The Lesser Evil (Winterhauch & NicolasDarkwood)

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    • Die Zwillinge sahen Viola beinahe fasziniert an, als sie ihre Kräfte zur Schau stellte. Auch wenn es nur eine Idee von der Macht war, welche die Frau in sich trug, so wurden sie dennoch Zeuge einer alten und beinahe verschollenen Magie. Heilung war dieser Tage schwer zu finden und brachte zumeist mehr Leid als Segen mit sich. Doch hier wurden sie Zeuge, wie ein Riss durch die Brust in Sekundenschnelle verheilte und kaum mehr als die Spur oder die Idee einer Wunde übrig ließ.
      Schweigsam nickten sie ehe Alarion wieder das Wort erhob.
      "Ich habe von so etwas gehört", murmelte er. "Einer Magie wie Eure. Die, die schwarze Adern hinterlässt. Eyrik hat mir davon erzählt. Tempel von Uriel oder so, hat er gesagt."
      "Meriel, du Ochse."
      "Auch recht. Er berichtete davon, dass der Tempel wohl ausgerottet sei, es aber noch Bücher gibt. Eine Heilerin, die leider verstarb, hat wohl eines besessen."
      Yoki nickte ergeben.
      "Es soll angeblich noch vier Bücher geben, die die Künste der Meriel beschreiben. Aber keiner weiß, wo sie sind."
      Hilfreich, dachte sich Alarion und sah sich um. SIe waren der weiten Ebene zwar noch nicht entkommen, aber bereits ein gutes Stück in Richtung der tragenden Wälder vorgedrungen. Es schien keine Gefahr mehr zu bestehen, dass sie verfolgt wurden. Zumindest beruhigte sich die Armee deutlich und die Waffen wurden gesenkt. Zwischen den schimmernden Rüstungen und dreckstarrenden Gesichtern der verschiedensten Völkern entbrannten nach und nach kleinere Unterhaltungen und selbst in so trostlosen Zeiten vernahm man hier und dort ein kleines Lachen und ein amüsiertes Wort.
      Die Zwillinge verbrachten den Rest der Fahrt recht schweigend. Jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Hier und dort kamen auch Soldaten an die Karren und erkundigten sich nach den zahlreichen Verletzten. Erst später bemerkten die Zwillinge gegenüber Viola, dass noch weitere Verletzte weiter hinten transportiert wurden. Ihre Zahl war beinahe überschwänglich hoch und sie wurden eine Flut an Heilern benötigen, um diese ganzen Wunden zu versorgen.
      Nach einer weiteren Weile, sie wussten nicht mehr wie lange es noch gedauert hatte, richtete Yoki den Blick aus dem Karren heraus und grinste.
      "Ist das diese Stadt?", fragte sie über die Schulter und wies auf eine Stadt, die an den Bergen gelegen war.

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    • Kopfschüttelnd beäugte Viola die Verletzung.
      Überbleibsel verkohlter Haut fühlten sich leicht warm unter den Fingerspitzen an obwohl die Wunde bereits ein paar Tage alt sein musste. Die Art und Weise, wie lediglich die Partien um das Auge herum empfindlich und gerötet waren, erinnerte die Heilerin an etwas Bekanntes. Die Haut war förmlich durch eine kurze aber plötzliche Hitze verletzte worden. Sternenlicht, dachte Viola.
      Zur ihrer Erleichterung war das Auge selbst hintakt, denn der tiefe Schnitt hatte ihr große Sorgen bereitet. Jemand hatte versucht Andvari aufzuhalten. Ein glasiger Schleier trübte die Iris, aber der würde nicht von Dauer sein. Behutsam kehrte die Menschenfrau dazu zurück, mit dem Daumen die unangenehm nässende und versengte Haut zu säubern. Wenn sie sich etwas vorbeugte, roch sie sogar den letzten Hauch verkohlter Haarsträhnen.
      "Es stimmt. Der Töchter der Meriel sind grausam abgeschlachtet worden, aber der Tempel existiert noch. Die Bücher wären äußerst hilfreich.", stimmte Viola beiläufig zu und fragte sich ob es in der Bibliothek der Weißen Hand etwas zu den Aufbewahrungsorten der Manuskripte finden ließ. Da gab es nur ein Problem: Sie konnte nicht einfach in Tirion einmarschieren und sich kurz ein paar Bücher ausleihen. Mehr wagte Viola nicht preiszugeben bevor sie nicht mit Andvari gesprochen hatte. Sie wusste nicht, wie die begleitenden Elfen auf die Geschichte reagierten. Wenn die junge Heilerin sich recht erinnerte, hatte König Oberon den Ruf der Töchter der Meriel mehr als nur zerstört, als sie sich weigerten ihm zu dienen.
      Aufmerksam sah Viola auf und hielt kurz in der Bewegung still.
      Vorsichtig schob sie die löchrigen Tücher der Plane an die Seite und warf einen prüfenden Blick nach draußen. Tatsächlich, aus den steilen Berghängen erhob sich Bougrone umgeben von Fels und tosenden Wasserfällen. Es war nicht strahlendweiß wie Tirion aber sicherlich ein sehenswerter Anblick.
      "Ja, wir sind fast da.", bestätigte Viola und fragte sich, wie viel Zeit vergangen war, seit sie sich über Andvari gebeugt hatte.
      Schweißperlen benetzten die aschfahle Haut ihrer Stirn.
      Dafür sah Andvari mittlerweile vorzeibar aus, von Blut und Staub befreit. Die Wunden waren sorgfältig versorgt und im Rahmen von Violas Kräften behandelt. Jetzt musste er nur noch aufwachen.
      "Seht mal.", sprach Viola ruhig und lenkte die Aufmerksamkeit der Zwillinge auf einen Gruppe berittener Männer. "Wir werden erwartet."
      Das Empfangskomitee bestand aus mehreren Reitern und einigen Fußsoldaten, wobei sie keine Adleraugen benötigte umzusehen, wie skeptisch die am Boden gehenden Männer zwei hochgewachsene Gestalten betrachteten. Die Eine, breit und hünenhaft. Die Zweite, ebenfalls um ein respektables Stück größer aber eher von der Statur eines flinken Schwertkömpfers. Offenbar hatten es sich Volgast und Lhoris nicht nehmen lassen, ihre Freunde zu begrüßen. Zweifellos versteckte sich auch der gewitzte Pompidou unter den Männern.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • "Ja, wir sind da!"; rief Yoki und kletterte übermütig aus dem Lazarettkarren, während sich Alarion skeptisch aus dem Wagen bewegte.
      Mit Sicherheit war die Empfangstruppe notwendig, aber seit der großen Schlacht in Beleriand traute er den eigenen Augen nur bedingt.
      Urok Eisenhammer und sein König unter dem Berge lösten sich von der Meute und begannen einen raschen Trab einzuschlagen, dem auch Lucien folgen sollte. Als ranghöchste Vertreter der streunenden Armee waren sie ausersehen, die Verhandlungen zu führen, so es denn welche gab. Schweigsam löste sich Lysandra aus ihrem Baumgeist und schwebte neben den Zwergen hinab, um der heranreitenden Meute entgegen zu treten.
      Erst nach einer weiteren Weile des Aufeinanderzureitens wurde ihr bewusst, wer dort im Tross mitreiste. Ein erleichtertes Lachen breitete sich auf dem mädchenhaften Gesicht aus und selbst Urok und Alberich begannen kehlig zu lachen, als sie Volgast erblickten, der ihnen trotz Handfesseln zu winken begann. Selbst Lhoris, den alten Schwerenöter erkannten sie problemlos.
      "MEEEEISTEEEEER!"
      Ein Urschrei von heulenden Stimmen erhob sich aus der Mitte der Armee, beinahe auf Höhe von Violas Sitz. Gut vierzig Männer in merkwürdiger Tracht (Tuniken mit grellgelbem Muster) lösten sich aus dem Tross, wo sie bisher unsichtbar verblieben waren. Sie alle trugen Glatzen und einen einsamen Zopf am Hinterkopf, der sich bis auf ihren Rücken wand. An ihren Armen wie Schultern trugen sie schwere schwarze Kugeln, die sie mühsam an einer Kette balancierten und die ihnen mehr Gewicht verliehen. Die Menschen des Südens nannten sie die Kampfmönche vom Uran-Geti-Berg. Selten sah man die Kämpfer der legendären Künste außerhalb ihres Klosters und als sich gleich vierzig in Bewegung setzten, ging ein Murren durch die Meute. Es würde wie eine Kriegserklärung aussehen!
      Selbst die Zwillinge hatten die Beine in die Hand genommen und schrien das "Meister, MEister" mit, obgleich sie keinen suchten. Tränen zeichneten sich in den Augen der Schüler, als sie an den Zwergen vorbei auf das Komittee zusprinteten.
      "Meister Volgast!", riefen sie immer wieder während die Zwillinge mit ihrem "Großvater!" einstimmten.
      Und auch wenn der Vorgang hätte statisch von statten gehen sollen, so ließ es sich auch ein Rappe nicht nehmen, sich aus der Meute der Soldaten zu lösen.
      Das Pferd war schön und muskulös und trug einen alten Mann auf dem Rücken, der wie ein junger Spund sein Pferd zu Höchstleistungen über die Ebene trieb. Immer wieder holte er tief Luft, um Tränen der Erleichterung zu ersticken, als er Alarion und Yoki sah. Und selten sah man Gustave Pompidou glücklich. Doch dieses Mal, als er sich auf halbem Wege aus dem Sattel schwang und hart zu Boden kam, wirkte er unendlich glücklich als er seinen Enkeln in die Arme lief.
      "Oh!"; murmelte er tränenerstickt, ehe er beide Scheitel küsste. "Oh meine Lieben..."
      "Wir haben es geschafft!"
      "Das habt ihr, ja", lachte er, während Tränen die runzligen Wangen herab liefen. "Das habt ihr. Wie geht es euch? Seid ihr verletzt?"
      "Nein, uns gehts gut!", sagte Yoki und grinste. "Aber wir haben Hunger!"
      "Ihr sollt Essen erhalten, Liebes. So viel ihr mögt."

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    • Plötzlich erhoben sich lautstarke Stimmen über dem Tross aus den müden und verwundeten Kriegern der Streunenden Armee.
      Viola beobachtete wie Bewegung in die Männer und Frauen kam in der Aussicht auf Sicherheit und der dringend benötigten Atempause, denn der Kampf gegen Faolan und seinen Bruder hatte ihnen Alles abverlangt. Widerwillig erhob sich die Heilerin von der Seite ihres Gefährten und kletterte ebenfalls aus dem behelfsmäßigen Karren. Beim Anblick der überschwänglichen Wiedersehensfreude musste auch Viola lächeln. Alle Förmlichkeit schien vergessen, als sich die eigenartige gekleideten Mönche um Volgast sammelten. Vermutlich war es Lucien zuverdanken, der wild gestikulierend verhinderte, dass die losgelöste Meute aus Mönchen, Elfen, Zwergen und Menschen nicht von Pfeilen oder Speeren durchsiebt wurde. Das höfische Protokoll wurde hier nach allen Regeln der Kunst in den Wind geschossen.
      Viola verblieb im Hintergund und beobachtete die glücklichen Gesichter.
      Federleichte Schritte stoppten auf ihrer Höhe und die Heilerin drehte den Kopf leicht zur Seite um Meliorn zuerblicken. Der Bogenschütze lächelte kaum merklich und stellte allgemein eher eine recht verkniffene Miene zur Schau.
      "Die Menschen werden uns als lebendiges Schild vor den Mauern benutzen.", knurrte er. "Sie werden kaum alle in die Stadt lassen."
      "Vermutlich nicht.", antwortete Viola. "Aber noch ist nichts entschieden. Du vetraust Lucien doch?"
      "Eine unfaire Frage, Viola.", schnaubte der Elf.
      "Krieg ist nie fair.", seufzte sie und bahnte sich allein einen Weg durch das Durcheinander.
      Der Anblick von Pompidou mit den Zwillingen erweichte das Herz der skeptischen Heilerin, deren Groll gegenüber Pompidou jedoch nicht völlig erlosch. Sie wollte das Wiedersehen nicht stören. Außerdem spürte sie, wie sich ein stechendes Augenpaar in ihren Hinterkopf bohrte. Lhoris brannte sich darauf zu erfahren, ob sein Freund und Schwertbruder noch unter den Lebenden weilte. Dabei sollte ihm Violas erleichterter Gesichtsausdruck Antwort genug sein. Sie schob sich zielstrebig in seine Richtung und die Erleichterung war groß genug, dass sie gerade noch im Augenwinkel seinen alarmierten Blick wahrnahm ehe sie den schwarzhaarigen Elf in einer Umarmung zog.
      "Er lebt, Lhoris.", murmelte sie, den typischen Geruch eines Schmiedfeuers in der Nase. "Das Sternenlicht und der Kampf mit Faolan hat ihn vollkommen ausgelaugt, aber er wird bald wieder aufwachen. Das spüre ich. Komm mit."
      Sie entließ den überrumpelten Elf aus ihrer klammernden Umarmung und zog ihn am Ärmel mit sich. Ein paar verdutzte Wachen, verloren im Gewirr, versuchten den 'Gefangenen' nicht aus den Augen zu verlieren und stolperten der Heilerin und dem Elf hinterher.
      Kurz hielt sie inne und begrüßte Pompidou, der sich ein wenig von seinen Enkelkindern trennen konnte, mit einem kurzangebundenen Nicken.
      "Ihr seid wirklich ein Mann voller Gehemnisse, Pompidou.", sprach sie ruhig.
      "Das hätte ich dir auch sagen können, meine Liebe.", erklang zu über ihren Köpfen hoch zu Ross von Lucien. "Das Empfangskomitee haben wir sicherlich Euch zu verdanken, nicht wahr?"
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    • Einen wutschnaubenden Elfen zu halten, bedurfte einer gewaltigen Kraftanstrengung.
      Einen Elfen zu halten, der zu seinem König und besten Freund wollte, erschien dagegen eine Titanenaufgabe. Lhoris brandete gegen die Hände der Soldaten auf, die ihn festhielten und die Handfesseln, die seine lädierten Finger hielten, erschienen beinahe wie Spielzeug, als er Viola und die gesenkten Banner der streunenden Armee erkannte. Lange Zeit hatte niemand die streunende Armee derart geschunden erblickt. Von überall her stachen ihm Verletzungen, betretene Gesichter und Wunden entgegen. Die Luft um die Kämpfer stand voll Blut und roch metallisch, während sie langsamen Marsches der Stadt näher kam. Und zu seinem Entsetzen führten die Zwerge die Armee an. Das konnte nur bedeuten, dass die Armeegeneräle allesamt verletzt oder nicht in der Lage waren, die Führung zu übernehmen. Noch ehe die Zwillinge hervor brachen, wand sich Lhoris aus den Händen seiner Peiniger und sprintete ohne Ansicht der Konsequenzen los.
      Die empörten Rufe der Soldaten missachtend riss er die Fesseln auseinander als seien es Spielzeuge von Kindern. Unsteten Blickes wich er den Zwillingen aus und den Mönchen, ehe er sich in einer Bärenumarmung mit Viola wieder fand.
      "Er lebt", wisperte er und blickte an ihr vorbei zu dem Karren. Sternenlicht? Weshalb hatte er Sternenlicht...Der Drache. Sie hatten von Drachen gesprochen. Faolan hatte seine fürchterlichste Waffe entsandt und die Drachen losgeschickt. Freilich brauchte er das Sternenlicht dafür. Nickend löste er sich aus der Umarmung und wanderte kurz angebunden in Richtung des Karrens, wo er Andvari vermutete. Die Wachen stolperten ärgerlich hinterher, hielten aber Abstand zu dem Elfen. Man mochte sich nicht ausmalen, was geschah, wenn er er hier Amok lief.
      Mürrisches Misstrauen begegenete den Menschen, als die Zwerge und die Armee zum Halten kam.
      Pompidou indes küsste seine Enkel auf die Scheitel und lächelte, als Viola ihn ansprach.
      "Mindestens so sehr wie Ihr, Frau Viola", sagte er lächelnd und zwinkerte. Zu Lucien gewandt sah er hinauf und schirmte seine Augen gegen die Sonne ab. "Es ließ sich nicht verhindern, Hoheit. Lhoris und Volgast wollten zu ihrem König und als ich erfuhr, dass Volgast einer der vier Großmeister des Mönchsorden ist, dachte ich es wäre besser sie hierher zu bringen."
      "Großmeister? Volgast?", fragte Yoki und sah an ihnen vorbei zu der Meute, die den Mönch umringte. Sie alle lagen ehrfürchtig auf den Knien und beteten ihr Haupt in den Dreck, ehe sie von ihm wieder aufgebeten wurden.
      "Ja, meine Liebe", nickte Pompidou. "Man nennt ihn dort Meister Hemmungslos. Er ist neben Meister Nutzlos, Meister Sprachlos und Meister Skrupellos einer der vier Großmeister."
      "Es soll mir gleich sein", unterbrach Lhoris nach dem er mit dem Zwergenkönig zurückkehrte. Von seinem Eber abgestiegen, wirkte der ZWerg beinahe witzig anzusehen und stemmte die Hände in die Hüfte.
      "Er hat Recht. Es ist genug mit den Freudigkeiten. Wir haben Verletzte. VIele Verletzte und der Kampf droht nach Süden zu wandern. Wir müssen zurück an die Front aber mit einem halbtoten Anführer werden wir das nicht schaffen. Können wir in der Stadt Heilung finden, Prinz?", fragte der Zwerg und sah Lucien fragend an.
      Pompidou indes blickte zum Herrscher und seufzte.
      "Er hat Recht, Eure Hoheit. Meine Kontakte in der Hauptstadt Tirion berichten, dass die Große Armee berufen wurde. Es wird sicherlich einige Zeit dauern bis diese auch nur die Grenze erreicht, aber es ist die volle Stärke der Elfenarmee."

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    • "König Oberon holt somit endgültig zum letzten Schlag aus", murmelte Lucien beunruhigt.
      Vom Rücken seines Pferdes aus blickte er in eine Flut von besorgten Gesichtern und stieß ein langgezogenes Seufzen aus. Die Zeit der halbherzigen Bemühungen sollte ein Ende finden. Dennoch konnte er die gesamte Streunende Armee nicht einfach durch die Stadttore marschieren lassen und damit ganz Bourgone in ein Pulverfass verwandeln.
      "Pompidou, schickt Boten zu den Häusern aller Mitglieder des Hohen Rates. Es wird Zeit, dass wir uns entscheiden an wessen Seite wir in der bevorstehenden Schlacht kämpfen wollen oder ob wir uns feige hinter unseren Mauern verstecken", richtete der Kronprinz das Wort an Pompidou auch wenn er ihn damit von seinen geliebten Enkelkindern fortriss. "Und entsendet eine Nachricht zur Abtei der Heilkundigen. Meister Greneau soll sich und seine Brüder darauf vorbereiten, dass sie bald alle Hände voll tun haben."
      Mit gespreizten Fingern fuhr sich Lucien durch das vom Wind zerzauste Haar und wirkte trotz der von der langen Reise ermüdeten Gesichtszüge mehr wie der zukünftige Thronfolger als je zuvor. Viola atmete erleichtert aus. Der Prinz stieg unter skeptischem Geflüster etwas ungelenk und mit steifen Glieder vom Rücken seines Pferdes ab. Langsam gesellte er sich zu der Gruppe Lhoris, Pompidou und Viola wobei sein Blick auf den grimmigen Zügen des Zwergenkönigs lag.
      "Bringt Eure schwersten Verwundeten zum Tor und trommelt alle zusammen, die nicht länger auf einen Heiler verzichten können. Wir werden die Karren an einen sicheren Ort innerhalb der Mauern geleiten. Ich erbitte Euer Verständnis, dass wir nicht die gesamte Streunende Armee augenblicklich in die Stadt lassen können. Die Menschen hinter den Mauern müssen darauf vorbereitet werden, wenn wir keinen zweiten Krieg in den Straßen bezeugen wollen.", fuhr er fort. "Ich verspreche Euch, dass ich ohne weitere Verzögerung mit den Hohen Herrschaften dieser Stadt sprechen werde."
      Mit einem zuversichtlichen Nicken streckte Lucien dem Zwergenkönig die Hand entgegen für ein Bündnis, das dieser Kontinent seit seiner Geburt nicht erlebt hatte. Menschen, Elfen und Zwerge würden unter einem Banner gegen einen gemeinsamen Feind in die Schlacht ziehen.
      "Komm, wir begleiten Andvari.", flüsterte Viola und zupfte am Ärmel von Lhoris geliehenem Hemd.
      Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass keiner von ihnen den bewusstlosen Andvari länger als nötig aus den Augen lassen wollte. Die Heilerin verabschiedete sich mit einem Nicken von Pompidou und Lucien. Ohnehin hätte es niemand geschafft Viola davon abzuhalten an die Seite ihres Gefährten zurückzukehren. Auch nicht unter Androhung einer Kerkerzelle oder mit erhobenen Schwertern. Lhoris' Wachen schienen wenig davon angetan hinter einem Karren hinterher zu stolpern.
      Im Hintergrund öffneten sich die gewaltigen Stadttore mit einem grollen Dröhnen.

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      Mit dem Handrücken wischte sich Viola die Schweißperlen von der Stirn.
      Die behelfsmäßige Schürze aus grobem Leinen war von blutverschmierten Händen befleckt und verströmte den unverkennbaren Geruch frischen Blutes. Die kühlen Gemäuer der Abtei hatten sich binnen weniger Stunden in eines der größten Feldlazarette verwandelt, die sie je gesehen hatte. In allen verfügbaren Räumen verbanden die heilkundigen Ordensbrüder tiefe Fleischwunden und richteten zerschmetterte Knochen. Nachdem Viola sich vergewissert hatte, dass Andvari unter Lhoris wachsamen Blicken friedlich und ungestört ruhte, hatte sich die Heilerin ihrem Pflichtgefühl ergeben. Geschäftig huschte die junge Frau von einem Raum in den anderen und half, wo lediglich Magie die letzte Rettung war. Erschöpfung stand ihr in das bleiche Gesicht geschrieben, als sie zu an die Seite von Lhoris und Andvari zurückkehrte und die blutigen Finger in einer schlichten Holzschale säuberte.
      Die vergangenen Stunden erschienen Viola wie mehrere Tage und noch immer gab es keine Neuigkeiten aus dem Palast. Allerdings war der Hohe Rat nicht dafür bekannt zügige Entscheidungen zu treffen. Die Comtesse stellte sich zweifellos quer wie eine bockige Ziege.
      Ruhig trat sie an Lhoris Seite, der neben Andvaris Bett auf einem für ihn fiel zu kleinen Schemel hockte. Der Anblick hätte Viola für gewöhnlich amüsiert, aber die Sorge überwog.
      "Unverändert?", murmelte sie nur und legte eine federleichte Hand auf die Schulter des Schwertkämpfers.
      Viola beugte sich über der Bewusstlosen und streichelte hauchzart mit den Fingerknöcheln über die ausgeprägten Wangenknochen. Ein flüchtiger Blick wanderte zu den zwei schimmernden Objekten, die neben dem Bett an der Wand lehnten. Dandelost und Angrist lehnten nebeneinander an der groben Steinmauer, die die Wände der Räumlichkeiten bildete. Meliorn hatte beide Klingen eingehüllt in löchrigem Tuch vorbei gebracht. Seiner Meinung nach gehörten Schwerter wie diese an die Seite ihrer Träger.
      Vorsichtig, um den Schlafenden nicht zu erschüttern, nahm Viola auf der Bettkante Platz.
      "Es sind so viele Verletzte, Lhoris.", sprach sie ruhig und betrachtete die schattenartigen Linien über ihren Handrücken. "Die Brüder tun alles in ihrer Macht stehende, aber sie sind keine Zauberer. Wir werden nicht alle retten können und meine Kräfte sind erschöpft."
      “We all change, when you think about it.
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      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
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    • Die Zeiten waren dumpf und grau und glichen dem Himmel, der über Bourgogne thronte.
      Als die Tore sich grollend öffneten und einen Teil der streunenden Armee einließen, waren die Menschen in hellen Aufruhr verfallen. Gerufen hatten sie, nach den Heilanden ihres Zorns und nach den Soldaten. Eine feindliche Armee stürme das Tor. Man hatte sie nur mit Mühe wieder beruhigen und besänftigen können, ehe die Streunenden einziehen konnten. Die Zwerge hatten gut sortiert. Die Verletzten aller Völker hatten sie durchgeschaut und mit den findigen Kenntnissen ihres Volkes katalogisiert. Kategorie Rot waren jene, die nicht mehr versorgt werden konnten. Diese mussten umgehend geheilt werden. Symon gehörte zu ihnen. Der Zwerg sah noch schlechter aus und verlor noch immer Blut und nur der Zähigkeit des kleinen Volkes war es zu verdanken, dass er noch atmete. Farryn begleitete ihn zu seinem Lager, während sich die Brüder um ihm kümmerten. Kategorie Gelb waren Knochenbrüche und mittelschwere Wunden, die noch vor dem Tore blieben und nur schubweise eingelassen wurden, um versorgt zu werden. Diese Wunden würden alleine heilen, ohne weitere magische Hilfe. Kategorie Grün waren kleinere Wunden, die zumindest alleine heilen konnten. Die Streunende Armee hatte vor dem Tore Stellung bezogen und ihre LAger aufgeschlagen, die vor Blut und Dreck starrten. Wie aus dem Nichts waren durch die Baumgeister eine Art Wall entstanden in dessen Wipfeln Elfensoldaten Wache hielten, während bereits einige Stunden nach Aufbau des LAgers die ersten Feuer entzündet und Essen gekocht wurden.
      Doch nichts dieser erfreulichen Entwicklung vermochte Lhoris zu trösten, der auf diesem Schemel saß. Nachdem Pompidou mit dem Prinzen verschwunden war, um den hohen Rat einzurufen, erschien ihm die Wartezeit beinahe unendlich lang. Volgast hatten sie gehen lassen. Er war bei seinen Schülern und ergötzte sich an deren Labsal und Fragen, während er innerlich froh war, sie alle wieder zu sehen. Farryn verblieb bei Symon, Hogav hatten sie gebracht. Der Ork war schwer verwundet und konnte nicht in das Haupthaus gebracht werden. Stattdessen lag er vor den Gemäuern der Heiler und wurde dort durch mehrere von ihnen gepflegt. Er trug eine schwere Schulterwunde, die ihm massive Schmerzen bereitete. Lysandra thronte auf der Stadtmauer und sah von dort aus gen Norden, in Richtung der Berge. Sie wusste, etwas Großes rollte an.
      "Unverändert", murmelte er und seufzte. "Ich verstehe es nicht, weißt du...Ich verstehe es einfach nicht. Das Sternenlicht schwächt ihn, ja. Aber nicht so sehr. Irgendetwas scheint ihn zu halten, zu binden und ich weiß nicht was. Ich werde nicht schlau aus dieser Ohnmacht..."
      Langsam sah er zu Viola hinauf und erkannte die Anzeichen der Erschöpfung in ihren Augen und an ihrem Körper.
      "Du musst rasten, Viola", sagte er und drehte sich leicht zu ihr. "Wenn du die ganze Zeit zauberst, wird dein Körper ermatten und du wirst womöglich auch ein komatöser Patient. DIe Brüder tun genug und manches Mal ist es eben so...Wir bräuchten die Töchter der Meriel um die Verwundeten alle zu heilen und ein Krieg bringt leider Opfer mit sich..."
      Ruhig sah er zu Andvari, dann wieder zu ihr.
      "du kannst sie nicht alle retten..."

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    • Ein gleißender und schmerzhafter Puls durchschnitt Violas geschwächte Aura.
      Das Gefühl, als hätte eine unsichtbare Klinge den Brustkorb geöffnet und glühende Kohlen hinter die Rippenbögen gezwängt, schnürte der Heilerin die Luft ab. Mühevoll presste sie einen Atemzug aus den plötzlich viel zu engen Lungen und in ihrem Schoß ballten sich die von schwarzen Äderchen durchzogenen Hände zu zitternden Fäusten. Für einen kurzen Augenblick glaubte Viola, dass der überanspruchte Aurakern endgültig kollabierte. Als sie begriff, dass das brennende Gefühl nichts mit ihrer Zauberkraft zu tun hatte, war es bereits zu spät. Der Verzweiflung und der verzehrende Jähzorn entluden sich an der einzigen Person im Raum, die ihre Wut eindeutig nicht verdient hatte.
      "Oh bitte, Lhoris. Versuch nicht mir zu erklären, was Krieg bedeutet.", presste Viola hervor. "Der Blick in den Spiegel erinnerte mich jeden einzelnen Tag daran, was es bedeutet ein Opfer des Machthungers gieriger Könige zu sein und was der Krieg zurücklässt sobald alle Häuser und Felder niedergebrannt sind. Ich mag keine Hunderte von Jahren als sein, aber ich weiß wie Asche und Tod schmecken. Du hast Recht. Ich kann sie nicht alle retten. Ich konnte nicht einmal meine eigene Familie retten."
      Viola vergrub die zitternden Fingern in der blutigen Schürze. Die schwarzen Verästelungen verloren an Struktur und verblassten langsam unter der Haut. Mit hängenden Schultern saß die junge Frau auf der Bettkannte. Das erste Mal seit langer Zeit ähnelte Viola dem, was sie eigentlich war: Ein junges Mädchen, das unter den Erwartungen und dem Druck in die Knie zu gehen drohte. Die zornige Verzweiflung glühte ungebrochen in den schimmernden Augen.
      "Wozu all diese Macht, wenn ich niemandem damit helfen kann? Das Leben von Symon hängt am seidenen Faden, obwohl ich alle getan habe, was ich konnte. Ich schaffe es nicht einmal, die Ursache für Andvaris anhaltende Ohnmacht zu finden. Ja, wir bräuschten die Töchter der Meriel, keine Nachfahrin einer dürftigen Blutlinie. Bedauerlicherweise hat König Oberon mit Verrat und genügend Schwertern dafür gesorgt, dass keine der Töchter mehr übrig ist. Er kann nicht gewinnen, Lhoris. Er darf nicht gewinnen."
      Viola stieß die Luft aus der verkrampften Lungen.
      "Ich bin müde", flüsterte sie leise. "So müde. Es tut mir leid, ich wollte meinen Frust nicht an die auslassen."
      Behutsam nahm sie eine von Andvaris Händen. Mit kreisenden Bewegungen fuhr Viola über die aufgesprungenen Fingerknöchel.
      "Aber ich habe Angst.", gestand sie. "Wir wissen nicht, was zwischen Faolan und Andvari auf dem Schlachtfeld vorgefallen ist. Wenn Faolan für diesen Zustand verantwortlich ist...Was wenn er nicht aufwachen kann? Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll."
      “We all change, when you think about it.
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    • Der Ausbruch der Heilerin war überfällig, wenn er ehrlich war. Mehr als überfällig. Gerade die heilende Kunst war, galt sie doch zumeist als minderwertig oder unpraktisch im Geiste der übrigen Magie, die gefragteste im Kriegsfall. Jetzt wo der Tod wie einer der Ihren durch die Reihen der Verletzten striff und sich seine Opfer nach und nach zurecht legte, war die Kunst des Heilens mehr denn je notwendig. Und auch der Frust, den sie barg, wenn man nicht alle retten konnte.
      Lhoris schwieg geflissentlich während sich Viola ihren Frust von der Seele sprach. JEdoch die Adern machten ihm Sorgen. Es war nicht normal, so lange zu zaubern und würde vermutlich hohe Kosten mit sich tragen. Wenn sie es überhaupt wusste.
      Sachte seufzte der Elf und legte ihr die Hand auf die Schulter, als Zeichen, dass er ihren Ausbruch nicht übel nahm. Das schwarze Haar ruhte auf seiner Schulter als er sie ansah.
      "Fürs Erste beruhige dich erstmal. Ich kann verstehen, dass der Frust hoch ist, aber eine Abnutzung deines Kerns sollte nicht geschehen. Die Adern sind ein Zeichen sicherer Überlastung und ist als Warnsignal zu verstehen. Also wird deine erste Aufgabe sein, zu schlafen. Ich übernehme ab hier ein paar der Verwundeten. Wunden kauterisieren kann ich auch...", sagte er ruhig und sah zu Andvaris leblosen Leib, ehe er wieder zu Viola sah.
      "Macht ist eines. Sie zu besitzen ein Weg, aber leider tun es auch andere. Faolan ist ein Meister der Manifestation von Kreaturen. Vermutlich waren diese vergiftet oder trugen Spuren anderer Magie in sich, die infusiert wurde. Man kann es nur wissen wenn man eine solche Kreatur sieht...", sagte er und sah nachdenklich zum Prinzen hinüber. "Oberon ist ein mächtiger König, gewiss. Doch auch wir sind nicht untätig, kluge Viola. Wir haben ebenso Elfen eingeschleust, die uns aus dem Internen helfen. Nuala ist dort und ein Spion von Seiten Pompidous. Wir versuchen herauszufinden was möglich ist, aber wir werden ohne Hilfe nicht standhalten können. Und nun hör auf, dich selbst klein zu machen. Du bist eine Nachfarin des mächtigen Volkes. Es muss eine Möglichkeit geben, an die Künste heran zu kommen. Aber der einzige Zauberer, der helfen könnte, ist leider verstorben..."
      Seufzend erhob sich Lhoris und grinste sie an.
      "Bleib hier und raste. Ruhe neben ihm und schlaf etwas. Ich kümmere mich um die kleineren Wunden. Und vielleicht braucht es nur Zeit, bis Andvari wieder erwacht."
      Auch wenn der Elf es bezweifelte, dass es derart einfach war. Dieses Koma erschien ihm nicht normal, doch es brauchte so viel mächtige Magie...Doch woher nehmen?

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    • Nachsichtig berührte Lhoris die Schulter und sämtliche Anspannung schien von der erschöpften Heilerin abzufallen.
      Halbherzig öffnete Viola den Mund um refelxartig mit einem schwachen Protest aufzuwarten, aber etwas an der Präsenz des Elfen veranlasste sie dazu den Mund gehorsam wie ein belehrtes Kind zu zuklappen. Die tiefen Furchen zwischen ihren Augenbrauen gruben sich als letztes Zeichen der Auflehnung in die kränklich, blasse Haut. Ein weitere Mal beäugte Viola die schattenartigen Linien und die schwarz gefärbten Fingerkuppen. In einem Punkt sollte Lhoris richtig liegen, etwas stimmte nicht mit dem Magiekern. Viola fühlte das verstörende Ungleichgewicht unter dem Herzen und hegte starke Zweifel, dass die Überlastung allein dafür verantwortlich war. Seit dem Tag ihres Erwachsens fühlte die Menschenfrau die unheimliche Anwesenheit einer vertrauten und gleichzeitig verhassten Energie. Vaeril hatte ihr ein Abschiedgeschenk gemacht. Sie hatte es gespürt, als Dandelost nach langer Zeit wieder in ihren Händen lag. Der fleichmäßige Energiefluss zwischen der Elfenklinge und dem Quell ihrer Magie war gestört, denn Dandelost schien seine Trägerin nicht zu erkennen.
      Die Genräle der Streunenden Armee verletzt, teils so schwer, dass Viola um die Leben fürchtete. Der Lichtrufer, gefangen in einem unerklärichen Schlaf und ein Schild, dass sich nicht rufen ließ. Die Aussichten waren nie zuvor so schlecht gewesen.
      "Nuala...", murmelte Viola und verzog mit einem deutlich schlechten Gewissen das Gesicht.
      Sie hatte die Elfenkriegerin beinahe vergessen, die noch zu Beginn ihrer Reise versucht hatte, die Heilerin mit Blicken zu erdolchen. Nualas Zorn war ihr gewiss, sollte sie Andvari nicht helfen können. Als Lhoris zu guter Letzt auch noch Sylvar erwähnte, sog die Heilerin stockend den Atem ein.
      "Nein, das können wir nicht.", flüsterte sie und streifte dabei träge die Stiefel von den Füßen. "Aber es gibt einen einzigen Ort, der uns vielleicht die nötigen Antworten liefern kann. Der Tempel der Meriel ist zerstört aber nicht gänzlich verloren. Sylvar...er ist durch die Ruinen gewandert, als suche er etwas in den alten Fresken, die über all im Tempel verstreut sind. Ich bin eine kurzweilige Verbindung mit den Energien des Tempels eingegangen um Andvari nach den Unruhen in Telerin zu heilen. Die Töchter wurden von Oberon gefürchtet, weil sie den Schlüssel zu Leben und Tod in sich trugen. Vielleicht finden wir dort etwas, das uns hilft. Etwas, dass wir beim ersten Mal übersehen haben."
      Mit einem leisen Poltern landeten die Stiefel am Boden und Viola zog die Beine auf das schmale Bett. Je länger sie zur Ruhe kam umso unwiderstehlicher erschien die Vorstellung eines erholsamen Schlafes.
      "Zuerst muss er aufwachen.", murmelte Viola und ließ sich auf das Bett sinken. "Danke, Lhoris."
      Viola ergab sich. Ihr Körper schmiegte sich an Andvaris Seite wie das fehlende Teil eines Puzzles. Die verschlungenen Hände legte sie über seinem Herzen ab und schloss die Augen. Der Geruch von Blut durchdrang nach wie vor seine Haut, obwohl sie jedes bisschen davon behutsam gesäubert hatte. Es war der Geruch von Staub, Blut und Schweiß. Der Krieg haftete an ihnen allen, egal, ob sie sichi die Haut blutig schrubbte, um die unsichtbaren Spuren loszuwerden. Schwer ruhte der herbstrote Lockenschopf auf der Schulter des Schlafenden.
      Viola schlief ein bevor die Tür ins Schloss fiel.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Der Schlaf eines Gerechten heilt die Wunden, so heißt es bei der weißen Hand.
      Die Heiler dort versuchen sich an der Forschung zur heilenden Wirkung des Schlafes und zumeist lagen sie damit richtig, dachte Lhoris als er die Tür schloss und sich in den Innenhof begab. Die Wachen sahen ihn noch immer merkwürdig an und doch wagten sie es nicht, Hand an den Elfen zu legen, der sie mit einem grimmigen und entschlossenen Blick betrachtete. Er brauchte sein Schwert. Und ein Pferd, dachte er und durchquerte den Garten in Richtung der Lazarette, wo die Schreie herkamen. Es gab Dinge zu tun. Und er würde nicht ruhen, ehe sie eine Chance hatten, diesen Wahnsinn zu stoppen.

      Schwärze.
      Der Raum um ihn herum explodierte in einem wahnsinnigen Farbenmeer und Andvari sah dem Drachen erneut in die schwarzen Augen. Überkreuzte Iriden, brennende Leidenschaft und den Geschmack von Feuer auf der Zunge öffnete er flatternd die Lider und begann langsam hektischer zu atmen. Der GEruch hatte sich verändert. Es roch nicht mehr nach Schlachtfeld und Blut. Sein Schwert war fort, er spürte das Gewicht nicht mehr in seiner Hand und eigentlich war seine ganze linke Körperhälfte gelähmt. Weder das Bein noch der Arm ließ sich recht bewegen und langsam, schürte Panik seine Angst. Als würde man ihm eine Garotte um den Hals legen schluckte der Elf und verspürte selbst dabei Schmerzen, was sie ihn zu einem kleinen Stöhnen brachte. Sachte sah er sich um. Das war ein Bett! Ein Zimmer. Er sah Wände und Decken, Fenster und Dekorationen wie Stühle und Überdecken. Seit wann war Beleriand so ausgestattet? Kein Haus der Stadt hatte eine derart feudale Ausstattung...
      Beleriand!
      Er dachte an die brennenden Straßenzüge und die einfallenden Horden von Schattengeistern, die sein wahnsinniger Bruder losgelassen hatte und zuckte zusammen, als er das Gewicht auf seinem Arm bemerkte. Und wie es sich bewegte.
      Erst danach sah er hinab und erkannte zu seinem Erstaunen Viola, die seelenruhig schlief. Sie sah erschöpft aus und doch fuhr seine Hand zitternd durch ihr feuerrotes Haar. Ihr Bäume, dachte der Elf und vernahm das erste Mal ein Lächeln auf seinem Gesicht. Es war lange her...So lange. Und er hatte sie vermisst. Hatte gebetet und gefleht, bis der Botschafter von Pompidou ankam und ihm berichtete dass sie lebte. Aber wie lange war die Angst Herr seiner Gedanken gewesen? Seufzend ließ er sich zurückfallen und beschloss, sie etwas schlafen zu lassen. Grinsend sah er zur Decke und versuchte sein Herz zu beruhigen. Alles was wichtig war, war hier bei ihm.

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    • Friedliche Stille ruhte über dem alten Gemäuer.
      Die Schmerzschrei verstummte mit Einbruch der Nacht und übrig blieb das tröstliche Flüstern der Ordensbrüder, die sich bis in die späten Stunden um die zahlreichen Verletzten kümmerten. Viola schlummerte ungestört an der Schulter ihres Liebsten bis das Herz unter ihrer Wange einen Hüpfer machte. Ein schlaftrunkener Seufzer entfloh den geöffneten Lippen, doch der Schlaf entließ sie noch nicht völlig aus seinen sanften Armen. Die Sterne funkelten am tiefschwarzen Nachthimmel, als Viola endlich die Augen öffnete. Ein kühler Luftzug ließ die junge Frau frösteln, denn jemand hatte das Fenster offen gelassen. Unterbewusst suchte sie die Wärme des vertrauten Körpers und drückte die kalte Nasenspitze in Andvaris linke Schulter. Sie hatte einen Arm und ein Bein über ihn geworfen, als wollte sie verhindern, dass er sich im Schlaf einfach davonstahl.
      Augenblicklich verweilte Viola stocksteif auf dem Bett und zögerlich wagte sie einen müden Blick in Andvaris Gesicht. Sie blinzelte verschlafen und rieb sich mit den Fingerknöcheln den Schlafsand aus den Augen. Ein zweiter Blick und sie wusste, dass sie nicht träumte.
      Andvari war wach und Viola versuchte sich zu erinnern, wie lange sie die vertraute, bernsteinfarbenen Augen nicht mehr gesehen hatte.
      Es waren klare Augen, die sie ansahen, als hätten sie etwas langverlorenes endlich wiedergefunden. Ein wackeliges Lächeln zupfte an ihren Mundwinkel. Viola wusste nicht ob sie vor Erleichterung und Glück lachen oder weinen sollte. Zu viele Gefühle stürzten aufeinmal über ihrem Kopf zusammen während sie die Handfläche über sein Herz legte und den Rhythmus seines Herzschlages fühlte, kräftig und lebendig.
      Andvari grinste und Viola zog geräuschvoll einem Atemzug durch die Nase, um nicht in Tränen auszubrechen. Schweigend veränderte die junge Frau ihre Position und richtete sich ein wenig auf. Lächelnd lehnte Viola die Stirn an seine, so nah, bis sich ihre Nasenspitzen berührten. Alles, was sie sah, war die Farbe leuchtenden Bernsteins.
      "Hey...", brachte sie mit zitternder Stimme hervor und streichelte mit der Spitze ihres Zeigefingers seine Schläfe entlang.
      Den Göttern sei Dank bis du wach.
      Ich habe mir solche Sorgen gemacht.
      Ich war so allein.
      Ich hatte Angst.
      Ich habe dich vermisst.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Lange war es her, dass Andvari die Nähe dieser Frau genießen konnte. Es glich einem Verbrechen sie aus ihrem Schlaf zu wecken und die herrliche Ruhe zu brechen, die es mit sich brachte. Doch irgendwann - und es war eine grausame Vorstellung - brach jeder Traum und Realitäten stürzten über die Träumenden herein wie zusammenfallende Schlösser.
      Seine rechte Hand hatte sich auf das übergeworfene Bein gelegt und auch dort die Wärme regelrecht aufgesogen die dieser lebendige, zierliche Körper ausstrahlte. Selbst die kalte Nase hatte ihm nichts ausgemacht.
      Als Viola erwachte und einem Gefühlsausbruch nahe rückte, wirkte sie dennoch lebendiger als je zuvor. Seinem Grinsen tat es keinen Abbruch, dass sie ihn ansah, als wäre ein Geist auferstanden und würde wieder unter den Lebenden wandeln. Trotz seiner Heilung wie es schien, fühlte sich Andvari steif und schwerfällig. Als würde sein Körper ihm den Dienst noch eine Weile verweigern, auch wenn er das nicht glauben mochte.
      Immerhin...Ihr Lächeln war noch da. Schwach, aber zugegen. Und so wunderschön wie das letzte Mal, als sie gemeinsam in diesem Zimmer in Beleriand verweilten. Es schien Jahre her zu sein, fand der Elf und versuchte gar nicht erst, seine Position zu verändern. Mit einem Mal huschtre die Stirn der Frau an seine und ihre Augen fraßen sich regelrecht in seine. Eine zarte Hand glitt an seiner Schläfe hinab. Wenn er nicht so schwach und seine Arme schwer wie Blei gewesen wäre, hätte er es erwidert. So ließ er es geschehen und lächelte.
      "Hey", wisperte er mit rauer Stimme zurück.
      Das Schreien auf dem Schlachtfeld hatte offenbar Spuren hinterlassen.
      "Wo...Wo bin ich?"
      Wenn du hier bist, dachte er. Dann konnte es nur eine Menschenstadt sein,. SIe war am Leben. Das war alles was zählte.
      "Hab...Hab gefürchtet, dass sie dich erwischt hätten. Ich wusste nicht..."
      ICh war nicht sicher, ob du lebst...
      "Ich hab dich vermisst", sagte er leise und endlich ließ sich seine Hand zu ihrem Gesicht bewegen. Sachte legte er seine Hand auf ihre Wange.

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      The more you drag me to hell
    • Geflüsterte Worte und ein erschöpftes Lächeln, mehr brauchte es nicht.
      Viola lauschte der vertrauten Stimme, die sie seit Ewigkeiten vermisst hatte, und hörte geduldig den schleppenden Silben zu. Zwischen den Zeilen blieben Sorgen unausgesprochen, aber die junge Frau spürte seine Erleichterung. Es musste das gleiche Gewicht sein, dass auch von ihren Schultern abgefallen war. Die Ungewissheit hatte sie eine lange Zeit geplagt.
      "Ich habe dich auch vermisst. Jede einzelne Stunde nach meinem Erwachen.", flüsterte sie.
      Seufzend schmiegte Viola die Wange in die kühle und schwielige Hand, an der trotz aller Bemühungen noch ein kaum merklicher Hauch getrockneten Blutes haftete. Ein liebevoller Kuss drückte sich in seine Handfläche und die Heilerin hob leicht den Kopf.
      "Du bist in Bourgone, In der Abtei, in der ich heilte nach dem Angriff auf mein Dorf", murmelte sie und fuhr augenblicklich fort, um die Beunruhigung im Keim zu ersticken. "Es ist sicher, für den Moment. Die heilkundigen Ordensbrüder, die mich die Heilkunst lehrten, kümmern sich um unsere Freunde und die Verletzen. Sie tun, was sie können. Lucien und Pompidou, ein verbündetes Ratsmitglied, haben den Adel und den regierenden Rat ordentlich aufgemischt."
      Viola richtete sich auf, obwohl es ihr beinahe physische Schmerzen bereitete sich von Andvari zu lösen. Mitfühlend blickte die Heilerin hinab und erkannte das Echo einer altvertrauten Angst. Die dieselbe Sorge hatte auch Viola gequält.
      "Sie haben mich erwischt", erklärte sie. "Vaeril, er war dort. Er hat mich gefunden und es zur Kapelle geschafft, bevor ich den Schild vollständig schließen konnte. Hast du...?"
      Hast du ihn gesehen und weißt zu welcher Grausamkeit ich fähig bin?
      Vorsichtig drehte Viola den Körper ein Stück weiter von Andvari weg und zerrte das zweckmäßige Hemd aus dem Bund ihres Rockes. Mit einem kurzen Nicken lenkte sie seinen Blick zwischen ihre aneinander geschmiegten Leiber und entblößte die bleiche Haut ihre Bauches. Eine wulstige, dunkle Brandnarbe geformt wie eine Hand mit gespreizten Fingern prangte auf der Haut. Die Stellen, an denen die schattenartigen Klauen sie durchbohrt hatten, waren unter dem verbrannten Gewebe kaum noch zu erkennen.
      "Lhoris hat mir das Leben gerettet. Ohne seine Hilfe wäre ich verblutet.", murmelte sie. "Danach ist alles dunkel und meine Erinnerungen sind bruchstückhaft. Ich war nicht oft bei Bewusstsein, nachdem Vaeril mich mit seinen Schatten vergiftete. Ich erkläre es dir später, wenn du zu Kräften gekommen bist. Es gibt so Vieles, dass ich dir sagen muss."
      Für den Augenblick wollte sie das Gefühl ihn endlich wieder an ihrer Seite zu wissen so lange wie möglich auskosten bevor sie ihm beichtete, was sie in der Bibliothek zu Tage gefördert hatte. Die unterschwellige Furcht, die Erkenntnis über die Verbindung ihrer Familienzweige, könnte sie entzweien, war allgegenwärtig.
      “We all change, when you think about it.
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      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Es war schön, die sanften Berührungen der Heilerin nicht mehr missen zu müssen. Gerne hätte er mehr Zeit gehabt, mehr Ruhe. Andvari fühlte die Schwere seines Körpers beiernd auf ihm lasten und atmete tief ein und aus, ehe er sie anlächelte und sich der Ereignisse ins Gedächtnis rief.
      Sachte drehte der Elf seinen Kopf und zuckte kurz zusammen. Sein Nacken und Rücken schmerzte von den Aufprallen vom Drachenkörper. Schwach kam die Erinnerung an einen schwarz geschuppten Drachen zurück, der sich brüllend auf ihn geworfen hatte. Dem Feuer war er ausgewichen aber der Kralle..Sie hatte ihn voll erwischt und zurück geschleudert.
      "Bourgogne also...", murmelte Andvari grinsend und schüttelte den Kopf. "Wer hätte gedacht, dass ich mal in einer Menschenstadt in einem Bett liegen würde, ohne dass man mich festkettet.
      Ja, er hatte Vaeril gesehen. Nach seinem Tod. Bitterlich ertrunken durch Wasser an einem trockenen Ort, an dem es kein Nass geben sollte. Und auch wenn die Ansicht, dass eine Heilerin derartige Grausamkeit an den Tag legte, ihn erschrecken sollte, so tat es das nicht. Sie alle hatten Dinge in diesen Kriegen Dinge getan, auf die sie nicht stolz waren. Es gab nichts zu entschuldigen in Zeiten der unendlichen Grausamkeit.
      "Ich sah Vaeril", bestätigte er ihr dennoch und nickte leicht. "Er hat erhalten, was er verdient hat.."
      Dennoch verstummte der Elf kurz als die junge Heilerin ihren Bauch - den wunderbar weichen - vor ihm entblößte. Die wulstige Narbe glich tatsächlich einer Hand und hatte sich tief eingebrannt. Etwas ging von dieser Wunde aus, das er nicht recht greifen konnte, aber wie ein Flüstern in der Stille war es da. Seufzend sah Andvari hinab und erlaubte sich den Gedanken, dass sie selbst in diesen Lumpen und Gebrauchsklamotten beinahe unwiderstehlich für ihn aussah. Wie ein lange vermisstes Bild von etwas, das einem lieb und teuer war. Ein Zuhause, dass er fürchtete verloren zu haben.
      Schweigsam glitt seine Hand unter der Decke hervor und berührte zart die empfindliche raue Haut der Narbe, ehe er sie vollends auf ihren Bauch legte und die Narbe größtenteils abdeckte. Sylvar hätte ihr helfen können. Doch er...Er konnte nicht heilen oder regenerieren. Er konnte nur bedauern.
      "Ich werde Lhoris erneut danken müssen", flüsterte er. "Du hast grausiges durchgestanden, mein Licht. Und ich würde mich freuen dir bei allem zuzuhören. Aber...Aber was meinst du mit vergiftet mit Schatten?"

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    • "Vielleicht. Nein, er hat es gewiss verdient. Aber ich habe die Kontrolle verloren und das macht mir Angst.", gestand Viola.
      Die Zerstörungskraft, die ihrer Magie inne wohnte, war beunruhigend und verstörend. Die Lehrmeister des Ordens hatten die Heilerin stets für ihre Besonnenheit und Ruhe gelobt. Die Angst und der Schmerz hatten ein Ergebnis zu Tage gefördert, das Viola erschreckte. Wer wusste schon, welchen Knoten dieses Ereignis in Beleriand gelöst hatte. Vielleicht lag in der Verschwörung des Elfenkönigs gegenüber den Töchtern der Meriel ein Körnchen Wahrheit. Vielleicht waren sie gefährlicher gewesen, als es den Anschein hatte. Nachdenklich kaute Viola auf ihrer Unterlippe, bis sie rötlich schimmerte.
      Sanft bedeckte sie Andvaris Hand über ihrem Bauch mit der Eigenen. Die Berührung linderte den allgegenwärtigen Schmerz, den sie kaum noch wahrnahm. Sie hatte daran gedacht, die wulstige Narbe zu mildern. Letztendlich akzeptierte Viola sie als eine Erinnerung. Ein Mahnmal um nicht zu vergessen, was sie getan hatte. Kaltblütig ein Leben zu nehmen und im Anschluss die höchstpersönlichen Grenzen eines anderen Lebewesen zu durchbrechen, zählten sicherlich nicht zu den Sternenstunden ihres Daseins. Sie konnte die Abscheu in Lhoris' Blick nicht vergessen, als sie unkontrolliert und von Instinkt getrieben nach seiner Aura gegriffen hatte. Niemand sollte eine derartige Macht besitzen.
      Viola schüttelte den Kopf über das Bedauern in den Augen des Elfen.
      Sie fürchtete nicht, dass der Anblick der Brandnarbe seine Sehnsucht nach ihr schmälerte, aber Andvari verschwendete zu viele Gedanken an etwas, das bereits vergangen war.
      "Es geht mir gut. Was macht eine weitere Narbe mehr.", lächelte sie und zog demonstrativ die gespaltene Augenbraue in die Höhe. Ob es der richtige Augenblick für leichtfertige Scherze war, stand auf einem anderen Blatt. Violas Fingerspitzen streichelten über die aufgesprungenen Fingerknöchel seiner Hand. Auf seine Frage hin stieß sie ein langgezogenes Seufzen aus.
      "Das ist schwierig zu erklären.", murmelte sie. "Nachdem Vaeril mich mit seinen Schatten durchbohrte, hat er etwas zurückgelassen. Eine Dunkelheit, die sich über mein Bewusstsein und meine Aura legte. Es hat meine Magie infiziert, wie eine Krankheit. Die Heiler hier sagten, dass ich möglicherweise nie erwacht und dahin gesiecht wäre, wenn Lhoris das Sternenlicht nicht gefunden hätte. Sylvar trug eine Phiole flüssigen Sternenlichts bei sich. Wir hatten Glück, dass seine Habseligkeiten nicht in der Stadt zurückgeblieben sind. Es war ein Risiko als er es mir einflößte. Anstatt mich zu verbrennen, hat die Schatten vertrieben. Das Meiste davon zumindest."
      Ja, weil ihr Blut seit Generationen damit vertraut war. Vieles ergab nun Sinn.
      Vorsichtig legte Viola den Kopf auf Andvaris Brust ab, dort, wo die schreckliche Wunde bis auf seine Knochen gereicht hatte.
      Die Haut war warum unter ihrer Wange. Lebendig.
      "Ich kann ihn manchmal immer noch spüren.", flüsterte sie. "Vaeril. Seinen Schatten. Meine Kräfte erschöpfen viel zu schnell und scheinen nicht mehr die gleiche Wirkung zu haben, wie zuvor. Es ist frustrierend und beängstigend."
      Viola drehte den Kopf und drückte die Lippen auf den starken Knochen des Brustbeins. "Wir finden eine Lösung. Aber als Erstes, musst du heilen. Unsere Freunde brauchen dich. König Oberons Armee dringt in die Menschenlande ein und wird keinen Halt machen, bis sie vor unseren Toren steht."
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    • Auch wenn die Berührung ihrer Hand auf seiner Hand eine gewisse Zärtlichkeit nicht vermissen ließ, war dort etwas, das der Elf nicht benennen konnte. Etwas dunkles in ihrem Blick, ein Schatten vielleicht. Etwas, das ihr die Stimmung verhagelte und den Geist verschleierte. Und auch wenn es dreist war und Andvari selbst noch schwach, richtete er sich leicht auf, um sie anzusehen.
      "Etwas stimmt nicht, oder?", fragte er besorgt und sah sie eindringlich an. "Was ist geschehen? Man kann die Luft um dich beinahe schneiden."
      Ein Grinsen huschte über das bleiche Gesicht, nur um gleich weider im Äther zu verschwinden, wärhend er ihr lauschte. Und mit jeder Sekunde wurde ihm klar, wie knapp es um ihr Leben gestanden hatte. Wie knapp sie der Katastrophe entronnen war. Sorgsam hielt er seine Hand bei ihr und mehr und mehr stahl sich Wut in sein Gesicht.
      "Sylvar...", brummte der Elf und grinste mit seinem hager gewordenen Gesicht. "Selbst im Grab schafft es dieser Wahnsinnige noch, unsere Leben zu retten. Es ist ein Glück, dass Lhoris diese Phiole bei sich hatte. Nicht auszudenken, was geschehen wäre wenn..."
      Nein, Andvari wollte daran nicht denken, dass er beinahe die Frau verloren hätte, für die er in den Krieg gezogen war. Doch die Erkenntnis, dass Vaeril eine Vergiftung herbei geführt hatte, war eine andere. Sicherlich, Andvari spürte die Unruhe in ihrem Kern. Das Übereinanderschlagen der Auren, eine verzehrend, die andere kämpfend. Doch eine Heilung wusste er nicht. Wie auch. Er war nie zum Heiler erzogen worden.
      "Ich...ich weiß gar nicht was ich sagen soll", murmelte er leise und sah sie mit Mitleid in den Augen an. "Vaerils Gift ist spürbar. Und es ist einem Verbrechen ähnlich, in die Aura eines anderen Lebewesens einzugreifen. Es ist tiefschwarze Magie und bedarf einer Menge von Übelwille, um dies durchzuführen. Dass er so weit gehen würde...Nach allem was er dir schon angetan hat..."
      Knurrend wandte er sich kurz ab und verfluchte den Umstand, dass dieser Bastard bereits tot war.
      Schnaubend wandte er sich zu Viola.
      "Heilung...", sagte er und lächelte. "Heilung werde ich genug erfahren. Leider findet sich keine Zeit dafür. Wenn Oberon die Armee bereits auflaufen lässt, wird es zwar noch etwas dauern aber dann haben wir eine Streitmacht vor uns, die selbst der Menschenarmee beikommt..."
      Wenn sie nicht sogar größer war.

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    • "Vor dir kann ich nichts verstecken, hm?", lächelte Viola, doch das Lächeln auf ihren Lippen war blass.
      Natürlich merkte Andvari, dass etwas nicht stimmte. Sie bemühte sich nicht darum es abzustreiten, behielt aber zunächst die Antwort für sich. Viola war nie gut darin gewesen die Gefühle und Sorgen aus ihrem Blick zu verbannen. Für den Elf war sie ein offenes Buch und es behagte ihr nicht Geheimnisse vor ihm zu haben. Andererseits fürchtete sie mehr als andere, was die Wahrheit anrichten konnte. Sie hörte Andvari zu und seufzte niedergeschlagen. Ein Gedanke ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Der Elf vergaß, dass Viola und Vaeril in einem Punkt gar nicht so verschieden waren.
      "Vaeril handelte böswillig und blind von Rachedurst.", murmelte sie. "Aber du vergisst etwas, mein Liebster. Wenn er sich dieses Frevels schuldig gemacht hat, gilt dasselbe auch für mich. Ich habe das schon einmal gemacht, mehrfach eigentlich, als wir in Beleriand..."
      Eine zarte Röte legte sich über ihre Wangen. Andvaris Aura hatte vertrauensvoll in ihren Händen gelegen, eng umschlungen in einem Augenblick der Leidenschaft. Damals hatte sie nichts gewusst, dass sie mit seinem Leben spielte. Sie würde dieses Risiko nicht noch einmal eingehen.
      Viola seufzte und drückte die Hände in die Matratze um sich aufzurichten. Erneut nahm sie seine Hand zu sich und betrachte die verschlungenen Finger in ihrem Schoß. Sie saß neben ihm auf dem schlichten, harten Bett und schien nach den richtigen Worten zu suchen.
      "Als Lhoris mich fand und meine Wunden versengte um mich zu retten, griff ich verzweifelt nach seiner Aura um mir sein Feuer zu Nutze zu machen und die Blutungen zu stillen, die seine Hitze äußerlich unmöglich erreichen konnte. Vaeril hatte mich durchbohrt. Ich hatte Angst und wollte nicht sterben. Nicht so. Nicht durch ihn."
      Die Heilerin knirschte beinahe frustriert mit den Zähnen.
      "Und ich tat es erneut, als er beinahe an den Verletzungen starb, die ihm im Kerker dieser Stadt zugefügt worden waren. Lhoris hat mir bereits das Versprechen abgenommen, es nie wieder zu versuchen. Was hätte ich anderes tun können? Ich konnte ihn nicht sterben lassen."
      Viola drückte seine Finger. Sie sah Andvari nicht an, weil sie sich vor dem Urteil in seinem Blick fürchtete.
      "Ein wenig Zeit bleibt uns", antwortete sie. "Allerdings kenne ich nur einen Ort, an dem wir die Chance auf Heilung bekommen, die wir benötigen. Wir müssen noch einmal zurück zum Tempel der Meriel, aber dafür benötigen wir Hilfe. Niemand wird uns einfach durch das Tor reiten lassen. Und selbst zu Pferd könnte der Weg uns zu viel Zeit kosten."
      Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. Sie war hin und her gerissen.
      "Da ist noch mehr", gestand sie. "Aber ich habe Angst, dass du mich mit anderen Augen ansiehst, wenn ich dir die Wahrheit sage."
      “We all change, when you think about it.
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    • Die zarte röte ihrer Haut ließ ihr Gesicht nur noch strahlender erschienen, auch wenn die Thematik nicht recht dazu passen wollte. Ja, es stimmte. Sie selbst hatten sich dieses Frevels schuldig gemacht, jedoch erschien es Andvari eher wie ein Experiment als wirkliche Praxis. Und es war kein Übelwille damit verbunden gewesen, wenn man es so wollte.
      Also schüttelte der Elf den Kopf und schmollte.
      "Es ist etwas anderes", murmelte er. "Wir lieben uns und es war mehr ein Greifen nach dem anderen als wirkliches Infiltrieren eines Geistes. Wir haben nichts übles gewollt und ich habe dich eingelassen. Ich hätte es verhindern können..."
      Tief im Inneren wusste der Elf, dass es nichts anderes war. Freilich war es auf freiwilliger Basis geschehen, aber dennoch war es ein Vermischen zweier Auren die nicht zueinander gehörten. Violas Kräfte und die Absorption anderer Auren machte dies jedoch eigentlich erst gefährlich. Wenn man dies verhindern konnte...
      "Du schwebtest in Gefahr, Liebste", flüsterte Andvari und sah sie sanft an. Sicherlich hatte auch Lhoris das gewusst. "Und Lhoris wusste das. Jeder hätte nach einem Strohhalm gegriffen. Ich selbst habe nach dem letzten Strohhalm gegriffen als es mir nicht gut ging. Das macht uns..."
      Ja, was? Menschlich? Elfisch? Kontinental?
      Schweigsam lauschte er weiter ihren Worten und das Verständnis stahl sich nicht aus seinem Blick, als er sie ansah und seufzte.
      "Viola", begann er mit krächzender Stimme. "Du hast getan, was getan werden musste. Lhoris ist ein Krieger, seitdem ich denken kann und auch er weiß, was Kriege aus Menschen wie Elfen machen können. Und du bist ein Mensch mit besonderen Kräften, der diese erst noch beherrschen muss. Niemand wird dir deswegen einen wahrhaftigen Strick drehen können."
      Seufzend drückte er ihre Hand und verzog kurz das Gesicht vor Schmerz als er sich ihr zuwandte und ihren letzten Worten lauschte. Er bemerkte die Nervosität und das Zaudern in ihrem Blick, doch entschied sich, geduldig zu warten, bis sie bereit war.
      "Nein", sagte er und nickte. "Der Tempel ist wahrlich eine große Strecke, die wir zeitlich kaum schaffen können. Die Frage ist eher: Weshalb genau dahin? Der Tempel war nicht gerade hilfreich in seiner Weisheit und ich verstehe nicht..."
      Bei ihrem letzten Satz hielt er inne und zog die Augenbrauen hoch.
      "Und weshalb sollte ich das?", fragte er grinsend. "Welche Wahrheit könnte ich in Kriegszeiten fürchten? Und warum fürchtest du meine Reaktion?"
      Andvari schüttelte den Kopf und grinste weiter.
      "Hab keine Angst. Gemeinsam werden wir schon eine Lösung finden. Was bedrückt dich?"

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    • "Etwas anderes ist es nur solange bis ich jemanden damit verletzte", murmelte Viola.
      Mit der freien Hand angelte sie einen Becher mit kühlem Wasser von dem kleinen Tisch neben dem Bett, Sie half Andvari ein paar kühlende Schlucke zu nehmen um das Krächzen seiner Stimme ein wenig zu lindern.
      Dennoch verfehlten die tröstlichen Worte nicht die gewünschte Wirkung. Die Anspannung in den schmalen Schultern ebbte ein wenig ab und sie schenkte Andvari ein dankbares Lächeln. Sie war dankbar für sein Verständnis und die Geduld, die er jedes Mal aufs Neue aufbrachte, sobald die Heilerin mit sich selbst und ihrem Platz in seiner Welt haderte. Andvari verzog unter Schmerz das Gesicht und erinnerte Viola daran, dass er erst vor wenigen Minuten aus seinen tiefen Schlaf erwacht war. Behutsam kreisten ihre Fingerspitzen über die aufgesprungenen Knöchel. Was für eine miserable Heilerin sie doch war, die ihren Patienten in diesem Zustand mit Bedenken und Sorgen überschüttete. Für den Bruchteil einer Sekunde spielte Viola mit dem Gedanken, das Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt fortzusetzen bis Andvari sich erholt hatte. Die friedliche Aura des Tempels könnte ihnen dabei zu Gute kommen. Hier, in Hallen der heilkundigen Ordensbrüder waren sie umgeben von Tod und Leid. Kein gutes Omen für das, was Viola zu sagen hatte.
      "Was mich bedrückt ist eng mit dem Tempel der Meriel verknüpft, befürchte ich", antwortete Viola und ließ ihre Fingerspitzen federleicht über seinen Handrücken tanzen. Vorsichtig drehte sie seine Hand und fuhr die tiefen Linien in seiner Handfläche nach bis sie die Innenseite seines Handgelenkes streifte. Das Leben pulsierte gleichmäßig unter ihren Fingerspitzen und mit einem sanften Seufzer ließ sie einen Funken ihrer Aura durch seine Adern fließen, wärmend und schmerzlindernd. Violas Blick ruhte auf der Berührung und der Verbindung zwischen ihnen, gleichzeitig schien sie weit in die Ferne zu sehen.
      "Magie ist ein merkwürdiges Gefüge, findest du nicht?", flüsterte sie. "Wir wissen, dass Magie ganze Völker entzweien kann, aber sie kann Wesen auch miteinander verbinden. Glaubst du, dass eine Verbindung, die durch Magie geschmiedet wurde, echt ist?"
      Viola sah ihn einen Moment lang an.
      "Während meiner Zeit hier habe ich Nachforschungen über meine Familie angestellt", fuhr sie fort. "Nachdem wir in Beleriand bereits darüber gerätselt haben, was es mit meinen Kräften auf sich hat, wollte ich nach Spuren in den Memoiren der de Clairmonts suchen. Ich weiß jetzt, warum mein Urgroßvater seine Titel niederlegte. Erinnerst Du dich daran, was ich dir über ihn erzählt habe? Dass er der Liebe willen, seiner Heimat den Rücken kehrte?"
      Viola zögerte und grub erneut die Zähne in die bereits malträtierte Unterlippe.
      "Mein Urgroßvater liebte ein Elfe, Andvari. Deshalb ging er fort, um mit ihr in Frieden leben zu können", flüsterte sie. "Sie war eine Tochter der Meriel. Sie war die Letzte."
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”