenen, persönlichen Hölle um ihre Dämonen zu verstecken."
      Der Babylonier brachte es fertig zu lachen und verstummte ebenso schnell, als sie die Vorkammer zu den Zellen der Elementare betraten. Das bereits vom Mangel an Tageslicht blasse Gesicht des Archivar schien endgültig alle Farbe zu verlieren. Die Mächte, die er am ganzen Leib spüren konnte, bevor die Stimme in seinem Rücken erklang, ließen ihn schaudern.
      Langsam wandte sich Mortimer um und erblickte die Gestalt eines unscheinbaren Jungen auf seinem Stuhl. Die Aura war so allumfassend, dass Mortimer spürte wie der eigene Aurenspiegel unter dem Druck heftig erzitterte. Kräfte dieser Art hatte er noch nie in seiner langen Existenz gespürt und wusste augenblicklich, dass er von einer zweiten Begegnung dankend absehen würde.
      Die Reaktionen der machtvollen Seelen neben ihm stifteten einiges an Verwirrung für den Seeker.
      Er hatte nicht geglaubt, dass es eine Macht im Universum gab, der den beiden alten Wesen dermaßen das Fürchten zu lehren vermochte. Cain fühlte eine gewaltige Resonanz in dem gewölbeartigen Raum und das Erzittern der Auren beider Männer.
      Die göttliche Präsenz nahm das gesamte Gewölbe ein und der Seeker hatte sichtlich Mühe sich nicht davon erdrücken zu lassen. Er mochte die Aura des mysteriösen Jungen gänzlich anders wahrnehmen als der Babylonier oder Anifuris, aber die Intensität ließ sich nicht bestreiten. Instinktiv hielt auch der Seeker still.
      Bevor Cain die Antwort in seinem Kopf durchgespielt hatte, räusperte sich der Babylonier zögerlich in seinem Rücken.
      "Mit Verlaub...", sagte er ungewohnt zögerlich und aus dem Ärmel seines teuren Anzuges glitt ein goldener Schlüssel in seine Hand. "Wie heißt es so treffend? Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Der Deal war euch zwei Hübschen reinzubringen. Cain, Anifuris...es war mir ein Vergnügen."
      Höflich zog Mortimer den imaginären Hut, während der Beton unter ihm zu knirschen begann und sich die Oberfläche zu einer Tür formte. Der Feigling - und ja, Mortimer war sich dessen bewusst - ließ den Schlüssel aus seinen Fingern gleiten, der geradewegs und zielsicher in das Schloss fiel und sich von Geisterhand um die eigene Achse drehte. Die Tür öffnete sich wie ein Falltür und der Babylonier verschwand mit einem wackeligen Augenzwinkern in der Schwärze dahinter. Das Portal schnappte zu und verschwand mit einem leisen 'Plopp'.
      Womöglich sollte Cain schockierter über den Abgang des Babyloniers sein, aber sein Ziel war zum greifen Nahe.
      Der Seeker starrte den Jungen an, der sich als Dagda vorstellte. Die Mythologie war ihm nicht fremd und er wählte seine Worte mit Bedacht, während die schwärzlichen Partikel wie Asche durch die Risse in seiner Aura strömten. Die Antwort wäre kinderleicht, gäbe es da nicht dieses unterschwellige, aufdringliche Stechen in seinem Hinterkopf.
      "Was passiert mit dem Mädchen, dem der Körper gehört, wenn du die Seele namens Anifuris zurück in den Maelstrom schickst?", fragte er.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”