[2er RPG] Burning Desire

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    • Julia hatte eigentlich keinen Hunger. Vor ihrem inneren Auge sah sie immer noch den zerbrochenen Spiegel und das Blut an Carsons Hand. Ein Bild, das ihr den Appetit nahm. Aber da sie das Thema angesprochen hatte, musste sie nun auch zu ihrer Notlüge stehen. "Pancakes klingen gut", antwortete sie deshalb und lächelte ein wenig. "Du brauchst mir keinen Kaffee mehr mitzubringen, ich mache mir später einen Tee" Sie sah Carson hinterher, als er in Richtung der Küche verschwand. Ihr Herz schlug immer noch ein wenig zu schnell und das wollte sie nicht noch zusätzlich durch Koffein verstärken. Deshalb hatte sie beschlossen erst einmal auf Tee zu wechseln. Aber auch das war etwas, was sie ihrem Freund nicht sagen würde. Es war unnütz ihn mit solchen Kleinigkeiten zu belasten, obwohl es ihm offensichtlich schlechter ging als ihr. Auch wenn er ihr nicht sagen wollte, was eigentlich los war...

      Nachdem Carson sich wieder zu ihr gesellt hatte, sah Julia für einen kurzen Moment aus dem Fenster. Inzwischen hatte die Sonne den Garten und die Bäume in ein orange-goldenes Licht getaucht. Es war ein schöner Anblick. "Du weißt, dass ich beim Joggen nicht mit dir mithalten kann", sagte die Blondine schließlich und drehte den Kopf wieder in Carsons Richtung. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie noch immer die leere Tasse in den Händen hielt und stellte sie auf dem Couchtisch ab. "Vielleicht setze ich mich etwas in den Garten. Du hast bestimmt mehr Spaß ohne mich."
    • "Du sagst das so, als wolle ich mir ein Football-Spiel mit Freunden ansehen und du wärst die einzige Frau dort", gab Carson zurück.
      Julia war nie wirklich oft mitgekommen, wenn er joggen ging, aber bisher hatte sie nie etwas in diese Richtung gesagt. Sie wusste, dass er kein Problem damit hatte, eine kürzere Strecke zu laufen oder langsamer zu machen. Er kaute auf der Innenseite seiner Wange herum. Er wusste genau, was das hier war. Sie hielt sich mit Absicht von ihm fern. Er hatte ihr Angst gemacht. Verübeln konnte er es ihr nicht.
      "Aber okay, wenn du nicht mitkommen willst. Pancakes kriegst du trotzdem."
      Und mit diesen Worten wandte er sich wieder um. Er nahm ihre Tasse mit in die Küche, wo er sie in der Spüle abstellte. Danach machte er sich daran, die Pancakes zu machen. Würde er eben eine halbe Stunde später joggen gehen und es Julia ersparen, mit ihm gemeinsam frühstücken zu müssen.

      Er machte eine ordentliche Ladung Pancakes, von denen er eine kleine Menge abzweigte, die er dann Julia so servierte, wie sie es am liebsten hatte. Dann zog er sich um und verließ nach einer knappen Verabschiedung das Haus, um seine morgendliche Runde zu laufen. Er musste dringend den Kopf frei bekommen. Laufen halb für gewöhnlich, aber an diesem Morgen... heute war einfach so vieles anders. Er war müde, er war frustriert, er war wütend. Er konnte nicht klar denken, was dazu führte, dass er überhaupt dachte, obwohl er eigentlich seinen Kopf hatte abschalten wollen.
      Er lief seine übliche Strecke zweimal, um sich richtig auszupowern. Als er zurück nach Hause kam, war er völlig außer Atem und noch verschwitzter als sonst. Die Reste der nächtlichen Kälte hatten daran nichts ändern können. Sein Magen knurrte, aber er brauchte dringend eine Dusche, bevor er irgendetwas anderes tat. Er tropfte ihren Eingangsbereich mit seinem Schweiß voll.
      Schnell huschte er nach oben und beseitigte die Schicht an körpereigener Feuchtigkeit auf seiner Haut. Danach fühlte er sich viel besser und auch seine Hand sah nicht mehr ganz so furchtbar aus. Er wickelte sie wieder ein, nachdem er etwas Salbe drauf geschmiert hatte, dann erst erlaubte er sich ein Frühstück. Überraschenderweise aß er nicht einmal die Hälfte von dem, was er normalerweise verdrückte.
    • Julia sah Carson einen langen Moment lang hinterher, nachdem er das Haus verlassen hatte. Sie hatte den enttäuschten Ausdruck in seinen Augen gesehen und fühlte sich nun schrecklich schuldig. Doch sie glaubte noch eine andere Emotion erkannt zu haben; Wut. Sie hatte ihn verärgert und die junge Frau wusste nicht, wie sie das wieder gut machen konnte.
      Leise seufzend senkte sie ihren Blick und sah auf das Frühstück hinab. Obwohl es genauso aussah wie an jedem Morgen, wirkte es diesmal überhaupt nicht einladend. Stattdessen sorgte der Geruch dafür, dass sich ihr Magen krampfhaft zusammen zog. Obwohl er sauer auf sie war, hatte Carson sich viel Mühe beim Zubereiten der Pancakes gemacht. Auch wenn er es am Ende nicht einmal lange genug im gleichen Raum wie sie ausgehalten hatte, sondern förmlich vor ihr davon gelaufen war.
      Die junge Frau biss sich auf die Unterlippe, aber leider half auch dies nicht, um die Tränen zurück zu halten, sie sich den Weg in ihre Augen gesucht hatte.

      Sie wusste nicht, wie lange sie still auf dem Sofa gesessen und versucht hatte ihr Schluchzen zu unterdrücken. Doch irgendwann schaffte sie es nach der Gabel zu greifen und ein Stück des Pancakes aufzuspießen. Ihre Hände zitterten etwas, als sie den ersten Bissen in Richtung ihres Mundes schob. Eigentlich hatte Julia keinen Hunger. Aber es kam ihr falsch vor, das Essen zu verschmähen, dass ihr Freund so liebevoll für sie bereit gestellt hatte. Sie hatte ihm bereits so viele Sorgen gemacht, deshalb wollte sie nicht undankbar erscheinen.
      Und eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte ihr zu, dass sie essen musste, wenn sie Carson nicht noch mehr enttäuschen wollte.

      Eine halbe Stunde später stieg Julia die Treppe zum oberen Bereich des Hauses hinauf. Sie hatte gerade einmal ein Drittel ihres Frühstücks geschafft und trotzdem war ihr übel. Nachdem sie das restliche Essen vorsichtig mit Frischhaltefolie bedeckt und in den Kühlschrank gestellt hatte, hatte sie noch ihr Geschirr aufgeräumt. Sie hatte sich dabei absichtlich mehr Zeit gelassen, in der Hoffnung dass Carson nach hause kommen würde. Ein Teil von ihr hoffte immer noch, dass er sie wie immer fröhlich begrüßen würde und sich all die vergangenen Ereignisse als böser Traum herausstellten. Aber leider war dies nicht geschehen.
      Enttäuscht hatte Julia deshalb beschlossen eine Dusche zu nehmen, da sie nicht untätig herum sitzen wollte.

      Dort angekommen fiel ihr Blick jedoch zuerst auf den zerbrochenen Spiegel. Vorsichtig trat Julia vor das Waschbecken und betrachtete die Risse in der spiegelnden Oberfläche, die ihr Gesicht verzerrt erscheinen ließen. Und auf einmal stand sie nicht mehr in dem geräumigen Badezimmer des Appartements, sondern in einem kleinen Bad mit hellblauen Kacheln an den Wänden. "Siehst du, wozu du mich gebracht hast?" Die Stimme ihres Ex-Freundes hallte zornig und laut in ihren Ohren wieder. Julia kniff die Augen zusammen. Sie spürte das Blut, das an ihrer Wange hinunter lief, an dem eine der abgesplitterten Scherben sie getroffen hatte. "Es tut mir leid", ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. "Wie willst du das wieder gut machen? Sieh nur, was du angerichtet hast." Die vorwurfsvollen Worte waren alles, was sie als Antwort erhielt. Und Julia wusste genau, was als nächstes geschehen würde.

      Mit einem Keuchen riss die Blondine ihre Augen auf. Einen Moment lang war sie von dem hellen Licht der Lampe und den weißen Fliesen geblendet. Dann fühlte sie, dass ihre Magen sich krampfartig zusammenzog und schaffte es gerade noch bis zur Toilette, bevor ihr Frühstück wieder auf dem Weg ihren Magen verließ, über den es diesen auch betreten hatte.
      Einige Minuten lang kniete Julia still auf dem Boden und starrte in die Keramikschüssel hinab, ohne wirklich etwas zu sehen. Ihr Herz raste und das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal so elend gefühlt hatte. "Bitte hilf mir", ihre Worte waren so leise, dass Julia sie selbst kaum hören konnte. Aber Carson kam nicht. Julia war allein in dem Raum, der ihr auf einmal viel zu eng und stickig vorkam.
      Es vergingen ein paar weitere Minuten, bis Julia es schaffte wieder aufzustehen und die Spuren ihres Erbrochenen zu beseitigen. Sie wusch sich die Hände und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht, vermied es dabei jedoch in den Spiegel zu schauen. ihr Herzschlag wurde langsam wieder ruhiger, trotzdem wollte sie nicht länger im Badezimmer bleiben, als es notwendig war.
      Letztendlich duschte sie deshalb im Gästebad, in der Hoffnung die Erinnerungen und das schmutzige Schuldgefühl wegspühlen zu können. Es gelang ihr nur zum Teil.

      Als Julia endlich wieder ins Wohnzimmer zurück kehrte, war dieses immer noch verlassen. Besorgt sah die junge Frau sich um. Auf einmal stieg die Angst in ihr auf, dass Carson überhaupt nicht mehr zurück kommen würde. Aber gleichzeitig war ein Teil von ihr erleichtert darüber, dass er sie nicht in diesem Zustand sehen musste.
      Da sie nicht genau wusste, was sie tun sollte, machte es Julia letztendlich auf einer Bank im Garten gemütlich. Sie hatte sich ein Buch mitgenommen, auch wenn dieses eigentlich nur als Alibi diente und ungelesen neben ihr lag. Nachdenklich sah sie in den Himmel und genoss die kühle Luft, die dafür sorgte, dass das flaue Gefühl in ihrem Magen endlich nachließ.
    • Carson beobachtete Julia, während er in seinen Pancakes herumstocherte. Wann war das alles hier den Bach runter gegangen? Er wusste genau, wann es passiert war. Aber er konnte nichts mehr dagegen tun. Die Sache galt als geregelt. Das Urteil war gefällt, die Medien waren weitergezogen. Eigentlich sollte doch alles in Ordnung sein. Warum war es das nicht?!
      Mit einem entnervten Seufzen ließ Carson seine Gabel fallen und räumte sein halb gegessenes Frühstück weg. Dann bestellte er einen neuen Spiegel. Zähneknirschend betrachtete er seinen Laptop, der unscheinbar auf dem Couchtisch lag. Er rief geradezu nach Carson. Aber er war zu stur, um dem Drang nach Arbeit nachzugehen. Er würde den Spiegel selbst anbringen. Das war alles an Arbeit, was er sich zugestand.
      Wieder wanderte sein Blick hinaus in den Garten und rüber zu Julia. Wie schaffte sie das nur? Erst die Sache im Januar, jetzt Carsons Mist. Carson konnte weder mit dem einen, noch mit dem anderen umgehen. Was ihn nur weiter frustrierte.
      Er nutzte die Hummeln in seinem Hintern, um die Küche aufzuräumen, ehe er mit zwei Gläsern selbstgemachter Limonade raus zu Julia ging und sich neben sie auf die Bank setzte.
      "Kennst du das Buch schon auswendig oder wartest du auf die richtige Stimmung, um es zu lesen?", fragte er gezwungen entspannt.
    • Julia zuckte leicht zusammen, als sie plötzlich von Carsons Stimme aus ihren Gedanken gerissen wurde. Sie ließ das Buch sinken und sah zu ihrem Freund hinauf. Es erleichterte sie ungemein, dass er nun wieder vor ihr stand. Denn ein Teil von ihr hatte befürchtete, dass er nicht zurück kommen würde. Zwar war Carson kein Mensch, der einfach davon lief, aber so wie die Dinge im Moment waren, war es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis er nicht mehr an ihrer Seite sein wollte. Leider wusste Julia nicht, wie sie ihn davon abhalten könnte - oder ob sie überhaupt das Recht dazu hatte.

      Einen kurzen Moment lang dachte sie über seine Frage nach, während sie überlegte, ob diese als Angriff gegen sie gemeint war. Aber letztendlich schüttelte sie den Kopf. "Es gibt in manchen Büchern Stellen, die ich gerne mehrmals lese." Sie drehte sich auf der Liege herum, so dass sie Carson direkt ansehen konnte. Das Buch landete unbeachtet auf der freien Fläche neben ihr. "Aber um ehrlich zu sein", fuhr sie dann fort, da sie ahnte, dass Carson mit ihrer Antwort nicht zufrieden sein würde. "wollte ich nur den Kopf etwas frei bekommen und es kam mir dumm vor, im Wohnzimmer herum zu sitzen und auf dich zu warten." Sie zuckte ein wenig unsicher mit den Schultern. "Und ich dachte, dass du vielleicht ein wenig Zeit alleine möchtest." Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme am Ende des Satzes etwas höher wurde und diesen dadurch wie eine Frage klingen ließ.
      Erneut schwieg sie. Gerne hätte sie Carsons Hand ergriffen, um zu sehen wie es seiner Wunde ging. Zwar machte sein Verhalten ihr immer noch etwas Angst, doch die Sorge in ihr hatte inzwischen die Oberhand gewonnen. Doch letztendlich konnte sie sich doch nicht dazu durchringen. Denn sie wusste nicht, wie sie reagieren würde, wenn er dem Kontakt aus dem Weg ging.

      "Weißt du, ich habe nachgedacht." Das hatte sie tatsächlich. Nachdem sie sich in den Garten gesetzt und das flaue Gefühl in ihrem Magen endlich nachgelassen hatte, hatte Julia krampfhaft nach einer Möglichkeit gesucht, um Carson nicht völlig abzustoßen oder ihn erneut wütend zu machen. Und letztendlich war sie zu dem Schluss gekommen, dass die Sache nicht besser werden würde, so lange sie alleine in dem Haus herumsaßen. Es war offensichtlich, dass irgendetwas schief lief und es belastete die junge Frau sehr, dass sie ihrem Freund offensichtlich nicht helfen konnte.
      "Was hältst du davon, wenn wir deinen Urlaub nutzen, um Angelika und Chase zu besuchen? Ich würde die kleine Charlette gerne einmal wieder sehen und es wäre eine nette Abwechslung, oder?" Sie lächelte zu Carson hinauf und hoffte, dass sie ihn mit ihrer Idee nicht verärgert hatte. Aber wenn Carson nicht mit ihr über seine Probleme reden wollte, würde er es vielleicht mit seiner Familie tun.
    • "Das ist wohl eine bin diesen Bücherwurm-Sachen. Wenn ich mal ein Buch lese, dann kann ich es gar nicht nochmal lesen", meinte Carson.
      Er reichte Julia eines der Gläser und setzte sich dann neben sie.
      "Ich kenne die Geschichte. Sie nochmal zu hören ist dann irgendwie weniger reizvoll."
      Er zuckte mit den Schultern und nippte an seinem Glas. Es fühlte sich irgendwie falsch an, diese Normalität. Vielleicht weil Carson wusste,dass sie aufgesetzt war. Vielleicht weil er wusste, dass Julia sich genauso sehr dazu zwingen musste, wie er es tat.
      "Das ist eine hervorragende Idee", pflichtete Carson ihr bei.
      Chase zu besuchen und mit seiner Tochter rumzualbern wäre sicher eine wilkommene Abwechslung.
      "Wir müssen nur aufpassen, dass sie uns Charlette nicht in die Hand drücken und selbst in den Urlaub fahren."
      Er ging kurz rein, um sein Smartphone zu holen. Er hatte es bislang eisern im Schlafzimmer zurückgelassen, um nicht un Versuchung geführt zu werden, geschäftliche Mails zu beantworten.
      Chase brauchte einen Augenblick, um abzunehmen. Der Insektenschwarm in Carsons Darmtrakt ließ ihn vor Julias Sonnenliege auf und ab wandern. Als sein Cousin sich dann endlich meldete, hörte man die kleine Charlette dicht am Hörer vor sich hin brabbeln.
      "Was gibt's?", fragte Chase, dem man anhören konnte, dass er gern noch eine Hand hätte.
      "Nicht viel", antwortete Carson, "aber ich habe mir frei genommen und würde gern vor meinem Laptop davon rennen, der mich anfleht zu arbeiten und Julia meinte, wir könnten doch zu euch flüchten."
      "Dir ist schon klar, dass du auch wie ein normaler Mensch fragen könntest?"
      Aus dem Hintergrund erklang Angelikas Stimme, die fragte, wer dran sei. Chase antwortete ihr. Carson konnte sich die Szene genau vorstellen und schüttelte lächelnd den Kopf.
      "Ihr könnt morgen gern vorbeikommen. Wahlweise Charlette mitnehmen?"
      "Vergiss es. Ich liebe die Kleine, aber sie gehört dir."
      "Erwarte bloß nicht, dass ich dir so ein Angebot mache, wenn du selbst welche hast."
      "Wer sagt, dass ich meine hergeben würde?"
      "So unschuldig..."
      Beide Männer lachten kurz, dann fing Charlette an zu schreien.
      "Wir sehen uns dann morgen?", fragte Chase.
      "Bis morgen", verabschiedete sich Carson und lachte leise.
      Das Smartphone landete neben Juli auf der Liege.
      "Morgen, Kaffeetrinken, bei denen", informierte er sie, "und ich glaube, Charlette zahnt gerade. Klang nicht sehr fröhlich am Telefon."

      Den Rest des Tages verbrachte Carson dann damit, Juli zu beobachten, wie sie ihr Buch las, und dem verzweifelten Versuch, nicht einzuschlafen. Kostete ihn etwa acht Tassen Kaffee. Und als es dann am Abend hieß, sich ins Bett zu legen, machte es die vertraute Wärme der Bettdecke und seiner Freundin nicht gerade leichter, wach zu bleiben. Er war so müde...
      Zwei Stunden Frieden waren ihm in dieser Nacht vergönnt. Zwei Stunden, in denen er einfach nur bewusstlos in seinem Bett liegen konnte, nachdem er bis etwa zwei Uhr Morgens dagegen angekämpft hatte. Als er dann in der Dunkelheit seines Schlafzimmers die Augen aufschlug und keine gewalttätigen Bilder aus seiner Vergangenheit im Kopf hatte, was er sogar ein bisschen dankbar. Bis er auf die Uhr blickte und innerlich seufzte. Er blieb allerdings noch ein bisschen liegen. Nicht zuletzt deswegen, weil Julia halb auf ihm lag und er sie nicht wecken wollte. Sie machte sich sowie so schon zu viele Sorgen, gerade nach letzter Nacht.
      Um sechs dann schälte er sich aus dem Bett, sprang unter die Dusche, verarztete seine Hand. Er ließ Julia wie immer ausschlafen, während er Frühstück machte. Heute bekam er sogar etwas runter. Danach machte er sich an einen Einkaufszettel. Dummerweise hatte er keine Idee, was genau er kochen sollte.
      Irgendwie einigten sich Julia und er dann auf etwas. Da sie beide so gut wie alles aßen, war es weniger eine Frage des Findens, als mehr eine des Was wollten sie eigentlich. Wie auch schon am Vortag war ihr kleiner Einkauftrip entspannend und friedlich, als seien all die Probleme in ihrem gemeinsam Leben wie weggepustet. Es war schön, sich wieder auf die Anfänge ihrer Beziehung besinnen zu können. Warum schafften sie das nicht, wenn sie zu Hause waren?
      Am Nachmittag dann endlich brachen sie auf zu Carsons Cousin und seiner Familie. Der Geschäftsmann war sich nicht sicher, ob er hinter das Lenkrad gehörte. Schon seit ein paar Wochen fuhr er nicht mehr selbst. Zwar hatte er das vorher auch nur selten getan, aber normalerweise war immer er derjenige, der den Wagen fuhr, wenn sie privat unterwegs waren. Heute aber nicht. Er wollte nicht auch noch einen Unfall bauen, weil er hinter dem Lenkrad wegnickte. So hatte er wenigstens die Gelegenheit, Julianas Hand zu halten. Den ganzen Tag schon ließ er sie kaum los. Selbstverständlich nutzte er dabei nicht die einbandagierte. Nicht wegen etwaiger Schmerzen - er spürte die Schnittwunden kaum - sondern eher wegen den damit verknüpften Erinnerungen aus seinen Träumen. Er fühlte sich nicht wohl dabei, Julia diese Hand zu reichen.

      Chase hatte sich von seinem Vater ein nettes Häuschen aufschwatzen lassen, das so ziemlich dem amerikanischen Traum entsprach. Nur in größer und definitiv teurer. Dennoch blieb es schlicht im Verhältnis zu den sonstigen Immobilien der Familie und wirkte bis auf seine Größe und den perfekt getrimmten Garten schon richtig normal.
      Das Paar wurde von Chase begrüßt, der seine Tochter auf dem Arm und ein Spucktuch über der Schulter hängen hatte. Die kleine Charlette kaute auf ihrem Zeigefinger herum und sabberte wie ein hungriger Hund, dem man eine Packung Schinken vorenthielt. Immerhin schien sie besser drauf zu sein als gestern noch.
      "Hey ihr zwei. Schön euch zu sehen", grüßte der Anwalt.
      Angie nutzte ihre Freiheit, um erst Julia, dann Carson zu umarmen, ehe sie wieder durch das Babygitter in die Küche verschwand.
      Chase führte das Paar ins große Wohnzimmer, wo alle scharfen kannten mit Schaumstoff gesichert worden waren. Sie hatten aufgeräumt, aber Charlette hatte in der Zwischenzeit wieder gewütet und ihr Spielzeug quer über die Krabbeldecke geworfen, die zwischen Couch und Verandafenster lag. Chase setzte seine Tochter genau dort ab und drückte ihr einen Beißring in die Hand. Sie schien damit zufrieden zu sein und brabbelte vor sich hin, während sie nach einem anderen Spielzeug fischte.
      "Also", begann Chase, der ein wachsames Auge auf seine Kleine hatte, "Was führt euch her? Irgendwas sagt mir, dass es nicht nur daran liegt, dass Carson krampfhaft versucht, seinen Urlaub aufrecht zu erhalten."
      Verdammter Anwalt, dachte sich Carson. Ihm war natürlich nicht entgangen, dass Chase den verband bemerkt hatte. Er hatte nichts dazu gesagt, also ging Carson davon aus, dass sich sein Cousin denken konnte, was passiert war. Dass der sich immer noch daran erinnerte... es war schon Jahre her, seit das das letzte Mal passiert war. Aber Chase vergaß nur selten etwas, was mit der Familie zu tun hatte.

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    • "Ist es wirklich so schwer zu glauben, dass ich einfach mal meine Nichte sehen wollte?", gab Carson entspannt zurück und winkte der kleinen zu, die daraufhin zu lachen begann, obwohl sie noch immer den Beißrign im Mund hatte.
      Chase beobachtete sein Mädchen für einen Augenblick. Er wirkte müde, zeitgleich aber erfüllt von einer Freude, die man wohl nur als Vater empfinden konnte. Carson mochte diesen Ausdruck bei seinem Cousin. Chase war praktisch wie ein Bruder für ihn und es freute ihn, dass wenigsten einer sein Glück gefunden zu haben schien. Er beneidete ihn ein bisschen darum.
      "Ich nehm das jetzt einfach mal so hin", antwortete Chase schließlich.
      Jedes weitere verhör wurde von seiner Ehefrau unterbrochen, die mit einem kleinen Tablett ins Wohnzimmer kam, auf dem drei Tassen Kaffee und eine Tasse Tee standen. Angie stellte es auf dem Couchtisch ab und setzte sich lächelnd neben Julia.
      Die kleine Gruppe verfiel in ein entspanntes Gespräch über alles und jeden und jedesmal, wenn die Jungs in Richtung Arbeit abdrifteten, griff Angie wie gewohnt durch und ermahnte sie dazu, den Mund zu halten. Man merkte deutlich, dass sie darin bereits Erfahrung hatte.
      Schließlich wurde die kleine Charlette ein bisschen quängelich und ihre Eltern beschlossen, dass es Zeit für ein Nickerchen war. Angie schwatzte Chase einen Spaziergang auf und er solle doch bitte Carson mitnehmen, solange sie nicht über die Arbeit sprachen. Die Jungs versprachen es und machten sich mit der kleinen auf die Socken. Kaum fiel die Tür ins Schloss, wandte sich Angie Julia zu.
      "Also. Was ist los bei euch? Und versuche ja nicht, es zu leugnen, ich sehe doch, dass er dich kaum noch anfasst. Und dass obwohl er normalerweise nicht die Finger von dir lassen kann. Du hast etwa eine Stunde, um dich über alles auszulassen."

      Carson überließ seinem Cousin die Führung. Der kannte die besten Spazierstrecken hier in der Gegend. Er war sich ehrlich gesagt auch gar nicht bewusst, wo sie eigentlich lang gingen. Sein Hirn schaltete auf Autopilot, bis Chase ihm den Ellenbogen gegen die Seite drückte.
      "Was ist los? Es kann doch nicht immer noch dein Vater sein, oder?", fragte er ruhig.
      Chase war der einzige, der sich traute, dieses Thema anzusprechen. Er war aber auch der Einzige, der herausgefunden hatte, wie man mit Carson darüber reden musste.
      "Nein. Doch. Ich weiß nicht."
      Carson ließ den Blick schweifen. Der Verband um seine Hand wurde ihm gerade viel zu sehr bewusst.
      "Dann fang am besten von vorne an. Wir gehen nicht zurück, bis ich nicht voll im Bilde bin."
      und so erzählte Carson ihm schließlich von seinen Alpträumen und von allem, was in ihm rumorte seit Julia wieder da war. Er erzählte ihm von seiner Angst, so zu werden wie sein Vater und Julia weh zu tun. Er erzählte ihm davon, wie er beinahe eine Panikattacke bekommen hatte, als Julia ihm erzählt hatte, dass sie wieder arbeiten gehen wollte. Das eigentliche Problem dabei war, dass er nicht da sein und auf sie aufpassen konnte, nicht dass sie wieder arbeiten ging und mit anderen Menschen in Kontakt kam.
      "Ich sperre sie in einen goldenen Käfig. Das will ich aber gar nicht! Und sie lässt es einfach passieren."
      "Natürlich lässt sie es passieren. Du weißt genauso gut wie ich, aus welchen Verhältnissen sie kommt. Und ob du das hören willst oder nicht, sie hat Angst vor dir. Gewaltausbrüche, dein wachsender Kontrollzwang. Sie will dich nicht verlieren und die einzige Methode, die sie kennt, um eine solche Situation zu überstehen, ist zu schweigen und stets Ja zu sagen. Weiß sie von deinen Alpträumen? Ich rede vom Inhalt, nicht von ihrer Existenz."
      Carson knrischte vor Frust mit den Zähnen. Chase hatte Recht und das wussten sie beide. Aber mehr als alles andere war Carson wütend auf sich selbst. Dafür, dass er das zuließ. Dafür, dass er es nicht selbst erkannt hatte.
      "Nein. Ich hab's ihr nicht erzählt, weil ich ihr nicht noch mehr Angst einflößen wollte."
      Was als nächstes geschah, überraschte Carson: Chase lachte. Er lachte und schüttelte den Kopf.
      "Ich hab dein Problem gefunden: Kommunikation. Du kannst einen Deal für Firmen aushandeln, wie kein zweiter. Aber wenn es darum geht, deine Sorgen mit anderen zu teilen, dann bist du aufgeschmissener als ein Kleinkind. Charlette kann sich besser ausdrücken als du! Himmel, Carson, sag es ihr! Es sind Alpträume! Sobald du ihr erklärst, was du träumst, wird sie vielleicht auch verstehen, warum du dich so von ihr fernhälst. Deine Träume erklären dein gesamtes Verhalten und dein Verhalten scheint die Ursache des Problems zu sein."
      "Du hättest Polizist werden sollen, Chase."
      "Da verdient man nicht genug. Dad hätte mich sofort enterbt."
      "Hätte er nicht. Dafür liebt er dich zu sehr."
      "Du lenkst vom Thema ab. Ihr zwei sprecht euch aus. Heute noch. Verstanden?"
      Carson nickte. Er war nicht besonders begeistert von dieser Aussicht. Denn nur weil Chase ihm aufgeschlüsselt hatte, was das Problem war und wie man es eventuell lösen konnte, hieß das noch lange nicht, dass er das auch so sah. Zwar stimmte er Chase darin zu, dass Julia und er reden mussten, aber es graute ihm davor, ihr zu erzählen, was er so träumte. In seinem Kopf würde sie schreiend vor ihm davonlaufen, wenn sie es erfuhr. Sie würde ihn für ein noch schlimmeres Monster halten als ihren Ex. Und Carson wusste nicht, was er ohne Julia tun sollte. Während der Zeit, die sie bei diesen Psychopathen hatte verbringen müssen, wäre er beinahe umgekommen vor Sorge. Was würde dann erst passieren, wenn er wusste, dass er der Grund dafür war, dass sie nicht zusammensein konnten? Wenn sie sich von ihm fernhielt, weil sie Angst vor ihm hatte? Das würde er nicht überleben. Das konnte er gar nicht.
      "Versprich es mir", riss Chase ihn aus seinen Gedanken, "Denn wenn du es nicht tust, dann prophezeihe ich dir das Ende eurer Beziehung noch vor Ende des Jahres."
      Carson versprach es seinem Cousin. Chase wusste, wie man Carson dazu bringen konnte, etwas zu tun. Der Geschäftsmann hasste es, Versprechen nicht erfüllen zu können. Also würde er es tun. Er würde sich heute mit Juliana hinsetzen und ihr von dem Sturm in seinem Kopf erzählen und beten, dass sie nicht in Panik geriet. Allein der Gedanke daran zerriss ihm die Brust.
    • Julia sah aus dem Wohnzimmerfenster. Einen Moment lang folgte ihr Blick den beiden Männern, die nebeneinander die Straße hinunter gingen und schließlich aus ihrem Blickfeld verschwanden. Sie hasste sich selbst dafür, dass es sie einen kurzen Augenblick lang erleichterte, dass Carson nicht mehr neben ihr auf dem Sofa saß. Aber auch jetzt blieb ihr keine Zeit, um durchzuatmen und ihre Sorgen für einige Minuten lang zu verdrängen.
      Die Stille, die zwischen ihr und Angie herrschte, schien mit jeder Sekunde lauter zu werden. Julia wusste, dass sie auf die Frage der anderen Frau antworten musste, allerdings würde sie diesmal nicht mit einer ihrer Ausreden davon kommen. "Ich muss mich nicht über ihn auslassen", sagte sie, während sie sich zu der anderen umdrehte. Angie hob leicht die Augenbrauen, auch ihr war offensichtlich aufgefallen, dass Julia versuchte dem Thema auszuweichen. "Du kannst es nennen wie du willst", gab sie zurück und lächelte ein wenig. Doch der Blick in ihren Augen blieb forschend und ernst. "Irgendetwas ist zwischen dir und Carson los und ich denke, du solltest darüber reden, bevor es dich von innen auffrisst." Julia dachte einen Moment lang über die Worte der Frau nach. Angie und sie waren sich nicht so nah, als dass sie diese als eine enge Freundin bezeichnen würde. Deshalb war es ihr auch unangenehm, als sie erfahren hatte, dass Chase ihr von Julias Vergangenheit erzählt hatte. Vermutlich hätte sie damit rechnen müssen, dass er mit seiner Ehefrau über alles sprach. Trotzdem fühlte Julia sich bei dem Gedanken unwohl.
      Kurz überlegte sie, ob Angie ihr überhaupt zuhören, oder sie sofort als das hilflose, traumatisierte Mädchen abstempeln würde - so wie es schon viele vor ihr getan hatten. Aber dann fiel ihr ein, dass dies im Grunde unwichtig war. Angie hatte sie bereits durchschaut und es sah nicht so aus, als würde sie das Thema einfach wieder fallen lassen. Und vermutlich nutzte ihr Ehemann die Gelegenheit, um Carson einem ähnlichen Verhör zu unterziehen. Erneut wanderte ihr Blick zum Fenster, während sie überlegte, was Carson Chase wohl gerade erzählte.

      Der Gedanke, dass Carson sich gerade bei seinem Cousin darüber beschwerte, wie schwierig sein Zusammenleben mit Julia geworden war, sorgte dafür, dass sich ein unangenehmer Knoten in ihrer Brust bildete. Einen Moment lang schloss sie die Augen und versuchte alle Befürchtungen zu verdrängen, die gerade in ihr aufsteigen wollten. Es gelang ihr jedoch nicht besonders gut.
      "Julia?" Angies Stimme klang zögerlich und erst jetzt erinnerte Juliana sich wieder daran, dass sie nicht alleine war. Sie schenkte der Frau ein verlegenes Lächeln. "Entschuldige, ich weiß auch nicht, was heute mit mir los ist." Erneut konnte sie in Angies Augen sehen, dass diese ihr nicht glaubte. Mit einem leisen Seufzen trat Julia vom Fenster zurück und setzte sich stattdessen wieder auf die Couch. Sie fühlte sich dadurch zwar nicht besser, aber es sorgte zumindest dafür, dass sie nicht mehr ständig nach draußen sehen und über das Gespräch der beiden Männer nachdenken musste.

      "Ich denke, Carson möchte sich von mir trennen, hat aber zu viel Mitleit mit mir, um es laut auszusprechen." Es war nicht das erste Mal, dass Julia diesen Gedanken hatte. Normalerweise kämpfte sie mit den Tränen, wenn sie auch nur begann über dieses Thema nachzudenken. Aber nun, als sie die Worte laut aussprach, fühlte ihr Körper sich seltsam taub an.
      Ihr gegenüber ließ Angie sich in einen Sessel fallen. Ihre Augen weiteten sich ungläubig und sie öffnete den Mund, um zu widersprechen. Aber Julia schüttelte nur den Kopf. "Es ist genau so, wie du gesagt hast. Er fasst mich nicht an, er weicht mir aus, manchmal glaube ich, dass er nicht einmal im gleichen Raum wie ich sein möchte." Erneut seufzte sie, während sie versuchte den unangenehmen Knoten, der sich in ihrer Brust gebildet hatte, zu ignorieren. "Er hat sich in den letzten Monaten aufgeopfert, um mir zu helfen. Aber ich bin nicht mehr die Frau, in die er sich verliebt hat und egal wie sehr ich es versuche, ich kann es auch nicht mehr werden." Sie faltete die Hände auf ihrem Schoß zusammen, als diese leicht zu zittern begannen. Sie hasste ihren Körper dafür, wie schwach er war. "Manchmal denke ich, dass es ihm besser gehen würde, wenn ich nicht mehr bei ihm wäre. Aber ich will ihn nicht verlieren... ich kann das nicht. Inzwischen weiß ich nicht mehr, was ich tun soll."
      Etwas weißes wurde in Julias Blickwinkel geschoben. Die junge Frau blinzelte verwundert, es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, dass Angie ihr ein Taschentuch entgegen streckte. Und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie weinte. Erschrocken nahm sie das Taschentuch entgegen und trocknete vorsichtig ihre Augen, immer darauf bedacht ihre Wimperntusche nicht zu verschmieren. "Du darfst Carson nicht sagen, dass ich geweint habe. Er wird sich nur Sorgen machen und denken, dass es seine Schuld ist." Sie atmete ein paar Mal tief durch, um sich wieder zu sammeln und den Tränenfluss zu stoppen. Es war ihr peinlich, dass sie vor Angie in Tränen ausgebrochen war, ohne es zu bemerken.

      Die andere Frau musterte sie einen Moment lang schweigend. "Hast du ihm gesagt, wie du dich fühlst?", fragte sie schließlich, wartete aber nicht auf eine Antwort. "Oder hast du es überhaupt irgendjemandem gesagt? Ich bin froh, dass du mir genug vertraust, um darüber zu reden. Aber du hast hast die ganze Zeit nicht einmal erwähnt, wie es dir geht." Julia zog leicht die Mundwinkel nach unten. Auch wenn sie es nicht gerne zugab, so hatte Angie doch einen Nerv getroffen. Weil sie Carson nicht zu last fallen und ihn nicht abschrecken wollte, hatte sie all ihre Gefühle in sich eingeschlossen. Und sie hatte Angst vor dem was passieren würde, wenn sie sich öffnete und sie alle auf einmal zum Vorschein kamen.
      "Ich will ihn einfach nicht verlieren", gab sie ein wenig kleinlaut zurück. Angie lächelte, aber es wirkte traurig. "Wenn du immer nur versuchst es ihm recht zu machen, anstatt mit ihm zu reden, wirst du das irgendwann." Man konnte ihr ansehen, dass sie diese Worte nicht gern aussprach. "Carson war noch nie gut darin über seine Gefühle zu reden. Aber ihr könnt nicht vor euren Probleme davon laufen. Davon werden sie nur noch größer." Unbewusst nickte Julia. Der vernünftige Teil von ihr wusste bereits, dass sie mit Carson über das Thema reden musste. Aber da sie sich sicher war, dass er sich dann von ihr trennen würde, hatte sie dies bisher vor sich her geschoben.

      Einen Moment lang herrschte stille zwischen den beiden Frauen, bevor Angie verlegen auflachte. "Ich klinge vermutlich wie eine dieser Autorinnen, die Selbsthilfe-Artikel in Frauenzeitschriften schreiben", sagte sie, in einem Versuch die Stimmung wieder aufzulockern. "Aber ich meine es wirklich ernst, Julia. Ihr beide liegt mir sehr am Herzen und ich bin mir sicher, dass alles wieder in Ordnung kommt, wenn ihr erst einmal ehrlich mit einander seid." Erneut nickte Julia und steckte das zusammengeknüllte Taschentuch in ihre Hosentasche. "Du hast Recht. Vielen Dank, dass du dir mein Gejammer angehört hast", sie lächelte ein wenig. "Ich werde versuchen mit ihm zu reden..." Sie hielt inne und seufzte leise. "Nein, ich werde mit ihm reden. Und selbst, wenn wir uns trennen, hoffe ich, dass wir trotzdem noch Freundinnen bleiben können, Angie."
    • Charlette war irgendwann auf ihrem Spaziergang eingeschlafen. Es kam relativ überraschend für die beiden Männer, obwohl ihr Gebrabbel und das gelegentliche Rasseln ihrer Spielzeuge schon vor einer Weile verstummt war. Sie traten den Heimweg an und parkten den kleinen Wonneproppen einfach im Garten, anstatt sie mit Ausziehen und ins Bett bringen aufzuwecken. Carson zog sich der Magen zusammen, als er Julia sah. Konnte er wirklich den Mut aufbringen, es ihr zu sagen? Was wenn sie ihn danach fürchtete? Wenn sie weg wollte, könnte er das verstehen. Aber es würde ihn zerstören.
      Die vier unterhielten sich noch eine kleine Weile über alles Mögliche, hauptsächlich triviale Sachen und besprachen, wann sie wohl alle mal wieder an einen Tisch kriegen würden, ohne das eine der berüchtigten Davis Familienfeiern anstand. Wahrscheinlich gar nicht, was Chloe doch außer Landes beschäftigt und der nächste Geburtstag nicht fern, auch wenn es nur der von Carsons Mutter war.
      Die Zeit verging viel zu schnell, auch als Charlette es sich nicht nehmen ließ, nach ihrem Mittagsschläfchen auf Charsons Hand herumzukauen. Kaum zu glauben wie schwarz frische Milchzähnchen sein konnten. Irgendwann krabbelte das kleine Mädchen dann davon und es war Zeit, nach Hause zu gehen, wenn Carson noch ordentlich kochen wollte. Ein Restaurantbesuch kam nicht in Frage, er hatte wenig Lust, das alles in der Öffentlichkeit zu besprechen.
      Beim Gehen warf Chase ihm noch einmal einen stechenden Blick zu, um ihn an sein Versprechen zu erinnern. Die ganze Fahrt zurück in ihr kleines Stadthaus kaute Carson auf seiner Zunge herum. Wie sollte er ihr erklären, was in ihm vorging? Er verstand es ja nicht einmal selbst so wirklich.
      Zuhause, die Tür war kaum ins Schloss gefallen, zog er Julia fest in seine Arme. Keine Worte, kein Kontext, er drückte sie einfach nur an sich. Er wollte sie noch einmal spüren, bevor er es vielleicht nie wieder konnte.
      Er küsste sie sanft auf die Stirn, lächelte leicht.
      "Ich geh dann mal Abendessen machen", sagte er und ging in die Küche.
      Der heutige Nachmittag mit seinen Verwandten hatte ihm mehr aufgezeigt, als nur sein Kommunikationsproblem. So viel mehr.
      In der Küche schaffte er es irgendwie, all die Ängste und Sorgen das kommende Gespräch betreffend, aus seinem Kopf zu verbannen und sich auf die Arbeit seiner Händ ezu konzentrieren. Er war schon immer gut darin gewesen, alles in Arbeit zu vergraben. Doch irgendwann war er fertig, früher als ihm lieb war. Er drapierte ihre vegetarische Pasta halbwegs ansehnlich auf den Tellern und servierte sie auf dem Esstisch. Hinter Julias Stuhl stehend zögerte er kurz.
      "Wir müssen reden", sagte er schließlich ernst und setzte sich.
      Er hatte eigentlich überhaupt keinen Hunger, da konnte die Pasta noch so gut riechen. Er verschränkte seine Finger ineinander und lehnte seine Stirn dagegen, unschlüssig, wie er anfangen sollte. Er würde jetzt lieber in einem Budget Meeting sitzen, als das hier zu tun.
      "Ich habe wohl ein paar Sachen zu erklären", sagte er schließlich und hob den Kopf, "Ich weiß nur nicht genau, wo ich anfangen soll."
      Er seufzte, versuchte seine Gedanken zu sortieren.
      "Ich... schlafe nicht besonders gut", die Worte fühlten sich wie zähflüssiger Beton an, "Der Grund dafür... Ich habe diese Träume..."
      Er schüttelte den Kopf, knirschte mit den Zähnen. Komm schon, Carson! Reiß das Pflaster einfach ab!
      "Erinnerst du dich noch daran, was ich dir über meinen Vater erzählt habe? Mein Leben lang habe ich schon Alpträume von diesem Tag, aber seit...", er konnte es nicht aussprechen, wollte Julia nicht daran erinnern.
      Wollte sich nicht daran erinnern.
      "Seit du wieder da bist", sagte er stattdessen nach kurzem Zögern, "Hat sich der Traum verändert."
      Er schluckte schwer, seine Kehle glich der Sahara im Sommer.
      "Ich... es ist nicht mehr mein Vater, den ich diesem Traum verletze."
      Ihm war hieß, so unendlich heiß. Die Luft war viel zu dünn, er hatte das Gefühl zu ersticken.
      "Alles an mir ist von meinem Vater. Ich sehe aus wie er, ich klinge wie er, ich... bin wütend wie er. Und ich habe Angst... ich habe Angst, dass ich so werde wie er."
      Er hob den Blick. Er musste einfach sehen, wie Julia darauf reagierte. War ihr bewusst, was er da sagte?
      "Deswegen... Ich will dich nicht in einen goldenen Käfig sperren, Julia. Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du... dass ich nicht da bin, um es zu verhindern. Zeitgleich habe traue ich mich aber auch nicht in deine Nähe, weil ich... weil ich dir nicht wehtun will."
      Sein Blick senkte sich auf den Verband um seine Fingerknöchel. In seinem Kopf hatte sich selbst dieses Bild verändert: Es war Julias Gesicht, das er schlug, nicht sein Vater, der ihn im Spiegel angrinste. Er verbannte diesen Gedanken aus seinem Kopf und sah wieder zu Julia, zur echten Julia.
      "Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr, als ich jemals erwartet habe, jemanden zu lieben. Aber ich... diese Angst... ich..."
      Ohne, dass es ihm bewusst war, rann ihm eine Träne über die Wange, als er begann, um Worte zu ringen.
    • Julia fürchtete sich vor dem Moment, in dem sie nach hause zurück kehrten und die Tür sich hinter ihnen schloss. Zwar hatte sie sich fest vorgenommen, dass sie mit Carson reden würde, aber als sie nun wieder alleine mit ihm war, wollte ein Teil von ihr lieber davon laufen, als sich der Tatsache zu stellen, dass er sich von ihr trennen würde. Denn in Julias Augen gab es keinen anderen Ausgang für dieses Gespräch. Carson hatte sie lange genug ertragen und sie hatte seine Gutmütigkeit lange genug ausgenutzt.
      Sie war gerade dabei in ihrem Kopf nach einer richtigen Formulierung zu suchen, mit der sie das Gespräch beginnen könnte, als Carson sie in seine Arme zog. Und auf einmal war die Welt still. Es gab nur noch Carsons warmen Körper, seinen sanften Atem, der über ihren Kopf strich und sein Geruch, den sie so unglaublich anziehen fand. Einen Moment lang gab es nur sie beide und die Welt schien wieder in Ordnung zu sein.
      Doch leider endete dieser Augenblick viel zu schnell wieder. "Ich geh dann mal Abendessen machen", hörte sie Carson sagen und nickte automatisch. Während ihr Freund in Richtung der Küche verschwand, blieb Julia allein im Eingangsbereich stehen, der sich auf einmal um einiges kälter anfühlte als zuvor. Sie seufzte leise und schloss kurz die Augen, als ihr bewusst wurde, dass Carson sie vielleicht gerade zum letzten Mal in seinen Armen gehalten hatte.

      Eigentlich hatte Julia keinen Hunger, als sie sich wenig später an den Esstisch setzte. Trotzdem bemühte sie sich um ein Lächeln, da sie nicht undankbar sein wollte. Doch dieses verschwand sofort wieder, als Carson die Wort aussprach, vor denen sie sich schon seit Wochen fürchtete. "Wir müssen reden." Einen Moment lang schienen die Worte vor Julia in der Luft zu schweben und sie fühlte, dass sich ihr Herz schmerzhaft zusammen zog. Nun war er also gekommen... der Moment in dem Carson sich von ihr trennen würde. Sie versuchte sich innerlich für seine nächsten Worte zu wappnen, das gelang ihr jedoch nicht besonders gut. Ihr Burstkorb fühlte sich auf einmal unangenehm eng an und die junge Frau musste sich daran erinnern zu atmen, währen sie still auf ihrem Platz saß und Carson betrachtete. Auch ihm fiel dieses Gespräch nicht leicht zu fallen, aber am Ende war er mutiger als Julia und begann zu erzählen.

      Julia wusste nicht genau, wie lange sie ihm schweigend gegenüber gesessen und seiner Erklärung zugehört hatte. Sie wagte nicht ihn zu unterbrechen, auch wenn bei jedem seiner Worte ihr Herz ein Stück mehr zerbrach. Als er schließlich aufhörte zu sprechen, wollte sie am liebsten aufspringen und ihn in ihre Arme schließen, doch ihr Körper wollte sich nicht bewegen. Denn sie wusste nicht, ob sie überhaupt noch das Recht dazu hatte. Sie machte sich Vorwürfe, da sie in all den Monaten nicht gemerkt hatte, wie schlecht es ihrem Partner ging. Aber das Schlimmste war, dass sie für all das verantwortlich war. Da die Alpträume erst schlimmer geworden waren, seit sie von den Entführern befreit worden war, bestand für Julia kein Zweifel darin, dass sie irgendetwas falsch gemacht hatte. Sie hätte härter an sich arbeiten müssen, anstatt sich so sehr auf ihn zu verlassen. Sie hätte sich besser um ihn kümmern müssen, anstatt nur an sich selbst zu denken. Sie hätte... aber nun war es zu spät.
      Die Erkenntnis traf Julia wie ein Schlag ins Gesicht. Kurz schloss sie die Augen, da sie den Anblick von Carsons tränenüberströmten Gesicht nicht ertragen konnte. "Es...", sie schloss den Mund wieder, bevor sie den Satz zu Ende sprechen wollte. Es tat ihr ehrlich leid, was sie ihm angetan hatte und ihr ganzer Körper wollte das auch aussprechen. Doch sie hatte diese Worte in den letzten Wochen so oft gesagt, dass sie für ihn vermutlich schon lange an Glaubwürdigkeit verloren hatten.

      "Ich liebe dich auch, mehr als alles andere", sagte sie nach einer Pause, die ihr wie eine kleine Ewigkeit vorkam. Es war ein einfacher Anfang, da dieses Gefühl in ihr am stärksten war und sie es am leichtesten aussprechen konnte. Sie liebte Carson und das würde sie wohl immer tun. "Aber das allein reicht nicht aus, nicht wahr?" Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie sich fest vornahm nicht zu weinen. Sie wollte nicht, dass Carson ihr vergab, nur weil er Mitleid mit ihr hatte. Sie wollte ihn nicht mit ihren Tränen erweichen, sondern dass er ihr zuhörte und dann selbst entschied, ob er mit so einer Person noch zusammen sein wollte.
      "Ich weiß, dass du nicht gut schläfst und es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen konnte. Dass ich zu sehr auf mich selbst fixiert war, um zu merken, wie schlecht es dir geht." Sie machte einen frustrierten Laut, als ihr bewusst wurde, dass sie nicht einmal einen Satz herausbringen konnte, ohne ihren eigenen Vorsatz einzuhalten. "Ich kann nichts anderes, als mich zu entschuldigen."
      Einen Moment lang betrachtete sie Carson und fühlte einmal mehr, wie ihr Herz brach. Dieser wundervolle Mann hatte etwas besseres verdient, aber sie war zu schwach, um ihn gegen zu lassen. Sie atmete einmal tief durch, um die Tränen zurück zu halten, die sich erneut den Weg in ihre Augen bahnen wollten. "Auch wenn du mir vielleicht nicht glaubst; Ich habe keine Angst vor dir und ich glaube nicht, dass du mir wehtun würdest." Sie sah ihn fest an und betete, dass er ihr glauben würde. "Nach der Sache mit dem Spiegel habe ich mich an etwas von früher erinnert.... es war nicht schön." Innerlich schlug sie sich selbst vor die Stirn, als sie ihre ungeschickt formulierten Worte hörte. Sie war wirklich nicht gut in sowas. "Damals hatte ich wirklich Angst, aber nicht vor dir. Die Wahrheit ist, dass du die erste Person warst, die mir in den Sinn kam, als ich um Hilfe rufen wollte. Weil ich weiß, dass du mir niemals schaden würdest. Ich wünschte, ich könnte dir besser zeigen, wie viel du mir bedeutest, aber vor allen Dingen wünschte ich, dass ich dir helfen kann. So sehr, wie du mir geholfen hast."
      Sie spürte, dass etwas feuchtes an ihrem Kinn hinunter tropfte und verfluchte sich selbst dafür, dass sie letztendlich doch zu weinen begonnen hatte, ohne es zu bemerken. "Carson, ich liebe dich so sehr, aber ich weiß nicht, ob ich noch das Recht dazu habe, wenn es dich so sehr verletzt. Wie viel ist meine Liebe schon wert, wenn du dadurch zerbrichst."
    • Womit hatte er nur jemanden wie Julia verdient? Sie machte sich für all das verantwortlich, was in seinem Kopf nicht richtig war. Zu Unrecht, wie Carson wusste. Aber er hatte keine Ahnung, wie er ihr das verständlich machen konnte.
      Ihre Worte waren seltsam zu Beginn. Es reichte nicht aus, dass sie ihn liebte? Was meinte sie damit?
      Er ergriff ihre Hand, hielt sie zwischen seinen, küsste ihre Knöchel, suchte ihren Blick. Konnte sie denn nicht sehen, dass es ihn zerbrechen würde, wenn er sie nicht mehr hätte? Dass allein der Gedanke daran, ihn zu zerreißen drohte?
      "Julia...", er ergriff ihre Wange, strich die Tränen mit dem Daumen weg.
      "Natürlich hast du das Recht dazu", sagte er, "Du verletzt mich nicht. Du... das könntest du gar nicht."
      Er rutschte von seinem Stuhl, sank vor ihr auf die Knie, wollte ihr so nahe wie möglich sein und in diesem Augenblick ließ er es auch zu. Sein Vater war vergessen.
      "Ich liebe dich. Und ich würde alles geben, alles, damit du auch weiterhin bei mir bleibst. Ich... ich brauche dich. Als du weg warst... ich konnte nicht schlafen, nicht essen, nicht atmen..."
      Wieder drückte er einen Kuss auf ihre Hand. Er konnte es nicht ertragen, sie so leiden zu sehen.
      "Wenn du nicht da bis, fehlt ein Teil von mir. Ein großer. Ein wichtiger. Ich zerbreche nicht wegen deiner Liebe. Ich zerbreche, wenn ich auch nur eine Sekunde ohne sie sein muss."
    • Julia sah still zu Carson hinab, während sie versuchte ruhig zu atmen und ihre Tränen zurück zu halten. Dies war wirklich nicht der richtige Moment, um zu weinen. Stattdessen sollte sie sich wie eine erwachsene benehmen und sachlich über die Probleme zwischen ihnen reden. Aber wie konnte sie das, wenn bei jedem von Carsons Worten ihr Herz ein Stück mehr zerbrach?
      Sie verstand nicht, wieso ihr Partner sich sehen konnte, dass sie die Schuld an der ganzen Situation trug. Immerhin hatten alle ihre Probleme erst begonnen, als ein Verrückter sie entführt hatte. Julia presste die Lippen zusammen, während sie den Selbsthass herunterschluckte, den sie bei diesem Gedanken in sich aufsteigen spürte. Das war etwas, womit sie sich später beschäftigen würde. Im Moment zählte nur der Mann zu ihren Füßen.

      "Carson..." Julia ließ sich vom Stuhl gleiten, damit sie vor ihrem Freund auf dem Boden sitzen konnte. Es kam ihr falsch vor zu ihm hinunter schauen zu müssen. "Ich liebe dich und ich werde dich immer lieben. Ganz egal was passiert." Sie hob ihre freie Hand und strich ihm sanft über die Wange. "Ich weiß nicht, wie ich dir das beweisen kann. Aber ich werde einen Weg finden, damit du keine Angst mehr davor haben musst, dass du mich verlieren könntest." Einen Moment lang sah sie still in seine blauen Augen und hoffte, dass er ihr ansehen konnte, wie ernst sie ihre Worte meinte. Ein Teil von ihr hatte immer noch Angst, allerdings fürchtete sie sich nicht vor Carson, sondern vor einer Welt, in der er nicht mehr an ihrer Seite war.
    • Carson schlang die Arme um Julia - seine Julia - als könne allein sie ihn vor dem Ertrinken retten. Denn genau das drohte zu passieren: Das Chaos in seinem Kopf wallte auf wie ein Tsunami, wollte ihn in dunkle Tiefen hinabreißen, an die er lieber nicht dachte.
      Er wusste nicht, wie lange sie so verharrten. Ihm war egal, dass sein Fuß einschlief oder sein Gesicht ganz klebrig von den getrockneten Tränen wurde. Alles, was er spürte, alles, was er brauchte, hielt er in seinen Armen. Zukunft, Vergangenheit, in diesem Augenblick spielten sie keine Rolle. Nur Julia war wichtig. Doch irgendwann zerplatzte jede Blase, die außerhalb der zeit existierte.
      Langsam hob er den Kopf von ihrer Schulter, betrachtete ihr perfektes Gesicht für einen Augenblick. Jetzt war es raus, er hatte ihr erzählt, wovor er sich fürchtete und für den Augenblick war es gut. Er zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln.
      "Ich glaube, unser Abendessen ist jetzt kalt", durchbrach er die Stille.
      Seine Kehle war ganz trocken und kratzig, wie er jetzt bemerkte.

      Glücklicherweise ließ sich Pasta leicht wieder aufwärmen, ohne großartig an Geschmack zu verlieren, besonders, wenn sie frisch war.
      Nach dem Abendessen bot er Julia ein Eis an, dafür hatten sie es ja extra gekauft, und Carson verlangte es nach etwas Zucker.
      Er wusste nicht, wohin sie ihr Weg noch führen würde, aber er war sich sicher, dass sie ihn zusammen gehen würden. Seine Gedanken kehrten zu dem Ring zurück, den Julia ihm hatte schenken wollen. Er hatte sich nicht einmal die Frage gestellt, ob sie ihm vielleicht mehr als nur diesen Ring hatte geben wollen. Es hatte keine Rolle gespielt. Aber als er das Schmuckstück jetzt vor seinem geistigen Auge sah, während er mit der Frau, die ihm alles bedeutete, in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer saß und sich eine schmalzige RomCom ansah, da drängte sich ihm ein einzelner Gedanke auf. Sie hatten ihre Probleme, jeder für sich und auch gemeinsam. Aber machten Ecken und Kanten das Leben nicht interessanter?

      Am Abend bot Carson an, im Gästezimmer zu schlafen, sollte Julia das wollen. Er konnte ihr nicht garantieren, dass er nicht wieder... Er wollte nicht daran denken. Er wollte, dass sich Julia sicher fühlte, dass sie sicher war, mehr nicht.
      Sie ließ ihn nicht gehen, also schlüpfte er mit ihr unter die Decke. Er wusste nicht ganz, was er jetzt tun sollte. Ein kleiner Teil von ihm hatte sich gewünscht, dass Julia ihn aus dem gemeinsamen Schlafzimmer verbannte. Aber sowas würde sie nie tun. Nicht seine großherzige Julia. Statt also zu verschwinden lag er da, in ihrem Bett, ratlos. Der große Carson Davis, geschlagen von seiner eigenen brutalen Vorstellungskraft. Wenn das die Medien wüssten...
      Er ließ er zu, dass Julia sich an ihn schmiegte, legte ihr sogar einen Arm um die Schultern. Doch es verschaffte ihm nicht gebug Ruhe, um sich zu entspannen. Er konnte das Damoklesschwert förmlich sehen, wie es da über ihm schwebte und nur darauf wartete, dass er die Augen schloss. Was unweigerlich passierte, etwa gegen ein Uhr morgens. Und zu Carsons Überraschung träumte er nicht. Der Wecker zeigte sechs, halb sieben, dann acht und noch immer Carson ruhig da, die Augen geschlossen, das Haar verwuschelt vom Kissen. Er schlief seelenruhig, tief und fest wie ein Baby.











      @Enija

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    • Julia lehnte ihren Kopf gegen Carsons und erwiderte die Umarmung. Der Mann drückte sie so eng an sich, dass sie glaubte seinen Herzschlag spüren zu können. Aber vielleicht war es auch nur ihr eigener. Sie schloss die Augen und genoss die friedliche Stille, die im Moment zwischen ihnen herrschte. Auf einmal schienen alle Konflikte und Ängste verschwunden zu sein.
      Ein kleiner Teil von Julia erinnerte sich daran, dass sie diese friedlichen Augenblicke auch schon mit ihrem Ex-Freund geteilt hatte. Vor allem nach einem ihrer 'Streits', wenn sein schlechtes Gewissen ihn plagte, hatte er sie oft in seinen Arme gehalten und ihr versichert, dass nun alles wieder besser werden würde. So lange sie nur bei ihm blieb, da er sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen konnte. Und Julia hatte ihm jedes Mal geglaubt und jedes Mal hatten seine Worte sich am Ende als leere Versprechen herausgestellt...
      Eigentlich sollte es Julia Angst machen, wie identisch sich Carson gerade verhielt - eigentlich sollte es sie misstrauisch machen. Denn sie sollte inzwischen wissen, dass das Leben kein Märchen war, in dem am Ende alles gut wurde, nur weil der Prinz dies Aschenputtel versprach.
      Doch leider war Julias Herz stärker als ihr Verstand. Und so blendete sie alle Warnungen, die ihr Gehirn ihr zuflüsterte, aus und ließ sich von Carsons sanften Worten einwickeln, wie von einer weichen Decke.

      Der Rest des Abends verlief beinahe so, wie er es zu Beginn ihrer Beziehung gewesen war. Sie aßen Carsons vorzügliches Essen und räumten gemeinsam die Küche auf. Als sie später gemeinsam auf der Couch saßen und Julia die Hand ihres Freundes hielt, war sie zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder wirklich glücklich. In der Vergangenheit hatte sie gelernt, dass sie schöne Momente genießen musste, weil diese meist nicht von langer dauer waren. Deshalb war sie auch nicht bereit Carson im Gästezimmer schlafen zu lassen. Sie wusste zwar nicht, was der nächste Tag bringen würde, aber in diesem Moment liebte er sie und sie wollte diese Zeit so gut wie möglich auskosten.
      Es fiel ihr nicht leicht einzuschlafen, da sie befürchtete, dass sich am Ende alles nur als ein Traum herausstellen könnte. Aber die Wärme von dem Körper neben ihr und Carsons gleichmäßige Atmen sorgten dafür, dass sie letztendlich doch in einen traumlosen Schlaf fiel.
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