The Curse of Time {TobiMcCloud & Codren}

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    • Renera fiel von Tokiv's Rücken - oder eher fielen sie beide. Sie schlug schmerzhaft auf dem Rücken auf und zwang sich abzurollen, was aus dem erhöhten Fall gar nicht so einfach war und erst recht nicht gut funktionierte, nachdem sie so schlecht gefallen war. Sie schaffte es dennoch in einer - wie sie fand - angemessenen Zeitspanne wieder auf den Beinen und in Wasserhaltung zu stehen.
      Tokiv klappte in sich zusammen wie ein morscher Baum. Er fiel nicht nur, seine Füße gaben schlichtweg unter ihm nach, als das Blut aus den zwei unnatürlichen Schlitzen spritzte, die an seinen Knöcheln klafften. Beide Füße drehten sich unter dem erzwungenem Fall und er landete auf ihnen, bevor seine Beine sie von selbst befreiten. Ein Schrei drang aus seiner Kehle, der Renera bis ins Mark erschütterte. Es gab nichts menschliches an diesem Geheul, das von blankem Schmerz erfüllt war, dem Geschrei eines Tieres, das seine Umgebung vor dem warnte, was ihm Todesqualen bescherte. Es drang in jede Faser von Renera ein und erfüllte sie mit einer instinktiven Furcht, die ihr sämtliche Haare aufstellen ließ. Leider war sie nicht die Art von Mensch, die bei drohender Gefahr den Kampf anstrebte, und so erstarrte sie in einer Haltung des Grauens, die Augen weit aufgerissen und auf Tokiv gerichtet, den starken, unbezwingbaren Jungen, der nun am Boden lag wie ein verwundetes Tier und ein Geschrei von sich gab, das kein Mensch hätte fähig sein können von sich zu geben. Unter seinen Füßen bildete sich eine zunehmende Blutlache dunkelroten Blutes, die Renera schon oft gesehen hatte, in Erathis vor zwei Jahren, doch damals waren die Menschen unter den Fängen der Kreaturen gestorben und als blutende Leichen zu Boden gefallen. Tokiv lebte noch und er brüllte um zwei Füße, die ihn nicht mehr trugen und stattdessen den Boden mit ihrem Blut düngten. Er brüllte die Schmerzen heraus, die die offenen Wunden ihm bescherten und das war viel schlimmer als einfach zu sterben. Das hatte sie nicht gewollt, das hatte sie ganz sicher nicht gewollt.
      Der Lärm lockte schließlich doch noch die Menschen an, die auf den Ort zuströmten, an dem Renera und Aradan immer noch neben dem blutendem Tokiv standen. Sie wusste nicht, was sie aus ihrer starren Trance geweckt hatte, doch sie nahm endlich den Blick von dem Verletzten und sah zu Aradan, der noch immer das Messer hielt.
    • Diese Schreie gingen komplett an Aradan vorbei. Er war einfach nur komplett erledigt und schaffte es grade noch so auf die Knie zu gehen. Dabei hing er aber mehr wie ein nasser Sack da und starrte Tokiv an, wobei sein Blick viel mehr in die Leere ging. Auch der langsam aufmarschierende Andrang von Leuten, welche wohl klar von Tokiv's Gekreische angelockt wurden, bemerkte Aradan nicht.
      Irgendwelche Schemenhafte Gestallten sammelten sich um Tokiv und trugen ihn weg, bis dann auch jemand vor Aradan kniete. Wer war das? Ihm schien alles in Zeitlupe abzulaufen und diese Person vor ihm schien laut immer wieder seinen Namen zu sagen.

      "Hat keinen Sinn. Er ist vollkommen neben sich"
      Es war Cetra die vor Aradan hockte und vorsichtig versucht hatte zu erfahren was los war während Wilk und Valia bei Renera standen.
      Valia war sehr Vorsichtig im Umgang mit Renera. Sie wischte ihr zuerst sanft die Haare aus dem Gesicht und streichelte ihr über die Wange. Daraufhin nahm sie beide ihrer Hände und umschloss sie mit ihren eigenen.
      "Ist bei dir alles okay Schätzchen? Kannst du mir sagen was hier passiert ist?"
      Nach der Aktion von Marudan und Tokiv, wusste das halbe Dorf davon dass Tokiv Aradan oft schikaniert hatte. Viele wussten schon immer um Tokiv's rüpelhaften Verhalten doch haben die meisten nie vermutet das es ernst war und gingen oftmals davon aus dass sie nur wie typische Jungs spielten. Obendrein bekam Tokiv nach seiner Maßregelung auch noch von seinem Vater Herth ganz schön zu hören. Als enger Freund von Marudan war er entsetzt von alle dem gehört zu haben. Er hatte Tokiv zwar auf dem Feld nicht unbedingt geschont, doch war er bei der Erziehung klar hinterher gewesen. Wie genau Herth die Dinge mit Tokiv nun anging war niemanden bekannt aber nach dem was heute passierte, mussten ganz eindeutig viele Fragen geklärt werden.
      Im ersten Moment wollte Valia noch ein paar weitere Fragen stellen, doch erschien ihr das als etwas unklug, immerhin würde diese Sache ohnehin noch früh genug im Detail geklärt werden.
      Kurz darauf ploppte es dumpf. Es war Aradan welcher sein Bewusstsein verloren hatte und seitlich auf dem Boden aufkam. Cetra hätte ihn festgehalten, doch sah sie kurz über ihre Schulter zu Renera als Valia mit ihr redete.
      Direkt sahen alle nach Aradan bis Wilk etwas bemerkte.
      "Cetra, gib ihn mir!"
      Sie war etwas überrascht wie eilig Wilk Aradan auf die Arme nahm und direkt fiel es ihr auf. Die Kleidung an Aradans Seite war von Blut durchtränkt und tropfte direkt durch die Kleidung hinunter als Wilk ihn hoch nahm. Wie konnte sie das nicht bemerkt haben? Erst da fiel ihr auf wie Aradan grade eben noch krumm nach vorne gebeugt dort kniete. Hatte er mit der Beugung etwa Druck auf eine Wunde ausgeübt?
      Wilk rannte direkt los. Das Krankenhaus hatte ganz klar nun einiges zu tun. Die Masse koordinierte sich rasend schnell. Einer lief zur Schmiede, einer nach Fijena und eine kleine Gruppe ging schnell zur Händlerstraße um vermutlich dringende Materialien für das Krankenhaus zu holen.
      Cetra blieb, stand wieder auf und betrachtete die Umgebung. Sie schüttelte den Kopf, nun sehend dass auf der Stelle wo Aradan hockte, ebenfalls ganz schön viel Blut war. Zwar nicht so viel wie an Tokiv's stelle aber naja.. Das war ja auch ziemlich offensichtlich.
      Sie rieb sich mit der Hand am Kinn und versuchte schlau aus dieser Sache zu werden. Renera war zu dem Zeitpunkt keine Option da sie mittlerweile auch schon zur Sicherheit von Valia ins Krankenhaus begleitet wurde. Nur Wilk stand noch bei ihr und schien die Lage ebenso zu analysieren. Beide sahen sich an bis Cetra das Wort ergriff
      "So kann das nicht weiter gehen. Ich werde Rodon aufsuchen und..."
      Da wurde sie von eben diesem Unterbrochen
      "Nicht nötig."
      Er beugte sich kurz vor und hob das blutige Messer vom Boden auf und ging damit zum Fluss um es zu säubern. Es war ein schlichtes Messer mit einem ganz normalen Ledergriff. Doch steckte noch etwas mehr dahinter. Bei genauer Betrachtung war das Leder schon ziemlich abgenutzt und hätte kaum noch ein Jahr gehalten. Die Schneide war auch schon recht ramponiert und wies ein paar kanten auf. Das alles wies nicht gerade auf Aradan hin, wie er fand.
      "Hier Wilk. Was denkst du?"
      Er war sich schon recht sicher, doch wollte er eine weitere unbeteiligte Meinung von dem in Waffenkunde versierten Wilk hören.
      Dieser betrachtete die Klinge und war sich direkt sicher.
      "Das ist das Messer von Herth. Kein Zweifel. Tokiv hat es ständig im Unterricht dabei und spielt damit rum. Herth selbst nutzt sie nicht mehr wenn die Klinge so durch ist. Und Aradan mag keine Messer. Er liebt seinen Bogen aber ein Messer, noch dazu ein so ramponiertes? Nein. Dieses hier gehört ihm ganz sicher nicht."
      "Und dennoch war es in seiner Hand.."
      meinte Cetra grübelnd. Es schien ganz und gar kein Unfall gewesen zu sein. Das hier glich mehr einem hitzigen Kampf, was ihr auch schnell anhand aller Spuren auf dem Gras aufgefallen war.
    • Eine andere Person schob sich in Renera's Blickfeld und verdeckte Aradan hinter sich. Sie wollte sich beschweren, sagte aber nichts. Valia's Gesicht erschien vor ihr, wie es sich zu ihr herunterbeugte. Valia war eine hübsche Frau, wieso fiel ihr das gerade jetzt auf? Wieso dachte sie überhaupt darüber nach? Die Berührung ließ sie zusammenzucken und ihr Blick huschte wieder auf das Blut am Boden, das wie ein eigener kleiner Teich war. Dann sammelten sich die Tränen in ihren Augen.
      "Ich... ähh... Ich w..."
      Der altbekannte Kampf um die Tränen hatte wieder begonnen und sie konzentrierte sich auf das Gefecht, das in ihrem Inneren stattfand, während sie zurück auf Valia blickte. Konnte die Frau denn keine Gedanken lesen und selbst herausfinden was passiert war? Wenn sie schon so nett war, warum konnte sie dann nicht auch hellsehen? Tokiv's Geschrei verblasste allmählich im Hintergrund, weil man ihn wegtrug oder er leiser wurde war unklar, aber mit ihm verschwand die letzte Rettung, an die Renera sich noch geklammert hatte. Bei solchem Lärm konnte man keine Fragen stellen. Dementsprechend konnte man auch keine beantworten.
      Eine plötzliche Aufregung im Hintergrund lenkte auch Valia ab, die sich kurz umdrehte, bevor Wilk an ihr vorbei zu dem hinfallenden Aradan schoss. Valia drehte sich schnell wieder zu Renera um und verdeckte ihr die Sicht, aber Renera hatte es schon gesehen. Es war ein absurdes Bild, das viele Blut am Boden, der ohnmächtige Junge und die vielen Erwachsenen, die sich um ihn scharrten. Jetzt war sie sogar ganz froh, als Valia eine Frage stellte.
      "Wir lassen dich mal von Momo anschauen, okay? Hast du Schmerzen, kannst du laufen?"
      Renera nickte stumm, mehr brachte sie noch nicht hinaus. Der Kampf war noch im vollen Gange. Valia schien das als ausreichende Antwort zu akzeptieren und legte ihr den Arm um die Schulter, ehe sie sie in Richtung Dorfmitte wegführte. Sie hätte sich gern nochmal nach Aradan umgedreht, aber Valia stand zu dicht, als dass es ihr gelungen wäre. War es nicht merkwürdig, dass sie vor ein paar Stunden noch mit ihr gekämpft hatte? Mit Tokiv hatte sie vor ein paar Stunden nicht gekämpft. Wie sich die Welt doch veränderte.

      Im Krankenhaus war es laut, aber nicht so laut wie vorhin. Tokiv war gar nicht mehr zu hören, stattdessen hörte man Momo energische Befehle geben und Reona irgendwas fachliches zu antworten. Daneben drang das Geschwätz der Schaulustigen hinein, die der Blutspur gefolgt waren und sich jetzt neugierig vor dem Krankenhaus zusammengefunden hatten. Ein paar boten ihre Hilfe an, aber Momo machte es sehr deutlich, dass es mehr half, wenn niemand, der nicht verletzt war, hinein kam.
      Valia setzte sich mit ihr auf ein paar Stühle neben den Eingang und ergriff erneut ihre Hände. Sie fragte wieder:
      "Geht es dir auch wirklich gut?"
      Und Renera nickte. Ihre Tränen waren am Verlieren und sie setzte eine eiserne Miene auf. Langsam schienen sich auch ihre Gedanken wieder zu beruhigen und sie widmete sich der Sorge um Aradan, dem Tokiv wahrscheinlich zu schwer zugesetzt hatte.
      Kurze Zeit später sprang allerdings die Tür auf und Fijena kam hineingestürzt, die man wohl vom Markt aufgegabelt hatte, so schnell wie sie hier war. Sie sah Renera sofort und war in zwei Sätzen bei ihr - das war der Wendepunkt des Kampfes. Renera's Augen füllten sich schlagartig mit Tränen, die ihr auch gleich über die Wangen strömten, als sie aufheulte und sich von Fijena wie ein kleines Kind in die Arme ziehen ließ. Jetzt merkte sie auch erst den Schmerz in ihrem Kopf und in ihrem Rücken und er sorgte nur dafür, dass sie noch schlimmer weinte und sich in den Überzug ihrer Mutter krallte. Die drückte sie an sich und tätschelte ihr behutsam den Kopf. Aber das tat weh.
      "Was ist passiert?", fragte sie in Richtung Valia, die sich ein wenig distanziert hatte. Sie blickte hilflos drein.
      "Wir wissen es noch nicht."
      Ihr Blick huschte zu Renera und auch Fijena sah zu ihr hinab, aber Renera heulte sich die Seele raus, also sagten sie beide nichts. Momo kam einmal kurz vorbei, vergewisserte sich, dass Renera nicht in Lebensgefahr schwebte, und war sogleich wieder verschwunden.

      Kurz darauf kam Wilk mit Aradan durch die Tür geprescht, den er in den Armen trug. Er bahnte sich ungefragt einen Weg zu einem Bett in Tokiv's Nähe und legte den Jungen ab, ehe er ihm das Hemd vom Körper riss und als behelfsmäßigen Druckverband nutzte. Reona kam selbst angelaufen, verstört über den Anblick ihres Sohnes, machte sich allerdings gleich daran, die Wunde selbst zu behandeln. Momo kümmerte sich in der Zwischenzeit mit einem Helfer um Tokiv's Füße, der sehr ruhig und auch sehr bleich geworden war. Sie arbeitete mit höchster Geschäftigkeit, aber das verlorene Blut konnte sich auch nicht mehr retten. Daher war die höchste Aufgabe die Blutung zu stoppen, wobei jede Sekunde zählte.

      Renera dachte, dass sie gar nicht mehr aufhören könnte zu weinen, als ihr schließlich doch die Tränen ausgingen und sie als zitterndes Haufen Elend zurückließen, das sich wie ein Ertrinkender an ihre Mutter klammerte. Diese sagte noch immer nichts und tätschelte ihren Kopf mit einer Geduld, die eines Engels gleich war. Schließlich fühlte Renera sich durch diese wortlose Liebe doch dazu ermuntert, ein paar Wörter herauszupressen.
      "Er... Er hat..."
      Sie schniefte und holte zitternd Luft. Hinter Fijena rückte Valia ein Stück näher.
      "Er hat A-A-A... Arad..."
      Sie schniefte.
      "Er w-w..."
      Sie wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken wie sie dort versuchte die Wörter herauszupressen, aber ihre Mutter sah sie nur an und Valia hatte eine unbewegliche Miene.
      "Er w-wollte sich e-e-entsch-schuldigen, a-aber dann hat er i-ihn h... h... hochg-gehoben und hatte ein M... M... Messer."
      Sie schniefte und sah zu Valia in der Hoffnung, die junge Frau hatte in den letzten paar Minuten doch noch eine Fähigkeit zum Hellsehen entwickelt. Zu ihrer Überraschung nickte sie auch und Fijena sagte:
      "Du kannst uns den Rest später erzählen. Wir gehen jetzt erstmal nachhause."
      "N-N-Nein."
      "Wie?"
      "Ich m-möchte hierbleiben."
      Fijena machte eine verdrossene Miene und blickte zu den beiden belegten Betten, dann nickte sie allerdings.
      "Ich denke Momo wird kaum was dagegen haben. Ich kann aber nicht über Nacht bleiben wie letztes Mal."
      Renera nickte nur, das war sicherlich nicht schlimm. Fijena seufzte und drehte sich zu Valia um.
      "Ihr wisst ja, wo ihr mich findet."
    • Der plötzliche Auflauf, das ganze Blut, die besorgten Gesichter. Man hätte meinen können das Dorf hat einen schlimmen Kampf mit den Monster hinter sich gehabt.
      Reona musste komplett auf Autopilot schalten als sie ihren Sohn auf dem Bett sah, sonst wäre sie nicht in der Lage gewesen bei klarem Verstand zu bleiben. Glücklicherweise kümmerte sich Wilk bereits um einen Druckverband um die Blutung zumindest etwas unter Kontrolle zu bringen. Es gab Momo und Reona genug Zeit um äußerst provisorisch die Blutung von Tokiv zu stoppen. Diese Füße zu flicken würde sie wohl noch eine ganze Woche verfolgen. Solche Operationen waren in der Regel äußerst knifflig und es kam nicht selten vor dass die Person für ganze Monate ausfallen würde. Und dennoch. Gedanken konnte man sich später machen. Nun galt es Ruhe in den Raum zu kriegen. Nach einer schnellen Säuberung der Wunden war es den Beiden möglich die Wunden mit einem starken Klebstoff zu versiegeln, was die Blutung stoppen konnte. Es galt Tokiv mit einem starken Betäubungsmittel auszuschalten damit sich sein Puls beruhigte und er keine Schmerzen mehr haben würde.
      Daraufhin drehte sich Reona zu ihrem Sohn um und Momo schnellte zu Renera um diese schnell nach Wunden durch zu checken. Als dort keine zu finden waren, löste sie Wilk dankend ab und übernahm mit Reona die Versorgung.
      Aradan war nicht mehr bei Bewusstsein, hatte die Augen aber noch weit auf gerissen, von welchem eins Blutrot war. Ein beinahe gespenstigender Anblick.
      So löste Momo den Druckverband damit sie sich die Wunde ansehen konnten. Es war ganz klar eine tiefe Stichwunde. Aber auch Aradan schien noch mal glück gehabt zu haben denn das Blut kam Pulsweise hinaus und war nicht schwarz. Es waren also keine lebenswichtigen Organe verletzt. Es galt nun das Gleiche. Den Puls hinunter fahren und die Wunde versiegeln, doch war es bei einem so feinen Schnitt deutlich einfacher, also kümmerten die beiden Sich schnell darum.
      Eine Spritze mit dem selben Beruhigungsmittel wurde ihm in den Arm gespritzt bis es wirkte als hätte er zu Atmen aufgehört. So stark weggetreten hätte man den beiden Jungs Körperteile amputieren können ohne dass sie es gemerkt hätten. So säuberte Reona auch hier schnell die Wunde bis Momo anfing diese zu zu nähen und anschließend mit einem klebrigen Sirup zu beschmieren. Es war ein Gemisch dass zum größten Teil aus Honig bestand. Ein ziemlich gängiges Mittel um Wunden zu verschließen da der Körper diesen zusätzlich aufnahm und bei der Genesung half.
      Wilk sah dem ganzen erst zu, nickte dann aber erleichtert als ihm klar war wie gut die Beiden hier alles unter Kontrolle hatten und sorgte anschließend dafür dass jeder der nichts im Krankenhaus verloren hatte, hinaus zu befördern. Auch um die ganze Masse wurde sich schnell gekümmert wodurch endlich wieder Ruhe einkehrte.


      Es dauerte bis tief in die Nacht bis Aradan stark hustend aufwachte. Er hielt sich sofort seine Wunde, die beim Husten ziemlich schmerzte. Er wollte sich direkt aufsetzen, doch fühlte es sich an als würde Blei durch seine Adern fließen, als wäre er durch und durch verrostet. Es brachte nichts. Aufstehen war unmöglich. Es blieb ihm nur sich umzusehen und das beruhigte ihn sofort. Er sah Renera im Bett neben ihm. Er hoffte sehr dass sie nicht verletzt war aber er konnte sie friedlich atmen sehen. Ein Glück.
      Tokiv konnte er jedoch nicht sehen. Links von seinem Bett war ein Trennvorhang, was ihm den meisten Einblick über den Raum nahm. War wohl aber auch besser so. Diesem Typen wollte er niemals wieder begegnen.

      Reona und Momo hatten den gesamten Tag daran gesessen Tokiv so gut es geht wieder zusammen zu flicken. Damit sich Tokiv nicht bemegt, hielten sie es für angebracht ihn für eine komplette Woche unter Betäubung zu setzen. Und danach... Nun danach hätte dieser für einige Monate ekelhafte Eisenpräparate zu sich nehmen müssen damit der Körper wieder zu kräften kommt. Sie sorgten dafür dass mehr Blut produziert wird, was dieser Junge ganz klar brauchte. Arbeiten konnte dieser nun aber für eine ganze Zeit nicht mehr.
      Das laute Husten von Aradan hatte dann Momo direkt aufmerksam gemacht, so hörte diese direkt auf im Kerzenlicht neue Salben zu machen, weckte die in einem bequemen Stuhl schlafende Reona aber nicht auf sondern ging vorerst selbst nach Aradan ans Bett.
      "Geht es? Möchtest du ein Schmerzmittel?"
      "Geht es Renera gut?"
      Aradan fragte das einzige was ihn grade interessierte. Als Momo nickte, lächelte Aradan zufrieden und entspannte sich. Erst dann nickte er leicht zustimmend bezüglich der Schmerzmittel, welche ihm promt anhand von kleinen Pastillen gegeben wurden.
      "Hast Glück gehabt. Das wird dich aber ein wenig begleiten."
    • "Renera wachte am Morgen auf, ausgeschlafen und deutlich besser drauf. Sie hatte die Chance gleich genutzt im Krankenhaus zu bleiben, nachdem sie dort sowieso viel besser schlafen konnte als Zuhause und das zahlte sich nun deutlich aus. Außerdem konnte sie gleich nach Aradan sehen.
      Der Junge war noch fest am schlafen, gut eingepackt in seine Verbände, die ihm quer über den Oberkörper geschnürt waren. Sie erinnerte sich mit allzu großem Grauen an das Bild, das sie vom gestrigen Tag hatte, mit der Blutlache im Zusammenhang von Aradan und den vielen Menschen. Außerdem erinnerte sie sich an den Schrei, der sie bis in die Träume verfolgt hatte und auch jetzt dafür sorgte, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Sie sah zu Tokiv, aber der war hinter einem Trennvorhang versteckt und damit nicht zu sehen. Dann verkroch sie sich unter ihrer Decke und summte sich leise ein Kinderlied vor, um den Schrei aus dem Kopf zu bekommen.
      Als sie sich wieder hervortraute kam Momo bereits angeschlendert, scheinlichst gut drauf. Sie informierte sich über Renera's Fassung, sagte dann allerdings, dass sie wieder heimgehen müsse, wenn ihr nichts weiter fehlte. Das Krankenhaus war schließlich ein Ort für Verletzte und kein Gasthaus. Renera machte ein verdrossenes Gesicht.
      "Kann ich wengistens noch warten bis Aradan aufgewacht ist?"
      "Meinetwegen. Aber danach wirst du Rodon alles erzählen müssen, was passiert ist."
      Na ganz toll. Momo zog wieder ab und Renera schnappte sich einen Stuhl, den sie an Aradan's Bett zog, aber die Aussicht erneut von Erwachsenen umringt zu werden besserte nicht unbedingt ihre Stimmung. Sie versuchte nochmal das Kinderlied zu summen, aber das hatte nicht den selben Effekt wie vorhin.
      Aradan schien sich Zeit damit zu lassen aufzuwachen, doch nach einer halben Ewigkeit regte er sich endlich und öffnete langsam die Augen. Da sprang Renera ungeduldig auf und beugte sich über ihn.
      "Hey, Ara."
      Er hatte noch Spuren des Betäubungsmittels in sich, oder er war noch verschlafen, aber es dauerte eine weitere Ewigkeit, bis er sie schließlich richtig erkannte.
      "Geht's dir gut? Was macht die Wunde?"
      Sie beugte sich zu seinem Ohr hinab und flüsterte:
      "Ich find' das war gutes Teamwork gestern, auch wenn der Ausgang nicht so gut war."
      Sie richtete sich wieder auf und lächelte schüchtern. Ihr Blick wanderte zu Tokiv hinüber, aber von ihm war kein Lebenszeichen zu hören.
      "Jetzt ist es also genau andersrum: Du liegst im Bett und ich komm dich besuchen. Wenn wir alle paar Wochen zu Momo kommen, kann sie uns schon eigene Betten bereitstellen."
      Sie kicherte über ihre eigene Aussage. Woher hatte sie die gute Stimmung her? War das normal, dass man jemanden fast umbrachte und dann vergnügt sein Leben weiterlebte?
      "Ich muss auf jeden Fall allen erzählen was passiert ist, ich glaube sie warten schon auf mich. Ich komm später wieder, okay? Momo hat mir zwar verboten nochmal hier zu schlafen, aber besuchen werd' ich dich wohl noch können."
      Sie fasste ihm zum Abschied an die Schulter, nachdem sie Angst hatte ihm woanders weh zu tun, und ging schließlich nach draußen.

      Eine Besprechung war schnell einberufen, nachdem Valia Renera in Empfang genommen und sich vergewissert hatte, dass sie bereit war den gestrigen Tag zu schildern. Also begleitete sie sie zurück ins Bürgerhaus, wo auch alle anderen von gestern anwesend waren: Wilk, Cetra, Rodon, zusätzlich Marudan, Fijena, Herth und seine Frau und der Hauptmann, den man bloß über die aktuellen Geschehnisse in Kenntnis setzen wollte. Rodon forderte sie freundlich auf alles zu erzählen, woran sie sich erinnern konnte, aber in Anbetracht der vielen Zuhörer, musste sie sich erst noch überwinden. Fijena hatte ihr den Arm um die Schulter gelegt und Valia lächelte ihr von der anderen Seite des Tisches aufmunternd zu.
      "Wir hatten gestern Prüfungen und sind danach alle zum Fluss gegangen. Also, wahrscheinlich nicht alle, so genau weiß ich es nicht. Ich bin mit Aradan gegangen, wir haben uns nass gespritzt und bald haben alle eine Wasserschlacht veranstaltet. Wir, also er und ich, sind irgendwann ein Stück weg gegangen, weil es kalt war und wir...", ihr Blick huschte kurz zu ihrer Mutter. Fast hätte sie sich verplappert. "... Wir wollten uns noch ein bisschen ausruhen, da haben wir uns neben eins der Häuser gesetzt. Die anderen sind dann irgendwann gegangen und dann kamen Tokiv und Loth zu uns. Tokiv hat Aradan gesagt, dass er sich entschuldigen möchte, weil sein Vater ihn wohl dazu überredet hatte, aber auch weil er zu viel auf Aradan rumhackt."
      Ihr Blick huschte kurz nervös zu Herth, aber der Bauer unterbrach sie nicht.
      "Sie haben sich die Hand gegeben und dann hat Tokiv ihn zu sich gezogen und am Hals hochgehoben", jetzt sah sie nervös zu Marudan, "Und gesagt, dass er das schon immer tun wollte und dass keiner ihn und seine Augen leiden kann und er allen einen Gefallen tut. Und dann hat mir Loth den Mund zugehalten und Tokiv hat gesagt, dass es keine Zeugen geben soll und..."
      Jetzt war es doch schon wieder so weit. Sie dachte, dass einmal darüber schlafen die Sache besser gemacht hätte, aber jetzt drängten sich schon wieder Tränen in ihre Augen. Wie peinlich!
      "Und dann hab' ich nicht viel gesehen, aber Aradan hat sich von Tokiv befreit und hat Loth umgeworfen und ihn mit einem Stein K.O. geschlagen und dann hat er ihm einen Tritt... unten hin verpasst. Ich wollte eigentlich Hilfe holen, bin dann aber doch wieder zurückgelaufen, weil ich gesehen hab, dass..."
      Sie holte stockend Luft und schniefte einmal kurz.
      "Dass Tokiv Aradan auf den Boden gedrückt hat und ihm den Arm verdreht hat und da bin ich zurückgelaufen und bin ihm auf den Rücken gesprungen. Ich dachte eigentlich, dass ich ihn umwerfen würde, ich hab extra den Klammergriff gemacht und alles richtig gemacht, aber er ist nicht umgefallen, sondern hat nur ein bisschen das Gleichgewicht verloren. Und dann wollte er mich runterwerfen, aber ich hab mich in seinen Haaren verkrallt und dann ist er auch schon irgendwie nach hinten geknickt. Ich hab mich gleich von ihm weggerollt, aber da war schon das ganze Blut und Aradan war auch schon voller Blut und hatte das Messer in der Hand und da hat -"
      Sie stockte, als ihr der Schrei durch das Gedächtnis rauschte, der markerschütternde Schrei, der ihren ganzen Körper zur Flucht antrieb. Diesmal dachte sie gleich daran das Kinderlied zu summen, aber das würde sie ganz sicher nicht vor den vielen Menschen machen. Stattdessen versuchte sie sich auf einen Punkt auf dem Tisch zu konzentrieren, während Fijena sie einmal fest drückte und gereizt in die Runde blickte. Sie würde wahrscheinlich die Krallen ausfahren, sollte es einer wagen, ihre Tochter so weit zu drängen, dass sie noch einmal Tränen vergießen würde. Aber das schien auch nicht nötig: Rodon räusperte sich einmal laut und kräftig.
      "Ich denke wir sollten darüber nachdenken, wie wir diesen... Streit in der Zukunft vermeiden können. Tokiv und Aradan sind in der selben Klasse, wir können also nicht darauf vertrauen, sie voneinander getrennt zu halten."
      Sein Blick wanderte über die Versammelten hinweg zu Herth und Marudan.
    • Aradan's Schmerzen vergingen im Verlauf von knappen 10 Minuten nach seiner Einnahme in der Nacht. Diese Zeit verging viel zu schnell denn er sah dabei der schlafenen Renera zu. Sie wirkte so unglaublich friedlich und schenkte ihm damit eine Unbeschwertheit wie er sie schon lange nicht mehr spürte. Als die Schmerzmittel dann wirkten, schlummerte er langsam wieder ein.
      Für ihn selbst war es als hätte er nur kurz geblinzelt, da stand Renera freudig vor ihm. Er brauchte erst mal einen Augenblick um alles richtig zu realisieren bis er selbst lächelte und kaum etwas in Worte fassen konnte, so aufgedreht wie Renera auf ihn wirkte. So gerne hätte er sich noch mit ihr unterhalten aber wollte er sie auch nicht davon abhalten ihrer Pflicht nach zu kommen.

      In der Versammlung ging es hingegen gesittet und vorerst gesprächig von sich bis Renera sich einfand. Sofort war es Still bis Rodon sich nach der Situation erkundigte und gespannt zuhörte. Hin und wieder ging ein leises Tuscheln umher aber niemand wollte Renera unterbrechen. Erst als sie am Ende ihrer Nerven war, stand Rodon auf und ging zu Renera. Ihm war bewusst wie schnell Fijena ihre Krallen ausfahren konnte, daher ging er auch sehr behutsam und kniete sich vor Renera runter.
      "Keine Sorge mein Kind. Du hast in dieser Welt schon viel erlebt und wir wollen dich auch nicht bedrängen. Alles worum es uns geht ist zu erfahren was geschehen ist."
      Erst hatte er geplant ihr das Tatmesser zu zeigen und dazu Fragen stellen, doch war das Kind viel zu aufgewühlt dafür. Er behielt es also in einem weißen Laken gehüllt in seiner Tasche, musste aber noch ein wichtiges Detail erfragen.
      "Nur noch eine Frage. Dann hast du es schon geschafft, okay?"
      Er lächelte, was seinen ganzen Vollbart bewegte. So freundlich hätte er sogar als netter Familien Opa durch gehen können.
      "Du sagtest Aradan hatte das Messer in der Hand als du zu ihm gesehen hast. Hatte Aradan das Messer von Anfang an?"
      Rodon, Herth und Marudan hatten die Herkunft des Messers längst geklärt. Es war eindeutig ein altes Messer von Herth, mit welchem Tokiv oft gesehen wurde. Dennoch musste man erfahren ob es Aradan nicht eventuell aus Rache Gründen stahl um den Verdacht auf Tokiv zu lenken. Erst wenn man sich gänzlich sicher war, konnte man zumindest einen berechtigten Verdacht festigen.
    • Renera blickte misstrauisch zu Rodon hinab. Er nannte sie Kind, das war definitiv unangebracht. Sie war doch kein Kind mehr! Nur weil sie weinte hieß das nicht, dass sie noch ein Kind war. Also versuchte sie ihre Miene so gelassen wie nur möglich zu halten, aber die Frage war nicht gerade einfach zu beantworten.
      "Ich glaube nicht. Ich meine, ich weiß es nicht. Vielleicht hatte er es in der Tasche, vielleicht ist das für... einen angehenden Schmied so üblich? Vielleicht hat Tokiv es ihm ja abgenommen. Ich hab nichts gesehen durch... Loth."
      Bei den Göttern - vielleicht hatte Tokiv sich wehren wollen? Aber er hatte sich ziemlich deutlich dabei ausgedrückt, dass er Aradan etwas antun wollte. Oder etwa nicht? Hatte sie sich selbst etwa etwas dazugedichtet? War etwa Aradan der Böse?
      "... Ich weiß es nicht."
    • Rodon schüttelte den Kopf als wolle er sie beruhigen.
      "Ist schon gut."
      Danach gab er Fijena mit einem leichten nicken zu verstehen dass Renera gehen konnte, was auch ziemlich schnell geschah.
      Der Bürgermeister und ein paar im Raum sahen den Beiden noch hinterher bis sich Rodon wieder der Gruppe zuwandte und besonders Herth und Marudan ansah.
      "Also? Wie sollen wir diese Situation angehen? Irgendwelche Vorschläge?"
      Alle im Raum waren recht angespannt. Sie hatten zwar alle schon mit Monstern zu tun gehabt und kannten Gewalt sowie alles was es mit sich brachte. Aber so etwas unter Kindern in diesem Ausmaß war neu.
      Herth war dann der erste der ein raues Seufzen von sich gab.
      "Zunächst mal will ich mich bei allen für das Verhalten meines Sohnes entschuldigen. Ich weiß Rodon. Du willst es gerne genau wissen aber bis Aradan oder Tokiv wieder ansprechbar sind, wird eine Antwort ohnehin auf sich warten lassen. Aber ich denke wir alle wissen dass es offensichtlicher nicht sein kann. Mein Sohn schikanierte Aradan scheinbar schon sehr lang und kaum als es an die Oberfläche kam, geschehen so viele Dinge zwischen den Beiden? Ich kenne meinen Sohn. Er kann hin und wieder recht aufbrausend sein aber mir gegenüber zog er es immer vor sein Werkzeug hin zu werfen und zu verschwinden. Jetzt kann ich mir vorstellen wo er ständig seinen Dampf abgelassen hat."
      Da wandte sich sein Blick nach Marudan.
      "Es tut mir wirklich Leid Marudan. Hätte ich davon gewusst, hätte ich ihn niemals aus den Augen gelassen."
      Marudan schüttelte mit dem Kopf. Zwar war er alles andere als gelassen und glücklich über die Situation aber auch er verstand dass man sein Kind nicht permanent im Auge haben konnte.
      "Ist schon gut alter Freund."
      Die Beiden hatten sich schon nach dem Geschehnis zwischen Marudan und Tokiv lange ausgesprochen und tranken dabei bis tief in die Nacht. Zwischen den Beiden konnte so schnell kein Keil kommen, so schien es zumindest.
      Dennoch versuchte Rodon den scheinbar beschlossenen Verdacht vorerst zu lösen.
      "Langsam. Ich bin mir sicher du kennst deinen Sohn besser als jeder hier aber wir können ihn nicht jetzt schon so verurteilen."
      Marudan unterbrach, dieses mal schon mehr zeigend wie verstimmt er war.
      "Ach jetzt mach aber mal nen Punkt Rodon. Tokiv spielt sich mit seinen Freunden auf als wäre er ein König und behandelt Aradan wie seinen Fußabtreter. Auch ohne perfektem Beweis wird hier wohl jeder wissen wie das war. Er hat Aradan aufgelauert um sich zu rächen. Was er mit dem Messer wollte will ich gar nicht wissen. Fakt ist dass es seiner war und Wilk hat ebenso bestätigt dass er immer damit gesehen wurde. Herrgott sogar Cetra hat die Spuren gelesen und es passt alles zur Beschreibung der kleinen kleinen Heulsuse von eben."
      Hier und da vernahm man ein Räuspern als Marudan so mit dem Bürgermeister sprach. Aber es war wohl auch verständlich dass Marudan etwas aufgewühlt war. Ganz davon abgesehen dass sie wohl tatsächlich seiner Meinung waren.
      Rodon konnte nicht anders als sich die Stirn zu reiben und kurz zu seufzen.
      "Gut also. Was sollen wir machen? Ich kann kein Kind vor die Tore werfen. Da lasse ich nicht mit mir verhandeln. Ich will auch nicht Herth und seine Familie für die dummen Taten eines Jungen verbannen. Ebenso können wir sie nicht ewig beobachten oder voneinander fern halten."
      So verliefen die Diskussionen darüber eine ganze Weile bis sich alle einig waren.
      Von nun an wurden zwei Klassen geführt. beide am selben Tag aber beide an verschiedenen Orten. Der erste war das übliche Klassenzimmer und der Rest würde von nun an diesen Raum bekommen. Ebenso würden die Unterrichtszeiten leicht versetzt stattfinden damit das Risiko minimiert wird dass sie sich direkt über den Weg laufen. Darüber hinaus galt von nun an ein striktes Waffen Verbot für alle Kinder außerhalb der Übungen bis sie vollwertig ausgebildet waren. Selbstverständlich mussten sich Aradan und Tokiv bald noch dafür verantworten aber vorerst waren diese Beschlüsse recht klar.
      Langsam aber sicher sahen alle im Raum der Zukunft wieder etwas entspannter entgegen und fingen sogar an der dicken Luft etwas platz zu machen. Es war sogar Marudan der den Anfang machte. So verschränkte er die Arme und meinte fast schon mit einer leichten Entzückung
      "Aber die kleine Heulsuse hats ganz schön in sich oder? Ist nicht weg gerannt und hat sich einem klar überlegenen Feind gestellt. Ich kenne da wen der in seiner Kindheit ähnlich drauf war, nicht wahr Rodon?"
      Dieser lachte tatsächlich. Und nicht nur er. Es stimmte. Der Mut von Renera entging in diesem Raum niemand.

      So verflogen ganze 3 Tage bis Aradan bis auf sein Handicap wieder in der Lage war das Bett zu verlassen. Die meiste Zeit wurde er mit Medikamenten so zu geschossen, dass er fast nur geschlafen hatte. Aber es hatte sein Ziel klar erfüllt. Zwar würde es noch dauern bis er wieder so agil war wie vorher, doch zumindest konnte er wieder lachen ohne dass ihm vor Schmerzen übel wurde.
      Es fühlte sich wahnsinnig gut an endlich wieder auf den eigenen Beinen zu stehen und endlich einen Schritt machen zu können, welchen er vorerst unter strengster Beobachtung von Momo tat. Erst als er ihre strenge Vorlange erfüllte, erlaubte sie ihm das Krankenhaus verlassen zu dürfen.
      Und das tat er. Zwar langsam und ganz leicht hinkend um seine Seite nicht zu sehr zu belasten aber es ging.
      Im vorbei laufen von Tokiv's Bett, bemerkte er dass rund um ihn herum ein Trennvorhang gezogen wurde. War er so schlecht dran oder wurde bewusst dafür gesorgt dass sich beide nicht zu Gesicht bekamen?
      Erfahren würde er das wohl noch früh genug.
      Bevor er aber den Weg nach Hause antrat, war etwas anderes sehr viel wichtiger.
      Er prüfte den Stand der Sonne und erkundigte sich beim ersten an ihm vorbei laufendem Dörfler welcher Tag grade war. So stellte Aradan direkt fest welchen Job Renera grad ausüben musste. Es hätte nicht besser passen können. Zu dieser Zeit wurde sie immer dazu verdonnert am Fluss neben dem Schneider Laden die Wäsche ihrer ganzen Geschwister zu waschen.
      Sein Ziel war also klar.
      Der Weg bis zum Fluss dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Sonst rannte er so einen Weg in 2-3 Minuten ab. Jetzt brauchte er schon 12 Minuten bis er endlich an der Stelle ankam, wo er sie auch schon am Fluss, mit hoch gekrempelten Ärmeln, am Waschbrett sitzen sah.
      Er schlich sich an so gut er konnte und bemerkte direkt die Melodie, welche Renera vor sich hin summte. Er konnte nicht sagen woher er sie kannte aber es war als hätte er diese erst vor kurzem gehört. So sprach er leise, entgegen seines ersten Planes sie erschrecken zu wollen.
      "Das ist eine schöne Melodie"
    • Fijena und Renera wurden nicht weiter mit Fragen belästigt und traten den Heimweg an. Allerdings hatte Fijena dabei selbst noch die ein oder andere Sache, die sie gerne klären wollte. Zwar ging es dabei nicht konkret um den Angriff, aber darum ob sie schon öfter mit Aradan unterwegs gewesen wäre und ob sie, als sie alleine beim Fluss gesessen waren, auch noch etwas anderes getan hätten als nur zu sitzen. Das stimmte Renera wütend. War es etwa wichtig, ob sie sich einander näher kamen? Und wenn es so wäre, was würde es für einen Unterschied machen? Leider sprach sie nichts davon aus, sondern ließ die Warnung ihrer Mutter über sich ergehen, dass sie sich von Männern fernhalten solle. Sollte sie doch nur reden, zur Rache könnte Renera erst recht etwas mit Aradan anfangen. Schließlich war er ja echt nett und seine Augen waren wirklich hübsch.
      Nachdem sie keine Verletzte war, musste sie auch wieder in den Unterricht zurück, bei dem sie sich gleich nicht mehr wohl fühlte. Das gesamte Dorf hatte bereits über Nacht von dem Vorfall erfahren und so starrten sie sämtliche anderen Kinder an, manche mit grimmigen Gesichtern - das waren die, die mit Tokiv sympatisierten -, manche mit neugierigen Gesichtern - die hatten sich wohl noch nicht für eine Seite entschieden - und manche hielten auch noch ängstlichen Abstand zu ihr. Ihr wurde bewusst, dass sich keiner nach Aradan erkundigte oder sich sonst einen Gedanken darüber machte, ob es ihm gut ging. Nichtmal Ella fragte nach, aber die war sowieso komisch drauf. Sie schien bleich, ging Renera ganz offensichtlich aus dem Weg und war wortkarg. Auch nicht die paar Mädchen, die manchmal mit ihr rumhingen, schienen sie aus dieser Phase herausholen zu können.
      Renera wurde bewusst, dass sie ohne Aradan alleine war.
      Sie ging ins Krankenhaus, wann immer sie annähernd daran vorbei kam, aber sie traf Aradan nie wach an. Momo erklärte ihr, dass er Ruhe bräuchte und mit den vielen Schmerzmitteln auch lange schlief, aber das war nicht wirklich beruhigend. Sie versuchte stets so lange zu bleiben, wie es ihr möglich war, um darauf zu warten, dass er aufwachte, aber er schlief immer zu lange und zum Schluss schimpfte ihre Mutter sie, dass sie nicht rechtzeitig nachhause gekommen war.

      Am Abend zwei Tage nach dem Vorfall stattete Renera Aradan einen weiteren Besuch ab, blieb viel zu lange, während sie ihm beim Schlafen zusah und manchmal Momo zur Hand ging, und ging schließlich frustriert wieder nach Hause. Als sie durch die Tür kam, hätte sie vor Schreck fast laut aufgeschrien: Ein Mann saß am Küchentisch. Es war Svenkov.
      Svenkov war ein dürrer Mann mit verfilztem Haar und einem ungepflegtem Bart. Er trug stets Hosen, die ihm zu eng waren und bei seinen Schuhen lösten sich bereits die Sohlen. Er hatte schwielige Hände und sehnige Arme, die ein bisschen wie die Arme von Fijena wirkten, allerdings waren sie mit Haaren nur so übersäht. Er sah auf und lächelte Renera an, auf seinem Schoß saß Cilla, die mit einem Schnürsenkel spielte. Sein Lächeln war schief, der eine Mundwinkel wollte nicht ganz so weit hoch gehen wie der andere.
      "... Was -"
      Ihre Mutter erschien im Türrahmen, sah sie, bedeutete ihr mit einem Finger ruhig zu sein und schloss die Tür leise hinter sich. Sie waren alleine in der Küche, bis auf Cilla waren alle anderen schon im Bett.
      "Schön, dass du dich auch mal zeigst. Ab ins Bett mit dir und pass auf, dass du niemanden weckst."
      "Was macht er denn hier?!"
      Sie flüsterten beide, aber Renera wollte ihren Ärger nicht vertuschen. Fijena sah ihr gereizt in die Augen.
      "Er hat einen Namen und hat sich bereit erklärt mir zur Hand zu gehen, während du bei deinen Abenteuern unterwegs bist! Ins Bett mit dir jetzt, die Sonne ist schon längst untergegangen!"
      "Ist er etwa dein neuer -"
      "Ins Bett!", fauchte Fijena sie schließlich an und Renera gehorchte zornig. Sie machte einen großen Bogen um Svenkov, der nach Schweiß stank, und verschwand leise im Schlafzimmer.

      Am dritten Tag versuchte sie den Vorfall zu vergessen. Svenkov war schon verschwunden, als sie zur Schule aufbrach, und so redete sie sich ein, dass es alles ein schlechter Traum gewesen war. Aradan schlief immer noch, als sie vorbei sah, und im Unterricht glaubte sie, dass Wilk sie anders anschaute als die anderen Schüler. Sie wollte ihn fragen, ob er etwa ein Problem damit hätte, dass sie es auch mit Älteren aufnahm, aber natürlich sagte sie nichts. Bei den Kampfhaltungen fiel sie zwei Mal hin.
      Zu ihrem wachsendem Ärgernis war ihr, trotz Svenkov, keine Pause vergönnt. Sie beschwerte sich bei ihrer Mutter, als sie sie zum Markt losschicken wollte, doch ihre Mutter wies sie darauf hin, dass jeder seine Pflicht zu erfüllen hätte und Renera seit drei Jahren bestens wüsste, was diese Pflicht für sie war. Sie sagte es halb schreiend, während sie den Kochtopf umrührte, den heulenden Tysin im anderen Arm hielt und manchmal Varus zurecht wies, der sich über den Brei von Cilla hermachen wollte. Also "erfüllte Renera ihre Pflicht" und ging zum Markt, bevor sie die Betten neu bezog und die Wäsche waschen ging.
      Ihre Stimmung war schlecht, alles war schlecht. Erst war schon alles schlecht gewesen, dann war es etwas besser geworden, als sie mit Aradan trainieren gegangen war, dann war es wieder schlecht geworden, dann war es wieder besser geworden und jetzt war es absolut scheiße. Sie träumte jede Nacht von Tokiv. Manchmal erschien er ihr als er selbst, manchmal war er ein Schwein oder eine Kuh oder ein Schaf und manchmal sah sie ihn gar nicht und hörte ihn nur schreien. Dann wachte sie immer auf und merkte, dass eigentlich Cilla am Schreien war, das machte die Sache aber nicht wirklich besser.
      Sie drehte sich ruckartig um, als plötzlich eine Stimme hinter ihr ertönte. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie, dass sich Tokiv an sie herangeschlichen hätte um sich bei ihr zu rächen, aber dann sah sie voller Überraschung Aradan vor sich stehen. Die zermürbenden Gedanken waren von einem auf den anderen Moment wie weggeblasen.
      "Aradan!"
      Sie sprang auf und auf ihn zu, bevor sie sich in letzter Sekunde noch retten konnte. Er stand ein wenig zur Seite geneigt und wenn sie ihn jetzt angesprungen hätte, hätte sie ihn wahrscheinlich zurück ins Krankenhaus befördert. Also blieb sie stehen und schlang die Arme um ihn, so sanft, wie es ihr nur möglich war.
      "Ich dachte, du würdest noch mindestens eine Woche da drin sein!"
      Sie löste sich von ihm und strahlte ihn an.
      "Ich hab dich mindestens drei Mal täglich besucht, ein Mal pro Tageszeit, aber du hast immer nur geschlafen. Den ganzen Tag geschlafen! Momo hat gesagt, dass du ihr bester Patient bist."
      Sie kicherte, dann erinnerte sie sich über den ganzen Umstand und hörte wieder auf.
      "Setz dich hin! Nicht, dass du mir umfällst, dann muss ich dich zurücktragen und ich glaub du bist mir zu schwer."
      Sie sprang zurück zu ihrem Waschbrett und nahm sich das Kissen, auf dem sie gesessen hatte, ehe sie es Aradan vor die Füße legte.
      "Hier, das brauch ich eh nicht."
      Sie ließ sich ins Gras fallen und lächelte.
      "Das Lied, das ich gesummt habe, kennst du sicher auch, das ist das Lied vom Sonnenaufgang. Ich hab' die ganze Zeit einen Ohrwurm davon, weiß aber nicht wieso."
      Sie winkte ab.
      "So glücklich wie du muss man sein, dass man drei Tage Unterricht verpasst. Wie geht es dir? ... Ist er aufgewacht?"
    • Diese unfassbare Freude in Renera's Augen zu sehen halt ungemein seine Schmerzen zu vergessen. Und diese Umarmung... ein Traum. Nein! Bitte. Lass das keinen Traum sein. Er hätte sie so gerne fester an sich gedrückt aber er brachte es kaum zu Stande.
      "Momo hat mir schon gesagt dass du ein Dauergast warst. Tut mir Leid dass ich es nicht mitbekommen habe."
      verlegen kratzte er sich am Hinterkopf als er ihr dabei zusah wie hastig sie ihm das Kissen vor legte. Er wäre beinahe rot geworden, wäre da nicht dieser willkommene und unglaublich erfrischende Wind gewesen der über die Wiese zog.
      "Endlich wieder Wind. Mir kommt es vor als wäre ich Monate nicht mehr an der Luft gewesen"
      säuselte er daher und lauschte der Erklärung über das Lied. Direkt weckte Renera seine Neugier.
      "Das Lied vom Sonnenaufgang? Das sagt mir nichts."
      Zu schade. Er wollte sie mit Komplimenten überhäufen wie schön er ihre Stimme fand wenn sie diese Melodie summte, oder wie es ihn beruhigte sie beim Schlafen zu beobachten. Aber er traute sich einfach nicht. Vermutlich war das langsam ein körperlicher Reflex, so geschah immerhin jedes Mal etwas schlimmes wenn er versuchte sich ihr zu nähern.
      Ein Glück lenkte sie auf ein anderes Thema. Eines worüber er dann tatsächlich leicht lachen musste, solange es nicht zu sehr schmerzte.
      "Ach was. Ich wette Wilk wird mich die Zeit spüren lassen. Ich muss eh noch sehr viel lernen.. Wenn die theoretische Prüfung ansteht, muss ich endlich die ganzen Pilze und Kräuter in meinen Kopf kriegen aber..."
      ... ja aber was. Das große Aber war Renera. Wie sollte er lernen wenn das einzige in seinem Kopf die Person vor ihm war? Er blickte ihr die ganze Zeit in die Augen, bemerkte dann aber wie sein Blick langsam nach unten, auf ihre Lippen ging. Sofort wurde er knall rot. Aber er löste die Situation geschickt, wie er fand.
      So täuschte er schnell ein Husten vor und hielt sich die Seite, direkt das Kissen von Ihr annehmend, setzte er sich in die Wiese neben ihr und legte das Kissen unter seinem Kopf.
      Seine Röte verschwand jedoch von jetzt auf gleich als Renera sich über Tokiv erkundigte. Man konnte den Wechsel der Stimmung beinahe mit den Händen greifen als er mit dem Kopf schüttelte.
      "Ich glaube nicht. Immer wenn ich wach wurde, war es ruhig. Als ich ging war rund um sein Bett ein Trennvorhang gezogen. Ich glaube sie wollen nicht dass wir uns so schnell sehen. Aber... Ich denke das ist auch besser so."
      Aradan blickte in den wolkenlosen Himmel und versuchte sich ein wenig zu ordnen, wofür er bis jetzt, wie er merkte, gar keine Zeit gefunden hatte.
      "Tokiv wollte mich tatsächlich mit einem Messer angreifen... Der Kerl hat sie doch nicht mehr alle. Der wird bestimmt verbannt."
      Dann hielt er sich symbolisch an die Seite
      "Diese Narbe werde ich so schnell nicht vergessen. Ist mir zwar etwas peinlich aber... Dir geht es gut. Mehr wollte ich nicht. Ich werd die Narbe als Zeichen dafür tragen dich erfolgreich vor einem Monster beschützt zu haben"
      Er lächelte und schloss seine Augen dabei, diesen Moment vollkommen in sich aufnehmend.
    • Renera bemerkte, wie Aradan rot anlief. War er etwa beschämt? Was hatte er denn getan? Viel mehr als zu sagen, dass er lernen musste, hatte sie nicht herausgehört. Manchmal verhielt er sich komisch.
      Sie dachte erst recht nicht weiter darüber nach, als er zu husten begann und sie sich fragte, ob sie ihn wieder ins Krankenhaus schleppen sollte. War er überhaupt richtig entlassen worden oder hatte er sich rausgeschlichen? Sie würde ihm beides zutrauen.
      Er berichtete, dass es über Tokiv nichts neues gab und das war auch gut so. Renera nickte.
      "Ich denke auch, dass sie befürchten, dass ihr euch gegenseitig anfallt, wenn ihr euch seht. Wahrscheinlich wird das auch so sein - zumindest könnte ich es Tokiv zutrauen."
      Seine nächsten Worte brachten sie selbst dazu verlegen rot anzulaufen, aber glücklicherweise sah er es nicht, als er in der Sonne die Augen schloss. Sie betrachtete ihn für einen Moment, den entspannten Gesichtsausdruck, an den sie sich schon in den letzten Tagen gewöhnt hatte. Man könnte meinen, dass er ein normaler Junge war, wenn er die Augen schloss, und dass sein Körper nicht Kryss in sich hatte. Man konnte auch meinen, dass er ein Held war, so wie er sich auf Loth gestürzt hatte.
      Sie beugte sich nach vorne, stützte sich auf den Händen ab, warf ihre Haare nach hinten, damit sie sie nicht verraten würden, und küsste ihn. Es war nur ein kurzer Kuss, ein zaghaft und schüchterner, aber sie glaubte, dass ein Funke zwischen ihren Lippen hinübersprang, als sie sich trafen. Dann war es auch schon wieder vorbei und sie setzte sich auf, immer noch rot im Gesicht, aber diesmal lächelnd. Sie wickelte eine Haarsträhne um ihren Finger, um etwas zu tun zu haben.
      "Dafür werd' ich dir immer danken. Du bist mein Held. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre es... naja, schlecht ausgegangen."
    • Aradan nickte still als Renera ihre Vermutung über Tokiv äußerte.
      "Mhm. Vermutlich. Ich bereue zumindest nichts und würde es wieder tun wenn er es wagen sollte dich mit rein zu ziehen"
      Und kurz darauf kam es. Schneller als er es je für möglich gehalten hätte, mussten dicke Wolken aufgezogen sein. Wo sonst sollte der plötzliche Blitz her gekommen sein der durch seinen Körper fegte? Aber es war so... warm. Und so schön. War das tatsächlich ein Blick?
      Er öffnete die Augen und konnte nicht glauben was er sah. Hatte Renera ihn etwa... Niemals. Oder doch?
      Seine Gedanken spielten vollkommen verrückt und sein Körper bewegte sich ganz von alleine als sie zu weit weg von ihm ging. Ihre Worte realisierte er dabei nur nebenher. Der Drang war zu groß dieses Gefühl erneut spüren zu dürfen, so richtete er sich entgegen der Schmerzen auf und küsste nun auch Renera, legte ihr dabei die Hand auf ihre Wange und lies nur sehr langsam von ihr ab bis er wieder seine Augen öffnete.
      Es war ein so unglaubliches Gefühl. Er hätte schwören können dass ihm Flügel gewachsen waren und dass ihm gleich das Herz aus der Brust fallen könnte. Für's Erste lächelte er aber nur überglücklich und legte seine Stirn auf die von Renera.
      "Ich bin kein Held. Aber... Wäre das nicht passiert dann..."
      Er fand die passenden Worte nicht. Es war klar dass wohl beide in diesem Moment rein gar nichts bereuten oder etwas schlechtes in der Welt sehen konnten.
    • Renera bewegte sich nicht, als Aradan sich aufsetzte und diesmal sie küsste. Die Berührung war genauso zart, wie es bereits bei ihr der Fall gewesen war, aber dieses Mal fühlte es sich anders an, als beide den Kuss erwiderten. Sie wünschte, dass der Moment nie aufhören würde, dass sie beide für immer im Gras sitzen und sich küssen konnten, während die Sonne hinter ihnen auf und unter ging. Sonennaufgang - das Lied war der perfekte Hintergrund. Fast so, als hätte sie diesen Moment damit heraufbeschworen.
      Sie lächelte über diesen Gedanken, als er sich wieder von ihr trennte. Seine Augen schienen geradezu zu funkeln - oder war es das Sonnenlicht, dass sich in ihnen spiegelte? Es war ja auch völlig egal. Alles war völlig egal.
      "Ich finde, es hätte trotzdem schöner anfangen können. Du hättest mir ja zum Beispiel Blumen aus dem Wald pflücken und an meiner Haustür klopfen können. Das wäre doch romantisch gewesen, oder nicht?"
      Sie kicherte, als sie Aradan's bestürzte Miene sah und schlang ihm die Arme um den Hals. Sein gedämpfter Geruch nach Schmiede und Eisen vermischte sich hier draußen wunderbar mit dem Geruch des Grases.
      "Schau nicht so, das kannst du auch immer noch nachholen."
      Sie kicherte erneut über sein Entsetzen und drückte ihm noch einen Kuss auf die Lippen - und dann nochmal und nochmal, bis er schließlich unter ihr nachgab und sie sich beide hinlegten, Renera stark darauf bedacht seiner Wunde nicht zu nahe zu kommen. Der Tag könnte ewig andauern, wenn es nach ihr ginge.
    • Die Gedanken kreisten nur um Renera. Mehr als sonst schon. In diesem Moment gab es keine Monster. Keine Dörfer. Keinen Tokiv. Nur Sie. Mit jedem Kuss mehr. Die Welt wurde so herrlich klein als würde sich die Sonne nur um sie drehen.
      Kaum als sie ihre Beispiele für eine schöne Zeit ausgesprochen hatte, schrieb sich Aradan fest vor bei Nacht vor die Mauern zu schleichen um ihr Blumen zu besorgen die so schön waren wie sie es noch nie gesehen hatte. Nicht aus dem Wald, sondern noch viel seltener, schön genug zu beschreiben wie sehr er Renera mochte. Alles andere kam nicht in Frage. Doch dann kam sie ihm direkt in die Quere und ruinierte seinen Plan direkt. Aber er war nicht geknickt sondern lächelte weiter und erwiederte die vielen Küsse mit vielen die von ihm kamen, jedes mal wenn sich kurz ihre Lippen trennten.
      Aber langsam kam es dazu, dass Aradan immer mehr zurück gedrängt wurde bis er wieder flach auf der Wiese lag. Wo nahm die sonst immer etwas schwächere Renera die Kraft her Aradan so zurück zu drängen? Klar hatte er seine Verletzung aber in diesem Fall bekam er es gar nicht mit als sie plötzlich ganz über ihm war. Es war nicht so als würde er es nicht mögen. Ganz im Gegenteil. Er kam nicht umher seine Hände auf ihre Seiten zu legen und wünschte sich dass dieser Moment niemals aufhören würde.
    • Renera wollte gar nicht mehr aufhören. Die Zeit um sie herum stand still, während sie sich küssten und die Welt um sie herum verblasste. Sie legte sich bald doch mit ihrem ganzen Körpergewicht auf ihn, als sie es leid wurde, sich mit ihrem Arm abzustützen. Und ganz anscheinend schien es ihm nichts auszumachen, oder aber er ignorierte es. Sie würde erst von ihm runtergehen, wenn er sie darum bitten würde.
      Dann allerdings fand ihre gemeinsame Zeit doch ein jähes Ende. Eine nur allzu vertraute Stimme brüllte, viel zu laut, von der Straße her:
      "R-E-N-E-R-A E-L-Q-U-I-N!!!!"
      Renera fuhr wie vom Donner getroffen hoch. Auf der Straße, nur ein paar Meter entfernt, stand ihre Mutter, einen Korb in der Hand und das Gesicht vor Wut nur verzerrt. Renera wusste nicht, dass sie so wütend werden konnte, dementsprechend schockiert war sie Fijena so zu sehen.
      "GEH' VON IHM RUNTER - SOFORT!!!!"
      Sie gehorchte und brachte gleich etwas Abstand zwischen sich und Aradan. Ihre Mutter kam herangestampft - oder eher gestürmt - und stellte sich zwischen ihnen auf, so als könne sie die beiden trennen.
      "SO VERBRINGST DU ALSO DEINE TAGE?! DESWEGEN KOMMST DU STÄNDIG ZU SPÄT?! DU WIRST GENAUSO SCHLIMM WIE DEINE SCHWESTER!"
      "... Du musst nicht so schreien..."
      "ACH NEIN?! ANDERS KANN MAN ES DIR JA NICHT BEIBRINGEN!"
      Sie packte Renera beim Handgelenk und zog sie nach oben, aber Renera riss sich gleich wieder los. Es war ihr peinlich vor Aradan so von ihrer Mutter angeschrien zu werden.
      "Ist ja gut!"
      "NICHTS IST GUT! UND DU...!"
      Sie drehte sich zu Aradan um und baute sich nun vor ihm auf. Dann wurde sie endlich etwas leiser.
      "Du gehst auf der Stelle nachhause und berichtest deinen Eltern selbst, was du hier mit meiner Tochter angestellt hast! Sonst werde ich höchstpersönlich kommen und selbst dafür sorgen, dass sie dich dafür bestrafen!"
      "Mama!"
      "Nichts da! Ihr zwei geht nachhause, bevor ich noch meine Nerven ganz verliere!"
      Sie wedelte mit dem Korb wie mit einer Waffe herum und Renera warf Aradan einen kurzen Blick zu. Es gab wohl keinen anderen Ausweg.
      "Was ist?! LOS JETZT! Und DU", sie zeigte anklagend auf Aradan, "Du wirst gefälligst deine Hose geschlossen halten, hast du mich verstanden?!"
      Sie wartete gar nicht erst auf eine Antwort, sondern stampfte zum Wäschekorb, schmiss die Kleidung hinein und warf ihn in ihrer Wut Renera zu, die ihn nicht rechtzeitig auffing und die Kleidungsstücke vom Boden wieder einsammelte. Sie hatte nicht den Mut dazu ihr zu sagen, dass die Wäsche noch nicht ganz gewaschen war. Sie warf noch einen letzten, beschämten Blick zu Aradan, in dem sie ihm viel mitteilen wollte, was ihr jetzt nicht möglich war und schlurfte dann hinter ihrer Mutter her. Fijena warf Aradan auch nochmal einen Blick zu, aber er war geprägt von Zorn und Verachtung.
    • Was tat Renera da nur? Aradan wusste nicht wie ihm geschah. Reize durchfluteten ihn von Kopf bis Fuß als sie ihre Lippen auf ihn legte aber als sie sich nun langsam auf ihn abließ, verschwand sein schmerz erneut komplett. Stattdessen spürte er einfach alles. Sie hatte so einen warmen Körper als würde sie ihre Lebensenergie mit ihm teilen. Er konnte ihren Herzschlag und ihre Atmung spüren, es war unbeschreiblich schön. Nichts in der Welt hätte ihn davon abhalten können Renera je wieder los zu lassen. Nichts bis auf das was folgte.
      Es war Renera's Mutter Fijena, welche wie ein Drache über das Feld fegte. Sie wetterte über alles mögliche und schrie Renera an. Hätte er die Kraft gehabt, wäre er direkt aufgesprungen um Renera in Schutz zu nehmen, sich womöglich sogar zwischen Tochter und Mutter zu drängen. Es wäre das erste Mal gewesen dass er seine Stellung im Dorf, als Sohn des Schmiedes Marudan aufgebauscht hätte, doch merkte er, kaum als Renere keine 5 Zentimeter von ihm entfernt war, wieder seine Verletzung. So ging er wieder zu Boden und sah nur Renera in die Augen, hörte dabei nicht hin was Fijena von sich gab. Sein Blick sagte vieles. Vor allem aber dass er entschlossen war. Egal was passierte, er gehörte nun ihr.

      Und so war Aradan nun alleine auf der Wiese. Es dauerte eine Weile bis er sich aufraffen konnte. Sich zu Renera nur mit seinen Bauchmuskeln aufzurichten, war ein so großer Fehler, dass er an seinem Verband direkt sehen konnte, dass sich ein klein wenig Blut zu sammeln schien. Er verfluchte diese Wunde, auch wenn er sie vergötterte, da diese zu diesem Moment geführt hatte.
      Tief atmete er durch bis er in der Lage war sich auf alle Viere zu drehen. Noch einmal um sich aufzurichten. Es dauerte ganze 5 Minuten bis er nun endlich auf seinen Beinen stand und sich direkt mit der Hand an die Seite packte. Mit er anderen hielt er das Kissen und trat langsam seinen Weg nach Hause an.

      Am Nachmittag kam er an. Der Schmiedehammer schlug hart auf Eisen also war sein Vater am arbeiten. So schleppte sich Aradan zum Amboss statt in den Laden, wo ihn Marudan sofort bemerkte und... tatsächlich für einen Augenblick lächelte. War Aradan auf dem Weg in einen halluzinogenen Pilz getreten oder war das die Wirklichkeit? Eines war sicher. Von nun an würde er vielen Leuten die Fersen durchtrennen wenn die Eroberung seines Lebens und ein Lächeln seines Vaters die Belohnung dafür waren.
      Bevor er aber etwas sagen konnte, stürmte Reona schon hinaus und warf sich kniend vor ihrem Sohn.
      "Du bist wach?! Wir haben erst in mindestens 3 Tagen damit gerechnet! Du bist so ein starker Sohn!"
      Die Hälfte ging an ihm vorbei. Das übliche überstolze oder überentäuschte gerede der Mutter, wie Aradan es schon so viele Male erlebt hatte.
      "Ist ja gut Mutter. Ich bin Wach, kein Feldherr"
      Meinte er spaßend ehe sich die Mine seiner Mutter sofort ins negative wandelte
      "Duuuuuuu....!! Komm sofort rein und erzähl uns was passiert ist !! Wirds bald !!"
      In dem Moment war Aradan nicht der Einzige der überrascht über diesen schnellen Stimmungswandel war. Sogar Marudan sah Reona an und fragte sich wie schnell sich diese Lage änderte. Dennoch warf er seinem Sohn ein kaum erkennbares, stolzes Nicken entgegen. Hatte sich Aradan etwa wirklich bei seinem Vater Respekt verdient?

      Wie das Gespräch mit seinen Eltern im Laden verlief, hätte Aradan aber nie kommen sehen. Seine Mutter war keinesfalls darüber besorgt dass er das Zeitliche hätte segnen können, viel mehr war sie darüber besorgt dass jemand über das Geheimnis erfahren könnte. So war sie wohl in der Lage gewesen ihm eine Überdosis zu verabreichen um seine Wunde schneller heilen zu lassen, doch wäre es direkt aufgefallen, also ließ sie ihn die volle, normale Zeit im Krankenhaus auskurieren.
      Aradan wusste nicht was er sagen sollte. War er in diesem Gespräch wirklich der Schuldige oder war er das Alibi? Er wusste nur dass er wohl nicht in der Position war ihr zu widersprechen. Das war er wohl nie, egal was auch für ein Thema anstand.
      Interessant war nur, dass sein Vater die ganze Zeit über kein tadelndes Wort äußerte. Er stand nur so da, mit verschränkten Armen und blickte auf Aradan hinab. Immer mal wieder nickte er kurz als Reona seine Bestätigung anhand stechender Blicke suchte.
      "Und dieses Mädchen Renera!.."
      So wurde Reona's Stimme endlich etwas ruhiger.
      "Sie war so viele Male im Krankenhaus. Sag mir.."
      Ihre Stimme wandelte sich plötzlich erneut. Dieses mal in eine beinahe romantisierte, erwartungsvolle.
      "..magst du sie?"
      "Reona.."
      Versuchte Marudan sie zu unterbrechen, wissen dass Jungs ungerne darüber sprachen aber auch dieses mal wurde Marudan durch Aradan's Mut überrascht.
      "Ja. Ich... Ich mag sie wirklich sehr."
      Nach dem heutigen Tag war das wohl die aller geringste Beichte. Reona schmelzte dahin und wollte mehr erfahren, doch übernahm nun Marudan das Gespräch.
      "Sohn. Du musst uns noch erzählen was vorgefallen ist. Rodan beharrt darauf. Aber sag uns die Wahrheit."

      So verlief das Gespräch noch eine Weile weiter. Aradan erklärte alles im Detail. Er lies nicht das geringste aus und alles schien sich bestens mit Cetra's Spuren, Renera's schwammigen Erklärungen und aller anderen Vermutungen zu decken. Sogar ohne Tokiv's Anhörung, stand nun alles gegen ihm. So nickte Marudan und gegen Ende und wollte die Stimmung wieder heben.
      "Also.. Renera. Nicht wahr? Die Heulsuse?"
      Die ersten Worte brachten Licht in die verhörerische Diskussion, die letzten machte Aradan sofort wütend. Doch lachte Marudan anschließend beherzt.
      "Ach Junge. Du bist viel zu offen. Du hast unseren Segen. Sie ist nicht davon gerannt. Sie hat sich einem starken Gegner entgegen gestellt. Genau wie du."

      Aradan wusste gar nicht wie ihm geschah. Es war das genaue Gegenteil von dem was er bei Renera's Mutter erfahren durfte. Und eben diese Verwunderung wurde zum nächsten Thema. Aradan erzählte seinen Eltern absolut alles. Auch was sich nach seinem Erwachen am Fluss mit Renera abspielte, bis hin zur erneut erbosten Situation Fijena's. Marudan und Reona fühlten sich regelrecht angegriffen wie Fijona reagiert hatte. Als hätte sie Aradan als einen ihrer Freier gesehen.
      Das überschritt klar eine Grenze. Diese Frau hatte zwar allen Grund schlecht zu denken, doch war sie nun auch eine Einwohnerin von Melora. Hier galten Regeln des Respekts und nicht der direkten, grundlosen Verurteilung. So griff sich Reona das Handgelenk ihres Sohnes und war drauf und dran nach Fijona zu marschieren um diese zu konfrontieren. Doch war es Marudan der diesen Griff löste und ihr entgegen nickte, als Zeichen dass er diese Angelegenheit übernehmen würde.
      Reona konnte ihrem Mann nichts abschlagen also lies sie es geschehen, wünschte Aradan noch viel Glück hinterher bis Vater und Sohn außer Reichweite Reona's Blicke waren.
      "Du hast sie Gern?"
      Aradan nickte.
      "Sogar sehr. Ich kann nicht aufhören..."
      "... An sie zu denken?"
      Direkt blickte Aradan hoch zu seinem Vater, verblüfft darüber wie gut er ihn scheinbar verstand.
      Marudan grinste.
      "Hast du nicht gedacht oder? Mir ging es mit deiner Mutter ähnlich. Und weißt du, sie hatte einen Vater der ebenso reagierte wie Fijena."
      "Wirklich?"
      "Oh ja. Aber ich hörte nicht auf. Er brüllte mich so oft an, brach mir sogar ein mal die Nase aber ich hörte nicht auf. Ich wusste dass sie in mein Leben gehörte, so wie ich in Ihres. Ich hätte mein Leben verflucht, hätte ich sie gehen lassen."
      Aradan schnappte alles auf. Diese Lektion wirkte ihm wichtiger als alles was er im Unterricht gelernt hatte. So schwor er sich, egal wie das kommende Gespräch ausging, er würde niemals zulassen dass Renera von ihm getrennt war.
      Und so kam es dass beide an dem Haus von Fijena ankamen. Marudan klopfte grob an die Tür, bereit darüber zu reden wie normal und wichtig es wäre Renera und Aradan mit Grenzen erfahren zu lassen wie sie empfinden und ihnen keine Mauern zu entgegnen.
      Marudan war sogar bereit Fijena die Vorteile aufzuzählen, welche es in diesem Dorf gehabt hätte, wenn sich beide einig werden würden. Er als einer der angesehensten Familienoberhäupter und Fijena, eine der niedersten. Vorteile gab es in diesem Fall ganz sicher nur für Fijena.
    • Renera stellte sich Zuhause einem regelrechten Tornado entgegen. Ihre Mutter war außer sich, sie fing an zu schreien, kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, und ignorierte dabei sogar Cilla, die das Weinen anfing. Sie brüllte etwas von Anstand, dass Renera sich schämen sollte überhaupt an sowas zu denken, dass natürlich alle Männer schlecht waren und dass Renera Schande über sie selbst bringen würde, wenn sie sich weiter mit diesem Jungen abgab - mit irgendeinem Jungen, um genau zu sein. Renera, die den Ärger über sich ergehen ließ, weil sie genau wusste, dass sie nichts dagegen auszurichten hatte, wurde irgendwann selbst so zornig, dass sie ihr entgegen schrie, dass es ihr eigenes Leben und ihre eigene Entscheidung war, mit wem sie sich abgab und in wen sie sich dabei verliebte. Ihre Mutter hatte kein Gehör für sowas. Sie umrundete den Tisch zwei, drei Mal, während sie mit beiden Armen wild gestikulierte und dabei Speicheltropfen durch die Luft flogen. Renera blieb bei der Tür stehen und versuchte mitzuhalten, aber schließlich gingen ihr die Argumente aus. In einem Moment der absoluten Raserei kreischte sie:
      "Es ist nicht meine Schuld, dass kein Mann länger als eine Woche in diesem Drecksloch bleiben will!"
      Ihre Mutter verharrte in ihrer Bewegung, die Augen weit aufgerissen, die Zähne aufeinander gepresst. Nur eine Sekunde starrte sie sie so an, dann machte sie einen riesigen Satz, packte ihren Kochlöffel und schleuderte ihn auf Renera. Sie wich aus. Das Geschrei ging weiter, dieses Mal, indem sie sie als undankbar und ungehorsam beschimpfte, als verzogene Göre, der man die Manieren noch beibringen musste. Renera entgegnete, den Tränen nahe, dass sie vielleicht nicht verzogen wäre, wenn ihre Mutter nicht ihren Vater vergrault hätte, wenn sie nicht fünf andere Geschwister in die Welt gesetzt hätte, nur, damit sie sich weiter irgendwelche anderen Männer anlächeln konnte. Schließlich klopfte es.
      Alle beide verstummten gleichzeitig, nur Cilla heulte weiter und machte Greifbewegungen mit den Händchen. Aus dem Nebenraum hatte sich Varus herausgestohlen, der nun erschrocken selbst zur Tür blickte und zu überlegen schien, ob er es wagen sollte sich dem Besuch zu zeigen oder lieber das Weite suchte. Er entschied sich für letzteres und verschwand im Nebenzimmer, ehe er die Tür zuknallte.
      Fijena raffte sich ein wenig.
      "Und? Ist es schon unter deiner Würde die Tür zu öffnen, Fräulein?"
      Ihre Stimme bebte. Renera starrte sie finster an, dann riss sie die Tür auf, stärker als notwendig. Der Anblick ihres Besuches ließ sie gleich bereuen, überhaupt so energisch zu sein. Sie sah für einen Moment erschrocken zwischen Aradan und Marudan hin und her.
      "Äh... Hallo."
      Fijena erschien im Hintergrund und glättete sich sogleich das Kleid. Dann nahm sie, endlich, Cilla in die Arme und schaukelte das Kind, während sie den Besuch argwöhnisch betrachtete. Renera war schließlich diejenige, die sich einigermaßen in den Griff bekam.
      "... Können wir helfen?"
      Und schließlich machte sie den Platz frei, um die beiden Herren eintreten zu lassen.
      Ihr Haus bestand aus genau zwei Räumen, der Küche und dem Schlafzimmer. Die Küche besaß einen runden Tisch in der Mitte, an dem sechs Stühle standen, und füllte damit bereits beinahe den ganzen Raum aus. An der Wand standen drei Truhen, auf denen Spielsachen verstreut herumlagen und der Boden war mit Essensresten - und neuerdings auch mit dem Kochlöffel - beschmutzt. Auf dem Tisch neben der Feuerstelle stand noch immer der Behälter mit dem ungewaschenem Geschirr, eine Aufgabe, der sich Renera gewidmet hätte, wenn sie mit der Wäsche fertig wäre. Das hast du jetzt davon, dachte sie sich grimmig, während sich der Besuch an den Tisch zwängte und sich damit unmittelbar in den Saustall begab. Soll es doch dein toller Svenkov sauber machen.
      Fijena hatte sich mittlerweile auch wieder gut gefasst.
      "Kann ich euch etwas zu trinken anbieten? Wasser oder Tee?"
      Sie übergab Cilla an Renera, die beiden Frauen tauschten einen zornigen Blick aus, dann übernahm Renera das Schaukeln, während Fijena ein paar der Sachen beiseite räumte, um ihnen etwas Platz zu schaffen. Renera war dankbar für Cilla, die ihr auf die Schulter weinte, denn so musste sie Aradan nicht in die Augen sehen.
    • Es war schon irgendwie etwas amüsierend wie laut es vor dem Klopfen war und wie schnell es leise war nachdem Marudan klopfte. Als hätte er einen Knopf gedrückt um die Welt verstummen zu lassen.
      Kurz darauf öffnete Renera die Tür und schien dabei noch voller Wut zu stecken, kräftig wie sie die Tür auf riss. Aradan konnte trotzdem nicht anders als ihr entgegen zu lächeln. Dass Fijena kurz darauf erschien störte er nicht. Dafür hatte er ja seinen Vater dabei, welcher scheinbar mit seiner Anwesenheit einen direkten Effekt auslöste dass sich alle beide beruhigten. Sie wurden sogar hinein gebeten statt direkt mit einem Besen gejagt zu werden, das lief besser als Aradan es sich vorgestellt hat.
      Als dann alle am Tisch saßen musste nicht nur Aradan staunen wie es hier aussah und vor allem wie extrem überfüllt. Doch war Marudan viel gefasster und beinahe etwas besorgt. Das war das erste Mal dass er in diesem Haus war und er wusste dass es bei der Ankunft nur notdürftig hoch gezimmert wurde.
      "Frau Elquin.."
      Er sah sich um und deutete damit das vorgeschobene Thema an.
      "Sagt. Warum habt ihr bei so vielen Kindern nur eine so kleine Behausung? Ihr packt doch alle im Dorf mit an, da steht euch eine größere Unterkunft zu."
      Dann sah er Fijena wieder an und schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht einfach hinnehmen dass in Melora so gehaust wurde. Hier galt dass jeder der mit anpackt auch Hilfe aus dem ganzen Dorf erwarten kann, doch wenn man sich nie über etwas beschwert oder sich beim Bürgermeister meldet, konnte auch keiner helfen.
      "So kann man nicht leben. Hier in Melora müssen wir auf einen Angriff immer vorbereitet sein. Wenn hier aber schon das Chaos herrscht, werde ich dafür sorge tragen dass es wieder verschwindet. Ich werde mit Logar reden. Dieses Haus muss einfach einen Anbau bekommen. Wenn nicht gar ein paar mehr."
      Marudan machte über deutlich dass ihm das ganze ernst war und dabei ging es nicht einmal um das eigentliche Thema weswegen er hier war.
      So beugte er sich etwas nach vorne um seine Arme auf den Tisch abzulegen, dabei verschloss er seine groben Hände ineinander. Dabei knarzte der Tisch so sehr, dass Aradan glaube er würde bald nachgeben.
      "Wie dem auch sei. Ich bin hier um über unsere Kinder zu sprechen. Es dürfte klar sein dass sich Renera und Aradan mögen. Mein Sohn erzählte mir was heute vorgefallen ist und.. es tut mir Leid aber.. auch, wie sehr sie versuchen die Beiden getrennt zu halten. Darf ich fragen wieso das der Fall ist?"
      Ob er fragen DARF? Hörte Aradan richtig? Wo holte sein Vater denn plötzlich diese Höflichkeit her?
    • Fijena dachte nicht daran, sich an den selben Tisch wie die anderen drei zu setzen. Stattdessen machte sie es sich schier zur Lebensaufgabe die Unordnung in den Griff zu kriegen, während sie nebenbei Marudan zuhörte. Nur ganz selten blickte sie zu ihm hinüber und hatte dabei einen Blick purer Skepsis drauf. Schließlich schien sie es für ihre Pflicht zu halten, Marudan zu besänftigen, denn sie wandte sich ihm ganz zu und strich sich eine lose gewordene Haarsträhne aus dem Gesicht.
      "Herr Elric, ich denke du - ich denke Ihr wisst noch sehr gut, dass uns dieses Haus zugeteilt wurde, als wir in Melora ankamen, nachdem das Ehepaar, das hier vorher lebte, zeitgleich verstorben war. Ich habe es schon damals gesagt und ich werde es auch für den Rest meines Lebens wieder sagen: Wir sind euch allen zu tiefstem Dank verpflichtet und stehen für immer in eurer Schuld. Die Großzügigkeit, die ihr uns entgegen gebracht habt, übertrifft alles, was einem Menschen nur zustehen könnte."
      Sie schien sich ein wenig beruhigt zu haben.
      "Und wie ich jetzt sehe, ist diese Großzügigkeit sogar nach zwei Jahren noch im Vordergrund. Aber ich bitte Euch, mir und meiner Familie ein normales Leben zu ermöglichen. Wir haben alles verloren, als wir damals flohen, aber jetzt haben wir ein Haus, jeden Tag etwas zu Essen und für jedes meiner Kinder eigene Kleidung. Ich möchte nicht mehr, dass Ihr uns wie schutzbedürftige behandelt. Wenn ich es möchte, werde ich selbst Logar einen Auftrag geben, oder ich werde mir von Euch eine Axt holen, in den Wald hinaus gehen und das Holz selbst sammeln und bearbeiten. Ich habe sieben gesunde, kräftige Kinder, von denen fünf in einem Alter sind, bei dem sie mir zur Hand gehen können und das werden sie auch tun, wenn die Zeit gekommen ist. Ich versichere Euch, dass das Chaos, das hier herrscht, keine Auswirkung auf uns oder unsere Fähigkeit zu kämpfen haben wird und deshalb versichere ich Euch auch, dass wir keine Hilfe benötigen."
      Ihr Blick huschte kurz zu Renera, aber die lenkte sich mit Cilla ab. Mittlerweile hatte das Baby aufgehört zu weinen und starrte Marudan jetzt mit riesigen Augen an.
      "Aber sagt mir, das ist doch bestimmt nicht der Grund, dass Ihr hierhergekommen seid, nicht wahr?"
      Marudan erläuterte seinen wahren Grund und diesmal sah auch Renera auf und blickte Aradan heimlich an. Fijena's Miene verdunkelte sich schlagartig und sie verschränkte die Arme vor der Brust. So kurz nach ihrem Streit war das wohl ein gänzlich unpassender Moment.
      "Ich denke nicht, dass ich mich nicht für meine Erziehung rechtfertigen muss - weder vor Euch, noch vor sonst wem. Renera ist 13 Jahre alt, in ihrem Alter habe ich Vögelschwärme studiert und gelernt Spuren zu lesen, sie lernt sich zu verteidigen und zu kämpfen. Was ist, wenn ich sie heute nicht getrennt hätte, und sie schwanger geworden wäre? Soll sie etwa ein halbes Jahr lang auf Training verzichten, um sich um ihr Kind zu kümmern? Was, wenn sie hochschwanger ist und wir angegriffen werden? Sie wäre ja ein Köder für sämtliche Kreaturen!"
      "Du warst selbst schwanger, als wir aus Erathis geflohen sind!", rief Renera plötzlich anklagend, Cilla erschrak sich und fing wieder an zu weinen. Fijena funkelte sie zornig an.
      "Ja, aber ich war 34 und nicht 13! Du kannst mir glauben, dass ich meine Ausbildung hinter mir hatte!"
      Die beiden starrten sich für einen Moment giftig an, dann zog Renera den kürzeren und wandte sich wieder Cilla zu, die sie rhythmisch schaukelte.
      "Nichtsdestrotrotz", knurrte Fijena, die sichtlich um ihre Verfassung rang, "Werde ich nicht zulassen, dass meine Tochter - alle meine Töchter - irgendeine Beziehung zu früh eingehen. Wenn sie 18 sind können sie meinetwegen machen was sie wollen."
    • Marudan wusste gar nicht wie ihm geschah, so schnell wie alles an dieser Frau abprallte. Hörte sie ihm überhaupt zu oder war sie vor Eitelkeit so zerfressen, dass sie die wahren Gründe einfach nicht sehen konnte?
      Wie verblendet sie war, wurde überdeutlich als sie argumentierte genug Hilfe von ihren Kindern zu bekommen und zur Not selbst das Haus ausbauen würde. Wie stellte sie sich das denn vor? Er selbst hatte nicht mal das nötige Wissen wie man das anstellt. Immerhin gab es dafür die Schreiner Familie.
      "Seit versichert. Hier weiß vermutlich kaum jemand wie es um euch bestellt ist. Jeder geht sein Tageswerk nach und jeder hier meldet wenn er bei etwas Hilfe braucht. Das hat rein gar nichts mit Großzügigkeit zu tun."
      So sprach er nun mit etwas nachdruck um ihr deutlich zu machen nicht mit einem Kind zu reden.
      "Glaubt nicht wir würden euch mit offenen Armen entgegen kommen weil wir eure Familie als Flüchtige, hilfsbedürftige sehen. Ich sage es nochmal. Hier in Melora wird niemand sich selbst überlassen. Wir sind eine Gemeinschaft. Ich denke das wird man ihnen bei der Ankunft klar gemacht haben. Denken sie also noch mal über mein Angebot nach."
      Bevor diese Diskussion aber noch ewig ging, beließ er es dabei und würde sie auch nicht mehr drängen. Sinn schien es ihm zumindest nicht zu machen.
      Viel schwerer schien die nächste Front zu sein und auch Renera's Ausbruch zeigte eindeutig wie schwer man da bei Fijena durch kommen konnte. Es waren nur Ellaya und Renera die sich ähnlich sahen, so war es nicht schwer zu erraten wie das Leben für Fijena in ihrem Dorf war. Er kam nicht umher eine gewisse Verachtung dafür zu hegen, doch verurteilen würde er sie nicht. Viel eher war es ihre Sichtweise. Sie schien ihr eigenes Leben auf ihre Kinder zu reflektieren ohne dabei zu bemerken wie beleidigend sie dabei war. Es war ziemlich schwer für Marudan überhaupt die richtigen Worte zu finden, denn schien es diese nicht zu geben. Jede Vernunft die er ihr zusprechen könnte, würde vermutlich abprallen. Doch konnte er ihre Einwände auch nicht einfach im Raum stehen lassen, so schüttelte er seinen Kopf und stand auf, stellte sich neben seinen Sohn und legte seine Hand auf dessen Schulter.
      "Ich habe nie gesagt dass ich eine Rechtfertigung ihrer Erziehungsmethoden hören will. Sie müssen lernen besser zuzuhören Miss Elquin. Ich wollte ihre Sichtweise erfahren um zu verstehen was sie dazu bewegt hat."
      Ohne sich unterbrechen zu lassen, sehend dass der Frau vermutlich bald die Hutschnurr platzen würde, wurde sein Ton deutlich strenger.
      "Wie ich aber sehe, sind sie derzeit zu stur und meiner Meinung nach zu Eitel um einen gut gemeinten Rat anzunehmen. Lassen sie sich aber eines gesagt sein. Hier in Melora weiß jedes Kind darüber bescheid was es für fatale Auswirkungen auf das Dorf hat, wenn man zu früh seine eigene Familie aufbauen will. Wir bringen es ihnen nicht mit Gebrüll, Drohungen und Verboten bei. Wir machen ihnen klar dass ein zu frühes neues Leben, der Tod bedeutet."
      Aradan nickte und meinte kleinlaut
      "Ich hätte nicht..."
      Den Rest verschluckte er vor Scham. Immerhin war Renera anwesend. All das kam ihm so albern vor. Wieso durfte Renera nicht glücklich sein? Das machte ihn tatsächlich etwas zornig, was ihm mehr Mut einbrachte als er wollte, denn kam es direkt aus ihm heraus.
      "Warum darf Renera nicht glücklich sein?! Wir mögen uns. Wir hatten es beide schwer und nun sind wir Glücklich. Wieso dreht sich bei Erwachsenen ständig alles nur um Sex?! Wieso können sie nicht einfach nach Hilfe fragen wenn sie welche brauchen?! Warum muss Sex die Lösung sein um Hilfe zu bekommen?! Ihnen wird angeboten Hilfe zu kriegen und sie lehnen es ab?"
      Es brach einfach aus ihm heraus. Er war einfach wütend wie Renera's Mutter so reagieren konnte und damit in seinen Augen nichts als Ärger machte. Renera schien zumindest nicht Glücklich, wollte ja sogar fast nie nach Hause gehen. Wie konnte Fijena nicht einsehen dass ihre Methode einfach falsch war?
      Aradan hatte die Nase gestrichen voll, stand auf, warf dabei ungewollt den Stuhl um und stampfte hinaus.
      Die Stimmung war klar auf einem Nullpunkt. Aradans Worte haben den Raum ersticken lassen da er in der Regel nie wirklich lauter wurde. Nach einem kurzen Moment hob Marudan den Stuhl auf, welcher scheinbar auch dringend geleimt werden musste. Er rückte diesen an den Tisch ran und blickte noch mal Fijena an. Dieses mal versuchte er dann doch mit seinen letzten Worten ruhig ihr Gewissen zu erreichen.
      "Kinder machen Fehler. Das wird immer so sein. Verbieten Sie ihnen etwas und sie werden versuchen genau das zu tun."
      Dann ging er zur Tür und blickte noch kurz Renera an. Ihre Blicke trafen sich und so gab Marudan ihr ein kurzes, kaum erkennbares nicken entgegen. Seinen Segen hatte sie damit.
      "Ich wünsche trotz den Umständen noch einen angenehmen Tag, Familie Elquin."
      Und so verschwand er. Eine Diskussion hätte keinen Sinn gehabt. Viel wichtiger war es dass diese Frau mit sich selber lernen musste klar zu kommen. Mehr als ihr die Hand zu reichen und Versicherungen anzubieten, konnte Marudan nicht.
      Seinen Sohn sah er schon gar nicht mehr, was doch etwas verwunderlich war. Trotz seiner Wunde war er wohl doch recht schnell abgedampft. Suchen wollte er ihn aber nicht. Nun war es wichtiger etwas anderes zu erledigen und das war Rodon aufzusuchen und über Aradan's Worte des Vorfalls zu berichten.