So ganz genau hörte sie ihrer Freundin eigentlich nicht zu. Und wenn Yoko wirklich ehrlich war, hatte sie bereits seit einer halben Stunde nicht mehr zugehört. Diese Exkursionen ermüdeten sich schlichtweg. In Paris waren sie im Louvre, in der Notre Dame! Und hier? Yoko sah sich um und konnte nur die Zeichnungen einiger begabter Jugendlicher sehen, die in Yoko nichts Anders auslösten, als der Wunsch wieder jung und naiv zu sein. Die Welt aus den Augen eines Teenagers zu sehen und ihr mit ragender Wut oder einstudierter Gleichgültigkeit zu begegnen. Irgendwie vermisste sie das. "Yoko? Hörst du überhaupt zu? Hast du dir schon ein Bild ausgesucht?" Yoko sah mit fragenden Augen zu ihrer Kommilitonin. "Das Kurzessay was wir schreiben sollen? Mensch Yoko, seitdem wir diesen Zwischenfall hatten, bist du seltsam." Yoko stieß ein helles Lachen aus und schüttelte den Kopf. "Mach dir keine Sorgen, ich war nur in Gedanken." Was Tamiko so einfach unter Zwischenfall zusammenpackte, hatte sie tatsächlich etwas aus der Bahn geworfen. Nicht, dass sie Angst um ihr Leben hatte, als die Bankräuber die Waffe auf sie zielten. Es waren viel eher die starken Arme, die sie von dem Lauf der Waffe fortgezogen hatten und der dazugehörige - "Mensch, Yoko. Sag Bescheid, wenn du wieder auf der Erde bist!" Tamiko drehte um und ließ Yoko alleine auf der Westseite des Raumes. Yoko zuckte mit den Schultern, nur ein wenig enttäuscht, dass Tamiko sie aus ihren Tagträumen geholt hatte.
Die Kunststudentin wandte sich einem Bild zu, welches sie erst vom Nahen verblüffte. "Das ist doch ..." Als wäre er aus ihrem Tagtraum auf dieses Blatt gesprungen, in der beeindruckenden Zeichnung einer Schülerin. Yoko sah auf das weiße Schild, welches den Namen der Künstlerin neben dem Bild präsentierte. Suki Yasuo. Yoko prägte sich den Namen ein und wandte ihren Blick wieder auf die Zeichnung. Unverkennbar. Er war es. Sie war ihm so nah und doch hatte sie keine Ahnung, wo er war.
Aus einem Impuls heraus drehte sich Yoko zur Seite und griff einer der Projektleiterin an den Arm, als diese an ihr vorbeigehen wollte. Erschrocken zuckte die Frau zusammen und sah Yoko tadelnd an. "Gomen'nasai Senpai, aber ich bin eine Studentin des Projekts und .. ich hatte eine Frage bezüglich der KünstlerInnen der Bilder. Für mein Essay wäre ein Einblick in das Leben der Schülerin von enormer Bedeutung und ich fragte mich, ob die Schülerin hier sei. Für ein kurzes Gespräch, falls das möglich sei." Yoko vergas ganz die Höflichkeit, die ihre Eltern ihr anerzogen hatten, zu tief saß bereits ihr Leben außerhalb des Landes, in wilden Städten, die niemals schliefen. Sie kam erst langsam wieder in das beinahe distanziert höfliche ihre Heimat.
