The Lesser Evil (Winterhauch & NicolasDarkwood)

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    • Andvari bemerkte das Zögern bereits bevor sie seine Schultern zart, aber bestimmt zurück schob und die Trennung ihrer Lippen nur allzu früh veranlasste. Ob es der Gedanke war, nicht ihrer sein zu können? Ob es sie genauso quälte wie ihn, dass dies alles hier, diese brennende Sehnsucht in seinem Leib und dieses Feuer, das nicht zu ignorieren war, alles nur Schall und Rauch sein mochte? Eine Illusion?
      Wohl kaum, oder?!
      Schweigsam ließ er die Trennung zu und sich zurückdrücken und obschon das Lächeln nicht von seinen Lippen wich, büßte es etwas an Kraft und Stärke ein, ehe er sich wieder auf den Rücken legte.
      Nickend gab er Viola Recht.
      "Das ist wohl leider wahr", murmelte er. "Ich könnte, aber so nicht. Die Frage ist nur, was tu ich, wenn deine wachsamen Augen einmal nicht über mich wachen?"
      Grinsend warf er die Decke wieder über sich und sah ihr dabei zu, wie sie einen Großteil ihrer Kleidung von dannen warf. Wie gerne hätte er ihre Zweisamkeit noch vertieft, aber der Elf fürchtete, dass seine Muskeln nicht nur ihren Dienst quittierten sondern ihm vermutlich auch mehr denn je gerissen wären. Schweigsam lächelte er als sie sich neben ihn legte.
      Der Kuss auf der Stirn brannte angenehm von der Wärme, die sie ausstrahlte und Andvari fühlte sich einen Moment mit seinen Gedanken leichter. Auch wenn mancher Zweifel seinen Verstand vergiftete, war es doch immer noch sie, die dort war. Die neben ihm lag und ihn anlächelte.
      "Wie kann ich da gefährdet sein", murmelte er schwer und schloss die Augen nach einem kurzen, tiefen Atmen. Sie hatten Zeit, nichgt wahr?
      Wenn das alles vorbei war und er wieder bei Kräften war, hatten sie Zeit. Zeit, das alles aufzuholen, was sie versäumt hatten. Vielleicht war es auch alles, was benötigt wurde. Zeit.
      Auch wenn Andvari etwas im Hintergrund seines Verstandes ziepen spürte, so glitt er schwer hinüber in den erholenden Schlaf, der seinen Körper alsbald bleischwer machte.
      Hätte er nur geahnt, dass es eine der letzten friedlichen Nächte war...

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Träume blieben Viola in dieser Nacht fern. Sie gab den Bildern der Vergangenheit und den Warnungen ihres Unterbewusstsein keinerlei Gelegenheit ihr leichtsinniges Vorhaben in Frage zu stellen. Die Heilerin verweilte wie eine stumme Wächterin neben ihrem Liebsten. Sie war so still und bewegungslos wie eine der hübschen Statuen aus weißem Stein in den kaiserlichen Gärten. Manchmal, wenn Andvari sich unruhig vom Schmerz bewegte, berührte sie mit den Fingerspitzen seine Stirn und fuhr die tiefen Linien darauf nach, bis sich die Haut wieder glättete. Sanft brührte sie mit dem Daumen die tiefen Furchen zwischen seinen Augenbrauen und schickte einen zarten Impuls ihrer Magie durch sein schlafendes Bewusstsein bis sich die zusammen gezogenen Brauen wieder entspannten. Viola ließ nicht zu, dass der Schmerz ihn aus der erholsamen Ruhe katapultierte. Und so verharrte sie, Stunde um Stunde, bis zum Morgengrauen. Der Horizont zeigte sich in einem nebligen Grau und beinahe farblosem Blassblau, als Viola beschloss, dass es Zeit war. Hauchzart bedachte sie seine Gesicht mit flüchtigen Küssen auf seiner Stirn, den Augenbrauen, den geschlossenen Lidern und den Lippen, die sie sehnsüchtig vermisst hatte. Ein Kuss für jedes Versprechen, dass sie ihm im Stillen gab. Sie würde sicher zu ihm zurückkehren. Sie würden gemeinsam herausfinden, was es mit ihrer Geschichte auf sich hatte. Schweigend versprach sie Andvari, ihn zu lieben, egal welche Erkenntnisse ihre Nachforschungen zu Tage fördern würden. Sie versprach, die Bitterkeit nicht überwiegen zu lassen. Und viele kleine Versprechen mehr, die ihre Gedanken erfüllten. Viola wollte Andvari an ihre Lieblingsorte in den Gärten führen. Sie wollte ihm den Ort näherbringen, der ihr Leben gerettet hatte. Der Elf sollte ihren Mentor kennenlernen, den Mann, der ihr ein Vater gewesen war. Sie versprach Andvari, ihn nie wieder zu belügen und auch das letzte Geheimnis zu offenbahren, das sie mit sich trug.
      Viola verließ das Zimmer ohne sich ein letztes Mal umzudrehen.
      Sie wäre nicht gegangen, hätte sie es getan.

      Die Heilerin schritt durch das taufeuchte Gras.
      Heimlich hatte sich Viola aus den Gemäuern der Abtei geschlichen und durchquerte nun die geliebten Gärten, die ein paar der wenigen schönen Erinnerungen beherbergten. Ein sanftes Schnauben ließ sie aufblicken. In der Nähe des kleines Schlupfloches, das sie die Steilklippe herunter führen würde, wartete ihre ausgewählten Gefährten mit den Pferden. Meliorn hielt zwei zierliche, aber flinke Stuten am Zügel. Die Tiere mit dem unscheinbaren, braunen Fell besaßen einen sicheren Tritt und ein zuverlässiges Gemüt. Sie grüßte ihn mit einem dankbaren Nicken. Auf dem Sattelknauf saß Isobelle und putzte sich scheinbar gelangweilt das seidige Gefieder. Viola drückte die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und schluckte das schlechte Gewissen herunter beim Anblick des Milans. Lucien musste dem Bogenschützen die treue Gefährtin überlassen haben. Volgast saß bereits auf einem stämmigen Schalchtross, weniger flink aber deutlich beeindruckender als die Stuten. Sie nickte auf ihm zur Begrüßung zu. Viola wusste, was sie ihnen allen abverlangte. Auf dem letzten Pferd erkannte die Heilerin die Gestalt von Alarion. Dass Pompidou seine einzigen Enkel auf diese gefährliche Mission schickte, hätte Viola zur Umkehr bewegen müssen. Die Zwillinge waren zu jung. Obwohl sie genau genommen sogar älter waren als Viola. Für Elfen, waren die beiden allerdings noch furchtbar jung.
      Sie nahm die Zügel von Meliorn entgegen und sah ihre Freunde, neue und alte, an.
      "Ich werde nicht vergessen, welche Gefahr ihr auf euch nehmt an diesem Tag und was es euch allen abverlangt, Andvari im Dunkel zu lassen", erhob Viola die Stimme. "Aber wir müssen verhindern, dass Faolan seinen Bruder in die Finger bekommt. Ich habe in Tirion gesehen, was Andvari erwartet und ich bekomme bis zum heutigen Tag noch Ablträume davon. Wenn wir ihn durch diese Heimlichkeit beschützen können, bin ich bereit seine Wut und seinen Unmut auf mich zu laden. Ich werde alle Schuld von euch auf mich nehmen. So lange er lebt, ist es nicht von Bedeutung, ob er mich verabscheut oder liebt."
      Meliorn nickte schweigend und schwang sich grazil auf den Rücken seines Pferdes. Viola tat es ihm eine Moment später gleich.
      Niemand bemerkte die verhüllte Reiter, die sich langsam die Steilklippe entlang bewegten. Der verschlungene Pfad führte bis zum Fuß der scharfkantigen Felsen und hinaus aus der kaiserlichen Stadt. Lucien hatte ein paar der Wachen großzügig bestochen, um die maskierten Reiter aus den Toren zu lassen. Danach zogen die Gefährten das Tempo deutlich an. Der Ritt bis an die ersten Ausläufer der Schneegebirge würde Stunden in Anspruch nehmen und sie hatten keine Zeit zu verlieren. Viola wollte Faolan keinen Grund liefern, mit seinen Schattenläufern und Albtraumkreaturen durch die Mauern in die Stadt einzudringen.
      Die Landschafft verschwamm in einem Wirbel aus trostlosen Farben und dem Licht der aufgehenden Sonne.

      Die Luft kühlte merklich ab, als sie die ersten Gebirgsausläufer erreichten.
      In der Ferne glitzerte der letzte Schnee des Winters auf den kleineren Gipfeln und Viola wusste, dass auf den höchsten Gipfeln, die die Wolkendecke durchbrauchen immerwährendes Eis die felsige Landschaft überzog. Das friedvolle Plätschern eines Baches erfüllte die klirrend kalte Frühlingsluft. Der Bach floss aus den Bergen hinab und mündete in dem großen Fluss, der das Niemandsland vom restlichen Reich der Menschen trennte. Erynn Vâr und Beleriand im Westen. Bourgone als Zentrum im Osten. Eine Grenze, die dieser Tage verschwamm und keine Sicherheit mehr bot. Die Quele befand sich weit oben in den Bergen und war ohne entsprechende Ausrüstung nur unter Lebensgefahr zu erreichen. Aber bis dahin würde Viola nicht gehen müssen.
      edc12a5ae8c68c24251df076b0e9f334.jpgAn einem verfallenen, turmähnlichen Gebäude hielt der kleine Tross von Reitern an. Die alte Wassermühle hatte schon vor langer Zeit ihren Dienst eingestellt und war von der Natur zurückerobert worden. Das gölzerne Rad war komplett im bereites Gewässer verschwunden, dort wo der Bach in den Fluss mündete. Viola stieg vom Pferd ab und alle anderen taten es ihr gleich. Es war furchtbar still geworden. Allegemein hatte niemand viel gesprochen. Die Pausen waren kurz gewesen und die Anspannung zu allgegenwärtig.
      "Ich halte es noch immer für eine denkbar schlechte Idee, Viola", gab Meliorn zu bedenken.
      "Wir haben nicht den ganzen Weg hinter uns gebracht um jetzt umzudrehen", antwortete Viola.
      "Es stinkt nach einer Falle!", versuchte es der Bogenschütze noch einmal.
      "Denkst du, dass weiß ich nicht!? Aber ich habe nicht vor mich tatenlos hinter Mauern zu verstecken und darauf zu warten, dass Faolan sich holt, was er will."
      "Viola...", raunte Meliorn.
      "Wenn ich bei Sonnenuntergang nicht zurück bin, schickt Nachricht nach Bourgone", wies sie an.
      Meliorn schüttelte ein wenig den Kopf ehe er sich geschlagen gab und sich auf einem alten Baumstumpf in der Nähe der Mühle niederließ. Er fuhr sich durch die Haare und sah der Frau nach. Viola war ein Mensch, ein Bauernmädchen, das in ihrem Leben zu viel gesehen hatte und doch marschierte sie mit erhobenem Haupt den schmalen Trampelpfad am Bach entlang.
      Das Mädchen mit dem wilden, herbstroten Haar und den Narben in dem hübschen Gesicht, sah aus wie eine ungekrönte Königin, die gefallen war bevor sie eine Chance gehabt hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie jemals ängstlich in einer Ecke gekauert hatte. Aber diese Entwicklung hatte sie wohl Andvari zu verdanken. Meliorn hatte sich in den frühen Morgenstunden alle Mühe mit ihrem Erscheinungsbild gegeben.
      Viola würde Faolan nicht als zerlumpte Bäuerin entgegen treten.
      Kunstvolle, geflochtene Zöpfe hielten die rebellischen Haare aus dem Gesicht zurück. Zum Großteil fiel das Haar weich und glänzend über ihren Rücken, durch gewirbelt vom harschen Wind während des Ritts, aber noch ansehnlich. Die eflische Kunst in den filigranen Zöpfen und den schimmernden Perlen darin ließ sich kaum verleugnen. Als Zeichen ihrer Zunft der Heiler und ihrer Verbundenheit zur Weißen Hand hatte Meliorn das erste Frühlingsgrün mit eingewebt. Zarte, grüne Blättchen und die ersten frühen Blütenknospen schmückten das Kunstwerk. Es hatte erstaunlich gut gehalten, aber vielleicht hatte er mit einer Verbundenheit zum Wind auch ein wenig nachgeholfen. Viola selbst hatte den leichten Brustpanzer der Sternenstahlrüstung angelegt und einzelne Ornamente in ihre Reitkleidung übernommen. Sie war die Gefährtin und Geliebte des Lichtrufers, Erstes der berühmten Zwölf Schwerter, dann konnte sie auch so aussehen.
      Sie wusste nicht, wie lange sie dem Bauchlauf folgte, als sie eine schattige Lichtung zwischen kargen Bäumen erreichte.
      Viola wartete und legte ihre Hand zur eigenen Beruhigung auf Dandelost silbrige Klinge.
      Faolan würde sie aufspüren, daran zweifelte sie nicht.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Eine Unterhaltung mit der jungen Frau während es Ritts zu führen, erschien bislang ausweglos.
      Viola hatte ihren Weg gewählt und ging ihn zumindest mit erhobenem Haupt. Noch während er Reise versuchten die Zwillinge und auch Volgast selbst noch die Eindrücke der vergangenen Schlachten mitzuteilen, damit sie zumindest ansatzweise wusste, was auf sie zu kam. Doch auch wenn es Meliorns verzweifelter Versuch war, die Heilerin aufzuhalten, wussten die anderen drei, dass man eher einem Esel das Tanzen beibringen konnte.
      Lediglich das Kommando der jungen Frau, die Nachricht nach Bourgogne zu schicken, nahmen sich sowohl Volgast wie auch die Zwillinge vor, nicht an zunehmen.
      Grinsend versorgten die Zwillinge die Pferde, während Volgast dem jungen Elfen auf die Schulter klopfte und grinste.
      "Mach dir keine Sorgen", murmelte er. "Wenn Faolan sie töten wollte, hätte er es schon in den Ebenen getan, wo wir schutzlos waren. Er ist ein Monstrum, aber er ist nicht dumm."
      Sorgsam entzündeten sie ein kurzes Feuer und scharten sich anschließend darum, um der Dinge zu harren, die dort kommen mochten. Eine Aura, die sie erspürten, ließ die Zwillinge jedoch aufhorchen.
      "Sie sind da", flüsterten sie. "Wir spüren sie."
      Es mochte beginnen...

      Liebliches, friedliches Zwitschern erfüllte die Luft auf der Lichtung.
      Obschon die Bäume nicht nach dem blühenden Leben aussahen und die Erde zu ihren Füßen bereits bessere Tage gesehen hatten, blies ein kühler, aber frischer Wind durch die Wipfel. Zartes Zittern der Blätter folgte einem betörenden Rauschen, ehe die junge Heilerin auf der freien Lichtung sichtbar wurde.
      Ach wie gut sie sich frisiert hatte. Und wie edel die Rüstung im Licht des Tages schimmerte. Es war beinahe zum Würgen. Als ob sie ein Schwert, das sie nicht recht führen konnte, helfen würde.
      Es vergingen noch einige Minuten, ehe Bewegung in das gräulich-grüne Unterholz. Aus dem schwarzen Untergrund der Lichtung schälte sich eine Gestalt aus den Schatten, welche ihresgleichen noch in den Verkündigungen der Barden suchte. Manch ein Lied wurde über das Wesen geschrieben, das aus dem Schatten brach und sich zu voller Größe aufrichtete. Die meisten Menschen wie auch Elfen kannten den Leibwächter Faolans als den "blutroten Ignis". Dies mochte zum einen an seiner merkwürdig schlanken Gestalt, aber auch an der Rüstung aus ochsenblutrotem Stahl liegen, welche er am Leibe trug. Die schwere Plattenrüstung zierte ein prunkvoller Helm, der ab dem Augenschlitzen mit westlichen Löwen ornamentiert war. Seine Waffe - ein langer Zweihänger aus schimmerndem Stahl, gleich dem der Heilerin - schleifte er wie ein unnötiges Laster hinterher.
      Sachte tätigte drei Schritte auf die Lichtung hinaus, sprach jedoch kein Wort. Vielmehr traktierten die Augen des Leibwächters die Heilerin und vor allem das Schwert an ihrer Seite. Mochte es eine Legende sein oder nicht, aber Dandelost war eine Bekanntheit unter Schwertkämpfern. Ein Jeder wollte es gern besitzen. So auch Ignis.
      Schweigsam sah er sich um und fixierte den Raum um die Heilerin herum, ehe er nickte.
      Die zweite Gestalt, welche sich aus den Schatten schälte, war niemand anderes als Faolan selbst. Der Geißelprinz aus dem Norden zeichnete sich als kaum größer als Viola aus. Seine Schultern waren schmal, gemessen derer seiner Brüder und sein Gesicht beinahe unverfroren jugendlich. Das dunkle Haar fiel ihm in langen Locken über die Schulter und die Augen des jungen Elfen schienen zu funkeln als er die Lichtung betrat.
      Sachte setzte er sich auf einen Baumstumpf und schlug die Beine zu einem Schneidersitz zusammen, ehe er Viola bedeutete, näher zu kommen.
      "Du hast dich an dein Wort gehalten", sagte er und selbst seine Stimme klang bubenhaft schön. "Das freut mich. Es freut mich zu sehen, dass es noch Ehre unter Euresgleichen gibt. Setz dich! Setz dich zu mir, Viola de Claimont."
      Er wies lächelnd auf einen weiteren Stumpf, der sich ihm gegenüber befand und nickte einladend.


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      The more you drag me to hell
    • Faolan's Antlitz war unverändert. Die edlen Gesichtszüge, jungenhaft und beinahe lieblich anzusehen, täuschten nicht über die eisige Kälten in seinen Augen hinweg. Viola hatte die Bosheit in seinem Blick nicht vergessen. Sie hatte ihn nur ein einziges Mal gesehen: In den Kerkern Tirions als sie Andvari aus den grausamen Klauen seines Bruder befreiten. Für Bruchteil einer Sekunde hatte sie Faolan erblickt ehe sie durch das Portal entschwunden war. Selbst Faolan's Stimme erklang gefällig zwischen den kargen Bäumen. Er war wie seine älteren Brüder von außergewöhnlicher Anmut und strahlte eine zeitlose Schönheit aus, die lediglich das Elfenvolk besaß. Viola, jung aber mit Erfahrungen gesegnet, die niemand erleiden sollte, ließ sich von einem hübschen Gesicht nicht täuschen. Sie kannte die Wahrheit. Sie hatte gesehen, was er Andvari angetan hatte.
      Der Leibwächter beunruhigte sie. Viola erlag nicht dem Irrglauben eine echte Chance gegen den herzlosen Elfenprinzen zu haben, aber nun musste zwei Feinde im Blick behalten. Wachsam folgte sie den federleichten Schritten des Elfen, der im Gegensatz zu seinem Leibwächter in schwerer Rüstung kein einziges Geräusch erzeugte.
      Viola blieb auf Abstand bis der Elfenprinz offenbar beschloss, dass ein alter Baumstumpf den perfekten Sitzplatz abgab. Elegant ließ er sich nieder und bedeutete der Heilerin gönnerhaft näher zu kommen. Jeder Instinkt sträubte sich davor nur einen Schritt näher als notwendig in seine Nähe zu kommen. Faolan sollte sagen, was er zu sagen hatte und sie wieder ihrer Wege ziehen lassen.
      Die Heilerin ging mit ruhigen Schritten zu dem übrigen Baumstumpg herüber um sich zögerlich darauf niederzulassen. Kein Lächeln ruhte auf ihren Lippen, keine Freude schimmerte in den grünen Augen. Selbst ein Blinder hätte erkannt, dass nicht hier war, weil sie es wollte sondern weil Faolans kleine Machtdemonstration in Form von Nuala ihr keine andere Möglichkeit gelassen hatte.
      "Hätte ich gewusst, dass Ihr Gesellschaft mitbringt, hätte ich Eurem Leibwächter einen Spielkameraden mitgebracht, Prinz", antwortete Viola und beobachtete Den Leibwächter, Ignis, misstrauisch aus dem Augenwinkel.
      Der gefürchtete Elfenprinz selbst strahlte eine unnatürliche Kälte aus. Viola fühlte den Puls ihrer eigenen Aura, deren Magie unter der Präsenz des Prinzen erzitterte. Das Kräfteverhältnis in dieser Begegnung war denkbar schlecht.
      "Wir sollten nicht über Ehre sprechen. Ich fürchte, das würde zu keinem Ende führen", fuhr sie fort. "Sagt, was Ihr zu sagen habt, Prinz Faolan. Verschwenden wir unsere Zeit nicht damit vorgespielte Höflichkeiten auszutauschen. Warum wolltet Ihr mich treffen?"
      Um Andvari das zu nehmen, das er liebte.
      Die Heilern legte einen Unterarm locker vor ihren Bauch in den Schoß. Die Fingerspitzen der anderen Hand trommelten sachte auf ihrem Knie.
      "Ich habe nichts, was ich euch geben kann. Und wenn ich es hätte, würde ich es Euch nicht aushändigen."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Der Blick des jungen Elfen glitt amüsiert über das Gesicht der Heilerin und haftete kurz an den Narben in ihrem Gesicht. Ach, welch zeitlose Anmut ein Gesicht auch haben mochte, so entstellte eine Narbe beinahe jegliche Schönheit. Und Faolan Valverden liebte Schönheit und Schönes. Nichts durfte eine Ästhetik unterbrechen, nicht einmal bei einem Feind. Ein vernarbtes Menschenkind...Und das in diesem Alter. Der Prinz versuchte sich geflissentlich zurück zu halten, sich nicht auf den Boden zu seinen Füßen zu erbrechen, kaum erblickte er die funkelnden Augen der Heilerin. So amüsant die Worte waren, die sie sprach, so sicher war er sich, dass er sie binnen eines Sekundenbruchteils ihrem Ende zuführen konnte.
      Ihrem wohlverdienten Ende wohlgemerkt!
      "Spielkameraden...", wiederholte er genüsslich, als würde er das Wort auf verspeisen wollen. Die dunklen Augen glänzten in der schwachen Sonne des Tages und wirkten unnatürlich kalt zu seinem Stimmton. "Ihr meint Volgast, die Axt im Walde, die Zwillinge und den mickrigen Bogenschützen dort unten an der Mühle? Das wäre wohl kaum Spaß für Ignis. Zumal gerade die Zwillinge sich noch gut an das Schwert erinnern dürften, das ihnen beinahe das Leben gekostet hat. Nein, ich schätze es sehr, dass Ihr meiner Einladung allein gefolgt seid. Ignis ist hier lediglich um zu prüfen, ob ich mich in Gefahr begebe. Ihr müsst wissen, meine Berater waren dagegen, dieses Treffen zu arrangieren."
      Kichernd winkte er ab und wippte vor und zurück, als müsste er sich selbst beruhigen.
      "Als würde ich etwas auf Meinungen und Ehre geben, Miss de Clairmont. Ich habe Euch hergebeten, da ich Euch für die würdigste Vertreterin der menschlichen Rasse halte und als diejenige, mit dem meisten diplomatischen Geschick. Auch wenn Ihr Euch nicht gerade mit Ruhm bekleckert."
      Der Blick des Prinzen wurde anders als Viola ihren letzten Satz vorbrachte. Aus der Kälte schimmerte tatsächlich eine tiefschwarze Wut, die er nur mühsam zügeln konnte. Denn auch wenn das Schöne und Wundersame sein Bestreben war, so hielt es Prinz Faolan nicht allzu genau mit den Impulsen, die ihn wieder und wieder heimsuchten wie die Geister Verstorbener.
      "Die Höflichkeiten sind keinesfalls vorgespielt", merkte er an und hob einen Finger mahnend gen Himmel. "Mein Vater lehrte mich, meinen Feind zu ehren und das tue ich zu jeder Stunde. Dass Ihr nicht bei Eurem ersten Schritt auf dieses Areal gestorben seid, liegt an dieser Erziehung, Frau Viola. Und mit dem Geben ist es so eine Sache...Ihr habt etwas oder viel eher Zugriff auf Etwas, das ich begehre."
      Grinsend beugte er sich verschwörerisch vor und stützte sich auf die Knie auf.
      "Ich biete Euch einen Handel. Die Weiße Armee ist auf dem Weg hierher. Tausende und Abertausende Elfen unter Waffen, die Euer prosperierendes Reich mühelos überrennen und es in Blut tunken werden. Tausende von Euch werden sterben, ehe auch nur einen Hauch von Gegenwehr spürbar sein wird. Ja, Ihr werdet tapfer kämpfen, ich weiß. Aber was wäre, wenn es einen Ausweg gibt? Ich weiß, Ihr denkt es wird ein einfacher Handel wie "Gebt mir Andvari und ich gehe". Zum Teufel, nein. Es ist einfacher. Schaut."
      Aus seiner Manteltasche pflückte er rasch und mit findigen Fingern einen kleinen Stein zutage, der einem Diamanten gleich erschien. Gläsern schimmernd brach sich das Licht in tausend Teile als es auf den Stein traf und selbst das geschulte Auge vermochte zu sagen, dass es sich um ein meisterhaft gefertigtes Stück handelte.
      "Ihr braucht mir Andvari nicht zu geben. Nehmt ihn. Flieht und lebt Euer Leben wie es Euch gutdünkt. Ich verlange nicht seine Herausgabe oder dergleichen. Alles, was ich will, ist das Licht, das er ruft. Ich will das Sternenlicht haben und besitzen. Dies hier ist ein Extraktor. Ein Artefakt, das den Kern einer Aura herauszieht und das Wesen mit einer normalen Aura zurück lässt. Gebt mir den Stern des Lichts in diesem Stein und ich lasse die Armee umkehren. Kein Krieg mehr. Ich schwöre, so wahr ich hier sitze, dass mein Vater noch an diesem Tag eine Vereinbarung des Friedens unterzeichnet. Einen Magiekern gegen Abertausende Leben, Viola. Wie sieht es aus?"

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    • Viola's Schweigen umhüllte sie wie ein Schild während der Elfenprinz seine Beweggründe vortrug. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Heilerin eines ohne Zweifel bewusst: Prinz Faolan, jüngster Spross des Elfenkönigs, mit seinem spitzbübisches aber hübschen Gesicht, den funkelnden Augen und all seiner Erhabenheit, die er glaubte zu besitzen, hörte sich selbst wohl am liebsten reden. Welle um Welle aus präzise gewählten Worte erfüllten die karge Lichtung. Viola lauschte den abwertenden Belehrungen und den offenherzigen Drohungen. Sie ließ zu, dass Faolan sie behandelte und vorführte wie ein ahnungsloses Kleinkind. Sie sah den exakten Moment, in dem die simple Kälte in Wut umschwang. Er war es nicht gewohnt, dass jemand so mit ihm sprach. Keine Frau und schon gar kein sterbliches Menschenkind.
      "Euren Feind ehren?" Viola hätte beinahe gelacht. "Erzählt das den Menschen, die eure Greueltaten überlebt haben. Die Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Die Kinder, die gesehen haben, wie ihre Eltern neider gemetzelt wurden. Den Frauen und Männern, die unter euren marodierenden Truppen so furchtbare und grausame Taten erdulden mussten. Es liegt keine Ehre darin einem Feind der bereits am Boden liegt auch noch das Gesicht in den Dreck zu drücken, Prinz Faolan."
      Einfacher. Keine Forderung, die der Elfenprinz im Sinn hatte, würde jemals einfach zu erfüllen sein.
      Die Gewissheit erhielt Viola, als Faolan mit geschickten Fingern einen mysteriösen Stein zutage förderte. Der Stein war wundervoll geschliffen und könnte von einem Laien mit einem kostbaren Diamanten verwechselt werden. Die Heilerin wusste, noch bevor Faolan die Bestimmung des Juwels erläuerte, dass es sich nicht um ein beliebiges Kleinod handelte. Der schimmernde Stein erinnerte an die gläserne Klinge von Dandelost. Auch das Elfenschwert speicherte einen Bruchteil des Sternenlichts, das der Elf vor ihr mehr begehrte als alles andere auf dieser Welt.
      Tatsache war, das Viola ihm kein einziges Wort glaubte
      Das Licht der Sterne war ein essenzieller Teil von Andvari und seiner Aura. Sie konnte ihm nicht einen Teile seiner Selbst rauben und erwarten, dass es keine Folgen hatte. Doch für einen winzigen Augenblick konnte sie eine andere Zukunft sehen.
      Viola sah eine hübsches und gemütliches Häuschen an einem plätschernden Fluss. Es war noch nicht gänzlich fertig gestellt und neben dem Haus erblühte ein kleiner aber prächtiger Kräuter- und Gemüsegarten. Bienen und Hummeln summten in dem farbenprächtigen Blütenmeer. Sie konnte Andvari auf dem Dachfrist sitzen sehen. Er summte und hatte dabei einen Nagel zwischen den Zähnen, einen Hammer in der einer Hand. Viola saß unter einem schattigen Baum am Flussufer, die Füße in das Wasser getaucht, mit zart gewölbtem Bauch. Viola sah das 'Was-wäre-wenn'. Ein Leben, das hätte sein können, wenn ihnen das Schicksal besser gewogen gewesen wäre. Eine Zukunft, die weit entfernt, aber nicht gänzlich unmöglich war. Sie hatten verträumt darüber gesprochen in Beleriand. Darüber einfach dem Krieg und den Intrigen den Rücken zu kehren, derer sie überdrüssig geworden waren.
      Viola wusste, dass Faolan keine magsichen Fähigkeiten brauchte, um sie unerfüllte Sehnsucht nach einem friedlichen Leben in ihren Augen sehen zu können. Es war verlockend, aber fühlte sich falsch an.
      "Ihr wünscht, dass ich Eurem Bruder das Sternenlicht stehle und Euch bringe?", wiederholte sie schlicht. "Und ihr verlang das von mir, weil ich ihm als Einzige nahe genug dafür komme. Ihr bietet mir das Leben meines Volkes gegen die Essenz die Andvaris Aura ausmacht."
      Es ging nicht um die Magie.
      Viola würde Andvari ebenso bedingungslos lieben ohne das sagenumwobene Sternenlicht.
      Er könnte ein Bauer sein, ja, oder wieder ein Zimmermann und sie würde ihn noch genauso begehren.
      Und Andvari hatte dieses Leben als Lichtrufer stets verflucht. Er hatte diese Bürde nie gewollt.
      Dennoch, ohne den letzten der Lichtrufer zerfiel die Streunende Armee und Viola glaubte Faolan nicht. Sie konnte ihm nicht trauen.
      "Ihr wollt, dass ich ihn für das höhere Wohl verrate?", fuhr sie fort. "Ein großzügiges Angebot, für einen erschreckend kleinen Preis, nicht wahr? Aber was beinhaltet dieser Frieden für mein Volk? Ein Leben unter der Herrschaft Eurer Familie? Unterjocht statt getötet? Eure Armeen mögen umkehren, aber ich bezweifle das Euer Bruder, Prinz Lysanthir sich davon beeindrucken lässt und euer Vater wird sich nicht lange daran binden lassen. König Obereon verabscheut das Volk der Menschen. Etwas, das er mit seinen Söhnen gemeinsam hat. Es wird immer Krieg geben mit den Nachkommen des Hauses Valverden. Früher oder später."
      Viola streckte vorsichtig die Hand aus, die Handfläche nach oben.
      "Diese Entscheidung steht mir nicht allein zu", sagte sie. "Ein Woche. Gebt uns eine Woche um eine Entscheidung zu treffen."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Winterhauch ()

    • Faolans Augen blitzten wütend auf, als Viola ihm Widerworte gab. Zugegeben, er war es nicht gewohnt, dass man seinen Wünschen in irgendeiner Weise den Abschlag erteilte. Ganz und gar nicht gewohnt! Vielmehr glich es einem Frevel in seinen Augen, auch nur ansatzweise daran zu denken, seine Wünsche zu befolgen. Und dann kam dieses...dieses...Schandmaul von einem Menschen und versuchte es beinahe diplomatisch? Geschick lag einem Bauernweib nun einmal fern, wie Faolan befand und seufzte gespielt.
      "Ihr glaubt wirklich, dass dieser Krieg alleine ein Spiel aus Schwarz und Weiß ist, nicht wahr?", fragte er schließlich und das erste Mal war die Wut in seinen Augen greifbar. "Denkt Ihr wirklich, die Elfen haben aus reiner Machtgier einen Staat wie den Euren überfallen und halten diesen Krieg einfach nur aus Laune? Ihr wisst zu wenig, um wirklich derartige Vorwürfe zu äußern, Frau Viola. Ja, wir haben Euch Schreckliches angetan, das stimmt. Aber fragt einmal Euren brillierenden Herrscher Lucien, was die Menschen den Grenzvölkern unseres Landes angetan haben. Sicherlich, ich sehe ein, dass wir den Krieg begannen. Aber geführt habt auch Ihr ihn. Also verschont mich mit Eurer Doppelmoral und Eurem scheinheiligen Moralkodex, Menschenkind."
      Gerade bei den letzten Sätzen spie regelrecht der Hass aus seiner Stimme, sodass selbst Ignis einen Schritt nach vorn machte. Auf ein Zeichen des Elfenprinzes hielt er inne und verzog sich wieder an seinen Platz.
      Amüsiert betrachtete der Prinz die Menschenfrau, während sie sich die vermeintliche Zukunft mit einem Elfen ausmalte. Unwichtig war zu erwähnen, dass des Todes eisige Finger alsbald nach ihr greifen würde, während Andvari eine erheblich längere Lebensspanne erwartete. Grinsend legte er das Juwel nach einem kurzen Sprung vom Baumstumpf in ihre Hand. Selbst jetzt aus der Nähe sah der junge Prinz zart und verletzlich aus. Sein Körperbau war schlicht als "schmächtig" zu bezeichnen und doch lag Grausamkeit in jeder seiner Gesten.
      "Ich wünsche mitnichten ein Stehlen oder Verrat", bemerkte er als er sich zurück zog. "Ich biete Euch einen Ausweg, Viola. Beratet Euch mit den Euren. Aber Ihr alle werdet einsehen müssen, dass die Weiße Armee der Menschenarmee an Größe und Qualität überlegen ist. Auch die Streunende Armee von zusammengewürfelten Waisenkindern ändert daran nichts. Ich persönlich habe kein Interesse an dem Morden von Schönheiten. Der Preis für dieses Unterfangen liegt in Eurer Hand. Es ist das Sternenlicht, das ich begehre und mein Vater fürchtet. Und ich habe nicht vor, ewig unter meinem Vater zu dienen. Mit dem Licht in der Hand bin ich in der Lage ihn zu stürzen und nur allzu gerne lasse ich Euch einen Schwur da, dass du meinen Lebzeiten kein weiterer Krieg zwischen unseren Völkern herrschen wird. Was nach mir ist, kann ich nicht sagen, aber ich garantiere, dass ich Anweisungen an meine Nachkommen hinterlassen werde. Es böte sich für Euch ein Leben in Frieden, Viola...Abscheu oder nicht, es ist eine valide Option. Und ich ehre meine Feinde."
      Faolan nickte besonnen und gab Ignis ein Zeichen. Langsam setzte sich der Leibwächter in Bewegung und verschwand im nahen Unterholz. Beinahe schien es als verschmelze er mit den hereinwerfenden Schatten.
      "Beratet Euch", nickte er ihr zu. "Ich gebe Euch die eine Woche. Trefft mich nach dieser Woche wieder hier und übergebt mir das gefüllte Juwel und der Frieden sei Eurer. Trefft mich nicht und die weiße Armee wird alsdann den Kontinent überrennen."
      Mit einem letzten abfälligen Blick wandte sich der Prinz zum Gehen, in den Schatten zu verschwinden.

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    • Viola beobachtete wie die Wut in seinen Augen anwuchs. Die anfängliche Glut entwickelte sich zu einem alles verzehrenden Feuer. Das Temperament eines Jungen, der ein Nein nicht akzeptierte. Der Vorwurf, die Augen vor den Grausamkeiten des eigenen Volkes zu verschließen, prallte an der Heilerin ab. An diesem Punkt konnte Viola nicht aus ihrer Haut. Die Greueltaten des elfischen Heeres hatten unübersehbare Spuren auf ihrem Körper hinterlassen und Narben, die weit tiefer reichten als die grässlichen Linien die ihr Gesicht verunstalteten. Verbitterung schnürte ihr die Kehle zu bis sie ätzende Galle auf der Zunge schmeckte. Der Gedanke klang auf so viele Arten falsch, doch die Worte bohrten sich dennoch mit aller Bitterkeit in ihren Verstand:
      Warum sollte es anderen besser ergangen sein als ihr?
      Sie presste die Lippen zu einer blassen, dünnen Linie zusammen und schluckte den Kloß darin mühe voll herunter bis sie fast daran erstickte. Viola war nie ein boshafter Mensch gewesen, aber sie konnte sich nicht von düsteren Gedanken freisprechen. Wie oft hatte sie die Welt, das Leben und ihr Schicksal verflucht in den ersten Wochen und Monaten.
      Die alte Furcht spiegelte sich in ihrem Blick, als Faolan ihr all seinen Zorn entgegen schleuderte. Nun, vielleicht nicht bis zum Äueßrsten. In diesem Fall wäre Viola nicht lebendig von der Anhöhe zurück gegekehrt. Sie zuckte vor dem Elfenprinzen zurück, der schön und furchterregend zugleich erschien. Ein Ziespalt zwischen Abscheu und Faszination. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und die Atmung stockte in ihrem Brustkorb. Die Heilerin wagte erst wieder zu atmen, als Faolan sich zurückzog.
      Schweigend kürmmten sich ihre Finger um den gläsernen Stein, der sich kühl in ihre Handfläche schmiegte bis er langsam die Wärme ihrer Haut absorbierte.
      Der Leibwächter in der blutroten Rüstung, Ignis, und der gefürchtete Elfenprinz zogen sich zurück. Die Schatten verschluckten sie und ließen augenscheinlich keine Spuren ihrer Anwesenheit zurück. Viola blieb sitzen, da sie ihren Beinen nicht traute. Angstschweiß klebte in ihrem Nacken und sie fröstelte als der seichte Wind am Berghang zunahm. Die bedrohlichen Überbleibsel von Faolans Aura durchtränkten die kühle Bergluft und hafteten an der Heilerin. Sie schüttelte den Kopf, als würde sie Staubpartikel aus ihrem Haar abschütteln wollen.
      Ein Deal mit dem Teufel ging selten gut aus.

      Der Rückweg den schmalen Pfad hinab begleitete eine bedrückende Stimmung.
      Die dunklen Gewitterwolken schienen sich förmlich über ihrem Kopf zusammen zu brauen. Viola brach fröstelnd durch das Unterholz und entdeckte in der Ferne die lockenden Flammen eines Feuers. Im Schattenspiel der Flammen konnte sie die Umrisse ihrer Gefährten ausmachen und stieß einen erleichterten Atem aus. Die Sonne war gerade hinter den Berggipfeln versunken und beinahe hätte die Heilerin ihre eigene Frist nicht eingehalten. Mit voller Absicht trat sie auf einen Zweig um ihre Rückkehr anzukündigen. Drei Köpfe drehten sich ruckartig in ihre Richtung und sie hörte wir knirschend eine Bogensehen gespannt wurde. Meliorns leuchtende Augen blitzten im Flammenschein aus und weiteten sich, als er die Heilerin erkannte. Isobelle schlug aufgeregt mit den Flügeln, als wolle sie mit den Männern schimpfen, weil sie ihre Waffen zogen.
      Beschwichtigend hob Viola die Hände.
      Sie hatte bisher kein einzeiges Wort gesprochen und näherte sich auch weiterhin still dem provisorischen Lager. Vor Morgengrauen würden sie nicht zurück in Bourgone sein, selbst wenn sie die ganze Nacht durchritten. Mittlerweile sollte ihr Verschwinden aufgefallen sein und sie empfand tiefes Mitgefühl für Lucien und Pompidou, die sich dem Zorn des Lichtrufers stellen musste, weil sie dem waghalsigen Plan zugestimmt hatten. Aber Viola lebte. Sie war mit dem Schrecken davon gekommen, der ihr ganzen Gesicht überschattete. Die Haut war bleich und im flackernden Licht des Lagerfeuers erschienen die Narben prominenter und verzerrter.
      Viola setzte sich nicht.
      Lange, eine gefühlte Ewigkeit, sah sie in die Runde ehe sie die Hand hob und die krampfhaft geschlossenen Finger öffnete.
      "Faolan will das Sternenlicht", verkündete Viola.
      Über den Köpfen aller zeigten sich die ersten Sterne funkelnd am Firmament während das letzte Licht des Tages starb.
      In ihrer Hand schimmerte der Stein im rotglühenden Lichtschein des Feuers.
      "Andvaris Sternenlicht als Preis für das Ende des Krieges", sprach sie weiter. "Und ich soll es ihm bringen."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Sie hatten gewartet.
      Geharrt und gehofft, sich gefragt, was dieser Teufel in Elfengestalt von einer Heilerin verlangte. Das Feuer geschürt, gegessen und sich unterhalten. Über Götter und Welten, über Herkünfte und Zukünfte und letztlich auch über das, was sie alle beschäftigte: den Krieg. Bei jedem Geräusch fuhren sie zusammen. Bereit, einem Feinde die Stirn zu bieten, wenn es opportun erschien und doch bekämpften sie Geistergestalten.
      Schweigsam harrten sie aus, ehe die Nacht hereinbrach und das Knistern des Feuers die einzigen Flammenfinger waren, die ihre Haut verätzten. Erst bei dem leisen Knacken fuhren die Köpfe erneut herum.
      Während Meliorn einen Bogen spannte, sprang Volgast vollends auf und vollzog bereits einen Schritt in Richtung des Geräuschs. Alarions Hand war die einzige, die sich nicht bewegte und nur gespannt auf die Stelle starrte. Man mochte es jugendlichen Leichtsinn nennen, aber auch Kampferfahrung. Denn der junge Mann wusste, dass ein Feind sich nicht derart offenkundig bemerkbar machte.
      Nach einer kurzen Begrüßung lauschten sie Viola und blickten anschließend auf das Juwel in ihrer Hand. Überirdisch schön und gleichsam so verhängnisvoll hoch im Preis.
      Das Sternenlicht. Die Quintessenz von Andvaris Magie. Eine ausgestorbene Art des Rufens. Weshalb unter allen Sternen wollte der junge Prinz diese Magie? Obschon es so viele nützlichere für ihn gab?
      "Der Preis ist gering", sprach Volgast das aus, was sie alle dachten. "Die Lichtrufer werden seit Jahrhunderten verfolgt wegen dieser Künste. Wenn er es hätte, wäre Andvari frei. Er wäre ein ganz normaler Elf ohne wirkliche Kräfte, aber immer noch fähig zu leben und zu lieben..."
      Alarion schüttelte den Kopf.
      "Opa sagte immer, dass eine Extraktion von Magie gefährlich ist. Sie ist mit der Aura verwoben und birgt Risiken. Wenn Faolan ein Fehler unterlaufen sollte, stirbt Andvari und nichts hat es gebracht. Und woher wissen wir, dass dieser Bastard es ernst meint? Er war nicht mal alleine! Ich habe Ignis gespürt genauso wie ihr. Er kommt mit seinem schlimmsten General und wir müssen Viola alleine gehen lassen? Ich finde das unfair."
      Volgast nickte und schürte das Feuer. Er wärmte ein wenig des Essens und von dem Met auf, den sie sich geteilt hatten. Sachte reichte er Viola eine Portion und lächelte.
      "Die Frage ist, was willst du tun? Sie werden bereits bemerkt haben, dass wir fort sind. Und die Götter mögen uns vor Andvaris Zorn schützen..."

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    • Mit gespitzten Ohren hörte Viola den Gefährten zu, die sich nach der kurzen Aufregung wieder um das prasselnde Feuer versammelten.
      Dankbar nahm sie die angebotene Mahlzeit und den Met entgegen, wobei sie letzteres nach einem vorsichtigen ersten Schluck, fast gierig herunter kippte. Sofort reichte sie Volgast den Becher zurück, damit er ihn wieder auffüllen konnte. Der Met vertrieb die eisige Kälte der noch kühlen Frühlingsnächte aus den Knochen. Lustlos stocherte die Heilerin in ihrem Essen herum und schob die Fleischbrocken von einer Seite zur anderen.
      "Alarion hat recht", flüsterte Viola beinahe. "Wenn es wirklich so einfach wäre, hätte Faolan die Magie längst selbst extrahiert. Die Chance dazu hatte er in Tirion. Gefangen in seiner Zelle, gefoltert durch dieses Monster, war Andvari am Ende seiner Kräfte. Er hätte sich nicht wehren können, selbst wenn er gewollt hätte."
      Ein garstiger Schauer durchlief Viola und sie zog die Beine enger an den Körper, als könnte sie sich vor der Erinnerung schützen wenn sie sich nur klein genug machte. Den kaum angerührten Teller stellte sie beiseite und zog erneut den Stein aus der Tasche ihres Umhanges, den sie sich zum Schutz vor dem eiskalten Wind um die Schultern gelegt hatte. Der Stein glitt beinahe spielerisch durch ihre Finger, als wäre ein hübsches Schmuckstück.
      "Faolan wird kein Fehler unterlaufen, weil wir die Dreckarbeit für ihn erledigen sollen", murmelte sie, die Erkenntnis auf der Zunge. "Er kommt damit zu uns, dass heißt er kann es nicht selbst tun. Folter und Brutalität hat ihm nicht das gewünschte Ergebnis geliefert. Was, wenn Faolan hofft, dass wir Andvari zu Gunsten des Friedens dazu überreden das Sternenlicht freizugeben? Das heißt, er kann die Extraktion nicht erzwingen. Andvari muss sich freiwillig dazu entschließen, nicht wahr?"
      Viola schnaubte.
      "Und wer könnte ihn besser überreden als ich?", fügte sie bitter hinzu.
      Der Schlüssel zum Frieden, einem brüchigen zwar, lag in ihren zierlichen Händen und das Gewicht auf ihren Schultern drohte die Heilerin langsam zu erdrücken.
      "Alarion hat noch bei einer anderen Sache recht. Ich glaube nicht, dass Faolan sein Wort halten wird. Beim ersten Schlupfloch, dass sich ihm bietet, wird er uns allen in den Rücken fallen. Faolan hat gesagt, dass er seinen Vater, König Oberon, stürzen will. Er will die Herrschaft über die Elfenreiche und alle eroberten Ländereien."
      Violas Augen weiteten sich.
      "Das Volk wird zum jetzigen Zeitpunkt, da Andvari sich für sein Geburtsrecht erhebt, nur einen Lichtrufer auf dem Thron akzeptieren. Faolan benötigt das Sternenlicht um seinen Anrecht auf den Thron zu sichern."
      Sie verstummte.
      Meliorn seufzte und hörte die Worte in ihrem Schweigen.
      "Sie wird gar nichts tun. Es ist nicht ihre Entscheidung", ergänzte der Bogenschütze und sah Volgast an. "Wenn Faolan den Weg auf den Thron in Tirion findet, ist Andvaris Zorn unsere geringste Sorge, Volgast."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Gebannt lauschten die Gefährten den Ausführungen der jungen Heilerin und der daraufhin entstehenden Diskussion. Und wahrlich gab es Vieles, das sie berücksichtigen mussten. Volgast füllte den Becher erneut mit Met aus dem Schlauch, den sie mitgebracht hatten und reichte ihn der Heilerin zurück. Noch immer schien Faolans Präsenz an ihr zu haften. Wie ein lästiger Pilz, den man nicht fort bekam.
      Gemeinsam sahen sie eine Weile ins Feuer und lauschten dem Knistern, während Viola sprach und ihre GEdanken preis gaben. Und wahrlich waren dies keine schönen. Vor allem die Vorstellung der Heimtücke und der Hinterlistigkeit erschien beinahe garstig gegenüber den schönen Gedanken, die sie mit Andvari verbinden sollte.
      Volgast beugte sich leicht und nickte, während Alarion das Wort erhob.
      "Ich befürchte beinahe, du hast Recht", nickte er. "Magie kann extrahiert, von der Aura fortgewoben werden. Es ist ein langwieriger und schwieriger Prozess, den nicht viele Zauberer wirklich beherrschen. Ich fürchte, wir müssen Opa oder Andvari selbst fragen, aber ich meine, es gab bis vor einigen hundert Jahren die übliche Prozedur, eine Magie aus dem Körper eines sterbenden Elfen herauszunehmen und sie einem anderen einzusetzen. So sicherte man seltene Magiekünste. Opa sagte immer, dass dieses Procedere sehr grausam war und dass es nur wenige Überlebende gab, aber es ist möglich..."
      "Gut, aber ich stimme Viola zu", entgegnete Volgast. "Faolan wird keinen Fehler machen. Zu meinem Bedauern muss ich sagen, dass der Junge durchaus fähig ist, was Magie und magischen Schmieden angeht. Vermutlich würde der Stein Erfolg haben. Könnte Sie mit der Freiwilligkeit Recht haben?"
      Alarion nickte bedächtig. "Ich denke schon. Das Aufgaben der Magie macht es sicherlich einfacher, es ist aber nicht zwingend notwendig."
      Volgast grunze und warf ein Stück Holz ins Feuer, während das bärtige Gesicht des Mannes um Jahre zu altern schien.
      "Es ist kein Geheimnis, dass im Lande der Elfen ein Zwist herrscht. Das Volk sehnt sich nach dem gerechten König, dem wahren König des Landes. Sicherlich würden wir alle gerne Andvari auf dem Thron sehen, aber die Brüder halten allesamt eigene Ansprüche. Lysanthir hatte hierbei die besten Chancen, da er durch seine Kriegsverdienste zumindest unter der Soldatenschaft beliebt ist. Faolan hingegen ist in der Bevölkerung beliebt wie Fußpilz. Ich stimme zu, dass seine Inthronierung das Schlimmste wäre, was dem Land geschähe. Und auch, dass er jedes Schlupfloch nutzen wird. Wir dürfen eines nicht unterschätzen: Faolan ist klug. Für manche Gelehrte gilt er sogar als genial, was seine bloße Intelligenz angeht. Er hat die Ostfront beinahe alleine gehalten, nachdem Andvari in der Schlacht vermeintlich gefallen war."
      Alarion seufzte und sah in den beinahe dunklen Himmel hinauf.
      "Wie man es dreht und wendet: Die Lage bleibt verzwickt. Sicherlich ist es nicht allein Violas Entscheidung, aber die Frage ist eher, welche Alternative haben wir? Das Menschenreich wird keinen Krieg mit der Weißen Armee überleben. SO zahlreich die MEnschen sind, es wird tausende von Toten geben. Und die Städte und Dörfer werden brennen.."

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    • Viola überließ die chaotischen Gedanken der Stille in ihrem Kopf.
      Unaufhörlich wirbelten Wortfetzen und Gedankenschnipsel hinter ihrer Stirn durcheinander und wollte sich nicht zu einer Lösung zusammenfügen. Es war schlichtweg unmöglich binnen einer Nacht eine Lösung für das Problem zu finden. Andvaris Leben zu gefährden und ihm einen Teil seines Wesens zu rauben um des Friedens Willen, stand völlig außer Frage. Andererseits, konnte sie wirklich für den Rest ihres sterblichen Lebens mit den Konsequenzen leben für ihre bedingungslose Liebe das eigene Volk geopfert zu haben. Sie erinnerte sich an Sylvars zornige Worte im Tempel der verblassten Göttin, der ihr Egoismus und Blindheit vorgeworfen hatte. Bereits damals wusste der Zauberer um eine erschütternde Wahrheit, der Viola sich verweigerte. Die Fassade bröckelte während sie in die knisternden Flammen sah.
      Viola würde die Welt brennen lassen, wenn es bedeutete, dass Andvari überlebte.
      Schweigend leerte sie den Met und stellte den Becher achtlos neben sich auf den Boden. Der Blick wanderte zu Alarion, der die alles entscheidende Frage stellte. Welche Alternative hatten sie? Nachdenklich legte sich ihre Stirn in zarte Fältchen, ehe sie eine gedehnten Seufzer ausstieß und die Hände auf die Knie aufstützte. Langsam kam sie auf die Füße und sah dabei in überraschte und fragende Gesichter.
      "Die Alternative ist denkbar schlecht", flüsterte Viola in den eisigen Nachtwind.
      Die Heilerin verstummte erneut. Unschlüssig schwankte ihr Gewicht von Seite zu Seite während ihr Blick dem von Alarion in den dunklen, aber sternenklaren Nachthimmel folgte. Es verging ein kurzer Augenblick bis Viola schließlich stocksteif stehen blieb und der Frost die kargen Zweige der Baumwimpfel mit einer Schicht aus dünnem, schimmernden Eis überzog. Entschlossenheit legte sich auf ihren Gesichtszügen nieder.
      "Reitet bei Sonnenaufgang zurück nach Bourgone", sprach Viola schließlich mit fester Stimme. "Andvari, Lucien und der Rest müssen erfahren, was Faolan im Schilde führt. Aber...ich komme nicht mit euch zurück. Ich nehme den langen Weg zurück nach Hause. Der zerstörte Tempel der Meriel liegt ungefähr zwei Tagesritte von hier entfernt. Mit dem heiligen Quellwasser können wir die Verwundeten heilen. Symon, Andvari und die anderen müssen zu Kräften kommen, sollte Faolan sein Wort brechen oder wir uns dazu entscheiden, seinem Wunsch nicht nachzukommen. Wenn ich die Rast kurz halte, schaffe ich es reichtzeitig zurück nach Bourgone."
      Andvari ging es nicht. Viola ging es nicht gut.
      Die Schatten verzehrten das Geschenk der heilenden Magie und beschränkten Viola in ihren Fähigkeiten. Auch Andvari wirkte unnatülrich angeschlagen, als hafteten die Albträume Faolans an seiner Aura. Die magischen Kräfe der heiligen Quellen war ihre letzte Hoffnung.
      Sie hob die Hand als Meliorn fassungslos aufsprang.
      "Ich reite allein", bekräftigte sie und sah dabei in die Runde. Sie zögerte und gab ein Geheimnis an ihre Freunde und Verbündete frei.
      "Die Göttin wird den Hilferuf ihrer letzten Tochter erhören. Hoffentlich."
      “We all change, when you think about it.
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    • Volgasts und Alarions Gesichter erbleichten beide im gleichen Rhythmus, wie es erschien.
      Manche Pläne waren gut und manche schlecht. Beides kannten die Kämpfer aus den Schlachten mit Andvari und den anderen. Mit Sicherheit ließ sich auch manches diskutieren und noch viel mehr gleich verabschieden. Doch dass ein Plan gleichzeitig gut wie schlecht erklang, kannten beide nicht wirklich.
      Ruhig sahen sie in das Feuer und versuchten zu verarbeiten, was Viola ihnen gerade zu sagen versuchte. Sicherlich war es sinnig, die Verletzten zu heilen und dafür zu sorgen, eine Streitmacht gehen den Eidbrecher Faolan werfen zu können. Gerade wenn er nicht in der Lage war sein Wort zu halten. Doch ein anderes war es vielmehr, dass die Worte, die Andvari hören sollte, nicht durch ihre Lippen übertragen wurden.
      Sie würde die anderen wie Boten entsenden und nur die Götter wussten um den Zorn des Elfenprinzen, den man zurücklassen musste. Gott, er würde sie allesamt an die Wand schlagen und nur mit Glücl verschonen wenn er erfuhr, dass sie Viola zu Faolan hatten gehen lassen.
      "Ich denke", begann Volgast und seufzte. "Ich denke wirklich, dass wir gemeinsam zurück reiten sollten. Denk an Andvari Viola, ich..."
      Doch es gab nichts mehr zu sagen. Der Wind fuhr durch die laue Lichtung und ließ sie allesamt frösteln. Jedoch bezweifelte ein Jeder, dass es an der Kälte lag.
      Alarion sah sie mit bebenden Augen an und war schließlich der Erste, der den Blick senkte und nickte.
      "Gut...Wir reiten von dannen", bekräftigte er. "Aber nur wenn du versprichst, zurück zu kehren. Wir sind tot, wenn du nicht zurück kommst. Und Andvari fackelt vermutlich das ganze Elfenreich deswegen ab. Wobei ich Volgast zustimme. Es ist nicht gut, wenn wir diese Nachrichten überbringen. Es wirkt feige, Viola..."
      Der Abend und die Nacht gestalteten sich fortan erstaunlich ruhig. Man aß gemeinsam, trank und sah den Flammenfingern beim Luftverbrauch zu. Sorgsam versuchte man, das Thema in erstaunlicher Geschicklichkeit zu umkreisen, obschon ein Jeder wusste, was sie am Folgetag erwarten würde...
      Nach kurzer Nacht und beinahe grausigen Träumen erwachten die Krieger als erstes aus dem seichten Dämmerschlaf, der sich wie ein Hammer auf sie gelegt hatte. Noch immer glomm die Glut des Feuers und Volgast schüttete gerade Erde darauf, als sie VIolas Rascheln vernahmen. Zumindest erwacht war sie noch unter ihren Augen.
      Alarion gürtete sein Schwert um die Hüften und sah beinahe bedächtig den Hang hinauf. Gleich dahinter verbarg sich das Elfenreich. Es war nah und doch fern. Ein einfacher Hang, ein kleiner Gipfel und sie würden über das Tal von Erynn Var sehen können. Von dort aus waren es Tage bis Tirion. In strammen Ritt. Er fragte sich, ob er es jemals wiedersehen würde, während Volgast Meliorn anschickte, die Pferde zu satteln.
      "Nun komm schon, Alarion", murmelte er. "Du auch. Sattel die Pferde, mach die Taschen bereit und gib Viola Proviant und Wasser mit. Und Met. Götter brauchen ein Opfer. "

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    • Die eisige Kälte und ein gehöriges, schlechtes Gewissen hatten einen erholsamen Schlaf unmöglich gemacht.
      Viola hatte sich sekündlich von einer Seite zur anderen Seiten gedreht, bis die Erschöpfung der Reise und der Aufregung ihren Tribut gefordert hatte. Deshalb traf sie das Erwachen wie ein Schock. Die Blässe auf ihrem Gesicht stammte nicht allein von der kalten Morgenluft. Die tiefen Augenringen sprachen Bände während sich die Heilerin aus dem behelfsmäßigen Schlaflager quälte. Die Glieder waren steife vom harten, kalten Untergrund. Notdürftig fing Viola die wilde, rote Mähne mit einem Lederband ein. Die seidige, glatte Struktur entwickelte in der Taufeuchte des Morgens ein unerwünschtes Eigenleben. Um sie herum herrschte bereits eine bedrückte Aufbruchstimmung. Alarions Worte hatte der Heilerin keine Ruhe gelassen.
      Eigentlich wollte Viola nur die dringend benötigte Hilfe besorgen. War das wirklich feige?
      Die wenigen Habseligkeiten waren zügig in den Satteltaschen verstaut und sie nahm den Elfen die Zügel ihres Pferdes aus der Hand, um sich selbst um den Rest zu kümmern. Das Pferd selbst zu satteln, verschaffte ihr ein paar weitere Minuten um über den Plan nachzudenken, den sie in aller Eile überstürzt beschlossen hatte.
      "Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, den Weg zum Tempel in kürzerer Zeit zu überbrücken. Wir brauchen das Wasser aus den heiligen Quellen", erhob Viola aus dem Nichts die Stimme. Sie wirbelte zu Volgast, Meliorn und Alarion herum.
      Der Bogenschütze hatte gerade den Met in einen der leeren Trinkschläuche gefüllt und hielt in der Bewegung inne.
      In dem feingeschnittenen Gesicht der Heilerin wechselte sich Verbissenheit mit ehrlicher Verzweiflung ab. Die Narben verzogen sich zu hässlichen, verzerrte Linien.
      "Bin ich feige, weil ich helfen will?", wiederholte sie den Vorwurf, da sie offenbar mit dem Thema noch nicht abgeschlossen hatte. "Ich will doch nur helfen und uns läuft die Zeit davon."
      Das braune Tier neben ihr scharrte ungeduldig mit den Hufen und schien die Unruhe seiner Reiterin zu bemerken.
      Missmutig drückte das Pferd den großen Kopf gegen ihre Schulter. Viola fuhr mit gespreizten Fingern durch die wilder Mähne, dabei klebte ihr Blick förmlich auf ihren Begleitern, die nicht nur ihr Leben sondern auch den Zorn des Lichtbringers riskierten.
      Es war in Violas Augen vielleicht keine Feigheit, aber gerecht war es ganz sicherlich nicht.
      "Ich weiß nicht, was ich tun soll. Die Streunende Armee ist nicht in der Verfassung sich den Truppen von Faolan zu stellen, aber trauen können wir seinem Wort auch nicht."
      Entschlossenheit und Stärke entwichen aus ihrem Körper, der ein wenig in sie zusammen schrumpfte, als hätte jemand die Fäden durchschnitten, die Viola die ganze Zeit über aufrecht gehalten hatten.
      "Sagt mir, was ich tun soll."
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    • Der Morgen schnitt in ihrer aller Gesichter und ließ die Bitternis einer Erkenntnis zu.
      Viola wollte helfen, das wusste ein Jeder, der jetzt die Habseligkeiten auf die Pferde lud. Volgast nahm mit einem Seitenblick zur Kenntnis, dass sich Viola Zeit verschaffte, indem sie das Pferd sattelte. Alarion wirkte eine Sekunde lang erstaunt, dann zuckte er die Achseln und begab sich selbst dazu, sein Hab und Gut in die Satteltaschen zu verstauen.
      Das Feuer wurde mit einem Schwung gelöscht und die Umfüllung der Getränkevorräte ging gerade von statten, als Viola die Stimme erhob. Der junge Elf ließ sich davon nicht abbringen, seines und Volgasts Pferd zu satteln und zu beruhigen, nachdem die Tiere kurz aufgescheucht waren. Als wüssten sie was in der Luft lag und wohin der Pfad sich winden würde.
      Schweigsam sahen die Gefährten zu und Alarions Augen glitzerten kurz, ehe er Luft holte. Doch Volgast kam ihm zuvor und schüttelte den Kopf.
      "Es gibt in dieser Sache wenig richtig und noch weniger falsch, denke ich", begann der Hüne sanft und erhob sich zur vollen Größe. "Ich denke, wenn es nur darum ginge, heiliges Wasser zu besorgen, so könnte es jeder von uns auch erledigen. Da du dir diesen Plan jedoch überlegt hast und willentlich das Risiko von Andvaris Wut auf dich nimmst, gehe ich davon aus, dass du etwas anderes dort suchst, oder?"
      Alarion schüttelte den Kopf auf ihre Erwiderung und seufzte.
      "ich denke nicht, dass es per se feige ist", sagte er und sah Viola fest an. "Ich denke nur, dass die Nachricht über den Handel aus deinem Munde an Andvaris Ohr kommen sollte. Und nicht aus einem der unseren."
      "Alarion, es reicht", sagte Volgast und der Elf verstummte.
      "Was du tun sollst, kann dir keiner vorschreiben, Viola", sagte er lächelnd. "Ich kann dir nur sagen, dass du vielleicht finden wirst, was du in den Heiligen Quellen und im Tempel suchst, was auch immer es ist. Von daher werde ich dir nur eine Sache sagen: Geh."
      Alarion nickte und stimmte ein.
      "Er hat Recht. Auch wenn es vielleicht komisch ankommt, solltest du gehen. Was auch immer von dir gefunden werden will, muss durch dich gesucht werden. Wir überbringen deine Nachricht und warten. Und vielleicht hat Andvari bis dahin eine Entscheidung getroffen."

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    • "Das ist richtig, Volgast", antwortete Viola. "Andvari ist schwach. Etwas stimmt nicht, aber ich kann mir keinen Reim darauf machen, und meine eine Aura, meine Magie...Baumschatten hatte seine Spuren darauf hinterlassen. Es ist eine Dunkelheit, die ich nicht allein bekämpfen kann, aber solange ich nicht im Vollbesitz meiner Kräfte bin, bin ich niemandem eine Hilfe. Erst recht nicht für Andvari. Das Quellwasser könnte die Lösung sein und hätten wir mehr Zeit, würde ich zuerst mit euch allen zurückkehren. Die haben wir aber nicht. Mein ganzes Leben lang habe ich die Götter jeglichen Glaubens für meinen Schmerz verflucht und nun werde ich eine Göttin als eine ihrer verlorenen Töchter um Hilfe bitten."
      Die Entscheidung war gefallen. Viola bedachte ihre treuen Reisegefährten mit Dankbarkeit aber auch mit Wehmut, obwohl es nur ein Abschied für eine kurze Zeit war. Die Heilerin verabschiedete sich von jeden von ihnen mit einer Umarmung und dem Versprechen bald zurückzukehren. Es war Meliorn der den Arm hob und Isobelle beinahe feierlich an die starrsinnige, junge Frau überreichte. Der zierliche Greifvogel hüpfte ohne Zögern auf Violas Schulter und hob stolz den Kopf. Isobelle wusste genau, welche wichtige Aufgabe ihr übertragen worden war.
      "Falls es Schwierigkeiten gibt oder etwas dich aufhält, schick Isobelle voraus", flüsterte Meliorn und drückte die Heilerin, eine Freundin und Gefährtin kurz an sich.
      "Sagt Andvari, er soll sich seinen Unmut und Zorn für mich aufheben. Es ist nicht eure Schuld", sagte sie lächelnd. "Wir sehen uns bald wieder, meine Freunde."
      Damit kehrte Viola ihnen den Rücken zu und verschwand auf der braunen Stute zwischen zerklüfteten Felsen und kahlen Bäumen.

      Der harsche, eiskalte Wind pfiff Viola um die Ohren.
      Die felsige Landschaft verwandelte sich zunehmend in karge Wiesen und Felder. Das Pferd galoppierte in größter Eile über das spärliche Frühlingsgrün und flog mit dem heulenden Wind über Stock und Stein. Flache Ebenen wurden zu Hügeln und mündeten in dichte Mischwälder mit grünen Kiefern und kahlen Laubbäumen aller Art. Viola war noch nie in ihrem Leben auf diesen Wegen gereist und doch sagte der Heilerin ihr Instinkt, dass sie ihrem Ziel unaufhörlich näher kam. Bald umgab sie saftiges Grün und der Wald erwachte zum Leben. Die Nähe des Tempels verjagte die Kälte und ließ die Flora und Fauna aufblühen. Eine Gruppe von Rehen kreuzte ihren Weg während die Singvögel in den Baumkronen wunderschöne Lieder zwitscherten. Es war, als hätte der gnadenlose Winter diesen Teil des Waldes nie berührt. Die Magie des Tempels und der Quellen schützte die Natur und all ihre Bewohner.
      Der Tempel der Meriel sah genauso aus wie in Violas Erinnerungen.
      Das Grippe aus imposanten Steinsäulen und eingefallenen Mauern erhob sich aus bemoostem Waldboden. Efeu rankte hohen Säulen herauf. Pilze und Moos überwucherten, was von den einst weißen Steinmauern übrig war. Die Natur hatte über eine sehr lange Zeit die Ruinen zurückerobert und aus dem Tempel eine malerische Zuflucht geschaffen.
      Viola ließ das Pferd am Eingang zurück.
      Ein allumfassendes Gefühl von Frieden berührte ihr Herz als sie durch den Säulengang schritt. Die Stiefel hatte sie am Sattel festgebunden und lief nun barfuß über das weiche Moos. Es roch nach süßen Blüten und frischem Wasser. Bald schon betrat sie, was eins ein großzügiges Gewölbe gewesen war. Die Quellen plätscherten sanft umgeben von den weitläufigen, gigantischen Wurzeln einer alten Eiche, die auf natürliche Weise einzelne Becken gefüllt mit Wasser bildeten. Alles war, wie sie es Wochen zuvor verlassen hatten.
      Die gesichtslose Statue der Meriel ragte über allem auf.
      Am Fuß der steinernen Treppe, die hinauf zur Statue führte, ließ Viola ihre Waffen und Rüstung zurück. Sie legte alles ab, was sie als Kriegerin auszeichnete und trat der Göttin als Tochter der Heilkünste entgegen. In einer fließenden Bewegung sank die Heilerin auf die Knie und legte die mitgebrachten Gaben auf dem überwucherten Stein zu den steinernen Füßen ab. Den Metschlauch entkorkte sie und schüttete die honiggelbe, süße Flüssigkeit über den Stein, wo sie zu beiden Seiten herabfloss und im Boden versickerte.
      "Ich, Viola de Clairmont, demütige Tochter deines Blutes, bitte um deinen Rat und deine Erlaubnis. Die Zeiten sind dunkel und ich ersuche deine Hilfe um meine Freunde zu retten. Die Finsternis greift um sich. Sie sitzt in meiner Brust und bedroht das Leben des Mannes, den ich liebe. Mit deinem Segen werde ich etwas von deiner Magie zu ihnen tragen, da sie selbst die Reise nicht bewältigen können."
      Viola neigte das Haupt.
      "Ich besitze Kräfte, die ich nicht verstehe und benötige dringend Führung. Ich habe Fragen, auf die ich keine Antwort weiß."
      Sie hatte den Glauben an die Götter verloren und flehte trotzdem um ein göttliches Zeichen. Nichts außer das Plätschern des Wassers und das Rascheln der Blätter in den Baumwipfeln drang an ihre Ohren. Viola schloss die Augen und bildete sich ein, das dumpfe und rhythmische Aufschlagen eines Stabes und das entfernte Echo eines Kicherns zu hören.
      "Bitte."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Ein frischer Wind glitt durch die Reste einer vergangenen Erhabenheit.
      Das Moos federte jegliches Geräusch an Schritten aus der Luft und versprühte Raureif in die Luft und an die Füße. Sanft plätscherte in weiter Entfernung ein kleiner Bach, von dem man nicht sagen konnte, ob dieser in oder außerhalb des Tempels verlief. Die anklagend wirkende gesichtslose Statue starrte ohne Ziel und Richtung in die Reminiszenz der vergangenen Größe des Tempels hinab und vermittelte ein Gefühl des Willkommens und gleichsam der Achtung.
      Das Klirren der Waffen erschien beinahe überirdisch laut, auch wenn diese vorsichtig und mit Achtung abgelegt wurden. Der Tempel schwieg, als die junge Frau ihre hallenden Worte an die Gesichtslose richtete. Ein Wind ging nach dem Vortrag der jungen Frau erneut durch die Pflanzen und ließ Baumwipfel und Gräser zu Boden rascheln, einer Antwort gleich.
      Erst nach einer kurzen Weile, in der Tempel verstummte, ließ sich ein rhythmisches Schlagen vernehmen, das von Holz auf Stein erklang.
      Klipp. Klopp. Klipp. Klopp.
      Immer wieder und in stetem Rhythmus erklang das sanfte Geräusch eines Stabes, wie es erschien, der zwar mit Schwung, aber nicht als Stützte aufgesetzt wurde.
      Ein Kichern, überirdisch und beinahe der Realität erklang in einem beinahe typischen "hihihihi". Als würde man durch verschlossene Ohren hören, glitt es durch die Realitäten und verfestigte sich erst am Fuß der Meriel selbst, ehe es verklang.
      Erst danach, und nur dann!, schien sich aus dem Wind, dem Nichts um Viola selbst herum, eine Art Schatten zu manifestieren, der am Fuß der Treppe selbst zu Gehen schien.
      Mit dem Wind und den Geräuschen verfestigte sich die Gestalt mit jeder Silbe, die Viola sprach. Von Wind geformt zeigten sich schmächtige Schultern, eine ebenso schmächtige, leicht gebeugter Leib, und goldblondes Haar, das in einem unsichtbaren Windstoß zu wehen schien.
      Aus Wurzeln, die sich am Boden rankten, stieg ein Schatten in die Luft und formte sich zu einem tatsächlichen Holzstab, der sich in einer feingliedrigen, langfingrigen Hand befand. Leuchtend blaue Augen blickten hinauf zu Violas Bittstellung und erneut ging ein Kichern, das den ganzen Saal einzunehmen schien.
      "Meriel ist meist recht schweigsam, wenn du verstehst", sagte der Schatten von Sylvar in beinahe überirdischer Lautstärke.
      Es glich keiner normalen Stimme, die ein Ohr erreichte. Es war vielmehr ein Gefühl, ein Puls nahe am Rand der Zeit selbst, der durch den Raum glitt und an den hohen, bewachsenen Wänden widerhallte.
      Ein Lächeln stand auf dem Gesicht des Magiers, als er ohne Mühe und mit einer Hand am Gewand, das ihm bis zu den Knöcheln reichte, die Treppe erklomm.
      "Ach, diese verfluchten Wurzeln...", murmelte Sylvar ein wenig verdrießlich und doch sah der Zauberer so jugendlich wie selten aus. Sein Leib war unversehrt und von keiner Korrumption gebeutelt. Vielmehr erschien er kraftvoll, als er neben Viola auf die Stufe trat und sie ansah.
      "Du batest um Führung und hier bin ich...", sagte er grinsend und versuchte nicht mal nach ihr zu greifen. Die Gestalt des Elfen war beinahe durchsichtig und doch erkennbar. "Du siehst nicht gut aus, liebes Kind. Was ist geschehen? Wie ist es dir ergangen?"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Viola sprang auf und wirbelte herum.
      Der Wind trug eine vertraute Aura mit sich, die ihr Herz berührte. Zunächst erblickte die Heilerin die Quelle des Gefühls nichts. Der Tempel erschien vollkommen unberührt, von den merkwürdigen Schwingungen. Lediglich die Blätter in den Baumkronen, die sich über die imposanten Steinsäulen wölbten, raschelten in der sanften Brise. Sie schienen von einer Ankunft zu flüstern. Viola wagte einen Blick zurück über die Schulter, doch allein das gesichtslose Antlitz der Göttin grüßte zurück. Wieder ertönte der hallende Rhythmus eines Holzstabes auf nacktem Stein. Zögerlich, als traute sich Viola nicht hinzusehen, drehte sie den Kopf herum und richtete den Blick zum Fuß der Treppe. Die Frau hielt den Atem an, als sich zunächst ein Schatten manifestierte und die Gestalt eines Mannes annahm. Ein Stab formte sich aus knorrigen Wurzeln direkte zu seinen Füßen. Die Gesichtszüge waren noch nicht vollständig hergestellt, da wusste die Heilerin bereits, wer sich mit gebeugter Haltung näherte.
      Sylvar sah jung aus. Viel jünger, als Viola ihn in Erinnerung hatte.
      Sie hatte den Zauberer in seinen letzten Sekunden in dieser Welt nicht gesehen bevor Andvari seinen Bruder den Sternen übergeben hatte. In einem der traurigsten Augenblicke dieser schweren Reise hatte Viola es als Segen empfunden, dass sein lebloses Antlitz nicht das Letzte von Sylvar gewesen war, dass sich in ihr Gedächtnis einbrennen konnte. Der Elfenzauberer, eine überirdische Erscheinung seines sterblichen Leibes, erklomm die Treppen mühelos. Nichts erinnerte an die bedrückende Bürde, die der Magier stets auf den Schultern getragen hatte. Er sah frei aus. Friedlich.
      Und besorgt.
      "Sylvar", hauchte Viola.
      Die Silben seines Namens fühlten sich fremd an und gleichzeitig willkommen.
      Meriel hatte sich nicht von ihrem göttlichen Thron erhoben, um einer Tochter zu antworten, aber die Göttin hatte ihrem verlorenen Kind die Person geschickt, die sie in ihrer misslichen Lage am meisten brauchte. Jemand, der über das notwendige Wissen verfügte. Jemand, dem sie vertraute. Ein bekanntes Gesicht und nicht die Gestalt einer Gottheit, da Viola doch nie an die göttliche Natur der Dinge geglaubt hatte.
      "Wie ist das möglich?", wisperte sie.
      Aus einem Impuls heraus streckte sie die Hand aus und wollte den Unterarm des Elfen berühren, der unmittelbar vor ihr inne hielt und sie mit besorgten Augen musterte. Violas Hand glitt ohne Widerstand direkt durch die durchscheinende Gestalt des Elfenzauberers hindurch. Sie konnte Sylvar, ihren Freund und Mentor, nicht berühren. Mit gemischten Gefühlen betrachtete Viola ihre Finger, die nichts gespürt hatten außer ein kaum merkliches Prickeln unter den Fingerspitzen.
      Als Sylvar erneut das Wort erhob, traten Viola die Tränen in die Augen.
      "Es geht mir nicht gut. Keinem von uns geht es gut, seit du fort bist", gestand sie mit erstickter Stimme. "Faolan und Lysanthir haben Beleriand zerstört. Wir wurden getrennt und jetzt ist Andvari in Bourgone, direkt unter den Augen von dutzenden Menschen, die ihn töten wollen. Etwas stimmt nicht. Er heilt nicht wie gewöhnlich, obwohl ich seine Wunden verschloss. Unsere Freunde sind schwer verletzte. Symon ist dem Tode nahe und es gibt nichts, dass ich tun kann. Ich habe Angst."
      Sie hatte das Gefühl, dass Sylvar das bereits wusste.
      Viola schluckte schwer.
      "Meine Magie ist korrumpiert", presste sie noch hervor.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • "Wie er leibt und...Nun, nicht mehr lebt, fürchte ich", kicherte Sylvar und breitete die Arme von seinem Leib aus.
      Das Gewand, das der Zauberer trug, glich dem, mit welchem er gestorben war. Durchzogen von beinahe goldenen Fäden und mit einem satten Grün gezeichnet, schien er der leibhaftige Wald zu sein, der sich erhob. Sachte wehte ein Wind durch die Baumwipfel und Sträucher auf den Wegesplatten, als er sich zu Viola gesellte und besorgt drein sah.
      "Ah, wie ist das möglich", murmelte er und kratzte sich an der Nase. Das blonde Haar wehte von unsichtbarem Sturm getragen um seinen Kopf und machte es schwer, die leuchtenden Augen zu sehen. "Nun, ich denke, das Phänomen, nach dem du suchst, nennt sich Erscheinung. Wann immer ein magisch begabtes Wesen stirbt, ist es möglich, zurückzukehren als...Naja, das hier."
      Er wies an sich und seinem durchsichtigen Leib hinab.
      "Hach, es gäbe sicherlich schönere Anlässe und erquicklichere Zustände, mit denen man ein Wiedersehen ausgestalten kann, aber ich denke, ich habe mich in meinem Todeskampf an das verbliebene Leben geklammert, was mir erhalten blieb. Und anstatt weiter zu laufen, bin ich geblieben und hier erwacht, sozusagen. Vom Wunsche beseelt, dir noch einmal Führung und Kraft zu sein, Viola von den Menschen."
      Lächelnd sah er hinab und die Tränen in ihren Augen. Wie sehr hätte er sich gewünscht, sie berühren oder trösten zu können. Viel eher musste er sich ein Koglomerat an schlechten Nachrichten anhören und wusste selbst als Geist nicht recht, was er sagen sollte.
      "Das klingt grässlich", murmelte er und fuhr sich über die Stirn. "Also haben die beiden Monstren Beleriand doch erreicht. Eine Schande, dieses...Ich mochte das Dorf. Es war mir heimisch und diese Wirtin war wirklich etwas fürs Auge, wenn du verstehst."
      Besorgnis trat zu aller Überraschung jedoch gar nicht in sein Gesicht. Viel eher setzte er sich auf die Stufen und betrachtete Viola mit einem warmen Lächeln, als wüsste er alles, was sie erzählen wollte bereits.
      "Andvari ist also bei den Deinen", murmelte er und verwendete mit ABsicht nicht die Rassenbezeichnung. Sylvar musste sein Grinsen beibehalten, denn er fand, Viola klang bereits wie eine Elfe, wenn man es so wollte. Andvari war bei den Menschen. Das war gut und schlecht, nicht wahr?
      "Dass Andvari nicht heilt, hängt mit der Begegnung mit Faolan zusammen", berichtete Sylvar und seufzte. "Faolan ist ein Monster fernab jedes Verstandes. Seine Alptraumkreaturen, die er aus seinem Leib beschwört, tragen die Saat der Dunkelheit regelrecht in sich und verteilen sie unter ihresgleichen. Grässliche Fähigkeit, wenn du mich fragst. Und du..."
      Sylvar legte den Kopf schief und lächelte.
      "Ja, sie ist korrumpiert. Wer war es, Viola? Faolan selbst? Oder einer seiner Tiere? Mach dir keine Gedanken. Eine jede Aura ist rein in ihrem Kern. Ehe die Korrumption dies erreicht, vergehen Jahre. Und so lange das nicht geschehen ist, vermag ich dir zu helfen. Man muss die Aura nur daran erinnern, dass sie es kann."
      Ein Zwinkern glitt über sein Gesicht ehe er sich mit einem Stöhnen erhob.
      "Für alles andere tut es das Wasser. Aber deswegen bist du ja auch hier, oder nicht?!"

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Jegliche Kraft, die Viola über die lange Reise auf den Beinen gehalten hatte, erstarb.
      Unendlich müde ließ sich die Heilerin neben Sylvar auf den kalten, steinernen Treppenstufen nieder und lauschte der Stimme, die ihr einst in dunkler Stunde Mut zu gesprochen und einen Ausweg gezeigt hatte. Der Elfenzaubrer, höchster und mächtigster der Weißen Hand, mochte lediglich ein blasses Abbild seiner einstigen Gestalt sein, aber der Scharfsinn hatte sich nicht verändert. Ein schmales, halbherziges Lächeln spiegelte sich auf Violas Lippen.
      "Tilda ist am Leben und putzmunter, soweit ich weiß. Zumindest war sie das, als Lucien sie das letzte Mal sah. Sie hat auf Lhoris und mich geachtet, bis uns endlich Hilfe gefunden hatte", erzählte Viola. "Ich weiß wohin sie alle gegangen sind. Albert und Mael sind tot. Und die kleine Elise...hat zu viel gesehen für ihr kurzes Leben. Bei Tildas und ihrer Schwester ist das Mädchen in guten Händen."
      Viola schlang die Arme um die angezogenen Knie und verfluchte den steifen Brustpanzer, der ihr plötzlich unangenehm in die Rippen drückte. Sie trug die Teile der Elfenrüstung seit knapp zwei Tagen ohne Unterbrechung, hatte sogar darin geschlafen. Sie war erschöpft und vermisste die Gesichter ihrer Liebsten.
      Die Prognose des Zauberers klang nicht so aussichtslos wie befürchtet, aber schlechter als Viola gehofft hatte. Faolans albtraumhafte Schattenkreaturen vergifteten alles Gute in einem Ausmaß, das die Heilerin nicht erwartet hatte.
      Seufzend hob sie das Kinn von ihren Knien und sah Sylvar niedergeschlagen aus dem Augenwinkel an.
      "Was können wir tun um Andvari zu helfen?", stellte sie die wichtige Frage, vor der sie sich gleichzeitig fürchtete.
      Ohne den Lichtrufer und damit ihrem mächtigsten Feldherrn würde die Streunende Armee sich in alle Winde verstreuen. Viola konnte schwer einschätzen wie eng verzweigt die Treue unter den verschiedenen Völkern war, die mit Andvari zogen.
      Kopfschüttelnd sah sie ihren ehemaligen Mentor an.
      "Nicht Faolan", antwortete sie knapp. "Vaeril hat seine Schattenklauen in meinen Leib gegraben und mich damit beinahe geötet. Er hat die kleine, unschuldige Elise als Köder benutzt, weil er wusste, dass ich das Mädchen nicht seinen Schatten überlassen würde. Lhoris konnte die körperlichen Verletzungen heilen und ein Teil des Giftes herausbrennen, aber die Schatten haben sich an meinen Magiekern geheftet und saugen ihn aus wie ein Blutegel. Die Erschöpfung bei der Verwendung meiner Heilmagie setzt viel früher ein als vorher."
      Mit einem verzweifelten Unterton berichtete sie Sylvar von ihren Vermutungen.
      Der Elf erhob sich und Viola legte den Kopf in Nacken um ihn weiterhin ansehen zu können. Der Anblick war seltsam, die Gewölbe des Tempels schimmerten durch seine Erscheinung hindurch wie durch zu dünnes, abgewetztes Papier.
      Sie nickte.
      "Ja, ich bin wegen des Wassers gekommen. Wenn ich meine Freunde nicht heilen kann, war das die einzige Lösung, die mir einfallen wollte", gestand sie. "Ich hatte gehofft seine Kräfte reichten aus um wett zu machen, was ich verloren habe."
      Ein trauriges Funkeln schimmerte in den grünen Augen.
      Zwischen ihren Fingern hielt sie nun den schillernden Stein. Sie hatte ihn in einer versteckten, eingenähten Tasche des Hemdes aufbewahrt, das sie unter dem Brustpanzer trug.
      "Andvari sollte hier sein und mir dir sprechen. Nicht ich. Er vermisst dich", murmelte sie. "Ich hätte ihn nicht im Unklaren über meine Pläne lassen sollen. Faolan hat ein Treffen mit mir verlangt, allein. Er fordert, dass ich ihm Andvaris Sternenlicht bringe, dann würde er sich zurückziehen."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”