The Lesser Evil (Winterhauch & NicolasDarkwood)

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    • Lhoris und Gustave lauschten den Worten der jungen Heilerin. Mit Sicherheit besaß sie nicht die Übung vor dem Rat zu sprechen, aber ihre Worte enthielten durchaus die Wahrheit. Leider waren es Worte, die sich der Hohe Rat nicht einmal ermessen konnte. Niemand konnte die Erfahrung der jungen Frau teilen, welche die Schrecken der Prinzen ausgelöst hatten. Vielmehr war es Hörensagen, das sie hier preisgab und Pompidou fühlte ihre Fälle schwimmen.
      Er musste es schaffen, dass der Hohe Rat dem Rüsten zustimmte. Und er musste Lucien dazu bekommen, die Macht an sich zu reißen. Und dies gelang nur mit einem Weib an seiner Seite. Liebte er, was und wen er wollte, aber es brauchte einen starken Erben des Reiches, ehe die Elfen sich rüsteten, bevor seine Schritte Wirkung zeigten.
      Mit den Kiefern mahlend knetete er seine langen Finger und lauschte dem bitteren Flüstern im Raum. Seufzend ließ sich feststellen, dass nicht alle dem Vortrag wohlgesonnen waren und so blieb nichts anderes...
      Schweigsam erhob sich das Ratsmitglied und klopfte mit seiner Faust zweimal auf den schmalen Tisch vor ihm.
      "Meine verehrten Ratsmitglieder, wenn ich-"
      Seine weiteren Erläuterungen gingen in einem Poltern ausserhalb der Ratskammer unter. Schwer schmiss sich Etwas gegen die dicke Holztür, sodass diese erzitterte. Von draußen drangen Stimmen an die Ohren der Kammer und es wurde mehrfach um Stillstehen geordert. Pompidou war selten aus der Fassung zu bringen, jedoch starrten seine Augen just in dem Moment kalt und berechnend zur Tür, als diese aufgerissen wurde und ein Mann die Kammer betrat.
      Ein Mann, den alle im Raume kennen sollten.
      Die Schultern des Mannes wirkten eingefallen trotz der stählernen Muskeln, die er an sich trug. Das hellgrüne Wams war vom Kriege zerrissen und gesprenkelt mit getrockneten Blutschwaden, die sich quer über seine Brust zogen. Der schwere kahle Kopf wurde von einem wirren Bart gesäumt, der ebenfalls von Blut getränkt war. Das linke Auge des Mannes war verbunden und die mächtigen Hände lagen in schweren Eisen, ehe er in den Raum stolperte.
      Volgast Tenebria hatte durchaus bessere Tage erlebt als diesen. Seine Schritte waren schwer und in seinem Bein steckte ein abgebrochener Pfeil, den er zu ignorieren schien. Mühsam wehrte er sich gegen die Fesseln um seine Handgelenke und begann zu ächzen, als die Wachen ihn zu Boden rangen und ihm Waffen an den Hals hielten.
      Schnell und beinahe unsehbar glitt sein Blick durch die Reihen und heftete sich an Gustaves. War das ein Hilferuf?
      "Haltet ein!"; rief Gustave und hob die Hand. "Fürstin und hohe Ratsmitglieder! Haltet ein!"
      Einen Moment lang schienen zumindest die Wachen inne zu halten, sodass der Riese sich auf die Knie begeben konnte.
      "Hört...mich an...", krächzte er und sah zur Comtesse hinauf.
      Pompidou nickte.
      "Ich stimme zu. Ich möchte hören, was er zu sagen. Was ein Mitglied der Sieben Fürchterlichen Generäle zu sagen hat!"

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    • Missbilligende Blicke wohin Viola auch sah.
      Die Wenigen, die mit augenscheinlicher Besorgnis den Worten lauschten, ließen sich an einer Hand abzählen. Hilfesuchend, obwohl Pompidou in ihren Augen das Vertrauen nicht verdiente, sah sie die Heilerin, verloren zwischen Politikern und Skeptikern, die Empore herauf. Von Pompidou wanderte ihr Blick über die Reihen von finsteren Mienen bis sie bei Lucien verweilte. Der Thronerbe mahlte angestrengt mit den Kiefern und hatte im Augenblick lediglich Augen für die Comtesse de Beaufort, die mit einem süffisanten Gesichtsausdruck und widerlich gönnerhafter Weise auf Viola herabschaute.
      Endlich erhob Pompidou die Stimme.
      Verunsichert spitzte Viola die Ohren und fragte sich, ob der spitzzüngige Poliker ihr damit einen Rettungsanker zuwarf oder die sprichwörtlichen Fesseln noch enger um sie schnürte. Mit jeder Anspruchnahme seiner Hilfe und jeder Bitte um Unterstützung zog sich die Schlinge fester zu, band sie stärker an einen Ort, der Viola fremd geworden war.
      Mit einem ohrenbetäubenden Poltern vor den imposanten Eichnportalen überschlugen sich die Ereignisse.
      Das Stimmengewirr erhob sich zu einem beinahe unterträglichen Summen und mischte sich mit entsetzten Aufschreien, als die hünenhaften Gestalt von Volgast Tenebria in die Ratshalle schlurfte. Die Wachen an seiner Seite konnten den Hünen selbst mit massiven Eisenketten kaum in Schach halten, doch angesichts der offensichtlichen Verletzungen gab auch der stärkste Körper irgendwann auf. Volgast, gefürchteter Krieger und mächtiger Windbändiger aus aberdutzenden von abenteuerlichen Geschichten, ging zu Boden wie ein umgestürzter Fels.
      Viola schlug erschrocken eine Hand vor den Mund.
      Eine eigenartige Mischung aus Entsetzen und Erleichterung flackerte in der leuchtend grünen Iris, doch als eine tödliche Speerspitze sich gegen die entblöste Kehle des Mannes presste, vergaß die Frau in welchen erlauchten Hallen sie sich befand.
      Bevor Pompidou ein Wort geäußert hatte, war die mit dem Druck überforderte Heilerin von dem leicht erhöten Podest im Zentrum gesprungen.
      "Volgast!", rief sie aus und der schockierte Tonfall hallte als verzweifeltes Echo kristallklar von den hohen Wänden wieder.
      Sie kam kaum in seine Nähe, da richtete sich ein zweiter Speer auf die junge Frau, die knapp rechtzeitig auf dem spiegelglatten Boden zum Stehen kam. Viola fixierte die bedrohliche Waffe, deren scharfkantige Spitze unmittelbar gegen das entblöste Schlüsselbein drückte knapp oberhalb der zarten Narbe, die sie im Tempel der Meriel davon getragen hatte.
      Ein magischer Puls fegte durch den Raum.
      Ein gewöhnlicher Mensch verspürte lediglich einen leichte unbehagliche Veränderung, ein sachtes Gefühl des Unwohlseins.
      Für alle, die in ihrem Leben mit Magie in Berührung gekommen waren, fühlte sich die Luft eigenartige aufgeladen an wie unmittelbar vor einem heftigen Gewittersturm. Violas Aura, für gewöhnlich von wohltuender Sanftheit erfüllt, umgab die zierliche Frau wie eine unsichtbare, wabernde Wolke. Kaum merkliche, schwarze Tupfen schmückten den äußeren Rand der grünen Iris. Die Hände des Soldaten begannen langsam aber stetig zu zittern und die lebendige Farbe verschwand allmälich aus dem energisch wirkenden Gesicht.
      "Soldat! Senk die Waffe! Das ist ein Befehl!", übertönte die Stimme Luciens die Unruhe.
      Als der besagte Soldat mit einem flüchtigen Blick zur Comtesse herüber sah, knurrte Lucien neben Pompidou verärgert.
      "Sieh nicht die Comtesse an. Dein Kronrpinz hat die einen Befehl gegeben, Soldat.", herrschte er. "Waffe runter, sofort!"
      Ertappt zuckte der Krieger in silberner Rüstung und den landestypischen bläulichen Farben Bourgones zusammen während Lucien die Treppenstufen hinabschritt. Langsam senkte der Soldat die Waffe über dessen geschliffene Spitze ein einzelner Blutstropfen perlte.
      Die Comtesse, zur Freude einiger Anwesenden im Raum, wirkte aufgrund der selten zur Schau gestellten Autorität des Prinzen zum ersten Mal seit langer Zeit sprachlos.
      Lucien saß in der Zwickmühle.
      Einen Verbündeten am Boden zu sehen und dennoch für das schaulustige Publikum eine gewisse Distanz zur Schau zu stellen, war ein wahrer Drahtseilakt.
      "Viola. Hat er dich verletzt?", murmelte er.
      Ein kurzer, fragender Blick aus dem Augenwinkel glitt zu Lhoris, denn er spürte es auch, das unangenehme und kühle Kribbeln direkt unter der Haut. Behutsam berührte er Viola an der Schulter. Die offen gezeigte Sorge schürte ein Geflüster ganz anderer Natur.
      "Nein. Es nur ein Kratzer.", antwortete die Heilerin mit belegter Stimme, den Blick auf Volgast gesenkt.
      Ein Blick des Kronprinzen genügte und die drohende Schneide verschwand von der Kehle des Generals. Es wurde Abstand genommen, doch die Ketten blieben. Mehr brauchte Viola nicht, um Form und Anstand zu missachten und sich auf Augenhöhe mit Volgast zu begeben. Sie sprach nicht, sondern bemühte sich um ein wackeliges Lächeln.
      "Sprecht, Volgast Tenebria.", forderte Lucien ihn auf.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Volgast befand sich in einer Trugschlusssituation.
      Auf Knien und Aug in Aug mit den Speeren an seinem Hals ließ es sich beinahe um eine Zwickmühle vermuten, jedoch wirkte der Zauberer nicht einmal milde beeindruckt. Zu sehr stach die Erschöpfung und die Müdigkeit aus dem gesunden, unverbundenen Auge, während er sich versuchte, aufzurichten.
      Selbst kniend überragte er so manches Ratsmitglied und war nicht minder erstaunt als Viola sich dazwischen warf und ebenfalls zumindest verletzt wurde. Er war zu schwach, um Wutr zu empfinden, doch fühlte die Hitze in der Luft, als wäre sie sein altgedienter Mantel in kalter Nacht.
      Schweigsam hob er den Blick zu Lhoris, der sich unmittelbar und in Windeseile erhoben hatte und die Soldaten anstarrte, als wollte er ihre Seelen eine nach dem anderen fressen. Selten sah man den Elfen derart wütend, ehe Lucien eingriff und beide Soldaten aus ihrer Starre holten.
      "Viola...", flüsterte Volgast und versuchte sich an einem Lächeln. Vielleicht war es der Situation geschuldet, aber das Lächeln barg mehr Schmerz als Hoffnung für die Situation.
      Auf Luciens Aufforderung hin sah er den Prinzen an und erhob zumindest seinen Oberkörper in eine gerade Haltung, damit er die Comtesse und die anderen Ratsmitglieder ansehen konnte.
      "Ratsmitglieder von Bourgogne", rief er mit kräftiger, lauter Stimme. Sie klang rau, verschrien vom Krieg und beinahe dünn für seine Verhältnisse. "Ich bin gekommen, um euch zu verkünden, dass Beleriand gefallen ist."
      Ein Raunen ging durch den Saal und selbst Pompidou musste sich bleich im Gesicht hinsetzen.
      "Wir haben tapfer gekämpft und viele Male die Truppen der Elfen zurückgeschlagen, wurden aber dennoch schlussendlich vom Feind besiegt. Wir haben die Stadt über Nacht aufgeben müssen und derzeit befindet sich die streunende Armee auf der Flucht im Niemandsland. Ich bitte Euch inständig...Mit allem was ich habe,...Bitte gewährt uns Asyl! Bitte öffnet Eure erhabenen Tore für die Armee, die Eure Grenze verteidigte, bis das letzte Blut vergossen war. Wir haben verletzte und Tote zu beerdigen und brauchen ein Obdach, bis wir wieder kampfbereit sind!"
      Schließ ließ er sich auf seine schweren Schultern nieder und neigte den Kopf.
      "Ich flehe Euch im Namen von Andvari an. Bitte gewährt uns Asyl."

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    • Volgast' Lächeln schenkte Viola keinerlei Trost.
      Die Pein darin überschattete alle hoffnungsvollen Lichtblick und hinterließ eine eisige Kälte im Herzen der Heilerin. Die Frage, die bleischwer auf der Zunge lag, wollte einfach nicht über die Lippen kommen. Es glich einer Erlösung als Kronprinz Lucien des Wort ergriff und dennoch zerschlug die darauffolgende Antwort jeder Hoffnung. Viola schlug die Hände schockiert vor den Mund und dämpfte damit das traurigen Wimmern der Bekümmerung. Beleriand, das letzte Bollwerk im Niemandsland war gefallen.
      Unzählige Gedanken schossen der Heilerin durch den Kopf und spiegelten sich im schimmernden Blick der grünen Augen wieder.
      Bei der Erwähnung von Andvaris nahmen zersplitterte etwas tief in der Seele, die bis zu letzten Sekunde um gute Nachrichten bangte.
      Im Hintergrund spürte Viola die Anwesenheit von Lhoris und Lucien.
      Die angespannte Stille, die dem verzweifelten Flehen folgte, erdrückte Viola mit ihrem gnadenlosen Gewicht.
      Niemand in den ehrfürchtigen Hallen des Hohen Rates wagte ein Wort zu äußern und in ihrem Rücken richteten sich die fragenden Blicke zu dem erhöhten Podest und der Comtesse. Letzte trug einen ungewohnten Ausdruck der Fassungslosigkeit. Obwohl jeder in diesem Saal Beleriand bereits vor langer Zeit aufgegeben und die verbliebenen Menschen im Niemandsland sich selbst überlassen hatte, traf die Neuigkeit jeden Einzelnen bis ins Mark.
      Die Comtesse behielt das Kinn erhoben und atmete hörbar durch die Nase aus; schwer und kontrolliert.
      "Lächerlich. Wir sollen die Tore für unseren Feind öffnen? Für Mörder, Abtrünnige und gesuchte Verbrecher?", zischte sie und Viola traute ihren Ohren nicht. "Das wird eine Panik in der ganzen Stadt auslösen. Die Bürger in Bourgone werden nicht wissen, wie ihnen geschieht. Wenn wir das tun, steht uns ein unkontrolliertes Chaos bevor."
      Wortfetzen der Zustimmung und des Widerspruchs erhoben sich in der Halle und hallten von der kristallenen Glaskuppel wieder.
      Viola blickte über die Schulter und sah in Luciens Blick, dass die Comtesse nicht Unrecht sprach. Die Besorgnis spiegelte sich gequält im Blick des Prinzen wieder.
      "Ich stimme der Comtesse zu.", sprach er mit beherrschter Stimme. "Wir riskieren Unruhen ungeahnten Ausmaßes. Niemand möchte einen wütenden Pulk von Bürgern mit Fackeln und Mistgabeln in den Straßen."
      "Aber...", protestierte Viola und erhob sich, nur schwerlich den Schein der Distanz wahrend. "Das könnt Ihr nicht machen. Ich flehe Euch an."
      Der selbstzufriedene Ausdruck der Comtesse erstarb jedoch schnell, als Lucien ein weiteres Mal sprach.
      "Entsendet einen Spähtrupp. Sie sollen der Streunenden Armee entgegen reiten und sie durch die Lande geleiten. Wir können die Tore nicht für die vollständige Armee öffnen, aber wir werden die Schwerverwundeten einlassen und versorgen. Es gab genug Tote. Die Streunende Armee erhält freies Geleit bis an die Mauern Bourgones und ist ermächtigt ihr Lager im Schatten der Stadt aufzuschlagen, bis weitere Entscheidungen getroffen wurden. Das ist alles, was ich Euch gewährend kann, Volgast."
      Auf den Emporen und Rängen explodierte Entrüstung.
      "RUHE!", donnerte Lucien. "Mein Wort gilt. Soldaten...Nehmt ihm die Ketten ab."
      Widerwillig kamen die Männer der Aufforderung nach.
      "Volgast...Sagt mir, lebt Prinz Andvari Valverden noch?", forderte er und sprach damit aus, was Violas sämtliche Existenz zu wissen begehrte.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Als die Ketten von den Händen des Hünen fielen, wagte er das erste Mal einen vorsichtigen Blick in die Runde der Ratsherren. Man hatte ihn durch Spione gewarnt, dass die Ratshalle einer Löwengrube gleichkam, aber dass es sich derart zuspitzte, hatte Volgast auch nicht bedacht.
      Schweigsam erhob er sich schwerfällig auf die Knie und schließlich in die Höhe. Alle im Raume überragend, wirkte er für eine Sekunde so furchterregend, dass selbst Pompidou ihm den Titel eines der Sieben Fürchterlichen Generäle zu sprechen musste. Ein kurzer Seitenblick wurde zwischen Volgast und Gustave ausgetauscht, ehe sich das Ratsmitglied setzte und die Ausführungen von Lucien hörte.
      "Ich danke Euch", flüsterte Volgast und neigte vor Lucien den Kopf, als dieser zumindest etwas in Angriff nahm. "Es ist mehr als wir erwarten können. Dennoch betrübt es mich sichtlich, dass den Verteidigern Eures schönen Landes nicht mehr -"
      Ein Donnern erhob sich durch den Raum, ehe sich die Blicke auf Pompidou richteten, der mit der Faust auf seinen Tisch geschlagen hatte. Die Augen des alten Mannes erschienen mit einem Mal kälter als vorher und mahnten selbst den Riesen zum Schweigen, ehe er wieder zu Lucien sah. Das Gemurmel im Saal war bereits bis an die Decke hervorgedrungen und es war nur eine Frage von Sekunden, bis die Comtesse wieder nach der Macht griff.
      Auf die Frage von Lucien, hietl sich Volgast zunächst zurück, ehe er Viola ansah, um sich anschließend zu Lucien zu wenden.
      "Mein Herr ist am Leben", nickte er und ließ die Schultern hängen. "Jedoch verletzt. In der letzten Schlacht überrannte uns die Weiße Garde mit Drachen. Traumgestalten, geschaffen von Prinz Faolan von Tirion. Mein Herr kämpfte bis zum Letzten, musste sich aber schließlich einem der Drachen geschlagen geben. Er trug Verletzungen davon, die wir versorgen konnten."
      "Sagt mir, Volgast!"
      Pompidous Stimme erhob sich dazwischen und erneut lag der ruhige, aber kalte Blick auf dem Riesen, der sich merkwürdig ertappt umdrehte.
      "Habt Ihr Nahrung?"
      "Verzeiht?"
      "Nahrung! Zu Essen! Habt ihr sie?"
      Einen Moment lang sah Volgast ratlos in das runzlige Gesicht, ehe ein Erkennen sich breit machte.
      "Wir haben keine Nahrung. Wir verloren sie in Beleriand."
      Das war alles, was er brauchte.
      "Eure Hoheit", begann Gustave und erhob sich schneller als man schauen konnte aus seinem Stuhl. "Ich biete mein Heim für einen Stoßtrupp der Armee an. Man möge meine Keller leeren und die Nahrung zu den Kriegern bringen. Wenn es genehm ist..."

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    • Lucien de Bourgone mochte einen zweifelhaften Ruf unter den edlen Mitglieder der feinen, höfischen Gesellschaft genießen.
      Ein Kronprinz, der freimutig durch die Betten der Provinzen zog und dabei wenig Unterschied zwischen einem verlockenden Rocksaum oder dem gestählten Körper eines Soldaten machte. Ob adliger Jüngling oder hübsche Fürstentochter; Prinz Lucien frohlockte allzu gern den schöneren Freuden des Lebens und weniger den staubtrockenen Beratungen über notwendige Steuern. Zweifellos ein talentierter Feldherr, aber mit einem begnadeten Augenmerk für die ausschweifenden Vergnügungen für die verführerischen Künste. Nicht der Thronfolger, den sich der steife und angestaubte Adel wünschte und dennoch das zukünftige Haupt für die Krone. Er bemerkte mehr, als die Anwesenden ihm zugestanden, weshalb der flüchtige Blickkontakt zwischen Volgast und Pompidou seine Aufmerksamkeit erregte. Die augenblicklichen Gegebenheiten gestalteten sich jedoch mehr als ungünstig um seinen Verdacht anzusprechen. Etwas stimmte nicht.
      Pompidous Bereitwilligkeit die eigenen Vorräte für den augenscheinlichen Feind zu opfern, war mehr als ein glücklicher Zufall.
      "Ein großzügiges Angebot.", nickte Lucien und neigte leicht das Haupt einer dankenden Geste.
      Die Comtesse erbleichte obgleich des geführten Gespräches, dass ihre bisher gefestigte Position untergrub, und versuchte sichtlich bemüht die beschleunigte Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Die gierig angehäufte Macht begann durch ihre zarten Hände zu rieseln.
      "Meine edlen Ratsmitglieder, bedenkt welches Leid unser Feind über dieses schöne Land brachte?", begehrte sie auf. "Wollt ihr wirklich Kriminelle und spitzohrige Mörder in die Nähe unserer Stadtmauern lassen? In die Nähe von Haus und Familie? Pompidou! Prinz Lucien! Das ist Irrsinn! Kein Elf hat je das Herz unseres Reiches betreten und gelangte lebend bis an die Stadttore, bis ihr einer Verräterin und diesem Wilden dort Tür und Tor geöffnet habt!"
      "Madame, ihr vergesst Euch und wem Ihr sprecht", entgegnete Lucien kühl und bezog neben Viola neue Stellung. "Ich, Kronprinz Lucien de Bourgone, Thronfolger und zukünftiger Regent der freien Königreiche der Menschen, gestatte der Streunenden Armee die Zuflucht an den Toren von Bourgone."
      "Der Kaiser würde...", ertönte die spitze Stimme vom Podest.
      "Der Kaiser, mein Vater ist augenblicklich außer Stande die Entscheidung zu fällen. Wollt Ihr die Gesundheit Eures Herrschers wirklich damit belasten.? Wollt Ihr ihm mitteilen, dass dieser Rat nicht dazu in der Lage war, die letzten Bollwerke im Niemandsland zu halten?", zischte Lucien mit mehr Drohung als Viola je von ihm gehört hatte.
      Es wurde wieder still. Die Comtesse nahm Platz und vergrub die manikürten Nägel in den Handflächen.
      "Vortrefflich.", lächelte Lucien ehe er sich zu Volgast, Viola und Lucien wandte.
      "Volgast Tenebria, Lhoris Farvalur. Als Verbündete von Prinz Andvari Valverden verbleibt ihr in Bourgone unter entsprechender Bewachung und zur weiteren Genesung.", verkündete der Menschenprinz, der dem verbündeten Elf einen unbemerkten aber entschuldigen Blick schenkte. Lhoris war nicht in der Verfassung für eine Reise zu Pferd. Das Folgende würde allerdings auf wenig Anklang treffen.
      "Die Heilerin Viola de Clairmont wird als Vertraute Prinz Andvaris an meiner Seite den Spähtrupp begleiten, als Pfand für unsere Sicherheit gegenüber der Streunenden Armee und als Botin unserer guten Absichten."
      Der Kronprinz vollendete das kleine Schauspiel mit einer ausgestreckten Hand, die Viola zögerlich ergriff.
      Das erstaunte Geflüster klang viel zu laut in ihren Ohren.
      "Ist das in Eurem Sinne, Heilerin Viola?", sprach er leise.
      Trotz der bizarren Situation erschien ein erleichtertes Lächeln auf ihren Lippen. Andvari lebte. Und sie würde ihn wiedersehen.
      "Ja, mein Prinz.", murmelte sie.
      “We all change, when you think about it.
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    • Pompidou konnte nicht anders als lächeln.
      Sicherlich war das nicht der Gang der Dinge wie er gedacht war, aber zumindest eine Änderung hatte er deutlichst herbei geführt. Er hatte aus Lucien einen starken Nachfolger machen wollen und gerade in diesem Moment schaffte es der junge Mann, genau das zu sein. Schweigsam nickte Gustave dem Thronfolger zu und erhob nicht einmal mehr das Wort zur Verteidigung des Planes. Denn auch dies übernahm der Thronfolger souverän und beinahe selbstverständlich. Als hätte er nie etwas anderes getan oder gelernt als derlei Befehle zu geben.
      Erstaunlich, was eine Veränderung der Situation bewirken konnte...
      Volgast und Lhoris nahmen die Worte des Prinzen jedoch mit einem gewissen Missmut entgegen. Sicherlich schuldeten sie ihm Dankbarkeit, jedoch war die Aussicht, weiterhin unter Bewachung zu stehen für keinen der beiden ein lohnendes Auskommen. Schweigsam nickte sie dennoch beide. Volgast und Lhoris tauschten einen tiefen, beinahe intimen Blick, ehe er sie sich wieder lösten und den Thronfolger ansahen. Der Plan war der helle Wahnsinn und doch erschien zumindest der Raum nicht abgeneigt diesem Vorschlag gegenüber.
      "Ich finde", begann Pompidou schließlich. "Wir sollten den Worten des Prinzen einhelligen Glauben schenken, werte Freunde. Lasst uns wohl nicht vergessen, dass wir einst in derselben Lage waren und über einen Kamm geschoren wurden. Und nun verurteilen wir die Völker ebenfalls, nur weil sie auf der anderen Seite der Mauer hausen. Diese Völker, diese Armee, ja auch die Elfen haben für uns gekämpft und die Unseren verteidigt wie ihre Brüder und Schwestern. Aus Berichten meiner Spione darf ich berichten, dass sich die Kämpfe für beide Seiten als Verlustreich gestaltet haben und Beleriand nur unter großer Anstrengung fiel. Eine Armee wie diese als Verbündeten zu haben erscheint durchaus sinnig, nicht wahr?"
      Langsam trat er hinter seinem Sitz hervor und trat den Weg zu Volgast hin, an.
      Als er neben dem Riesen stand und seine Hand beinahe brüderlich auf dessen massige Schulter legte, räusperte er sich erneut.
      "Wir haben einst dem Dunkel der Weißen Armee in die Augen gesehen. Wir haben mit Blut gezahlt. MIt Blut und Tränen. Und heute, werte Freunde, heute haben wir die Gelegenheit, besser als unsere Vorfahren zu sein. Wir können Gnade zeigen, wo man Verderben sähte. Wir können Stärke zeigen, wo man Schwäche erwartete. Und es bedarf dafür nur der Tatsache, dass wir einem Mann, einem Elfen und seinen Getreuen eine Zuflucht bieten..."
      Wachsam sah er in den Rat und ignorierte die Comtesse erneut völlig. Der Rat musste zustimmen. NUr eine Stimme dagegen und sie würden einen brüchigen Frieden schließen, der ihnen entgegen kam.

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    • Eine kühle Frühlingsbrise erfüllte die frühen Morgenstunden.
      Der gleichmäßige Klang beschlagener Hufen auf holprigen Straßen ertönte über die kargen Felder der weiten Ebenen bis hin zu den Nadelwäldern, die die Äcker der Bauern umsäumten. Das Gerücht des herannahenden Krieges, der letztendlich die Grenzen überquert und sich bedrohlich dem Herzen der Menschenlande näherte, hatte viele Bewohner der umliegenden Dörfer und kleineren Handelsstädte zur Flucht in Richtung Kaiserstadt veranlasst. Ein Tross aus Rittern begleitet vom Kronprinzen höchstpersönlich ließ sich kaum verbergen. Überall kreuzten schwer bepackte Maultiere und Ochsenkarren die Wege Reiter. Sie alle versuchten rechtzeitig Schutz um Schatten der hohen Mauern Bourgones zu finden bevor die kriegshungrigen Elfen vor ihren Haustüren standen. Die streunende Armee floh über die Grenzen und ihnen folgten Oberons Soldaten ohne jegliche Gnade.
      Viola blickte über die triste Landschaft, deren eintöniges Braun und Grau vom ersten, zarten Frühlingsgrün unterbrochen wurde.
      Einzelne Bäume zeigte bereits saftige Blattknospen und die ersten Feldfrüchte reckte sich den wärmenden Sonnenstrahlen entgegen. Sie alle konnte dem Getrampel schwerer Stiefel und dem verwüstenden Feuer zum Opfer fallen wie das einst fruchtbare Niemandsland.
      Die Heilerin konnte immer noch nicht glauben, dass sie warm eingepackt in edlem Fuchsfell, das das Innenfutter ihres Mantels bildete, auf einem stolzen Rappen neben Lucien an der Spitze des Zuges ritt. Es war ein kleiner Tross im Vergleich, aber schnell und gut bewaffnet.
      Die Comtesse war überstimmt worden, nachdem alle Ratsmitglieder wie gebannt an den Lippen von Pompidou und ihres Kronprinzen gehangen hatten. Die beiden Männer bildeten gemeinsam eine aus geschickten Worten zusammen gesetzte Naturgewalt, die sich keiner hatte entziehen können. Die stolze Comtesse hatte den Kürzeren gezogen und war verschwunden um ihre Wunden zu lecken. Zweifellos arbeitete sie bereits an einem Gegenschlag, der ihnen allen zum Verhängnis werden konnte. Versagte das Bündnis würden Köpfe rollen. Etwas anderen hinterließ eine seltsame Kälte in der Magengrube.
      Das Geflüster hatte sich verbreitet wie ein Lauffeuer.
      Der Kronprinz, Hand in Hand mit einer vermeintlichen Verräterin. Von der Heilerin, mit den wilden Locken wie glühendes Herbstlaub und den bezeichnenden Narben im Gesicht. Die Soldaten vor Lhoris Kammer hatten ebenfalls nicht lange geschwiegen über die Frau, die nachts dort ein uns ausging. Es war einmal gewesen und wuchs mit jeder wiederholten Erzählung ins Absurde. Das war nicht alles. Von einer heimlichen Liebschaft des Prinzen bis zu dem Vorwurf, sie hätte den Prinzen mit Elfenmagie verhext war eine Version lächerlicher als die andere. Aber zu Zeiten wie diesen besaßen Worte eine unheimliche Macht. Pompidou und Lucien hatten es bereits bewiesen.
      Viola lächelte dennoch.
      Sie würde ihn wieder sehen. Andvari. Endlich.
      Lucien neben ihr schnalzte mit der Zunge und ließ den störrischen Apfelschimmel, der sich nur vom Kronprinzen selbst satteln und führen ließ, neben Viola traben.
      "Würdest du wegen mir so strahlend Lächeln, würde ich dich auf der Stelle bitten meine Königin zu werden.", scherzte er flüsternd.
      "Lucien!", zischte sie und errötete.
      Lachend warf der Prinz den Kopf in den Nacken und pustete ein paar verirrte, blonde Strähnen aus der Stirn.
      "Das ist nicht witzig!", fuhr sie fort. "Du weißt, was die Leute flüstern."
      "Lass sie flüstern, bis sie blau anlaufen, Viola.", erwiderte er. "Gerede gibt es immer bis es den Leuten zu langweilig wird."
      "Wie lange denkst du werden wir noch unterwegs sein?", murmelte sie.
      "Wenn Volgast' Einschätzung richtig ist, sollte uns die Streunende Armee bald entgegenkommen.", antwortete Lucien. "Versprich mir Andvari nicht sofort in traute Zweisamkeit davon zu zerren bis wir die zumindest die Zelte aufgebaut haben. Ich weiß doch wie unbeherrscht junge Liebelei ist...Also bevor du ihm die Rüstung..."
      Ein zierlicher Lederhandschuh, das einzige Wurfgeschoss, das Viola zur Hand hatte, traf den verdatterten Lucien mitten ins Gesicht.
      Mit hochrotem Kopf sah die Heilerin den Prinzen an, der erneut in schallendes Gelächter ausbrach.
      "Schon gut, schon gut...", lachte er.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Aus den Tiefen der Wälder und Berglandschaften Bourgognes schälten sich die müden Sonnenstrahlen heraus.
      Sie waren geritten und marschiert. Hatten geblutet und gelitten und einige waren auf dem Wege herab aus den Bergen verblichen. Verstorben an Dutzenden Wunden, beigebracht durch ihrer eigenen Rasse Schwert.
      Die Streunende Armee machte ihrem Namen alle Ehre.
      Bunt und laut zog sie durch das Tal der Bourgogne. Ein nicht enden wollender Strahl von Leibern, die auf verschiedensten Reittieren oder gar zu Fuß unterwegs war. In der Masse von Soldaten fanden sich die Zwerge in glänzender Rüstung und unter schweren Waffen. Sie ritten Rieseneber aus den nördlichen Eisbergen, die grausig dreinblickten und deren Nüstern wie ein Pferd schnaubten. Die Hauer der Schweine hatte man angefeilt, sodass sie tödlichen Speerspitzen glichen. Die Elfen trugen zumeist leichte Lederrüstungen, die von Blut gesprenkelt erschienen. Viele von ihnen wirkten nicht mehr dem Schönen Volke zugehörig, denn ihre Blicke waren leer und entrückt, wenn man es genau betrachtete. Zu tief saß der Stachel der Niederlage bei Beleriand und zu tief die Erkenntnis, dass sie Faolans Monster nicht besiegen konnten.
      Die Vorhut bestand aus einem Tross von Zwergenreitern, die allesamt wachsam in alle Richtungen sahen. Gleich dahinter folgten drei Bataillone Elfen. Ihnen folgten Halblinge unter Waffen und mit gruselig anmutenden Rüstungen aus Fell und Tierschädeln, während ihre Waffen meist die Ähnlichkeit mit angeschärften Pfannen zu haben schienen. Dennoch waren die Blicke trotz der mangelnden Größe nicht minder finster, als sie starr gen Süden sahen, eine Delegation herannahend.
      In der Mitte des gewaltigen Trosses fanden sich drei Karren. Nur die Armeeführer wussten, dass in dem mittleren Karren Andvari selbst zu liegen war. Der Elf war einer Ohnmacht anheim gefallen und hatte sichtliche Wunden davon getragen. Ein Drachenzahn hatte die Rüstung durchstoßen und seine Brust quer aufgerissen, während über seinem geschlossenen linken Auge eine tiefe Schnittwunde klaffte. Nichts, was ein guter Heiler nicht wieder hin bekam, aber für die erste Zeit war es genug.
      Der zweite Karren war offen gehalten und barg die schlimmere Verletzung.
      Hier lag Symon, der Bohrer. Das Gesicht des Zwergs wirkte ruhig und schlafend, jedoch blutverschmiert. In seiner Seite prangte ein Loch und der notdürftig angelegte Verband verfolgte mehr einen anderen Zweck. Zu seiner Seite saß Farryn Iarpetor und stützte sich schwer auf ihren Hammer.
      Keiner der Soldaten um sie herum sah gut aus. Sie alle trugen Verbände oder offene Wunden. Doch Farryn war einige der Wenigen,l die ihre Wunden nicht verband. Sie blutete aus mehreren Schnittwunden an Schultern und Armen und ihr Gesicht wirkte fahl, während sie aufsah.
      Der Dritte Wagen wurde von weiteren Fürsten der Armee bevölkert.
      Die Nachhut des Trosses bildeten Wesen mit grünlich schimmernder Haut und beinahe durchsichtigen Augen. Dryaden hatte man nicht mehr erblickt, seit die Elfen den Norden bezogen hatten, doch eine ganze Schar von ihnen war Andvari in den Kampf gefolgt. Nachtelfen liefen mit ihnen Schulter an Schulter und stützten sich auf Bögen und Speere, während die bläuliche Haut unter der Sonne zu funkeln begann. Sie alle hatten ihre AUgen verbunden, um dem grellen Licht zu entkommen.
      Zum Abschloss des Trosses folgte eine ganze Herde von Bäumen. Baumgeister, in dessen Krone Lysandra ritt und sich mühsam in den Ästen festhielt.
      Als der Tross den herannahenden Zug von Prinz Lucien erblickte, ritt einer der Zwergenfürsten vor.
      Dieser trug einen schweren, silbernen Hammer und eine ebenso glänzende Rüstung, die keine Ecke zu haben schien. Der rötliche Bart war in einen eleganten Zopf gebunden, der jedoch bereits leicht ausgefranst erschien. Auch hier starrte das Blut Anderer in den struppigen Haaren. Grimmig hefteten sich die Augen des ZWergs unter dem schweren Eisenhelm auf den Zug des Prinzen und grunzend brachte er seinen Eber zum Stehen.
      "HEDA!", donnerte er und rammte den Stiel seiner Hammers in eine dafür vorgesehene Schlaufe. "Ick bin Urok Eisenhammer, Fürst der Eisenzwerge, wa?! Wer jeht da?"

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      The more you drag me to hell
    • Das vertraute Kreischen eines Falken hocb über den Häuptern durchschnitt den beinahe idyllisch wirkenden Zug aus Reitern in silbernen Rüstungen auf ihren massigen Schlachtrössern. Lediglich die Pferde der Bogenschützen und Späher wirkten fast zierlich gegenüber den wenigen gepanzerten Reittieren. Der Spähtrupp des Kronprinzen wartete nicht mit schierer Masse auf, aber dafür mit den engsten vertrauten des Prinzen und den besten Kriegern, die unter seinem Kommando dienten. Lucien mochte eine Vorliebe für die sündhaften Freuden des Lebens haben, aber das er ein fähiger Heerführer und Kämpfer war, konnte ihm bei allem Groll niemand absprechen.
      In diesem Augenblick glitt sein Blick suchend über den Horizont.
      Etwas hatte Isobelle in wolkiger Höhe aufgeschreckt und bald schon erhoben sich die ersten Silhouetten müder Krieger über den kargen Feldern der Bauernschaften. Lucien war als würde der Boden zu ihren Füßen erzittern. Beim Anblick der gewaltigen Baumgeister, die er bereits in Beleriand erblickt hatte, war das Beben der Erde wenig überraschend.
      Erstaunen zeigte sich allerdings im Gesicht der rothaarigen Heilerin, die sich suchend über den Hals des Rappen beugte. Das Ross spürte die aufkeimende Unruhe seiner Reiterin und tänzelte nervös über den matschigen Untergrund. Der berittene Spähtrupp ließ die Streunende Armee geduldig näherkommen. In allen Augen glänzte ein Funken von Verwunderung und vorsichtiger Neugierde. Viele der Männer hatten in ihrem Leben weder leibhaftige Zwerge noch die geheimnisvollen Dryade erblickt. Letztere kannte auch Viola nur aus verstaubten Lehrbüchern. Die Nachtelfen wirkten trotz Augenbinden durcheinflößend. Aus allen Winkeln des Elfenreiches und weit darüber hinaus, hatten sich mystische Kreaturen und magische Wesen dem Ruf des Lichtrufers angeschlossen.
      Lucien zügelte den schnaubenden Hengst zu einem Halt.
      "Grüß Dich, Urok Eisenhammer. Ich bin Kronprinz Lucien von Bourgone und wir sind auf der Suche das den versprengten Überlebenden der Streunenden Armee. Wobei ich denke, dass unsere Suche nun beendet ist.", erwiderte der Kronprinz der Menschen und neigte zum Gruß das Kinn. "Volgast Tenebria suchte mit der ungewöhnlichen Bitte, Prinz Andvari und seinen Getreuen Unterschlupf zu gewähren, das Herz des Menschenreiches auf. Eine sehr mutige Bitte, die belohnt werden sollte. Wir sind hier um die Streunende Armee nach Bourgone zu geleiten, damit die Verletzten versorgt werden können. Es ist lange überfällig, dass wir gemeinsam kämpfen, Fürst der Eisenzwerge."
      Hinter Urok Eisenhammer schlurfte der Tross aus Elfen, Zwergen und allerlei wunderlicher Gestalten mit neugierigem Geflüster näher heran. Ursprung des Wisperns schien die Anwesenheit der Heilerin neben dem Prinzen zu sein, die sich suchend umsah.
      Gerüchte verbreitete sich nicht nur im Königreich der Menschen.
      Die Geschichte um die Menschentochter, die an der Seite des Lichtrufers reiste und in Ketten aber mit erhobenem Haupt nach Tirion geführt worden war, hatte sich über den Wind verbreitet. Die Heilerin mit den Locken von der Farbe glühenden Herbstlaubes und den bezeichnenden Narben, die das blasse Antlitz zierten. Eine Menschenfrau, die ein Elfenartefakt im Kampf geführt und den hinterlistigen, grausamen Baumschatten niedergestreckt hatte. Das Schild unter den Klingen, dessen leuchtende Lichtkuppel vom gesamten Schlachtgetümmel gut zusehen gewesen war. Das Erste der Sieben Schwerter, von dem nach der grausigen Schlacht um Beleriand nichts übrig geblieben war, außer erkaltetem Blut und einem verwaisten Elfenschwert.
      Vielleicht waren es genau diese Geschichten, die Viola einen Weg freigaben, als sie leichtfüßig von dem tänzelnden Rappen abstieg und einem Soldaten die Zügel förmlich in die Hand drückte.
      Sie erblickte Farryn im Herzen des gewaltigen Trosses und schenkte der raubeinigen Kriegerin ein erleichtertes Lächeln. Ein kurzer, aber schweigsamer Blick in den Karren eröffnete den schrecklichen Anblick von Symon. So viel Blut, so viel Leid. Viola seufzte bedrückt und nickt mit dem stummen Versprechen bald nach dem Zwerg zu sehen. Unter den müden Fußsoldaten, zwischen zerbrochenen Bögen und humpelnden Tritten, bemerkte sie Meliorn. Auch ihm nickte sie zu. Ebenso Lysandra, die sie aus der Ferne erblickte. Viele unbekannte Gesichter mischten sich unter die Verwundeten. Wen sie nicht erblickte, war Eyrik. Der fröhliche Barde war nirgends zu sehen.
      Sie hätte mehr Heiler mitbringen sollen.
      Viola brach das Schweigen und sah zu Farryn herüber.
      "Es ist gut dich an einem Stück wiederzusehen, Farryn.", sagte sie mit möglichst fester Stimme. Sie war Grauen gewöhnt, aber es war etwas gänzlich anderes, Freunde in diesem zerschundenen Zustand zu sehen. "Symon...Hält er noch durch?"
      Eigentlich wagte sie kaum die eine Frage zu stellen.
      Ein Wort. Ein Name. Ein vorsichtiges Flüstern, das dennoch soviel Energie barg wie ein Schrei. Sie musste sich vergewissern.
      Volgast hatte sein Überleben versichert, aber in wenigen Tagen konnte Vieles geschehen.
      "Andvari?", fuhr sie fort.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • "Ihr seid mir wohlgegrüßt, Menschenkind, wa!", rief der bullige Zwerg und ließ den Hammer sinken. "Wir ham Verletzte, die wir versorjen müssn, wa."
      Eben noch wollte er Viola aufhalten, sich dem Tross zu nähern, doch bereits an ihrem Blick erkannte er die Frau aus den Geschichten, die sie sich erzählt hatten. Wären sie doch nur früher gekommen...Früher dem Kampfe gefolgt, dem Ruf unter den Sternen. Dann wären so manche Verletzungen entbehrlich gewesen.
      "Wir ham Menschen bei uns! Ein kleiner Tross, der mit uns jekämpft hat. Sin' verwundet, aber lebendich, wa?! Jekämpft wie jute Zwergenkinder!"
      Sorgsam wandte sich der Zwerg nach hinten und gab seinem Tross ein Zeichen, eine Passage zu eröffnen und die Menschen sichtbar werden zu lassen. Ein Hornstoß erklang im Tal und ließ die Erde nochmals erzittern, als die Armee zum Stehen kam und sich selbst die letzten Bäume der Ruhe anheim gaben. Farryn blickte mit fahlen Augen auf, als sie angesprochen wurde. Es war lange her, dass sie eine nicht schreiende Stimme gehört hatte. Die blonden Haare der Elfe waren verklebt von schwärzlichem Blut und den Überresten der Feinde, die sie durch die Lande geprügelt hatte. Ein Seufzen entrang sich ihrer Kehle und schwach nickte sie Viola zu.
      "Hält durch...", flüsterte sie und wies auf den Zwerg. "Tatzelwurm...hat ihn erwischt und durchgebissen. Konnten nichts tun außer verbinden."
      Wie auf Kommando zuckte der Körper des Zwergs kurz und beruhigte sich schlagartig wieder. Vielleicht war es auch ein Irrglaube, dass er allzu lange durchhielt. Farryn war kein Heiler. Nur ein dämlicher Hammerschwinger, die ihre Freunde nicht schützen konnte. Wie viele Leichen hatten sie zurücklassen müssen? Müde ließ sie ihren Kopf hängen um die Tränen zu verbergen, die sich in ihrem Inneren befanden. So vieles gab es zu beweinen, doch dieses Mal nicht. Noch nicht.
      Auf ihre Frage hin wies sie nur mit dem Kinn kurz auf den mittleren Wagen, der noch abgedeckt war. Die Wunden des Elfen würden für sich sprechen. Sie hatten ihn auf dem letzten Rest Stroh aufgebahrt und ihn in warme Decken gehüllt. Die Rüstungen war mit seiner Ohnmacht verloschen und hatte die schlimmen Wunden enthüllt, die er bereits seit einigen Tagen mit sich herum getragen hatte. Ein schwerere Riss auf der Brust, der bereits nicht mehr zu bluten wusste. Das Linke Auge lädiert, als habe man einen Speer hinein gebohrt.
      "Tut...mir Leid", flüsterte Farryn und schloss die Augen. Sie war müde. So unendlich müde.
      Aus der Mitte der Armee schälten sich zwei Elfen heraus, die ihre Gesichter bislang nicht gezeigt hatten. Der eine der beiden waren ein stattlicher junger Mann mit edlen, falkenartigen Zügen und wachen, dunklen Augen. Die dunklen Haare hatte er sich kurzgeschoren und wirkte beinahe jugendlich in seinem Antlitz. Ein Bartschatten umrahmte sein Gesicht merklich. Ein Umstand, der für Elfen nicht häufig war.
      Seine Schwester, in gleichem Alter vermeintlich, trug ihre Haare offen und in edlen Zöpfen gebunden. Beide trugen die Spuren der Kämpfe an sich und gürteten sich mit einem Schwert, als sie in Richtung der Heilerin traten.
      "Wir suchen unseren Großvater...", sagte der junge Elf und neigte leicht den Kopf. Erst jetzt viel auf, dass seine Ohren nicht derart gespitzt waren wie die der anderen Elfen. "Ich bin Alarion und das ist meine Schwester Yoki. Es ehrt uns, dich kennen zu lernen. Wir suchen ihn, ist er bei eurem Tross?"
      "Er is' nüsch da, Kind!", sagte ein Zwerg auf einem grimmigen Eber. "Und jetz halt se nüsch auf. Wir suchen inner Stadt nach ihm."

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    • Mit wachsender Besorgnis glitt Violas Blick über den lädierten Zwerg.
      Die Worte der Elfenrkriegerin malten ein grausiges Bild in der Vorstellung der Heilerin. Die Tatzelwürmer mit den mächtigen Kiefern waren ein alptraumhafter Anblick gewesen und Prinz Faolan machte seinem Namen alle Ehre. Viola schenkte der niedergeschlagenen Farryn ein vorsichtiges Lächeln und legte behutsam die zierliche Hand auf deren Unterarm. Der Geruch metallischen Blutes verklebte die Nase je weiter die Heilerin sich über die Seitenwand des klapprigen Karrens beugte.
      "Es gibt nichts zu verzeihen, Farryn.", flüsterte sie sanft. "Und ich denke, dass Symon mir da zustimmen würde."
      Fragend wandte Viola sich herum, als fremde Stimmen sich in ihrem Rücken erhoben. Ein wenig peinlich berührt verzog sie das Gesicht, wobei sich ihre Nasenwurzel unter einem dezenten Rotschimmer sachte kräuselte. Es war das erste Mal, dass Fremde sie auf diese respektvolle Art ansprachen und sie wusste binnen weniger Augenblicke, dass sie sich für den Rest ihres Lebens nie daran gewöhnen würde. Während Lucien in ein Gespräch mit dem Zwerg namens Urok vertieft war und darüber debattierten welche Route das zügigste Vorankommen samt Karren versprach, wandte sich Viola ganz den jungen Neuankömmlingen zu. Geschwister, ohne Frage, vielleicht sogar Zwillinge, denn die Ähnlichkeit war verblüffend. Hatte nicht jemand vor einiger Zeit von Zwillingen unter den Schwertern gesprochen. Viola konnte sich nicht recht entsinnen, wo sie diese Worte schon einmal gehört hatte und warum ihr die falkenartigen Züge erstaunlich vertraut vorkamen.
      Erst auf den zweiten Blick bemerkte die Heilerin die merklich kürzeren Ohren.
      "Ich grüße dich Alarion.", antwortete Viola mit derselben respektvollen Geste. "Dich und Deine Schwester. Irgendwie habe ich das merkwürdige Gefühl ihr wisst bereits wer ich bin. Wer ist Euer Großvater? Leider fürchte ich, dass ich Euch bei eurer Suche nicht helfen..."
      Der Satz endete kaum da ertönte eine grimmige Stimme über ihren Köpfen, obwohl der Zwerg sie lediglich Dank seines schnaubenden Ebers um ein gutes Stück überragte.
      "Es hat mich gefreut eure Bekanntschaft zu machen. Verzeiht mir die Eile, aber ich befürchte als Heilerin habe ich im Augenblick alle Hände voll zu tun.", entschuldigte sich Viola und schickte sich an zu Farryn und Symon in den wackeligen Karren zu klettern. "Aber ich zweifle nicht daran, dass wir uns in der nächsten Zeit häufiger begegnen werden."
      Ächzend zog sich Viola auf die mit blutgetränkten Holzbretter, die den Boden des Karrens bildeten und rutschte an Symon heran. Unendlich vorsichtig legte sie die Hand auf seine Stirn, die sich beunruhigend kühl anfühlte, als würde das Leben zusammen mit seinem Blut stetig aus seinem Körper tröpfeln.
      "Gab es keine Heiler im Heer?", murmelte sie ruhig. Vorwürfe halfen niemandem. "Ich weiß nicht, ob meine Kräfte allein dafür ausreichen."
      Ein sanfter Puls strömte aus den warmen Fingerspitzen von der Berührung der Stirn aus durch den zerfetzten Körper des Zwerges, aus dem der Tatzelwurm eine üppige Mahlzeit gerissen hatte. Sie betäubte den brennenden Schmerz der Bisswunde und das stetig tröpfelnde Rinnsal an Blut verebbte.
      "Farryn..", sprach sie die Elfe an. Sie würde ihr eine Aufgabe geben, um sie etwas aus der Lethargie zu holen. "Kannst du etwas für mich tun? Für Symon? Halte die Wunde trocken und sauber. Er spürt keinen Schmerz und meine Magie wird die Blutung fürs Erste in Schach halten. Der Tross hält auf offener Ebene und wir hocken hier wie auf dem Präsentierteller, sobald wir Schutz haben, kümmere ich mich darum."
      “We all change, when you think about it.
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      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Winterhauch ()

    • Die beiden Geschwister sahen sich fragend an und schienen einen Moment lang verwirrt ob der Aussage der Heilerin. Wusste sie nichts um ihren Großvater? Hatte man ihnen nicht gesagt, dass er bei dem Tross des Prinzen war? Schweigsam sahen sie der Heilerin hinterher, die sich daran machte, den verletzten Zwerg zu begutachten, den die Tatzelwürmer so bösartig zugerichtet hatten.
      "Sie weiß es nicht", flüsterte Alarion und Yoki zuckte die Achseln. Erst danach machten sich beide davon, als hätten sie nichts hier zu suchen.
      Schweigsam suchten sie die Nähe von Urok, der sich noch immer mit Lucien über die Wegstrecke unterhielt. Zwischenzeitlich hatte man eine Route gefunden, die sie durch die nahe Ebene und das angrenzende Gebirge führen mochte. Die Zwerge waren zwar durchaus geschickte Bergreiter, aber die Baumgeister würden ein Problem geben. Derzeit beriet man sich noch lautstark (nun mit Lysandras Zutun) über die Möglichkeit, einen Teil der Armee zurück zu lassen.
      Indes sah Farryn auf und die Heilerin an, die ihr eine Frage stellte. Eine Frage, die nur allzu verständlich war.
      "Wir hatten Heiler", flüsterte sie. "Heilerinnen aus dem Tempel der Weißen Hand. Gefolgsleute Sylvars. Doch Faolan wusste davon. Er ließ seine Kreaturen einen Angriff reiten, als die Heilerinnen die Verletzten vom Feld bargen. Sie starben alle in einer Nacht. Andvari, Symon , Lysandra und Volgast haben versucht, die Zauberinnen zu retten, aber konnten nicht durchdringen. In dieser Schlacht verletzte man Symin beinahe lebensgefährlich. Und nur der Magie der Dryaden ist zu verdanken, dass Lysandra wieder beide Arme hat. Als sie Symon aus dem Maul des Wurms zerrte, musste sie ihren Arm dort lassen."
      Immerhin der Blutstrom ebbte ab und das Atmen des Zwergs wurde ruhiger. Erst jetzt wurden Zwerge sichtbar, die deutlich nahe neben dem Karren auf ihrem Eber saßen. Mit Argusaugen und angelegten Waffen beobachteten sie die Heilerin und warfen hier und da besorgte Blicke über den Rand des Holzes.
      "Wird er leben?", knurrte einer der Zwerge, ein besonders grimmiges Exemplar.
      Die Rüstung war nicht edel. Sie starrte vor Dreck, doch hier und da blitzte silbernes Metall hervor. So grell, dass die Sonne in ihrem Widerschein beinahe vor Scham errötete. Die Augen des Zwergs waren alt und runzlig. Doch wach und von solcher Leuchtkraft, dass man das Gefühl hatte, man blicke einem Edelstein ins Antlitz.
      "Er wird es schaffen, Hoheit", flüsterte Farryn und neigte leicht den Kopf.
      Der Zwerg nickte grimmig und sah Viola an.
      "Viola", flüsterte Farryn. "Viola de Clairmont. Erstes Schwert."
      Eine Vorstellung. Eine Vorstellung, die einem Herold gleich kam, denn die wachsamen Augen des Zwergs fixierten das Menschenmädchen beinahe klingenhaft. Erst danach weitete sich das Gesicht zu einem freundlichen, beinahe großväterlichen Lächeln.
      "Eine Ehre", murmelte der Zwerg. "Ich bin Alberich, Ulriks Sohn."
      "Arukh des Zwergenvolkes", erläuterte Farryn zu Viola gewandt. "Ein König. Arukh Alberich, Herr der Eisenberge."
      Erst nach einer Zeit sah Farryn wieder zu Viola nachdem der Zwergenkönig sich zu Ulrok und Lucien begab.
      "Ich tue was du sagst. Und jetzt geh zu ihm. Er liegt im mittleren Wagen", grinste die Elfe.

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    • Die Bösartigkeit Faolan's suchte vergeblich Ihresgleichen.
      Der jüngste Sproß der königlichen Blutlinie besaß offenbar keinerlei Ehrgefühl. Die Waffenruhe zwischen den Gefechten zu missachten, galt selbst unter den schlimmsten Feinden als äußerst respektlos. Es war das Luftholen vor dem nächsten blutigen Schlag und ein brüchiger, kurzweiliger Frieden um die Verletzten zu bergen und den Toten die letzte Ehre zu erweisen. Werlose Heilerinnen bei der Ausübung ihrer Pflicht arglistig aus dem Hinterhalt abzuschlachten, setzte Allem die Krone auf. Ein zorniger Schatten huschte über Violas sommersprossiges Gesicht bei der grausigen Erzählung und sie ballte die Hände in ihrem Schoß zu zitternden Fäusten. Stumpfe Nägel drückten sich schmerzhaft in die Handflächen, doch der kurzweilige Schmerz verscheuchte die Wut, die sie zu übermannen drohte. Die Kontrolle war zu einer Notwendigkeit geworden nach all den wunderlichen Dingen, die Viola über ihre bisher rätselhafte Herkunft erfahren hatte. Obwohl das Elfenblut in ihren Adern mit den Generationen dünn geworden war, konnte niemand mit Sicherheit behaupten, wozu sie wahrlich im Stande war. Vielleicht hätte Sylvar Rat gewusst.
      Viola fragte sich wie viel Zeit ins Land gehen musste, damit der Klang seines Namens aufhörte zu schmerzen.
      "Ich hätte in der Schlacht dabei sein sollen.", murrte sie. "Ich hätte..."
      Beim grimmigen Knurren eines Zwerges verstummte die Menschenfrau und blickte nervös zwischen Farryn und dem Neuankömmling auf dem trottenden Eber hin und her. Etwas in Tonlage der schlagfertigen Elfe veränderte sich augenblicklich und als sie respektvoll das Haupt neigte, zog die Heilerin verwirrt die linke Augenbraue in die Höhe. Die zweite geschwungene Augenbraue folgte wenige Sekunden später bis zum Ansatz der Haarlinie.
      Ein Zwergenkönig betrachtete es als Ehre. Etwas unwohl strich Viola über das edle Fuchsfell, das den Wintermantel säumte, und wäre am liebsten darin versunken um der befremdlichen Ehrehrbietung zu entkommen. Sie war ein gewöhnliches Bauernmädchen, ein Waisenkind ohne nennenswerte Titel aus einer Familie, die ihren geachteten Stand vor Generationen verloren hatte. Mit jeder Sekunde wurde die junge Frau sich den achtungsvollen Blicken und dem Flüstern bewusst, das ihr mit jedem Schritt folgte. Ein unauffälliger, grauer Schatten war sie schon lange nicht mehr, der ungesehen zwischen Zelten und Soldaten umher huschte. Mit peinlich berührter Verzögerung neigte auch Viola endlich den Kopf um ein wenig der angemessenen Etikette zu wahren.
      "Es ist mir eine Ehre, Arukh Alberich, Herr der Eisenberge.", wiederholte die Heilerin und sah erst auf, als das Schnauben des Ebers im Stimmegewirr unterging.
      "Ein Zwergenkönig? Hier?", flüsterte Viola ungläubig nur um gleich darauf unter dem Grinsen der Elfe rot anzulaufen.
      Am liebsten wäre sie gleich zu Beginn sofort in Richtung des mittleren Wagens gestürmt, nachdem Farryn ihr mit einem dezenten Kopfnicken die Richtung gewiesen hatte, aber ihr Pflichtgefühl hatte sie einen Besseren belehrt. Dennoch bebte ihr vollständiges Wesen unter der Erwartung endlich Andvari sehen zu können, auch wenn die geschilderten Umstände seiner Verletzungen die Freude etwas trübten. Ein Wiedersehen hatte sie sich gänzlich anders vorgstellt.
      Trotzdem...Dankbar für so Vieles legte Viola kurz eine Hand auf den Arm der Elfenkriegerin und sprang anschließend aus dem Wagen.
      Die Entfernung zum besagten Karren glich zähfließenden Äonen.
      Kein vorsichtiger Schritt schien Viola näher ans Ziel zu bringen und die Geräuschkulisse des Trosses rückte dumpf in den Hintergrund. Zögerlich streckte Viola eine Hand aus und schob den fadenscheinigen Vorhang bei Seite, der den Blick ins Innere versperrte und vor allzu neugierigen Blicken schütze. Ein schwerer Blutgeruch schlug der Heilerin entgegen und sie bildete sich ein das metallische Blut auf der Zunge schmecken zu können. Achtsam um keine unnötigen Erschütterungen zu erzeugen, kletterte die besorgte Frau in den Wagen. Durch winzige Löcher und den allgemein sehr dünnen Stoff fiel etwas Licht der jungen Frühlingssonne hinein.
      Das zarte Lichtspiel eröffnete den Blick auf einen bewusstlosen Elf.
      Für gewöhnlich leuchtete das schneeweiße Haar im Sonnenlicht, aber in diesem Moment war es stumpf und grau wie frisch gefallene Asche. Die Augen waren geschlossenen und ebenso wie Symon erweckte auch Andvari den Eindruck eines sanften Schlafes...wären die grässlichen Wunden nicht gewesen. Getrocknetes Blut und Staub der Schlachfelder klebte auf der bleichen Haut. Behutsam nahm Viola den Platz an seiner Seite in dem beengten Karren ein und konnte die Traurigkeit im Blick nicht verbergen.
      Ein wackeliges Lächeln zierte die Lippen, doch die Unterlippe bebte unaufhörlich während ein feuchter Schimmer die Augen trübte.
      Hauchzart berührten zögernde Fingerspitzen die verdreckten Haarsträhnen, die sich in Andvaris Stirn verirrt hatten und schob sie vorsichtig zurück. Die Stirn fühlte sich weder ungewöhnlich heiß noch kalt an, aber das verletzte Auge bereitete ihr Sorgen. Durch die Schwellung des Schnittes war unmlöglich zu erkennen ob das Auge selbst Schaden davon getragen hatte. Mit den tastenden Händen einer Heilkundigen untersuchte Viola zunächst den Schnitt auf seiner Brust und versuchte das Brennen hinter den Augenlidern zurückzudrängen. Der Kampf war verloren als die ersten schimmernden Tränen vor Kummer über die Wangen perlten.
      Mit dem Handrücken wischte sich Viola eilig über das Gesicht, was die Rötung lediglich verstärkte, und legte beide Hände auf der sich schwach aber regelmäßigen hebenden Brust ab. Dem Zug eines unsichtbaren Bandes nachgebend beugte die Frau sie vor und drückte ihre Stirn ungeachtete von Dreck und Blut ebenfalls gegen seinen Brustkorb. An diesem Zeitpunkt machte sich Viola keine Mühe mehr, die Tränen krampfhaft zurückzuhalten. Ihre Stimme war erstaunlich gefasst, während die Tränen seine Haut benetzten und die besänftigende Magie unter ihren Handflächen erwachte. Zarte Magieausläufer suchten den Weg zu zerrissenen Muskeln und Sehnen der tiefen Wunde die seine Brust zierte und verknüpften neu, was durch Gewalt getrennt worden war.
      "Warum nur bist du immer verletzt, sobald ich dich wiederfinde...?", murmelte sie. "Habe ich dir nicht gesagt, dass du daraus keine Gewohnheit machen sollst."
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    • Farryn schüttelte kurz den Kopf.
      Die Elfe wirkte mit jeder Minute erschöpfter, als der Zwerg mit einem Kopfnicken von dannen ritt. Wenn es nur einer der Fürsten gewesen wäre.
      Grinsend sah sie zu Viola und holte sachte Luft, um die aufkommenden, brennenden Schmerzen ihrer Lunge zu ignorieren.
      "Nicht ein König", murmelte sie. "Der König. Er stieß zur Armee, als Symon um Hilfe bat. Eher um Hilfe schrie. Die Zwerge rehabilitierten ihn nach langer Beratung und brachten einen Teil ihrer Armee mit. Leider nicht genug, wie du feststellen musst."
      Es waren immer wieder zu wenige. Für jeden Soldaten, der zur Armee stieß, folgten vier von Faolans Kreaturen. Es war einem endlosen Kriege gleichgekommen, einem Kampf gegen Windmühlen.
      Während Viola zum leblosen Leib des Elfenprinzen eilte, blickte Farryn in die steigende Sonne und die kälter werdende Landschaft. Sie wussten, dass die Flucht in die Menschenlande von Risiko geprägt war. Und wären nicht die Zwillinge mit dem Wissen um ihren Großvater in der Menschenstadt gewesen, wären sie vermutlich mit der Stadt untergegangen. Es blieb ein Graus.
      Nach einiger Zeit begann sie, ihrer Aufgabe nachzukommen.

      Der Tross setzte sich wenige Minuten danach in Bewegung.
      Ein Ruck ging durch die Karren, als die Eber und Pferde anzogen und selbst leblose Leiber taumelten im Schlafe, als die Räder zu rollen begannen. Gleichsamen Schrittes und doch langsamer als zuvor setzte sich der Tross der Armee in Bewegung. Die bunten Bänder und Banner, die an den Speerspitzen befestigt waren, wirkten stumpf und wenig furchterregend im Menschenland. Denn nichts sollte Zweifel an dem tragen, was es war: Eine besiegte Armee.
      Ruhig und gemächlich ritt Urok und sein König an der Spitze der Armee neben Luciens Tross und unterhielten sich lebhaft über Dinge, die kaum jemand mehr wissen wollte. Die Armee schlurfte hinterher und scheuen Blickes sahen sich die meisten Elfen oder anderen Wesenheiten in den fremden Gestaden um, deren Wolken sich dräuend zusammenzogen. Langsam rumpelte das Gefolge in Richtung der Stadt, die ihrer aller Verhängnis darstellte.
      Erst mit den Stunden des Wanderns glitten die Zwillinge wieder in Richtung des Karrens, in dem Andvari lag und betrachteten die dort kauernde Heilerin.
      "Du bist jene, von der er sprach oder? Also natürlich bist du das, wir wissen wer du bist, aber...Er sprach immer so merkwürdig träumend von dir...", fragte Yoki und sah mit leuchtenden Augen hinein.
      "Yoki!"
      "Entschuldige, ich frage doch nur."
      "Gibt es eine Möglichkeit, ihn zu retten?", fragte dann Alarion mit der gleichen Neugierde, die seiner Schwester anhaftete. Aus dem Finsteren des Karrens drang kein Laut während die Gespräche um sie herum zu einem merkwürdigen Hintergrundgrummeln wurden.

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    • Die Zeit war ein merkwürdiges Konstrukt.
      Obwohl der Zeitfluss festgelegten Naturgesetzen unterlag und einem stetigen Rhythmus unterlag, verflog er gelegentlich schneller oder langsamer. Sekunden verwandelten sich in Ewigkeiten und Stunden in flüchtige Augenblicke. Die Zeit war weder sichtbar noch greifbar. Dennoch besaß sie genügend Macht, um das Leben jedes atmenden Wesens zu beeinflussen. Zeit konnte jemanden einholen und gleichzeitig unwiederbringlich davonlaufen. Zuweilen stand sie auch still ähnlich eines zugefrorenen Flusses im eiskalten Winter.
      Für Viola hatte die Zeit aufgehört zu fließen seit sie die Stirn gegen den vertrauten Herzschlag gelegt hatte, der ihr das Kostbarste auf der Welt geworden war. Die Welt außerhalb des zerlumpten Stoffes, der den Karren verdeckte, stand still. Die Stimmen verstummten ebenso wie das trottende Getrampel von Pferden und wilden Ebern während sich Herzschlag an Herzschlag anglich. Keinen Augenblick gönnte sich Viola eine Pause zur Regeneration und unablässig floss die Magie durch die Fingerspitzen in den ohnmächtigen Elf auf seinem kläglichen Krankenlager.
      Die schattengleiche Dunkelheit, mit der Vaeril die Heilerin infiziert hatte, störte nach wie vor den gleichmäßigen Fluss ihrer Aura, aber Stückchen für Stückchen schlossen sie die klaffenden Wunden.
      Viola hob den Kopf und führte zittrige Fingerspitzen an die verkrustete Schnittwunde über Andvaris Auge. Sie sah besorgt zu, wie die Schwellung unter ihren Fingern abklang und ebenso wie auf der entblößten Brust eine blassrosafarbene, frische Narbe zurückblieb. Mit genügend Zeit würden die Linien verblassen, aber nie völlig verschwinden. Diese Kunst hatte sie bisher nicht gemeistert. Stirnrunzelnd fuhr sie über die nun gespaltene Augenbraue und versuchte das Für und Wider abzuwiegen, das verletze Auge näher zu untersuchen. Ein dreckiger Karren war kein Ort für derartige Verletzungen und Viola konnte nur effektiv heilen wovon sie sich zuvor ein Bild gemacht hatte.
      Alles andere wäre ein riskantes Glücksspiel.
      Die unerwarteten Stimmen, die ungewöhnlich nah waren und definitiv nicht zum träge marschierenden Tross gehörten, schreckten die konzentrierte Frau auf. Viola riss den Kopf herum und tastete blind nach einer Klinge, die sie schon lange nicht mehr trug. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht ähnelte einer kampflustigen Löwin, die ihr Junges um jeden Preis verteidigen würde. Und das würde Viola, notfalls mit bloßen Händen.
      Der Schreck verließ die geröteten Augen, als sie die Zwillinge erkannte, sie sie bereits an Symons und Farryns Karren angesprochen hatten. Ein mildes Lächeln erweichte die angespannten Gesichtszüge.
      Beschwichtigend hob sie eine Hand.
      „Ist schon gut. Meine Name ist Viola, aber auch das wisst ihr Zwei sicherlich schon.“, sprach Viola sanft. Sie schmunzelte. „Hat er das?“
      Die Zwillinge waren jung. Obwohl die Gesichter zeitlos erschienen, wie es bei allen Elfen der Fall war, strahlten ihre Augen eine jugendliche Neugierde aus. Dabei waren sie keine reinblütigen Elfen, nicht wahr.
      „Alarion und Yoki, richtig?“, vergewisserte sich Viola zunächst. „Natürlich. Er ist nicht verloren, Alarion. Ich kann durchtrennte Muskeln und zersplitterte Knochen reparieren aber aufwachen…das muss er aus eigenen Kräften schaffen. Der Geist ist eine verzwickte Sache und der Kampf hat Andvari viel abverlangt. Er wird erwachen, wenn er soweit ist.“
      Sie wusste nicht, ob sie die Geschwister oder sich selbst damit beruhigen wollte.
      Mit geröteten Augen sah sie Alarion und Yoki musternd an.
      „Euer Großvater, nach dem ihr euch erkundigt habt. Kenne ich ihn?“, fragte Viola. „Verzeiht mir. Aber wenn ich euch beide ansehe, erkenne ich etwas Vertrautes.“
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Trotz der Tatsache, dass ihre Handlung mehr als verständlich war, schraken die Zwillinge zurück.
      Wie von selbst glitten ihre Hände an ihre Waffen und legten sich um die Schäfte ihrer geraden Stockschwerter. Nicht, dass sie wirklich erwartet hätten, einen Kampf zu provozieren, doch man wusste nie...
      Alarion fand als erster seine Fassung wieder.
      "Entschuldigung!", rief er und hob die Hände abwehrend in die Höhe. "Wir haben Euch erschreckt, wir wollten nicht..."
      Yoki stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Seite, was den gefassten Gesichtsausdruck kindlich entstellte, während sich der Bruder krümmte vor Schmerzen.
      "Das ist richtig", nickte die Schwester und grinste unschuldig. Trotz der Tatsache, dass dies Lächeln frei und unschuldig wirkte, trugen sie beide die Spuren der Schlachten an ihren Rüstungen und Kleidern. Blutsprenkler und Dreck stachen sich gegenseitig auf dem Metall aus und selbst die Schäfte der Schwerter wirkten verwittert von schwarzem Blut.
      "Es ist gut zu hören, dass er wieder wird", sagte Yoki und nickte zustimmend. "Wir hatten wirklich Angst, als diese Drachen kamen."
      "Ja, sie waren riesig und haben geknurrt. Haben einen auf dem Hügel vor der Stadt gesehen und als das Monstrum gebrüllt hat, haben die Steine gewackelt. Ich dachte immer Drachen wären ausgestorben..."
      "Sind sie auch, du Dummkopf!"; monierte Yoki und schüttelte den Kopf. "Das war doch Faolan. Der hat sie hervorgeholt."
      Alarion verzog das Gesicht und schüttelte sich spielerisch. "Grässlich", murmelte er.
      "Auf jeden Fall bin ich sicher, dass Andvari wieder aufwachen wird", bekundete der Bruder und nickte. "Er hat die ganze Zeit davon gesprochen, dass er Euch wiedersehen will und dass er sicher ist, dass es Euch gut geht. Er würde ja verpassen, dass er recht hat."
      "Dabei mag er es so, Recht zu haben", kicherte Yoki. "Er war gut zu uns. Wir haben keinen Vater mehr. Und unserer Mutter ist in Tirion und wohnt dort im Kerker. Er war wie ein Bruder."
      "Hey!", empörte sich Alarion. "Eher wie ein Vater. Er hat uns eine Weile verboten, Dinge zu tun, aber zumeist war er gut zu uns, ja."
      Auf die Frage der Heilerin sahen sich beide GEschwister an, als habe man sie offensichtliches gefragt. Dennoch legte sich ein Schatten auf ihre Gesichter, ehe sie zu Sprechen anhoben.
      "Vermutlich?", fragte Yoki und zuckte die Achseln. "Man sagte uns, dass er vielleicht beim Tross des Prinzen ist. Er ist ein Mensch, falls Ihr das meint. Da war so ein Mann, so ein schmieriger kleiner Mann. Er brachte eine Nachricht von ihm und sagte, dass er sich dem Tross vielleicht anschlösse, wenn er es schafft. Und dann musste Volgast mitgehen."
      "Ja genau!", rief Alarion. "Das war doch der Tag nach der Schlacht. Andvari war bewusstlos und die Generäle entschieden, dass man Volgast schicken sollte, als Mensch, versteht Ihr? Also ging Volgast mit dem Boten und wir reisten weiter. Und dann ist Eyrik gegangen."
      "Stimmt!"; sagte Yoki. "Eyrik hat sich seine Legion geschnappt und übernahm die schwerste Aufgabe...Er lockte die Feinde von uns weg, die uns verfolgt haben."
      "Wir haben lange nichts mehr von ihm gehört", flüsterte Alarion.

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Mit einem schmalen Lächeln hörte Viola zu.
      Selbst mit keinerlei äußerlicher Ähnlichkeit hätte die Heilerin sofort erkannt, dass es sich offensichtlich um Geschwister handelte. Das neckende Geplänkel und die Art, wie Alarion und Yoki miteinander umgingen, sprach Bände. Die Zwillinge konnten es nicht leicht gehabt haben als halbblütige Elfen. Viola kannte nicht viele Geschichten über Kinder mit gemischtem Blut, die je das Alter eines Erwachsenen erreicht hatten. Eine Schande, die für die Menschen ebenso galt. Sie verstand, weshalb ihr Urgroßvater den Frieden in der Einöde fernab von neugierigen Blicken gesucht hatte. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, seiner kleinen Familie ein ruhiges und friedliches Leben zu ermöglichen. Die Zwillinge hatten Glück, dass Andvari sich ihrer angenommen hatte.
      "Es tut mir leid um eure Mutter.", antwortete Viola. "Und Andvari wird wieder. Ich verspreche es. Faolan wird bekommen, was er verdient."
      Die Heilerin spitzte die Ohren während sich das warme Lächeln zu einer zusammen gespressten Linie verzog.
      Das bedeutete, Lhoris und ihre eigene Vermutung war richtig gewesen. Die Nachricht hatte Andvari nie erreicht und was Pimpidou ihnen ausgehändigt hatte, war eine Finte gewesen. Stattdessen hatte er seinen schmierigen Boten mit eigenen Botschaften an die Front geschickt. Sie erinnerte sich an die Blicke, die Volgast und Pompidou im Saal des Hohen Rates eineinader zugeworfen hatten. Offenbar hatte sie auch mit dem kriegserprobten Hünen noch ein Hühnchen zu rupfen sobald sie zurück in Bourgone waren. Etwas Verborgenes spielte sich hinter den Kulissen des Kriegsgetümmels ab und hinter ihrer aller Rücken. Der Gedanke an die Geheimniskrämerei gefiel der jungen Frau nicht. Sylvar hatte es den Tod beschert, wer wusste schon, welchen Preis sie dieses Mal zahlen mussten.
      "Pompidou...", murmelte sie kaum hörbar.
      Viola schnaubte fassungslos. Traue niemals einem Politiker. Aufgrund der verwirrten Blicke der Zwillinge räusperte sich Viola und legte fürsorglich eine Hand auf die kühle Stirn des bewusstlosen Elfen an ihrer Seite. Kein Fieber, wie sie erleichtert feststellte.
      "Hm, dann kenne ich euren Großvater vielleicht wirklich sofern sein Name Gustave Pompidou ist.", sprach sie ruhig während es tief in ihrem Inneren brodelte. "Er hat mir in den vergangenen Wochen mit Rat und Tat zur Seite gestanden."
      Die Antwort war recht wage, aber Viola wusste nicht, welches Bild Alarion und Yoki von dem Mann hatten, den sie ihren Großvater nannten. Sie wollte das Geschwisterpaar nicht beunruhigen.
      "Ich bin mir sicher, Eyrik geht es gut. Dieser Barde ist zu stur zum sterben. Er lässt sich bestimmt die Gelegenheit nicht entgehen uns mit Musik und Gesang von seiner großen Heldentat zu berichten.", beruhigte Viola die Sorge. "Yoki? Gibt es auf einem der Karren noch sauberes Wasser?"
      Zur Verdeutlichung wieß sie auf der verheilten aber auch verdreckten Verletzungen, die der Drache Andvari zugefügt hatte.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”
    • Die Zwillinge folgten weiterhin neugierig dem Karren und als die Schritte des Pferdes größer und ausladender wurden, hielten sie inne und sprangen kurzerhand mit auf den Bock. Kurz rumpelte der Wagen und Andvaris Körper begann merkwürdig zu schaukeln, jedoch fing sich die Ruhe schnell wieder.
      "Ach, das wird schon", sagte Yoki leichthin und grinste. "Unsere Mutter ist eine wichtige Frau. Sie wird nicht einfach umgebracht. Und Andvari hat uns versprochen, dass er sie sofort freilässt, wenn er König ist."
      Alarion schien dessen nicht wirklich überzeugt zu sein, fand sich doch ein ausgewachsener Schatten auf seinem Gesicht. Doch der Halbelf fing sich recht schnell wieder und stimmte in das Grinsen mit ein, als die Sprache der Heilerin auf Pompidou fiel.
      "Ja, das ist er!", riefen sie beide und auch bei Yoki trat ein Leuchten in die Augen. "Unsere Mutter meinte, dass er einen merkwürdigen Namen hat, aber unglaublich schlau und einfallsreich sei. Sie sagte immer, er hätte einem Blinden eine Sehhilfe verkaufen können."
      "Es erfreut, dass er dir geholfen hat", nickte Alarion. "Ich hatte Zweifel, als dieser merkwürdige Bote kam und Volgast mitnahm. Aber dieser schmierige Typ meinte, dass er dem Maitre diente und dass wir vertrauen sollen."
      Yoki nickte.
      "Ja, denn Großvater tue stets das Beste für sein Land. Und für uns. Hat uns immer Süßspeisen aus eurem Land zugeschickt, wenn er seine Händler aussandte. Manchmal kam er auch selbst. Heimlich und nur an die Grenze. Wir haben dann gezeltet und Fische gegrillt."
      Alarion nickte und grinste selig, ehe er den Tross entlang sah.
      "Ich frage mich wie lange wir reisen werden...", murmelte er mit einem Seitenblick zu Andvari. Anschließend sah er Viola an. "Ja, Eyrik würde das wohl tun."
      "Eyrik wird leben!", beschloss Yoki und erhob sich, ehe sie vom Bock sprang. "Ich hole dir Wasser. Und wehe, du zweifelst daran, Alarion!"
      Eine ganze Weile nblieb sie fort und Alarion sah ins Leere und seufzte.
      "Ich glaube, Eyrik ist tot", sagte er blass. "Er hat sich merkwürdig verabschiedet und meinte, in den Gefilden sähen wir uns wieder. Er wollte mir die Laute beibringen..."
      Nach einer kurzen Zeit eilte Yoki zurück und trug einen Wassereimer randvoll und beinahe viel zu leicht mit sich herum.
      "Es ist erstaunlich, dass du es so einfach heilen konntest", sagte sie und hievte den Eimer hinauf. "Sie waren so tief..."

      The more that I reach out for heaven
      The more you drag me to hell
    • Viola verbarg die Verwunderung hinter einem friedliches Lächeln.
      Wenn sie für einen Augenblick bei Seite schob, dass ausgerechnet Pompidou der fürsorgliche Großvater sein sollte, der das begeisterte Leuchten in die Augen der jungen Elfen zauberte, genoss sie die ungewöhnliche Fröhlichkeit zwischen marschierenden Soldaten und dem Geruch von Blut und Tod.
      Das behelfsmäßige Zelt auf dem Karren wirkte ein wenig heller desto länger Viola den Zwillingen lauschte.
      "Euer Großvater wird erleichtert sein, dass ihr wohlauf seid. Ihr werdet ihn bald sehen, wenn wir in einigen Tagen den Bergpass hinter uns gelassen haben und die Ebenen der Menschenreiche durchqueren. Vielleicht nimmt er uns sogar persönlich in Empfang.", versuchte es Viola.
      Pompidou würde sich sicherlich den Einzug der Streunenden Armee vor den Toren von Bourgone nicht entgegen lassen. Immerhin hatte er das Chaos gemeinsam mit Kronprinz Lucien eingefädelt, wenn auch aus sicherilch unterschiedlichen Beweggründen. Da war sich die Heilerin sicher und empfand neben dem Groll auch einen Funken Dankbarkeit gegenüber dem Mann, der sie mit geschickten Worte umgarnt hatte aber ebenso einen großen Teil dazu beitrug, dass sie Andvari in Sicherheit wusste.
      Bourgone war nicht Beleriand.
      Die beeindruckenden und massiven Stadtmauern musste die Elfenprinzen Lysanthir und Faolan erst einmal überwinden, bevor sie ihre blutigen Finger nach Andvari ausstrecken konnten.
      Mit einem Lächeln sah sie Yoki nach und schnalzte tadelnd mit der Zunge, angestichts der betrübten Miene des jungen Alarion.
      "Eyrik mag zum Zeitpunkt des Abschiedes mit dem Schlimmsten gerechnet haben, aber das beudetet nicht, dass wir ihn nicht lebend wiedersehen, Alarion.", mahnte Viola.
      Die Heilerin bemühte sich um eine einigermaßen heitere Miene als Yoki zum Karren zurückkehrte.
      "Ich danke dir.", sagte sie und nahm vollen Eimer entgegen.
      Ein eigenartige Mischung zwischen einem erstickten lachen und einem überraschen Ausruf entrang sich ihrer Kehle. Bei Yoki hatte der Wassereimer spielend leicht ausgesehen. Die Knöchel ihrer Finger stachen weiß unter der blassen Haut hervor, als sie schnaubend den Eimer neben Andvari abstellte. Selbst neben Jungelfen wirkte Viola klein und zerbrechlich. In solchen Momenten fragte sich die Heilerin, wie sie überhaupt auf die todesmutige Idee gekommen war, sich mit einem Schwert, das beinahe lang war wie sie groß war, ins Schlachtgetümmel zu stürzen.
      "Ich wünschte es wäre so einfach.", lächelte Viola milde. "Jede Magie hat ihren Preis. Das gilt auch für meine Kräfte, denn sie zehrt an meiner Lebensenergie und laugt mich aus. Übespanne ich den Bogen dauert es Tage oder Wochen bis ich sie erneut wirken kann. Nach der unerfreulichen Konfrontation mit dem grausamen Baumschatten habe ich Wochen gebraucht um den kleinsten Magiefunken wirken zu können. Vaerils Schatten haben etwas mit mir angestellt und meine Magie vergiftet. Ich spüre es in der Art und Weise, wie ich schneller ermüde. Eigentlich bin ich mir gar nicht sicher ob ich Dandelost noch führen kann und den Titel des Ersten Schwertes noch verdiene."
      Zur Verdeutlichung hob Viola eine Hand an und präsentierte den Zwillingen ihre stark zitternden Hände. Unter Haut verliefen feine glühende Linien, kaum sichtbare Fäden, die sich langsam verdunkelten und wie schwarze Äderchen unter der Haut entlang liefen. Das Lächeln auf ihren Lippen verblasste nicht, als sie ein feuchtes Tuch aus dem Eimer fischte und damit begann den ohnmächtigen Elf von Blut und Staub zu befreien. Sanft tupfte sie das getrocknete Blut von dem verletzten Augenlid und wagte es, besagtes Augenlid ein wenig zu öffnen als die Verkustungen weich und nachgiebig wurden.
      “We all change, when you think about it.
      We’re all different people all through our lives.
      And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
      so long as you remember all the people that you used to be.”