[2er RPG] Burning Desire

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    • Julia wusste nicht, wieso der Entführer sie auf einmal in Ruhe ließ. Es erleichterte sie ein wenig, auch wenn es hunderte von Orten gab, an denen sie lieber gewesen wäre. Obwohl sie sich nun eine Zelle mit Brian teilte, schlief sie nur schlecht. Ein Teil von ihr wartete auf den nächsten Zug des Entführer und auch die Gespräche mit dem anderen Mann lenkten sie nur kurzfristig von der grausamen Realität ab, in der sie sich befanden.
      Trotzdem dauerte es eine Woche bis wieder einmal Betäubungsgas in die Zelle geleitet wurde. Julias erster Impuls war es, sich an Brian festzuhalten, aber schnell wurde ihr klar, dass auch er sie nicht beschützen konnte. Deshalb ergab sie sich still in ihr Schicksal.
      Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, doch obwohl sie wieder in der Zelle aufwachte, fühlte sich etwas anders an. Ihr Gesicht war feucht, so als hätte jemand es abgewaschen und sie lag auch nicht mehr an der Stelle, an der sie bewusstlos geworden war. Sie verstand nicht, was geschehen war und auch Brian war keine Hilfe. Wie bei vielen ihrer anderen Gespräch riet er ihr, nicht weiter über die Taten des verrückten Entführers nachzudenken, da sie sowieso keinen Sinn machten und genau wie sonst auch, wollte er ihr wieder einmal nicht sagen, war der Mann mit ihm gemacht hatte. Es war frustrierend, doch Julia konnte ihn nicht zu einer Antwort zwingen.

      Julia hatte schon lange ihr Zeitgefühl verloren und deshalb wusste sie auch nicht, wie lange es dauerte, bis der Entführer sich zum nächsten Mal bemerkbar machte. Sie hatte inzwischen angefangen mit einem Fingernagel ein Muster in die schwarze Farbe an der Wand zu kratzen. Es war keine sehr aufregende Tätigkeit, aber immerhin lenkte es sie ab.
      Sie war gerade dabei einen schnörkel zu zeichnen, der in einem Unendlichkeissymbol endete, als es auf einmal außerhalb der Zelle laut wurde. Laute Stimmen und das Geräusch von lauten Schritten war zu hören. Julia war Brian einen alarmierten Blick zu, der jedoch ebenso erschrocken aussah wie sie selbst. Ein Teil von ihr hoffte, dass der Alptraum nun endlich ein Ende finden würde, doch die vergangenen Wochen hatten sie auch gelehrt, immer mit dem schlimmsten zu rechnen. Wer wusste schon, dass der Psychopat als nächstes geplant hatte. Deshalb wich sie auch ängstlich zurück, als die Stimmen laute wurden und schließlich mit einem lauten Krachen die Tür geöffnet wurde.
      Es dauerte einige Sekunden, bis Julia verstand, dass die uniformierten Männer ihr nicht schaden würden und sie nicht mehr den Drang verspürte sich vor ihnen verstecken zu wollen. Und dann sah sie Carson. Mit einem Mal war alles andere vergessen. Sie nahm die anderen Menschen im Raum nicht mehr wahr und achtete auch nicht mehr darauf, was diese mit Brian machten. Alles was zählte war, dass Carson hier war.

      Eilig lief sie auf ihn zu, so schnell ihre schwachen Beine es zuließen. Dabei hoffte sie inständig, dass er kein Hirngespinst war, denn sie würde es nicht überstehen ihn noch einmal zu verlieren. Aber dann fühlte sie seinen warmen Körper und seine starken Arme, die sich um sie schlossen. Sie schlang die Arme um ihn und griff mit den Fingern in den Stoff seiner Kleidung, als könnte sie ihn so festhalten. Es gab vieles was sie ihm gerne gesagt hätte, aber sie brachte nur ein kleinlautes "Carson..." heraus, bevor die Erleichterung ihre Knie weich werden ließ und sie ohnmächtig wurde.


      Als Julia das nächste Mal die Augen öffnete, lag sie wieder auf einer Matratze, allerdings war diese um einiges weicher und wohlriechender als der dreckige Futon, auf dem sie die letzten Wochen verbracht hatte. Sie blinzelte einmal, um sich an das Licht zu gewöhnen, das viel freundlicher und wärmer zu sein schien. Nur langsam realisierte sie, dass sie nicht mehr in der kleinen Zelle war. Es war kein Traum gewesen...
      Sie setzte sich auf - was ihr Kopf ihr etwas übel nahm - und sah sich um. Wie ein staunendes Kind betrachtete sie die Sonnenstrahlen, die durch die Fenster in den Raum fielen. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, seit sie das Tageslicht gesehen hatte. Und dann fiel ihr Blick auf den Mann, der neben ihrem Bett saß. "Carson.", sagte sie sanft und hob vorsichtig die Hand, um ihm über die Wange zu streichen. "Bitte nicht weinen. Es tut mir leid." Es war ein wundervolles Gefühl seine weiche Haut unter ihren Fingern zu spüren, aber gleichzeitig brach es ihr das Herz ihn weinen zu sehen. Ohne dass sie es bemerkte füllten auch ihre Augen sich mit Tränen. "Ich wusste, dass du kommen würdest. Vielen Dank."
    • Carson lachte, schniefte und wischte sich mit dem Handballen die Tränen aus den Augen.
      "Du entschuldigst dich dafür, von einem verrückten entführt worden zu sein?", fragte er und lächelte, "Dir geht's also gut."
      Er drückte einen sanften Kuss auf Julias Hand, dann schwieg er für einen Augenblick.
      "Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte", gestand er und starrte wieder aus dem Fenster, "Die letzten vier Wochen waren für dich sicherlich die Hölle. Ich konnte nicht aufhören, an dich zu denken. Alle haben gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass du noch lebst, verschwindend gering sei, als nach zwei Wochen immer noch nichts kam und wir nichts gefunden hatten. Aber ich konnte nicht einfach aufhören, nach dir zu suchen. Wenn ich das getan hätte, dann hätte ich akzeptieren müssen, dass du weg bist."
      Wieder lächelte er und küsste Julias Hand.
      "Aber du warst nicht weg. Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, dass ich hätte aufhören können... Wir hätten dich nie gefunden."
      Weitere Tränen stahlen sich über Carsons Gesicht. Man konnte den Tornado an Emotionen hinter seinen Augen erkennen. Freude, Trauer, Wut, Frustration... alles mischte sich in einem gigantischen metaphorischen Mixer zusammen. Carson wusste nicht, was er empfand. Er wusste nur, dass ihn dieser Sturm fortreißen würde, wenn er Julias Hand nicht hielte.
      "Aber du bist hier. Ich habe dich gefunden. Dir geht es gut."
      Er hatte bereits Pläne, wie er für Julias Sicherheit sorgen würde. Während sie hier saßen, brachte eine kleine Armee an Personal ein Haus in Ordnung, das weit ab jeder Zivilisation auf sie wartete. Dort würden sie bleiben, um sich von dem Schrecken der letzten vier Wochen zu erholen, während Austin und seine Leute sämtliche Mitarbeiter des Davis Tower checkten und sein alter Freund John ein komplett neues Sicherheitssystem installierte, das außerhalb von Davis Industries gesteuert wurde. Carson handelte nun frei nach der Devise: Jeder weiß nur das, was er zum funktionieren braucht; Niemand kennt das ganze Bild. Auf diese Weise würden sie hoffentlich sicher sein. Und wenn Julia nicht mehr in das Penthouse zurück wollte - was jeder nachvollziehen könnte - dann hatte Carson auch dafür schon Dinge in der Hinterhand. Und wenn Julia nichts davon gefiel, dann hatten sie ja immer noch seinen Onkel Charles, der sicherlich Spaß daran haben würde, für sie beide ein neues Zuhause zu finden.
      Aber all das spielte im Augenblick keine Rolle. Hier und jetzt war nur wichtig, dass sie wieder zusammen waren. Alles andere würden sie später regeln.
    • "Vier Wochen", wiederholte Julia langsam. In der dunklen Zelle war die Zeit irgendwann zu einem zähen Klumpen geworden. Es war ihr manchmal wie eine Unendlichkeit vorgekommen, aber sie hatte sich eingeredet, dass es ihr nur so lang vorkam, weil sie nichts zu tun hatte. Und natürlich wusste sie nicht, wie lange sie jedes Mal betäubt gewesen war...
      Unbewusst schloss Julia ihre Hand ein wenig fester um die von Carson. Er war ihr Rettungsseil und erinnerte sie daran, dass sie nun in Sicherheit war.

      "Ich hatte schreckliche Angst.", gab sie nach einer kurzen Pause zu. "Ich wusste nicht, wo ich war oder warum man mich eingesperrt hatte... ich wusste nicht, was er vorhatte..." , auf einmal fiel ihr das Sprechen schwer, da ihre Stimme zu zittern begann. Tränen lösten sich aus ihren Augen und fielen lautlos auf ihr Krankenhausnachthemd. "Aber ich war mir sicher, dass du nach mir suchen würdest. Egal wie schlimm alles war, hat es mich immer getröstet zu wissen, dass du irgendwo dort draußen bist. Und irgendwann würdest du kommen und mich retten." Sie lächelte ein wenig, schaffte es aber nicht ihren Tränenfluss zu stoppen.
      "Ich liebe dich. Und es tut mir schrecklich leid, dass du wegen mir so gelitten hast." Es fühlte sich gut an, diese Worte endlich laut aussprechen zu können.

      Erneut verging einige Zeit, in der Julia Carson still ansah und seine Hand hielt. Es war so erleichternd ihn endlich wieder bei sich zu haben, obwohl ein winziger Teil von ihr immer noch befürchtete, dass er sich jeden Moment in Luft auflösen könnte. Deshalb weigerte sie sich auch, ihn loszulassen.
      "In der Zelle war außer mit noch jemand anderes eingesperrt. Weißt du, was mit ihm passiert ist? Geht es ihm gut?", fragte die Blondine und hatte auf einmal ein schlechtes Gewissen, da sie Brian völlig vergessen hatte. Sie war sich sicher, dass man ihn auch aus dem Keller befreit hatte, trotzdem hoffte sie, dass es ihm gut ging und er auch jemanden hatte, der sich um ihn kümmerte.
    • Carsons Miene verfinserte sich, als Julia nach dem anderen Mann in der Zelle fragte. Er ließ ihre Hand los und stand auf, tigerte vor ihrem Bett auf und ab, die Hände zu Fäusten geballt. Er musste sich zusammenreißen, um den Sturm in seinem Inneren nicht nach außen zu tragen.
      "Dieser Mann", begann er so gefasst wie möglich, "sein Name ist Brian Evans und er sitzt gerade in Haft wegen Entführung und Erpressung."
      Carson atmete tief durch, dann setzte er sich wieder neben Julias Bett und ergriff ihre Hand. Allein diese Sekunden nur ein paar Meter von ihr entfernt waren zu viel für ohn gewesen.
      "Er ist der Bruder des Mannes, der dich entführt hat. Er hat ihm geholfen, dich hinters Licht geführt. Schauspieler von Beruf, aber kein besonders bekannter."
      Carson konnte erkennen, dass er Julias Welt gerade zerstörte. Was auch immer da unten passiert war, dieser Brian war dafür verantwortlich, dass Carson jetzt seiner Julia wehtun musste. Dafür würde er bezahlen.
    • Mit jedem von Carsons Worten wurden Julias Augen ein wenig größer. Die Erkenntnis, dass sie in den letzten Wochen so sehr belogen worden war, schmerzte mehr, als es sollte. Immerhin war es nur eines von vielen Dingen, die sie nie wieder erleben wollte. Trotzdem fühlte die junge Frau sich betrogen. Aber gleichzeitig spürte sie auch Scham in sich aufsteigen. Wieso war sie nur so blind gewesen? Sie erinnerte sich daran, wie sehr sie Brian bemitleidet und überlegt hatte, wie sie ihm helfen könnte. Und er hatte hinter ihrem Rücken vermutlich über ihre Naivität gelacht.
      In den letzten Tagen war er ihr einziger Verbündeter gewesen, die Person, die verhinderte dass sie verrückt wurde. Deshalb schmerzte es umso mehr, dass gerade er sie hinters Licht geführt hatte. Auf einmal machte es auch Sinn, wieso er ihr immer nur so vage geantwortet hatte. Er hatte sie niemals schützen wollen, sondern vermutlich sogar Spaß daran gehabt sie noch weiter zu ängstigen.

      "Ich bin so ein Idiot.", sagte Julia leise, während sie versuchte herauszufinden, ob sie mehr wütend oder enttäuscht war. Sie entschied sich für letzteres. Doch sie war nicht enttäuscht von Brian, sondern von sich selbst. "Ich merke nicht, wenn mich jemand anlügt und ich merke nicht einmal, wenn jemand in unsere Wohnung einbricht... das ist so erbärmlich." Erneut löste sich ein Schwall von Tränen aus ihren Augen. Sie war unendlich dankbar dafür, dass Carson schließlich wieder ihre Hand ergriff und sie daran erinnerte, dass sie nicht völlig alleine war. "Das alles hätte nicht passieren müssen, wenn ich nicht so unaufmerksam gewesen wäre, nicht wahr?" Carson hatte zwar gesagt, dass sie nichts für die Entführung konnte, aber auf einmal fiel es ihr schwer das zu glauben. Es klang wie eine weitere Lüge, durch die sie sich besser fühlen sollte.
    • "Nein, nein, nein, nein, nein. Du bist an nichts von dem Schuld. Hörst du? Dieser Paul hatte Monate zur Vorbereitung und hat sich in das Sicherheitssystem gehackt, sodass er ohne Zugangsdaten rein konnte. Das ist nicht dein Fehler. Wenn überhaupt, dann ist es Austin's Fehler und der kann genauso wenig etwas dafür, dass ein Verrückter mit MIT-Abschluss sich in den Kopf gesetzt hat, etwas richtig Dummes zu tun."
      Carson's Griff um Julia's Hand verstärkte sich. Er wollte, dass Julia begriff, was er da sagte und aufhörte, sich selbst die Schuld zu geben. Am liebsten würde er diese Gedanken einfach aus ihrem Kopf reißen und verbrennen.
      "Ich lasse das gesamte System überarbeiten und jeden aus der IT-Abteilung durchleuchten", sagte er, "Damit sowas nicht noch einmal passiert. Natürlich nur, wenn du überhaupt noch im Penthouse wohnen willst. Wir können uns auch was anderes suchen, wenn dir das lieber ist."
    • Einen Moment lang sah Julia Carson still an, doch sie konnte in seinen Augen nichts außer Aufrichtigkeit erkennen. "Ich habe dich so sehr vermisst.", hörte sie sich sagen, noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte. Einige Sekunden lang betrachtete sie den Mann, der sie gerettet hatte, und es kam ihr so vor, als würde sie ihn zum ersten Mal ansehen. Sein Gesicht wirkte müde, doch für Julia war er trotzdem noch unglaublich attraktiv. Und sie wollte mit niemand anderem zusammen sein. "Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast." Ein liebevolles Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie drückte Carsons Hand ein wenig.
      "Vermutlich ist das kindisch, aber ich glaube, dass ich in den nächsten Tagen recht anhänglich sein werde. Du musst mir sagen, wenn es dir zu viel wird. Okay?" Es war der jungen Frau etwas peinlich das zuzugeben, aber allein der Gedanke daran, dass Carson das Zimmer verlassen und vielleicht nie wieder zurück kommen würde, war schrecklich beängstigend für sie. Der logische Teil von ihr wusste, dass diese Sorge unbegründet und sie nun in Sicherheit war. Aber nach den letzten Wochen war in Julias geschundener Psyche nicht mehr viel Platz für Vernunft.
    • "Machst du Witze? Ich hatte nicht vor, dir von der Seite zu weichen", entgegnete Carson und versuchte sich an einem Lächeln.
      Er würde den Teufel tun und Julias Seite verlassen. Pinkelpausen waren drin, aber da würde es dann auch schon aufhören.
      "Rutsch rüber, dieser Plastikstuhl wird langsam ungemütlich", meinte er nach einer kleinen Weile und quetschte sich neben Julia ins Bett. Sofort legte er einen Arm um sie und zog sie an sich. Und er würde hier nicht weggehen, selbst wenn das den Untergang der Welt nach sich zog.
      "Sobald die Ärzte dich rauslassen und wir den ganzen Quatsch mit der Polizei hinter uns haben, verschwinden wir von hier. Ich habe ein kleines Landhaus in Maine, weit weg von allem, was sich Zivilisation schimpft. Nur du und ich und vier Hektar Wald. Wir lassen das alles hinter uns. Wir können entspannen. Diesen ganzen Mist vergessen."
    • Julia machte nur zu gerne Platz, damit Carson sich neben sie setzen konnte. Je näher sie ihm war, desto sicherer fühlte sie sich. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und legte einen Arm über seine Taille. Unter normalen Umständen hätte sie ihn gefragt, ob es nicht zu unbequem für ihn war. Aber gerade war sie nicht bereit irgendetwas an ihrer Lage zu ändern, weshalb sie sich diese Frage sparrte.

      Einige Minuten lang genoss sie Carsons Wärme, bis ihr Blick auf einmal auf den Nachttisch fiel, der neben dem Krankenhausbett stand. Ihre Augen weiteten sich, als sie das kleine, dunkelblaue Kästchen erkannte. Sofort stiegen Bilder von dem längst vergangenen Abend in ihr auf. Vor ihrem inneren Auge sah sie das blaue Kleid, dass sie an Carsons Geburtstag anziehen wollte, sie erinnerte sich an die Nachricht, die sie ihm auf dem Handy geschickt hatte und an den süßlichen Geruch, als auf einmal jemand hinter ihr....
      Julia kniff die Augen zusammen und zwang sich, diese Gedanken zu verdrängen. Trotzdem griffen ihre Finger in den Stoff von Carsons Hemd, als könnte er sie in der Realität halten. "Du hast mein Geschenk gefunden.", stellte sie leise fest. Auch wenn sie den Ring extra für Carson ausgesucht hatte, wünschte sich sich gerade, dass er nicht existieren würde. Sie sollte wohl Dana fragen, ob man ihn irgendwie wieder verkaufen konnte.
      "Ich war bis zuletzt nicht sicher, ob es das richtige Geschenk ist und dann habe ich ewig lange überlegt, was ich sagen soll, wenn ich ihn dir gebe. Ich habe mir eingeredet, dass ich es besonders gut machen will, aber in Wahrheit habe ich das ganze nur vor mir hergeschoben. Und dann konnte ich ihn dir gar nicht mehr geben." Ein leises Schluchzen verließ ihre Lippen, obwohl sie sich sehr anstrengte, konnte sie die Tränen nicht mehr zurück halten. "Ich wollte an deinem Geburtstag etwas besonderes für dich machen und dann passiert sowas... es tut mir leid."
    • Carson streckte sich nach dem kleinen Kästchen und fischte es vom Tisch. Kurz musterte er es. Dieses kleine Ding hatte ihn immer wieder daran erinnert, dass er Julia finden musste. Er reichte es seiner Liebsten.
      "Ich habe dieses kleine Ding ständig bei mir getragen. Ich habe mir immer wieder gesagt, dass du mir das noch schenken musst."
      Mit dem Daumen wischte er Julia eine Träne von der Wange. Es brach ihm das Herz sie so zu sehen. Sie sollte nicht weinen müssen. Sie sollte sich sicher fühlen. Aber er hatte versagt. Sein bisher so sicheres System hatte versagt.
      "Ich habe dir einen schönen Abend versprochen, bevor ich ins Büro gegangen bin. Ich finde, wir sollten das bei Gelegenheit nachholen. Irgendwann. Vielleicht weißt du dann auch, was du sagen willst."
      Sanft küsste er Julia auf die Schläfe.
      "Aber jetzt solltest du dich ausruhen. Ich bleibe hier. Versprochen. Ich lass dich nicht los."
    • Julia betrachtete das Kästchen einem Moment lang nachdenklich. In ihren Augen hatte es an seiner Schönheit verloren, beinahe so als hätten die Ereignisse es beschmutzt. "Eigentlich hast du etwas besseres verdient... und jetzt ist es auch keine Überraschung mehr.", sagte sie leise, während sie das Kästchen zwischen den Fingern hin und her drehte. Aber dann stellte sie fest, dass Carson Recht hatte. Er hatte es verdient, dass er sein Geschenk bekam und dass sie sich besonders viel Mühe gab. "Wir könnten wirklich den Abend nachholen. So wie er hätte sein sollen. Als wäre das alles gar nicht passiert..." Sie kuschelte sich etwas enger an Carson. Der Gedanke gefiel ihr.

      "Du siehst auch so aus, als könntest du etwas Schlaf gebrauchen.", antwortete sie auf Carsons Vorschlag und lächelte. Sie strich ihm liebevoll über die Wange, bevor sie sich etwas aufrichtete, um ihn zu küssen.
    • "Mach dir um mich keine Sorgen. Mir geht's gut, jetzt wo du wieder da bist", entgegnete Carson, nahm den Kuss aber liebend gern an.
      Wie sehr er das vermisst hatte. Das Gefühl ihrer Lippen auf seinen, ihre Wärme, ihr Geschmack. Er zog Julia enger an sich. Nein, er würde sie nie wieder loslassen. Niemand würde dieser wunderschönen Kreatur je wieder ein Leid zufügen. Carson würde eine ganze Armee anheuern, wenn es sein musste.

      Auch in dieser Nacht fand Carson nur wenig Schlaf. Er hatte Angst, dass das alles nur ein Traum war und sobald er die Augen schloss, würde Julia wieder verschwinden. Aber er fand Ruhe darin, ihr beim Schlafen zuzusehen, wie er es immer tat. Ihre ruhige Atmung entspannte ihn.
      Am nächsten Morgen wurde Julia noch einmal von einer Ärztin durchgecheckt. Carson sollte draußen warten, warum auch immer und sobald die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, tigerte er vor dem Raum auf und ab, bis sie sich wieder öffnete. Er schloss Julia sofort in seine Arme, sobald er die Gelegenheit dazu hatte. Während der polizeilichen Vernehmung durfte er nur anwesend sein, weil er per Du mit dem Polizeichef der Stadt war und weil er versprochen hatte, kein Wort zu sagen. Das schaffte er auch, aber die Wut in seinem Inneren wuchs beinahe jede Minute, die Julia rekapitulierte; insbesondere, wenn sie Brian erwähnte. Carson hätte nie gedacht, dass er jemanden mehr hassen konnte als Cooper, aber die Evans Brüder hatten tatsächlich noch einen draufgelegt.

      Als sie dann endlich gehen durften, warteten nicht nur ihrer beider Bodyguards in der Tiefgarage des Polizeigebäudes auf sie. Sie waren insgesamt mit drei Fahrzeugen unterwegs, eins vor ihnen und eins hinter ihnen, während sie sich auf den Weg nach Maine machten. Das hatte weniger mit einer sicheren Escorte im Stil des Präsidenten zu tun, als mehr damit, dass Carson auch in Maine auf Sicherheitspersonal bestanden hatte, dem er trauen konnte. Also hatte Austin seine besten Männer und Frauen zusammengesammelt und sie in zwei weitere SUVs gesteckt, die sie jetzt quer durch das Land fliegen würden.
      Die Escorte stoppte am Flughafen, wo sie in einen Privatjet von Carson stiegen. Die Sicherheitsleute mussten mit der Buisnessclass in einem normalen Flugzeug vorlieb nehmen; nicht dass das schlecht war. Es gab genug Leute, die ihre Sicherheitsmannschaft in die Economy verbannten.

      In Maine angekommen ging es dann wirklich weit raus in die Pampa. Carson hatte nicht gelogen, als er sagte, es sei weit ab jeglicher Zivilisation. Sie erreichten ein großes Grundstück, größer als das von Onkel Charles. Vom gusseisernen Tor aus waren es immer noch zwanzig Minuten mit dem Auto über eine Kiespiste, bis sie das große Landhaus erreichten.
      "Jeder hier wurde gecheckt. Minimale Besetzung. Wir sind hier ganz unter uns", erklärte Carson, "Der nächste Nachbar ist John. Du erinnerst dich? Der Sicherheitsfirma-Typ. Und der wohnt zwei Stunden entfernt auf der anderen Seite dieses Waldes."
      Für seine Julia wollte er nur das Beste und dieses Landhaus hatte ihm selbst schon immer durch schwere Phasen geholfen. Einfach mal abschalten war zwar noch nie Carsons Ding gewesen, aber hier hatte er seinen Fokus zurückerlangt. Hier hatte man alles, was man so als reicher Sack brauchte.
      "Wir können so lange bleiben, wie du möchtest. Ich kann deine Eltern einfliegen lassen. Ich kann deine Freunde holen. Was immer du willst, ich sorge dafür, dass du es bekommst. Versprochen."
    • Die nächsten Tage waren für Julia nicht sehr angenehm. Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt und doch schien sich alles nur um sie zu drehen. Sie wurden von Ärzten untersucht und bekam unangenehme Fragen gestellt, bevor sie auf die Polizeistation gebracht wurde, wo sie all ihre Erlebnisse noch einmal schildern und sich somit an die schreckliche Zeit in der dunklen Zelle erinnern musste. Ihr einziger Lichtblick war Carson, der nicht von ihrer Seite wich und dadurch zu ihrem Rettungsring wurde. Bei ihm fühlte sie sich sicher und konnte die Kraft aufbringen, um über die Dinge zu sprechen, die ihr in den letzten Wochen passiert waren.
      Brians Betrug verletzte sie noch immer und die Tatsache, dass sie nun noch einmal berichten musste, wie er sich ihr gegenüber verhalten hatte - und zugeben musste, wie schnell sie ihm geglaubt hatte - machte alles noch schlimmer.

      Doch nach dem sie all diese ungemütlichen Termine hinter sich gebracht hatte, erwartete Julia ein weiteres Highlight. Ihre Eltern waren auf die Polizeistation gekommen, nachdem man sie darüber informiert hatte, dass ihre Tochter wieder aufgetaucht war. Es tat gut die beiden in die Arme zu schließen, auch wenn Julia ein schlechtes Gewissen, als sie die Tränen in den Augen ihrer Mutter sah. Denn es erinnerte sie daran, wie sehr ihre Eltern sich um sie Sorgten und sie sich vermutlich genau so gefühlt hatten, als Julia zum ersten Mal aus ihrem Leben verschwunden war.
      Aber bei einem gemeinsamen Essen schafften Carson und Julia es, die beiden zu beruhigen. Julia bewunderte Carson ein wenig dafür, wie schnell er sich wieder im Griff hatte und mit seiner charmanten Art ihre Eltern um seinen Finger wickelte. Als sie sich am späten Nachmittag von ihnen verabschiedeten, waren beide wieder beruhigt, auch wenn Julia ihnen versprechen musste sich mindestens einmal die Woche bei ihnen zu melden. Ein Versprechen, dass Julia ihnen nur zu gerne gab.

      Es war ungewohnt für Julia, dass sie auf einmal eine private Eskorte zu haben schien, als wäre sie ein wichtiger Politiker. Aber sie beschwerte sich nicht, da sie spürte, dass Carson und sie gerade diese Sicherheit brauchten. Dana war so umsichtig gewesen und hatte einige von Julias Sachen aus dem Penthaus zusammen gepackt, damit Julia dieses nicht betreten musste. Die Blondine war überrascht gewesen, als Carons Assistentin sie bei ihrem Treffen am Flughafen kurz in den Arm nahm. Aber auch sie war froh ein weiteres, bekanntes Gesicht wiederzusehen.


      Auch wenn das Haus in Maine weitab von jeglicher Zivilisation lag, konnte man ihm immer noch ansehen, dass viel Geld hinein investiert worden war. Inzwischen sollte Julia an den Lebensstil ihres reichen Freundes gewöhnt sein, doch nach den letzten Wochen war es trotzdem ein kleiner Kulturschock. Einen Moment lang sah sie sich um, bevor sie lächelte. "Ich mag es hier. Es sieht wirklich so aus, als wären wir ganz alleine auf der Welt. Und mehr brauche ich nicht. So lange wir zusammen sind, ist alles gut." Sie schenkte ihrem Freund einen liebevollen Blick und verkniff sich den Zusatz, dass ihr besonders die vielen Fenster in dem Haus gefielen. In den letzen Wochen hatte sie das Sonnenlicht sehr zu schätzen gelernt.
    • Carson hatte mit voller Absicht das größte, ihm zur Verfügung stehende Grundstück gewählt. Nachdem er gesehen hatte, wo Julia die letzten vier Wochen verbracht hatte, wollte er ihr unbedingt so viel natürliches Licht und Platz wie möglich geben. In seinem Kopf erschien das einfach logisch. Genauso wie es logisch erschien, eine Psychologin kommen zu lassen. Nur wusste Carson nicht, wie er dieses Thema anschneiden sollte. Wenn es um psychologische Traumata ging, dann war er noch nie der Beste im Umgang damit gewesen. Für den Augenblick wollte er nichts mehr, als dass sich Julia wohlfühlte und entspannen konnte.
      "Freut mich, dass es dir gefällt. Wir können hier so lange bleiben, wie du willst", erklärte er, während er Julia durch den ordentlichen Vorgarten des Hauses führte. Den Wald hatte man auf angenehme Entfernung zurückgedrängt, sodass man sich nicht von der Natur eingeengt fühlte und das Sonnenlicht auch tatsächlich eine Chance hatte, das Haus zu treffen, anstatt einfach nur von Baumkronen abgefangen zu werden.
      Das ganze Haus war in einem modernistischen - und vor allem westlichen - pseudo-japanischen Stil gehalten. Zwei Stockwerke, große Fenster, dunkle Brauntöne, um das Gebäude an seinen Standort anzupassen. Innen wirkte es größer als von außen, dank der Fenster. Überraschenderweise waren es aber gar nicht so viele Räume. Im Erdgeschoss gab es ein kleines Büro, das große Wohnzimmer mit Fensterfront nach hinten, eine Küche und ein Esszimmer. Im ersten Stockwerk lagen dann das großzügige Schlafzimmer mit begehbarem Kleiderschrank und Badezimmer, sowie ein zweites Wohnzimmer, das weniger formell wirkte. Hier hing man eher in Jogginghosen rum, während man unten Gäste mit einem Kaffee empfing.
      Im Garten war eine kleine Teichanlage gebaut worden, die zeitgleich auch ein natürlicher Pool war. Man hatte einen kleinen Hügel errichtet, um für einen natürlichen Wasserlauf sorgen zu können. Gespeißt wurde das ganze aus der grundstückseigenen Quelle, die ganz in der Nähe lag. Natürlicher ging es nicht. Auf dem Hügel sprudelte das Wasser unter einer Buddahstatue hervor in einen kleineren Teich, in dem sich Kois ihres Zen-Lebens erfreuten. Von dort aus folgte das Wasser einen flachen Wasserfall hinab in ein künstlich angelegtes Bächlein, über das eine typisch japanische Brücke führte, ehe es in den großen Teich mündete, in dem man eine Runde schwimmen oder einfach am Rand rumsitzen konnte. Auf der anderen Seite der Brücke war unter einem japanischen Pavillon ein Zen-Garten angelegt worden. Allgemein wirkte der gesamte Garten eher wie ein japanischer Garten. Leider würden die drei großen Kirschbäume erst in etwa zwei Monaten blühen.
      "Fühl dich wie zu Hause", sagte Carson, zog Julia an der Hand etwas enger zu sich und küsste sie auf die Schläfe.
      Im Inneren des Hauses war es unglaublich ruhig. Vom Personal schien jede Spur zu fehlen, bis aus der Küche eine Frau trat. Sie war mittleren Alters, ihre Dreadlocks zu einem ordentlichen Dutt zusammengedreht, ihre Haut so dunkel wie die Nacht. Ihr Lächeln allerdings war so breit, dass es den ganzen Raum erstrahlte.
      "Guten Tag, Mr. Carson", sagte sie mit deutlichem, aber nicht unangenehmem Akzent, "Und hallo Ms. Julia."
      Sie schüttelte beiden die Hände, die sie sich zuvor an ihrer Kochschürze abgewischt hatte.
      "Julia, dass ist Luela, die beste Köchin der Ostküste. Zumindest konnte ich keine bessere finden und das will was heißen."
      Das Lächeln der Frau wurde noch breiter bei dem Kompliment. Von ihr würden die beiden während sie hier waren wohl am meisten zu sehen bekommen, da Carson sie für Frühstück, Mittag- und Abendessen, sowie Nachmittagstee (aka Karamell-Küchlein) hatte kommen lassen, damit er sich voll und ganz seiner Liebsten widmen konnte. Er hatte das ernst gemeint, als er sagte, er würde ihr nicht von der Seite weichen. Und da er zu Mr. Hyde wurde, wenn er in der Küche stand, wollte er diesen Faktor von vornherein ausklammern.
      "Wollen Sie beide einen Tee oder einen Kaffee?", fragte Luela und deutete über die offene Arbeitsfläche der Küche und das Esszimmer hinweg in Richtung Wohnzimmer, wo auf dem kleinen Kaffeetisch bereits eine kleine Auswahl an Snacks stand. In weiser Voraussicht hatte Luela den "Nachmittagstee" bereits vorbereitet.
      "Ich nehme einen Kaffee bitte. Schwarz, zwei Löffel Zucker", antwortete Carson.
      Sein Kaffeekonsum war in letzter Zeit wieder enorm in die Höhe geschossen. Daran würde er arbeiten, während sie hier waren. Er musste seine Mitte wiederfinden und dafür gab es keinen besseren Ort als diesen.






    • Julia lächelte der Köchin dankbar zu. Sie war immer noch von dem riesigen Haus etwas erschlagen. Dagegen war die freundliche und unbeschwerte Art der Frau eine willkommene Abwechslung. "Ich hätte gerne einen Kaffee mit etwas Milch. Vielen Dank.", antwortete sie auf die Frage und verkniff es sich hinzuzufügen, dass die Köchin sich aber nicht zu viele Umstände machen sollte. Seit ihrem Aufenthalt im Keller kam Julia jedes Gericht und jedes noch so einfache Getränk wie ein Festmahl vor. Im Krankenhaus hatte man mit ihr geschimpft, weil sie zu viel Gewicht verloren hatte, aber Julia war sich sicher, dass es den Ärzten nicht anders ergangen wäre, wenn sie an ihrer Stelle gewesen wären. Und mit Luelas Hilfe würden die Kilos sicher schon bald wieder zurück kehren.

      Während der ganzen Zeit hielt sie Carsons Hand und ließ diese auch nicht los, als sie den Raum erreichten, in dem sie ihren Kaffee serviert bekommen würden. Julias Blick fiel zuerst auf die riesigen Fenster, die bis zum Boden reichten und einen guten Ausblick auf den gut gepflegten Gartenbereich gaben. "Es ist wirklich schön hier.", sagte sie zum wiederholten Male. Trotzdem war diese Aussage jedes Mal ernst gemeint. Hinter jeder Ecke schien sie etwas zu entdeckten, was ihr gefiel.
      "Danke, dass du dir so viel Mühe für mich gemacht hast." Sie wandte sich wieder Carson zu und lächelte zu ihm hinauf. Ihr Herz fühlte sich auf einmal so voll an, als könnte es all die Liebe, die sie für diesen Mann empfand, nicht festhalten. In den letzten Wochen war ihr Leben leer gewesen. Aber nun, da sie seine Hand halten konnte, fühlte sie sich wieder komplett und dieses Gefühl wollte sie nie wieder hergeben.
    • "Für dich nur das Beste, das weißt du doch", entgegnete Carson mit einem Lächeln.
      Auch er ließ seinen Blick über den Garten wandern. Er war lange nicht mehr hier gewesen. Er hatte es nicht gebraucht. Jetzt schon. Und Julia brauchte es auch.
      Zusammen setzten sie sich auf die große Couch und genossen den Ausblick für eine kleine Weile. Luela brachte ihnen ihren Kaffee und ließ sie dann in Ruhe.
      "Irgendwas, was du unbedingt tun willst?", fragte Carson nach einer kleinen Weile, die er Julia einfach nur still im Arm gehalten hatte, "Schwimmen? Spazieren gehen? Den Himmel anschreien? Ich bin nicht gut darin, emotionale Unterstützung zu liefern..."
    • "Schwimmen? Mr. Davis, sind Sie sicher, dass sie mich nicht nur in Badesachen sehen wollen?" Es tat gut einmal wieder so ungezwungen zu scherzen und zu vergessen, was in den letzten Wochen passiert war. Doch schnell wurde Julia wieder ernst.
      "Du gibst mir so viel Unterstützung, ohne dich wäre ich verloren." Sie lehnte ihren Kopf gegen Carsons Schulter. Egal wie nah sie sich waren, es schien nie genug zu sein. Die Angst, dass er plötzlich wieder verschwinden könnte, war immer noch teil ihrer Gedanken. Wie eine kleine, flüsternde Stimme, die einfach nicht still sein wollte. "Spazieren gehen klingt nach einer guten Idee. Die Gegend ist so schön, es wäre schade, wenn wir nur drinnen sitzen und sie uns nicht ansehen." Einen Moment lang schwieg sie, während sie ihren Blick wieder in Richtung des Fensters wendete. "Wenn ich ehrlich bin, möchte ich gerade einfach nur in deiner Nähe sein. Bis mein Kopf ganz verstanden hat, dass das hier nicht nur ein schöner Traum ist und du wirklich bei mir bleibst."
    • Im ersten Augenblick war Carson verwirrt. Spielten sie jetzt wieder ihr gelegentliches Spiel, das sie in neunzig Prozent der Fälle dazu brachte, nicht-jugendfreie Dinge anzustellen?
      "Dann lass uns doch nachher eine kleine Tour durch den Garten drehen", schlug er vor und nippte an seinem Kaffee, "Zum Schwimmen ist es sowieso zu kalt, das war ein blöder Vorschlag, um ehrlich zu sein. Und hier drin habe ich leider keinen Pool. Im Keller ist bloß ein kleines Fitness-Studio mit Sauna..."
      Für den Bruchteil einer Sekunde ließ Carson die Hand seiner Liebsten los, aber nur, um seinen Arm um ihre Schultern legen zu können.
      "Ich habe nicht vor, zu gehen. Und ich habe nicht vor, bloß in einem Traum zu enden, falls dich das beruhigt. Und wenn ich nur ein Traum bin, dann werde ich alles tun, um real zu werden. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich kein Traum bin. Wir haben jeweils nur zehn Finger, können nicht unter Wasser atmen und die Buchtitel da hinten kann ich alle lesen."
      Damit bezog er sich auf einen Bericht, den sie mal zusammen gesehen hatten, als sie einen Sonntag zusammen auf der Couch gelegen hatten. Darin ging es um Klarträume und wie man testen konnte, ob man selbst träumte. Aus welchem Grund auch immer diese Informationen in Carsons Hirn stecken geblieben waren...
    • "Das klingt nach einer guten Idee", stimmte Julia zu, auch wenn ein kleiner Teil von ihr enttäuscht darüber war, dass Carson ihren Kommentar einfach so fallen ließ und nicht mit ihr schwimmen gehen wollte. Sie hatte sich schon ein paar Mal gefragt, ob sie nach ihrer Zeit im Keller für ihn nun unattraktiv geworden war. Vielleicht hatte sie wirklich zu viel abgenommen...
      Nachdenklich nahm sie einen Schluck von ihrem Kaffee und lehnte dann ihren Kopf gegen Carsons Schulter. Einen Moment lang betrachtete sie die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen und ein Muster auf dem Boden verursachten. Gleichzeitig zwang sie sich, ihre negativen Gedanken wieder zurück in den hintersten Teil ihres Kopfes zu verbannen. Carson machte sich einfach nur Sorgen, mehr steckte nicht hinter seinem veränderten Verhalten. So musste es sein.

      Als der Geschäftsmann begann zu begründen, wieso er kein Traum sein konnte, warf Julia ihm erst einmal einen verwirrten Blick zu. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie sich an den Film erinnerte und seine Worte für sie einen Sinn ergaben. "Das klingt irgendwie romantisch.", gab sie mit einem leisen Kichern zu. "Selbst wenn du ein Traum wärst, wärst du zumindest ein unglaublich schöner Traum." Mit diesen Worten lehnte sie sich wieder zurück in die sichere Umarmung ihres Freundes und nahm einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee.
    • "Willst du damit sagen, ich bin dein Traummann?", stichelte Carson ein wenig.
      Er biss sich sofort danach auf die Zunge. Jetzt war nicht die Zeit für dumme, eventuell zweideutige Witze. Julia musste sich erholen, körperlich und geistig. Carson würde alles tun, um seinen blöden Männerverstand davon abzuhalten, irgendwas Dummes zu tun oder zu sagen.

      Nachdem er seinen Kaffee geleert und ein paar Kekse vom Tisch verputzt hatte, machten sie sich auf ihre kleine Tour durch den Garten.
      Die Hecken und Büsche waren frisch getrimmt, das Wasser plätscherte in aller Ruhe vor sich hin. Im Garten lag kaum Laub herum, was einerseits der Jahreszeit, andererseits einem fleißigen Team von Gärtnern geschuldet war. So weit ab vom Schuss konnte man weder Straßen- noch Fluglärm hören. Ein paar Vögel machten sich bemerkbar. Es waren die, die hart genug für den Winter waren und die, die sich im Abflugdatum um ein, zwei Monate verschätzt hatten und jetzt keine Lust hatten, wieder zu gehen. Ansonsten war es hier draußen außerordentlich still. Es war diese entspannende Ruhe mit Hintergrundgeräuschen, die entspannten. Carson hatte das immer gemocht. Er hoffte, dass es Julia half, mit allem fertig zu werden.
      "Ich habe eine Psychologin für dich engagiert. Ich habe Andrew gefragt, ob er mir da jemanden empfehlen kann und er hat mir die Nummer von der gegeben, die dich schonmal betreut hat. Ich weiß, dass ich das über deinen Kopf hinweg entschieden habe, aber ich dachte, es hilft dir vielleicht. Wie gesagt, ich bin wirklich schlecht in sowas. Ich rede zu viel, ich sage das falsche, ich tue das falsche, ich reiße schlechte Witze, die an sich schon traurig sind... Entschuldige, ich rede schon wieder zu viel."
      Carson seufzte.
      "Jedenfalls... ich hab dir jemanden zum Reden besorgt. Du musst dir um nichts Gedanken machen, solange wir hier sind. Sag mir einfach, was du willst und ich besorge es dir."
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