Vessels [Asuna & Winterhauch]

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    • „Das hat dir einen Schrecken eingejagt? Was soll ich dann sagen als diejenige, der es widerfahren ist?“
      Sylea sah Cain nicht an, sondern betrachtete ebenso wie er das Bild von Enkelin und Großvater, wie sie für zwei weitere Personen den Tisch deckten, der für sie allein eigentlich eh zu groß ausgefallen war. Vage konnte sich Sylea an ähnliche Szenarien erinnern, wie sie mit ihren Eltern in einer kleinen Küche am Tisch gesessen hatte und Essen aufgetischt wurde. Damals wurde noch viel gelacht, die Atmosphäre war unbeschwert. Nur hatte sich ein Nebel über diese Erinnerungen gelegt, dick und schwer und grau und drohte, die Sicht bald vollends zu nehmen.
      „Ich glaube, ich war in dem Augenblick stärker dissoziiert als sonst. Vermutlich hast du ihn deswegen so stark gespürt. Immerhin war er auch sehr laut in meinem Kopf. Er hat mich nicht absichtlich weggedrückt, sondern eher… beisammengehalten“, fügte sie noch etwas zögerlicher hinzu, doch nun spürte sie seinen Blick auf sich. Nur auf sich. Am Ende seiner Worte nickte sie kurz. „Habe auch nicht von dir erwartet, dass du glücklich über meinen Wunsch bist. Ich glaube sowieso nicht, dass er in Erfüllung gehen wird, aber das bisschen Hoffen reicht mir.“
      Sylea ergriff ohne weitere Umschweife die Hand des Seekers. Das schmallippige Lächeln, das sie ihm als Erwiderung schenkte, war mehr als sie sich selbst zugetraut hatte. Sie wusste, dass er es verdiente, alles zu erfahren, was auch sie in Erfahrung hatte bringen können. Die Restriktionen, die ihr von Ascan auferlegt worden waren, hatte sie größtenteils lösen können und war hinter immer mehr Detail und Informationen gestiegen, die er ihr wohl vorenthalten wollte. Trotzdem spürte sie, dass nicht alles davon auch wahrlich für Cains Ohren gemacht war. Als sie sich zusammen mit Cain an den Tisch setzte, hatte er ihr eine Zusage abgerungen, dass sie ihm seine Fragen beantworten würde. Nur war ihr von vorherein klar, dass sie Ascans Fähigkeiten ausnutzen würde, um ihre Lügen und Ausreden selbst für den Seeker vollständig zu kaschieren.

      Es vergingen beinahe volle zwei Wochen in der Hütte von Ennis und Mairead. Der ursprüngliche Plan, sich schnell von den Flüchtlingen zu trennen, war Mal um Mal vertagt worden, entweder, weil das Wetter unbeständig war, Aurensignaturen nicht stimmten oder Sylea im letzten Moment doch noch kniff. Erstaunlicherweise fiel niemand vom Rat oder den Rubras bei Ennis‘ Hütte ein und auch Ascan hielt sich meistens bedeckt. Immer wieder des Nachts bemächtigte er sich jedoch Syleas schlafenden Körpers und investierte Stunden in der Nacht, um die Aufzeichnungen der Estryreh, die er immer noch bei sich trug und scheinbar in einer Art Subspace zwischengelagert hatte, weiter zu durchforsten. Ob er fündig wurde, offenbarte er seinem Vessel und auch dem Seeker natürlich nicht.
      Sylea hatte sich in der Zwischenzeit mit Mairead angefreundet. Beide erzählten sich gegenseitig von Dingen, die sie anhand ihrer Geschichte nicht erleben konnten und knüpften ein vorerst fragiles Band. Mehrfach hatte sie Cain bestätigen müssen, dass sowohl das Mädchen als auch ihr Opa tatsächlich das waren, was sie zu sein vorgaben; unauffällige Menschen, die keine Aura besaßen.
      Ennis hielt sich dafür eher an den jungen Mann in der Gruppe. Während die beiden Mädchen ihren eigenen Interessen folgten, nutzte der alte Mann die Zeit der Ungestörtheit und wies den Seeker in das Territorium ein, wo sich die Hallen befanden und wie die Rubras die Gegend absicherten. Er erzählte ihm auch von dem Torwächter, dessen Fähigkeiten er selbstredend nicht kannte, aber definitiv wusste, dass das seine Aufgabe war. Ennis vermutete, dass sie deshalb so leicht an ihm vorbeikamen, weil sie selbst das Blut der Rubras trugen.
      Am Ende konnte sich aber auch Sylea nicht weiter davor drücken. Das hier war schließlich das Leben von Ennis und Mairead und nicht das, in welches sie sich einfach drücken konnte. Der Weg, den sie eingeschlagen hatte, ließ sich nicht weiter verschieben, denn das Wasser, das hinter ihnen konstant höher stieg, berührte bereits ihre Knöchel. Stehenbleiben war am Ende nicht die Lösung, die sie wählen konnte. Das merkte das Vessel schlussendlich daran, dass immer mehr von ihren Erinnerungen zu verblassen begannen. Die Gesichter ihrer Eltern hatte sie schon länger nicht mehr vor Augen und die Zeit vor der Kathedrale war beinahe nur noch ein grauer Schleier. Sie hatte ein Zeitlimit bekommen, ohne es wirklich bemerkt zu haben.
      Deshalb suchte sie am Morgen des sechszehnten Tages Cain auf und berichtete ihm, dass sie nun nicht mehr Zeit schinden konnte. Sie offenbarte ihm, dass ihre Erinnerungen sich aufzulösen schienen oder von Ascan absorbiert wurden. Ihr war aufgefallen, dass sie sich immer schwieriger eindeutig von ihm abgrenzen konnte und selbst wenn sie noch die Kontrolle besaß, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann sie in die fremde Seele einfach überging.
      „Also fürchte ich, wir müssen doch los“, schloss sie mit einem betagten Lächeln ihre Ausführung und nestelte an Cains dunklem Shirt, damit sie ihn nicht weiter ansehen musste.
    • Das regelmäßige Geräusch einer Axt, die mit voller Wucht auf trockenes Holz niederging, erfüllte die Ohren des Seekers. Er spürte die Vibrationen des kraftvollen Aufpralls, wann immer das schwere Beil einen Holzscheit in zwei Hälften spaltete. Mit dem linken Unterarm wischte sich Cain den glänzenden Schweiß von der Stirn ehe er in den frühen Morgenhimmel aufsah. Eigentlich war es bewölkt, wie beinahe jeden Tag in den vergangenen Wochen. Ein Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln, als sich doch ein paar zögerliche Sonnenstrahlen durch die graue Wolkendecke trauten. Im Verlauf der letzten Tage hatte sich eine Routine in der kleinen Hütte eingestellt, die Cain anfangs als äußerst befremdlich und später als beruhigend empfand. Nachdem Ennis es nicht mehr ertragen hatte, dass der Seeker unruhig Gräben um die Hüte lief, hatte er ihm eines Morgens das Beil in die Hand gedrückt und auf das Feuerholz gezeigt. Danach hatten die Männer sich zusammengerauft und brüteten seitdem beinahe jeden Tag gemeinsam über den wenigen Informationen, die Ennis besaß. Cain prägte sich so viel davon ein, wie sein Erinnerungsvermögen zuließ.
      Mehr Sorgen als das Territorium der Rubras, ihr mysteriöser Torwächter und sämtliche Unbekannte, die selbst Ennis mit seinem Wissen nicht einkalkulieren konnte, bereitete ihm Sylea. Cain fühlte seit dem Zusammenbruch in dem kleinen Badezimmer eine merkliche Distanz. Jeden Tag schien Sylea sich ein kleines Bisschen mehr zu entfernen. Das Mädchen, das er liebte, verschwand langsam im Nichts. Cain war dagegen völlig machtlos und konnte nicht einmal einen Grund benennen. Nachts konnte Cain nur tatenlos mit ansehen, wie Ascan sich ganz selbstverständlich ihres Körpers bemächtigte. Der Seelendieb hüllte sich in Schweigen, ebenso wie Sylea. Die Tatsache, dass sie ihm nicht alles erzählte, sie musste es nicht einmal in Worte fassen, nagte an dem jungen Mann.
      Wenn das Gefühl der Enge in der Hütte unerträglich und die Luft darin für Cain immer stickiger wurden, hatte der alte Mann sich seine Flinte geschnappt und den ruhelosen Seeker mit auf die Jagd geschleift. Er hatte sich nie für das wortlose Verständnis bedankt.
      Trotz der allgegenwärtigen Sorge brachte die Zeit in der Hütte von Ennis und seiner Enkelin Mairead auch schöne Momente hervor. Die Mädchen knüpften ein zartes Band miteinander und irgendwann hatte auch der misstrauische Seeker eingesehen, dass weder in dem aufgeweckten Mädchen noch ihrem Großvater eine Gefahr schlummerte. Er hoffte nur, dass er es nicht bereute, dem zerbrechlichen Frieden eine Chance gegeben zu haben.
      Die düsteren Gedanken verflogen, sobald er das zaghafte Lachen von Sylea hörte, während Mairead aufgeregt und freudig um ihre neue Freundin herumwirbelte. Es war wunderschön auf der kleinen Lichtung und in der trügerischen, friedlichen Blase, die sie alle umgab. Es fühlte sich ein wenig nach einem Zuhause an, würde nicht das sprichwörtliche Damoklesschwert über ihren Köpfen schweben. Eine Bedrohung, die sie noch nicht sehen konnte, aber die sich irgendwo hinter dem dichten Wald versteckte. Es hatte sich mehr als einmal darüber gewundert, dass noch niemand gekommen war. Vielleicht hatten die Rubras einfach den längeren Atem und wussten, dass die verlorene Tochter bald zurückkehren sollte.
      Ein leises Rascheln verriet Sylea.
      Es war früh am Morgen und damit wohl der einzige Grund, warum Mairead noch nicht an ihrem arm hing. In dem Gedanken lag keine Böswilligkeit, denn die Zeit an diesem Ort, hatte ihnen eine Möglichkeit zum Luftholen gegeben. Ein letztes Aufbäumen vor dem Unvermeidlichen und genau das, sah er nun an dem Blick, den Sylea ihm schenkte. Er lächelte, als er die Axt an den Baumstumpf lehnte, der ihm als Schlagblock diente und legte einen Arm um die junge Frau. Dass er verschwitzt war und vermutlich nicht gerade nach einer Blumenwiese roch, schien sie nicht zu stören. Es war nicht oft vorgekommen in den letzten Tagen, dass sie seine Nähe gesucht hatte und tief in seinem Inneren, wollte er nicht hören, was sie zu sagen hatte.
      „Guten Morgen…“, murmelte Cain mit einem rauen, kratzigen Klang in der Stimme, als hätte er den ganzen Morgen noch kein Wort gesprochen. „Ich hoffe, du hast noch nicht geduscht, weil du im Anschluss gleich nochmal wieder unter die Dusche darfst, wenn du dich weiter…“
      Die Leichtigkeit verschwand, als sie Sylea ihm endlich reinen Wein einschenkte… zumindest in einem Punkt. Als er den Blick senkte, war sie eifrig damit beschäftigt, sein Shirt genauer unter die Lupe zu nehmen. Cain neigte den Kopf, bis er an Syleas lehnte. Der Ernst der Lage hielt Einzug wie ein unwillkommener Gast. Sein Gefühl hatte ihn nicht belogen, Sylea verschwand wirklich.
      „Wir wussten, dass wir nicht ewig hier bleiben können“, antwortete Cain nüchtern. „Aber manchmal habe ich mir gewünscht, wir könnten es. Komm.“
      Er fühlte Sylea zu einer kleinen Holzbank, die Ennis im Schatten der Laubbäume platziert hatte und bedeutete ihr, sich zu setzen. Cain ging vor ihr in die Hocke und strich sich das verschwitzte Haar zurück. Ein wenig Dreck von den Holzscheiten klebte an seiner linken Wange. Behutsam legte er die Hände auf ihren Knien ab und sah sie unverwandt an.
      „Es tut mir leid.“
      Alles.
      Er lächelte. Dieses kleine Lächeln, das nur für Sylea bestimmt war.
      „Einen Tag um uns zu verabschieden? Was sagst Du?“
      Geduldig wartete Cain, bis er ein Nicken als Antwort bekam und stimmte sich aus der Hocke hoch. Ebenso wenig überstürzt, ließ er sich neben Sylea auf der Bank nieder. Die Sonne kitzelte ihn an der Nasenspitze.
      „Da du heute entschieden hast, mit mir über die Wahrheit zu sprechen“, begann Cain. Obwohl sein Wortlaut anderes vermuten ließ, lag keinerlei Vorwurf darin. „Du hast mir eine Frage immer noch nicht beantwortet: Welche Rolle spielt dieser Junge…dieser Gott, Dagda, bei alldem?"
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Das sanfte Gewicht, das Cains Stirn gegen ihren Schädel erwirkte, erdete Sylea in einer ungeahnten Art und Weise. Kurzweilig gestattete sie sich, ihre Lider zu schließen, sich dem Dunkel zu ergeben, vor dem sie so konsequent in den letzten Wochen geflohen war. Sie fühlte den Stoff des Shirts zwischen ihren Fingern und wie er leicht klamm war. Dass der junge Mann sich beinahe jeden Tag körperlich betätigte war ihr natürlich aufgefallen, doch wer war sie schon, dagegen Einspruch zu erheben? Wenn es ihm half, sich mental zu finden, dann sollte er ruhig so viel Holz spalten bis er eine ganze Stadt mit Brennholz versorgen konnte.
      „Ich wäre fein damit gewesen, hier zu bleiben. Selbst wenn wir nicht verwandt sind“, murmelte Sylea, die nur ein einziges Mal an die kleine Wohnung in Edinborough zurückgedacht hatte. Zu tief saß die Enttäuschung darüber, dass sie dieses einfache, normale Leben nicht haben könnte. Zu tief hatte sich das Bild eines Blondschopfes in ihre Erinnerung gebrannt, als dass sie öfter an die Zeit zurückdenken mochte. Also folgte sie dem Seeker zu der kleinen, charmanten Bank, setzte sich und heftete den Blick auf Cain, als er sich vor ihr in die Hocke setzte.
      „Du sollst dich doch nicht entschuldigen. Das ist mein Job.“ Eisern hielt sie ihren Blick auf Cain gerichtet. Wenn sie ihre Augen zusammenkniff und genau hinsah, dann würde seine Körperwärme leichte Dunstwolken in der Morgensonne aufsteigen lassen. Heute war der Wald nicht so feucht wie sonst und die wenigen Sonnenstrahlen verbannten die restlichen Nebelfetzen in die Tiefen des Gehölzes. „Wir hatten das Thema ja schon ein paar Mal.“
      Ohne das Vessel wäre der Seeker niemals hier gelandet. Er wäre niemals aus den Fängen des Rates ausgebrochen, hätte niemals den Verbleib seiner Schwester klären können und wäre seinem unvermeidlichen Ende in Form eines jungen Mädchens nie begegnet. Wäre ihm nicht aufgetragen worden, das seltsame Vessel in der Nähe Barhills ausfindig zu machen, hätte das Schicksal andere Fäden und Stoffe gesponnen, aus denen sich andere Geschichtenteppiche hätten weben lassen können. Doch nun war das Garn und der Zwirn beinahe aufgebraucht und das Ende der Spindel erreicht. Einzig die Spitze der Nadel in der Mitte, ihr gemeinsames Ende, würde dann noch auf sie warten.
      Einen Tag zum Verabschieden. Das klang nach einem Plan, weshalb Sylea nickte und ein melancholisch anmutendes Lächeln zustande brachte. Cain verschwand aus ihrem Blickfeld, während sie die gestapelten Holzscheite betrachtete und die Bank knarzte, als er sich neben sie setzte. Als er endlich mit der Sprache rausrückte, streckte das Mädchen die Beine lang aus und kippelte auf dem Rande ihrer Fersen hin und her.
      „Du meinst, bei allem? Die Antwort wird dich nicht glücklich machen“, fing sie an und klang dabei so herrliche belanglos, als würde sie von einem Kaffeeklatsch mit zwei Freundinnen berichten, die sie gar nicht hatte. „Dagda spielt keine Rolle. In gar nichts. Als du vom Grimm überwältigt wurdest und ich dich nicht allein habe rausholen können, hat er seine Hilfe angeboten. Natürlich nicht ohne einen Preis, aber den war ich gewillt zu zahlen. Er verlangte für seine Hilfe, dass ich ihn in dem Moment rufe, wenn ich gehen sollte. Weil er dieses Mal wohl sichergehen will, dass alles seine Richtigkeit hat. Denke ich.“ Sie seufzte. „So genau weiß ich das auch nicht mehr, wenn ich ehrlich sein soll. Was er wollte, war nicht sofort und brachte keinen von uns um. Wir haben keine Halsbänder angelegt bekommen oder haben irgendwas verloren. Das war für mich erst mal ein guter Deal….“
      Ein viel zu guter Deal wenn man bedachte, dass sie einen Handel mit einem Gott abgehalten hatte. Ihr war damals gar nicht aufgefallen, dass Ascans nichts von dem Handel mitbekommen hatte. Als sie in einer ruhigen Minute seine Erinnerungen durchforstet hatte, fand sie nur eine schwarze Stelle für den Zeitraum, wo der Grimm ausgebrochen war. Entweder hatte sie oder Dagda selbst den Seelendieb ausgeschlossen und nachdem ihr diese Erkenntnis kam, tat sie alles dafür, dass es auch so bleiben würde. Es musste einen Grund geben, warum Ascan keine Kenntnis von dem Handel haben sollte und nach einer Weile war es ihr schließlich aufgefallen. Der Sinn hinter dem eigentlichen Handel, den sie nicht benennen durfte, tat sich so plötzlich auf wie das Wissen um die Existenz der Götter auf Erden. Solange sie es nicht aussprach, würde Ascan nichts ahnen, genauso wenig wie Cain. Als würde sich das Vessel in Schweigen hüllen, bis der Moment gekommen wäre und sie den Handel einlösen musste.
      „Wir müssen und auch noch um…. Ihn hier kümmern“, fing Sylea nach einer Pause wieder an und zog einen einsamen und unscheinbar wirkenden Schlüssel aus ihrer Hosentasche. Jenen Schlüssel, den ein gewisser Archivar ihnen zugespielt hatte. „Sonst taucht er vielleicht genau dann auf, wenn wir es am wenigsten gebrauchen können.“
    • Ein missmutiges Schnauben erklang an Syleas Seite. Cain zog eine Augenbraue vielsagend in die Höhe, trotz der Ernsthaftigkeit des Themas. Wann hatte ihn das letzte Mal eine Antwort wirklich glücklich gemacht sobald es um den Rubra-Clan, mächtigen Seelen und allerlei Verschwörungen gegangen war? Die Einmischung eines Gottes war letztendlich das berühmte Tüpfelchen auf dem I. Allein die Tatsache, dass sie einem leibhaftigen Gott begegnet waren, der es für nötig befand, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen, war so verrückt, dass Cain nicht daran glaubte, dass ihn noch irgendetwas schockieren konnte. Er hatte in den vergangenen Tagen seinen Frieden mit vielen Dingen gemacht. Sein Geisteszustand befand sich irgendwo zwischen Resignation und Akzeptanz. Beides für sich allein stellte eine sehr, sehr bittere Pille dar. Vor allem, da ihnen wieder vor Augen geführt wurde, was Sylea und er niemals haben würden. Auf der anderen Seite, war dieser bröckelige Frieden ein letzten Geschenk. Er würde die Zeit nicht damit verschwenden, wie ein trotziger Junge gegen das Schicksal zu wettern, das sich ihm eh nicht beugte.
      Also lauschte er Sylea während sein Blick über die Baumkronen streiften, deren Blätter in der frischen Morgenbrise zitterten. Eine kurze Pause entstand und Cain schloss die Augen. Er lauschte dem Rascheln der Zweige über ihren Köpfen. Dieser Ort hier war anders, als Edinburgh. Es war ruhig und friedlich. Meilenweit spürte Cain nichts, außer die sprunghaften, flüchtigen Auren der kleinen und großen Waldbewohner. Die Reizüberflutung der Ortschaften und Stützpunkte blieb fort.
      "Ich soll also glauben, dass Dagda lediglich einen Job als Gott erledigen und einen Fehler korrigieren will?"
      Cain schlug die Augen auf und sah Sylea direkt an.
      Er erinnerte sich daran, dass Dagda ihm eindringlich zu verstehen gegeben hatte, dass er eine Seele nur im Ganzen in den Maelstrom zurückschicken konnte und da die Grenzen zwischen Sylea und Ascan zunehmend verwischten...Der Gott schlug zwei Fliegen mit einer Klappe. Zwei Seelen, die ihre vorherbestimmte Existenz schon längst überschritten hatten. Ein Bedrohung, die der Gott vom Angesicht der Erde wischte. Einen Mann, der mit gefährlichen Mächten spielte. Der Preis war die Seele eines unschuldigen Mädchens. Cain wusste nicht, ob er am Ende tatsächlich damit Leben konnte. Für ihn war der Preis zu hoch.
      "Ich verstehe.", murmelte er.
      Zumindest glaubte der Seeker ein paar Bruchstücke zu verstehen. Der Blick in den goldenen Augen gab Sylea deutlich zu verstehen, dass er spürte, dass ihm entscheidende Puzzleteile fehlte. Aber Cain gab nach und ließ sich von dem präsentieren Schlüssel ablenken. Beim Anblick des Schlüssels taten sich gemischte Gefühle auf. Mortimer war ihnen bereits einmal in den Rücken gefallen. Er hatte mit ihren Leben gespielt zu seinem Vergnügen und war geflüchtet, als die Gefahr zur groß wurde. Allerdings hatte er ihnen auch die nötigen Mittel für eine Flucht hinterlassen...
      Behutsam nahm er den Schlüssel aus ihren Fingern.
      Nachdenklich strichen seiner Fingerspitzen über das Metall, das warm von Syleas Körperwärme war.
      "Der Schlüssel funktioniert nicht mehr. Er hat gesagt, dass er uns nicht wieder ins Archiv führen wird."
      Cain blinzelte und zog die Augenbrauen zusammen.
      "Vielleicht kann er uns damit orten. Er funktioniert zwar nicht mehr, aber spüre Rückstände seiner Aura. Ich frage mich, was passiert, wenn wir versuchen ihn trotzdem zu benutzen..."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Wortlos gab Sylea den Schlüssel an Cain, selbst wenn sie in seinen Augen deutlich ablesen konnte, dass er ihr natürlich nicht vollends glaubte. Dafür war die Geschichte nicht fundiert genug. Nicht, um den ohnehin misstrauischen Seeker vollends in die Irre zu führen.
      „Möglich, dass der Schlüssel nicht mehr so funktioniert wie der von damals. Immerhin hat er gesagt, dass er uns nicht mehr in das Archiv führen wird. Muss er ja auch gar nicht, wenn Mortimer nicht mehr da ist“, sagte Sylea, wobei ihre Mundwinkel spitzbübisch nach oben wanderten. „Vielleicht war das ein subtiler Hinweis darauf, dass der Schlüssel uns einfach woanders hinführen wird.“
      Orten konnte Mortimer sie dem Schlüssel zweifellos. Ascan hatte ihr sehr früh erklärt, dass, ein Gegenstand erschaffen von einem Konstrukteur, wie ein Teil seines Körpers fungierte. Ob mit Aura ausgestattet oder nicht – er gehörte zu dem Wesen und war immer wieder auffindbar.
      „Ich glaube, der Schlüssel ist dafür gar nicht das Problem.“ Sie ließ den Blick sinken und betrachtete das ehemals gebrochene Bein, wo das Gold seiner Aura durchsetzt war mit anderen Fragmenten. „Er hat dein Bein geheilt. Spätestens damit hat einen Peilsender, würde ich sagen.“
      Damit konnte Mortimer sie garantiert finden. Es war dann nur die Frage, ob sie das Thema vorerst abschließen wollten oder nicht. Mit der Ungewissheit, dass er plötzlich wirklich einfach auftauchen konnte, wollte Sylea nicht arbeiten und sich in die Hallen stürzen. Wobei… Würde Mortimer ernsthaft freiwillig in die Hallen eintreten? Oder eher – warum nicht?
      Da schlug sich Sylea mit den flachen Händen auf die Oberschenkel und erhob sich. Dann reckte sie Arme gen Himmel und streckte sich, ließ die Waldluft sie umfangen und ihr eine leichte Gänsehaut bescheren. Anschließend ließ sie die Arme fallen und schlug die Augen auf. Halb wandte sie sich dem jungen Mann auf der Bank zu, der noch immer den Schlüssel in seinen Fängen wusste.
      „Ich höre von Ascan keine Einwände, auch wenn er derjenige ist, der den Handel abgeschlossen hat. Er meint allerdings, dass er lieber allein gehen würde, eben weil es sein Handel mit Mortimer war. Würdest du mich allein gehen lassen und auf mich warten, wenn es klappt?“, fragte Sylea mit einer unglaublichen Leichtigkeit, so als würde sie sich nicht allein in eine ungewisse Dimension mit zwei unberechenbaren Seelen begeben.
    • "Eine versteckte Einladung, hm?", antwortete Cain. "Er vertraut doch nicht wirklich darauf, dass Ascan seinen Teil des Deals einhält?"
      Andererseits, wer wusste schon, was in dem verstaubten und verdrehten Verstand des Archivars vor sich ging? Der Babylonier interessierte sich für keine Partei, wählte keine Seite und schien nach Lust und Laune das zu tun, wonach ihm gerade der Sinn stand.
      Er ließ den Schlüssel durch seine Finger gleiten und spielte den Gedanken durch, wem diese Einladung gegolten hatte. Zweifellos spekulierte der Babylonier mit der Möglichkeit, dass sein zwielichtiger Freund ihm einen Besuch abstattete. Wenn Mortimer sie zu jedem erdenklichen Zeitpunkt aufspüren konnte, blieb Ascan kaum eine andere Wahl. Oder Sylea. Oder Cain. Wirklich begeistert zeigte sich Cain über einen möglichen Überraschungsbesuch nicht.
      Als Sylea sein Bein erwähnte, stieß Cain ein gedehntes Seufzen aus.
      "Natürlich. Gemäß dem Fall wir hätten den Schlüssel zur Vorsicht entsorgt...Davon", sagte Cain und streckte das Bein aus. "...können wir uns nicht so einfach trennen."
      Manchmal vergaß er, dass Mortimer den zertrümmerten Knochen in Windeseile zusammengesetzt hatte. Eine silbrige, metallische Substanz hielt die Knochensplitter zusammen. Er hatte keine Schmerzen. Nicht immer, jedenfalls. Es war eines der Dinge, die Cain nicht begriff. Mortimer hatte ihnen geholfen. Mehrfach. Er hatte ihnen einen kurzfristigen Unterschlumpf gewährt, ihnen eine Flucht ermöglicht. All das, nachdem er sie eiskalt im Hell Gate zurückgelassen hatte und feige durch eine Tür entschlüpft war. Der Archivar hätte sie alle über die Klinge springen lassen und dabei nicht einmal geblinzelt. In manchen Augenblicken hatte der Seeker es in der Aura des Babyloniers gespürt: Es gab nichts, das Mortimer... das Baltazar an diese Welt band. Der spürbare Schimmer seiner Aura fühlte sich losgelöst von allem an, kühl und einsam wie hinter Glas. Cain erwischte sich dabei, wie ein Hauch von Mitgefühl sich in seine Gedanken schlich. Wie musste es sein beinahe ewig zu leben?
      Kopfschüttelnd lehnte sich Cain zurück gegen die geschnitzte Rückenlehne der Bank.
      "Das heißt: Wir sollten uns an den Handel halten, wenn wir keine unangenehme Überraschung erleben wollen", schlussfolgerte er. "Es gefällt mir nicht, dass du allein gegen willst. Wer weiß, ob Ascan dieses Schlupfloch nicht ausnutzt um mit dir zu verschwinden? Oder, ob Baltazar euch einfach wieder gehen lässt, wenn er bekommen hat, was er wollte? Vielleich reicht ihm das nicht."
      Wieder ein schwerer Atemzug.
      Cain betrachtete Sylea, die scheinbar völlig sorglos über ein riesiges Problem sprach.
      Es triggerte etwas in dem Seeker. Ein Gefühl, das zwischen Unverständnis, Enttäuschung und Wut schwankte. Die goldene Aura wallte kurz protestierend auf. Das Zucken seiner Mundwinkel, war der einzige Anflug eines schmalen Lächeln. Die pure Resignation spielte sich auf seinem Gesicht wieder.
      "Habe ich wirklich eine Wahl?"
      Zur Not konnte Ascan...vielleicht sogar Sylea, und der Gedanke war äußerst befremdlich, ihn einfach außer Gefecht setzen.
      Cain erhob sich und gesellte sich an ihre Seite.
      "Wenn du es versuchen willst, dann testen wir deine Theorie heute Nacht, sobald Ennis und Mairead schlafen. Sie sollten nichts davon mitbekommen. Ich bezweifle, dass Ennis vor Freude in die Luft springt, wenn wir er davon erfährt. Obwohl ich ihn ungerne belüge. Er war freundlich zu uns und hat uns bei sich aufgenommen. Das ist mehr, als ich nach der ersten Nacht hier erwartet habe. Ich befürworte die Abmachung nicht, die er mit den Rubras geschlossen hat...aber er ist ein guter Mensch, der tut, was in seiner Macht steht. Viel lässt der Clan ihm nicht."
      Geräusche drangen aus der Hütte zu ihnen herüber. Ennis.
      'Du musst darauf vorbereitet sein, dass du sie gehen lassen musst, Junge.'
      Cain nahm Syleas Hand und drückte seine Lippen gegen ihre Handknöchel.
      "Lass uns reingehen bevor Mairead die ganze Hütte auf den Kopf stellt. Sie lässt sich kaum von dir trennen, hm?"
      Er rümpfte die Nase.
      "Und ich brauche wirklich dringend eine Dusche."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • „Doch, ich glaube schon, dass er daran glaubt. Denn wenn nicht, dann haben wir zwei Enti… Entitu… Nein, Entitäten war das Wort. Dann haben wir zwei Entitäten, die nicht nur sich, sondern auch alles um sie herum sprengen.“
      Im Gegensatz zu Cain wusste Sylea, dass Ascan nur daraufsetzte, dass der Babylonier ihn nicht einzuschätzen wusste. Er spielte gefährlich mit dem Unwissen und der Skepsis der deutlich älteren Seele, aber das war nun mal seine einzige Trumpfkarte. Das und das Wissen über Techniken, von denen der Konstrukteur noch nichts gehört hatte. Ascan hegte Respekt für das Wesen, das in einer völlig anderen Nische überaus begabt war.
      Ihr Blick ging abermals zu Cains Bein, dann lächelte sie. Natürlich ließe sich das Bein nicht abnehmen oder unschädlich machen. Das wollte sie auch gar nicht. Sein Bein war längst Teil eines Planes, den Sylea über die letzten Tage ausgearbeitet hatte. Es war keine Nacht und Nebel Aktion, die sie hier plante.
      Bestimmt schüttelte sie den Kopf. „Wir halten uns nicht an einen Deal, er tut es auch. Oder ist er seitdem einfach aus dem Nichts aufgetaucht? Ich denke, er geht davon aus, dass ich den Kampf gegen Ascan verlieren werde und er somit besser mit ihm Handel abschließt. Ich will nur dafür sorgen, dass Ascan keinen Scheiß produziert, wenn er Mortimer aufsucht, verstehst du?“ Das Lächeln war wieder zurück, dieses Mal mit einer Selbstüberzeugung, die keinerlei Spielraum zuließ. „Ich wage zu bezweifeln, dass er mich so leicht überwältigen kann. Jetzt nicht mehr, denn jetzt kann ich den Spieß wenigstens ein bisschen umdrehen. Und wenn mich Mor-, Baltazar, nicht gehen lassen will, finde ich schon Mittel und Wege. Habe ich doch bisher immer, oder nicht?“
      Vor ihren Augen geriet die goldene Aura, die recht gleichmäßig um den Seeker gelegen hatte, in Aufruhr. Sie schlug aus, als wolle sie sich gegen ein Gefängnis erwehren und war das Sinnbild für Cains Gefühlslage, die man auf seinem Gesicht jedoch gar nicht hatte ablesen können. Ihr eigenes Lächeln wurde ein bisschen steifer. „Eine Wahl hast du durchaus. Es ist ja kein Soloprojekt, das ich fahre, aber wenn du mitkommst, hat Baltazar einen weiteren Hebel gegen mich.“
      Eine weitere Schwachstelle wollte sie den Seeker nicht nennen. Er war ihre Stütze, ihre Grundfeste und keine Schwäche. Nichts, das man ausnutzen konnte, aber wenn man dem Haus das Fundament entriss, fiel es dennoch in sich zusammen. Ein weiteres Mal wollte sie seine Sicherheit nicht riskieren und auch etwas freier handeln können, als wie, wenn er anwesend war.
      Cain hatte sich neben das Vessel gestellt und sie nutzte die Nähe, um ihren Kopf an seinem Oberarm anzulehnen. Die Ruhe vor dem Sturm, wie man so schön zu sagen pflegte. „Ich weiß immer noch nicht, wieso er so nett ist. Vielleicht sieht er in uns ja wirklich seinen Schwiegersohn und Tochter… Aber ja, ich mag ihm auch nichts vormachen. Deswegen gehen wir morgen ja auch.“
      Damit keiner von Beiden der Gefahr noch länger als unbedingt notwendig ausgesetzt sein musste. Ihre Hand wurde zu warmen Lippen geführt und wieder freigelassen, doch Sylea griff um und fing Cains Hand ein. Fest drückte sie seine Finger mit ihren und gab ihn nicht mehr frei, als sie sich langsam in Bewegung setzte.
      „Ja, ja, ja…. So schlimm stinkst du doch gar nicht.“

      „Hä? Wieso denn jetzt schon?!“
      Als Cain im Bad verschwunden war, hatte Sylea am Tisch die Bombe platzen lassen und Ennis sowie seiner Enkelin gesteckt, dass sie heute den letzten Tag hier verbringen würden. Ennis‘ Blick wurde sogleich betroffen, immerhin wusste er, was ihr Ziel war und dass er sie vermutlich nicht ein weiteres Mal mehr zu Gesicht bekommen würde. Mairead hingegen brach aus wie ein Vulkan. Zuerst hatte sie Sylea nur mit großen Augen angesehen, doch als die Sicherheit sackte, machte sich Entrüstung und kindlicher Zorn auf ihrem Gesicht breit. Sie schnitt eine unflätige Grimasse und hatte die Hände auf den Tisch geknallt, dass die Tassen mit frischem Kaffee und warmer Milch klirrten.
      „Wir waren schon echt lange hier und unser Urlaub ist jetzt fast vorbei. Wir sind schon groß und müssen arbeiten wie normale Menschen, Mai…“ Ihr Spitzname für das junge Mädchen.
      „Dann kündigt halt!“
      „Ohne Geld wird’s schwierig…“
      „Dann wohnt hier bei uns! Ennis mag euch auch!“ Maireads sonst eher blasses Gesicht bekam allmählich Farbe auf den Wangen.
      Sylea seufzte, schenkte dem Mädchen aber das wärmste Lächeln, das sie besaß. „Das liegt wohl eher in der Entscheidungsgewalt deines Opas. Außerdem sind wir ja nicht aus deinem Leben. Wir kommen noch mal und besuchen dich. Und wenn du alt genug bist, dann kommst du einfach mal uns besuchen. Klingt doch nach einem Deal, oder?“
      Mairead zog eine Schnute, setzte sich aber brav auf ihren Stuhl und schob ihre Tasse hin und her. Natürlich war das für sie viel zu früh – immerhin hatte sie in dem Vessel eine ungeahnte Freundin gefunden. Eine durchaus gefährliche, aber das konnte sie schließlich nicht wissen.
      „Ich habe Cain den besten Weg für eure weitere Reise erklärt, das sollte also kein Problem sein. Nehmt ihr alles mit, was ihr bei euch habt?“, fragte Ennis, der gerade kleine Teller aus der Küche holte und sie auf dem Tisch verteilte.
      „Ja klar. Wir können deine Hütte ja nicht als Zwischenlager benutzen. Außerdem brauchen wir wohl alles auf dem weiteren Weg. Ohne Papiere und alles wird’s reisen wohl schwierig“, antwortete Sylea nachdenklich. „Ich hoffe einfach, dass es nicht so… anstrengend wird…“
      „Du kannst auch hierbleiben…“, warf Mairead mit unschuldigem Blick ein und erntete einen tadelnden Blick seitens Syleas. „Oder eben… nicht.“
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      Cain stockte der Atem. Die eisige Kälte verdrängte die Luft aus seinen Lungen und lenkte seinen Fokus für einen Augenblick einfach auf die simple Tätigkeit weiter zu atmen. Zähneknirschend erduldete der Seeker das eiskalte Wasser, das auf seine Schultern prasselte. Die Haut war dieses Mal nicht von der Hitze sondern vor Kälte gerötet. Jeder Tropfen glich einem Nadelstich. Er versuchte buchstäblich einen kühlen Kopf zu bewahren. Sylea hatte ihn mit dem Rücken zur Wand gestellt. Natürlich hatte sie Recht, wenn er die begleitete, gab er dem Babylonier ein Druckmittel in die Hand. Sie hatte es nicht aussprechen müssen, aber war zu einem signifikanten Schwachpunkt geworden. Cain presste die Hände, mit denen er sich abstützte, fester gegen die gefliesten Kacheln der Dusche. Kontrollierte Atemzüge arbeiteten gegen den Druck auf seinen Brustkorb, erzeugt von der Kälte und Machtlosigkeit.
      Es dauerte vielleicht gerade einmal dreißig Minuten, da verließ Cain das kleine Bad und gesellte sich an den Esstisch, an dem Ennis bereits das Frühstück servierte. Seine Aura hatte sich eng um seinen Körper zurückgezogen, kontrolliert und seltsam ruhig. Cain hatte beschlossen, seine Gefühle nicht den Plan gefährden zu lassen. Die Luft um ihn herum war nicht annähernd so kühl, wie im Hell Gate, aber sein Gemütszustand dennoch ähnlich. Dieses Mal benötigte er Ascans Hilfe nicht, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er hatte nicht das Recht wegen einer zweifelsfrei, sinnvollen Entscheidung wütend auf Sylea zu sein. Nichts davon bedeutete im gleichen Atemzug, dass sich etwas an seinen Gefühlen oder seiner Unterstützung für Sylea geändert hatte. Er konnte sich schlicht und ergreifend nicht damit abfinden.
      Dennoch blieb ein Brodeln tiefvergraben in seiner Brust, dass der Grimm hütete wie einen Leckerbissen. Fein, sollte der Grimm seine Wut fressen und daran ersticken.
      Cain zwang sich zu einem zuversichtlichen Lächeln, während Sylea die Lügen so leicht von den Lippen gingen. Vielleicht hatte Ascan doch wenig mehr auf sie abgefärbt. Immerhin verschwammen die Grenzen zwischen ihnen von Tag zu Tag mehr. Der Seeker griff nach einer der Kaffeetassen, als er auf dem Stuhl neben seiner Partnerin Platz genommen hatte. Bei Maireads vehementen Protest legte er seine Hand kurz auf Syleas Knie und drückte behutsam zu. Die Situation war nicht leicht und der schmollende Gesichtsausdruck des Mädchen mit den hochroten Wangen war ebenfalls kein leichter Gegner.
      Langsam nahm er einen Schluck aus der heißen Tasse und nickte dann Ennis zu.
      "Danke für Deine Hilfe."
      Es war ganz und gar aufrichtig.
      "Wir werden uns wohl kein zweites Mal verlaufen."
      Das Lächeln auf seinen Lippen erreichte nicht vollständig seine Augen. Er hatte, ohne es zu wissen, dieses Ort liebgewonnen.
      Er wandte sich an Mairead.
      Cain lächelte etwas breiter. Das Mädchen konnte am wenigsten für die ganze Misere und er verspürte den Wunsch sie aufzuheitern.
      "Na komm, verbringen wir unseren letzten Tag hier nicht mit Schmollen. Hattest du nicht von einem Spiel erzählt, dass du uns noch zeigen wolltest?"
      Vielleicht konnten sie wirklich zurückkommen.
      Wenn sie Glück hatten.
      Vielleicht.
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      Mit einem leisen Klicken schlossen sich die Tür zu Ennis' Schlafzimmer.
      Geduldig verharrte Cain im schwummrigen Schein des kleinen Nachtlichts, dass auf dem Wohnzimmertisch lag. Sie hatten warten müssen, bis Ennis beschlossen hatte endlich ins Bett zu gehen. Die Anspannung war über den Abend hinweg mit jeder Stunde weiter angewachsen. Sie hatten versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Um Mairead den letzten Abend zu versüßen, hatte sie sich den Bauch mit Keksen vollschlagen dürfen und sie hatten ein Spiel nach dem anderen gespielt. Alles was Mairead ihnen präsentiert hatte, war mit Begeisterung aufgenommen worden. Cain hoffte, dass das Mädchen sich mehr an diese Stunden erinnerte, als an den bevorstehenden Abschied. Sein Blick glitt zu Sylea, dann zu dem Schlüssel zwischen ihren Fingern.
      Als Sylea an ihm vorbei ging, den Schlüssel bereit zu einem Testeinsatz in den Händen, schnappte er blitzschnell nach ihrem Handgelenk. Der Griff war locker, aber sorgte dafür, dass sie stehen blieb. Wenigstens einmal wollte er es noch versuchen, bis er sich für eine ungewisse Zeit dazu verdammen ließ, die geschlossene Tür vom Sofa aus anzustarren.
      "Bist du dir immer noch sicher, dass du allein gehen willst?"
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”