Kastian
"Hört, hört! Zirkus Rouge ist in der Stadt! Lasst euch verzaubern von den magischen Einlagen der Künstler, erzittert vor Angst im Angesicht der schrecklichsten Kreaturen dieser Erde, erfreut euch am atemberaubendem Schauspiel weltberühmter Akrobaten, Tänzer und vielen mehr! Nur fünf Silbermünzen für den Eintritt, ein geringer Preis für einen Abend voller Magie, den ihr nie vergessen werdet! Kinder bezahlen die Hälfte! Nur für drei Monate, hinter Schloss Ebsian auf dem Hügel!
… Hört, hört!..."
In der Stadt Kastian waren die Schreier auf Hochtouren unterwegs - in jedem Gasthaus, jeder Metzgerei, jedem Bäcker und jedem Schneider wurden die kleinen, rot-goldenen Flugblätter verteilt, auf denen in silberner Schrift der Name dessen stand, was sich zur selben Zeit einen Kilometer entfernt auf besagtem Hügel tummelte, eine Ansammlung aus unvollständigen Zelten, aufgereihten Wägen und mannshohen Käfigen. Der Zirkus war im Morgengrauen angekommen, hatte sich vom Bürgermeister von Kastian den besten Platz in der Umgebung geben lassen - manch einer behauptete, der Teufel würde seine Magie mit einfließen lassen, um immer die schönsten Plätze zu bekommen - und hatte dann mit der üblichen Routine angefangen, die immer durchgeführt wurde, wenn neu aufgebaut wurde: Schreier mit den Flugblättern losschicken, den Stall für die Tiere aufbauen, den Boden ebnen, eine zuverlässige Wasserquelle finden. Bis zum Abend sollten zumindest die kleinen Stände stehen und Licht sollte den größten Platz erhellen, die erste Aufführung würde erst Ende der Woche stattfinden, wenn die Tiere sich von der Reise erholt hatten und der Zirkus soweit stand, dass man ihn auch sorglos besuchen konnte. Das zog auch mit sich, dass sämtliche Beteiligte, die eigentlich glücklich darum sein sollten, dass die Reise ein Ende gefunden hatte, im Stress damit waren, das Geschäft zum Laufen zu bringen. Jeder einzelne Angestellte, ob Darsteller oder Putzkraft, ob Oberster oder Ticketverkäufer, alle waren am herumwuseln, entweder um den Platz freizuräumen, Wägen zu verschieben, Stände aufzubauen oder Tiere zu verpflegen. Über all den Tumult hinweg konnte man die periodischen Rufe von Oberster Sir Edgar Maire hören, dessen kräftige Stimme auf dem ganzen Hügel zu erhallen schien. Wie ein König schritt er durch das Gewühl, die Brust herausgestreckt, den aufmerksamen Blick auf alles und jeden gerichtet, der sich in seinem Blickfeld befand. Unter dieser Aufsicht würde sogar eine Ameise damit anfangen sich zu bewegen, nur um der Prüfung seiner Augen zu entgehen.
Rodrik Belliam, der schwerfällige Assistent der Buchhalterin Philippa Caveden, war einer der wenigen Personen, die nicht am Aufbau des Zirkus beteiligt waren und damit auch keine Angst haben musste, sich vor dem wandelndem Aufseher rechtfertigen zu müssen. Ausgestattet mit Klemmbrett und Stift, zudem auch noch gekleidet in einen dicken Pelzmantel, der ihm bis zu den Knie ging, stapfte er durch die morgendliche Kälte, rieb sich die Hände, murmelte vor sich hin und begutachtete die Wägen, indem er erst ihren Inhalt prüfte, dann die Außenwände nach Schäden absuchte, die Räder kontrollierte und seine Ergebnisse zum Schluss sorgfältig in eine Liste eintrug, die bereits eine Länge von fünf Seiten hatte und von oben bis unten in seiner kleinen, krakeligen Handschrift vollgeschrieben war. Er war gerade erst beim sechzehnten Wagen, sofern er es richtig in Erinnerung hatte, als er auf ein Trio Arbeiter stieß, die sich ziemlich offensichtlich auf seine Seite der Wägen gestellt hatten, um vom hauptsächlichen Trubel nicht gesehen zu werden. Kurzzeitig verdutzt über diesen Zusammenstoß hörte Rodrik auf zu murmeln, musterte die Männer mit dem Versuch, ihre Gesichter auf diese Distanz zu erkennen, und schlurfte dann hinüber. Die Gespräche erstarben bei seiner Ankunft und die Blicke wandten sich ihm zu.
"Mensch, Kinder, ihr seid doch nicht zum ersten Mal hier. Ach, dich kenn ich doch, du bist doch Severin der Ticketverkäufer. Los jetzt ihr drei, bevor euch der Edgar noch sieht, ich glaube der hat heute morgen eine schlechte Stimmung. Da möchte sogar ich ihm nicht über den Weg laufen."
Einer der Männer sprang vom Wagen herab, die anderen beiden wandten sich Rodrik zu. Der Ticketverkäufer, der Severin hieß, verzog die Miene.
"Wir sind die letzten drei Stunden bei den Kutschführern gesessen, haben uns die Ärsche abgefroren und haben Pferde angetrieben, die genauso wenig Bock auf diese ewige Pampa haben wie wir. Hier gibt es nichts als Hügel und Steine und von denen hab ich sicherlich schon genug gesehen und gespürt. Wir machen jetzt 'ne Pause und wenn's später noch was zu tun gibt, werden wir uns anschließen."
Rodrik zog die Augenbrauen hoch und sah in die Runde. Er war selbst nicht damit einverstanden, dass sie bei ihrer Ankunft immer so einen Zeitdruck hatten, aber er wusste zumindest, was die Konsequenz dafür war, wenn man beim Herumlungern erwischt wurde.
"Ihr könnt von Glück reden, dass ich euch gefunden habe und nicht Edgar oder noch schlimmer. Geht doch zumindest Stangen tragen helfen, das ist nicht so anstrengend und muss trotzdem erledigt werden. Ich glaube da vorne sind noch ein paar unberührte Haufen."
Er drehte sich um, um in die Richtung zu zeigen, brach diese Bewegung dann allerdings wieder ab, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Einer der Männer war näher herangetreten, er überragte Rodrik um einen ganzen Kopf.
"Wir werden nicht aufräumen helfen und auch nicht tragen oder bauen helfen. Wir werden hier sitzen und ein paar Zigaretten rauchen und wenn wir uns dann aufgewärmt haben, werden wir uns Arbeit suchen. Das ist keine Verweigerung, wir kümmern uns nur um unser gesundheitliches Wohl, bevor wir noch krank werden. Hast du das verstanden, alter Mann?"
Rodrik zog die Stirn in Falten und schubste die Hand auf seiner Schulter weg.
"Das habe ich verstanden und sage euch deshalb, dass das eine schlechte Idee ist. Wenn der Teufel euch findet, werdet ihr euch wünschen ihr würdet lieber auf den Schneebergen Zelte aufbauen."
"Aber schließlich hat er uns noch nicht gefunden und dabei wird es auch bleiben."
"Das wird es nicht, wenn ihr weiter hier herumsteht."
"War das etwa eine Drohung?!"
Dem Mann schien ein Geduldsfaden zu reißen, oder aber die angestaute Wut in ihm lief über, gepaart mit dem Frust über die lange, anstrengende Reise, die sie hinter sich hatten. Er packte Rodrik beim Mantel, riss ihn mit einer solch erstaunlichen Kraft zur Seite, dass Rodrik für einen Moment den Boden unter den Füßen verlor, und stieß ihn gegen die Wagenwand. Sein Nachbarsmann näherte sich schnell, mindestens genauso grimmig dreinblickend, nur Severin, der mit Anfang 30 der jüngste des Trios war, machte eine ängstliche Miene, schien etwas sagen zu wollen und entschied sich dann dagegen. Rodrik schwindelte für einen Moment, ehe er durchgeschüttelt wurde.
"Du wirst weder Edgar etwas sagen, noch sonst wem, hast du mich verstanden?! Sonst werde ich dir das Genick brechen und den Abhang runterrollen, davor würde ich keinen Moment zögern, echt nicht!"
Severin sah noch besorgter rein, trat einen Schritt zurück und dann noch einen. Nur noch ein kleines Stück, dann würde er weglaufen, hinein in das Getümmel und weg von der drohenden Gefahr, die sich ihm hier bot.
@Aiden.Nesmilas
"Hört, hört! Zirkus Rouge ist in der Stadt! Lasst euch verzaubern von den magischen Einlagen der Künstler, erzittert vor Angst im Angesicht der schrecklichsten Kreaturen dieser Erde, erfreut euch am atemberaubendem Schauspiel weltberühmter Akrobaten, Tänzer und vielen mehr! Nur fünf Silbermünzen für den Eintritt, ein geringer Preis für einen Abend voller Magie, den ihr nie vergessen werdet! Kinder bezahlen die Hälfte! Nur für drei Monate, hinter Schloss Ebsian auf dem Hügel!
… Hört, hört!..."
In der Stadt Kastian waren die Schreier auf Hochtouren unterwegs - in jedem Gasthaus, jeder Metzgerei, jedem Bäcker und jedem Schneider wurden die kleinen, rot-goldenen Flugblätter verteilt, auf denen in silberner Schrift der Name dessen stand, was sich zur selben Zeit einen Kilometer entfernt auf besagtem Hügel tummelte, eine Ansammlung aus unvollständigen Zelten, aufgereihten Wägen und mannshohen Käfigen. Der Zirkus war im Morgengrauen angekommen, hatte sich vom Bürgermeister von Kastian den besten Platz in der Umgebung geben lassen - manch einer behauptete, der Teufel würde seine Magie mit einfließen lassen, um immer die schönsten Plätze zu bekommen - und hatte dann mit der üblichen Routine angefangen, die immer durchgeführt wurde, wenn neu aufgebaut wurde: Schreier mit den Flugblättern losschicken, den Stall für die Tiere aufbauen, den Boden ebnen, eine zuverlässige Wasserquelle finden. Bis zum Abend sollten zumindest die kleinen Stände stehen und Licht sollte den größten Platz erhellen, die erste Aufführung würde erst Ende der Woche stattfinden, wenn die Tiere sich von der Reise erholt hatten und der Zirkus soweit stand, dass man ihn auch sorglos besuchen konnte. Das zog auch mit sich, dass sämtliche Beteiligte, die eigentlich glücklich darum sein sollten, dass die Reise ein Ende gefunden hatte, im Stress damit waren, das Geschäft zum Laufen zu bringen. Jeder einzelne Angestellte, ob Darsteller oder Putzkraft, ob Oberster oder Ticketverkäufer, alle waren am herumwuseln, entweder um den Platz freizuräumen, Wägen zu verschieben, Stände aufzubauen oder Tiere zu verpflegen. Über all den Tumult hinweg konnte man die periodischen Rufe von Oberster Sir Edgar Maire hören, dessen kräftige Stimme auf dem ganzen Hügel zu erhallen schien. Wie ein König schritt er durch das Gewühl, die Brust herausgestreckt, den aufmerksamen Blick auf alles und jeden gerichtet, der sich in seinem Blickfeld befand. Unter dieser Aufsicht würde sogar eine Ameise damit anfangen sich zu bewegen, nur um der Prüfung seiner Augen zu entgehen.
Rodrik Belliam, der schwerfällige Assistent der Buchhalterin Philippa Caveden, war einer der wenigen Personen, die nicht am Aufbau des Zirkus beteiligt waren und damit auch keine Angst haben musste, sich vor dem wandelndem Aufseher rechtfertigen zu müssen. Ausgestattet mit Klemmbrett und Stift, zudem auch noch gekleidet in einen dicken Pelzmantel, der ihm bis zu den Knie ging, stapfte er durch die morgendliche Kälte, rieb sich die Hände, murmelte vor sich hin und begutachtete die Wägen, indem er erst ihren Inhalt prüfte, dann die Außenwände nach Schäden absuchte, die Räder kontrollierte und seine Ergebnisse zum Schluss sorgfältig in eine Liste eintrug, die bereits eine Länge von fünf Seiten hatte und von oben bis unten in seiner kleinen, krakeligen Handschrift vollgeschrieben war. Er war gerade erst beim sechzehnten Wagen, sofern er es richtig in Erinnerung hatte, als er auf ein Trio Arbeiter stieß, die sich ziemlich offensichtlich auf seine Seite der Wägen gestellt hatten, um vom hauptsächlichen Trubel nicht gesehen zu werden. Kurzzeitig verdutzt über diesen Zusammenstoß hörte Rodrik auf zu murmeln, musterte die Männer mit dem Versuch, ihre Gesichter auf diese Distanz zu erkennen, und schlurfte dann hinüber. Die Gespräche erstarben bei seiner Ankunft und die Blicke wandten sich ihm zu.
"Mensch, Kinder, ihr seid doch nicht zum ersten Mal hier. Ach, dich kenn ich doch, du bist doch Severin der Ticketverkäufer. Los jetzt ihr drei, bevor euch der Edgar noch sieht, ich glaube der hat heute morgen eine schlechte Stimmung. Da möchte sogar ich ihm nicht über den Weg laufen."
Einer der Männer sprang vom Wagen herab, die anderen beiden wandten sich Rodrik zu. Der Ticketverkäufer, der Severin hieß, verzog die Miene.
"Wir sind die letzten drei Stunden bei den Kutschführern gesessen, haben uns die Ärsche abgefroren und haben Pferde angetrieben, die genauso wenig Bock auf diese ewige Pampa haben wie wir. Hier gibt es nichts als Hügel und Steine und von denen hab ich sicherlich schon genug gesehen und gespürt. Wir machen jetzt 'ne Pause und wenn's später noch was zu tun gibt, werden wir uns anschließen."
Rodrik zog die Augenbrauen hoch und sah in die Runde. Er war selbst nicht damit einverstanden, dass sie bei ihrer Ankunft immer so einen Zeitdruck hatten, aber er wusste zumindest, was die Konsequenz dafür war, wenn man beim Herumlungern erwischt wurde.
"Ihr könnt von Glück reden, dass ich euch gefunden habe und nicht Edgar oder noch schlimmer. Geht doch zumindest Stangen tragen helfen, das ist nicht so anstrengend und muss trotzdem erledigt werden. Ich glaube da vorne sind noch ein paar unberührte Haufen."
Er drehte sich um, um in die Richtung zu zeigen, brach diese Bewegung dann allerdings wieder ab, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Einer der Männer war näher herangetreten, er überragte Rodrik um einen ganzen Kopf.
"Wir werden nicht aufräumen helfen und auch nicht tragen oder bauen helfen. Wir werden hier sitzen und ein paar Zigaretten rauchen und wenn wir uns dann aufgewärmt haben, werden wir uns Arbeit suchen. Das ist keine Verweigerung, wir kümmern uns nur um unser gesundheitliches Wohl, bevor wir noch krank werden. Hast du das verstanden, alter Mann?"
Rodrik zog die Stirn in Falten und schubste die Hand auf seiner Schulter weg.
"Das habe ich verstanden und sage euch deshalb, dass das eine schlechte Idee ist. Wenn der Teufel euch findet, werdet ihr euch wünschen ihr würdet lieber auf den Schneebergen Zelte aufbauen."
"Aber schließlich hat er uns noch nicht gefunden und dabei wird es auch bleiben."
"Das wird es nicht, wenn ihr weiter hier herumsteht."
"War das etwa eine Drohung?!"
Dem Mann schien ein Geduldsfaden zu reißen, oder aber die angestaute Wut in ihm lief über, gepaart mit dem Frust über die lange, anstrengende Reise, die sie hinter sich hatten. Er packte Rodrik beim Mantel, riss ihn mit einer solch erstaunlichen Kraft zur Seite, dass Rodrik für einen Moment den Boden unter den Füßen verlor, und stieß ihn gegen die Wagenwand. Sein Nachbarsmann näherte sich schnell, mindestens genauso grimmig dreinblickend, nur Severin, der mit Anfang 30 der jüngste des Trios war, machte eine ängstliche Miene, schien etwas sagen zu wollen und entschied sich dann dagegen. Rodrik schwindelte für einen Moment, ehe er durchgeschüttelt wurde.
"Du wirst weder Edgar etwas sagen, noch sonst wem, hast du mich verstanden?! Sonst werde ich dir das Genick brechen und den Abhang runterrollen, davor würde ich keinen Moment zögern, echt nicht!"
Severin sah noch besorgter rein, trat einen Schritt zurück und dann noch einen. Nur noch ein kleines Stück, dann würde er weglaufen, hinein in das Getümmel und weg von der drohenden Gefahr, die sich ihm hier bot.
@Aiden.Nesmilas
