Vessels [Asuna & Winterhauch]

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    • Prompt ging Sylea ein Licht auf, warum er gezögert hatte, das Signalfeuer zu zünden. Es war tatsächlich kein Mitleid gewesen, das den Seeker hatte stutzen lassen. Sondern die Ähnlichkeit zu seiner Schwester. Er hatte sie in der jungen Rubra gesehen. Und wenn das der Fall gewesen war, dann konnte sich Sylea ausmalen wie schlimm es gewesen sein mochte, als man seine Schwester geholt hatte. Eine rasche Abfolge von Erkenntnis, Verständnis und einer Idee lief in ihren Augen ab, was Cain entgang. Er starrte lieber die widerliche Neonlampe an, deren Flackern manch einen zur Weißglut treiben konnte.
      "Sie benutzen sie als Druckmittel", stellte Sylea überrascht fest.
      Langsam begann sich ihr Bild des Seekers zu wandeln. Der Ausdruck in ihren Augen war nicht mehr so scharf, wenn sie ihn ansah. Es schlich sich ein Hauch von Neugier hinein, suchte die kleinen Spalte in ihrer Fassade, um sich dort breitzumachen. Niemand hatte je behauptet, dass die Einheiten des Rates alle untereinander reibungslos funktionierten. Spätestens nach der Art und Weise, wie die Hunter Cain behandelt hatten, hätte es ihr viel früher auffallen müssen. Er war wahrscheinlich nicht unbedingt besser dran als sie selbst. Nur schien er ohne Ketten oder Aufpasser laufen zu dürfen, im Gegensatz zu ihr selbst. In wenigen Sekunden hatte sich alles an der Haltung der jungen Rubra verändert. Sie hatte nun die Ellbogen auf ihre Beine gestützt und das Kinn auf die ineinander verschränkten Hände gelegt. Wie ein Räuber seine Beute taxierte musterte Cain abermals von Kopf bis Fuß. Plötzlich nahm sie auch seine Handlung, wie er vorhin an seinem Hals handtiert hatte und eben in reinem Automatismus etwas an seinem Bein gesucht hatte...
      "Was stellen sie mit euch an?", harkte sie nach, selbst das Wackeln des Fahrzeuges brach ihren Blick nicht ab. "Die Hunter haben dich wie ein Stück Abfall behandelt. Warum? Sie sollten euch als eine Art Ergänzung sehen und nicht als Mittel zum Zweck. Wenn du gehen könntest, wärst du es schon lange. Also haben sie entweder deine Schwester als Druckmittel oder etwas anderes, mit dem sie sich binden."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Überdeutlich spürte Cain ihren Blick auf sich, der förmlich ein Loch in sein Stirn zu brennen drohte. Dennoch wandte er den Blick nicht von der einzigen Lichtquelle ab, als wäre es der einzige Blickpunkt, der seinen Fokus aufrecht erhielt. Zu viel hatte er bereits gesagt und war dennoch versucht noch mehr zu offenbaren. Nicht jeder intressierte sich für das Schicksal der Seeker. Sicherlich sie waren auf ihre Art wertvoll und nützlich, aber sie waren auch ersetzbar. Es gab immer jemanden, der die Position einnehmen konnte. Jemanden, dem die bedauernswerte Ehre zu Teil wurde, seine Nachfolge anzutreten. Bei ihren Worten zuckte es verräterisch um sein bernsteinfarbenen Augen.
      Langsam, wie in einer Trance, senkte Cain den Blick um direkt in Syleas Augen zusehen. Etwas huschte über sein Gesicht, dass den Zwiespalt wiederspiegelte, in dem er sich gerade befand. Woher sollte sie auch wissen, wie die Welt außerhalb ihres Bannkreises funktionierte. Ihre Worte verrierten, dass man ihr die Grundlagen erleutert hatte, aber alles, was darüber hinaus ging wurde selbst vom Rat gerne tot geschwiegen. Nicht jeder befürwortete den Umgang mit den Seekern und nicht jeder seiner Art ertrug dasselbe Schicksal wie er. Aber es war selten geworden, denn das Blind Eye machte sie effektiver. Und die stetig steigende Anzahl an besetzten Menschen verlangte es.
      "Ich erfüllte nur meine Aufgabe." Rau erklang die Stimme über seine Lippen. "Im Gegenzug helfen sie ihr. Sie ist sicher, solange ich funktioniere." Cain sprach von sich selbst so distanziert, als hätte er sich längst von seiner eigenen Existenz gelöst. Er hatte sich bereits mit einem Schicksal abgefunden, dass ihm nur noch wenige Jahre schenkte. Das Blinde Eye würde ihn zwangsläufig dahin raffen.
      Bei ihren letzten Worten brachte er es tatsächlich fertig, heiser zu lachen. Es klang tonlos und ohne Herz. Der Seeker beugte sich ein wenig vorn und winkelte das Bein mit dem Holster am Körper an. Bedächtig zog er eine Phiole heraus und hielt die eisblaue Flüssigkeit gegen das grelle Licht der Neonröhre.
      "Was hat man dir über die Seeker erzählt?" Stellte er die einfach Frage, er wollte erst wissen, auf welchem Stand sie war. Cain würde sie kaum wiedersehen, sobald sie an ihrem Zielort angekommen waren. Welchen Schaden konnte er da schon anrichten und wenn er die Lage richtig einschätzte, würde man Sylea eh kaum Gehör schenken. Keiner trauten ihren Worten über den Weg. Und auch Cain zweifelte daran, mit wem er wirklich sprach. Vielleicht servierte er ihr auch gerade sein Leben auf einem silbernen Tablett.
      "Weißt du, was das ist?" Dabei schwenkte er die Glasphiole leicht, so dass die Flüssigkeit darin dezente Wellen schlug. Der Wagen bog um eine Kurve und schüttelte die Insassen ein wenig druch. Wie lange waren sie schon unterwegs? Cain hatte den Überblick über die Zeit verloren. Schlaf war alles was er wollte.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • "Ich erfüllte nur meine Aufgabe." Rau erklang die Stimme über Cains Lippen. "Im Gegenzug helfen sie ihr. Sie ist sicher, solange ich funktioniere."
      Für einen winzigen Moment lang wurde Syleas Herz schwer. Sie beide besaßen Informationen, die dem anderen nicht geläufig waren und vielleicht so manch Epiphanie bewirken mochten. Je nachdem, mit welcher Einheit seine Schwester beseelt worden war, gab es keine Hilfe, keine Rettung. Wenn sie noch lebte, dann war "sie" als Bewusstsein möglicherweise gar nicht mehr vorhanden. Sollte man dem Seeker verwehrt haben, sie nach dem Abtransport noch ein einziges weiteres Mal zu sehen, dann nur weil den Schein wahren wollten und den jungen Mann in einer trügerischen Hoffnung zu behalten.
      Cains Lachen klang unangenehm in Syleas Ohren wider. Dieses Geräusch hatte sie seit Ewigkeiten nicht mehr gehört und der karge Tonfall verzerrte die Erinnerung, die sie an echtes Lachen besaß. Doch es war die leuchtend blaue Flüssigkeit in der Phiole, die ernsthaftes Interesse in der jungen Rubra weckte.
      "Ein Aufputschmittel vielleicht?", antwortete sie lediglich, ihre Fingerspitzen zuckten leicht.
      Dann schob sie sich auf dem Sitz in Richtung Cain. Sie saß nun ungefähr in der Mitte des Laderaumes als sie ihre rechte Hand ausstreckte. Solange sie konnte würde sie alles an Informationen sammeln, was ihr auch nur im Entferntesten helfen konnte. Allerdings sah sie eindeutig, dass der Seeker ihr die Phiole nur sehr widerwillig in die geöffnete Handfläche legte und sie keine Sekunde aus den Augen ließ. "Ich mach das schon nicht kaputt."
      Eingehend untersuchte Sylea die kleine Phiole, hielt sie ebenfalls gegen das Licht und schüttelte sie. Letztlich fummelte sie am Verschluss herum bis sie sie geöffnet bekam und vorsichtig am Inhalt roch. Nichts. Bevor eine weitere Erschütterung sie veranlasste, den Inhalt überall zu verschütten, verschloß sie das Röhrchen und reichte es Cain zurück.
      So machen die Menschen das also. Ganz schön schlau.
      Syleas Bewegung wurden so steif, als leide sie Schmerzen. Doch so schnell dies gekommen war, so schnell war es auch wieder verschwunden. Da war wieder dieses flaue Gefühl in ihrer Magengrube, das ihr verriet, dass etwas im Argen war. Was den Zeitablauf betraf war sie genauso ratlos wie der Seeker vor ihr am Boden des Wagens.
      Just in dem Moment kam der Wagen ruckelnd zum Stehen. Jetzt wurde es interessant.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Tatsächlich gab Cain nur ungerne die Phiole aus den Hände und blickte sie dabei mit äußerster Skepsis an. Als Außenstehender könnte man beinahe meinen sein Leben würde davon abhängen. Und genau so war es auch. Das Blind Eye wurde stark rationiert und wer seinen Job nicht machte, musste sich auf ein paar sehr unangenehme Tage einstellen. Der Seeker konnte es sich nicht leisten, auch nicht einen Tropfen davon zu verlieren. Prüfend beobachtete er Sylea wie sie die sinneserweiternde Droge in Augenschein nahm und wirklich daran roch. Als die Phiole geöffnete wurde, zuckte sein Oberkörper nach vorn, als wollte er ihr das Glasbehältnis entreißen. Die Finger gruben sich tief in den Stoff seiner Hose und er presste gezwungen den Oberkörper gegen die Wand des Transporters.
      Für Sylea mochte die Flüssigkeit keinen Geruch haben, doch für Cain war das anders. Der Inhalt verströmte eine lockende Süße, die dafür sorgte, dass sich die Finger in ihrem Griff verkrampften. Reflexartig hielt er die Luft an und wagte erst wieder einen Atemzug, als die junge Frau die Phiole wieder fest verschlossen hatte. Die eigene Reaktion war ihm mehr als unangenehm. Leider konnte er nicht abstreiten, dass Marcus Beschimpfungen einen Kern Wahrheit enthielten. Er verhielt sich wie ein Süchtiger. Mit auffällig zitternden Fingern nahm er das blaue Gift entgegen und sicherte es wieder an dem Gurt an seinem Oberschenkel.
      Aus dem Augenwinkel erkannte der Seeker, wie sich ihre Schultern verspannten. Der Körper wurde steif und wirkte für den Bruchteil einer Sekunde wie versteinert. Was ihn mehr beeunruhigte, war der leichte Impuls der ein Pochen hinter seine Stirn verursachte. Seine Augen schmälerten sich, als ser sie ganz genau in Augenschein nahm. Doch der Moment war so schnell vorbei wie er gekommen war. Vielleicht hatte er sich getäuscht.
      Gold schimmerte Augen lösten sich jedoch keine Sekunde von ihr. Auch nicht als er die Stimme wieder hob.
      "Man nennt es 'Blind Eye'." In seinen Augen blitzte etwas nicht Deutbares auf. Eine Spur Selbsthass gepaart mit einem nicht benennbaren Verlangen. "Es ist eine sinneserweiternde Droge, die sich die Seeker injezieren. Im weitesten Sinne hast du recht. Es ist eine Art Aufputschmittel. Der Haken daran ist, dass es hochgradig abhängig macht." Ein schiefes Grinsen lag auf seinen Lippen, das nicht ganz bis in seine Augen reichte. "Ein Seeker wird dadurch effizienter und konzentrierter. Wie können uns besser auf eine einzige Spur konzentieren ohne abgelenkt zu werden."
      Als der Wagen zum Stehen kam, erhob sich Cain langsam auf die Beine, in dem er sich an der Wand hochstemmte. Er kannte das Ziel selbst nicht. Man hatte es nicht für nötig gehalten ihn darüber zu unterrichten.
      "Kannst du aufstehen?" Er wollte ihr die Erfahrung ersparen, wie Tier aus dem Wagen geschleift zu werden. Zögerlich streckte er Sylea die Hand entgegen.
      “We all change, when you think about it.
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      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Durch Cains Erklärung erhielt das wunderschöne Blau eine völlig neue Bedeutung. Drogen waren ihr als Rubra nicht unbekannt - ihr Clan mischte sich selbst Substanzen zusammen, die mindestens sinneserweiternd waren. Ob sie abhängig machten, wusste Sylea nicht. Allerdings war es dadurch einfacher, sich auf bestimmte.... Umstände einzustimmen. Wenn das Blind Eye eine dermaßen starke Wirkung hatte, dass es als essenziell eingestuft worden war, dann musste die Konsequenz immenser Natur sein.
      "Kannst du aufstehen?" Die junge Frau nickt, als sie ihre Hand in seine legte und die Kälte ihr den Ellbogen wieder hinaufstieg. Sie standen sich so das erste Mal gegenüber ohne sich regelrecht an die Gurgel gehen zu wollen.
      Dann wurde die Tür von außen entriegelt und aufgezogen.
      "Desraeli, lebst du noch?", ertönte es abfällig von draußen und sowohl das Vessel als auch Seeker seufzten hörbar, als sie Marcus hörten. "Du kommst raus, danach sie."
      Syleas Blick flog die Cain, unsicher, ob sie etwas sagen sollte. Am liebsten hätte sie mit ihren Lippen ein Danke geformt, aber es würde sowieso das letzte Mal sein, dass sie ihn sehen würde. Bevor sie sich entscheiden konnte war der Seeker bereits voraus ins Licht getreten und ließ sie im dunklen Schatten der Ladefläche zurück. "Rubra, raus."
      Etwas ungelenk kletterte Sylea aus dem Wagen. Das Licht hier war so grell, dass sie aus dem Wald gefahren sein mussten und unter offenem Himmel standen. Sie musste etliche Male blinzeln bis sich ihre Augen halbwegs an das Tageslicht gewöhnt hatten. Allerdings sackte ihr direkt alles in die Hosenbeine ab. Um sie herum standen etliche Soldaten, allesamt bis an die Zähne bewaffnet und einige von ihnen mit der Waffe bereits im Anschlag. Alle Augen waren auf sie, eine uneinschätzbare Gefahr, gerichtet. Sie befanden sich auf einem Platz, der ringsherum mit Zäunen gesichert worden war. Es glich eher einem Außenposten als einer richtigen Station. Also versuchte man, sie außerhalb unterzubringen. Hastig blickte sie sich um bis sie zu ihrer rechten Cain ausfindig machen konnte. Er stand halb hinter Marcus' bulligen Körper versteckt, den Blick auf irgendeine Person vor Sylea gerichtet.
      Als sie seinem Blick folgte löste sich aus der Gruppe an Soldaten eine Frau. Sie war sehr schlank, beinahe schon zierlich gebaut, und ihre langen seidenschwarzen Haare waren aufwendig in einem Zopf nach hinten gebunden. Sie trug eine millitärische Uniform, die die junge Rubra noch nie zuvor gesehen hatte. Jedoch fiel ihr auf, dass sie ein paar sehr markante Abzeichen an ihrem Rever trug. Statt flache Schuhe zierten schwarze Stiefel ihre grazilen Waden und untermalten die absolute Selbstsicherheit, die jeder ihrer Schritte ausstrahlte.
      Bis auf etwa 4 Meter näherte sie sich Sylea und verschränkte dann die Arme vor der Brust. Prompt kam sie sich wie im Zoo vor, als der Blick der Schwarzhaarigen sie förmlich auszogen. "Ich muss zugeben, nach dem Telefonat hatte ich eine unkontrollierte Furie erwartet", begann sie zu reden, "stattdessen spüre ich absolut nichts deinerseits."
      Syleas Augen zuckten. War die Frau auch ein Seeker oder behauptete sie nur Dinge? Seeker würden nicht so hoch in der Hierarchie stehen, also konnte sie auch ein Vessel sein. Ihrerseits vernahm sie auch keine verdächtigen Schwingungen, demnach standen sie sich gerade etwas ratlos gegenüber. "Ich sagte auch, ich habe ihn unter Kontrolle", knurrte Sylea und bereute direkt ihren Tonfall, als sie sah, wie sich die Augenbrauen der Frau leicht zu kräuseln begannen.
      Sie krempelte ihre Arme von ihrer Jacke hoch und entblößte weiße Stoffhandschuhe, die ihr bis über die Unterarme reichten. "Hinknien", befahl sie, gab dem Vessel vor ihr ein paar Sekunden zu reagieren und wiederholte ihre Worte, als nichts geschah. "Hinknien!"
      Dieses Mal war der Ton unmissverständlich. Eine Welle Demut überrollte Sylea, sodass sie auch nur ohne eine Sekunde darüber nachzudenken auf die Knie fiel. Diese Reaktion war ihr neu und sie schreckte auf als sie sah, dass die Frau nun auf sie zu kam. Sie kam direkt vor ihr zum halten - ihr Blick war vernichtend. "Wenn der Rat es sogar für nötig hält, mich einfliegen zu lassen, dann muss deine Seele ja etwas ganz besonderes sein. Vielleicht möchtest du einen Namen haben, über den du dir dein Köpfhen zerbrechen kannst." Da zeigte sich plötzlich ein sarkastisches, nein, eher diabolisches Lächeln auf ihren Lippen und entblößte einen Hauch Eckzahn. "Farina Hallesvord. Und jetzt bleib still bis ich fertig bin."
      Farina streckte ihre linke Hand aus und legte sie Sylea auf den Kopf. Ihre Finger hatten nur ihre Haare leicht berührt, da zuckte die junge dermaßen heftig zusammen, als hätte sie einen Schlag erlitten. Farina klickte mit der Zunge, ein Geräusch, dass Sylea schon bei Marcus gehasst hatte. Die Handlung der Rubra war rein instiktiver Natur gewesen. Etwas in ihr hatte geschrien, sich abzuwenden, und das hatte sie getan. Ihr Atem ging wieder heftiger, das Unverständnis war ihr ins Gesicht geschrieben.
      Vor ihr ging Farina in die Hocke und legte den Kopf etwas schräg." Schlaue Seele", bemerkte sie so leise, dass man es nur zwischen sie beide hatte hören können, "aber wovor hast du Angst? Oder ist es Wut? Lass mich sehen."
      Wieder legte sie ihre Hand auf, dieses Mal kippte Sylea nach vorne und musste sich mit ihren gefesselten Händen vom Boden abstützen. Kopfschmerzen, so schlimm wie noch nie, fluteten ihre Gedankengänge. Jede einzelne Faser in ihrem Gehirn schien in Flammen zu stehen. Farina suchte etwas, wie auch immer sie es anstellte. Als sie es in ihrem Kopf scheinbar nicht fand, suchte sie weiter, tiefergehender. Systematisch schien sie zwischen jede Schicht von Syleas Selbst zu dringen bis sie am best abgeschirmtesten Ort verweilte.
      "Ah...ack...w-wieso...", stotterte die junge Frau, offensichtlich unter Qualen, die man sich nicht ausmalen wollte.
      Farina lächelte nicht mehr. Sie hatte die Augen geschlossen, um sich besser darauf zu konzentrieren, was sie sehen konnte. Dies war der Grund, warum man Farina so verabscheute. Sie hatte eine Seele unterjochen können, die einen fantastischen Job darin machte, Menschen in ihre Grundbausteine zu zerlegen. Diese Fähigkeit war im Millitär einzigartig und scheinbar sollte sie nun feststellen, welche Seele sich in Sylea eingenistet hatte.
      Folglich kratzte Farina nun an dem makellosen Schutzkokon, den sich Sylea über Jahre aufgebaut hatte. Eine Berührung reichte aus, damit es nun die Schwarzhaarige war, die rücklings nach hinten wegrutschte. Sichtlich überrascht musterte Farina Sylea, wie sich offensichtlich dagegen ankämpfte, sich zu übergeben. Auch Farina atmete schwer, fing sich jedoch schnell wieder und stand auf. Mit einer unvergleichlichen Anmut klopfte sie sich ihre Rückseite ab.
      "Na gut, wenn es bei einem Versuch nicht klappt, wiederholen wir das heute Abend. Schließlich haben wir noch genug Zeit, richtig, Liebes? Ihr da, bringt sie zum Kreis und schließt ihn", forderte sie sie Perceptoren auf, die am Rande auf ihren Einsatz gewartet hatte.
      Mühsam rappelte sich Sylea auf. Ihre Knie zitterten, aber ihr Blick lag fest auf Farina. Ohne Widerwillen ging sie zwischen den beiden Männer her, niemand würde sie auch nur freiwillig berühren.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Auch im geschwächten Zustand umfasste seine Hand die ihre mit fest und kraftvoll. Es war leicht die zierliche Gestalt Syleas auf die Füße zu ziehen. Erst, als er sicher war, dass sie ohne zu schwanken auf eigenen Beinen stand, zog der Seeker seine Hand wieder zurück. Einen Augenblick lang öffnete er den Mund, als wollte er noch etwas sagen, da wurde der Riegel mit einem lauten Knarren aufgeschoben. Marcus abfällige Stimme drang in den Innenraum und mit einem letzten Nicken zu Sylea, schob er sich auf dem schmalen Gang zwischen den Bänken an ihr vorbei. Bernsteinfarbende Augen blickten aus dem Augenwinkel zu ihr. Etwas lag in ihnen, dass man nur als Mitgefühl bezeichnen konnte. Er hätte ihr gerne etwas Aufmunterndes zum Abschied gesagt, aber es wäre nur ein Tropfen auf einem heißen Stein gewesen. Keine hohle Phrase hätte ihr das unvermeidbare Schicksal erspart. Jeder war auf seine Weise eben doch ein Gefangener.
      Cain selbst fühlte sich ein wenig befreiter, als er etwas ungeschickt von der Ladefläche sprang. Die Erschöpfung des Tages und die Erinnerungen an seine Schwester, hatten ihn bis auf den letzten Tropfen Kraft ausgelaugt. Sein Geist war müde und er sehnte sich nach ein paar Stunden erholsamen Schlafes. Allerdings sollte das noch ein wenig auf sich warten lassen. Widerstrebend gesellte er sich zu den anderen Soldaten in die wohl sortierten Reihen.
      Tatsächlich hatten sie einen Außenposten außerhalb der Stadt gewählt. Gut gesichert für die besonders schwierigen Fälle. Er war bisher selbst nur ein paar wenige Male hier gewesen und wusste, dass Sylea hier kein Luxusaufenthalt erwartete. Sie waren nicht hier, um ihr zu helfen sondern um ein Problem zu beseitigen. Das anonym wirkende Gebäude hinter ihnen bestand aus kalten, grauen Beton und wirkte wie ein klobiger Klotz umgeben von Wäldern und Sicherheitszäunen, die der Öffentlichkeit den Blick versparrten. Niemand würde je auf Sichtweite an das Gelände herankommen. Dafür sorgten zahlreiche, schwer bewaffnete Wachleute, die in Schichten die Grenzen abliefen. Alles war bis auf den letzten Winkel mit Sicherheitkameras überwacht. Privatsphäre gab es hier nicht.
      Unheilvoll legte sich seine Stirn in Falten, als eine Frau sich aus den Reihen löste. Irgendwo hatte er dieses Gesicht schon einmal gesehen. Bei dem Namen klingelte es. Farina Hallesvord war keine Unbekannte. Ihr Ruf eilte ihr stets voraus und ihre gesamte Ausstrahlung verlangte Respekt von allen, die sich in ihrem Umkreis aufhielten. Ihre Kräfte waren legendär und sie hatte schon manches Böse mit ihnen zu Tage gefördert. Es war selten, dass jemand, der mit ihr das Vergnügen hatte danach noch genug Verstand besaß um davon berichten zu können.
      Ein Zucken ging durch seinen Körper, als er das Schauspiel beobachtete. Er spürte genau als Farina ihre Kräfte aktivierte. Hinknien. Ein eiskalter Schauer erfasste ihn, für die meisten mochte ihre Stimme nur Autorität ausstrahlen. Für Cain schwang etwas anderes darin mit. In seinen Ohren wirkte es beinahe, als wäre ihre Stimme von einer Zweiten begleitet. Eine verzerrte Version des Orignal, ein dunkles Echo.
      Hinter ihm fasste jemand nach seinem Ellbogen. Der Seeker merkte, das er einen Schritt nach vorne getan hatte. Was tat er da?
      Cain wandte den Blick feige ab, um nicht hinsehen zu müssen. Aber seine Ohren funktionierten noch tadellos. In dem Augenblick, als Farina förmlich von unsichtbarer Hand zurückgestoßen wurde, fasste Cain sich an den Kopf. Ein Puls, er konnte es nicht anderrs beschreiben, fegte durch seinen Geist und hätte ihn beinahe ebenalls von den Füßen geworfen. Das war nicht gut. Sie hatten keine Ahnung welche schlafenden Monster sie weckten. Es war fast erlösend, als Farina Hallesvord sich fürs Erste zufrieden gab.

      Es war bereits spät am Nachmittag, als man den Seeker aus dem Schlaf riss. Wie ein Stein war er in dem vorbereiteten, kargen Zimmer auf das Bett gefallen. Er hatte sich nicht einmal umgezogen.
      "Aufstehen, Desraeli. Und mitkommen. Beeil dich." Knurrte es von der anderen Seite der Tür. Ein lautes Klopfen hatte ihn geweckt.
      Als er wenige Minuten später seinem Vorgesetzten und Marcus gegenüberstand, fühlte er sich nicht wirklich erholter.
      "Wir benötigen jemanden, der ihren Zustand im Auge behält. Wir wissen nicht, was Farina zu Tage fördert und wie es ausbricht."
      Cain schnaubte verächtlich.
      "Das heißt Sie lassen mich den Wachhund spielen?" - "Wenn Sie es so ausdrücken wollen, Desraeli."
      Wenig begeistert verschränkte Cain die Arme vor der Brust. Aber welche Wahl hatte er schon.
      "Das ist ein Befehl. Du weißt, was du zu tun hast." Knurrte Marcus in seine Richtung, ehe er Cain eine Phiole mit bläulichem Inhalt zuwarf, die der Seeker geschickt aus der Luft griff. Den Teufel würde er tun und sich unter vollem Einfluss des Blind Eye in die Nähe des Bannkreises zu begeben. Das letzte Mal hatte es ihn in Syleas Nähe beinahe umgehauen. Und nicht auf eine charmante Art und Weise.
      Mit einem Seufzen verließ er den Raum und begab sich in die Richtung, die man ihm genannt hatte. In den Bunker unter dem Gebäude. Gesichert durch unzählige Sicherheitschleusen und schweren Stahltüren.
      “We all change, when you think about it.
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    • Es waren nun Stunden her, dass Sylea zuletzt das Tageslicht gesehen hatte. Man hatte sie dieses Mal untertage eingeschlossen, was üblicherweise eine gute Wahl gewesen wäre. Wenn man nicht eine unbekannte Seele beheimatete, die vielleicht das gesamte Loch hier hochjagen konnte.
      Sylea saß auf dem Bett, das aufgrund seiner Staubschicht schon länger nicht mehr benutzt worden war. Die Menschen hier waren keine vollkommenen Untiere - man hatte ihr ordentliche Bettwäsche, Wechselkleidung und Lebensmittel zur Verfügung gestellt. Nachdem sie ihre Lumpen, anders konnte man es nicht mehr nennen, abgelegt hatte und nun ein faches weißes Shirt mit Jeans trug, fühlte sie sich immerhin etwas besser. Die Kopfschmerzen waren verschwunden, die Stille hier unten für den jetzigen Zeitpunkt noch heilsam. Ihr Blick wanderte zu der schweren Stahltür. Der restliche Raum besaß keine Fenster, lediglich an der Decke befand sich ein Rotor, der zum Lüftungsschacht führte. Also vertrieb sie sich die Zeit, indem sie etwas summte. An Einsamkeit war sie ja gewöhnt, das würde sie schon schaffen.
      Dann klackte das Türschloss und die schwere dunkelgraue Tür schwang auf.
      Farina hatte Sylea tatsächlich nur die Stunden bis zum Abend gegeben, ehe sie sie wieder aufsuchte. Vermutlich wollte sie auch nur ihren Job so schnell es ging erledigen und sich wieder wichtigeren Dingen widmen. Hinter ihr folgte niemand, die Tür ließ sie sogar offen stehen. Offensichtlich verunsichert wanderte Syleas Blick zwischen der Tür und Farina hin und her. Die Schwarzhaarige hatte sich inmitten des Raumes postiert und musterte ihr nächstes Opfer. "Was hast du da Schönes gesummt, Liebes?"
      Die junge Rubra vergaß ihren nächsten Atemzug. Von hier drinnen konnte sie absolut nichts hören von dem, was vor der Zelle geschah. Demnach war sie davon ausgegangen, dass es andersherum genauso war. "Ich kenne die Fragerunden. Ich sage Ihnen gerne alles, was ich weiß. Das wird nur keine neuen Erkenntnisse zu Tage bringen."
      Farina lächelte zuckersüß. "Fragen sind etwas für Feige. Denkst du, der Rat versucht es abermals nur damit? Wir gehen dem Ganzen jetzt einmal ordentlich auf den Grund." Sie tat einen Schritt nach vorne, das Sylea dazu brachte, die Beine an den Körper zu ziehen.
      "Nicht." Ihr Widerwort klang schwach in der Stille.
      Noch immer lächelte Farina, doch allmählich schlug es in eine andere Emotion um, die nicht so einfach zu deuten war. Selbst wenn diese Frau dabei Schaden erlitt, hatte sie Spaß an ihrer Arbeit. "Du willst auch gar nichts sagen, oder? Dann bleib still."
      Die weiß behandschuhten Hände mit ihren feingliedrigen Fingern streckten sich nach Syleas Kopf aus. "Er hat keinen Namen", flüsterte sie, die Augen auf die weißen Finger fixiert. "Sie werden ihn nur wecken und dann bricht die Hölle aus."
      Dies erzeugte keine Worte während sich ihre Hand auf den Kopf des anderen Vessels legte. Wortlos, sogar reglos, starrten sich die beiden Frauen an während die einer immer tiefer grub und die andere ihren Gedankenkokon so sehr sicherte, wie sie es vermochte. Dann ging eine Regung durch die Schwarzhaarige. Sie zuckte leicht mit dem Kopf, als hätte sie etwas gehört. Langsam zog sie ihre Hand zurück, Syleas Kopf sackte nach vorne. Sie atmete schwer, es hatte sie einiges gekostet, diesen Angriff abzuwehren.
      "Da sind Sie ja, Desraeli war das?", fragte Farina ohne den Blick von Sylea abzuwenden.
      Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich eine weitere Gestalt in den Raum schob. Zögerlich und darauf bedacht, möglichst viel Abstand beizubehalten. Langsam hob sie den Kopf. Den Namen hatte sie schon einmal gehört und wusste daher, dass es Cain war, der mit sichtlichem Unbehagen ganz hinten an der Wand lehnte.
      "Wussten Sie, dass sie zum Zeitvertreib singt? Hat sie das bei Ihnen auch gemacht?" In Farinas grauen Augen lag eine Art Neugier, die etwas anderes zu überspielen versuchte. "Es ist zu komisch. Hören Sie mal, was sie da von sich gibt."
      In der nächsten Sekunde lagen die weißen Finger abermals auf Syleas Kopf. Begleitet von unheimlichen Kopfschmerzen spürte sie, wie sich ein Zwang in ihr zu bilden schien. "Los. Sing schon."
      Die junge Rubra biss sich selbst auf die Lippen. Man hatte sie aushungern lassen, sie auf verschiedenste Arten versucht aus dem Leben zu bugsieren. Aber Psychoterror war ihr neu. Vermutlich wandten sie dies erst jetzt an aus Sorge, sie in jüngeren Jahren komplett zu brechen. Doch es waren nur seltsame Laute, die ihr zwischen den zusammengebissenen Zähnen entwichen.
      Farinas Lächeln verzerrte sich zu einer Grimasse, als sie den Widerstand spürte. Ihr Druck auf Syleas Geist stieg an bis sie die Frau gedanklich wieder vor ihrem Kokon stehen sah. Zart legten sich die Handschuhe auf die glatte Außenschicht und jagten Schauder durch den Körper der Rubra. Zunächst schien sich keine der Fraktionen zu regen. Dann bewegten sich Syleas Lippen, leise Texte drangen hervor und Tränen quollen aus ihren geschlossenen Augen.
      "Can you hear the silence?
      Can you see the dark?
      Can you fix the broken?
      Can you feel, can you feel my heart?"

      Sie bebte am ganzen Körper, unfähig, ihn eigenmächtig wieder unter Kontrolle zu bringen. Farina lachte leise während sie zusah, wie der Kokon leise Risse bekam. Mit aller Macht versuchte sich Sylea geistig abzuschotten, aber mit jeder Sekunde verlor sie an Raum. Es war, als würde der Boden unter ihren Füßen immer weiter wegbrechen und sie konnte nichts dagegen tun. Die Tränen rannen nun in Strömen, als sie weitersang:
      "I'm scared to get close, and I hate being alone
      I long for that feeling to not feel at all
      The higher I get, the lower I'll sink
      I can't drown my demons, they know how to swim."

      Und dann brachen die Risse auf. Syleas Widerstand war gebrochen und gewährte Farina Einblick in das, was darunter lag. Binnen Bruchteile einer Sekunde veränderte sich das Gefüge im Raum. Es war, als käme es zu einem Druckabfall in der Zelle, die Wände schienen leicht zu vibrieren. Die Aura der Rubra explodierte kurz grell in allen Farben ehe sie komplett erstarb und eine gespenstische Leere zurück ließ. Urplötzlich schoss ihre recht Hand hoch und packte Farinas Handgelenk. Mit einer unbändigen Kraft löste sie sie von ihrem Kopf. Von seiner Position aus sah Cain nur Farinas Rücken, doch als sich die Blicke der beiden Vessel trafen, versteifte sie sich umgehend. Nun war es Farina, die einen Schritt rückwärts taumelte.
      "Angst davor, was nach dem Tod kommt? Hass auf sich selbst weil du die Seele unterjocht hast und nun nur noch ein Werkzeug bist?"
      Das war definitiv Syleas Stimme. Zeitgleich formulierte sie ihre Worte so eigenartig, dass man daran zweifelte, ob wirklich die junge Frau dort sprach. Allerdings wusste Farina es besser. Ihre Augen weiteten sich, ertappt von etwas, das sie nicht einmal gespürt hatte. Die Verbindung zwischen ihrem Handgelenk und Syleas Griff reichte aus, damit sie Seele tiefgreifenden Zugriff erhielt ohne sich bemerkbar zu machen.
      Farina schaltete in Sekundenschnelle um. Ihr Schock wandelte sich in festen Entschluss, als sie ihre Hand losriss und sie der Rubra regelrecht ins Gesicht presste. "Ganz bestimmt nicht", knurrte die Frau, als sie sie mit einer Welle unfokussierter Aura ihrer eigenen Seele überrollte und Syleas Bewusstsein ins Jenseits beförderte.
      Kraftlos sackte Sylea nach hinten an die Wand und blieb regungslos dort sitzen. Farina keuchte als sie ihre Hand zurückzog und sie leise fluchend massierte. "Was haben Sie feststellen können?", erkundigte sie sich bei Cain und wandte sich ihm zu nachdem sie sich versichert hatte, dass die Rubra gerade keine Gefahr mehr darstellte.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Labyrinthartige Korridore erwarteten Cain weiter unten im Bunker. Für den Fall, dass man sich nicht auskannte, war es doch recht leicht sich in den zahlreichen Gängen zu verlaufen. Aber der Seeker hatte ein gutes Gedächtnis, aber vor allem wurde er bereits nach wenigen Metern erwartet. Ein Soldat in schussicherer Weste und gänzlich in Schwarz führte in durch die mit Neonlicht durchfluteten Flure. Es war kühl hier unten, wobei Cain weniger die Kälte, als mehr die verschiedenen Auren diverse Seelen wahrnahm. In seinen Kopf spulte er immer wieder die gleiche Zahlenfolge ab. Es waren Geburtsdaten. Seine Eltern. Cordelias und sein eigener. Es half ihm sich fokussieren und sorgte dafür das er nicht aus der Balance geriet. Der Seeker durfte sich nicht von den glühenden Emotionen und den Stimmen ablenken lassen. Dafür war seine kommende Aufgabe zu gefährlich.
      Verwundert sah er auf, als man ihn in die Zelle schickte, in der sich offensichtlich Sylea befand. Womit er nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass Farina bereits bei der Arbeit war. Mit einem unwohlen Gefühl betrat er den Raum, ehe sich die Tür schloss. Cain hatte das Gefühl wie eine Ratte in der Falle zu sitzen. Es behagte ihm nicht, so nah zu sein, wenn die Schwarzhaarige in dem Geist der jungen Frau herumwühlte, wie ein Schüler einen armen Frosch sezierte. Der eigene Geist war komplex und nicht leicht zu durchschauen, aber immerhin war Farina dafür bekannt, jeden Verstand auseinander nehmen zu können. Der Seeker lehnte sich an die Wand direkt neben der schweren Stahltür und kreuzte die Fußknöchel in einem Anschein von Ruhe übereinander, die Arme vor der Brust gekreuzt.
      Fragend legte er den Kopf schief, ließ Farinas Worte aber unkommentiert. Erst als sie Sylea zum singen zwang, regte sich etwas in seinem Blick. Die goldenen Augen glühten im künstlichen Licht. Cain verzog das Gesicht, als ein Schrei an sein Ohren reichte, der beinahe die singende Stimme übertönt hätte. Er wusste, das niemand anders sie hören konnte. Der Seeker hörte Syleas innerstes Wesen, ihre eigene Seele, aus Leibeskräften schreien. Was immer Farina tat, musste ihrem Bewusstsein schlimme Qualen zufügen. Aber noch fühlte er nur Sylea.
      "Ist das wirklich notwendig?"
      Die Tränen berührten ihn auf eine ungeahnte Weise. Das Lied so trautig und wehmütig. Die Finger auf seinem Arm zuckten, während er der Drang unterdrückte, Farina von ihrem Opfer fort zureißen. Es bereitete der Frau offensichtlich Vergnügen dem Mädchen Schaden zuzufügen und ihre Macht zur Schau zustellen. Cain erkannte ein Monster, wenn es vor ihm stand.
      Die Wucht, mit der Syleas Seele zersplitterte, ließ Cain bis in die winzigste Zelle erbeben. Ein normaler Mensch würde die Schönheit einer Seele erfassen können und jene der jungen Rubra spiegelte das Licht wie zerbrochenes Glas in allen Farbfacetten. Und dann nichts. Der Seeker streckte seine Sinne wie unsichtbare Hände aus, aber konnte nichts mehr spüren.
      "Was haben Sie getan!?" Er wollte sich gerade von der Wand abstoßen, als er das Gefühl bekam, nicht mehr atmen zu können. Sämtliche Luft wurde aus seinen Lungen gepresst und sein Magen drehte sich auf Links. Da war er wieder. Dieser modrige, süßliche Geruch der seine Atemwege verklebte. Faulig und beißend wie Schwefel. Ein unegahnte Macht presste ihn förmlich gegen die Wand und verdammte seinen Körper zum Stillstand. Die Stimme klang verzerrt in seinen eigenen Ohren, es mochte Sylea sein, deren Mund sich bewegte, aber es sprach jemand anders zu sie. Eine dunkle, grausame Präsenz.
      Erst als Farina sich wieder fing und das Mädchen außer Gefecht setzte, rührte sich ach der Seeker wieder.
      Cain schnappte nach Luft und ignorierte den abschätzig Blick der Frau vor sich.
      "Was immer es ist, es ist mächtiger, als alles was ich je gespürt habe. Unkontrolliert und bösartig." Er rieb sich schwer atmend über das Brustbein. "Dasselbe habe ich bereits im Wald wahrgenommen. Es riecht süßlich und faul nach Schwefel, wenn sich die Seele manifestiert. Das Bewusstsein ist alt. Sehr alt.." Die grausigen Worte hallten in seinem Kopf wieder. "Wenn ich eine Theorie aufstellen müsste, würde ich vermuten es gräbt sich in die Seelen seiner Opfer und fördert verborgene Ängste zu Tage. Würden Sie mir da zustimmen, Mrs. Hallesvord?"
      Er hatte sich den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen können.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Farina schwieg als sie einen beiläufigen Blick zu Sylea warf. Dann legte sich ihre Aufmerksamkeit wieder auf Cain.
      "Dass es alt ist, habe ich auch gesehen", kommentierte sie lediglich und strafte den Seeker Blicke, "aber ich weiß nicht so recht, was es tut. Wenn dem so wäre, würden unsere Seelen resonieren. Und das taten sie nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Seele Überhand gewinnt während ich meine quasi dominiere." Sie legte einen Zeigefinger nachdenklich an ihre Lippen. "Angst macht Menschen gefügig. Aber nur wahrer Terror zwingt sie in den Selbstmord."
      Just in diesem Moment bewegte sich Sylea hinter ihnen an der Wand. Farina wirbelte herum, einen Fuß im Ausfallschritt nach hinten gestellt, um sich im Falle schneller bewegen zu können. Der Kopf der Rubra bewegte sich, erst leicht und undefiniert, dann hob sie ihn gezielt an. Zuerst musterte sie in einer unfassbaren Gleichgültigkeit Farina. Dann jedoch glitt ihr Blick an der Frau vorbei zu dem Seeker, der in seiner Bewegung direkt einfror. Nun war sie es, deren Lippen von einem angedeuteten Lächeln umspielt wurden. "Der kleine Seeker, dem so schnell übel wird", bemerkte sie, ein undefinierbarer Tonfall. War sie amüsiert oder war das ein Hinweis auf etwas?
      Dann legte sich ihr Blick wieder auf Farina. In einer unwirklich aussehenden Bewegung zog Sylea eines ihrer lang ausgetreckten Beine an den Körper und umschlag es mit ihren Armen. Den Kopf etwas schräg gelegt hatte sich das Lächeln gänzlich verloren. Für ein paar stille Sekunden betrachteten die Vessel sich einander. Schließlich hob Sylea die Stimme.
      "Vielen Dank für das Brechen des Mädchens, Farina. Wäre schwierig geworden ohne äußeren Impuls durch ihre Mauern zu brechen." Wo vorher die Stimme noch stockend sprach, wurde sie mit der Zeit immer geflissener. "Daher bringe ich dich noch nicht um."
      Dies klang wie eine leere Drohung, ausgeprochen von einem dürren Mädchen ohne Perspektive. Aber Farinas Reaktion verriet, dass das hier kein Spiel mehr war. Ihre Haltung war bis zum Bersten angespannt, ihre Finger zuckten kaum merklich in unregelmäßigen Abständen. Im nächsten Moment schrie Farina auf.
      Ihre Hände schossen an ihre Brust, wo sie sich krampfhaft um den Stoff der Jacke schlossen. Sie sackte auf die Knie, fürchterliche Schreie erfüllten den Untergrund. Sylea auf dem Bett tat nichts weiteres, als die knieende Frau vor sich regelrecht in den Boden zu starren. Es dauerte nur Sekunden bis Farina auf allen Vieren war und sich zwischen den Schreien und Luft holen übergab. Dem gegenüber stand Cain wie geblendet von dem Horror, der sich gerade vor ihm abspielte. Dann bewegte sich Sylea, streckte eine Hand nach vorne aus mit der leeren Handfläche nach oben. "Das ist es, was du nie konntest", hauchte sie und schloss die Hand zur Faust.
      Im nächsten Moment erstarben die fürchterlichen Schreie und eine Totenstille trat ein. Farina war noch immer auf allen Vieren. Es verstrichen ein paar Momente ehe sie rau flüsterte: "Was hast du getan?" Sie richtete sich soweit auf, dass sie nun auf ihren Fersen saß, die ehemals weißen Handschue vor sich ausgetreckt. In ihrem Blick lag Schock und Apathie zugleich. Sie drehte ihre Hände ein paar Mal, ehe sie sie an die Schläfen fasste.
      "Sie.... ist weg. Sie ist WEG?!"
      Farinas Aufschrei kam Verzweiflung gleich. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und begann sich seicht zu wiegen. Der Anblick der vorher so selbstbestimmten Frau war verstörend. All das hatte Sylea in nicht mal einer Minute angerichtet.
      Schließlich ließ die Rubra ihre Hand sinken und schenkte Cain ihre Aufmerksamkeit. Da war es wieder, dieses seltsame Lächeln. "Bevor du fragst - sieh es dir doch einfach selbst an", sagte sie und ließ dann ihre Wirkung auf den Seeker zu.
      Eine immense Welle an Energie klatschte Cain wie ein haushoher Tsunami entgegen. Ein Stimmengewirr, unmöglich auseinanderzuhalten, brach über ihn herein. Jede Stimme in jeglicher Tonlage befahlen ihm, etwas anderes zu tun. Tief in seinem Inneren bildete sich ein Bedürfnis aus, das zum Wunsch und schließlich zum Zwang anwuchs. Nicht einmal konnte er Syleas Stimme heraushören, vielleicht ging sie aber auch einfach nur unter. Dann endlich konnte er benennen, was er tun wollte, nein, sollte:
      Ich brauche Blind Eye. Jetzt. Alles davon.
      Völlig überrumpelt von der schieren Macht, die über ihn hereingebrochen war, holte er die Phiole aus seinem Holster, die er vorhin noch erhalten hatte. Es dauerte nur Sekunden bis er sich die Droge am Hals ansetzte und die komplette Ladung auf einmal injizierte.
      Syleas Lächeln wurde breiter. So breit, dass es sich bereits in eine Fratze verzog. "Du hast doch eine Aufgabe. Die kannst du nur erfüllen, wenn du alle deine Sinne nutzt. Zeig mir, was das Mittel mit euch anstellt."
      Dann bekam die Fratze Risse. Als Cain anfing, aufzustöhnen, fühlte Er eine Regung. Im Inneren der Rubra wachte ein zweites Selbst auf. Nein, es wachte nicht auf. Es machte sich nur jetzt bemerkbar. Sylea aka der Gefangene verzog das Gesicht, so als würde er einen jämmerlichen Versuch belächeln. Alsbald bekam das Gesicht allerdings Risse. Gedanklich tauchten vor seinem Geist plötzlich Fäden auf, die sich immer enger in ein Geflecht verstrickten. Sie raubten ihm allmählich die Sicht. Wutentbrannt begann er, die Fäden zu zerreißen. Doch sie sponnen sich schneller als er sie zerreißen konnte. "Geh. Wieder. Weg!"
      Das war der Moment, in dem sich die beiden Bewusstseine wieder tauschten. Sylea hatte ihren Kokon in der Zeit fertiggestellt, wo der Gefangene abgelenkt war. Cains gequälte Laute hatten sie aufgeweckt, das Bisschen hatte gereicht. Einen weiteren Moment später war Sylea vollkommen da. Sie hechtete vom Bett, vorbei an Farina, die sich immer noch wiegte, hin zu Cain, der mittlerweile an der Wand hinunter gerutscht war.
      "Oh Gott, was hat er getan?!", qiekte sie leise, als sie die leere Phiole entdeckte.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Gerringschätzig war nun auch der Blick von Cain. Wie konnte eine einzelne Person so kalt über da Ableben anderer Menschen sprechen. Für den Seeker hatte die Frau vor ihm, so viel Respekt sie auch abverlangte, keinen Funken Anstand im Leib. Fahrig strich er sich durch das dunkle Haar und hoffte das die Horrorvorstellung für heute vorbei war. Bisher war alles relativ harmlos verlaufen und schlafende Hunde sollte man nicht wecken.
      "Hoffentlich wissen Sie, was Sie da tun, Mrs. Hallesvorde." Murmelte er nur beunruhigt.
      Gerade, als der Seeker dachte, die Arbeit wäre erledigt, warf er einen besorgten Blick auf Sylea, die kraftlos wie eine Puppe, deren Fäden durchtrennt waren, an der Wand zusammen gesackt war. Wäre Farina nicht gewesen, hätte er sich vergewissert, dass sie noch da war. Aber er konnte sich diese offene Zurschaustellung von Mitgefühl gegenüber dieser Frau nicht erlauben.
      Ein Puls aus Energie erreichte Cain, erst schwach, dann immer eindringlicher. Alarmiert ruckte sein Kinn in Richtung Sylea.
      "Was...?" Und dann geschah das Unglaubliche. Die Bewegungen waren wie aus einem schlechten Horrorfilm. Erst ruckartig und irgendwie gekünstelt, aber mit jeder Sekunde geschmeidiger. Ein eiskalter Schauer erfasste ihn, als ihn die boshaften Augen erblickten, ehe die Aufmerkamkeit wieder zu Farina glitt. Was er sah und spürte verschlug ihm den Atem. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, je länger er in der Zelle weilte und das Grauen beobachtete, das sich vor seinen Augen abspielte. Die Schwarzhaarige sackte auf die Knie, ihre verzweifelte Stimme klingelte schrill in seinen Ohren.
      Mit dem Rücken presste er sich gegen die kühle Betonwand. Der Blick bohrte sich erneut direkt in seinen Kopf und was dann passierte, nagelte ihn an Ort und Stelle fest. Ein Stimmengewirr, erst nur ein leises Summen dann mit einem ohrenbetäubenden Lärm, füllte seinen Verstand bis an das unerträgliche. Jede einzelne Stimme zerrte und riss an seinem Bewusstsein, bis er sich hilfesuchend an den Kopf fasste und die Hände auf die Ohren presste. Aber es erklang bereits direkt in seinem Kopf mit nicht der kleinsten Chance das Durcheinander zu blocken. Verzweilfung erfasste ihn, was sollte er tun? Warum konnte ihm nicht endlich jemand sagen, was er tun sollte?
      Klarheit erfüllte seinen Geist. Der Seeker wurde ruhig, als wäre er in einer Art Trance gefangen. Tief in seinem Inneren wollte er sich wehren, er sah aus schreckgeweiteten Augen zu, wie er eine Phiole aus dem Holster zog. Routiniert, aber mit zitternden Fingern setzte er die Nadel auf. Kurz kam ihm der Gedanke, dass die Dosis viel zu hoch war. Aber er brauchte es. Jetzt.
      Den Stich spürte er kaum, als er die Nadel ohne Zögern in seinen Hals jagte und den Kolben bis zum Anschlag herunter drückte. Erst erfasste ihn eine seltsame Ruhe und dann explodierte die Welt vor seinen Augen. Das Atmen der sich wiegenden Frau vor ihm klang unnatürlich laut in seinen Ohren und vom anderen Ende Zelle drang ein erdrückender Gestank herüber. Cain fasste sich an den Hals, als er drohte zu ersticken. Er bekam keine Luft. Er würde ersticken. Die Pupillen seine Augen waren so weit und schwarz, dass sie nur einen winzigen Rand Gold übrig ließen. Er blickte mit aufgerissenen Augen zu Sylea, deren Körper von einer rauchigen Aura umgeben war, die regelmäßig pulsierte. Der Geruch der Verweseung kroch in seine Atemwege, so ekelerregend, dass ihm die Galle die Speiseröhre hinaufkroch. Cain sackte schlagartig an der Wand hinab und fasste sich an die Brust. Das Herz schlug fiel zu schnell und zu heftig. Er nahm nichts anderes mehr war, als die übermächtige Aura, deren schwammige Ausläufer nach ihm zu greifen schienen, tastend und forschend.
      Der Seeker kippte an der Wand zu Seite und krümmte sich nun liegend am Boden. Die Augen starrte ins Leere, als geräuschvoll Galle und andere Mageninhalte auf den Boden der Zelle entleerte. Nun war es nicht nur länger ein Gefühl des Erstickend, er bekam tatsächlich keine Luft mehr, als das Erbrochene seine Luftröhre blockierte. Die dunklen Haare klebten im schweißnass in der Stirn. Blind kratzte seine freie Hand über den Boden.
      Als Sylea in seine Blickfeld gerriet, schien er sie erst gar nicht wahrzunehmen. Alles was der Seeker sah, war das Gesicht eines Mädchen, es verschwamm vor seinen Augen.
      "Cor...delia..." Brachte er würgend hervor, ehe sie seine Augen so stark verdrehten, das nur noch das weiß der Augäpfel zu sehen war.
      “We all change, when you think about it.
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    • Sylea war unfähig in dieser Situation zugunsten einer anderen Person zu entscheiden. Sie versuchte erfolglos Cain aufzurichten, doch sein schlaffer Körper war zu schwer für sie. Ihr Blick schoss zu Farina, die noch immer wie im Wahn da saß und sich wiegte. Stattdessen wimmerte das Mädchen nur, völlig hilflos und vorallem ratlos.
      In diesem Moment kamen vier in schwarz gekleidete Männer in die Zelle geströmt. Das ganze Gekreische war an ihnen nicht spurlos vorbeigegangen und erst recht als sie Farina gehört hatten, waren sie alarmiert worden. Nun mussten die Männer zunächst selbst die Lage sondieren und entschieden sich für ihre Vorgesetzte.
      "Helft ihm, er stirbt!", schrie Sylea panisch auf, schockiert durch die Tatsache, dass man sich bewusst gegen den Seeker entschied. Durch ihren Aufschrei teilten sich die Männer schließlich auf. Einer schubste Sylea zur Seite, der andere raffte Cain bereits auf. Sie verstanden sich auch ohne Worte und sie führten sofort den Heimlichgriff durch.
      Auf der anderen Seite des Raumes versuchte man an Farina heran zu kommen. "Mrs. Hallesvorde", sprach einer der Männer sie an und ruckelte an ihrer Schulter, "antworten Sie damit wir Ihre geistige Gesundheit bestätigen können."
      "Sie hat sie aufgelöst", war die Reaktion der Schwarzhaarigen, "Medjab ist einfach weg."
      Nicht aufgelöst. Freigesetzt trifft es eher.
      Sylea hörte ihre eigene Stimme klar und deutlich in ihrem Geist. Es war das erste Mal, dass sie den Eindruck bekam, dass der Gefangene in ihr vollends da war und zuhörte. Doch es war Cains furchtbares Husten als er wieder Luft bekam, das ihre vollkommene Aufmerksamkeit verlangte. Sie schob sich an der einen Wache vorbei bis sie mit eigenen Augen sehen konnte, dass der Seeker wieder halbwegs beisammen war. Wobei die Bezeichnung in diesem Umstand nicht wirklich gut traf. Sylea hatte dank ihrer Geschichte noch nie Drogen in ihrer Wirkung beobachten können, ganz zu schweigen von Überdosierungen. Der Schock stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben, als die eine Wache ihn rüttelte und sogar leicht ohrfeigte. "Hey, Desraeli, reiß dich zusammen!"

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die Welt um ihn herum war tiefschwarz. Nichts drang mehr zu ihm durch. Keine Stimme, keine Berührung. Nichts.
      Das war's. Traurigerweise war das der letzte Gedanke der Cain durch den Kopf ging, als er kurz davor stand, dass Bewusstsein zu verlieren.
      Jemand zerrte und riss an ihm. Für einen kurzen Augenblick wollte er die Hände bei Seite schlagen und sich der Dunkelheit übergeben.
      Da spürte er einen unangenehmen Druck auf seiner Brust. Ein klägliches Röchelnl und Husten zwang sich aus seiner Kehle, als endlich wieder lebensnotwendige Atemluft in seine Lungen strömte.
      Desorientiert huschten die Augen ziellos im Raum umher, ohne sich recht auf einen Punkt fokussieren zukönnen. Der Blick in den goldenen Augen war so leer, als hätte die eigene Seele den Körper verlassen. Erst die schallende Ohrfeige die seinen Kopf ruckartig nach links warf, schien wieder etwas Regung in den Seeker zu bringen. Mühevoll blinzelte Cain und zum ersten Mal seit er zusammen gesackt war, kehrte Erkenntnis in seinen Blick zurück.
      "Schafft Mrs. Hallesvord hier raus. Sofort." Die eigene Stimme klang unwirklich und rauer als sonst in seinen Ohren. Noch immer perlte der Schweiß von seinen Schläfen. Niemand sollte hier in dieser Zelle sein, nicht nachdem was gerade passiert war.
      "Keiner darf die Zelle betreten. Es..es übernimmt die vollkommene Kontrolle. Alle raus hier." Knurrte er und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Er wirkte immer noch etwas orientierungslos, schien aber langsam wieder auf die Beine zukommen. Allerdings schaffte er es beim ersten Versuch nur auf alle Viere.
      "Was immer Mrs. Hallesvord da aufgeweckt hat. Es ist äußerst gefährlich. Code Red. Sofort."
      Die Männer blickten zweifelnd auf den Seeker herrab. Ein Code Red war schon seit Ewigkeiten nicht mehr ausgelöst worde. Es würde den gesamten Trakt, in dem sich Sylea befand in ein Hochsicherheitsgefängnis verwandeln. So sehr es ihn traf, Sylea das anzutun. Das Wesen in ihr war zu gefährlich, um frei gelassen zu werden. Und leider, leider hatte die junge Frau bereits einmal zu oft in seiner Gegenwart die Kontrolle verloren. Dieses Mal hätte es ihn fast umgebracht.
      Keuchend lehnte er sich an die Wand und schob den Arm des Soldaten fort, der ihn langsam auf die Beine ziehen wollte.
      "Ich behalt sie im Auge. Riegelt den Bereich ab, los." Der Terror in seinen Augen musste selbst den härtesten Soldaten unter ihnen zu denken geben, denn die vier Männer stürmten heraus. Das Letzte, das man in der Zelle hörte, waren hektisch gebellte Befehle vom Korridor. Sie würden alle anderen Vessels und Insassen in der unmittelbaren Nähe verlegen. Wer wusste schon, wozu die Entität in Sylea noch fähig war.
      Als die mit einem dumpfen Aufprall ins Schloss fiel, schob Cain die leere Phiole verächtlich mit dem Fuß zur Seite. Er sah furchtbar aus. In dem Moment als die junge Vessel sich nähern wollte, hob er eine Hand, damit sie auf Abstand blieb.
      Cain spürte es noch immer, das Blind Eye, rauschte durch seine Adern.
      Und in dieser völlig abstrakten Situation, verzogen sich seine Lippen zu dem verzerrten Abbild eines Lächelns.
      "Bist du okay?" Raunte er. Das gerade erst das fragte, hatte schon einen sehr eigenartigen Humor.
      Er spürte, dass es Sylea selbst war, die mit großen Augen ansah. Hatte sie geweint? Verwirrt legte er den Kopf schief.
      “We all change, when you think about it.
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    • In der Zelle spielten sich sämtliche Emotionen und Gedankengänge fast gleichzeitig ab. Egal in welche Richtung man sah, welche Gesichter man musterte, jeder Augenblick entwickelte neuartige Eindrücke. Im Hintergrund hörte man eine verstörte Farina, die sich ihres Verlustes schmerzlich bewusst wurde. Daneben eine Wache, fast schon erstaunt seine Vorgesetzte in dieser Verfassung vorzufinden. Er traute sich nicht einmal, die sich selbst wiegende Frau zu berühren.
      Am anderen Ende waren die weiteren Wachen, Sylea und Cain. Der Seeker hatte sich auf alle Viere gekämpft während er den Wachen Anweisungen gab. Diese rührten sich erst nicht vom Fleck, unschlüssig, ob und wie sie verfahren sollten. Sylea war scheinbar die Einzige, für die die Umwelt gerade stillstand. Zu viel hatte sich in kurzer Zeit abgespielt, zu folgenreich war der Moment, von dem sie keinerlei Erinnerungen hatte. Ihr Blick war starr auf den jungen Mann vor sich gerichtet, Dankbarkeit für sein Überleben mischte sich mit der eiskalten Erkenntnis, dass er genau das Richtige tat. Leise schlichen sich ihre eigenen Worte aus der Vergangenheit wieder in ihren Geist: In mir ist ein Monster. Das macht mich zu einem.
      Unterbewusst hatte die junge Rubra ihre Hand nach dem Seeker ausgestreckt, so als müsste sie ihn berühren um sich selbst zu vergewissern, dass er wirklich noch lebte. Dass sie ihn nicht doch umgebracht hatte und das Wesen in ihr ihr nur Hirngespinste zeigte. Seine abweisende Hand holte sie dann aus ihrer Starre hervor. Cains raue Worte, die durch seine geschundene Kehle drangen, klangen wie schabten wie Sandpapier in ihren Ohren. Dann verlor Sylea ihren Fokus, ihre Sicht verschwamm. Die nun einkehrende Stille machte ihr ihre Lage nur allzu bewusst und das Chaos in ihr schrie nach einem Ventil.
      "Ich hab' dich fast getötet", stammelte sie und schlug sich dann die Hände vor die Augen, "ich wollte nicht, dass das passiert." Das letzte Wort verklang und wurde von einem Schluchzen, gefolgt von einem langgezogenen Klagelaut abgelöst. Es war das Sinnbild ihrer Pein, als sie realisierte, dass sie bereits einen Menschen getötet hatte und nun nicht mehr behaupten konnte, sie sei harmlos.
      Dann warf sie plötzlich den Kopf in den Nacken, um die Tränen zu stoppen. Sie rappelte sich auf und flüchtete sich zum Bett zurück. Die größtmöglichste Distanz zwischen dem Vessel und dem Seeker. Nachdem sie sich gesetzt, die Beine angezogen und die Arme um sie geschlungen hatte, ebbte das Schluchzen langsam ab. In ihrem Blick stand unausgesprochen der gleiche Terror, wie er vorhin in den bernsteinfarbenen Augen aufgeleuchtet hatte. "Du solltest auch gehen. Wirklich. Lass mich einfach hier drin allein und dann ist das schon in Ordnung. Gebt mir einfach keinen Grund zu reagieren. Dann ist das hier schon der richtige Ort." Eine Feststellung entgegen aller Hoffnungen und Wünsche.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Durch die massive Sicherheitstür in seinem Rücken, drangen dumpfe Schritte in die Zelle.
      Auf dem Korridor schien mittlerweile ein ordentlichen Chaos zu herrschen, aber es war nun einmal notwendig. Niemand wusste, wie weit die Macht der finsteren Seele in Sylea reichte. Brauchte sie Blickkontakt? Gab es einen Wirkungsradius, der ihnen noch nicht bekannt war. Und Cain wusste bereits, wer sich als Versuchskanninchen anbieten würde. Schwer seufzte er und dachte an die völlig aufgelöste Farina. Was hatte diese Frau nur angerichtet? Nach dieser Erfahrung würde er niemanden anderen mehr, trauen auch nur in Syleas Nähe zu kommen. Er war bereits mit der jungen Frau vertraut und ihren Tränen nach zu urteilen, war ihr seine Verfassung nicht ganz gleichgültig. Da könnte ein Vorteil sein. Wenn sie jemandem vertrauen konnte, wurde es vielleicht einfacher an dem eigentlich Problem zu arbeiten.
      Aber zuerst musste er wieder auf die Beine kommen und ausnüchtern. Der Seeker wischte sich über die Augen und versuchte einen klaren Blick zu bekommen. Es schmerzte ihn zu sehen, wie sehr Sylea unter der Erkenntnis litt, dass sie die geglaubte Kontolle doch nicht besaß. Sie war in der Tat äußerst gefährlich. Eigentlich nicht sie selbst, aber dieses Ding steckte nun mal in ihrem Körper.
      Die Schwere ihrer Verzweilfung waberte wie eine dichte Wolke durch die Zelle und er fühlte ihre Trauer und Tränen, als wären sie seine eigenen. Verdammtes Blind-Eye.
      "Sylea...", krächzte er und erkannte seine eigene Stimme kaum wieder. Er räusperte sie und versuchte den Geschmack von Magensäure und Erbrochenem auf seiner Zunge zu ignorieren. "Sylea", versuchte er es noch einmal um die Aufmerksamkeit der Vessel zu bekommen.
      "Du musst dich bruhigen, okay?", raunte er in den kahlen Raum und lehnte sich ein wenig nach vorn, die Hände auf seinen Oberschenkeln abgestützt. Er ließ aus, dass er von der drückenden Flut ihrer Emotionen Kopfschmerzen bekam und das Blind-Eye hatte seine Sinne geöffnet, er hatte keine Chance zu filtern, was er fühlen wollte und was nicht. Es glich einem Eingriff in die Privatsphäre der jungen Frau, die weinend auf dem spärlichen Bett saß. Cain spürte als Seeker mit seinem zusätzlichen Sinn nicht nur das Übernatürliche oder Paranormale, er konnte auch Schatten und Funken von Emotionen wahrnehmen. Wer nicht vernünftig lernte, diese zu filtern, konnte schon mal verrückt werden. Wenn man die eigenen Gefühle nicht mehr von anderen trennen konnte, wer war man dann?
      Seine Pupillen waren noch immer nicht auf Normalgröße geschrumpft und es würde bei dieser Dosis auch noch eine Weile dauern. Cain fühlte sich noch nicht sicher auf den Füßen und blieb sitzen, um nicht geradewegs wieder auf den Boden zu fallen. Ein wenig würde besaß er auch noch, obwohl er gerade recht erfärmlich aussah mit den verschwitzen Haarspitzen und Erbrochenem auf seinem Shirt. Jemand musste unbedingt hier sauber machen, fiel ihm ein, als er einen Blick zur Seite warf.
      "Hör mir zu...", sprach er nun mit etwas deutlicherer Stimme. "Du bist nicht allein und ich werde dir helfen, wenn du das willst. Du musst mir erzählen, was du über dieses Ding weißt. In diesem Fall traue ich unseren Aufzeichnungen nicht. Hier stinkt etwas zum Himmel und damit meine ich nicht die Sauerei hier auf dem Boden." Cain versuchte sich mit einem schwachen Grinsen und ein wenig Galgenhumor, um Sylea abzulenken.
      “We all change, when you think about it.
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    • Mit jeder Sekunde die verstrich erhielt das Vessel zumindest die Kontrolle über ihre Tränenkanäle zurück. Ihr heißes Gesicht ließ die salzigen Spuren trocknen wodurch ihre Haut unangenehm zu spannen begann. Zunächst hatte sie ihren Blick auf die Stelle fokussiert, wo vorhin noch Farina gekniet hatte. Was genau dort geschehen war, war jenseits ihres Wissens, der Gefangene in ihr schwieg dazu. Allerdings konnte sie spüren, wie in ihrem Inneren ein zweites Bewusstsein genau das Gleiche wahrnahm wie sie. Sie teilten sich das Bild, welches ihre Augen aufnahmen. Fühlten gemeinsam ihre eiskalten Hände an ihren warmen Beinen. Rochen die Säure, die in der Luft hing.
      Das war es, was die junge Frau wirklich in den Wahnsinn trieb. Seitdem das Wesen in ihr wahrlich wach war, spürte sie sich unter ständiger Beobachtung. Als würde es jede noch so gut geschütze Ecke ihrer Seele ausleuchten und Erkenntnisse daraus ziehen, an die sie selbst nicht einmal zu denken gewagt hatte.
      Entgegen Cains Vermutung war sie bei Weitem nicht mehr so aufgebracht wie vor einigen Minuten. Als sich ihre Augen auf den Seeker ihr gegenüber richteten, waren es nicht nur ihre eigenen. Das Wesen hatte etwas erfahren, das es als wertvoll erachtete. Und Erkenntnisbringer war der Mann am Boden gewesen.
      Wortlos musterte Sylea Cain. Dann warf sie ihm das Härteste an den Kopf, das in dieser Situation möglich war: "Du kannst mir nicht helfen. Wenn es du es könntest, hättest du deine Schwester längst zurück."
      Just als ihre Worte endeten, spürte sie, wie Er scheinbar amüsiert lächelte. Hätte sie jemanden beschreiben müssen, wie es sich anfühlte, eine Mimik zu spüren, so hätte sie es nicht gekonnt. Vielleicht war es auch eher das Wissen, dass Er es tat. Umgehend verkrampfte sich ihr Magen. Von jetzt auf Gleich für Zwei zu fühlen - dafür war der menschliche Geist einfach nicht geschaffen.
      Er denkt, ich könnte jeden Moment ausflippen, dachte Sylea und zog die Beine etwas enger an sich.
      Ist dem nicht so?
      Syleas Augen wurden groß. Ich flippe nicht aus. Er flippt aus.
      Woher möchtest du wissen, dass ich nicht Du bin?
      Eine Gänsehaut überzog den kompletten Körper der jungen Rubra. Es war das erste Mal, dass sich eine Konversation zwischen dem Wesen und ihr einstellte. Eine vollends bewusste Konversation. Das war der Beweis, dass Er nun vollkommen da war.
      So gern sie es auch verneinen wollte - sie hoffte insgeheim, dass sie diese Hölle nicht allein durchstehen musste. Folglich richtete sie die nächsten Worte an Cain, der sich immerhin schon aufgesetzt hatte. "Ich weiß wirklich nichts Weiteres. Ich bin mit Neun Jahren beseelt worden, eingeschlafen, aufgewacht und über die Jahre meinen Körper zurückgewonnen. Ich habe nie etwas von ihm gehört, es war eher so, als wäre man gelähmt gewesen und kann nach einiger Zeit Stück für Stück seine Extremitäten wieder bewegen." Während dieser Erklärung wirkte Sylea nüchtern, regelrecht abgeklärt, als lese sie aus einem Tagebuch etwas vor. Doch dann blitzte Unbehagen in ihren Augen auf, als sie leise hinzufügte: "Aber jetzt reagiert Er auf mich. Als wäre er die ganze Zeit Co-bewusst."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Die Worte trafen Cain wie ein Schlag direkt ins Gesicht.
      Etwas Schlimmeres hätte Sylea ihm kaum an den Kopf werfen können und augenblicklich versteinerte seine Miene, als hätte jemand die Zeit in der Zelle angehalten. Der Vorwurf dieses einen Satzes und die Wahrheit darin, war so bitter, dass ihm erneut die Galle den Hals hinaufkroch. Das schiefe Grinsen auf seinen Lippen erstarb und der altbekannte, ernste Zug verzog sie zu einer geraden Linie.
      Es erfüllte Cain mit wenig stolz, dass er geradewegs aus dem Raum gestürzt wäre, wenn seine Beine schon wieder mitgespielt hätten.
      "Der Punkt geht wohl an dich...", murmelte er mit deutlicher Bitterkeit in seiner Stimme.
      Lange betrachtete er Sylea einfach nur. Wachsamkeit stand in dem Blick seiner goldenen Augen, als versuche er zu verstehen, welches innere Zwiegespräch sie gerade führte. Da war diese unterschwellige Präsenz in ihrer Aura, wie ein Schatten, der sich an ihr Bewusstsein geheftet hatte und sich nicht mehr lösen ließ. Die Erinnerung an die kalte Stimme in seinem Kopf, lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Das Bedürfnis die restlichen Phiolen des Blind Eye auf dem Betonboden zu zerbrechen, flammte auf, aber er brachte es nicht über sich.
      Verdammter Junkie, hallte seine eigene Stimme in seinem Verstand wieder.
      Erst als Sylea wieder zu sprechen begann, schüttelte er den Gedanken ab und versuchte sich jedes Wort zu merken.
      Enttäuscht stellte Cain schnell fest, dass er sich mehr Informationen erhofft hatte, aber scheinbar konnte die Vessel sich an nichts erinnern, dass wirklich nützlich war. Erst ihre letzten Worte ließen ihn aufhorchen.
      "Das heißt Es, oder Er, hört uns gerade zu?," sprach er ruhig und versuchte sich an einen Fall zu erinnern, der diesem hier ähnlich war. Aber da war nichts in seiner bisherigen Laufbahn, dass nur annährend an die Lage der jungen Vessel erinnerte.
      Seine Stimme klang selbst in seinen eigenen Ohren zu kalt, aber Sylea hatte ihn mit den Vorfürfen seiner Schwester betreffen einen Nerv getroffen. Und es stand ihm zu darüber zornig zu sein, auch wenn sie wohl recht hatte.
      Mühevoll und mit schwerem Atem kam Cain endlich weider auf die Beine, wenn auch etwas wackelig.
      Er brauchte eine Dusche. Schon wieder. Und dringend ein paar Stunden um den Rausch des Blind Eye loszuwerden, damit er wieder klar denken konnte.
      "Ich...", er fuhr sich mit den Handballen über die Augen. "Ich komme später wieder. Es gibt ein paar Dinge, die ich noch erledigen muss."
      Wie aufs Stichwort klopfte es an die Zellentür.
      "Desraeli?" Eindeutig Marcus tiefe Bassstimme. Er hatte gesprüt, wie sich jemand genähert hatte.
      "Ich lebe. Immernoch.", gab er genervt zurück und die Tür öffnete sich schwerfällig.
      Einen kurzen Blick warf er noch zu Sylea. Dieses Mal war kein Lächeln auf seinen Lippen, kein Versuch der Aufmunterung.
      Dann war Cain verschwunden und das letzte Gesicht, das in die Zelle blickte war Marcus mit einem gehässigen Grinsen auf den Lippen.
      Marcus hatte mit zwei Männern Position vor der Zelle bezogen. Die Anweisungen waren klar und deutlich, bei der kleinsten Auffälligkeit Rückzug und Lage sondieren. Keiner betrat die Zelle und niemand, wirklich niemand, schoss auf die oder verletzte sie anderweitig.
      Obwohl Cain mittlerweile stark bezweifelte, dass 'Er' noch immer einen konkreten Auslöser brauchte.
      Wenn Syleas Bewusstsein mit seinem co-existierte, konnte er jede einzelne Sekunde zuschlagen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Drei Herzschläge lang spürte Sylea den kalten Zorn in sich, kaum hatte sie Marcus' Stimme gehört. Doch noch bevor Er hatte reagieren können, zwang sich das Mädchen zur Gleichgültigkeit. Dass Cain ihr keinen Blick schenkte, trug definitiv dazu bei. Als sich die Tür geräuschvoll geschlossen hatte, sackte ihr Gesicht auf ihre Knie.
      "Es ist besser so. Wenn es niemanden gibt, kann mich auch niemand reizen."
      .... Es herrschte Stille, doch Syleas Knöchel zeichneten sich weiß unter ihrer Haut ab.
      "Du bleibst, wo du bist, wenn ich bewusst daran denke, ja?"
      ....
      "Dann herzlichen Glückwunsch. Durch diese Aktion darfst du nicht mehr raus und spielen." Der Sarkasmus triefte aus ihren Worten ehe sich das Vessel in vollkommene Verschwiegenheit hüllte.

      Man hatte Farina in ihr Zimmer gebracht und einen weiblichen Soldaten in ihrem Beisein beauftragt. Die junge Frau hatte sich soweit festigen können, dass sie wieder laufen und fast bei Sinnen war. Doch jeder, der mit ihr die Worte wechselte, bemerkt, dass sie seltsam leer wirkte. Als fehle ihrer Vorgesetzten etwas Wichtiges.
      Im Versuch den tauben Knochen wieder etwas Leben einzuhauchen hatte sie sich ein heißes Bad eingelassen. Doch als sie nun auf dem Wannenrand saß, nackt wie Gott sie schuf und Dampfwolken von ihrem Körper aufstiegen, fühlte sie sich nicht besser als zuvor. Langsam war Farinas Rationalität zurückgekehrt, obzwar dies nicht bedeutete, dass sie wieder völlig sie selbst war. Während sie ihre Hände musterte, horchte sie in sich hinein. Die Leere in ihr erfüllte sie mit Angst, Medjab, die immerwährende Stimme in ihrem Kopf, war fort. Zum ersten Mal seit Jahren herrschte Totenstille in ihrem Geist. Irgendwann ertrug sie das Tropfen des Wasserhahnes nicht mehr und zog sich hastig wieder an.
      "Fragt den Seeker, wie sich die Rubra verhalten hat, als man sie gefunden hat", befahl Farina der Soldatin, die sie misstrauisch musterte. "Ignorieren Sie absichtlich die Order Ihrer Vorgesetzten?", blaffte die schwarzhaarige Frau die Soldatin an, die kurz darauf auch schon aus dem Zimmer hastete. Zurück blieb Farina, die einen Moment nachdachte und dann selbst das Zimmer verließ.

      Nach Stunden qietschte die Tür zu Syleas Zelle. Erst jetzt hob sie den Kopf an und löste ihre kauernde Haltung. Keinen Zentimeter hatte sie sich vom Fleck bewegt und spürte nun das Ächzen ihrer Muskel als Preis für die Unbeweglichkeit. Als sich die Tür wieder schloss, stand Farina mit verschränkten Armen angelehnt an der Tür. Ungläubigkeit stand in Syleas Gesicht geschrieben, völlig überrascht wie schnell sich die Generalin gefangen hatte.
      "Schläft er oder versteht er jedes Wort?", fragte Farina ohne Umschweife.
      Sylea blinzelte. "Coexistenz würde ich sagen."
      Das entlockte Farina ein Zucken am Augenwinkel. "Was genau hat er mit Medjab gemacht?"
      Daraufhin verzog die junge Rubra das Gesicht. Es wechselte von einem Grinsen unfassbar schnell zu einem leicht schmerzverzerrtem Gesicht. "Es freut ihn, dass ihr Verlust dich stört", gab sie zurück und kniff dabei die Augen zusammen. "Mehr sagt er nicht dazu."
      Farina ballte die Fäuste, verharrte ansonsten aber an ihrer Position. "Wie wäre es mit einem Deal? Ich sage dir etwas zur Coexistenz und du versuchst alles Mögliche aus ihm zu gewinnen." Sie machte keinen Hehl aus ihrem Plan. Wie auch, wenn der Betroffene quasi neben ihnen stand.
      Ein Moment verstrich, ehe Sylea nickte. Sie beide waren in einer Pattsituation und immerhin zollte man dem Vessel jetzt den Respekt, den sie alle vor ihrem Verlust ihr hätte zollen sollen. Daraufhin vergingen in der Zelle etwa 30 Minuten, ungehört und ungesehen von Außenstehenden. Anschließend klopfte Farina als Signal, dass man sie herausließe. Zurück blieb eine unschlüssige Sylea.

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Ausdrucklos blickte Cain die Soldatin vor sich an, die eindeutig einen höheren Rang bekleidete.
      Eine andere Erklärung gab es für den Umstand nicht, dass der Seeker sich gerade vorkam, als würde man ihn verhören.
      Er hatte den Soldaten in dem Wagen nicht getötet, geschweige war er dafür verantwortlich, dass er beinahe auf dem kalten Betonboden einer Zelle krepiert wäre. Frage um Frage wurde ihm quasi ins Gesicht geschleudert. Cain gewann nicht den Eindruck, dass auch nur eine seiner Antworten wirklich eine befriedigende Wirkung hatte.
      "Also, noch einmal. Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches an der Zielperson aufgefallen, als sie diese im Wald aufgegriffen haben?"
      Cain stieß ein genervtes Seufzen aus. Die Frage hatte man ihm jetzt schon so oft gestellt, dass er aufgehört hatte zu zählen. Für diese Art von Verhör war er zu erschöpft und seine Gedanken zu zäh. Der 'kleine' Vorfall in der Zelle hatte ihm sämtliche Kraft geraubt und alles, was er wirklich wollte, war ein traumloser Schlaf bis der Morgen graute. Fahrig strich er sich das dunkle Haar aus den Augen und sackte gegen die Rückenlehne seines Stuhls zurück.
      "Wie oft wollen Sie mir diese Frage noch stellen?", knurrte der Seeker ungeduldig und müde. "Die Zielperson wirkte verängstigt. Sie war von oben bis unten verdreckt, als wäre sie tagelang durch den Wald gekrochen. Als ich sie entdeckte, ist sie in Panik geraten."
      Misstrauisch blickte die uniformierte Frau ihn an, als würde sie ihm nicht ein Wort glauben. Vermutlich hoffte sie aber auch nur, etwas Nützliches für Farina rauszubekommen. Auch ohne ihre Fähigkeiten, war Farina noch einschüchternd genug.
      "Was ist dann passiert? Beschreiben Sie, was Sie gespürt haben", stellte sie die nächste Frage.
      Cain stöhnte und rieb sich die Augen. Er verlor langsam die Geduld.
      "Als die Zielperson mich in Panik anschrie, habe ich das erste Mal einen Anstieg in ihrer Aura gespürt. Ich vermute dahinter die Seele, die sich in ihrem Körper eingenistet hat. Ein dunkler Nebel, schwer wie Blei. Es roch nach Schwefel und Verwesung. Was immer 'Er' ist, es ist gefährlich und überaus tödlich", beendete Cain seine Ausführung.
      "Er?", fragend sah ihn die Soldatin an.
      "So spricht sie über die Seele. Sie bezeichnet das Bewusstsein als 'Er'."
      Das Gespräch dauerte noch ungefähr eine Stunde, in der er schildete, was im Transporter und schließlich in der Zelle geschehen war. Jedes kleine Detail, auch wenn ihm dabei übel würde. Langsam dämmerte es ihm. Er hätte in der Zelle sterben können.

      Im Zellentrakt
      Spät am Abend...

      Cain balancierte ein Plastiktablett auf in den Händen, darauf ein paar einfache Sandwiches und eine Flasche stilles Wassers.
      Mehr hatte man ihm nicht ausgehändigt. Etwas, wofür weder Messer noch Gabel gebraucht wurden. Alles, was als Waffe nutzbar war, stand auf der Liste der verbotenen Gegenstände für Sylea. Damit sie niemanden verletzte, auch nicht sich selbst. Der Seeker bezweifelte, dass jemand, der verzweifelt genug war, Besteck dafür benötigte.
      Er war noch immer unnatürlich blass, hatte aber aufgehört zu schwitzen und seine Pupillen hatten eine normale Größe angenommen.
      Die Kleidung war sauber und scheinbar hatte er erneut geduscht. Die Spitzen der dunklen Haare waren noch leicht nass.
      Vor der Tür standen immer noch die schwer bewaffneten Soldaten. Allerdings ohne ihren lästigen Befehlshaber, Marcus.
      Cain atemte erleichert auf. Für Sticheleien und Beleidigungen hatte er weder die Zeit, noch die Geduld.
      "Aufmachen", murrte er.
      Unter quietschendem Protest wurde die schwere Tür aufgezogen und man ließ den Seeker in die Zelle.
      Er war die Ausnahme in dem allumfassenden Besuchsverbot. Wenn er ihre Aura im Auge behalten sollte, musste er von Zeit zu Zeit in ihrer Nähe bleiben.
      Erst als die Tür wieder hinter ihm ins Schloss gefallen war, bewegte er sich in den kargen Raum hiniein. Zugegeben, es gab schlimmere Zellen, diese hier war einfach nur trostlos anzusehen. Mit neutraler Miene stellte er das Tablett vor ihr auf dem Bett ab. Es schien ihm tatsächlich besser zu gehen, denn er wagte sie wieder in die unmittelbare Nähe der Rubra.
      "Abendessen", er deutete mit der Hand auf die Sandwiches und grinste schwach. "Die Küche war leider schon geschlossen."
      Ein schlechter Scherz, aber besser als nichts.
      "Du musst Hunger haben", brummte er mit rauer Stimme und zog einen Stuhl von der Wand in die Nähe des Bettes, ehe er sich darauf fallen ließ, wenig elegant und mit reichlich Erschöpfung in den Knochen.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Das Gepräch mit Farina war für Sylea durchaus hilfreich gewesen. Es war nicht nur das erste Mal, dass sie mit einem anderen Vessel in Kontakt gestanden hatte sondern auch noch einen ähnlichen Fall wie ihren eigenen vorfand. Farina hatte der jungen Rubra Einzelheiten aus ihrer Vergangenheit offenbahrt, die nur jemand in einer vergleichbaren Ausgangslage verstehen konnte. Von daher ahnte Sylea, in wie weit die Freiheiten ihres ungewollten Mitbewohners reichen mochten.
      Nachdenklich hatte sie ihre angespannte Haltung aufgelöst und die Beine nun lang von sich gestreckt. Ihr Blick, der mittlerweile nicht mehr so aussah, als hätte sie einen Geist gesehen, schweifte durch den Raum und registrierte kleinste Details. Die Wände wiesen kaum Makel auf, die Decke hingegen wurde nur ausgebessert und übergestrichen. Man konnte bei genauem Hinsehen Kratzpuren erkennen, die unmöglich von Menschenhand stammen konnten. Auch der Boden, vermutlich aus Sandstein geschlagen, wies an manchen Stellen Verfärbungen auf, wo unbekannte Flüssigkeiten in den Poren des Steines versickert waren. Dieser Raum hier war dafür ausgelegt, höchster physischen Gewalt standzuhalten. Folglich machte es Sinn, den Eingang mit der schwersten Stahltür zu sichern und Fenster gänzlich auszulassen. Die stärksten Gitterstäbe würden ein Vessel im Falle nicht aufhalten können.
      Als das nächste Mal die Tür quietschte, um jemanden Einlass zu gewähren, beachtete Sylea den Besucher zunächst gar nicht. Sie war gerade dabei zu schätzen, wie die Gestalt ausgesehen haben mochte, die die Kratzpuren an der Decke hinterlassen hatte. Stumme Zeitzeugen vergangener Zeiten. Erst als sich der Besucher ohne Zögern ihr näherte, wandte sie ihren Kopf von der Decke ab und zu ihm hin. Sylea fiel buchstäblich alles aus dem Gesicht. Nicht nur war Cain wieder da, er hatte auch noch etwas zu Essen dabei.
      "Abendessen", er deutete mit der Hand auf die Sandwiches und grinste schwach. "Die Küche war leider schon geschlossen. Du musst Hunger haben", brummte er mit rauer Stimme und zog einen Stuhl von der Wand in die Nähe des Bettes, ehe er sich darauf fallen ließ, wenig elegant und mit reichlich Erschöpfung in den Knochen.
      Ihr sorgsam in Ketten gelegtes Herz machte einen kleinen Sprung. Nach all dem was passiert war hatte sich der Seeker quasi in die Höhle des Löwen zurückgewagt. Ihre Freude wurde jäh von Zweifel untergraben, als sie einen Moment darüber nachdachte. Die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn zu dieser Tat erpresst hatte, war extrem hoch. Schließlich hatte er ihr verraten, dass er alles für seine Schwester tat. Sein Leben zu riskieren würde für ihn nichts Neues bedeuten.
      "Es tut mir leid, was ich dir vorhin an den Kopf geworfen habe", entschuldigte sich Sylea bei Cain, völlig unabhängig davon, ob er ihr Glauben schenkte oder nicht.
      Ihre grünbraunen Augen flogen zu ihre Gegenüber, scheu und geplagt von Reue. Es mangelte ihr an der sozialen Kompetenz im Umgang mit anderen Menschen, zehn Jahre waren eine lange Zeit gewesen. Niemand hatte damit gerechnet, dass das kleine Mädchendie Beseelung überleben würde. Außer den Wachen kannte sie niemanden mehr. Man hatte ihr wichtige Jahre in ihrer Entwicklung genommen, und trotz diesen Umstandes schlug sie sich mehr oder weniger gut.
      Du hegst die Hoffnung, dass er nicht aufgrund von Erpressung hier ist.
      Sylea ging nicht darauf ein. Stattdessen langte sie nach einem Sandwich. Cain hatte recht - das letzte Mal etwas Ordentliches essen war Tage her. Sie kannte den Hunger, wusste, wie lange sie ohne Nahrung ausharren konnte bis ihr Körper den Dienst versagte. Ein schönes Gefühl war es trotzdem nicht. Als sie den ersten Bissen tat, entkam ihr ein leises Aufstöhnen. "Es ist Tage her, dass ich was Richtiges gegessen habe. Die Beeren aus dem Wald sind auf Dauer nicht gut."
      Während sie kaute musterte sie Cain eingehend. Er sah bei Weitem nicht mehr so mitgenommen aus wie vor ein paar Stunden. In seinem Gesicht zeichneten sich die Strapazen immer noch ab, aber die dunkel glitzernden Haarspitzen verrieten, dass er sich zumindest frischmachen konnte. In dem Zusammenhang fiel Sylea auf, dass es hier gar keine Waschzelle gab.
      Das heißt, sie müssen mich hier zwischendurch rauslassen.
      Hast du nicht gehört, was der kleine Seeker befohlen hatte? Die werden uns hier nicht freiwillig Freigang erlauben.
      Was sollen sie sonst machen? Alles andere wäre unmenschlich.
      Richtig erkannt. Haben wir nicht festgestellt, dass wir nicht nach menschlichem Recht betrachtet werden?
      Es gefiel Sylea nicht, dass Er von sie beiden wie einer Einheit sprach. Er sah sie zumindest als ein Teil von sich, auch wenn Er diesen Teil vermutlich assimilieren wollen würde.
      Nachdem sie das erste Sandwich binnen kürzester Zeit regelrecht verschlungen hatte, wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund. Ihr Magen führte einen regelrechten Freudestanz auf und brummelte zufrieden vor sich hin. In dem ganzen Stress hatte das Mädchen keine Zeit gehabt um zu merken, wie hungrig sie eigentlich gewesen war. Die Besänftigung dieses Verlanges verschaffte ihr mehr Klarheit im Geiste.
      "Du wolltest Informationen haben", begann Sylea und spürte direkt, wie Er in ihrem Inneren aufhorchte. "Ich kann dir versichern, dass Er unter Verschluss bleibt, solange in bewusst daran festhalte. Deswegen hat er den Hunter im Wagen getötet, ich war bewusstlos zu dem Zeitpunkt. Farina hat mich mental so belastet, dass er die Überhand gewinnen konnte." Eine Erkenntnis, die ihr Farina noch einmal verdeutlich hatte. Ihr Geist hatte 7 Jahre benötigt, um von den Toten wieder aufzuerstehen. Seitdem war ihr eigenes Bewusstsein die dominierende Kraft in ihrem Körper gewesen. Jedenfalls bis heute. Nun musste Sylea nur darauf achten, den gesponnenen Kokon so festzuhalten, dass die fremde Seele in ihr keinerlei Bewegungsfreiraum hatte.
      Das nächste belegte Brot fiel Sylea zum Opfer. Nach einem weiteren Bissen hielt sie inne und legte die Hände samt Sandwich in ihrem Schoß ab. Ihre Mimik ließ einen Anflug von Sorge vermuten als sie vorsichtig fragte: "Wie geht es dir? Immerhin bist du angegriffen worden..."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • Ein kleiner Anstieg in ihrer Aura, der wahrscheinlich niemandem außer Cain aufgefallen wäre.
      Als ihr Herz einen Satz machte, spürte er einen warmen Impuls, wie das Aufleuchten eines winzigen kleinen Lichtes in der Dunkelheit.
      Cain blinzelte, es war ungewöhnlich, dass er hier unten etwas anderes außer Zorn und Verzweiflung zu spüren kam. Die Häufigkeit der Personen, die an diesem Ort landeten, verspürten nichts anderes als Angst.
      "Schon gut.", brummte er nur leise und winkte ihre Entschuldigung fast schon beiläufig mit der Hand ab. Noch etwas, das er definitiv nicht gewöhnt war. Niemand entschuldigte sich bei ihm.
      "Du bist nicht freiwillig hier und stehst unter Druck. Und ganz unrecht, hast du vielleicht nicht..." Fahrig schob er sich das Haar aus dem Gesicht und ließ sich tiefer in den unbequemen Stuhl aus hartem Plastik sinken. Ein wahres Folterinstrument, wenn man ihn fragte. Kein Wunder, dass man in diesen Zellen verrückt wurde. Es wirkte alles nicht gerade aufbauend. "Ich bin nicht böse," fügte er noch leise hinzu, falls es irgendwie wichtig für sie war.
      Schweigend sah er ihr beim Essen zu und sehnte sich für einen Augenblick in sein Bett. Es war spät, er war ausgelaugt und hatte keine Ahnung, ob man ihm nach diesem Besuch in der Zelle gleich wieder befragen würde. Das Knistern von Plastik riss ihn aus seinen Gedanken als Sylea sich auf das mitgebrachte, wenn auch simple, Abendessen stürzte. Die Bemerkung, dass sie sich nur von Beeren im Wald ernährt hatte, weckte ein ehrliches Mitgefühl in dem Seeker. Niemand sollte soetwas durchmachen müssen. Schon gar kein junges Mädchen, dass den Großteil ihres Lebens abgeschottet von der Welt verbracht hatte. Er hatte ihre Akte gelesen, bevor er zu ihr gekommen war.
      Da war sie endlich ihrem Gefängnis entflogen und wurde nicht mit Freiheit, sondern mit einer Welt begrüßt, die sie jagte.
      Cain seufzte schwer, ein dumpfes und dunkles Brummen tief in seinem Brustkorb.
      "Ich versuch morgen zum Frühstück was Vernünftiges zu organisieren," seufzte er und fragte sich gleichzeitig wofür er sich Gedanken machte. Er sollte sie im Auge behalten und nicht bewirten. Cain war kein schlechter Mensch, wenn man sich die Mühe machte, hinter die stoische Fassade zu blicken.
      Als sie wieder zu sprechen begann, das Sandwich noch halb in der Hand, legte der Seeker den Kopf schief.
      "Was passiert, wenn du schläfst?" Die Frage kam ihm beinahe schon dämlich vor, aber würde sie ihn auch unter Kontrolle behalten, wenn sie der Schlaf übermannte? Oder musste er sich darauf einstellen, Nachtschichten einzulegen. Der Seeker spürte die dauerhafte Präsenz der zweiten Seele im Raum, aber es war nur ein schwacher Nachall dessen, was er Stunden zuvor gespürt hatte. Wenn er sich nicht stark konzentrierte, war 'Er' kaum wahrnehmbar. Vielleicht lag es an Syleas eigener Ruhe oder es bestätigte einfach nur, dass sie ihn im Augenblick tatsächlich unter Kontrolle hatte.
      Cain schnaubte amüsiert, ein Laut, der an ihm beinahe befremdlich wirkte. Angegriffen worden? Das war eine sehr interessante Formulierung dafür, das er sich unter Zwang beinahe mit einer Überdosis ins Jenseits befördert hätte. Ganz automatisch rieb er mit den Fingerspitzen über den frischen Einstisch an seinem Hals.
      "Du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen. Ich bin noch ein bisschen benebelt. Nichts, was ein paar Stunden Schlaf nicht wieder hinbekommen", sprach er und hatte dabei tatsächlich ein Lächeln auf den Lippen, das dieses Mal sogar bis in seiner Augen reichte. Außer Sylea hatte sich heute Abend noch niemand nach seinem Zustand erkundet.
      "So schnell beiß ich nicht Gras." Auch wenn es verdammt knapp gewesen war.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”