The Curse of Time {TobiMcCloud & Codren}

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    • Für Varus, der schon häufiger dieses Rodeo mit Anthea mitgemacht hatte und sich daher damit auskannte, was die Versorgung und die Unterbringung von irgendwelchen Flüchtlingen anbelangte, war es nicht der Rede wert, mit Aradan zurück zu bleiben, während alle anderen sich nach draußen und in die Gefahr begaben. Er wollte seine Schwester dazu anhalten, sich nicht in noch mehr Schwierigkeiten zu begeben, aber ihre Laune war bei ihrem Abgang schon schlimm genug gewesen und außerdem war das in etwa so, als wolle man einem Vogel das Fliegen verbieten. Anthea zog die Schwierigkeiten geradezu an und wenn von außen her nichts kam, veranstaltete sie eben selbst ihr Chaos.
      Daher war es gar nicht mal schlimm, dem allen fern zu bleiben und sich stattdessen einem verloren geglaubten Freund zu widmen - wobei diese Freundschaft wahrscheinlich eher einseitig war.
      "Aradan!"
      Varus grinste wie ein Kind, als er näher zu ihm rutschte, die Ellbogen auf den Tisch stützte und das Kinn auf den gefalteten Händen ablegte. Sein Hut klimperte und machte sich über seinen Besuch lustig.
      "Zeig dich erkenntlich, indem du mir erzählst, was passiert ist. Alles davon. Ich bin nicht nur Straßenkünstler, ich habe auch eine lange Zeit als Geschichtenerzähler zugebracht und das was dir passiert ist, lässt sich so wunderbar in eine Geschichte hüllen, als wäre es wie dafür geschaffen!
      "

      Deshalb hatte Anthea Lucius gerne bei sich: Dem Mann fiel immer ein Ausweg ein, egal wie abstrus die Situation sein mochte. Wo Anthea sich bereits mit Händen und Füßen hineingesteigert hätte, um die Straße in einen Strudel aus Chaos zu verwandeln, ging Lucius eine sanftere Methode an, die für wesentlich weniger Aufregung sorgte. Anthea nahm einen Schritt zurück und hielt sich an den Mann, um dem Plan zu folgen, den er wohl gerade austüftelte.
      Seine erste Ablenkung ging daneben, wobei sie an Kreativität kaum zu übertreffen war und er sie mit seiner Ansprache nach Verlobung zum Lächeln brachte. Dafür ging die zweite nicht daneben und ehe Anthea es sich versehen konnte, zündete er eine Rauchbombe und holte sie einen Moment später von ihren Füßen. Sie konnte sich gerade noch an ihn klammern, da stürmte er bereits wie ein wild gewordener Stier los und durch die Front der Soldaten hindurch, die gerade genug Aufmerksamkeit hatten, um sie vollständig auf den Rauch zu lenken. Mit einer irren Geschwindigkeit flog er davon und Anthea konnte nichts anderes tun, als sich an ihm festzukrallen, damit sie nicht hinunter und auf die Straße stürzen würde.
      Sie kamen einige Minuten später in einem ruhigeren Viertel zum Halt und das auch nur, damit Lucius verschnaufen konnte. Er brachte dennoch ein schiefes Lächeln zustande und Anthea grinste ihn an.
      "Auf dich kann man sich verlassen, Luce."
      Sie warf einen Blick auf die Hauptstraße hinaus und entschied dann, dass die Luft rein war. Sie waren wirklich weit genug von Varus weggekommen.
      "Wir gehen zurück nachhause und überlegen uns dann, wie wir Berek hervorbringen können. Aber diesmal gehe ich auf den eigenen Füßen du Schwachkopf."
      Sie grinste allerdings noch immer.

      Es dauerte nur ein paar Tage, dann saß Elraya alleine in einer Taverne.
      Sie war nervös, und wie sie das war. Sie wusste, dass Berek nach ihrem Kopf verlangte und sie wusste, dass sie sich ihm geradezu auf dem Silbertablett präsentierte, aber sie war der einzige Interessenspunkt, den sie sicher von Berek wussten. Berek wollte sich für ihren Verrat rächen und Elraya war ihm bisher nur auf gut Glück durch die Hände geronnen.
      Jetzt war dieses Glück vorbei und sie spielte den Köder. Nervös und hibbelig bestellte sie ein Bier nach dem anderen, um auf ihren ehemaligen Arbeitgeber zu warten, dem sie zwar nicht persönlich eine Nachricht zukommen gelassen hatte, der sie aber trotzdem in irgendeiner Weise erhalten haben musste.
    • Die Tage zogen ins Land. Lucius kümmerte sich darum Anthea an Ort und Stelle zu halten, damit ihre Wunde so gut es ging heilen konnte. Marudan und seine Frau bekamen eine Audienz beim König selbst und unterrichteten ihn über eine stark ansteigende Korruption innerhalb der eigenen Reihen sowie Berek, dem Kult und den Kriminellen Häusern die geradezu auf den nächsten Funken zu warten schienen um ihre Chance zu nutzen das Mächteverhältnis neu ordnen zu können. Eine Chance die wohl bald schon eintreten könnte.
      Der König nahm sich die warnenden Worte zu Herzen, musste Marudan aber zügeln als dieser versuchte ihm allen Ernstes weis zu machen, dass eine Person existierte, welche mit Feuer um sich werfen oder gar selbst zur wandelnden Stichflamme werden könne. Erst als Marudan mit einer beträchtlichen Maßregelung zum Schweigen gezwungen wurde, lockerte sich deren Gespräch wieder, da der König augenblicklich veranlasste die genannten Orte des Kultes untersuchen zu lassen und sogar ins Feld geschickte Patrouillen wieder zurück rufen lies um die Stadt wieder unter Kontrolle zu bringen.
      Für die Ausrottung des Kultes wurde General Peamut beordert, welcher eine 50 Mann starke Elitetruppe, zu seiner eigenen, untergestellt bekam. Zudem würden sich die Berater des Königs an einen Plan setzen das Mächteverhältnis wieder klar auf dessen Seite zu bringen.

      Aradan selbst gab Varus was er so sehnlichst verlangte. In den paar Tagen, die sie zusammen verbrachten, gelang es Aradan seinen Körper viel Erholung zu schenken, ebenso wie Varus viele Informationen, die teilweise nur aufgrund des Genusses edler Tropfen hervor kamen. So war Varus auf den neusten Stand und wusste über alles bescheid was Aradan erlebt hatte und was sein Ziel war. Ebenso dass seine große Schwester Renera noch lebte und womöglich bald in der Stadt auftauchen könnte.

      Nach nun ganzen 8 Tagen trafen sich Elraya, Anthea, Lucius, Varus und Aradan erneut um zusammen einen Plan auszutüfteln Berek auszuschalten ohne dass es zu einem großen Kampf kommen muss. Alle waren sich über die Gier nach Macht des Feuerteufels bewusst, wie auch seinem Ego. Also kamen alle zu dem Schluss, dass eine Nachricht, von Elraya verfasst, womöglich funktionieren könnte, ihn an einen vorbereiteten Ort zu locken.
      Zwar war Elraya alles andere als begeistert über den darin stehenden Text, doch konnte Aradan mit einem Bonus an Gold dann doch für ihre Zustimmung sorgen. Grob ging es in dem Brief darum, dass Elraya es nicht mehr aushalten würde seinen Schatten im Nacken zu spüren und dass sie ihm gesammelte Kontakte schenken würde, ebenso ihre Dienste wie zuvor in Shegar.
      Geplant war, dass sich beide am Mittag in einer Taverne treffen sollten, die schon zu den Stoßzeiten kaum an Aufmerksamkeit bekam. So würde es im Falle einer Eskalation zumindest nicht viele Außenstehende treffen. In dem Moment Bereks Ankunft, hätte der Inhaber einen Eimer Putzwasser auf die Straße schütten sollen um Anthea und Lucius das Zeichen zu geben, dass die Zielperson anwesend ist. In diesem Moment wäre Elraya's Geschick gefragt gewesen. Sie hätte aus einem Fenster hinaus springen sollen, welches direkt hinter ihr war um Platz für Sprengfallen zu machen, die Anthea sorgfältig platziert hatte. Durch die Zustimmung Marudan's hatte Aradan genug Gold bekommen um das komplette Gebäude zu kaufen, was nicht mal sonderlich teuer war. Es galt nur lange genug abzuwarten, bis der bezahlte Wirt nach dem Wurf des Wassers in Sicherheit gerannt war.

      Am neunten Tag war es nun also soweit.
      Alle beteiligten gingen in Position. Elraya wartete in der Taverne, der Wirt wischte die Tresen in leicht nervöser Anspannung, starr darauf wartend dass eine vermummte Person auftauchen wird und sich neben den einzigen Gast setzt.
      Lucius und Anthea warteten hingegen auf einem entfernten Dach auf Wunsch Aradan's um nicht in die Quere zu kommen. Letzterer wartete an einem Brunnen, in Bettlerlaken gehüllt um in der übrigen Bettlermasse beinahe unsichtbar zu wirken.

      Nur eine halbe Stunde nach vereinbarter Zeit, tauchte dann tatsächlich eine Person, gänzlich verhüllt in der Taverne auf. Diese ging langsam aber zielstrebig in die Richtung der Rothaarigen, was den Wirt direkt dazu trieb voreilig die Tresen zu verlassen und das Wasser auszugießen. Ein Startschuss für Aradan, welcher seine Laken abwarf und zielstrebig auf die Taverne zu marschierte.
      Etwa zeitgleich wie sich die verhüllte Person an Elraya's Tisch setzte und die Kapuze abzog, trat auch Aradan ein und fokussierte das Ziel.
      Doch geriet in diesem Augenblick schon alles aus den Fugen. Aradan's Augen weiteten sich in dem Moment als er doch tatsächlich Khil erblickte statt Berek.
      "Khil?!? Was machst du hier?"
      Fragte er angespannt und sah sich sofort nach einem möglichen Hinterhalt um.

      Doch wo war Berek?
    • Elraya wartete mit sämtlicher Geduld, die sie aufbringen konnte, und dann war es endlich soweit: Eine höchst verdächtige und dazu auch noch vermummte Gestalt betrat die Taverne.
      Es war schon Monate her, dass sie Berek das letzte Mal gesehen hatte und obwohl sie sich fast sicher war, dass er eigentlich größer und irgendwie... furchteinflößender wirken musste, ließ sie sich doch nicht darin beirren, dass er es war, der so zielstrebig auf sie zukam. Die Reaktion des Wirtes war wohl der beste Beweis dafür, also ließ sie es lieber nicht drauf ankommen.
      Sie stellte ihren Krug ab und versuchte recht unbefangen zu wirken, als Berek zu ihrem Tisch kam - nur um sich einen Moment später überraschenderweise als Khil zu enttarnen. Elraya glotzte für einen Moment ungläubig, dann stieß sie ein "Hä?!" aus, bevor Aradan nun auch noch dazu kam. Fast eine Stunde hatten sie jetzt gewartet dafür, dass Berek doch nicht aufgetaucht war, sondern nur seine Assistenz geschickt hatte.
      Khil sah mit aller Ernsthaftigkeit zu Elraya und dann zu Aradan hoch, während so etwas wie Interesse in ihren Augen aufflackerte. Wahrscheinlich war sie geradezu hibbelig danach gewesen, eine derartige Erfahrung zu machen.
      "Berek lässt sich entschuldigen."
      Sie sah wieder zu beiden, um sich ihrer vollständigen Aufmerksamkeit zu versichern.
      "Dir lässt er ausrichten, Elraya, dass du wenigstens schlau genug sein müsstest, um zu wissen, dass es mit einer "Entschuldigung" nicht getan sein wird. Der einzige Grund, weshalb Lodoz davongekommen ist, ist dass er schon zu tot ist, um ihn in irgendeiner Weise einzusetzen. Solange du also noch lebst, bist du klar im Defizit. Und dir lässt er ausrichten, Aradan", sie sah zu ihm, "dass du ziemlich vorhersehbar geworden bist. Die Spinne hat schon ihr Netz gewebt und keiner von euch hat es mitbekommen, nicht einmal du."
      Dann schenkte sie ihm ein flüchtiges Lächeln.
      "... Und was soll das jetzt heißen? Wo ist Berek? Wird er noch herkommen?"
      "Was bedeutet denn "her"? Welche räumliche Begrenzung hat das "her" und damit das implizierte "hier"? Sprichst du von diesem Fleck Boden, von dieser Taverne, von diesem Viertel, von dieser Stadt, von diesem Land, von diesem Kontinent, von dieser Welt? Denn entsprechend davon werde ich deine Frage unterschiedlich beantworten."
      "Äh..."
      "Und welche zeitliche Begrenzung hat das "wird"? Ich gehe ja wohl richtig davon aus, dass du die Futurform anwendest, weil du nicht mit seiner Ankunft in dieser Sekunde rechnest, aber wie weit wirst du da gehen? Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre? Auch das kann ich dir nicht einheitlich beantworten. Eines Tages könnte Berek sicherlich hier wieder aufkreuzen, deshalb lässt sich hier nichtmal eine definitive Antwort erfüllen, außer natürlich du besäßest die Fähigkeit in die Zukunft zu sehen, wodurch sich aber wiederum die Frage gänzlich nichtigt..."

      Draußen, einige Dächer weiter, tippte Anthea ungeduldig auf den Griff ihres Schwertes, während sie in die Straßen hinab starrte. Es war ihr nicht sehr recht, das Kommando an anderen weitergeben zu müssen und jetzt, wo sie es getan hatte, wurde sie mit Warten bestraft.
      "Was dauert denn so lang..."
      Sie warf einen Blick in alle Richtungen, überzeugt davon, dass mittlerweile etwas hätte passieren müssen. Aber nichts hatte sich verändert.
      "Warte hier Luce, ich werd mich da vorne positionieren. Da hab ich immer noch alles im Blick, aber vielleicht lieg ich da ein bisschen höher."
      Sie stand auf, ging weg von ihm und begann dann mit dem Rüberklettern zu besagter Stelle.
    • "Er lässt sich entschuldigen?"
      Fragte Aradan vorsichtig, den Blick schärfend. Alles was daraufhin folge war eine beinahe schon vergessene Charaktereigenschaft dieser seltsamen Frau. Sie erklärte so unfassbar unnötig kompliziert und doch nichtssagend, dass es beinahe schon wie....
      "Eine Ablenkung !!!"
      Augenblicklich riss Aradan sich zum Eingang herum und sah bereits eine überwältigend riesige Feuersäule auf sich zu rasen, die nicht nur das Gebäude, sondern auch den kompletten Häuserblock mit sich reißen würde.
      Mit sich weitenden Augen der beinahe schon respektvollen Überraschung an Macht, fing sich Aradan grade noch rechtzeitig. Sein Schock von sich werfend, galt nun seine Konzentration der Rettung Elraya's und Khil. Nach einer raschen Bewegung seiner Arme, tat sich eine Säule aus purem Licht einen Meter vor ihm auf, welche dafür sorgte, dass das Feuer links und rechts in Kegelform zerteilt wurde. Alles hinter Aradan blieb unversehrt, doch trafen die gespaltenen Flammen genug Gebäude um einen großen Brand unvermeidbar zu machen.

      Vor Hitze lief dem weißhaarigen Mann der Schweiß direkt von der Stirn und seiner Arme hinunter. Wie lange hielt dieser verdammte Berek diesen Feuersturm aus?! Lange würde die Stadt einen solchen Angriff nicht stand halten, oder gar die Menschen die in ihr lebten.
      Kurz blickte Aradan hinunter, sich erinnernd wie er von seinem Zwielicht Begleiter davor gewarnt wurde die eigene Kraft nicht in der realen Welt zu zügeln. Doch sah Aradan wie schwer es Elraya und Khil bereits fiel Luft in dieser Hitze zu holen... wie schwer hatten es also wohl die anderen Bewohner, welche den Flammen gerade komplett ausgesetzt waren?
      Die Wut stieg in Aradan an. Diese Vorstellung erzürnte ihn so sehr, dass schon jetzt die Stimme des Chaos aus dem Zwielicht rief, sich zu beherrschen, doch ignorierte er jeden Versuch der Beruhigung und ballte seine Fäuste, wohl mit übrig angestauter Wut gegenüber den Taten des Kults. Dadurch verstärkte sich schon die helle Schutzsäule so sehr, das sich ihr Umkreis mit einem Knall verdoppelte und den Boden zu reißen zwang.

      Der Konter auf diese konzentrierte Abwehr kam äußerst schnell. Berek schmälerte den großen Umkreis seiner Feuersäule, wodurch die konzentrierte Energie immer mehr auf Aradan gerichtet wurde. Keine 3 Sekunden dauerte es dass das Feuer sich von guten 10 Metern an Breite auf einen halben Meter gebündelt hatte, was Aradan in seiner Abwehr zwar noch standhaft bleiben lies, doch an Hitze selbst kaum noch auszuhalten war.
      Langsam aber sicher fühlte es sich an als würde sein Blut kochen und seine Sinne von einem Nebel bedeckt werden. Es wurde also Zeit die Taktik zu ändern, so hielt Aradan die Lichtsäule nur noch mit einer Hand aufrecht und holte mit der anderen nun geballten Faust aus als würde er zu einem wuchtigen Schlag ausholen.
      Als diese Faust mit einem erschütternden Schrei die eigene Säule schlug, erhellte gefühlt die ganze Stadt für einen Augenblick und lies einen Teil des Lichts wie in einem Keil durch die Feuersäule schnellen als hätte diese keinerlei Widerstand zu bewältigen, traf Berek in dessen Brust so präzise wie es von einem Meisterschützen zu erwarten war, doch blickte auch Berek mit einem grinsen an sich hinunter, da er noch nie zu sehen bekam wie seine Feuersäule überhaupt gekontert wurde, geschweige denn mit einer so tödlichen Präzision. Wäre Berek nicht in seiner Flammenform gewesen, wäre sein Herz nun wohl an der nächsten Hauswand gelandet. Doch in diesem Fall stoppte Berek seinen Angriff, setzte stattdessen alle Gebäude um sich herum in Brand um seinen Vorteil zu vergrößern.

      Das Lachen verblasste dann aber als er einen starken Schmerz in seiner linken Seite bemerkte.
      Sofort galt sein Blick der Seite, was aber keine Wunde erblicken lies, sondern ein grelles Blenden. Ein so enormes Blenden, dass er kaum die Augen offen halten konnte. Doch das was er sah, lies ihn an seinem Plan ernsthaft zweifeln, denn sah er in diesem hellen Licht doch tatsächlich zwei klare blaue Augen ohne körperliche Form. Als stünde ein gleißend helles Licht in schemenhafter Menschengestalt vor ihm.
      Und nun begann auch noch sein Handgelenk an zu brennen... Moment... Zu brennen?! Der prüfende Blick verriet, dass etwas helles sein Handgelenk packte und eine bedrohlich wellige Stimme ertönte.
      "Du kannst nicht gewinnen..."
      Wie in einem Reflex nutzte Berek seine Feuerform um seine Handgelenk wieder zu sich zu bekommen und den fest brennenden Griff zu lösen. So schnell es ihm möglich war, floh er in eines der anderen brennenden Häuser indem er von einer kleinen Flamme zur nächsten Sprang... doch erneut... kaum angekommen ertönte wieder diese Stimme unmittelbar hinter ihm.
      "Gib auf..."
      Erneut die Feuerform um ganze 50 Meter entfernt hinter einer Wand aus einem kleinen Feuerchen aufzusteigen, nur um abermals diesen entsetzlichen Augen entgegen zu blicken
      "Eine Flucht ist unmöglich. Gib auf wenn dir dein Leben etwas bedeutet..."

      Beinahe eingestehend sich maßlos unterlegen zu fühlen, lies Berek seine Feuerform ausklingen und stand blank als Mensch vor seinem Feind. Doch was folgte sah auch er nicht kommen. Scheinbar hatte sich Berek unbewusst in einen Unterschlupf des Kults befördert, welche direkt ihre seltsamen Steine warfen, die schon zuvor für seine Niederlage gesorgt hatten, doch nun war das Glück auf seiner Seite, denn nun stand der Lichtmensch exakt in dem Moment zwischen den Kultisten und Berek als sie schon diese verfluchten Steine geworfen hatten.
      Als diese auf Aradan trafen, wandte sich dieser verwundert nach hinten um. Was war das für ein seltsames Gefühl an seinem Rücken? Irgendetwas stimmte nicht. Dann landeten weitere Steine auf seiner Brust, was ihm zeigte, warum sich sein Rücken seltsam anfühlte.
      Auf seiner Brust verblasste sein Licht und offenbarte seine Menschliche Form. Zwar waren es nur kleine Segmente, doch war es genug um Aradan sofort die Augen aufzureißen ehe er auch schon einen stark brennenden Rücken spürte. Berek hatte diesen Augenblick der Verwirrung sofort ausgenutzt um sein Feuer an den geschwächten Stellen Aradan's hinein gejagt. Der Schmerz war so enorm, dass er seine Lichtgestalt vor Schock kaum noch aufrecht halten konnte und den Rest seiner Konzentration dafür nutzte wieder auf den großen Platz zurück zu "springen" um zur größten Not von Elraya unterstützt zu werden, doch brannte auch hier noch der halbe Platz, was zur Folge hatte, dass Berek wenig später vor Aradan auftauchte. Sein Ego sorgte dafür dass es ihm unverzichtbar vorkam sein überlegendes Grinsen zu präsentieren bevor er sich dem lästigen Aradan entledigen würde.
      "Da hat sich wohl Jemand übernommen hm? Schnell, gewiss. Aber auch voreilig und dumm."
      Aradan grinste nur als Berek ihn an seinem Kragen packte, vermutlich um seinen letzten Schlag abzubekommen, doch was Berek nicht kommen sah war.... ein Kiefer zertrümmernder Hieb. Ein Hieb wie er nur von einem riesigen Nordmann ausgeteilt werden konnte.
      Valterri.
      Kein Zeitpunkt wäre besser gewesen als diese gewaltige Faust ohne jeden Rückhalt das Gesicht der Spinne traf. Durch diese Wucht und einigen Rollen über den Boden an einer Hauswand grob aufprallenden Stillstand, griff sich Berek sofort seinen Kiefer. Der Schmerz war unerträglich, da dieser tatsächlich komplett zertrümmert wurde. Sein erster Gedanke war die Feuerform um die Brüche augenblicklich heilen zu lassen, auch wenn es unglaublich viel seiner Energie rauben würde, doch gab es nicht mal dafür genug Zeit, da bereits ein weiteres Mitglied wartete. Eine seltsame Flüssigkeit in Form von vier Spritzen rammten sich sofort in die linke Schulter Bereks.
      "Wa... !?!"
      Ein rückblickender Schock sorgte für Klarheit. Daikata war zurück. War das nicht dieser Arzt in Aradan's Truppe?! Blieb der nicht in Shegar??
      So viele unerwartete Eindrücke prasselten auf Berek nieder. Zu viele und viel zu wenig Zeit um einen guten Plan zu schmieden aus dieser Situation geschickt hinaus zu kommen. Unmittelbare Flucht war wohl das beste, was er nun anstreben sollte. Immerhin konnte Aradan augenscheinlich noch nicht in seine schnelle Lichtgestalt wechseln, doch was war los? Berek konnte seine Form nicht wechseln und somit auch nicht mehr in die nächste brennende Flamme abtauchen. War das etwa aufgrund der Spritzen?!? Direkt aufblickend, sah er einen Finger wedelnden Daikata vor sich, was die Wut in ihm so sehr aufsteigen lies, dass er sich sein Schwert zurück wünschte, stattdessen aber nur das von Daikata packte um ihm seinen scheiß Finger abzutrennen. Wütend brüllend holte Berek also aus, traf mit dem Schwert aber nur auf anderen Stahl. War das allen Ernstes ein Dolch?

      Nein. Es waren Zwei. Einer davon blockte seinen Hieb und der andere bohrte sich tief in seine Seite hinein.
      Blut spuckend sprang Berek zurück und brannte sich sofort die Wunde aus. Seine Kräfte schwanden immer weiter. Eine weitere Wunde dieser Art hätte er sicher nicht mehr ausbrennen können. Also was nun?
      "KHIL!! Komm sofort her und hilf mir!!"
    • Im einen Moment schien Khil noch darüber zu philosophieren, was Elraya mit ihrer Frage nun wirklich herauszufinden versuchte, dann schien die Welt in Feuer aufzugehen.
      Die nächsten Minuten hatte keiner von ihnen in irgendeiner Weise vorhersehen, geschweige denn bewältigen können. Alles geschah so schnell, dass ihnen nichtmal Zeit blieb, einen notdürftigen Plan zu erstellen.
      Eine Feuersäule schoss in die Taverne herein und brachte Elraya zum gekreischten aufspringen, bevor Aradan es binnen einen Herzschlags verhinderte, dass alle drei von ihnen gegrillt wurde. Selbst Khil machte große Augen, aber sie schrie nicht so wie Elraya. Sie sah auf das Spektakel und zog ihre neuen Erfahrungen daraus.
      Das Feuer erstarb nicht. Es leckte weiterhin in das Gebäude hinein und brach bei dem letzten Schutz, den Aradan bot, aber auch das war schnell nicht mehr genug. Die Hitze breitete sich trotzdem aus, brachte die Holzdielen zum Schwelen und stieß einen Rauch aus, der keinen Ausweg fand.
      Elraya und Khil blieb nichts anderes übrig, als in ihrem feuernen Gefängnis zu verweilen und machtlos zuzusehen, wie Aradan und Berek einen feurigen Kampf auf Leben und Tod bestritten.

      Draußen erschütterte derweil ein heller Lichtblitz die gesamte Stadt und hätte vermutlich spätestens die Aufmerksamkeit sämtlicher Umstehenden auf sich gezogen - so auch Anthea, die jetzt zu weit von Lucius entfernt war, um mit ihm zu reden.
      "Was zum Teufel?!"
      Sie starrte auf das Chaos, das sich bei der Taverne entfachte, der reine Sturm aus Feuer, in dessen Mitte sie sogar Aradan erkennen konnte. Aradan! Das Schauspiel übertönte sogar ihre Abneigung zu Melora.
      "Fuck! Luce! Luuuce!"
      Sie sprang auf das andere Dach, rannte zu ihm, drückte sich die Hand auf die brennende Wunde an ihrer Taille und zog ihn mit sich. In irgendeiner Weise mussten sie dem Mann helfen.


      Die Soldaten des Königs rückten keine halbe Stunde später an, angelockt von der riesigen Lichtexplosion und der Tatsache, dass das entstandene Chaos womöglich auf Anthea zurückführen könnte. Sie kamen aus allen Richtungen. Anthea schickte Luce mit ihrem Plan los, dann ließ sie ihr Chaos spielen.
      Sie lenkte die durch den Kampf entstandene Massenpanik um, um sie genau gegen die Soldaten zu schicken. Sie brachte Strukturen zum Einstürzen, die eigentlich von dem Kampf unbetroffen gewesen wären und sie lenkte die Soldaten nach hinten ab. Was sie beim Tor nur ein bisschen zum Verwirrung stiften getan hatte, lebte sie jetzt in noch weiteren Zügen aus - noch größer, noch breiter, noch allumfassender. Sie hätte die ganze Stadt in Chaos gesteckt, wenn es nötig gewesen wäre. Sie hätte ihre Kunst bis zu den Grenzen der Mauern ausgeweitet und nichts hätte sie davon abhalten können.

      In der Taverne mussten sämtliche Anwesenden erst beobachten, wie Aradan sich zu verausgaben drohte, bevor das Blatt sich urplötzlich wandte und Berek derjenige war, der ihm unwiderbringlich unterlag. Dabei hatte niemand die Ankunft des Riesen bemerkt, der eigentlich von weitem schon hätte auftauchen müssen. Aber trotz seiner Größe schaffte Valterri es irgendwie, völlig unbemerkt zu bleiben.
      Khil riss sich schließlich von dem Anblick los, als Berek sie anblaffte, ihm zu helfen. Sie hatte ihre Tracht nicht abgelegt, jetzt stürzte sie plötzlich auf Berek zu und zog etwas unter ihrem Umhang hervor, das niemand sehen konnte. Sie warf es in die Luft und die kleine Bombe zerplatzte. Gas breitete sich binnen eines Wimpernschlags über sämtliche Anwesenden aus.
      Khil stellte sich vor Berek auf, als wolle sie ihn mit ihrem Körper beschützen, dann riss sie ihre Tracht hoch und brüllte "Feuer!!" bevor Berek ihrer Aufforderung nachkam und eine Flamme entzündete. Das Gas entzündete sich um die Flamme sofort und breitete sich in einer stichartigen Explosion über alle anderen aus.
    • Lucius, der selbst nicht glauben konnte was in der Taverne geschah und sich kurz darauf auf den Platz davor verlagerte, wandte sich erst ab als Anthea bei ihm auftauchte und direkt das Feuer in ihn brennen lies als er sah, dass sie wieder ihren kleinen Chaosblick aufgelegt hatte. Sie erzählte ihm von ihren Plan. Er willigte ein und gemeinsam machten sie sich auf den Weg, um die Soldaten abzulenken.
      Lucius war ein talentierter Kämpfer und nutzte sein Geschick und seine Schnelligkeit, um die aufmarschierenden Soldaten zu verwirren und ihre Waffen gegen sie selbst zu richten. Er sprang und wirbelte durch die Mengen der Soldaten, sorgte dafür dass sie über ihre eigenen Füße stolperten und bestrafte nur jene mit dem Tod die sich als Ziel gesetzt hatten Anthea zu nahe zu kommen. Dies geschah so schnell und brutal, dass die Soldaten kaum Zeit hatten sich zu wehren. Meist nutzte er dessen eigenen Waffen mit seiner Fähigkeit der Entwaffnung, so musste er sich auch keine Sorgen um den Verschleiß machen, was zu bedeuten hatte, dass er wie eine wilde Raubkatze die Schwerter mit der Spitze voran durch die Rüstungen presste, Äxte so wuchtig auf den Körper der Soldaten schlug, dass teilweise die Arme brachen. Höchst ineffizient wenn es darum ging seine Angreifer schnell auszuschalten aber.... so machte es ihm einfach mehr Spaß, was man an seinem wilden Lachen auch deutlich hören konnte. Schnell sorgte das auch für einen psychologischen Effekt unter den neuen Rekruten der Königsstadt. Sie verfielen manche male in Panik wenn Lucius sich ihnen näherte und sorgten doch tatsächlich dafür, dass die Moral in den Keller fiel und tatsächlich der Befehl gegeben wurde Anthea und Lucius zu priorisieren.
      Von einem Soldaten zum anderen springend und dabei immer wilder und unbeherrschter werden, benetzte das Blut immer mehr seinen Körper, was sein Gesicht voller Freude strahlen und seine Augen vor Durst schreien ließen.
      Doch obwohl er in einem Tötungsrausch verfiel, war Lucius immer noch darauf bedacht nach jeder weiteren Leiche zu Anthea zu schauen und zu schützen. Er wich allen unnötigen Kämpfen aus, die dafür gesorgt hätten, dass Anthea in Gefahr kommen konnte.

      Berek war tatsächlich erleichtert, wenn auch etwas in seinem Stolz verletzt, als Khil auftauchte um ihm zur Hilfe zu eilen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er in der Taverne auf derart starke Gegenwehr stoßen würde. Nun ziemlich glücklich darüber Khil bei sich zu haben, wartete er schon auf einen ihrer kleinen Tricks die, wie er zugeben musste, in der Vergangenheit schon ziemlich oft ihre Nützlichkeit bewiesen. Als sie die kleine Bombe warf und das Gas ausbrach, zögerte Berek nicht lange. Er entfachte sofort eine Flamme und entzündete das Gas. Die Wucht der Explosion war enorm aber Berek sorgte für ausreichenden Schutz indem er die Flammen die auf ihn und Khil zukamen absorbierte, nicht aber die, die in Richtung von Daikata und Valterri hetzten.
      Dieser Moment war perfekt um den Rückzug anzutreten, was Berek auch unmittelbar in die Tat umsetzte nachdem Khil ihm hoch half und ihm bei der Flucht helfend unter die Arme griff.

      Daikata bekam von der Explosion dank Valterri's schneller Reaktion ebenfalls nicht viel ab, da sich der Riese schützend vor Daikata aufbaute. Die Haut eines Nordmanns seiner Klasse war allem Anschein dick genug um lediglich eine leichte Verbrennung anhand roter Haut zu hinterlassen.
      Als die Explosion verschwand und dicken Nebel hinterließ, waren sich beide mit einem Nicken einig, dass eine Verfolgung sinnlos war. Beide entschlossen sich direkt dafür nach Aradan zu sehen, doch stockten sie bei dem Anblick. Was sahen sie sich dort an? Was ist in der Zeit geschehen in welcher sie von ihm getrennt waren?
      Aradan schwebte majestätisch über dem Boden. Er war von einem gleißendem Licht umgeben, das ihn in eine fast schon göttliche Gestalt hüllte. Es war, als ob er selbst ein lebendes Lichtwesen war, geboren aus der Essenz des Lichts.
      Seine Augen waren geschlossen und seine Hände waren ausgestreckt, als ob er die Macht des Lichts in seine Fingerspitzen lenkte. Er konzentrierte sich auf seine Magie und all die Brände, die in der Stadt wüteten.
      Mit einem plötzlichen Aufblitzen erstrahlte Aradan noch heller und ein kräftiger Wind erhob sich in der stadt. Seine Arme begannen sich zu bewegen und ein glühendes Licht entstand in seiner Handfläche. Er war bereit, die Brände zu löschen und das Leben der Menschen zu retten die darunter ihren Tod finden würden.
      Schnell wurde klar was das Licht in seinen Händen bewirkte. All die Flammen der Stadt wurden Lebendig und schossen allesamt zeitgleich auf den gleißenden Lichtball zu, was schnell dafür sorgte, dass Aradan selbst Schaden durch die enorme Hitze nahm. Die Flammen züngelten wild um ihn herum aber Aradan ließ sich nicht von seiner Aufgabe abbringen. Mit einer plötzlichen Bewegung schleuderte er das Licht in die Luft. Ein Schauspiel, dass man so noch nie gesehen hatte. Der Lichtball wetzte weit in den Himmel und zog eine große Anzahl an Flammen mit sich, die sich schnell um den Lichtball sammelten und wie eine zweite Sonne wirkten.
      Dann riss Aradan seine Arme weit voneinander weg, was den Lichtball in einem blendenden Feuerwerk aus Energie und Licht explodieren ließ.
      Daikata und Valterri konnten ihren Augen nicht trauen. So etwas schönes hatten sie noch nie gesehen. Alle Feuer der Stadt waren erloschen und ließen lediglich Rauch zurück. Augenblicklich nach der wundervollen Explosion geschah das nächste unwirkliche. Trotz der Mittagszeit schien das Licht komplett der Dunkelheit platz zu machen. Als sei es mitten in der Nacht, fand das Spektakel sein Ende, was die Augen sofort wieder auf Aradan lenkte.
      Dieser öffnete grade wieder seine Augen und senkte seine Arme. Sein Körper war jetzt in einer sanften Aura aus Licht gehüllt, die ihn wie einen Engel erscheinen ließ. Ein wahrer Gott des Lichts, wie sich Daikata und Valterri in diesem Moment dachten. Doch war das überhaupt noch Aradan?

      Die Aura verflog und Aradan kam etwas unsanft auf dem Boden auf, ganz eindeutig erschöpft und von Schweiß bedeckt. Der Atem schwer und sich auf den Boden setzend, sah er sich um, als wolle er sicher stellen auch wirklich keinen Brand hinterlassen zu haben.
    • Die Explosion der Taverne war allumfassend, eine plötzliche Stichflamme, die sich über das Gas der Bombe binnen einer Sekunde durch den ganzen Raum ausbreitete. Mehrere Leute schrien, aber wer genau war nicht ersichtlich, nachdem der ganze Raum in einem hellen, flammengetriebenen Licht aufging. Die Hitze war kaum auszuhalten.
      Erst, als das letzte Gas verpuffte und die Flammen sich einigermaßen legten, hatte man einen Ausblick auf dessen, was dahinter lag. Und was es war, verschlug ihnen allen gleichermaßen die Sprache.
      Aradan hatte sich von dem sonst übernatürlichen, wenn auch noch immer menschlichen Mann deutlich zu etwas abgehoben, das viel eher einer Gottheit gleichkam als einem gewöhnlichen Menschen. Dort, wo vorher noch die Flammen gewütet hatten, erschien nun die Gestalt des weißhaarigen Mannes, eine Erscheinung, wie sie allenfalls in Geschichten hätte vorkommen können, nicht aber in der Realität. Aradan hing zwischen ihnen in der Luft wie ein Bote der Gerechtigkeit, eine Grenze zwischen der Niedertracht, die Berek und seine Schar darstellten, und dem Rest der Welt. Er schien gottgleich und gleichzeitig von den Göttern auserkoren.
      Ein plötzlicher Lichtblitz ließ die Anwesenden zusammenzucken, dann schien sich ein unsichtbares Feld aufzutun, das sämtliche Flammen in der Umgebung zu sich zog, mit Aradan in seiner Mitte. Wieder riefen mehrere Leute etwas, aber die Verwunderung über das Schauspiel war viel zu groß, um sich darüber Gedanken zu machen, ob man einschreiten sollte. Letzten Endes musste man es wohl Aradan überlassen, dem einzigen Wesen in ihrer Mitte, der stark genug war, um mit solcher Macht umgehen zu können.
      Die Flammen sammelten sich und schossen schließlich in den Himmel empor, um in einer eigenen, beeindruckenden Explosion aufzugehen. Sämtliche Aufmerksamkeit war auf den Himmel gerichtet, der nur kurze Zeit später in Finsternis aufging.
      Wenige Sekunden später erschien eine weitere Gestalt in der Tür und Renera warf sich mit einem Aufschrei regelrecht auf Aradan, den sie gleich so fest zu sich zog, wie es nur möglich war.
      "Aradan, bei allen Kreaturen!"
      Überwältigt von sämtlichen Emotionen, die mit einem Mal über sie hereinbrachen, jetzt, da sie Aradan nicht nur wiedergefunden, sondern ihn gleichzeitig auch noch bei vollem Bewusstsein wiederhatte, schlang sie die Arme um ihn, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Die anderen Anwesenden hatten keine Bedeutung mehr, Berek hatte keine Bedeutung, einzig Aradan war in diesem Moment das wichtigste und sie hätte die eigene Hand ins Feuer gelegt, um ihn zu schützen.
      "Oh Aradan! Was hast du gemacht, was war das? Was ist nur passiert?"
      Sie küsste ihn ungestüm, ohne erst auf eine Antwort zu machen, dann zog sie sich Aradans Arm um die Schultern und bemühte sich darum, dem Mann beim Aufstehen zu helfen. Valterri hätte ihn sich wohl mit Leichtigkeit über die Schulter geworfen, aber in diesem Augenblick hätte Renera allenfalls einen Arzt in Aradans Nähe verlassen.
      "Wir müssen hier weg, bevor das Chaos noch ganz ausbricht. Kannst du laufen, Aradan? Nur ein bisschen."
      Sie sah sich nach Valterri um, dann strebte sie den Ausgang an, um ihren Freund in Sicherheit zu bringen.

      Selbst Anthea bekam das Schauspiel mit, auch wenn sie und Lucius noch deutlich abgelenkt von den Soldaten waren. Sie erlaubte sich die eine Sekunde, um mit einer gewissen Verwunderung zur Taverne zu blicken, bevor sie sich nach Luce umsah.
      "Hast du das gesehen? Luce?"
      Der Mann war von einer beachtlichen Traube umgeben, eine Menge aus vor Wut blinden Soldaten, die um ihn schwirrten wie die Insekten um das Licht. Das hatte wohl dafür gesorgt, dass Anthea sich die Sekunde nehmen konnte, denn die Menge schien tendenziell eher zu Luce und weg von Anthea zu gravitieren. Ihr kam das merkwürdig vor, aber sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, als sich eine bullige, hochgewachsene Gestalt von dem Rest der Menge abhob. General Szeth Peamut hatte soeben das Feld betreten.
      Der Veteran sah in seiner Uniform aus wie ein glühender Stern in einem trüben Nachthimmel. Seine Auszeichnungen waren so glatt poliert, dass sie jeden einzelnen Strahl Licht widerspiegelten, ein einziges Kunstwerk aus Reflexion, das sich über seine Brust und seine Schultern schlängelte. Er war alt, das konnte man ihm ansehen, aber mit fortschreitendem Alter schien wohl auch seine Präsenz stärker geworden zu sein. Und bei seinem Auftreten zweifelte Anthea nicht daran, dass er noch nicht alt genug war, um an Kraft zu verlieren.
      Er reckte sein ebenso glanz poliertes, königsgeschmiedetes Schwert empor und brüllte seine Befehle, ein einziger Donner unter dem Kampftrubel, der in einer anderen Welt die Kraft gehabt hätte, den Boden zu erschüttern. Hier war er immerhin stark genug, um Antheas Adrenalinschub zu erschüttern.
      Sie duckte sich vor dem nächsten Angriff fort, leichtfüßig bei ihrer plötzlichen Planungsänderung und versuchte, bei dem Umschwung der Soldatenmenge, die auf ihren General hin ihre Formation änderte, Lucius zu erreichen. Der Mann verschwand hinter einer Wand aus Rüstungen.
      "Luce!"
      Sie schlug sich durch ein Soldatenpaar, rettete sich knapp vor einer Enthauptung und schnappte sich ein herrenloses Schwert, das sie in die nächste Rüstungslücke eines Soldaten rammte und dort stecken ließ. Der Soldat drehte sich und wie zu erwarten, hielt die Waffe seine umgebenden Kameraden auf Abstand. Anthea nutzte die dadurch gewonnene Lücke, um zu Lucius zu gelangen.
      Sie hatte sich gerade in seine Nähe durchgeschlagen, da ertönte die Stimme des Generals erneut, laut, stark, kräftig und unbeugsam und eine erneute Welle ging durch die Soldatenschaft, die sich nun deutlich festigte. Weiterkommen war jetzt definitiv beschwert und mittlerweile war Anthea sich sicher, dass sie lang genug für Ablenkung gesorgt hatten.
      "Zurück Luce! Zurück!"
      Rückzug wollte sie nicht sagen, aber eigentlich meinte sie genau das. Sie hatten ihre Möglichkeiten zum Chaos hier ausgeschöpft, jetzt müssten sie sich eine neue Quelle suchen, um mit der neuen Gefahr umzugehen, die sich ihnen in der Form des Generals präsentierte.

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    • Noch von der Akt ermüdet die Stadt von den Flammen zu befreien, nahm Aradan wenige Sekunden später eine Gestalt in seinem Augenwinkel wahr. Kaum wandte sich sein Blick zu dieser Person, erkannte er dass es Renera war. Seine Renera. Die, die sich nun mit einem Aufschrei förmlich auf ihn stürzte und an sich drückte als wolle sie ihn nie wieder gehen lassen. Aradan verschwendete keinen einzigen Gedanken ehe er auch seine Arme wild um seine Liebste schlang. Doch merkte er direkt wie schwer es ihm fiel sie mit der Kraft zu umarmen wie er es in diesem Moment wollte. Scheinbar hatte er sich selbst etwas mit seiner neu erlernten Kraft überschätzt... oder die nötige Menge an Energie unterschätzt. Die Rettung der Stadt vor ihrem flammenden Untergang hatte beinahe all seine Kräfte geraubt. Normalerweise würde es Tage dauern bis er sich vollständig erholt hatte und seine Energie vollständig zurückkehren würde. Ein Fehler der die Stadt vermutlich doch noch alles kosten könnte, sollte Berek einen weiteren Angriff starten.
      Doch in diesem einem Augenblick, als Renera ihn leidenschaftlich küsste, geschah etwas Unerwartetes.

      Ein Funke sprang über, ein unerklärliches Phänomen. Aradan war überrascht als er plötzlich eine rasende Geschwindigkeit soürte, mit der seine Kraft zurückkehrte. Es war, als ob eine unbekannte Quelle seine Erschöpfung wegschwemmte und ihn mit einer neuen, berauschenden Energie durchströmte.
      Das Bewusstsein dieser mysteriösen Quelle durchzog ihn wie ein elektrischer Impuls. Ein Funke des Geheimnisses, das seine müden Muskeln wiederbelebte und seinen Geist erneuerte. In diesem Moment erkannte er, dass es mehr gab als nur seine eigene Magie, das Zwielicht, oder die Geschichte aus der er zu lernen versuchte. Irgendetwas Außergewöhnliches war geschehen und es spornte ihn an sofort wieder aufzustehen, weiterzukämpfen, weiterhin für das Wohl aller zu kämpfen, vor allem aber dem Wohl seines Herzens, Renera.

      Die Welt um ihn herum verschwamm als er sich von Renera löste und sie mit einem Blick der Entschlossenheit ansah. Seine Augen, einst von Müdigkeit gezeichnet, erstrahlten nun mit einer neuen Leuchtkraft. Eine Flut von Gefühlen durchströmte ihn - Überraschung, Bewunderung aber vor allem Entschlossenheit.
      Aradan wusste, dass er nun mehr war als nur ein Lichtbringer. In ihm ruhte eine unbekannte Macht, die er erst zu endecken begonnen hatte. Es war ein GEschenk, das ihm verliehen worden war und er fühlte sich dazu berufen, es zu nutzen, um all das Leid und Übel zu bekämpfen. War es das was seine Eltern versucht haben in die Welt zu setzen? Auf ein mal ergab alles einen Sinn.

      Sein Blick wanderte über die Umgebung während er seine neu entdeckte Energie spürte. Er sah die verängstigten Gesichter der Menschen, die in naher Entfernung herumstanden, auf der Suche nach Hoffnung und Sicherheit. Aradan wusste, dass er nun ihre Stärke und ihr Licht sein musste. Er würde mit der mysteriösen Quelle seiner Energie weiter kämpfen, um ihnen Schutz und Frieden zu bringen.
      Mit einem festen Entschluss trat Aradan vor und hob seine Hand, die andere noch fest an der von Renera umklammert. Das Leuchten seiner Lichtmagie umgab ihn erneut, doch diesmal war es durchdrungen von einer Kraft, die er nicht erklären konnte. Es war eine Macht, die jenseits seines Verständnisses lag, aber er wusste, dass sie ihm gehörte, dass sie dazu bestimmt war, das Dunkel zu vertreiben, welches in dieser Welt herrschte.

      Aradan fühlte sich erfüllt von einem neuen Sinn. Seine Aufgabe war klar, seine Bestimmung deutlicher als je zuvor. Mit jeder Faser seines Seins war er bereit, sich dem Kampf zu stellen und die Welt mit seinem Licht zu erfüllen.
      Inmitten der wirbelnden Energien und der erneuten Entschlossenheit, sah Aradan Renera mit neuen Augen. Er erblickte in ihr die gleiche geheimnisvolle Macht, die auch in ihm erwacht war. Ihr sanftes Strahlen, ihre bedingungslose Liebe und ihre Stärke wurden für ihn zu einer unerschöpflichen Quelle der Inspiration. Er konnte nicht anders, als sie mit einem Ausdruck der Bewunderung anzusehen. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er Renera niemals wieder verlieren wollte. Ihre Präsenz war nicht nur eine Ergänzung zu seiner eigenen Macht, sondern der Grundstein für sein Streben nach Gerechtigkeit, Schutz und Sicherheit.

      Die Verbundenheit zwischen ihnen war tiefer als je zuvor. Aradan wusste, dass sie gemeinsam eine unaufhaltsame Kraft waren, die diesem finsteren Schatten der Welt entgegentreten konnte.
      Ein Hauch von Entschlossenheit lag in seinem Blick, als er Reneras Hand nun fest in beiden seiner schloss.
      "Ich verspreche dir hiermit, dass ich für immer an deiner Seite bleibe. Durch jeden Kampf und jede Herausforderung hindurch."

      Aradan erkannte, dass die Liebe, die sie teilten, eine mächtige Quelle der Stärke war. Ihre Unterstützung und ihr Glaube aneinander würden sie durch jede Prüfung tragen. Gemeinsam würden sie das Unmögliche erreichen und die Welt wieder ins rechte Licht führen.
      Mit einem Lächeln der Entschlossenheit in seinen Augen und Reneras Hand fest in seiner eigenen, trat Aradan vor, bereit, die neue Macht, die in ihnen erwacht war, zu nutzen.
      Gemeinsam würden sie eine unvergessliche Geschichte schreiben und die Welt mit ihrer Liebe und Licht erfüllen.



      Auf der anderen Seite des Schlachtfelds konnte selbst Anthea das Schauspiel des Lichts und der anschließenden Nacht nicht übersehen. Obwohl sie und Lucius immer noch von den Soldaten abgelenkt waren.
      Lucius war jedoch von einer beeindruckenden Traube umgeben. Einer Ansammlung von Soldaten, die blind vor Wut waren und wie Insekten um das Licht um ihn herumschwirrten. Die Menge schien tendenziell eher zu Lucius als zu Anthea gezogen worden zu sein, doch verblasste all das als diese große, allumfassende Person aus der Masse hervor stach, welche wohl allen als General Peamut augenblicklich in Erkennung stechen durfte.

      Lange dauerte es ab diesem Zeitpunkt nicht als Anthea plötzlich zu einem dezenten Rückzug aufrief. Abhalten lies Lucius sich dadurch keinesfalls, immerhin gab es auf dem Weg zurück noch mehr als genug Körper die er mit diesen billig ergaunerten Klingen zum schreien bringen konnte.
      Beide kämpften sich von nun an entschlossen durch die feindlichen Soldatenschaften. Die Rufe des Generals und die verstärkte Formation der Truppen machten ihren Rückzug deutlich schwieriger. Doch mit Geschick und Entschlossenheit gelang es ihnen schließlich, aus dem dichten Gewirr aus Rüstungen und Waffen herauszukommen.

      Als sie den großen Platz erreichten, auf dem Aradan samt seiner Gemeinschaft stand, spürten sie die Intensität der magischen Energie, die in der Luft lag. Aradan hatte sich positioniert und seine Kräfte versammelt, um sich dem General entgegenzustellen, welcher sich nach einem hilferufenden Blick Anthea's direkt hinter ihnen befand.



      "Renera?" Ertönte fragend neben ihr zielgerichtet zur Front.
      "Schütze alle die danach rufen. Schütze alle noch vor deinem Wohl.." während er diese Worte aussprach, lies er seine Kräfte Stück für Stück über seine Hand in die Renera's gleiten, welche unbekannte Schriften auf ihrer Handfläche überließen, die kurz darauf über ihren ganzen Körper verteilt platz nahmen und ihr eine Macht übertrugen die Elraya zuvor nur zu einem kleinen Ansatz zu teil wurde.
      Als die Übertragung abgeschlossen war, sah Aradan sein Herzblatt an und nickte verheißungsvoll.
      "Lass es eindringen. Lass es zu und zeig unseren Feinden was du fühlst"
      Unmittelbar danach sah er wieder nach vorne, Anthea und ihren Begleiter fokussierend. Doch viel intensiver fiel sein Blick auf dessen Verfolger. Niemand anderes als Szeth Peamut verfolgte die Beiden. Für Aradan war dieser Mann der personifizierte Untergang Melora's und der Anfang seiner Leidensgeschichte. So unmittelbar seiner neuen Kraft beflügelt, kam ihm diese Person entgegen der er all seinen Hass entgegen brachte.
      Genau das sollte dieser "Mensch" nun zu spüren bekommen.
      "Stell dich hinter mich..." brachte er seiner anderen Hälfte entgegen und leitete sie mit seiner Hand an ihrem Bauch entlang hinter sich ehe er seine andere Hand Peamut entgegen richtete. Kurz darauf erleuchtete eben diese Hand in einem gleißendem Licht und entließ einen gebündelten Lichtstrahl aus seiner Hand, welcher Peamut's Herz galt, doch ebenso schnell wie dieser erschien, wurde dieser auch schon von dessen Rüstung abgeleitet und zerstreute in fielen Richtungen die Aradan nie vorgesehen hatte. Die ersten vier von vielen Strahlen ließen Gebäude in viele Teile zerbersten. Grund genug dass sich Lucius, noch immer vollsten Rausches auf Anthea stürzte, sie komplett in seine Arme schloss und sie zu Boden riss. Dort unten lies er den Staub vergehen und sah ihr grinsend in die Augen.
      "Lass sie Leiden" brachte er mit seinem üblichen Charm hervor, welchen nur Anthea in dieser Form zu teil werden durfte und zugleich für Unruhe sorgen durfte.
      Nachdem man seine unübliche Aussage untersuchen konnte, wurde klar, dass er genau wusste nicht mehr lange in dieser Welt zu verbleiben, ebenso nicht mehr lange an Anthea's Seite sein zu können. Doch bevor sie seine Wunde erblicken konnte, die durch einen der Lichtstrahlen genau durch seine Leber geschossen war, packte er die Wangen der Frau der er bis ans Ende der Welt gefolgt wäre und grinste weiterhin diabolisch als er seine letzte Kraft nutzte um sie näher an sich heran zu ziehen.
      Ein erster und letzter Kuss war sein letzter Wille. Doch kam dieser Wunsch zu spät. Wenige Millimeter vor der erwünschten Berührung erschlafften seine Arme, fielen zu Boden und machten allen klar, dass das Leben soeben aus seinem Körper gewichen war.
    • Anstatt Reneras Aufforderung nachzukommen und endlich das Weite zu suchen, oder alternativ auch sich vor dem Chaos zu schützen, das mittlerweile um sie herum entbrandet war, geschah etwas gänzlich merkwürdiges mit Aradan. Renera war sich sicher, nein, sogar vollkommen überzeugt davon, dass der Mann in dem Augenblick, in dem sie hereingekommen war, dem Tode nahe ausgesehen hatte, lasche Glieder, bleiches Gesicht und fahrige Bewegungen, der einzige Grund, weshalb sie sich überhaupt mit einer solchen Sorge auf ihn gestürzt hatte. Aber jetzt, kaum als sie soweit von ihm abließ, um ihn richtig in Augenschein zu nehmen - und von ihm in Augenschein genommen zu werden - geschah etwas mit ihm, das sie nicht recht deuten konnte. Vielleicht war es ihre Wiedervereinigung, vielleicht war es neue Hoffnung darauf, diesem Wahnsinn endlich zu entkommen, aber Aradan blühte regelrecht auf. Die Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt, seine herabhängenden Schultern hatten sich gestrafft und jetzt konnte Renera seine Präsenz nur noch als leuchtend beschreiben. Verwirrt, ein wenig unsicher, aber voll von unverbrauchter Liebe, die sich in den letzten Wochen seiner Bewusstlosigkeit angestaut hatte, starrte sie in die selbstbewussten, hellen Augen zurück, als Aradan ihre Hand drückte.
      "Und ich bleibe an deiner Seite. Für immer."
      Wenngleich ihr eigener Eid nicht ganz so voller Macht und Energie zu stecken schien, wie es Aradans tat, schien es ihm doch die nötige Kraft zu geben für was auch immer er geplant haben mochte. Unwillens ließ sie zu, dass er die andere Richtung anstrebte, der Weg in Richtung des brausenden Gefechts. Renera war hier deutlich fehl am Platz, auch Aradan war eigentlich nicht dazu geschaffen, in seinem Zustand hier etwas auszurichten, aber sie wehrte sich nicht. Sie wusste, dass er sie jetzt am meisten brauchte.

      Gemeinsam traten sie an den Rand des Massakers, das sich vor ihnen erhob, dann wandte Renera sich ihrem Freund halb zu. Ein Prickeln fuhr über die Handfläche, wo sie mit Aradans Hand in Berührung kam und von dort schien es nach oben zu wandern, zu ihrem Unterarm, ihrem Ellbogen, zu ihrer Schulter und von dort zu ihrer Brust. Es war kein unangenehmes Prickeln, sondern viel eher ein Gefühl, als würde etwas samtig weiches über ihre Haut streichen, einer Feder gleich, nur ohne zu kitzeln. Es schien ihre Muskeln zu erfüllen dort, wo es entlang kam und während Renera voller Verblüffung und Faszination zusah, wie sich abgehackte, kleine Schriftzeichen über ihre Haut verteilten, dachte sie doch mit einer überraschenden Klarheit an Aradans gesprochene Worte. Schütze alle die danach rufen. Schütze alle noch vor deinem Wohl. Sie konnte ihn quasi hören, seine Stimme hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, nahe ihrem Ohr wie es schien, nachdem sie sich mit deutlicher Klarheit an seine Worte erinnern konnte. Schütze alle die danach rufen. Schütze alle noch vor deinem Wohl. Es war wie ein Mantra, das sie erfüllte, eigentlich sonst lose, alleinstehende Worte, die jetzt aber einen völlig neuen Sinn zugeschrieben bekamen, eine Macht, die Renera niemals in Worte hätte fassen können. Es war nicht mehr als ein Gefühl und doch war es, als würde sie von diesem Gefühl gelenkt, als schreibe es ihr die Richtung vor. Schütze alle die danach rufen. Schütze alle noch vor deinem Wohl. Auch wenn Renera nicht lesen konnte, war sie doch völlig davon überzeugt, dass diese Sätze jetzt auf ihrem Körper standen, dass die Worte selbst durch ihre Venen zu fließen schienen und dort das Blut ersetzten. Schütze alle die danach rufen. Schütze alle noch vor deinem Wohl.
      Ja. Sie würde alle schützen, die Schutz bedarfen. Sie würde das Wohl der anderen über ihr eigenes stellen. Sie wusste, dass sie dazu befähigt war, dass sie die Macht dazu besaß.
      Sie sah wieder zu Aradan auf und als sich ihre Blicke trafen, als er ihr bekräftigend zunickte, strömte ein kühler Schauer durch ihren Körper, der ihn von sämtlichen Unreinheiten zu säubern schien. Er machte sie frisch, er machte sie leicht und am wichtigsten machte er sie unverwundbar. Renera wusste zwar nicht, woher dieser Gedanke kommen mochte, aber es war die beste Beschreibung für das, was jetzt durch ihre Venen floss.

      Sie wandte sich wieder dem Kampfgeschehen zu, dem ohrenbetäubenden Klirren von Waffen, dem Scheppern von Rüstungen, die aneinanderstießen, dem Gebrüll von Feind und Freund, Angreifer und Verteidiger, Verletztem und Unverletztem. Ein Teil von ihr sträubte sich dagegen, ein verwunderter Teil, der in dem Lärm eine Gefahr sah, eine Gefahr für Renera und ihre Umgebung. Dieser Teil wurde unterdrückt von Aradans Worten: Schütze alle die danach rufen. Schütze alle noch vor deinem Wohl.
      Sie verließ den Schutz des kleinen Platzes, auf den sie sich zurückgezogen hatten, und mit jedem Schritt pulsierte das Mantra durch ihre Muskeln. Sie zog ihre Schwerter heraus, eine ganz natürliche Bewegung, sie würde sich nicht der Schlacht anschließen, aber sie würde sie lenken. Ihre Klingen waren dazu gemacht zu führen und nicht zu töten, zu leiten und nicht zu vernichten, zu schützen und nicht zu zerstören. Schütze alle die danach rufen. Schütze alle noch vor deinem Wohl.
      Sie verfiel in einen Laufschritt und dann hatte sie eine unsichtbare Grenze zwischen Zivilisation und Kampf überschritten, dann hatte sie die letzten Ausflüchte der Verteidigungslinie überquert und befand sich mitten im Getümmel, eine einzige unter vielen; aber schließlich war sie nicht alleine, Aradan war mit ihr, wenn auch nicht körperlich. Er steckte in jeder Faser ihres Körpers, als sie sich nach vorne warf und die Klinge emporriss, ein Aufwärtsschlag gegen eine herabsausende Waffe, die das eigentliche Ziel getötet hätte. Die Waffe traf auf Reneras Schwert, aber es gab keinen Widerstand, keine Gegenwehr gegen das, was mit Renera dort kämpfte. Der Kämpfer verlor seine Waffe und bevor er sich nach der nächsten umsehen konnte, war Renera bereits weiter, immerzu dem Ruf der Notbedürftigen nach, niemals den Verlockungen des Kampfes erlegen. Sie unterschied nicht zwischen Freund und Feind, wieso sollte sie auch? Sie war hier um zu schützen, wer des Schutzes bedarf und sie war nicht gekommen, um Leben zu nehmen. Das Mantra durchfloss sie und nach den Worten ihres Freundes richtete sie sich.

      Anthea und Lucius brachten sich mehr schlecht denn recht in Sicherheit, wesentlich uneleganter, als sie hätten tun können, nachdem das Chaos Ausmaße angenommen hatte, die Anthea nicht mehr zu bändigen wusste. Das war allein dem General zuzuschreiben, das wusste sie, aber dennoch gab es für den Moment nichts, was sie hätte ausrichten können. Nichts, womit sie den glühenden Stern in schimmernder Rüstung vom Himmel hätte holen können. Sie war fast machtlos und als sie daher hinter eine Verteidigungslinie brachen, die sie vom Rest des Geschehens abschirmte, kochte sie vor Wut.
      Lucius sah an ihrer Seite reichlich lediert aus. Der Mann hatte einige Wunden davongetragen, keuchte und war schweißgebadet, seine Haare klebten in Strähnen auf seiner Stirn. Er hatte unlängst seine eigenen Waffen gegen gefundene eingetauscht und trug im Moment ein blutverschmiertes Kurzschwert, das schon einige Kerben davongetragen hatte. Seine Hände und Kleider waren blutverschmiert und selbst an seinem Mundwinkel klebten vereinzelte Blutspritzer. Anthea glaubte, ihn noch nie so dermaßen attraktiv gesehen zu haben.
      Kaum kamen sie in der Sicherheit von Aradans Leuten an, entfesselte dieser schon einen weiteren Magiespruch, einen derart mächtigen, dass selbst Anthea sich von dem Anblick ihres höchst reizenden Begleiters losriss und beobachtete, wie der Mann eigenständig gewaltige Lichtkegel aus seinen Handflächen schleuderte. Sie hätte diese Erscheinung später nicht erklären können, doch in diesem Moment war sie sich sicher, dass es ein dermaßen machtvoller Zauber war, dass es sie fröstelte. Ein erster, machtvoller Zauber in Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten und er kam gerade von dem Mann, den sie früher immer verachtet hatte. Für einen winzigen, kleinen Augenblick verspürte sie so etwas wie Ehrfurcht, bevor sie das Gefühl weit in die hinterste Ecke ihres Verstandes packte.

      Aber irgendetwas schien schief zu gehen. Entweder der Mann hatte schlecht gezielt oder es lag an etwas anderem, aber kaum, als er seine Macht entfesselt hatte, sprangen die Lichtkegel plötzlich durch die Luft, als hätten sie sich seiner Kontrolle entrissen. Anthea duckte sich instinktiv, kurz bevor sich ein kräftiger und höchst geschmeidiger Körper auf sie warf und mit nach unten zog. Sie brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass es sich um Lucius handelte, tat es aber trotzdem. Der Mann schlang die Arme um sie, als wäre sie das wichtigste Gut, das es zu retten galt, und obwohl es im Hintergrund krachte und splitterte, als würde die Welt selbst aus den Angeln fallen, fühlte Anthea sich doch zutiefst berührt. Sie blinzelte gegen den Staub an und erforschte das von Blut gezierte Gesicht ihres Begleiters, der seine Worte mit seinem hübschen, charmanten Lächeln untermalte. Dieses Lächeln hatte sie schon immer gemocht, es war Lucius' höchst eigenes Lächeln, mit dem er die Welt eroberte. In diesem Moment schien es aber nur ihr zu gelten.
      "Wir lassen sie leiden, Luce!"
      Kaum ausgesprochen wurde ihr erst die Merkwürdigkeit dieser Situation bewusst und da fiel ihr etwas in Lucius' Augen auf, ein Schatten, der durch seinen Blick kroch und der sonst nicht da war, der neu war, der definitiv nicht zu der Situation und nicht zu den Worten passte. Im Hintergrund krachte es erneut, ein Erdbeben, als etwas zu brüche ging, was den Boden erschütterte. Schutt und Fragmente sausten durch die Luft, teilweise ganze Gesteinsbrocken. Anthea wurde sich langsam gewahr, dass sie sich hier in einer gänzlich unvorteilhaften Situation befanden, dass dieses Chaos nicht durch sie hervorgerufen und nicht durch sie zu kontrollieren war. Sie wollte es Lucius sagen, aber irgendetwas hinderte sie daran. Irgendetwas in seinen Augen schien Einzug zu finden, das ihr ganz und gar nicht gefiel.
      "Wir lassen sie leiden, Luce! Hörst du mich?"
      Anstatt einer Antwort umfasste er ihr Gesicht mit seinen blutgetränkten Händen und in einer Bewegung, die ihr so vertraut hätte vorkommen sollen, aber die doch gänzlich neu war, näherte sich sein Gesicht ihrem. Ihr Herzschlag setzte aus, als sie begriff. Die Welt blieb für einen Moment stehen, als sie die Bewegung erkannte. Ihr Atem blieb in ihrer Brust stecken. Ihr Lippen schienen zu kitzeln, panisch gegenüber dem, was bevorstand und gleichzeitig in Ekstase darüber, dass es endlich geschah, dass es endlich soweit war. Ihre Finger waren ganz taub, ihr Körper rückte in unendliche Ferne. Einzig und allein ihre Lippen blieben übrig, ihre Lippen und Lucius' wundervolles, vertrautes Gesicht, das ihrem immer näher kam.
      Und dann war dieses Etwas wieder da, dieses Ding, das ihr schon zuvor nicht gefallen hatte und das jetzt gänzlich Lucius' Augen vereinnahmte. Es war der Schatten, der sich darüber legte, der seine Pupillen schrumpfen und seinen Blick ins Unsichtbare abgleiten ließ, der seinen Gesichtszügen die Spannung und seinen Muskeln die Kraft nahm, der dafür sorgte, dass seine Finger von ihren Wangen rutschten und sein Kopf mit einem Mal schwer auf ihren herab sank. Es war der Schatten, der ihren ersten Kuss zu ihrem letzten hätte machen sollen und ihr sogar diesen letzten zeitgleich nahm. Sie hatte bekommen, was sie seit so langer Zeit begehrt hatte und dann hatte sie es doch nicht erhalten.
      Die Welt drehte sich weiter, aber Anthea blieb liegen, noch immer von Lucius begraben, der sie von dem größten Teil des Staubes schützte. Ihr Gehirn war nicht so schnell wie ihr Verstand, sie schloss die Arme um ihn und versuchte, ihn zum Aufwachen zu bewegen.
      "Luce! Luce?!"
      Ihre Finger strichen über etwas festes, nasses an seinem Rücken und als sie die Hände anhob, um sie zu sehen, klebte Blut daran. Nicht ihr eigenes. Nicht das von Lucius' Feinden. Nicht das von seinen Verbündeten. Nicht das von General Peamut und auch nicht das von Aradan. Sein eigenes.
      Ihr Gehirn begriff und während es das tat, packte sie das vollständige Grauen. Sie rief seinen Namen, zwei Mal noch, mehrmals, mit steigender Intensität. Dann packte sie seinen Kopf und weil sie von der Tragweite der Situation gänzlich auf sämtliche Rationalität verzichtete, drückte sie doch ihre Lippen auf seine, schmeckte Blut, das vielleicht seines und vielleicht das jemand anderes war und kostete, was sie all die Monate über begehrt hatte, was sie hätte bekommen können und was sie niemals getan hatte. Seine Lippen waren weich, unendlich weich und unendlich zart, ein Gefühl, das zu gut war für diese Welt. Sie spürte Lucius darin, seine sonst so lässige, elegante Art, seinen Charme, seine Lockerheit, seine Unbeschwertheit. Seine Leichtigkeit. Sein Genie. Sie spürte all das und noch viel mehr in diesem einen ersten und gleichzeitig nicht ersten Kuss, der kein richtiger Kuss war, nachdem er ihn nicht erwiderte. Sein Kiefer war schlaff und als sie sich wieder von ihm löste, fiel sein Kopf einfach wieder nach unten, so als wäre er unterdessen eingeschlafen.
      Hoffnungslosigkeit machte sich in ihr breit, ein tiefer Kummer einer Qual gleich, der sich in ihren Eingeweiden einnistete und sich durch ihren Körper verbreitete. Das Herz schien ihr in der Brust zu zerspringen, die aufkommende Trauer so groß und allesergreifend, dass sie glaubte, nie wieder einen Finger rühren zu können, dass sie hier an Ort und Stelle verenden würde, gestorben allein von dem Schmerz in ihrer Brust, der so schnell so groß war, dass sie vor Wehmut aufschrie, dass sich in ihre Qual auch noch Zorn hinzumischte, Zorn über alles was schief gelaufen war, über diesen Tag, über diese Leute, über jeden, der ein Schwert in der Hand trug. Es steigerte sich zur wahrhaftigen Raserei, ein Gefühl, das sie vollständig übermannte und dem sie nichts auszusetzen hatte, so wie sie jetzt unter der Leiche ihres Geliebten, ihres Freundes, ihres Mannes gefangen war, der sein Leben dafür gegeben hatte, dass sie ihres nicht verlor. Sie hatte Lucius geliebt und man hatte es ihr nicht vergönnt, das Schicksal hatte sie damit aufgezogen, ihr etwas zu geben, das sie ihres nennen konnte, nur um es ihr im entscheidenden Moment wieder wegzunehmen. Hass war in ihrem Inneren, alles verbrennender Hass und tiefste Rage über das ganze Universum. Sie wollte Rache für das, was man ihr genommen hatte. Sie wollte das Leid, das Lucius widerfahren war, über die ganze restliche Welt bringen.

      Sie stieß seine Leiche von sich, jetzt besudelt von seinem eigenen Blut, von dem Lebenssaft, den er für sie gegeben hatte, und dann stand sie auf. Für einen Moment noch brodelte der allesverzehrende Hass in ihr, dann kehrte mit einem Schlag plötzlich Ruhe ein. Der Zorn wurde ersetzt von Fassung, der Kummer ersetzt von einer eisigen Kühle. Etwas legte sich mit der Leichtigkeit einer Feder auf ihre Knochen und Anthea wehrte sich nicht dagegen. Sie empfing es mit der Gänze ihres Körpers.
      Die Welt hielt ein weiteres Mal den Atem an. Das Krachen der Gebäude rückte in den Hintergrund, ebenso wie der Lärm des Kampfes. Für einen winzigen Augenblick schien alles auf etwas bestimmtes zu warten und als dieses bestimmte Etwas kam, brach das Chaos in einer explosionsartigen Welle aus.
      Die Soldaten in Antheas unmittelbarer Nähe drehten sich plötzlich wie vom Schlag getroffen um und rannten mit einem Mal, als wären sie vom Leibhaftigen persönlich verfolgt. Die Männer dahinter wandten sich in ihre Richtung und als das Chaos sie den Bruchteil einer Sekunde später traf, rannten ein paar um ihr Leben, aber ein paar wandten sich auch einander zu, erhoben die Waffen gegen ihren Nachbarn und schrien, als hätte sie das Grauen gepackt. In den Reihen dahinter brach das Chaos in ähnlicher Form aus und dahinter und auch dahinter. Selbst der General ließ plötzlich seine Waffe fallen und starrte dann darauf, als begreife er nicht ganz, was dort vor ihm im Dreck lag. Seine umgebenden Kumpanen brachen in schrilles Geschrei aus, manch einer lief um sein Leben, ein anderer sank zu Boden. Einer rammte sich die Waffe durch den Schlitz seiner Rüstung. Ein dritter schlug sich mit der Faust gegen den Kopf.

      Anthea setzte sich in Bewegung und mit ihr zog das Chaos. Keiner blieb davon verschont, keiner konnte sich dem widersetzen, was in Wellen von ihr auszustrahlen schien, mächtig und groß und unbarmherzig. Das Chaos zog in jedermanns Köpfe ein und betätigte dort Hebel, die nicht zu betätigen gewesen wären. Es war allmächtig und es war Antheas Natur, es war das, was in ihr schlummerte, ihr höchstpersönliches Selbst. Es wandelte mit jedem Schritt, den sie unternahm.
      Der Tumult löste sich zunehmends in Chaos aus. Kämpfende flüchteten davon, andere warfen sich mit einer solchen Inbrunst aufeinander, als müssten sie der Welt beweisen, dass sie in der Lage waren, ihren Gegner niederzuringen. Wieder andere beendeten ihr eigenes Leben, schnell und wirkungsvoll oder langsam und nervenzerreißend. Viele fielen zu Boden als wären sie getroffen worden - und überall erhob sich ein Wehklagen, das die Herzen zerreißen konnte. Die Meute hatte den Verstand verloren und Anthea allein hatte die Macht darüber.

      Sie war nicht sehr weit gekommen, hatte gerade mal den Rand der Auseinandersetzung erreicht, als sich doch noch eine Gestalt von dem Rest der Menge abhob, ein einziger Überlebender, der sich von einem kämpfenden Paar trennte und dann mit eiserner Entschlossenheit auf den Ursprung des Chaos zustrebte, die Schwerter erhoben, die Miene voll von Willenskraft, die dem Rest der Überlebenden gänzlich zu fehlen schien. Es war Renera, die sich als einzige dem Chaos zu widersetzen schien. Es war ihr Mantra, das die unsichtbaren Wellen der Wirrnis an sich abprallen ließ wie an einer Mauer. Renera, die hier war zu schützen und das Wohl der anderen über ihr eigenes zu stellen - und die die unmittelbare Gefahr der Anwesenden jetzt in der einzig anderen stehenden Frau sah. In ihrer Halbschwester.
      Keine der beiden Frauen schien auch nur ansatzweise darüber gewahr zu sein, dass es ihr eigenes Blut war, auf das sie zuhielten, Renera in einem offensiven Ansturm, Anthea in einem langsamen, aber festen Schritt nach vorne. Die ältere der beiden hatte ihre Waffen dicht an ihre Arme gedrückt und beide Arme erhoben, Vogelhaltung, die Miene starr und ernst, der Blick zielgerichtet auf die einzige Bedrohung, die sie hier wahrnehmen konnte. Die jüngere ging aufrecht, das Gesicht kühl und unbeteiligt, die Hände waffenlos. Dann blieb sie allerdings stehen und hob ein herrenloses Schwert als Waffe auf, eine Geste, die merkwürdig fremd schien, so als sollte sie eigentlich nicht dazu genötigt sein. Aber sie tat es, denn das Chaos drang nicht zu der anderen hindurch. Und dann stieß Renera sich vom Boden ab, ein kraftvoller Sprung durch die Luft, der Vogelsprung zur Vogelhaltung, die Waffen zu beiden Seiten ihres Körpers, der Blick auf ihr Ziel gerichtet, die Absicht der Gefahrentilgung. Die Klingen blitzten durch die Luft und fuhren nach vorne, beide gleichzeitig, während Anthea lediglich ihr einzelnes Schwert anhob. Das Waffenpaar fuhr auf die einzelne Klinge ein und die Schneiden krachten aufeinander.
      Die Luft explodierte. Es kam einem Blitz gleich, der aus dem Nichts zu kommen schien und ins Nichts wieder verschwand, nur dass es mit einem Mal gleißend hell wurde und flackerte. Für einen Augenblick konnte man gar nichts erkennen und dann gab es tatsächlich einen Knall, als das Licht verschwand und Renera im nächsten Augenblick durch die Luft segelte. Sie kam drei Meter weiter hinten auf dem Boden auf, abgebremst von herumliegenden Leichen, und als sie zum liegen kam, rührte sie sich nicht mehr. Dünne Rauchfaden stiegen von ihr auf, von ihrem Körper, der zwar noch mit den fremdartigen Schriftzeichen übersät war, die jetzt aber so aussahen, als wären sie verbrannt, so dunkel und zerrissen und eingebrannt, wie sie wirkten. Die Rauchfahnen stiegen in den Himmel und wenn man ihren Körper nicht gesehen hätte, hätte man davon ausgehen können, dass sie Feuer gefangen hatte.
      Anthea war lediglich ein Stück zurückgeschlagen worden und als sie sich jetzt aufrichtete, schien sie keinerlei Leid erfahren zu haben. Sie wandte ihren Kopf in ihre Umgebung und aus ihren Augen sprühte der Ursprung des Chaos allein, die Macht hinter der alles ergreifenden, totalen Unordnung. Sie selbst hatte sich zum Chaos entwickelt.

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    • Aradan stand von Stolz erfüllt neben der Person, ohne die sein Leben keinen Sinn mehr machte und betrachtete das sich zuspitzenden Chaos. Die sich entfaltende Hölle vor ihm war ein Trauerspiel, all die Menschen die in diesem Kampf geliebte verloren oder sich ihrer Existenz bedroht fühlten, schürten in ihm den Tatendrang. Doch vorerst wandte er seinen ruhenden Blick auf Renera, die mit einer beispiellosen Macht und Entschlossenheit vorwärts preschte, nachdem er den Zauber auf sie übertrug, mit welchem er einst auch Elraya bestärkte. Eine tiefe Anerkennung und Bewunderung durchströmte sein Wesen, während er die erstaunliche Reaktion auf seinen Zauber bei ihr beobachtete.
      Aradan war sich vollkommen bewusst, welche immense Macht nun in Renera ruhte, nachdem er ihr einen Teil seiner eigenen Kraft übertragen hatte. Er wusste, dass sein Zauber nur dann seine volle Wirkung entfalten konnte, wenn man ihm wahrhaftig vertraute. Und nun, da er die unglaubliche Entfaltung von Reneras Kräften sah, erkannte er die tiefe Verbundenheit und Liebe, die sie für ihn empfand. Es war diese aufrichtige Liebe, die es Renera ermöglichte, seinen Zauber so meisterhaft zu nutzen.
      Ein breites Lächeln der Zufriedenheit und des Stolzes zeigte sich auf Aradans Gesicht, als er sah, wie Renera mit beeindruckender Leichtigkeit und Führung in die Schlacht einging. Er war überzeugt davon, dass sie die notwendige Stärke und Weisheit besaß, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Sein Blick blieb gebannt auf ihr, während er sich bewusst wurde, dass ihr Erfolg und ihre Sicherheit eng mit ihrer bedingungslosen Liebe zu ihm verbunden waren.
      In diesem Moment fühlte Aradan tief in seinem Inneren eine grenzenlose Dankbarkeit für Renera und die außergewöhnliche Verbindung zwischen ihnen. Mit jedem weiteren Schritt, den sie inmitten des tobenden Gefechts machte, sandte er stille Glückwünsche und seine ganze Unterstützung zu ihr, überzeugt davon, dass sie gemeinsam jedes Hindernis überwinden konnten.

      Während Aradan voller Stolz und Vertrauen Renera beobachtete, bemerkte er plötzlich eine verstörende Veränderung in der Atmosphäre um ihn herum. Eine düstere und bedrohliche Macht begann sich zu sammeln, als ob sie aus den tiefsten Schatten emporstieg. Schnell richteten sich seine Augen auf Anthea, die von einer überwältigenden Trauer verzehrt zu werden schien.
      Zu schnell entwickelten sich die Ereignisse, nachdem Aradan seine Lichtmagie eingesetzt hatte, um den General zu besiegen, welcher Anthea und ihr Geleit verfolgte. Zu seinem Bedauern bemerkte Aradan schnell unbeabsichtigte Folgen seines rettenden Angriffs, als er sah wie der General noch stand, stellvertretend aber der Gefährte Anthea's auf dem Boden verblieb und keinerlei Lebensenergie versprühte, wie es eigentlich jedes Lebewesen tat.
      In ihrer Verzweiflung und Wut über den Verlust begann sich Anthea zu verändern, ihre Seele verschmolz mit der unheilvollen Energie des Chaos. Einer Energie die Aradan nur zu gut kannte und eine viel zu lange Zeit in ihm selbst hauste. Erst jetzt bemerkte er davon befreit worden zu sein und nach einem kurzen Blick in sein Inneres, fand er die Seele seines Untermieters nicht mehr wieder. Sofort ahnte Aradan schreckliches.

      Er erkannte die Gefahr, die nun von Anthea ausging, als ihr Wesen allmählich zu dem einer Halbgöttin des Chaos transformierte. Zugegeben war ihr dieses Bild beinahe schon vorher maßgeschneidert gewesen, doch mit der nötigen Macht war es auch für Aradan nicht auszumalen was sie in dieser Welt losbrechen könnte.
      Dunkle Kräfte manifestierten sich um sie herum, während sie sich zu erheben schien, ihr komplettes Wesen hatte sich gewandelt als sie ihre neu erworbenen Kräfte auf alle los lies, die sich in ihrer Nähe befanden.

      Trotz des Schreckens, des Mitgefühls und der TRauer, die Aradan erfüllten, blieb er ruhig und gefasst. Er wusste, dass nur er in der Lage war, dieses Chaos zu bändigen, so, wie er es schon einige Male zuvor tat, als das Chaos auch in ihm wütete. Er musste Anthea vor dieser Macht schützen und all jene um sie herum, bevor es sie noch komplett verschlang. Seine Gedanken wandten sich dabei schnell zu Renera, die immer noch unbeirrt in der Schlacht kämpfte, und er hoffte inständig, dass sie stark genug sein würde um dieser Bedrohung standzuhalten. Sie war Anthea viel näher als ihm lieb war, auch wenn sie von seiner Magie begleitet wurde, fürchtete er um die Kraft, welche Anthea nun inne lag. Noch nie zuvor hatte Aradan mit einem solchen Szenario zu tun gehabt, also wusste er auch nicht, wie er bestenfalls darauf reagieren sollte.
      Nun aus Entschlossenheit reagierend, hob Aradan seine Hand empor und konzenrtierte seine Kräfte auf den Punkt genau über seiner Handfläche. Er kanalisierte das reine Licht und entfachte eine gleißende Lichtkugel in seiner Hand, welche er mit einem kraftvollem Wurf auf Anthea zu schleuderte, auf dass das Licht die Dunkelheit in ihr vertreiben würde.

      Es war ein hoffnungsloser Akt. Die Lichtkugel zerriss lange bevor sie Anthea erreichte. Die Dunkelheit zerfetzte das Licht beinahe als hätte er versucht mit einer Kerze die unergründliche Tiefe des Meeres zu erleuchten und vor Kälte zu befreien. In diesem Moment kam Aradan nicht umher auch nur den Ansatz zu verstehen wie sich Anthea fühlen musste. Eine Träne wanderte über seine Wange als er sich vorstellte den gleichen Verlust durchleben zu müssen. Er musste Anthea einfach aus dieser Trauer befreien. Er war bereit bis zum Äußersten zu gehen, um sie von der zerstörerischen Macht des Chaos zu befreien und sie wieder in ihr wahres Selbst zurückzuführen.

      Wer weiß. Vielleicht war es ja noch nicht zu spät.
      So hoffte Aradan zumindest, als er in einem hellen Licht aufging und kaum einen Augenblick später im selben Licht genau vor dem Leichnam Lucius wieder auftauchte. Er legte in diesem Wimpernschlag gute 50 Meter zurück und hockte sich an sein Ziel hinunter. Seine Hand auf die Wunde legend schloss er seine Augen und ließ ein helles Licht zwischen Hand und Wunde durch sickern, welches Aradan sichtlich viel Kraft kostete. Er verfiel nach nur 3 Sekunden in heftiges Schwitzen und knurrendem Kraftakt über, gefolgt von seiner zweiten Hand, welche sich auf seine Andere legte. Das Licht wurde intensiver und hätte womöglich Nahestehenden das Augenlicht genommen, wenn diese direkt hinein geblickt hätten.
      Das Knurren folgte ein Aufschrei und kompletter Verausgabung Aradan's Kräfte, doch was sich in diesem Moment regte, kam einem Wunder gleich. Die Finger Lucius begannen doch tatsächlich sich zu bewegen. Der Schatten unter seinen Augen lichtete sich und die Blässe verflog wenn auch nur für einen Hauch. Ja sogar sein starrer Blick lockerte sich für gute 5 Sekunden.

      ...doch dann sackte Aradan zusammen. Seine Kräfte waren aufgebraucht. Kaum noch genug Kraft aufbringend, sich auf seine eigene Knie zu halten, fing er an zu schwanken und atmete schwer, als käme ihm gleich die Lunge aus dem Hals. Der Schweiß lief ihm nur so von seinem Gewicht hinunter und tropfte an jeder Kante hinab.
      In diesem Moment stieg der Zorn in ihm auf. Er verfluchte sich nicht stark genug gewesen zu sein den Schmerz von Anthea nehmen zu können. Von sich selbst maßlos enttäuscht, sackte er in sich hockend, seine Hände vor sich haltend als seien sie Schuld an allem.
      Erst als er bemerkte wie sich sein Zauber urplötzlich von Renera gelöst hatte, blickte er auf und suchte den Blick zu ihr, welchen er schnell fand und sah wie seine Sigillen sich von ihrer Haut lösten.
      Was hatte er nur getan?! Er hatte sich so sehr auf die Rettung eines Fremden konzentriert, dass er den Schutz seiner geliebten vernachlässigte. Sie war ganz klar in höchster Lebensgefahr und er selbst hatte sich so viel seiner Kraft berauben lassen.
      Nein.
      Das konnte Aradan nicht zulassen.
      Er sprang sofort über seinen Schatten der Güte, blickte wieder auf den Leichnam hinab und verzog seinen Blick ins Finstere als er seine Hand erneut auflegte. Dieses Mal gab er keine Energie. Dieses mal nahm er sie. Sein Versuch Lucius zu retten schlug fehl, warum also nicht die Macht zurück fordern die noch in ihm lag? Warum nicht den letzten Rest seines Körpers stehlen? Warum nicht alle Macht nehmen die vor ihm lag?
      Der Zog den Aradan ausübte hörte selbst da nicht auf als Lucius Körper nur noch ausgetrocknete Haut und Knochen darbot als wäre er schon seit Monaten verstorben. Grotesk, doch wieder mächtig genug sich Anthea entgegen zu stellen, richtete sich Aradan auf und atmete tief durch.

      Einen Wimpernschlag später stand er exakt vor Renera, welche noch Rauch der verbrannten Sigillen von sich gab. Ein kurzer vergebender Blick erreichte sie als Aradan sich umdrehte, der mächtigsten Gefahr entgegenblickend die sich zur Zeit in der Stadt befand.
      "Anthea Elquin. Zügle deinen Zorn auf der Stelle! Ich habe in deine Seele geschaut. Ich weiß wie du dich fühlst. Ich darf deinen Zorn aber nicht auf unschuldige nieder hageln lassen. Bitte lass dich nicht von Chaos kontrollieren."
      Seine Worte stießen auf taube Ohren. Anthea schritt weiter voran, was Aradan beinahe schon ahnte. Chaos hatte es an sich seine Wirte Blind zu machen, also fühlte er sich für folgende Tat gezwungen.
      "Tut mir Leid Anthea. Mir bleibt nichts anderes übrig.."
      Für seine nächste Magie lief Aradan an seinem anderen Auge eine Träne hinunter. Nichts wollte er mehr vermeiden, doch wusste er wie man Chaos vertrieb.
      Er hob seinen Arm und richtete seine Hand Anthea entgegen. Ein sanftes, beruhigendes Licht erstrahlte in der Kontur seiner Hand und erzeugte in Anthea eine Erinnerung mit Lucius. Er zeigte ihr einen Tag an dem Beide knappe 24 Stunden zusammen waren, ungeachtet der Verpflichtungen hatten sie sich an jenem Tag während einer Mission außerhalb der Stadt getroffen. Es war der Tag an welchem sie sich beide ineinander verliebten und sich ohne Worte aneinander versprachen, komme was wolle.
      Aradan wusste wie sehr Chaos durch solche Gedanken geschwächt wurde, also musste er Anthea diese Gedanken einfach erneut durchleben lassen.

      Und es wirkte.
      Von enormen Mitgefühl Aradan's begleitet, ließ er sofort magisch leuchtende Lichterketten aus seiner Hand hervor stoßen, welche Anthea an ihrem Hals, ihrer Taille und ihren Handgelenken packte und straff zu Boden riss. In diesem Moment schloss Aradan seine Augen und zerrte ihre Seele ins Zwielicht. An jenen Ort den Elraya zuvor schon besuchen durfte.
      Auf einer ebenen Wiese voller frieden und sanfter Sommerluft empfing Aradan Anthea, nun befreit von Chaos. Unmittelbar hinter ihm stand Lucius mit seinem verheißungsvollem Grinsen.
      "Hey."
      Daraufhin trat er vor Aradan und hob sein Kinn mit überlegenem Lächeln an während er seine Hände an seine Hüfte stemmte.
      "Ich habs immer gewusst. Du stehst auf mich."
    • Anthea Elquin, die Wirtin des Chaos, der Ursprung der Verwirrung und der Unruhe, schritt unbeirrt weiter durch ein Meer aus Leichen hindurch. Die Schreie um sie herum verklungen mit der Zeit mehr und mehr, so wie die von ihr betroffenen vor ihr flohen oder schließlich doch verendeten. Aber sie waren noch da und Anthea labte sich an ihnen, nahm sich von ihrem Unglück die Essenz ihrer Macht zurück, speiste sie wieder in das Chaos, das sie verbreitete und labte sich wieder daran. Es war ein ewiger Kreislauf, kein unsterblicher, aber ein gesunder Kreislauf, ein Hin und Her, bis es schließlich keine Empfänger mehr für das Chaos geben würde. Aber immerhin waren sie in einer Stadt, einer großen noch dazu, und Anthea müsste nur wenige Schritte zu Fuß gehen, um die nächsten Opfer ihres Willens zu finden. Und dann die nächsten und die nächsten, bis irgendwann das ganze Viertel, die ganze Stadt und eines Tages das ganze Land ihr zum Opfer gefallen wäre. Die Götter allein mochten ahnen, wie weit sie gewillt wäre zu gehen.

      Aber dann tauchte Aradan nur wenige Meter vor ihr auf, zwischen ihr und ihrer soeben besiegten Widersacherin und Anthea richtete ihren Blick auf ihn. Ihre Augen waren noch immer ihre eigenen, aber selbst jemand, der Anthea noch nie zuvor gesehen hätte, hätte erkennen können, dass etwas unmenschliches in ihnen lag, was nicht unbedingt dorthin gehört hätte. Was nicht unbedingt etwas gutes war. Sie betrachtete Aradan mit diesem Blick und das Unmenschliche schien zu funkeln.
      Die Wellen des Chaos verstärkten sich. Sie verstärkten sich sogar so sehr, dass die Geräuschkulisse noch weiter zuzunehmen schien, als sie sich weiter ausbreiteten und noch mehr Reaktionen hervorriefen. Aber so, wie auch Aradans Licht Anthea nicht hatte erreichen können, schienen ihre Wellen an ihm abzuprallen, ohne einen sichtbaren Effekt zu hinterlassen. Anthea reagierte darauf kaum, wenn überhaupt mit einem Zucken ihrer Augenbrauen, aber das Etwas in ihrem Blick bewegte sich. Es reagierte oder vielleicht versuchte es auch mit Aradan zu kommunizieren, ohne Erfolg.
      Der Meloraner hob die Hand an und Anthea reagierte, indem sie das Schwert mit anhob. Wenn ihre neue Macht schon nicht kraftvoll genug war, um ihn in die Knie zu zwingen, sollte es eben das Schwert tun. Sie hob die Klinge gegen ihn, kam ihm näher und dann - Anthea blinzelte und als sie die Augen wieder öffnete, war es Tag. Die Sonne schien nicht, Wolken verhangen den Himmel und es sah nach Regen aus. Die Luft war verpestet, es stank nach Abfall, Kanalisation und Ruß und von irgendwo weither drang der Lärm von Arbeitern auf einer Baustelle. Ihr Blick fokussierte sich und dann sah sie dort einen Jahre jüngeren Lucius, der lässig auf einem Stapel Kisten saß. Sie wusste genau, wo sie sich befand und wann, denn Monate später würde dieser Ort in Flammen stehen und Anthea würde mit Lucius auf einer gehetzten Verfolgungsjagd durch die Kanalisation fliehen, aber das spielte jetzt auch gar keine Rolle. Wichtig war, dass Lucius hier war und dass er diesen Blick auf sie richtete, diesen schelmischen, frechen Blick, mit dem er sie immer herauszufordern schien. An diesem Tag hatte sich Anthea in diesen Blick verliebt und all die Male später, wenn er sie so angesehen hatte, hatte sie sich erneut verliebt. Jetzt wusste sie es. Es hatte wohl den Tod dieses geliebten Mannes gebraucht, damit sie es endlich begriffen hatte.
      Vollkommen in der Erinnerung versunken, die von Aradan auskam, leistete sie keinen Widerstand gegen seinen Zauber. Sie wehrte sich auch nicht, als sich ein enormer Druck auf ihren Körper legte, so als würde sie gleich entzwei gerissen und sie das Gefühl überkam, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen. Sie wehrte sich nicht, als die Szenerie sich vor ihr veränderte und anstatt des wolkenverhangenen Tages sie jetzt an einer sonnenbeschienenen Wiese stand. Fast erinnerte sie der Anblick an ein beinahe vergessenes Zuhause, an Erathis, einem Ort an weiten Feldern und Wiesen, an dem man den Vögeln beibrachte, Nachrichten zu übermitteln und Botschafter für ankommendes Unheil zu sein. Es hätte sie stark daran erinnert, wenn nicht Lucius aufgetaucht wär.

      Der Mann war vollkommen unverletzt. Selbst in diesem Stadium ihres Verstandes, erinnerte sie sich doch noch deutlich an den Anblick ihrer eigenen blutverschmierten Finger und an Lucius' schlaffen Körper auf ihrem. Aber hier war er gesund, er war lebendig und auch jetzt verlor Anthea sämtliche Rationalität, während sie mit langsam groß werdenden Augen auf ihren Partner starrte.
      "Luce... Scheiße. Ich dachte du bist tot!"
      Und ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, warf sie sich auf ihn und schlang ihre Arme um einen kräftigen, geschmeidigen Oberkörper, griff nach einem ledernen, zerrupften Oberteil und schob die Hand in weiche, wilde Haare. Sie drückte sich an ihn, fühlte das, was sie schon häufiger hatte spüren dürfen, aber immer nur im Zusammenhang mit ihrer Arbeit, nie mit dem Vergnügen, niemals nur mit dem Zweck, Gefühle damit auszudrücken. Aber diesmal konnte sie es, dieses Mal umarmte sie ihn und ließ zu, dass die Umarmung ausschließlich von ihren Emotionen stammte.
      "Ich habe dich sterben gesehen... Du hast mich gerettet. Du hast mich gerettet!"
      Sie sah ruckartig auf, als wäre ihr mit den Worten erst etwas bewusst geworden, was sie die ganze Zeit zuvor schon nicht begriffen hatte.
      "Du hast die ganze Arbeit gemacht! Deswegen waren so wenige Soldaten da, auch wenn der ganze Platz voll gewesen ist! Du hast sie alle zu dir gelockt!"
      Und auch wenn ihr Tonfall sich anhörte, als wolle sie ihm dafür einen Vorwurf machen oder ihn dafür beschuldigen, ihr den Spaß genommen zu haben, packte sie ihn trotzdem beim Nacken und zog ihn zu einem weiteren Kuss hinunter. Ihre Lippen trafen aufeinander und als hätte die Welt ihren Frieden gefunden, seufzte Anthea. Ein erster Kuss, ein richtiger Kuss. Ein längst überfälliger Kuss. Sie wollte ihn nie wieder gehen lassen.
      Aber dann ertönte eine Stimme hinter ihr und was nie hätte sein sollen, fand ein jähes Ende.
      "Davon lässt du dich überrumpeln? Ernsthaft?"
      Anthea löste sich von Lucius, aber sie ließ ihn nicht los. Für einen Moment glaubte sie, dass es Aradan war, der schließlich immer noch dabei stand, aber als sie sich umdrehte, war es ein anderer. Es war ein Junge, oder zumindest sah er mit seiner kleinen Statur so aus. Seine Haare standen wild in alle Richtungen ab und in seiner Mimik lag etwas, was Anthea stoppen ließ.
      "Ah."
      Der Blick des Jungen wanderte weiter und wirkte so, als ob er direkt durch Lucius hindurchsehen würde. Auf Aradan.
      "Hallo, Kumpel. Lang nicht mehr gesehen, was?"
      Er grinste und sein Grinsen schien doppelt so weit und doppelt so lang.
      "Ich muss sagen, ich finde es ziemlich frech, uns einfach hierher zu holen. Dachtest du etwa, du könntest damit etwas verändern? Uns vielleicht aufhalten? Mich aufhalten? HAH!"
      Er lachte einmal und schallend.
      "Kinderspielchen! Wir sind hier erst am Anfang! Willst du es vielleicht noch einmal versuchen? Willst du es vielleicht hier versuchen? Ich werde nicht weggehen, ich werde nirgends hingehen, ohne meine Göttin! Versuch es also, versuch es ruhig!! Komm her, A-ra-dan!!"
      Der Junge verschwand und im nächsten Augenblick tauchte er direkt bei Aradan wieder auf, die Hand nach ihm ausgestreckt, die Finger auf dem offensichtlichen Weg dazu, ihn zu berühren.
    • Aradan's Plan schien zu funktionieren, er hatte es geschafft den Geist von Anthea ins Zwielicht zu bringen, auch wenn er schnell erfahren durfte, all die negativen Aspekte mit gebracht zu haben. Ein Untermieter der zuvor noch in seinem Kopf ständig für Unruhe sorgte, tauchte wieder auf und zog erneut seine provokante masche ab, die ständig darauf abzielte einen in den Wahnsinn zu treiben, doch diesen Gefallen wollte Aradan ihm nicht tun. Stattdessen lies er den jünglich aussehenden Chaoten seine Show abziehen und bereute dabei nur, Anthea nicht mehr intensiv genug in ihrerer Illusion halten zu können, was er mit einem kurzen mitleidsbekundendem Blick würdigte ehe Chaos sich dazwischen drängte um die Aufmerksamkeit zu erhaschen.

      "Bei all den Kriterien die dazu notwendig waren dich in ein geeignetes Gefäß zu befördern..."
      Entgegnete Aradan noch immer darüber überrascht wie so viele Zufälle überhaupt möglich waren. Doch erhob er seinen Blick anschließend und fixierte den jungen Mann mit einem intensiven Ausdruck. Unbeeindruckt über seine Präsenz und Nutzung einiger seiner Fähigkeiten, intensivierte Aradan seinen Einfluss im Zwielicht, was zur Folge hatte, dass Chaos deutlich größere Probleme haben sollte seinen Einfluss auszubreiten. Ebenso setzte sich Lucius wieder in Bewegung, welcher leise die wie einst in einer Gasse mit Anthea an sie heran schritt und verdorben mit seiner Zunge über ihren freien Rücken leckte. Dabei grinste er wie ein Raubtier das dessen Beute abschmeckte ehe er Anthea zu sich umdrehte. Statt es wie zuvor dabei zu belassen, um das Knistern aufrecht zu halten, näherte er sich seiner liebsten und formte mit seinen Lippen eben jene drei schönen Worte die immerzu unausgesprochen blieben.

      In der Hoffnung dass Anthea sich so schnell nicht mehr von Chaos ablenken lassen wird, machte Aradan seinem ehemaligen Plagegeist unmissverständlich klar
      "Du magst hier im Zwielicht sein, doch vergiss nicht, dass du nur durch ihren Geist hier erscheinen kannst. In dieser Welt bin Ich Gott, der über alle Aspekte dieser Realität herrscht. Du bist hier nur ein Eindringling. Ein Parasit."
      Mit diesen Worten erhob sich Aradans Stimme und füllte die luftige Atmosphäre der Zwielichtwiese.
      "Ich habe Anthea's Geist befreit um ihr Erinnerungen an Lucius zu schenken. Sie sind in dieser Stadt als Feinde aufeinander gestoßen, endeten aber in einer unausgesprochen tiefen Liebe. Ich weiß genau dass du solchen Zunder nur zu gerne nutzt. Doch ich sage dir... Das passiert nicht solange ich dich hier halte."

      Der herausfordernde Blick des jungen Mannes lies Aradan vollkommen kalt. Immer wieder lies er seine eigene Macht in der Dimension des Zwielichts schubweise erstrahlen, um dem Chaos seine Überlegenheit zu verdeutlichen.
      "Du magst dich stark fühlen, aber du bist nur eine Manifestation dessen was einst ein Chaosgott war. Du bist der Fackelträger der seine Macht weiter gibt. Du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass deine Zeit vorbei ist. Es liegt an dir deinem Gefäß beizubringen was es heißt die Bürde zu tragen und zu einem Gott heran zu wachsen, der..." da beugte sich Aradan etwas vor und führte seine Hand an den Mund als dürfte kein Anderer die folgenden Worte hören "...sich nicht erneut so leicht von Menschen unterwerfen lässt"
      Daraufhin stand Aradan wieder aufrecht und breitete seine Arme leicht aus.
      "Lass dein Gefäß ihre schönen Momente und Wünsche durchleben, ehe du ihr die bittere Realität zeigst. Jeder Mensch sollte das Gefühl wahrer Erfüllung kennen bevor er in eine Welt des Chaos stürzen muss"







      In der normalen Welt fingen die Menschen wieder rapide ihren Verstand und sahen sich allesamt wohl gleichwertig verwirrt um. Alle die in Anthea's Reichweite gewesen sind, wussten sofort von wem die wahre Bedrohung aus ging. Lediglich ein Befehl entfernt warteten die Soldaten hoffend, dass General Peamut zur Gefangennahme der Frau ausrufen würde, welche derzeit noch in leuchtenden Ketten gefangen gehalten wurde, was unter den ganzen Umständen nicht mal mehr sonderlich erschien.

      Indes kam auch schon die Truppe von Aradan angerannt, von welcher ein jeder zu wissen schien was man in dieser Situation schleunigst tun musste. Zwar war es auch für diese neu, leuchtende Ketten zu sehen, die aus dem Boden heraus ragten und Anthea eisern fixierten, doch akzeptierten auch diese langsam aber sicher all den unnatürlichen Kram, der sich um Aradan herum ständig zeigte.
      Daikata war der Erste, der an Anthea heran trat um ihr eine ziemlich dicke Spritze in den Hals zu jagen, gefolgt von Valterri und Jarku, welche die dicke Kette heran trugen, die schon zuvor ihre Wirkung bei Aradan zeigten, wenn dieser mal wieder von Minerva heimgesucht wurde. Sie schlangen die Kette von Anthea's Knöchel hoch bis zu ihrem Hals ehe der wieder dazu gekommene Kiliak an dem abwesend wirkenden Aradan heran trat um ihm auf dessen Schulterblatt zu schlagen.

      Augenblicklich löste sich Aradan aus seiner Starre und fiel geschwächt auf die Knie.
      Lange blieb er jedoch nicht alleine, da sich nicht nur Kiliak zu ihm hinunter hockte, sondern auch die Zwillinge Ruka und Chie zu ihm eilten und ihm mehr um den Hals sprangen, statt sich sorgvoll zu kümmern.
      Schon viel zu lange war es her, dass sich diese Truppe wieder in ihrer vollen Zahl an einem Ort befand.
    • In der normalen Welt kehrte alles mit einem Schlag zur Normalität zurück. Es war so, als lüftete man einen dichten Schleier, der sich über die Umgebung gelegt hatte und die Bewohner in sich gefangen gehalten hatte, nur mit dem Unterschied, dass sich eigentlich nichts verändert hatte - nichts, bis auf Anthea, die wie festgefroren auf dem Fleck stand, der Körper starr, unbeweglich, die Augen so weit nach hinten gerollt, dass man nur noch das weiße sehen konnte. In ihrer Umgebung erstarben die Schreie, die Körper auf dem Boden gaben klägliche Schmerzenslaute von sich und Rufe erklangen. Keine Rufe des Wahnsinns, Rufe, die nach Ordnung verlangten: Befehle, Anweisungen, Kommandos. Das Militär wollte sich von dem soeben erlebten Schicksalsschlag erholen.
      Umso wichtiger war es, die wenigen Sekunden des eingetretenen Friedens zu nutzen. Die Truppe setzte sich sogleich als Gemeinschaft in Bewegung, kaum war klar, dass Aradan die ausgehende Gefahr von Anthea für den Moment außer Kraft gesetzt hatte. Daikata war der erste in seiner Geistesgegenwärtigkeit eines Arztes, der sich sofort auf Anthea konzentrierte. Mit Jarkus und Valterris Hilfe bekam er den Körper der Frau unter Kontrolle, während sie noch immer im Zwielicht festgehalten wurde. Um sie herum rasselte es in der harmonischen Geräuschkulisse eines aufstellenden Heeres.
      Kaum war Aradan zurück aus dem Zwielicht, löste sich die Starre von Antheas Körper und sie fiel so weit, wie es die dicken Ketten um ihren Körper es erlaubten. Sie schien aber nicht vollständig aus dem Zwielicht auszutreten, einen Umstand, der die anderen darin bekräftigte, sich schnell Aradan zu schnappen und den Ort zu verlassen. Valterri warf sich Reneras schlaffen Körper über die Schulter und dann flüchteten sie, flüchteten vor den unausweichlichen Konsequenzen, die auf sie warten würden, sollten sie dem Militär hier noch über den Weg laufen. Sie ließen Anthea zurück, aufdass sie hoffentlich ihre Strafe im Kerker erfahren würde.
      Von Berek und Khil war keine Spur mehr. Sie hatten es wohl geschafft vor Aradans Feuerschlag zu flüchten, aber fraglich blieb, ob sie unverletzt geblieben waren.
      Sie ließen den Platz hinter sich. Sie ließen auch das Viertel hinter sich, was sich als gar nicht so einfach herausstellte, denn das Militär hatte den Bereich abgesperrt und der Haufen Fremde mit zwei Bewusstlosen in ihrer Mitte sah alles andere als normal aus. Schließlich beschaffte ihnen Elraya einen recht unorthodoxen Weg nach draußen, dem sie dann auch bis zu den Toren folgten. Erst dort stellte sich ihnen die Frage, ob sie das Risiko eingehen sollten, ganz nach draußen zu flüchten und damit womöglich nie wieder zurückzukommen, um ein Auge auf Anthea werfen zu können. Aber sie war jetzt das Problem der Stadt und das wäre vermutlich erstmal das beste.

      Im Zwielicht tobte Chaos. Er tobte und schrie und warf Aradan entgegen, was auch immer er an seiner Macht zur Verfügung stellen konnte, aber der Gott des Zwielichts befand sich in seinem Element und das schien sich gegen Chaos verschworen zu haben. Keiner seiner Angriffe schienen auch nur die kleinste Wirkung zu zeigen und im Gegenzug stand Aradan ihm felsenfest gegenüber. Es war frustrierend.
      "Ich - Anthea ist näher an einem Chaosgott dran, als du es jemals sein wirst! Du wirst mir gar nichts sagen! Du bist nicht mehr als ein Schatten deiner selbst! Dein Vorgänger hatte etwas drauf, aber du?! Es ist ein Wunder, dass sich überhaupt jemand mit dir abgeben will! Du bist der Schmutz, den man sich von der Sohle kratzen will, Aradan! Du wirst niemals etwas erreichen, nicht ohne mich an deiner Seite! Aber Anthea - ich werde ihr die Welt zeigen! Sie wird die zeigen, was ein richtiger Chaosgott kann!"
      Und damit verschwand er, er und der letzte Rest, der von Antheas Seele im Zwielicht übrig geblieben war.
    • Nach dem äußerst unüblichen Weg, durch Elraya's Führung, an den Toren angekommen, stieg in dem ein oder anderem Blick der Truppe ein Zweifel auf. Sollten sie nun wirklich flüchten und eine solch schlummernde Macht, wie sie in Anthea schlummerte, zurück lassen... oder sollten sie das Risiko in Kauf nehmen?
      Die schnell anrückenden Schwerter drängte die Truppe dann aber doch in eine Richtung die nicht unbedingt die erste Wahl gewesen wäre.
      So floh die Gruppe in Richtung des geschlossenen dicken Tor's, welches ein großes Loch aufwies, groß genug um einen Mann wie Valteri hindurch zu lassen, nachdem Aradan schnell einem Großteil der Pflanzen in der Umgebung ihrer Energie beraubte, um eben jenes Loch in die dicken Tore zu reißen.

      Alles geschah unglaublich schnell. Keiner hatte in dieser Zeit wirklich die Gelegenheit einen Gedanken zu ordnen. Erst als die Verfolger der Torwache aufgaben und sich die Truppe auf einem Hügel wiederfanden auf welchem die Hörner der Stadtwache noch zu hören waren und das eilige Treiben auf den Mauern wirkte wie eine Ameisenfarm, beruhigten sich alle ein wenig und atmeten vorerst durch.

      Aradan selbst sog sofort die nötige Energie aus der Umgebung um sofort wieder zu kräften zu kommen, ein Vorteil den alle anderen nicht hatten. Leicht verstimmt sah Killiak auf als Aradan wieder so fit wirkte um die Umgebung zu sondieren und zugleich einen Plan zu äußern, welcher darin mündete die belebte Gegend zu meiden, entgegen der wohl bald folgenden Gegenmaßnahme der Königsstadt zu umgehen.
      Das Ziel war ein braches Land in dessen Richtung Aradan zeigte. Es wies weder Wasser noch Gras auf. Ja sogar der ein oder andere Läufer schien dort umher zu irren. Doch entgegen Killiaks Erwartung, stimmten alle anwesenden zu oder schwiegen, was dazu führte, dass sich alle in Bewegung setzten.

      Der Weg dorthin zog sich über steinigen Boden und unangenehm hohen Brocken. Die ein oder andere Schlachtung eines Läufers begegnete die Truppe ebenfalls, bis sie endlich auf einer übersichtlichen Ebene das Lager aufschlugen.


      Mit Valteri und Daikata in der ersten Wache, fühlten sich alle so sicher, wie man sich in dieser Gegend fühlen konnte. Aradan bewachte hingegen immerzu die einzige Person für die er in den Tod springen würde. In dessen Zelt kniete er neben Renera und wechselte immerzu ihren nassen Lappen, welcher auf ihrer Stirn lag und behandelte jede noch so nach verbrannter Haut aussehende Stelle augenblicklich mit einer Salbe, die er von Daikata bekam.
      Immer mal wieder versuchte Aradan Renera mit seiner Kraft zu heilen indem er seine Hand flach vor ihr hielt und sich konzentrierte, doch tat sich einfach nichts. Aradan konnte in dieser Umgebung nicht mal mehr genug Kraft ziehen um für ihn banal wirkende Verletzungen zu heilen.
      In der ersten Stunde noch leicht davon gekränkt, wuchs in ihm der Keim der Scham immer weiter. Hatte er Renera tatsächlich experimentell einen Zauber auferlegt von dem er bisher nur gelesen hatte? Bei Elraya hatte es gewirkt, so viel stand fest, doch war ihm bei Elraya auch die mögliche Nebenwirkung deutlich gleichgültiger als bei Renera.
    • Die Flucht aus der Königsstadt gelang und auch das darauffolgende Entkommen war von Glück gesegnet. Keine Armee setzte ihnen nach, keine Reiter, die ihre Namen brüllten und verlangten, dass sie sich in die Obhut Ihrer Majestät begaben, keine Spurensucher, die den Kerben ihres Wagens folgten und des nachts ihr Lagerfeuer am Horizont entzündeten, als sei es eine Warnung dessen, dass die Gruppe zwar allein sein mochte, aber niemals vollständig allein war. Nein, niemand kam ihnen nach. Vielleicht waren alle überfordert mit einer Kraft, die keine Hände benötigte, um in Köpfe einzudringen.
      Sie vermieden Straßen und Ortschaften aus offensichtlichen Gründen, ein Umstand, der sie damit aber unmittelbar ins Territorium der Kreaturen beförderte. Anstatt von Soldaten und Schwertern lauerten ihnen Läufer und Kreischer auf, keine sehr angenehme Begleitung, aber auch keine, gegen die sich jemand beschwert hätte. Nur Renera war nicht da, um den Kampf gegen die Kreaturen mit ihrer Expertise anzuleiten. Sie lag dort, wo Wochen zuvor Aradan noch gelegen hatte, unbewegt, so wie auch Aradan unbewegt gewesen war, nur mit dem Unterschied, dass sie sich nicht ins Zwielicht zurückgezogen hatte. Sie war schlichtweg nicht bei Bewusstsein und nicht einmal Daikatas Fachkenntnis konnten bei einem Fall helfen, der das Menschliche überstieg.
      Die Landschaft wandelte sich von blühendem Dickicht und saftigen Weiden zu blattlosen Sträuchern, fadem Gestrüpp und kargen Gräsern. Je weiter sie ins Niemandsland vordrangen, das so offensichtlich von Kreaturen beherrscht wurde, dass nicht einmal die höchsten Mauern eine Stadt hier gehalten hätte, desto mehr nahm die Vegetation ihrer Umgebung ab. Es glich einem Trauerspiel, wie sehr die Pflanzen darunter zu leiden schienen, dass kein Mensch zwischen ihnen wandelte, sondern ein Wesen, das Blut und Angst hinterließ, wo auch immer es hinging. Die karge Landschaft war wohl gleichzusetzen mit dem Gemüt, das sich auch in der Gruppe breitmachte.
      Sie fanden einen Ort, an dem sie die Nacht über zu bleiben versuchten, und weil sie mit ihrem Feuer nichts anzulocken schienen, keinen Kreischer und auch keinen Puppenspieler, blieben sie auch die zweite Nacht. Und die dritte Nacht. Sie blieben und waren froh um den Proviant, der sie hier noch ein paar Tage, wenn nicht Wochen, durchfüttern könnte.
      Renera wachte nicht auf. Sie war leblos, ein unbewohnter Körper, der seinen Geist in der Stadt zurückgelassen zu haben schien und wenn man nicht alle paar Stunden überprüft hätte, ob noch ein winziger, kaum vorhandener Atem aus ihrer Nase kam, hätte man sie von dem Anblick allein als tot erklären können. Ihre Haut war fahl, ihre Wangenknochen eingefallen, die Sigillen auf ihrem Körper verschwanden nicht. Sie sahen nicht mehr ganz so verbrannt aus, nicht mehr ganz so gerötet, nicht mehr ganz so sehr als seien sie in die Haut eingeritzt, aber sie waren noch immer da wie ein sehr hartnäckiger Überrest aus einer Zeit, in der Renera noch geatmet, gesprochen und ihre Schwerter geführt hatte. Sie sahen aus wie aufgemalt, aber es war klar, dass sie das nicht waren.
      Ratlosigkeit breitete sich unter der Gruppe aus. Sie waren wieder vereint, vollständig dieses Mal, aber sie hatten sich die Möglichkeit versperrt, zurück in die Hauptstadt zu gehen - oder irgendwohin, eigentlich. Sie sollten das Land verlassen, nur dass sie dann nicht mehr die Möglichkeit hatten zu erforschen, weshalb sie hergekommen waren. Einmal raus kamen sie nicht wieder herein, so war die neue Realität. Dann doch lieber in einem Hinterteil des Landes verstecken und darauf warten, dass ein Wunder geschah.

      Das Wunder kam nicht, aber dafür eine andere Veränderung. Aradan fiel es als erstes auf, wie ein Richtungswechsel im Wind, der plötzlich ein ganz anderes Gefühl mit sich brachte als der vorherige. Keinem anderen fiel es auf, weil der Wind eigentlich kein Wind als solcher war, aber am fünften Tag deutete Elraya während ihrer Wache nach vorne. Es war kurz nach dem Abendessen, noch hell genug, um die Ebene zu beobachten, aber sie wollten hier kein Risiko eingehen und deswegen waren schon Wachen aufgestellt worden. Elraya nahm ihre Aufgaben nie besonders ernst, aber an diesem Tag tat sie es.
      "Hey! Was'n da?"
      Ihr Ruf sollte kaum ein Warnruf sein, es weckte aber doch die Aufmerksamkeit der anderen. Die meisten versammelten sich, um in die angedeutete Richtung zu blicken.
      Zwei Läufer und eine Spinnenmutter hatten sich dort unten versammelt, als ob sie sich zu einem geheimen Treffen verabredet hätten, nur, dass sie alle drei in dieselbe Richtung gingen. Normalerweise waren mehrere Kreaturen auf einem Haufen nicht besonders spannend, immerhin hatte die Gruppe schon recht früh erörtert, dass die Wesen sich nicht gegenseitig zerfleischten, aber diese drei gingen mit einer Zielstrebigkeit, als hätte ihnen jemand genauestens erörtert, wo sie hinzugehen hätten. Und sie waren nicht die einzigen: In der Ferne flog ein Kreischer vorbei, in dieselbe Richtung, und auch ein Puppenspieler schlurfte mit langsamen Bewegungen immerzu geradeaus. Elraya glotzte dieses merkwürdige Schauspiel an, während um sie herum der Wind auffrischte.
      "Wo wollen die denn hin? Nachhause oder was?
      "
      Aber es fiel keinem von ihnen auf, dass mit dem Wind auch ein Strom purer Energie mitkam, eine Welle aus reiner, ungefilterter Energie, die durch die Lüfte waberte. Es fiel keinem auf - keinem bis auf den einzigen, der für diese Energie empfänglich war.
    • Inmitten des trostlosen und düsteren Landes schien das Leben selbst zu erlahmen. Ein trügerisches Grau überzog den Himmel, als ob selbst die Sonne sich entschieden hätte, diesen Ort zu meiden. Hier, wo einst vielleicht eine blühende Landschaft existierte, herrschte nun eine stille Verwüstung, die in jeder staubigen Brise und jedem flackernden Schatten widerhallte.
      Die Erde unter ihren Füßen war aufgebrochen und rissig, als hätte sie vor langer Zeit aufgehört, die warmen Umarmungen der Sonnenstrahlen zu empfangen. Alles Leben schien aus diesem Boden gewichen zu sein, als ob die Dunkelheit selbst es verschlungen hätte. Verkrüppelte Baumstümpfe ragten aus dem Boden hervor wie knochige Finger, die verzweifelt nach dem Himmel griffen, aber niemals dort ankamen. Kein Blatt, keine Blüte, nur das stille Echo einer einst blühenden Landschaft.
      Die Luft war erfüllt von einem seltsamen Geruch, einer Mischung aus Moder und Verfall. Selbst der Wind schien seine Stimme hier zu verlieren, nur ein schwaches Flüstern, das wie ein Schatten vergangener Zeiten über die Landschaft huschte. Die Stille war erdrückend, und die Leere des Ortes wirkte wie ein stummer Vorwurf an diejenigen, die es wagten, diesen verlorenen Ort zu betreten.

      Aradan konnte den Druck auf seiner Brust fühlen, als ob das Land selbst seine Schuld auf ihm abladen würde. Seine Augen, einst voller Entschlossenheit und Mut, waren nun getrübt von Trauer und Zweifel. Er fühlte die Last seiner Verantwortung für die Verletzungen seiner Gefährten, insbesondere für Renera. Ihr friedlicher Schlaf im Koma war ein stummer Vorwurf an ihn, eine Erinnerung daran, dass seine Kräfte nicht nur Gutes hervorbringen konnten.

      Das Lager, das sie errichtet hatten, schien inmitten der Ödnis wie ein trauriger Zufluchtsort. Die Zelte standen reglos da, ihre Stoffe hingen schwer an den Stangen, als hätten sie längst den Glauben an Bewegung aufgegeben. In der Mitte befand sich eine flache Vertiefung im Boden, die einmal das Lagerfeuer beherbergen sollte. Doch blieb es nur eine leere Mulde, die wie ein schwarzes Auge in der trostlosen Landschaft wirkte, da keiner das Risiko eingehen wollte, im tausch für Wärme die Gefahr aller zu vergrößern.
      Aradans Blick schweifte über das Lager, über die müden Gesichter und die schlaffen Körper seiner Mitstreiter. Ein Gefühl der Hilflosigkeit erfüllte ihn, während er sich fragte, wie er sie aus dieser Dunkelheit führen könnte.

      Unerwartet richtete sich Aradans Blick der einzigen Person zu, die in dieser trostlosen Gegend das Wort ergriffen hatte. Elraya.
      Da wo die gesamte Gruppe mit fragenden Blicken die Wesen beobachtete, sah Aradan einem so dichten Energiefluss hinterher, wie er es sogar in belebten Wäldern noch nie gesehen hatte. Dann stieß er zur Gruppe hinzu und versammelte diese mit einem leisen aber bestimmten Flüstern.
      "Das ist eigenartig..."
      Seine Augen suchten die Gesichter seiner Gefährten ab, während er den Blick auf die seltsamen Bewegungen der Kreaturen richtete.
      "... ich kann etwas sehen. Etwas, dass ich bisher wenn überhaupt nur in belebten Wäldern gesehen habe. Pure Lebensenergie, aus welche ich meine Kräfte ziehe. An toten Orten wie diesen hier, habe ich noch nie auch nur einen kleinen Glimmer erhaschen können. Und.. sie verläuft nicht sprießend in alle Richtungen... viel mehr ist sie stark gebündelt und zieht sie wie eine fliegende übergroße Schlange über das Land bis hinter den Hügeln dort hinten."
      Nach einer kurzen, Worte suchenden Pause, versuchte er fortzusetzen
      ".. ich weiß nicht was das zu bedeuten hat aber die Kreaturen scheinen diesem Energiefluss zu folgen. Sie bewegen sich alle in die Richtung aus der die Energie kommt. Wir müssen herausfinden, wohin dieser Pfad führt und was diese Widernatürlichen Fluss hierher gebracht hat."

      Ein Moment des Schweigens lag in der Luft, bevor er seine Worte fortsetzte.
      "Ich werde mir das alleine ansehen. Ich kann nicht zulassen, dass noch jemand verletzt wird. Dass Renera dort liegt, hätte niemals passieren dürfen. Ich will nicht dass so schnell noch wer dort liegt."
      Seine Augen waren indes schon bei Renera, die immer noch im Koma. Kurz darauf wieder innerhalb der Gruppe.
      "Versucht nicht, mich aufzuhalten. Ich werde vorsichtig sein. Behaltet ihr das Lager im Auge und seid bereit euch zu verteidigen, falls sich eines der Wesen hierher verirrt."

      Seine Worte waren gefasst, sein Entschluss fest.
      Doch waren seine Gedanken scheinbar schon so vernebelt, dass er nicht mit kommenden Gegenwind der Gruppe rechnete.
      So war es Jarku, der sich am Kinn kratzte, seine Sturn leicht runzelte und einen Schritt vor trat. Ein gezwungenes Lächeln spielte um seine Lippen, als er schließlich in seiner gewohnt spaßigen Art meinte
      "Na na na mein Freund"
      Seine Augen verrieten eine gewisse Sorge, die er unter seiner Fassade verbarg.
      "Du denkst doch nicht ernsthaft daran, diese kleine Erkundungstour ohne mich zu unternehmen. Das könnte dir so passen"
      Sein Blick wanderte zu Aradan, dann zu den anderen in der Gruppe.
      "Ich meine, ich bin vielleicht nicht so ein magischer Überflieger wie du, aber ich hab meine eigenen Tricks drauf. Schließlich bin ich es gewohnt im verborgenem zu bleiben und ich würde meinen, dass ich bisher auf unserer Reise immer die Pfärten lesen sollte, ist es nicht so? Wenn irgendjemand diesem Energiedings unbehelligt folgen kann, dann nur wir beide zusammen. Nicht alleine, sondern zusammen. Klar?"
      Anschließend zwinkerte er Aradan zu um seinen Standpunkt zu untermauern. Danach wandte er sich schmunzelnd Elraya zu.
      "Und du, mein kleines verdorrtes Rosenblättchen, ich glaube, du kannst doch auch ganz gut schleichen, ist es nicht so? Wie wäre es wenn du auch mitkommst? Ich hab immerhin keine Augen an meinem Hinterkopf."
      Was Jarku verschwieg war, dass er sich ganz einfach wohler mit Elraya fühlen würde. Er wusste um ihre Fähigkeiten langsam bescheid und so empfand er es als eine zusätzliche Sicherheit. Ihre Fähigkeiten waren so zumindest weit besser aufgehoben als still sitzend im Lager, aus welchem wohl ohnehin schon jeder einzelne am liebsten reißaus nehmen wollte.

      Schließlich landete der fragende Blick wieder bei Aradan.
      "Also? Was sagst du? Ein Trio unschlagbarer Helden auf einer epischen Entdeckungsreise?"
      Nicht nur hatte er Elrayas Zusage einfach angenommen, sondern wirkte er dabei noch sorglos. Seine Worte waren leicht, die nur durch die Ernsthaftigkeit in seinen Augen verrieten, dass er wirklich bereit war, Aradan zu begleiten und sicherzustellen, dass er nicht alleine in die Dunkelheit marschieren würde.
    • Die Truppe sah Aradan momentär kritisch an, angesichts der Entdeckung, die er hier zu machen schien. Es war etwas anderes und dennoch war es etwas bekanntes und vertrautes, etwas, womit man sich vorher nicht großartig beschäftigt hätte, das aber nun, in einem anderen Umfeld, deutlich an Wichtigkeit gewann. Das begriff auch der Rest der Mannschaft in dem Moment, als Aradan es erwähnte - nur Elraya blieb mit ihrem ratlosen Blick ein Stück zurück. Niemand machte sich großartig die Mühe, sie aufklären zu wollen, sie würde ja sowieso wieder abgehängt werden.
      Was sie aber begriff, war, dass sie sich dieses was-auch-immer ansehen würden. Und obwohl sie sich wohl nicht freiwillig gemeldet hätte, sich auf so ein Wagnis zu begeben, konnte sie Jarkus Stichelei ja wohl auf gar keinen Fall so auf sich sitzen lassen.
      "Wen nennst du hier verdorrtes Rosenblättchen, hä?! Du würdest mich doch nichtmal sehen, wenn ich dir die Scheiße unter der Nase wegklauen würde! Verdorrtes Rosenblättchen!"
      Das war keine Zustimmung und keine Ablehnung, aber wer die Sprache von Elraya verstanden hatte, der konnte an der Tatsache, dass sie ihre Arme verschränkte und böse dreinblickte, anstatt wegzustolzieren, erkennen, dass sie sich wohl anschließen würde.
      Also war es ausgemacht. Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen, das Lager wurde für die Abwesenheit drei ihrer Mitglieder gesichert und dann machte sich das Trio hinaus auf den Pfad, den die Kreaturen zu beschreiten schienen.

      Aradan verblieb der einzige, der die silbrigen Schlieren in der Luft zu sehen vermochte, selbst dann, als sie sich weiter daran annäherten. Sie waren in dieser Senke, in der sie zu den Kreaturen hinab gegangen waren, beiden Dingen deutlich näher, aber sehr viel mehr konnten sie hier auch nicht erkennen. Also machten sie sich auf den sehr vorsichtigen Weg, dem unsichtbaren Pfad und damit auch den Biestern zu folgen.
      Es dauerte eine Stunde des vorsichtigen und bedachten Schleichens, bei dem alle drei versuchten, den Kreaturen so gut wie nur möglich aus dem Weg zu gehen, als es langsam mehr von ihnen wurden. Auch die Lebensenergie schien sich langsam zu verdichten und konzentrierter auf einen Punkt zuzulaufen. Bevor sie diesen Punkt aber sehen konnten, konnten sie es aber schon hören, ein weit entferntes Brummen und ganz besonders ein Trampeln, Stampfen, Schnaufen, Krähen, Kreischen, Kratzen, Knurren von Kreaturen, die sich hier in der Nähe befanden. Von ganz vielen Kreaturen sogar.
      Mit noch viel größerer Vorsichtig näherten sie sich dem Mittelpunkt, der diesen Lärm auszumachen schien, bis sie irgendwann über eine Erhöhung hinweg unten alles erblicken konnten.
      Der Mittelpunkt der Energien stellte ein Loch da, das mitten in der Luft hing und genauso wenig Bestand hatte, wie geisterhaft war. Es spross nicht aus dem Boden heraus und es hatte auch keinerlei sonstigen Verbindungen mit seiner Umgebung, außer, dass es in der Luft hing, ein Riss in der Realität, und dass verschiedene solcher Schlieren davon herausströmten. Sie zogen in alle Richtungen davon, unendliche Schlangen, die sich hinweg fädelten und irgendwann am Horizont dumpfer wurden, aber noch längst nicht aufhörten. Das Tor selbst versprühte ein silbriges, fast unheimliches Licht, so als wäre es nicht gemacht worden, in dieser Welt zu existieren.
      Das waren aber alles nur Dinge, die Aradans Augen allein vorbehalten waren. Die anderen beiden bekamen davon nichts mit - was sie allerdings sehr wohl sehen konnten, war die Unmenge an Kreaturen, die sich um dieses Loch sammelten.
      Es mussten hunderte, wenn nicht tausende von diesen Viechern sein, in allen Größen und Varianten, die sich in dieser Masse tummelten oder auch über den Himmel hinweg flogen. Nicht wenige von ihnen wanderten auch fort von dem ganzen Spektakel, allerdings ausschließlich an einem der Lebensenergie-Schlieren entlang, die aus dem Loch kamen. Andere, so wie die Kreaturen, die sie schon in der Nähe des Lagers gesehen hatten, kamen jetzt erst dazu. Der Rest tummelte sich dort, ein riesiger Haufen, ohne sich je gegenseitig zu zerfleischen.
      "Heilige Scheiße", flüsterte Elraya in Ehrfurcht, so vereinnahmt von dem Anblick, dass sie für einen Augenblick nicht nachdachte. Aber der allgemeine Lärmpegel, der bei so vielen Kreaturen zustande kam, überdeckte ihr menschliches Geräusch, das sie hier sicherlich den Tod kosten würde.
      Dann wurden alle noch Zeugen davon, wie sich eine neue Kreatur aus dem Loch schälte: Eine Spinnenmutter, die erst ein vorsichtiges Bein aus dem Nichts nach draußen steckte, es auf den Boden stellte, und dann nach und nach mit ihrem Körper nachruckte. Für Elraya und Jarku sah es aus, als würde die Kreatur aus dem Nichts erstehen, aber Aradan konnte ganz deutlich beobachten, wie sie aus dem Inneren des Lochs und damit auch des silbrigen Lichts herauskam.
    • Aradan konnte die überwältigende Präsenz dieses eigenartigen Knotens in der Ferne schon vor dem Blickkontakt spüren, die die Dunkelheit dieser toten Gegend durchzog. Ihm war, als würde die Realität selbst hier an ihren Rändern verschwimmen. Doch seine Augen waren auf das Loch gerichtet, während die anderen Beiden die unzähligen Kreaturen beobachteten.
      Die Lebensenergie strömte aus diesem rätselhaften Riss, wie ein lebendiges Band, das sich in alle Richtungen erstreckte.

      Jarku und Elraya, die die Schönheit und das Unheimliche dieses Anblicks nicht sehen konnten, spürten dennoch die Anspannung in der Luft, welche sie wohl aber mit der allgemeinen Gefahr der Wesen erklärten. Die Kreaturen schienen diesem Energiefluss aber nur so lange zu folgen, bis sie unter diesem Riss standen. Kamen sie an, verstreuten sie sich in einem dichten Kreis... als würden sie eine unbewusste Wache antreten. Dabei wirkten sie beinahe schon wieder natürlich, gingen aber nie über einen gewissen Abstand zum Riss hinaus.
      Aradans Gedanken wirbelten, während er darüber nachdachte, was dies alles bedeuten könnte. Nahe heran gehen, um den Riss zu untersuchen, käme dem Wahnsinn gleich. Selbst mit seinen Fähigkeiten, wäre er binnen Sekunden Geschichte. Ganz davon abgesehen hatte er an solchen verdorrten Orten ohnehin kaum eine Möglichkeit seine Macht zu nutzen. Einmal genutzt, konnte er keine Energie aus der Umgebung nutzen um diese aufrecht zu halten. Es würde einer Glühbirne gleich kommen, die kurz nach dem Anschalten durchgeknallt.

      Dann geschah etwas, was allen dreien die Augen weitete. Eine riesige Spinnenmutter schälte sich aus dem Riss. Aradan konnte deutlich sehen, wie sie aus dem Inneren hervor kam. Doch eine Sache beunruhigte ihn.
      "Das war doch..." flüsterte er vor sich hin, konnte es aber nicht zu 100% bestätigen. In all der pulsierenden Energie des Risses meinte er für einen Augenblick leider sehr vertraute Schreie gehört zu haben, die er den Geisterwesen im Zwielicht zuordnete. Ihn überkamen Erinnerungen von damals, als er noch damit rang sich nicht von den ständigen Attacken der Geisterwesen übermannen zu lassen.

      Jarku sah sofort fragend zwischen der Spinnenmutter und Aradan hin und her als dieser etwas zu erkennen schien. Als würde ihm selbst etwas entgehen.
      "Was ist denn? Siehst du was?"
      Aradan schüttelte den Kopf.
      "Nein. Ich habe etwas gehört. Etwas dass gar nicht in dieser Welt existieren dürfte."
      Jarku seufzte scherzhaft und zuckte mit den Schultern.
      "Ah. Achso. Muss wohl zwischen den ganzen anderen Dingen sein die nicht existieren dürften."

      Weiterhin im verborgenen, wandte sich Aradan dem geschehen ab um den Beiden eine kurze Erklärung darüber zu geben wie es im Zwielicht aussah bevor er gelernt hatte sich vor den gefährlichen Dingen zu schützen. Dass die Geister ihn immerzu heimsuchten um durch seinen Körper in die reale Welt zu kommen. Jarku erinnerte sich und verstand nun, dass Minerva wohl zu seiner Zeit kein Einzelfall war, sondern nur das einzige Wesen was die Kontrolle tatsächlich das ein oder andere Mal übernommen hatte. Der Gedanke, dass Aradan ständig gegen diese Dinger ankämpfen musste, trübte auch seine Stimmung etwas.
      Viel mehr stieg jedoch die Sorge, dass dieses Zwielicht und die Wesen, die das Land heimsuchten, etwas miteinander zu tun haben könnten und womöglich nur der Anfang einer viel größeren Katastrophe sind.

      Doch um all diesen Spekulationen auf den Grund zu gehen, entschlossen sich die Drei wieder zurück zum Lager zu gehen. Jarku und Elraya übernahmen es der ganzen Truppe alles zu berichten, während Aradan in das Zelt ging, in welchem Renera lag.
      Noch immer von ihrem Anblick betrübt, streichelte er ihr sanft über die Wange und zog ihre Decke ein Stückchen höher. Anschließend legte er sich neben ihr hin und nutze das bisschen seiner verbleibenden Macht um mit seinem Geist ins Zwielicht zu tauchen.

      Augenblicklich wurde ihm klar, dass er hier nicht lange bleiben konnte. An einem so toten Ort ins Zwielicht zu gehen, zerrte viel mehr an ihm als vermutet. Dennoch schätzte er seine Zeit auf etwa 2-3 Stunden ein. Genug um den selben Ort aufzusuchen, an welchem der Riss in der realen Welt war.
    • Dort, wo es an anderen Stellen grau und karg, verweist und verdorrt war, war es hier im Zwielicht dröhnend laut und brechend voll. Hier gab es viel weniger Zwielicht als Leben.
      All die Wesen, die Geister, die Gestalten, die Geschöpfe, die woanders einher strömten, um dem gewaltigen Licht zu folgen, das Aradans Seele im Zwielicht verströmte, waren hier bereits an einem Fleck versammelt - und er tauchte mitten unter ihnen auf. Sein Licht erhellte ihre Gestalten, dunkle, verzerrte Fratzen und ausgemergelte Körper, schwarze Höhlen oder weiße, aufgerissene Augen, denen die Augenlider zu fehlen schienen. Knochige Gestalten, so viel Mensch wie sie Skelette zu sein schienen oder was auch immer ihre Wesen darstellen mochten. Und sie alle schrien und kreischten und ächzten und lachten in einer einzigen, die Ohren betäubenden Kakofonie.
      Aradan verblieb etwa eine Sekunde, um zu handeln und etwas dagegen zu unternehmen, dass er in der Masse aller Zwielicht-Bewohner augenblicklich unterging, denn sein Licht strahlte hell und zog die Wesen sofort wie ein übergroßer Magnet zu sich. Womöglich hätte jemand wie Urudin ihn davor warnen können, dass er an einem Ort wie diesen nicht so unbedacht hinüber wechseln konnte, wie es woanders möglich war. Vielleicht hätte auch niemand die Wucht einschätzen können, mit der er hier im Meer des Zwielichts unterging.
      Aber Aradan wäre nicht so weit gekommen, wenn ihm ein derartiges Kunststück nicht gelingen würde. Er brachte die Kreaturen und den Lärm auf Abstand und dann, als er sich in mittelmäßige Sicherheit begeben hatte, tauchte er auf.
      Die Luft flimmerte und flackerte, wie jedes Mal, wenn Urudin sich bei ihm manifestierte. Es war ein Geheimnis, wo er sich sonst bewegte und wie er dabei immer auf Aradan stieß, immer zur rechten Zeit, fast augenblicklich, sobald der andere ihn rief. Aber es war auch immer dieselbe Leier, immer das Flackern und dann die ersten Formen, ganz dicht gefolgt von der brüchigen Stimme des Geistes, der sich Urudin taufte und der, wenn überhaupt, Gespräche mit sich selbst führte.
      "... war ein Fehler zu sein... wie es nur soweit... es ist nicht..."
      Sein Körper bildete sich in der Luft vor Aradan und wie auch schon beim letzten Mal schien er den Mann nicht wirklich zu registrieren; der Kopf, der sich erst nach und nach formte, war in eine andere Richtung ausgerichtet, die Augen halb geschlossen. Er sah anders aus als beim letzten Mal, älter irgendwie. Schattiger. Auch beim letzten Mal hatte er Schwierigkeiten gehabt, sich vollständig in der Luft zu materialisieren und auch jetzt flackerte seine Gestalt in einem unbeständigen, ungesunden Rhythmus.
      Er tauchte auf und dann, nach einer Ewigkeit, wandte er sich Aradan zu. Seine Augen blinzelten, sein Blick schien durch ihn hindurchzugehen.
      "Ah... Lichtgesegneter... hier? Sie ist auch hier. Nun, sie ist nicht, aber ein Teil von ihr... ist... hier...."
      Er machte eine Geste mit seiner halb durchsichtigen Hand, als würde er etwas hochheben und präsentieren. Er hob sie in die Luft, die Handfläche nach oben gerichtet und hielt sie dort für einen Moment, als würde das alles gesagte erklären, bevor er sie wieder herunternahm.
      "... Die Frau."
    • Schnell war sich Aradan bewusst, dass er sich nicht zu viel Zeit im Zwielicht lassen konnte. Mit so wenig Reserven wäre er früher wohl nicht hierher gegangen, doch zwang ihn die Situation und die Hoffnung auf Antworten dazu dieses Risiko einzugehen.
      Wie erwartet war dieser Ort gerade zu verpestet mit umher fliegenden Geistern, also blieb Aradan nichts anderes übrig als eine kleine Schutzkuppel zu wirken um sicheren Schrittes weiter zu kommen.

      Noch bevor er aber den Ort erreicht hatte, von welchem er zuvor mit Elraya und Jarku aus hinab auf die Versammlung der Wesen geschaut hatte, hielt ihn ein merkwürdig vertrautes Gefühl noch vor dem Aufstieg des Hügels an.
      Sich vorerst unsicher umsehend, beruhigte sich Aradan schnell wieder, als er diese flimmernd flackernde Luft vor sich erblickte. Das konnte nur eines bedeuten. Urudin.
      Es war schon eine lange Zeit her gewesen, dass sich beide im Zwielicht begegnet sind aber vielleicht könnten so auch schon viele Fragen beantwortet werden.

      "Urudin!", rief Aradan erleichtert aus, doch seine Freude wich rasch und machte Platz für schmerzliche Erinnerung, als er den Geist vor sich sah. Urudin schien sich wie immer sehr langsam zu manifestieren, seine Gestalt flackerte in einem ungesunden Rhythmus und sein Blick schien mal wieder eher durch ihn durch zu stechen, statt sein Gegenüber bewusst wahrzunehmen.
      Schnell folgte auch wieder der Schwall von nichtssagenden Worten samt herumwirbelnden Händen.. als würde das für eine bessere Erklärung sorgen.

      Aradan seufzte innerlich. Seine Geduld schwand.
      "Urudin. Du musst dich konzentrieren. Ich brauche klare Antworten. Wer ist "sie"? Was ist hier los? Warum ist dort drüben ein großes Loch das Wesen zu gebären scheint? Deine Worte sind absolut unverständlich und bringen mich kein Stück weiter."
      Doch reagierte Urudin weder auf das was Aradan sagte, noch ging er logisch darauf ein. Es folgten nur weitere undeutliche Worte, doch wenigstens schien in diesen hervor zu gehen, dass Urudin endlich wusste wer vor ihm stand, auch wenn das noch nicht viel hieß.
      Aradan knirschte frustriert mit den Zähnen. Wie um alles in der Welt könnte er etwas klares aus Urudin hinaus bekommen. Er hatte gehofft auf klare Hinweise und Hilfe von Urudin zu bekommen, doch dieser schien mehr mit sich selbst zu sprechen als mit ihm. Aradan versuchte seine Enttäuschung zu verbergen und Urudin zu ermutigen, sich zu sammeln und den Fokus auf die Manifestation zu lenken.

      "Urudin, ich bitte dich. Ich brauche deine Hilfe. Deine Informationen. Konzentriere dich und versuche mir zu erklären, was hier vor sich geht. Von welcher Frau redest du? Etwa von Minerva? Was hat es mit dieser Frau auf sich? Und wie hast du mich überhaupt hier gefunden?"
      Aradans Augen funkelten in der Dunkelheit des Zwielichts vor Erwartung, während er auf eine bessere Antwort hoffte.