Fest den in einem Tuch eingewickelten Körper eines kleinen Jungens an sich drückend, stieg der alte Ritter einen alten, steinigen und schmalen Bergpfad hinauf, das Pferd, das ihnen zur waghalsigen Flucht gedient hatte, am Fuße des Berges zurückgelassen, war ihm nichts anderes übrig geblieben als seinen Weg mit seinen morschen, alten Knochen zu Fuß fortzusetzen, wenn er sein Ziel erreichen wollte.
Stunden war er ohne Pause geritten, vom Ort des schrecklichen Verbrechens fliehend, die Zähne fest zusammenbeißend um nicht in Wut oder Trauer zu versinken, war sein treuer Freund und seine Familie doch durch grausame Hand kaltblütig ermordet worden, nur den Jungen, seinen Sohn, konnte er retten, doch diesen würde er in Sicherheit bringen, er würde nicht zulassen, dass man auch nach seinem Leben trachtete, das hatte sich der alte Ritter in jenem Moment geschworen, als er die großen, verängstigten Augen des Kindes gesehen hatte.
Er wusste nicht, was der Junge gesehen hatte, von welchen schrecklichen Taten er Zeuge geworden war, doch seitdem schlief er in seinem Armen, gepeinigt von Albträumen und Sir Jeffrey konnte nur hoffen, dass er nach diesem traumatischen Erlebnis überhaupt wieder aufwachen würde.
Der Wind peitschte seinen Umhang und das Haar, noch einmal rückte er den schwarzen Stoff seines Mantels über das Kind, ging sicher, dass es geschützt war, ehe er seinen beschwerlichen Weg fortsetzen, den kaum ein anderer zu bewältigen wagte, schon gar nicht im Alter des alten Ritters.
Was er hier zu finden glaubte? Was war das Ziel des alten Mannes, dass er sich verzweifelt weiter kämpfte, vorsichtig über den bröckelnden Rand Stück für Stück weiterkroch, darauf bedacht nicht zu fallen?
Eine alte Freundin. Jemand, von dem er glaubte, dass der Junge bei ihr sicher sein würde.
„Oh, sieh mal an, Besuch!“, ertönte die fröhliche, sorglose Stimme der Hexe, während sie an ihrer Kristallkugel saß und den alten Ritter beobachtete, wie er sich schon fast verzweifelt weiter kämpfte.
„Der alte Kerl hat sich aber einen schlechten Tag für einen Besuch ausgesucht, wieso versucht er es nicht morgen? Wir sind auf einen Besuch gar nicht vorbereitet.“, hörte sie die schaubende Stimme Ifrits, ihres feurigen Begleiters und das darf durchaus wörtlich verstanden werden.
„Ach komm, jetzt sei doch nicht so~, Besuch ist doch immer was schönes!“, freute sich die junge Frau und kicherte etwas dabei, ehe sie sich wieder an ihre Kristallkugel wandte.
Zwar gab sie diese Worte von sich, aber in ihren Gedanken spielte eine andere Musik, denn Ifrit hatte recht. Jeffrey war nicht mehr der jüngste, das war dem armen sofort anzusehen. In jungen Jahren hätte er den Aufstieg an einem windigen Tag wie diesen vielleicht ohne Mühen bewältigen können, aber heute? Die Hexe legte in Gedanken versunken den Kopf schief und bettete diesem auf ihrer Handfläche, als ihr auffiel, wie viele Jahre wieder vergangen sein mussten, als sie den Mann zum letzten Mal gesehen hatte. War es wirklich schon so lange her? Ihr kam es vor, als hätte sie ihn erst gestern gesehen, als seine Haare noch platinblond waren und er von seinem neusten Erfolg als Ritter geschwärmt hatte, was für ein niedlicher Junge er doch gewesen war, aber niedlich war Jeffrey auch heute noch in ihren Augen.
„Wieso zeigst du uns nicht deine Gastfreundschaft und empfängst unseren kleinen Jeffrey? Er muss doch frieren.“
„Ha~h?! Damit ich in dem Wind ausgehe?! Willst du mich jetzt etwa los werden?!“, traute Ifrit seinen Ohren nicht, die er technisch gesehen nicht besaß. Die Stimme des künstlichen Wesens war nicht die eines Menschen, sie klang wie ein hohles Echo, als würden mehr als nur eine Person sprechen, als würden die Stimmen von den Wänden einer Höhle abprallen, ehe sie das menschliche Ohr erreichten.
„Ach komm, das wird schon nicht passieren!“, schmollte die Hexe beleidigt, als man ihr diese Unterstellungen machte, „Ich schick dich nur kurz zu ihm, dir wird dabei schon nichts passieren. Du nimmst seine Hand und ich bringe euch beide wieder sicher in die gute Stube, klingt das nicht nach einem wundervollen Plan!“
Stolz auf ihr kleines Unterfangen, legte die junge Frau die Hände aneinander und blickte den Homunculus erwartungsvoll an. Nunja, ansehen war vielleicht nicht das richtige Wort, waren ihre Augen während des gesamten Gesprächs über geschlossen, doch ihr Gesicht wies in die Richtung, in welcher sich Ifrit befand.
„... ich soll dir da also einfach vertrauen? Einfach so? Weißt du noch das letzte Mal, als....“, kniff er sein einziges Auge misstrauisch zusammen, wurde jedoch unterbrochen, ehe er die peinliche Geschichte erzählen konnte.
„Ahh~! Sag nichts mehr, sag nichts mehr! Das ist schon so lange her, bist du mir etwa immer noch böse? Jetzt mach doch einfach!“, schmollte die Hexe beleidigt, ehe sie in ihre Hände klatschte und Ifrit mit einem schnellen „Warte-!“ an Ort und Stelle verschwand.
Noch immer beleidigt verschränkte die Hexe die Arme vor der Brust und gab ein wütendes „Als ob ich das jetzt verhaue... ich bin doch kein Kind mehr...“ von sich.
Während der Ritter seine Reise fortsetzte, blendete ihn plötzlich ein rosafarbenes Licht, vor dem er seine Augen schloss, wagte er es doch nicht das Kind oder die Klippen wand loszulassen, doch was sich im offenbarte, als er die Augen wieder öffnete, ließ den alten Mann staunen, nein, es wäre wohl passender zu sagen, dass er überrascht war den Mann aus Feuer wieder zu sehen, auch wenn Jeffrey nicht wusste, ob er das Wesen wirklich als Mann bezeichnen konnte.
„Jetzt glotzt nicht so! Nimm meine Hand, bevor ausgehen oder falle! Diese alte Hexe, heute Abend darf sie sich selber was kochen!!“, beschwerte sich Ifrit, welcher sich beeilen musste, ihm, der direkt über der leeren Klippe aufgetaucht war, blieb nur der Bruchteil eines Momentes, ehe die Schwerkraft einsetzen und ihn zu Boden drücken würde, wenn die mächtigen Winde seine Flammen nicht vorher erstickten, verstand sich.
Während eine gewöhnliche Person in diesem Moment wohl gezögert hätte, ließ Sir Jeffrey von seinem sicheren Halt ab und ergriff die ihm ausgestreckten Flammen, die kaum noch einer Hand glichen, jedoch aus unerfindlichen Gründen fest und zu ergreifen waren, gerade einmal eine sanfte Wärme wie die eines Menschen von sich gab, das Kind jedoch fest an sich drückend, war er noch immer seine höchste Priorität.
Zunächst wurden die beiden ein Opfer der Schwerkraft, begannen zu fallen, was den Homunculus in eine Fluch Tirade über die alte Hexe versetzte, Momente die in einer Situation der Gefahr wie eine Ewigkeit erschienen und der alte Ritter schloss seine Augen, als er schon bald festen Boden unter seinen Füßen spürte.
Zögerlich öffnete er die Augen, musste sich für einen Moment orientieren, war er doch gerade kopfüber von einem Berg gefallen, als er seine alte Freundin erkannte, welche ihm fröhlich mit einem breiten Lächeln auf den Lippen zuwinkte.
„Jeffrey, mein Lieber, was führt dich an so einem Tag zu uns?!“, gab sie freudig von sich, die Illusion erschaffend, sich einfach nur über den Besuch zu freuen, doch den alten Ritter ließ das Gefühl nicht los, dass die junge Frau vor ihm bereits ahnte, weshalb er hier war, hätte sie ihn doch normalerweise überschwänglich umarmt, wusste sie von dem Kind? Sie ließ es sich zumindest nicht anmerken.
Es war ein kleiner Schock für den alten Mann seine alte Freundin so zu sehen, wie er es damals zuletzt vor über zehn Jahren getan hatte. Während er zu einem alten, gebrechlichen Ritter geworden war, stand sie hier vor ihm, als wäre sie kein einziges Jahr gealtert, sie war wahrlich die mächtige Hexe, deren Geschichten und Märchen mehrere hunderte Jahre zurückgingen.
Doch in diesem Moment gab es wichtigeres zu besprechen.
„Ich muss dich um einen Gefallen bitten.“, wartete er keine weitere Sekunde lang und offenbarte das zitternde Kind in seinen Armen. Der Ritter warf diesem einen sorgenvollen Blick zu, schien sich sein Zustand doch mit jeder Stunde zu verschlechtern und er hat das ungute Gefühl, dass er nicht ganz unschuldig daran war.
Bevor Sir Jeffrey ein weiteres Wort sagen konnte, wurde ihm das Kind fast schon aus den Händen gerissen und die Hexe kniete sich auf den Boden, stabilisierte das Kind etwas mit ihrem Knie, während sie es mit einem Arm festhielt und die dadurch freigewordene Hand über die Stirn des Jungen legte, welche einen sanften Schimmer von sich gab.
Für einen Moment konnte der alte Ritter seine Freundin nur mit geöffneten Mund anstarrte, hatte er doch noch nie einen solch ernsten Gesichtsausdruck auf ihren Zügen gesehen.
„Ein... Rotzbengel?“, spiegelte sich auf dem Gesicht Ifrits etwas, das eine Frage sein könnte, endlich hatte er mit seinen Vorwürfen und seinen Schimpfereien aufgehört.
„Das ist kein Rotzbengel, es ist kein anderer als Ephraim von Sternenfels, Prinz und nun... einziger Erbe der Königsfamilie.“, schenkte er dem Homunculus einen strengen Blick, welcher zusammengezuckt zu sein schien, mit dieser Reaktion hatte Ifrit doch nicht gerechnet, auch wenn es dem alten Ritter schmerzte die letzten Worte von sich zu geben.
„Jeffrey... was ist passiert?“, verlangte die Hexe schon fast zu wissen, während sich das Gesicht des Jungen zu beruhigen schien, für diesen Moment konnte sie sein Fieber senken. Aber er schien größere Probleme als das Fieber zu haben, „Ifrit, wechsel sofort die Laken im Gästezimmer und bereite ein Becken mit lauwarmen Wasser vor.“, gab sie ihrem Begleiter Anweisungen, welcher zuerst verwirrt von einer Person zur anderen Blickte, ehe er nickte und sich beeilte die Aufgaben zu erledigen.
Auf den Tee mussten die beiden älteren nun verzichten, während sie sich an den Küchentisch setzten und Sir Jeffrey begann der Hexe die grausame Geschichte zu erzählen, während sie den Jungen schützend in ihren Armen hielt, als wäre es ihr eigenes Kind.
In ihrem Gesicht spiegelte sich Schmerz und Mitleid für den Jungen, während sie ihm eine Locke aus dem Gesicht wischte, um den Jungen genauer betrachten zu können. Er war noch so jung und hatte nun seine Familie auf so grausame Art und Weise verloren... das arme Kind.
„Ich bitte dich, ehrwürdige Hexe!“, stand der alte Ritter mit einem Mal von seinem Platz auf, nachdem er die Erzählung beendet hatte und die junge Frau wandte das Gesicht wieder diesem zu, als er gerade seine müden Knie auf den Boden legte und sich demütig vor der anderen verbeugte, „Nehmt den jungen Prinzen auf, bis er alt genug ist sein Geburtsrecht einzufordern! Die Königsfamilie war schon seit jeher mit einer enormen Menge an magischer Kraft und großem Talent für die magischen Künste geboren worden, ich flehe dich an, lehre ihn mit diesen Fähigkeiten umzugehen! Bitte beschütze ihn, während ich es nicht kann!“
Der alte Mann klang verzweifelt, während seine Stimme zitterte und seine Stirn den kalten Küchenboden berührte, ein Nein konnte er unter keinen Umständen akzeptieren.
Gerade holte er Luft und wollte ihr seine Situation noch näher erläutern, dass er zurück musste, dass seine Zwillinge ihn brauchten, dass er jedoch auch den Prinzen nicht zurücklassen konnte, erinnerte ihn dieser doch an seinen eigenen Sohn Zuhause, doch das war nicht nötig, als die Hexe lächelte und den alten Ritter darum bat, sich zu erheben.
„Du übertreibst etwas mein Lieber, meinst du nicht? Als könne ich ein Kind in Schwierigkeiten einfach im Stich lassen. Hab keine Angst und schone deine alten Knochen, er ist hier sicher bei mir, das Verspreche ich dir, sind wir nicht Freunde?“, lächelte sie aufrichtig und aufmunternd, wobei Sir Jeffrey sich nicht sicher war, wen sie als Kind bezeichnete. So wie ihre Worten klangen, könnte sie genauso gut ihn gemeint haben.
„Ich dankte dir...“, murmelte er, noch immer auf dem Boden und konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken. Auch er hatte einen guten Freund und dessen Familie in der schrecklichen Nacht verloren, die Erschöpfung der Reise holte den alten Mann letztendlich doch ein und die Erleichterung, den Jungen in sicheren Armen zu wissen, tat sein übriges.
Die Hexe konnte nur verständnisvoll Lächeln, dem alten Mann seinen Moment geben, als Ifrit den Raum betrat und verkündete, er hätte seine Aufgaben gewissenhaft erledigt.
Die junge Frau nickte, wies Ifrit an Sir Jeffrey vom Boden auf das bequeme Sofa zu helfen und ihm einen beruhigenden Tee zu machen, ehe sie mit dem Kind im Gästezimmer verschwand.
Das Gesicht, dass durch ihre Hände für einige Momente ruhig und geradezu friedvoll war, zeigte wieder die Angst eines Kindes, er musste von schrecklichen Träumen geplagt werden, nein, von schrecklichen Erinnerungen.
Die Hexe konnte diesen Anblick nicht ertragen, den gepeinigten Gesichtsausdruck eines so kleinen, jungen Kindes, das in ihren Augen nicht einmal für einen Bruchteil in dieser Welt weilte, er hatte all diesen Schmerz nicht verdient. Ob er überhaupt stark genug war aus diesen Albträumen wieder zu erwachen?
Die Hexe schluckte schwer, ehe sie sich für etwas entschied, was sie normalerweise unter allen Umständen vermied, wollte sie sich doch nicht in das Leben der gewöhnlichen Menschen einmischen, mit ihren Kräften nicht an Dingen herum pfuschen, auf welche sie eigentlich kein Recht hatte. Möge der Junge ihr verzeihen.
Sie zeichnete mit dem Finger einen magischen Zirkel, mit einem Pentagramm in dessen Mitte, über der Stirn des Jungen, murmelte einige Worte einer fremden Sprache und konzentrierte sich, um all die schmerzhaften Erinnerungen und jene, die damit zu tun hatten, zu versiegeln, sie von seinem jungen Verstand zu verstecken, mit einem einfachen Siegel, welches sich in einigen Jahren von selbst lösen würde und sie konnte nur hoffen, dass er dann bereit für das sein würde, was diese ihm offenbaren würden.
Nachdem sie den Schweiß vom Körper des Jungen gewischt hatte und diesen sicher und geborgen in sein neues Bett gewickelt hatte, gesellte sie sich wieder in den Wohnbereich des Hauses, welches von Innen größer war und mehr Räume besaß, als das kleine Häuschen an der Klippe hätte erahnen können.
Der alte Ritter schien sich beruhigt zu haben, die beiden einigten sich darauf, dass er noch eine Nacht hier verbringen würde, um seine Erschöpfung zu kurieren, ehe die Hexe ihn persönlich zurück in sein Anwesen teleportieren würde, wo er sich um die Zwillinge und die neue Situation des Königreichs kümmern könnte.
Die junge Frau, die sagenumwobene Hexe, hatte kein Interesse an Angelegenheiten eines Königreichs, für sie kamen und gingen die Reiche und mit ihnen ihre Könige und Herrscher, ob sie nun gute waren oder nicht, für jeden kam die Zeit, seine Herrschaft zu beenden, ob friedvoll oder blutig. Obwohl sie sich vor langer Zeit fest vorgenommen hatte, sich in solche Dinge nicht einzumischen, so grausam sie auch waren, konnte sie sich an diesen Schwur nicht halten, nachdem sie das gepeinigte Gesicht des Jungen gesehen hatte, sie hatte schon immer eine weiche Seite für Kinder gehabt.
Sie würde auf ihn aufpassen, versuchen ihm eine glückliche Zeit zu bieten, doch die weise Frau fürchtete, dass seine Zukunft nicht so einfach werden würde, wie sie es sich wünschte. Alles, was sie tun konnte, war ihn auf das, was ihn erwarten würde, vorzubereiten.
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@Dindrane
Stunden war er ohne Pause geritten, vom Ort des schrecklichen Verbrechens fliehend, die Zähne fest zusammenbeißend um nicht in Wut oder Trauer zu versinken, war sein treuer Freund und seine Familie doch durch grausame Hand kaltblütig ermordet worden, nur den Jungen, seinen Sohn, konnte er retten, doch diesen würde er in Sicherheit bringen, er würde nicht zulassen, dass man auch nach seinem Leben trachtete, das hatte sich der alte Ritter in jenem Moment geschworen, als er die großen, verängstigten Augen des Kindes gesehen hatte.
Er wusste nicht, was der Junge gesehen hatte, von welchen schrecklichen Taten er Zeuge geworden war, doch seitdem schlief er in seinem Armen, gepeinigt von Albträumen und Sir Jeffrey konnte nur hoffen, dass er nach diesem traumatischen Erlebnis überhaupt wieder aufwachen würde.
Der Wind peitschte seinen Umhang und das Haar, noch einmal rückte er den schwarzen Stoff seines Mantels über das Kind, ging sicher, dass es geschützt war, ehe er seinen beschwerlichen Weg fortsetzen, den kaum ein anderer zu bewältigen wagte, schon gar nicht im Alter des alten Ritters.
Was er hier zu finden glaubte? Was war das Ziel des alten Mannes, dass er sich verzweifelt weiter kämpfte, vorsichtig über den bröckelnden Rand Stück für Stück weiterkroch, darauf bedacht nicht zu fallen?
Eine alte Freundin. Jemand, von dem er glaubte, dass der Junge bei ihr sicher sein würde.
„Oh, sieh mal an, Besuch!“, ertönte die fröhliche, sorglose Stimme der Hexe, während sie an ihrer Kristallkugel saß und den alten Ritter beobachtete, wie er sich schon fast verzweifelt weiter kämpfte.
„Der alte Kerl hat sich aber einen schlechten Tag für einen Besuch ausgesucht, wieso versucht er es nicht morgen? Wir sind auf einen Besuch gar nicht vorbereitet.“, hörte sie die schaubende Stimme Ifrits, ihres feurigen Begleiters und das darf durchaus wörtlich verstanden werden.
„Ach komm, jetzt sei doch nicht so~, Besuch ist doch immer was schönes!“, freute sich die junge Frau und kicherte etwas dabei, ehe sie sich wieder an ihre Kristallkugel wandte.
Zwar gab sie diese Worte von sich, aber in ihren Gedanken spielte eine andere Musik, denn Ifrit hatte recht. Jeffrey war nicht mehr der jüngste, das war dem armen sofort anzusehen. In jungen Jahren hätte er den Aufstieg an einem windigen Tag wie diesen vielleicht ohne Mühen bewältigen können, aber heute? Die Hexe legte in Gedanken versunken den Kopf schief und bettete diesem auf ihrer Handfläche, als ihr auffiel, wie viele Jahre wieder vergangen sein mussten, als sie den Mann zum letzten Mal gesehen hatte. War es wirklich schon so lange her? Ihr kam es vor, als hätte sie ihn erst gestern gesehen, als seine Haare noch platinblond waren und er von seinem neusten Erfolg als Ritter geschwärmt hatte, was für ein niedlicher Junge er doch gewesen war, aber niedlich war Jeffrey auch heute noch in ihren Augen.
„Wieso zeigst du uns nicht deine Gastfreundschaft und empfängst unseren kleinen Jeffrey? Er muss doch frieren.“
„Ha~h?! Damit ich in dem Wind ausgehe?! Willst du mich jetzt etwa los werden?!“, traute Ifrit seinen Ohren nicht, die er technisch gesehen nicht besaß. Die Stimme des künstlichen Wesens war nicht die eines Menschen, sie klang wie ein hohles Echo, als würden mehr als nur eine Person sprechen, als würden die Stimmen von den Wänden einer Höhle abprallen, ehe sie das menschliche Ohr erreichten.
„Ach komm, das wird schon nicht passieren!“, schmollte die Hexe beleidigt, als man ihr diese Unterstellungen machte, „Ich schick dich nur kurz zu ihm, dir wird dabei schon nichts passieren. Du nimmst seine Hand und ich bringe euch beide wieder sicher in die gute Stube, klingt das nicht nach einem wundervollen Plan!“
Stolz auf ihr kleines Unterfangen, legte die junge Frau die Hände aneinander und blickte den Homunculus erwartungsvoll an. Nunja, ansehen war vielleicht nicht das richtige Wort, waren ihre Augen während des gesamten Gesprächs über geschlossen, doch ihr Gesicht wies in die Richtung, in welcher sich Ifrit befand.
„... ich soll dir da also einfach vertrauen? Einfach so? Weißt du noch das letzte Mal, als....“, kniff er sein einziges Auge misstrauisch zusammen, wurde jedoch unterbrochen, ehe er die peinliche Geschichte erzählen konnte.
„Ahh~! Sag nichts mehr, sag nichts mehr! Das ist schon so lange her, bist du mir etwa immer noch böse? Jetzt mach doch einfach!“, schmollte die Hexe beleidigt, ehe sie in ihre Hände klatschte und Ifrit mit einem schnellen „Warte-!“ an Ort und Stelle verschwand.
Noch immer beleidigt verschränkte die Hexe die Arme vor der Brust und gab ein wütendes „Als ob ich das jetzt verhaue... ich bin doch kein Kind mehr...“ von sich.
Während der Ritter seine Reise fortsetzte, blendete ihn plötzlich ein rosafarbenes Licht, vor dem er seine Augen schloss, wagte er es doch nicht das Kind oder die Klippen wand loszulassen, doch was sich im offenbarte, als er die Augen wieder öffnete, ließ den alten Mann staunen, nein, es wäre wohl passender zu sagen, dass er überrascht war den Mann aus Feuer wieder zu sehen, auch wenn Jeffrey nicht wusste, ob er das Wesen wirklich als Mann bezeichnen konnte.
„Jetzt glotzt nicht so! Nimm meine Hand, bevor ausgehen oder falle! Diese alte Hexe, heute Abend darf sie sich selber was kochen!!“, beschwerte sich Ifrit, welcher sich beeilen musste, ihm, der direkt über der leeren Klippe aufgetaucht war, blieb nur der Bruchteil eines Momentes, ehe die Schwerkraft einsetzen und ihn zu Boden drücken würde, wenn die mächtigen Winde seine Flammen nicht vorher erstickten, verstand sich.
Während eine gewöhnliche Person in diesem Moment wohl gezögert hätte, ließ Sir Jeffrey von seinem sicheren Halt ab und ergriff die ihm ausgestreckten Flammen, die kaum noch einer Hand glichen, jedoch aus unerfindlichen Gründen fest und zu ergreifen waren, gerade einmal eine sanfte Wärme wie die eines Menschen von sich gab, das Kind jedoch fest an sich drückend, war er noch immer seine höchste Priorität.
Zunächst wurden die beiden ein Opfer der Schwerkraft, begannen zu fallen, was den Homunculus in eine Fluch Tirade über die alte Hexe versetzte, Momente die in einer Situation der Gefahr wie eine Ewigkeit erschienen und der alte Ritter schloss seine Augen, als er schon bald festen Boden unter seinen Füßen spürte.
Zögerlich öffnete er die Augen, musste sich für einen Moment orientieren, war er doch gerade kopfüber von einem Berg gefallen, als er seine alte Freundin erkannte, welche ihm fröhlich mit einem breiten Lächeln auf den Lippen zuwinkte.
„Jeffrey, mein Lieber, was führt dich an so einem Tag zu uns?!“, gab sie freudig von sich, die Illusion erschaffend, sich einfach nur über den Besuch zu freuen, doch den alten Ritter ließ das Gefühl nicht los, dass die junge Frau vor ihm bereits ahnte, weshalb er hier war, hätte sie ihn doch normalerweise überschwänglich umarmt, wusste sie von dem Kind? Sie ließ es sich zumindest nicht anmerken.
Es war ein kleiner Schock für den alten Mann seine alte Freundin so zu sehen, wie er es damals zuletzt vor über zehn Jahren getan hatte. Während er zu einem alten, gebrechlichen Ritter geworden war, stand sie hier vor ihm, als wäre sie kein einziges Jahr gealtert, sie war wahrlich die mächtige Hexe, deren Geschichten und Märchen mehrere hunderte Jahre zurückgingen.
Doch in diesem Moment gab es wichtigeres zu besprechen.
„Ich muss dich um einen Gefallen bitten.“, wartete er keine weitere Sekunde lang und offenbarte das zitternde Kind in seinen Armen. Der Ritter warf diesem einen sorgenvollen Blick zu, schien sich sein Zustand doch mit jeder Stunde zu verschlechtern und er hat das ungute Gefühl, dass er nicht ganz unschuldig daran war.
Bevor Sir Jeffrey ein weiteres Wort sagen konnte, wurde ihm das Kind fast schon aus den Händen gerissen und die Hexe kniete sich auf den Boden, stabilisierte das Kind etwas mit ihrem Knie, während sie es mit einem Arm festhielt und die dadurch freigewordene Hand über die Stirn des Jungen legte, welche einen sanften Schimmer von sich gab.
Für einen Moment konnte der alte Ritter seine Freundin nur mit geöffneten Mund anstarrte, hatte er doch noch nie einen solch ernsten Gesichtsausdruck auf ihren Zügen gesehen.
„Ein... Rotzbengel?“, spiegelte sich auf dem Gesicht Ifrits etwas, das eine Frage sein könnte, endlich hatte er mit seinen Vorwürfen und seinen Schimpfereien aufgehört.
„Das ist kein Rotzbengel, es ist kein anderer als Ephraim von Sternenfels, Prinz und nun... einziger Erbe der Königsfamilie.“, schenkte er dem Homunculus einen strengen Blick, welcher zusammengezuckt zu sein schien, mit dieser Reaktion hatte Ifrit doch nicht gerechnet, auch wenn es dem alten Ritter schmerzte die letzten Worte von sich zu geben.
„Jeffrey... was ist passiert?“, verlangte die Hexe schon fast zu wissen, während sich das Gesicht des Jungen zu beruhigen schien, für diesen Moment konnte sie sein Fieber senken. Aber er schien größere Probleme als das Fieber zu haben, „Ifrit, wechsel sofort die Laken im Gästezimmer und bereite ein Becken mit lauwarmen Wasser vor.“, gab sie ihrem Begleiter Anweisungen, welcher zuerst verwirrt von einer Person zur anderen Blickte, ehe er nickte und sich beeilte die Aufgaben zu erledigen.
Auf den Tee mussten die beiden älteren nun verzichten, während sie sich an den Küchentisch setzten und Sir Jeffrey begann der Hexe die grausame Geschichte zu erzählen, während sie den Jungen schützend in ihren Armen hielt, als wäre es ihr eigenes Kind.
In ihrem Gesicht spiegelte sich Schmerz und Mitleid für den Jungen, während sie ihm eine Locke aus dem Gesicht wischte, um den Jungen genauer betrachten zu können. Er war noch so jung und hatte nun seine Familie auf so grausame Art und Weise verloren... das arme Kind.
„Ich bitte dich, ehrwürdige Hexe!“, stand der alte Ritter mit einem Mal von seinem Platz auf, nachdem er die Erzählung beendet hatte und die junge Frau wandte das Gesicht wieder diesem zu, als er gerade seine müden Knie auf den Boden legte und sich demütig vor der anderen verbeugte, „Nehmt den jungen Prinzen auf, bis er alt genug ist sein Geburtsrecht einzufordern! Die Königsfamilie war schon seit jeher mit einer enormen Menge an magischer Kraft und großem Talent für die magischen Künste geboren worden, ich flehe dich an, lehre ihn mit diesen Fähigkeiten umzugehen! Bitte beschütze ihn, während ich es nicht kann!“
Der alte Mann klang verzweifelt, während seine Stimme zitterte und seine Stirn den kalten Küchenboden berührte, ein Nein konnte er unter keinen Umständen akzeptieren.
Gerade holte er Luft und wollte ihr seine Situation noch näher erläutern, dass er zurück musste, dass seine Zwillinge ihn brauchten, dass er jedoch auch den Prinzen nicht zurücklassen konnte, erinnerte ihn dieser doch an seinen eigenen Sohn Zuhause, doch das war nicht nötig, als die Hexe lächelte und den alten Ritter darum bat, sich zu erheben.
„Du übertreibst etwas mein Lieber, meinst du nicht? Als könne ich ein Kind in Schwierigkeiten einfach im Stich lassen. Hab keine Angst und schone deine alten Knochen, er ist hier sicher bei mir, das Verspreche ich dir, sind wir nicht Freunde?“, lächelte sie aufrichtig und aufmunternd, wobei Sir Jeffrey sich nicht sicher war, wen sie als Kind bezeichnete. So wie ihre Worten klangen, könnte sie genauso gut ihn gemeint haben.
„Ich dankte dir...“, murmelte er, noch immer auf dem Boden und konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken. Auch er hatte einen guten Freund und dessen Familie in der schrecklichen Nacht verloren, die Erschöpfung der Reise holte den alten Mann letztendlich doch ein und die Erleichterung, den Jungen in sicheren Armen zu wissen, tat sein übriges.
Die Hexe konnte nur verständnisvoll Lächeln, dem alten Mann seinen Moment geben, als Ifrit den Raum betrat und verkündete, er hätte seine Aufgaben gewissenhaft erledigt.
Die junge Frau nickte, wies Ifrit an Sir Jeffrey vom Boden auf das bequeme Sofa zu helfen und ihm einen beruhigenden Tee zu machen, ehe sie mit dem Kind im Gästezimmer verschwand.
Das Gesicht, dass durch ihre Hände für einige Momente ruhig und geradezu friedvoll war, zeigte wieder die Angst eines Kindes, er musste von schrecklichen Träumen geplagt werden, nein, von schrecklichen Erinnerungen.
Die Hexe konnte diesen Anblick nicht ertragen, den gepeinigten Gesichtsausdruck eines so kleinen, jungen Kindes, das in ihren Augen nicht einmal für einen Bruchteil in dieser Welt weilte, er hatte all diesen Schmerz nicht verdient. Ob er überhaupt stark genug war aus diesen Albträumen wieder zu erwachen?
Die Hexe schluckte schwer, ehe sie sich für etwas entschied, was sie normalerweise unter allen Umständen vermied, wollte sie sich doch nicht in das Leben der gewöhnlichen Menschen einmischen, mit ihren Kräften nicht an Dingen herum pfuschen, auf welche sie eigentlich kein Recht hatte. Möge der Junge ihr verzeihen.
Sie zeichnete mit dem Finger einen magischen Zirkel, mit einem Pentagramm in dessen Mitte, über der Stirn des Jungen, murmelte einige Worte einer fremden Sprache und konzentrierte sich, um all die schmerzhaften Erinnerungen und jene, die damit zu tun hatten, zu versiegeln, sie von seinem jungen Verstand zu verstecken, mit einem einfachen Siegel, welches sich in einigen Jahren von selbst lösen würde und sie konnte nur hoffen, dass er dann bereit für das sein würde, was diese ihm offenbaren würden.
Nachdem sie den Schweiß vom Körper des Jungen gewischt hatte und diesen sicher und geborgen in sein neues Bett gewickelt hatte, gesellte sie sich wieder in den Wohnbereich des Hauses, welches von Innen größer war und mehr Räume besaß, als das kleine Häuschen an der Klippe hätte erahnen können.
Der alte Ritter schien sich beruhigt zu haben, die beiden einigten sich darauf, dass er noch eine Nacht hier verbringen würde, um seine Erschöpfung zu kurieren, ehe die Hexe ihn persönlich zurück in sein Anwesen teleportieren würde, wo er sich um die Zwillinge und die neue Situation des Königreichs kümmern könnte.
Die junge Frau, die sagenumwobene Hexe, hatte kein Interesse an Angelegenheiten eines Königreichs, für sie kamen und gingen die Reiche und mit ihnen ihre Könige und Herrscher, ob sie nun gute waren oder nicht, für jeden kam die Zeit, seine Herrschaft zu beenden, ob friedvoll oder blutig. Obwohl sie sich vor langer Zeit fest vorgenommen hatte, sich in solche Dinge nicht einzumischen, so grausam sie auch waren, konnte sie sich an diesen Schwur nicht halten, nachdem sie das gepeinigte Gesicht des Jungen gesehen hatte, sie hatte schon immer eine weiche Seite für Kinder gehabt.
Sie würde auf ihn aufpassen, versuchen ihm eine glückliche Zeit zu bieten, doch die weise Frau fürchtete, dass seine Zukunft nicht so einfach werden würde, wie sie es sich wünschte. Alles, was sie tun konnte, war ihn auf das, was ihn erwarten würde, vorzubereiten.
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@Dindrane
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