[2er RPG] Blood Kingdom

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    • David zog Emilia ohne Vorwarnung an den Füßen ein Stück von der Wand weg, damit er sich hinter sie setzen konnte. Er legte seine Hände auf ihre Schultern, dann begann er erstaunlich sanft damit, ihren Nacken zu massieren.
      "Du hast heute schon mehr als genug geblutet und ich war dir nahe genug, um es ausreichend zu riechen", antwortete er, "Aber im Gegensatz zu deinen Wunden, die mit meinem Blut innerhalb einiger Stunden heilen können, habe ich keine Hilfsmittel, um das Monster wieder anzuketten. In diesem Punkt hast du mir etwas voraus: Du kannst mehr Training in einer kürzeren Zeitspanne hinter dich bringen."
      Er arbeitete sich langsam Emilias Rückgrat hinab, dann wieder hinauf und ihre Arme entlang, um die Durchblutung in den überarbeiteten Muskeln anzuregen und die Spannung rauszumassieren.
      "Dein Training wird sich meinem in gewisser Weise anpassen. Tage wie heute mit wenigen Verletzungen werden auf Tage mit schweren Verletzungen folgen. Es hilft dir bei der allgemeinen Heilung und mir bei der Kontrolle. Je mehr Kontrolle ich habe, desto härter wird dein Training. Je härter dein Training wird, desto besser wirst du als Jäger. Je besser du als Jäger wirst, desto besser wird meine Kontrolle werden müssen."
    • Als David Emilia an den Füßen packte hatte sie sich direkt zusammengezogen und angespannt, vorbereitet um ihm notfalls ins Gesicht zu schlagen. Grimmig beschrieb ihren Ausdruck nicht im geringsten - dieser wich allerdings, kaum hatte er sich hinter sie gesetzt. Sie holte schon Luft um Fragen zu stellen, da spürte sie seine Hände alles andere als böswillig an ihrem Nacken. Ob sie's wollte oder nicht, sie schmolz umgehend wie weiche Butter. "Lass bloß keinen wissen, dass du das kannst... Die Weiber rennen dir sonst die Hütte ein..."
      Leider war sie immer hin und her gerissen zwischen dieser Entspannung und dem Schmerz, wenn er einen ihrer zahlreichen Blutergüsse erwischte. Als er bei ihren Armen war, ließ sie sich zurückfallen bis ihr Rücken an seiner Brust gelehnt war. Ihr Kopf fiel an seiner Schulter angelehnt etwas nach hinten ab, ihre Augenlider waren geschlossen während sie im Hier und Jetzt verweilte.
      "Genau diese sich abwechselnden Tage hatte ich auch im Sinn. Schon fies, wenn man weiß, dass man morgen wieder platt gemacht wird. Wenigstens fühl ich mich nicht mehr ganz so nutzlos. Wenn du's nämlich so formulierst, profitieren wir tatsächlich beide von diesem Deal."

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      "I rather trust and regret than doubt and regret"
    • "Wer sagt denn, dass ich morgen schon soweit bin?", fragte David zurück und ließ nicht durchblicken, wie es um sein inneres Monster stand.
      Ein bisschen Überraschung sollte schon noch im Spiel sein, wenn es um Emilias Training ging.
      "Zumal ich dich auch fertig machen kann, ohne dass du auch nur einen Tropfen Blut verlierst, aber das zu erwähnen wäre Haarspalterei."
      Ja, ja er grinste, als er diese Aussage tätigte. Emilia schaffte es irgendwie, alle seine Mauern kaputt zu hauen. Und wenn er ehrlich war, dann war David es leid, alles dahinter verstecken zu müssen. Emilia hatte recht gehabt, als sie damals einfach bei ihm aufgekreuzt war und beschlossen hatte, dass er sie unterrichten sollte. Er brauchte hin und wieder ein bisschen menschlichen Kontakt.
      "Außerdem müssen wir zwischendrin auch immer mal wieder ein paar Lieferungen erledigen. Ich kann nicht schon wieder alles stehen und liegen lassen, nur weil es Spaß macht, dich mit Dingen zu bewerfen."
    • "Kannst du das? Würd mich ja schon interessieren. Obwohl's bei mir vermutlich einfach wäre... Zerquetsch mir einfach ein Organ und lass mich links liegen, dann sollte es das schon gewesen sein."
      Auch Emilia war es aufgefallen, dass David auf einmal viel nahbarer, menschlicher, wirkte. Er war schon länger nicht mehr der kalte Klotz am Standrand, der am liebsten alles allein und für sich getan hätte. Ganz leise und listig hatte sie sich in seine Welt geschlängelt und sich wie Unkraut drin festgesetzt.
      Nun lächelte auch sie. "Wusste doch, dass es dir Spaß macht. Guck nicht immer so griesgrämig, dann kauft man dir das auch ab. Einen Ausflug mach ich doch gerne mit dir."
      Beiläufig piekte sie mit ihren Zeigefingern auf Davids Oberschenkeln herum. "Wie sieht das eigentlich bei dir aus? Kennst du sowas wie Muskelkater überhaupt? Oder klingt das einfach so schnell ab, dass du es einfach nicht merkst?"
      Es gab so viele Kleinigkeiten, die seinen Sondernfall betrafen, die ihr erst im Nachhinein auffielen. Sie würde vermutlich später ein wandelndes Lexikon sein, was Hybriden betraf.
      "Kommst du wenigstens heute mit rein? Ich hab wirklich ein schlechtes Gewissen, wenn du wieder auf dem Dach schläfst."

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    • "Oh und wie ich Muskelkater kenne. Er funktioniert bei mir nur anders, das ist alles."
      David konnte sich in seiner momentanen Position nicht weiter bewegen und erreichte Emilias Beine nicht wirklich, daher hörte er auf mit seiner kleinen Massage.
      "Momentan würde ich keinen kriegen, aber Ende dieser Woche werde ich wahrscheinlich schon welchen haben, wenn ich mich nur am Kopf kratze."
      Er ließ seine Hände locker auf Emilias Oberschenkeln liegen und lehnte den Kopf gegen die kalte Steinwand seiner Hütte. Seine eigenen Verletzungen brannten, aber er blendete es für den Augenblick aus.
      "Dann schlafe ich aber auf dem Boden, damit du genug Platz hast", meinte er schließlich.
      Er schlief ständig auf dem Dach, Emilia hatte in dort auch schon einige Male gesehen. Warum bestand sie auf einmal darauf, dass er drinnen bei ihr bleiben sollte? Er verstand das nicht ganz.
    • Völlig entspannt betrachtete Emilia Davids Hände auf ihren Oberschenkeln. Auch sie waren durch den Rat gezeichnet. Statt sich jedoch das Hirn zu zermatern genoß sie vielmehr das hier und jetzt. Diese Momente, die einfach mit der Zeit dahinflossen, waren selten hier unten. Für gewöhnlich gab es in jeder Sekunde etwas zu tun weshalb sie diese Zeit ausschöpfte soweit es nur ging. Für sie war es auch das erste Mal, dass sie einem nicht Blutsverwandten so nahe kam. Es war alles andere als ein unangenehmes Gefühl. Mit ihren Fingerspitzen glitt sie in die Zwischenräume davon Davids Fingern bis ihre Hände auf seinen lagen.
      "Mh... Ich hab einfach das Gefühl, dass ich dich aus deinem Zuhause verdränge. Das stört mich halt."
      Die Vorstellung allein, dass sie beide gemeinsam in seinem kleinen Bett lagen, war dermaßen fernab, dass sich Emilia das Bild nicht einmal in Gedanken projezieren konnte. Für's Erste war sie einfach nur froh, ein Stückchen durch seine unnahbare Schale gekommen zu sein. "Sag mal, bin ich neben deinem Ausbilder die Einzige, bei dem du mal du selbst bist? Oder hattest du noch andere... Freunde? Wir hatten ja mal drüber gesprochen, dass du alle anderen überlebst und das eigentlich nicht so angenehm ist... Aber ich bin ja jetzt schon zu dir durchgekrochen. Von daher...." Ihr Lächeln wurde breiter und man hörte es an ihrer Stimme auch ohne ihr ins Gesicht zu blicken.

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    • David zog seine Hände zurück, als Emilia kurz davor war, ihre Finger miteinander zu verschränken. Beinahe hätte er es zugelassen. Aber sie hatte ihn mit ihrer Frage daran erinnert, warum er das nicht tun durfte. Warum er anderen nicht zu nahe kommen durfte.
      "Wenn du so alt bist wie ich, dann ändert sich deine Perspektive auf das Leben", antwortete er, "Man ist verletzlich, wenn man sich öffnet und wofür? Selbst wenn dich jemand sein gesamtes Leben lang nicht einmal emotional verletzt wird es doch tun in dem Augenblick, in dem er stirbt. Es ist einfacher, niemanden reinzulassen, wenn man weiß, dass man alle überleben wird. Mein Ausbilder hat mich geknackt, weil ich noch keine Schale hatte. Ich war ein verletzter, traumatisierter kleiner Junge. Du hast mich geknackt, weil du so lange mit Steinen geworfen hast, bis es mir zu langweilig wurde und ich das Fenster geöffnet habe."
      Das klang härter als David beabsichtigt hatte, besaß aber eine gewisse Wahrheit. Er hatte gehofft, dass Emilia einfach weggehen würde, wenn sie sich als die mutigste aus dem Dorf bewiesen hatte. Als diejenige, die tatsächlich mal mit dem gruseligen Typen am Rand des Dorfes geredet hatte. Niemand konnte dann noch behaupten, näher rangekommen zu sein.
      "Du wirst auch sterben. Wahrscheinlich bringt dich ein Vampir um. Vielleicht schaffst du es, lange genug zu überleben, um selbst eine Familie zu gründen und dein Wissen weiterzugeben. Ich werde da sein. Ich werde praktisch keinen Tag älter. Und dann stirbst du und ich bin wieder allein. So läuft das immer. Daran wirst du nichts ändern können und ich noch weniger. Um deine Frage zu beantworten: Ich hatte Freunde. Eine Menge. Vor langer Zeit, als die Menschen sich noch nicht alle wie feiger Asseln in den Eingeweiden des Planeten versteckt haben. Damals hatte es ein riesiges Netz aus Jägern gegeben und sie alle waren meine zweite Familie geworden. Ich habe mich mit vielen angefreundet. Über Jahre hinweg. Immer neue Leute kamen. Und irgendwann waren sie alle weg und nur noch ich war übrig. Es gab zwei Punkte in meinem Leben, die mich zerstört haben. Der erste war die Ermordung meines Vaters. Der zweite war die Eliminierung meiner Freunde."
      Er stand auf und tigerte ein bisschen hin und her. Wie das letzte Mal, als er sich vor Emilia so geöffnet, so verletzlich gemacht hatte, hatte er auch Hummeln im Hintern gehabt. Es machte ihn unruhig und löste in ihm den Instinkt aus, in Bewegung zu bleiben, damit ihn nichts treffen konnte. Natürlich war das Schwachsinn, aber er konnte ich nicht dagegen wehren. Aus dem gleichen Grund mied er auch sämtlichen Augenkontakt mit Emilia. Es war, als wäre ihr neugieriger Blick das, wovor er sich schützen musste. Als bohre sich dieser Blick in seine Seele wie ein Messer in seine Haut.
    • David hinterließ eine kalte Lücke an Emilias Rücken. Kurz dachte sie, sie hätte ihn zu sehr an einer seiner Verbrennungen berührt. Stattdessen hielt sie kurz den Atem an, als er den Vergleich mit den Steinen brachte. Wenn er das so sieht, dann nimmt er meine Anwesenheit doch noch als Störung auf, schoss es ihr direkt durch die Gedanken und ein unangenehmer Stich blitzte kurz in ihrer Magengegend auf. Sein unruhiges Verhalten hatten sie schon einmal beobachten können, doch dieses Mal war es keine Wut, kein beleidigt sein, was ihre eigenen Gefühle prägte. Zuerst noch folgten ihre Augen seiner Silhouette, dann drifteten sie jedoch zur Seite ab.
      "Ich lag falsch zu denken, dass dein menschlicher Teil überwiegt", durchbrach Emilias Stimme trocken und hart die Pause, die sie nach Davids Rede hatte entstehen lassen, "Gerade weil wir so viel kürzer leben empfinden wir jede Sekunde zig mal intensiver als ihr. Wir sind nicht so stark, dass wir uns alleine durch die Welt kämpfen müssen. Wir lassen uns aufeinander ein nicht nur wegen des Nutzens sondern weil wir den Moment über den Verlust der Zukunft stellen."
      Mühselig kämpfte sich das Mädchen auf die Beine nur um festzustellen, wie weich sie sich gerade anfühlten. "Klar sterb ich auch irgendwann. Ist der Lauf der Dinge. Aber ich entscheide selbst, was ich wie bis dahin machen will." Noch immer schwang die Härte in ihrer Stimmlage aber die Fassade begann zu bröckeln, ganz still und leise. "Aber ich besitze was, das dir anscheinend fehlt. Empathie. Ich versetz mich mal in Andere bevor ich das Maul aufmache. Damit ich weiß, welche Worte meinen Gegenüber verletzen. Für meine Familie würde ich über Leichen gehen. Das galt eigentlich auch für dich."
      Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand in seiner Hütte. "Gib mir ein paar Minuten, dann nerv ich dich nicht mehr", fügte sie resigniert hinzu und lehnte sich von innen gegen die Tür, die sie in die Angeln fallengelassen hatte. Noch nie hatten Worte sie so sehr getroffen wie jetzt und das Fehlen jeglichen Fünkchen Zorns erschien ihr mindestens genauso falsch. Sie sollte sauer auf ihn sein, wütend wegstürmen um dann doch wieder zurückzukommen um weiter zu trainieren. Stattdessen war von ihr im Moment nichts anderes als ein trauriger nasser Sack übrig. Sie verstand Davids Denkweise, sehr sogar, und trotzdem konnte sie das enge Gefühl aus ihrer Brust nicht verbannen. Es würde ein paar Minuten brauchen, in denen sie all diese Emotionen kleinmachte, in einen Ball presste und irgendwo in ihrem Inneren einschloss. Wie Menschen das nun mal machten.

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    • Davids Kiefer mahlten. So war das nicht gedacht gewesen. Wieder einmal hatten seine fehlenden sozialen Kompetenzen dazu geführt, dass er etwas kaputt machte, was eigentlich wundervoll war.
      Er stemmte die Hände gegen den steinernen Türrahmen und lehnte die Stirn gegen das alte Holz.
      "Emilia..."
      Was sollte er schon sagen? Er wusste ja nicht einmal, was genau er falsch gemacht hatte.
      "Du hast das Ende der Geschichte nicht gehört", sagte er schließlich, "Nachdem die Vampire die Jäger vernichtet und den Rest der Menschheit in den Untergrund gejagt hatte, wanderte ich durch die Welt. Ich war ein bisschen verloren. Naja, eigentlich war ich ziemlich verloren. Aber ich war kein kleiner Junge mehr. Ich habe weiter gejagt. Haben jeden Vampir getötet, den ich finden konnte. Aber das machte keinen Unterschied, weil ich immer nur die kleinen Fische erledig habe. Also bin ich auch unter die Erde gegangen und habe angefangen, den Menschen zu helfen. Du hast mal gesagt, mich vom Dorf fernzuhalten sei kein Sozialisieren. Du hast Recht. Das ist es nicht. Trotzdem habe ich mir das Jahrzehnte lang eingeredet. Und dann kamst du. Du hast diese Steine gegen mein Fenster geworfen, bis ich es aufgemacht habe. Und dann hast du einen Keil reingesteckt, damit ich es nicht mehr zumachen kann. Und weißt du was? Die frische Luft gefällt mir. So sehr, dass ich die anderen Fenster auch noch aufgemacht habe."
      Er öffnete vorsichtig die Tür zu seiner Hütte und stützte Emilia mit seinem Schienbein, sobald er sah, dass sie sich von innen gegen die Tür gelehnt hatte.
      "Und gestern, als ich mich entschieden habe, dich zum Jäger auszubilden, habe ich auch noch die Tür aufgemacht, damit du nicht immer durch das Fenster klettern musst", beendete er seine kleine Geschichte, "Das Leben ist besser, wenn man jemanden hat, um es zu teilen. Ich könnte genauso gut von einem Vampir getötet werden, wie du. Jedesmal, wenn ich da hoch gehe. Ich habe immer noch Angst davor, mich zu öffnen, jemanden reinzulassen. Aber wie du so schön gesagt hast: Du bist ja schon drin."
    • Emilia überlegte lange und ausgiebig ohne auch nur ein Wort von sich zu geben. Sie hatte sich schon länger gedacht, dass David wie ein Wahnsinniger Vampire gejagdt haben musste nachdem er in den Untergrund abgehauen war. Zwar hatte sie nicht erlebt, was seine Augen einst sahen, doch konnte sie sich seinen Schmerz grob ausmalen. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, seufzte sie hörbar und stieß sich von der Tür ab. Prompt schwang diese auf nachdem ihr Gewicht als Stopper verschwunden war.
      "Glaub mir, wenn ich dir auf den Sack gehen wollen würde, ziehe ich das ganz anders auf."
      Dieses Zeitfenster hatte ausgereicht damit Emilia sich festigen konnte. Trotzdem musste sie sich mit beiden Händen über das Gesicht fahren, um das starre Gefühl loszuwerden. "Sorry für den Ausbruch. Schieb's am besten auf die Hormone oder so", versuchte sie die Stimmung wieder etwas aufzuhellen. Der Tag neigte sich schließlich dem Ende zu, da musste man keine harte Kost verdauen.
      "Ich hab ja auch meine Geschichten, die nicht so toll sind. Auch wenn es makaber klingt, immerhin weißt du definitif, dass dein Vater fort ist. Wir haben keine Ahnung, ob mein Vater noch lebt oder nicht. Er war eines Tages halt einfach weg. Ich will oben einfach nur Gewissheit für mich haben. Ob er's gepackt hat oder nicht. Das ist das eigentliche Ziel, das ich verfolge."
      Unterdessen hatte sich Emilia den Lappen abermals gesucht und in dem Wasserfass ausgewrungen. Damit wischte sie sich über die Arme wobei sie feststellte, dass die blauen Flecken scheinbar bereits blasser wurden.

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    • David war erleichtert. Scheinbar war alles wieder in Ordnung zwischen ihnen beiden. Vorerst. Das Training würde nur noch härter werden und Wutausbrüche würden stattfinden. Aber jetzt genoss er erstmal seinen kleinen Erfolg in einer sozialen Interaktion.
      "Wie wäre es, wenn wir die ganzen Leidensgeschichten für heute sein lassen und ich uns was zu essen mache?", fragte er und trat an seine kleine, primitive Küche heran, "Bei deinem Kalorienverbrauch musst du ordentlich was in dich reinschaufeln."
      Mit flinken Fingern bereitete David etwas zu, das proteinreich genug war, um Emilias aktuell beschleunigten Stoffwechsel zufrieden zu stellen. Es war kein fünf Sterne Menü, aber es ging hier ja auch eher um Arbeit, nicht um die Kür. Und es schmeckte, so gut es eben konnte.
      "Ich kann dir keine Versprechungen wegen deinem Vater machen", riss er das Thema beim Essen dann doch wieder an, "Ich kenne keinen Menschen, der in diesen Zeiten so lange überirdisch überlebt hat. Früher ging das, aber nicht seit die Jäger vernichtet wurden. Es gibt immer die Ausnahme, die die Regel bestätigt - eine sitzt vor dir - aber die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich gering."
      Emilia dürfte das alles schon wissen, aber David wollte nicht, dass sie mit einer falschen Vorstellung an ihr Training heranging. Er brachte ihr bei, sich zu verteidigen und Vampire zu jagen. Das hieß nicht, dass sie gleich losstürmen und ihren Vater suchen konnte, der höchstwahrscheinlich schon vor Jahren gestorben oder in einer der Farmen gelandet war.
    • "Ich bin nicht blauäugig. Hoffnungen hab ich keine, aber vielleicht finde ich wenigestens eine Spur, warum er nie wiederkam."
      Dankbar nahm Emilia das Essen von David an. Ihr Magen war mittlerweile erwacht und forderte seine Mahlzeit ein. Auch ihr war klar, dass die beschleunigte Regenaration massiv an ihren Ressourcen zerrte. Deshalb hielt sie sich nicht sonderlich zurück sondern aß so viel, wie es ihr Energiespeicher verlangte.

      Einige Zeit später lag Emilia in Davids Bett, etwas weiter hinten im Raum hatte sich ihr Meister sein Lager aufgebaut. Zwar wollte sie ihm einreden, er müsse sich wenigstens eine ordentliche Unterlage besorgen, stieß bei ihm jedoch nur auf Granit und ließ es bleiben. Im Gegenzug zu letzter Nacht besaß sie nun noch genug Energie, die sie in seltsame Träume verwandeln konnte. Es waren nur Fetzen, einzelne Bröckchen, die sich zu keinem zusammenhängenden Bild zusammensetzen ließen.
      Um sie herum stehen Gestalten in menschlicher Form. Ihre Gesichter kann sie nicht sehen, zu verschwommen erscheinen sie. Ihr kleiner Körper wehrte sich rigoros gegen den Griff von einem dieser Männer in Weiß. Ihre Stimmen versteht sie nicht, nur Laute dringen an ihr Ohr. Sie spürt Angst, eine so tiefliegende Angst wie nie zuvor. Sie erinnert sich an das Prozedere, an den Ablauf. Einer der Männer verletzt sich am Arm und drückt ihr diesen auf den Mund, als wolle er sie ersticken. Sie tritt um sich wie wild, schreit gedämpft durch den Arm vor ihrem Mund. Dann hält man ihr die Nase zu und sie muss das schlucken, was mittlerweile an ihrem Kinn herunter läuft. Es brennt wie Säure, ihr kleiner Magen dreht sich um. Doch man hält sie davon ab sich zu übergeben und gibt sie frei. Dann - Dunkelheit.

      Der nächste Fetzen setzt ein. Der Raum von vorhin ist völlig verwüstet, überall liegt zerstörtes Mobilar. Etliche der Männer liegen verwundet am Boden, manchen sind die Augen ausgekratzt worden. Sie sieht ihre Hände an, die in Blut getränkt sind. Unter ihren Nägel kleben ekelige Stückchen. Als sich urplötzlich Schmerzen in ihr ausbreiten, geht sie in die Knie, weinend. Sie will sich selbst in die ARme nehmen, kann aber den linken Arm nicht heben. Sie sieht nach links und schreit in Terror. Ihr eigener Oberarmknochen durchbohrt ihr Fleisch und ragt heraus.

      Emilia schreckte aus dem Schlaf hoch. Sie war schweißgebadet und hatte Mühe, den Pseudoschmerz als solchen einzuordnen. Sie musste erst einmal durchatmen, sich beruhigen. Ihr Blick schielte zur Seite, wo David noch immer lag. Also hatte ihr Traum ihn wenigstens nicht geweckt. Total fertig strich sie sich über das Gesicht und massierte ihre Schläfen. Der Traum hatte ihr furchtbare Kopfschmerzen eingebracht, weshalb sie sich wieder in die Kissen sacken ließ. Nach SChlaf war ihr nicht mehr zumute, aber vielleicht verschwanden dann die elenden Kopfschmerzen. Der Traum erschien ihr nicht als solcher. Vielmehr fühlte es sich an wie verdrängte Erinnerungen.

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    • David hatte sich wie in der Nacht zuvor lediglich mit einem Kissen zufrieden gegeben. Er hatte einen Tisch etwas verschoben und sich dann in etwa einem Meter Abstand zum Bett einfach auf den kühlen Steinboden gelegt. Zuerst hatte er eine Weile an die Decke gestarrt, dann aber, als Emilia eingeschlafen war, hatte er sie eine kleine Weile betrachtet und sich von ihrer ruhigen Atmung einlullen lassen, bis ihm schließlich die Lieder doch zugefallen waren. So schnell war er bei Sonnenuntergang nur selten eingeschlafen. Und so tief hatte er auch schon lange nicht mehr geschlafen. Er lag da wie eine Leiche, rührte sich praktisch gar nicht, abgesehen von kaum wahrnehmbaren Heben und Senken seines eigenes Brustkorbes. Im Gegensatz zu seiner Theorie, Emilia die ganze Nacht über zu riechen würde das Monster wecken, passierte gar nichts. Und am nächsten Morgen war er so ausgeschlafen wie schon lange nicht mehr.
      Leise stand er auf, nicht wissend, ob Emilia noch schlief, und machte ein reichhaltiges Frühstück für sie beide. Mit seiner Portion setzte er sich dann wieder raus auf's Dach, während er ihre wie am Vortag neben dem Bett abstellte.
      Während er so auf dem Dach saß und das Dorf aus der Ferne beobachtete, wie es langsam zum Leben erwachte und die Menschen ihrer Arbeit nachgingen, musste er an die andere Siedlung denken, die vielleicht in der näheren Umgebung sein konnte. Momentan hatte er keine Zeit, danach zu suchen, aber früher oder später musste er losziehen, nur um sicher zu gehen.
      Er befühlte sein Gesicht, nur um zusammenzuzucken, als er die Brandwunde berührte. Seine Verletzungen hielten sogar noch langsamer als er erwartet hatte. Es war ja auch schon eine Weile her, seit er sich das letzte Mal mit Brandwunden hatte auseinandersetzen müssen. Noch dazu war es damals normales Feuer gewesen und kein glühender Stahl. Er würde wohl noch eine ganze Weile mit den Zeichnungen des Rates rumlaufen müssen. An sich nichts, was ihn störte. Abgesehen von der Tatsache, dass er sich an nichts anlehnen oder ein Shirt - geschweige denn eine schwere Tasche mit Vorräten von oben - anziehen konnte. Das nervte dann doch ein gehöriges Bisschen.
      Er wartete dort oben, bis Emilia bereit war, sich dem Tag zu stellen, der genauso frustrierend für sie laufen würde, wie der gestrige. Aber so war das Training nun einmal. Der Frust gehörte einfach dazu. Nur so konnte sie wirklich besser werden.
    • Das leise Geräusch von klappernden Behältnissen drangen an Emilias Ohr und holten sie wieder aus ihrem Dämmerzustand zurück. Seit sie aus dem Traum aufgeschreckt war, hatte sie nicht ein Auge zugetan sondern abgewartet bis David sich erhob. Die gesamte Zeit über hatte er keinerlei Geräusche von sich gegeben, kein Schnarchen, kein Umherwälzen. Eigentlich war sie davon ausgegangen, er habe einen leichten Schlaf geschuldet den Umständen wegen.
      Erst als er ihr Frühstück wieder neben das Bett stellte und sich von Dannen machte, drehte sie sich auf die andere Seite um an der Kante des Bettes hinabzuschielen. Wie auch gestern war die Tafel reich gedeckt. Er machte sich also tatsächlich die Mühe, ihr etwas Ordentliches zu kredenzen. Warum er sich allerdings immer wieder auf das Dach zurückzog fiel ihr schwer, nachzuvollviehen. Sie runzelte etwas die Stirn bei dem Gedanken, dass er womöglich direkt über ihrem Kopf saß und allein sein Essen verspeiste. Nun etwas wacher erinnerte sich das Mädchen selbst daran, dass ihr Einsiedler es gar nicht anders kannte. Und dementsprechend seine Handlung auch nicht so überdramatisierte, wie sie es selbst vielleicht tat.
      Langsam setzte sich Emilia auf, wobei ihr Kopf drohend pochende Schmerzwellen durch ihren Schädel schicken ließ. Wissend, dass David sie hören konnte, sagte sie: "Um ehrlich zu sein wundert's mich, dass du denkst, ich schlafe noch."
      Es wunderte sie aufrichtig. Sie bezweifelte stark, dass er ihr das Essen wie gestern ans Bett gestellt hätte wenn er gewusst hätte, dass sie wach war. Vielleicht überinterpretierte sie aber auch nur wieder etwas. Sie ächzte leise während sie die Füße auf den Boden brachte und sich etliche Haare aus dem Gesicht wischte. "Du hast geschlafen wie ein Stein. Hätte nicht gedacht, dass du so einen Tiefschlaf hast." Sie selbst fühlte sich wie gerädert. Noch immer gingen ihr die Bilder nicht aus dem Kopf, die sie gesehen hatte und nicht einordnen konnte, was genau sie bedeuten mochten. Aber eine Theorie hatte sie schon, die sie demnächst mal überprüfen müsste.

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    • Ein Lächeln legte sich auf David's Miene, als er Emilia von drinnen hörte. Er antwortete jedoch nicht, da er hätte brüllen müssen, damit sie überhaupt etwas verstand. Also genoss er einfach nur seine Hälfte des Frühstücks, ehe er hinunter hüpfte und wieder nach drinnen ging.
      "Ich habe es bloß abgestellt und bin gegangen, weil ich dir deine Ruhe geben wollte. Mir ist es relativ egal, ob du wach bist oder nicht. Jeder braucht mal ein paar Minuten für sich und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen das gerade am Morgen brauchen. Zugegeben, ich bin auch ein Morgenmuffel."
      Er machte sein Geschirr sauber und räumte es wieder weg. Dann lehnte er sich mit dem Rücken an die kleine Küchenzeile und verschränkte die Arme vor der nackten Brust.
      "Was macht die Schulter?", fragte er.
      Er musterte Emilia ganz genau. Sie sah fertig aus und das nach nur einem Tag Training? Die nächsten Tage würden die Hölle für sie werden. Aber so musste das laufen. Anders konnte man nicht gegen etwas kämpfen, was von genau dort kam.
    • "Wunderbar. Der geht's fantastisch", nuschelte Emilia unverständlich, da sie ihr Gesicht in ihren Handflächen vergraben hatte und sich kräftig durchs Gesicht rieb. So tot wie jetzt hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Doch sie hatte kein Zeit, darauf Rücksicht zu nehmen. David würde seinen Plan wie angekündigt durchziehen und sie musste einfach mitziehen.
      "Ich hab was total absurdes geträumt. Es wirkte nicht wie ein Traum. Eher wie eine Erinnerung, die ich vergessen hatte", erzählte sie und fror in ihrer Bewegung ein. Verdeckt unter ihren Handflächen hatte sie ihre Augen geöffnet und starrte in die Dunkelheit, die von Lichtfetzen durchbrochen wurde, die zwischen den Lücken ihrer Finger hindurch drangen. David hatte ihr noch immer nicht erzählt, was gestern in der Zeit passiert war, an die sie sich nicht erinnern konnte. "Sag mal, hast du Lust, was auszuprobieren?", fragte sie plötzlich und bereits ihr Tonfall verriet Unheilvolles, "Ich kann dir nur nicht sagen, was passiert."
      Sie ließ die Hände sinken und legte sie ruhig auf ihre Oberschenkel ab. Ihr Blick suchte Davids, wobei sie mehrmals blinzeln musste um ihn scharf zu erkennen. "Du sagtest, es wird härter. Es gibt da etwas, das ich gerne überprüfen würde. Keine Ahnung, wohin die Reise dann geht, aber ich vermute einfach, dass du ernst machen musst. Wie schaut's aus?" Ein säuerlicher Geschmack tauchte auf einmal auf ihrer Zunge auf in böser Vorahnung. "Gib mir eine kleine Tasse voll mit deinem Blut und fünf Minuten, wenn du's ausprobieren willst."

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    • "Du willst eine ganze Tasse Blut von mir?", fragte David mit einem schiefen Lächeln und Unglaube in den Augen.
      Er schüttelte den Kopf und griff nach einem der Holzbecher, die er selbst vor Jahren gefertigt hatte. Aus seinem Gürtel zog er ein Messer, dass er sich über die Handfläche zog. Geduldig beobachtete er, wie sein eigenes Blut in den Becher tropfte. Nach etwa einem Viertel stoppte er den Prozess, indem er sich einen Stofffetzen um die Hand wickelte.
      "Ich habe eine böse Vorahnung von dem, was kommt", sagte er, als er sich mit dem Becher in der Hand umdrehte, "Daher würde ich es vorziehen, wenn wir das draußen erledigen. Ich habe keine Zeit, mir eine neue Behausung zu bauen, wenn ich dich nebenher trainieren soll. Ich habe so schon genug zu tun."
      Er ließ Emilia den Vortritt, dann drückte er ihr den Becker in die Hand und ging auf Abstand. Sicherheitshalber schob er alle Waffen, die hier frei herumlagen, auf Abstand. Sie würde auch so schon gefährlich genug werden.
    • Als Reaktion nickte Emilia nur, als sie David den Becher abnahm und sich auf den Weg nach draußen machte. Ihr Körper riet ihr, am Besten noch etwas Pause zu machen, aber sie hörte nicht auf ihn. Pausen waren Luxus und im Ernstfall würde sie auch keine machen können. Unweigerlich musste sie an die Traumfetzen denken und dass sie jetzt das tat, zu dem man sie damals möglicherweise gezwungen hatte. Sie verzog ihre Meine, als sie den Geruch von Eisen wahrnahm, bevor der Becher ihre Lippen berührte. Nach dem ersten Schluck überkam sie prompt ein Würgereflex, durch den sie beinahe den Becher hatte fallen lassen. Mit einem Schauder zwang sie sich fast den kompletten Inhalt des Bechers rein und stellte ihn draußen an der Hüttenwand auf den Boden ab. Sie schüttelte sich und setzte sich einfach zu Boden. Sie hatte keine großartige Kraft mehr in ihren Beinen und da sie nun sowieso warten musste, konnte sie das auch hier tun. "Meint du, es wäre schlauer gewesen, mich anzubinden oder so?"
      Noch bemerkte das Mädchen keine Veränderungen in ihrer Wahrnehmung. Scheinbar brauchte es etwas, bis das Blut verstoffwechselt wurde. Nur ihr rebellierender Magen machte sich bemerkbar, doch sie brachte ihn gedanklich zum Schweigen. David zu sagen, dass sie doch ein bisschen Angst vor dem hatte, was vielleicht passieren könnte, würde keinem von beiden weiterhelfen. Stattdessen saß sie einfach nur da, die Beine lang ausgestreckt und wartete darauf, dass etwas geschah.
      Es dauerte vielleicht eine weitere Minute, da fiel ihr das erste Anzeichen auf. Die Farben ringsherum wirkten intensiver, sie konnte den Eisengeruch aus dem Becher von ihrer Position aus riechen. Und sie konnte David leise atmen hören, wie er in einiger Entfernung mit verschränkten Armen da stand und sie musterte. "Es fängt damit an, dass sich die Sinne schärfen", klärte sie ihren Meister auf, damit er verstand, was genau in ihr vor sich ging.
      Emilia blinzelte mehrmals, als sie den roten Schleier am Rande ihres Sichtfeldes wieder aufsteigen sah. Dieses Mal wusste sie, warum und dass etwas mit ihr geschah, wodurch der Überraschungsmoment nicht mehr gegeben war. Sie würde gegen den Kontrollverlust so gut ankämpfen wie sie es zur Zeit vermochte. Ohne ihr bewusstes Zutun rappelte sie sich auf.
      "Es ist wie ein Ausnahmezustand. Mein Körper macht sich teilweise eigenständig und ich hab das Gefühl, als müsste ich was suchen", sagte sie und bemerkte, wie sich ihr Blick wieder an David festsaugte. Ganz langsam erschien seine Gestalt als bedrohlich. So bedrohlich, dass man sie ausschalten musste. Ein müdes Lächeln schlich sich auf ihre fahlen Lippen. "Keine Ahnung wie, aber ich kann den Vampir in dir ausmachen. Und das ist der Grund, warum ich dich angegangen bin. Es soll Vampire ausfindig machen und angreifen."
      Sie ächzte, als ein starker Zwang sie fast dazu genötigt hatte, nach vorn zu stürzen. Das Ergebnis ihrer Gegenwehr war ein erbärmliches Stolpern. Der rote Schleier zog sich immer dichter und es kostete sie immer mehr Mühe, ihn wieder zum Rande ihres Sichtfeldes zu verbannen.

      @Insane Pumpkin

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    • Da David nicht wie beim letzten Mal enden wollte, beobachtete er Emilia mit all seinen Sinnen. Er war vorsichtig, sehr vorsichtig.
      Die Veränderungen an dem Mädchen waren subtil und kaum zu erkennen. Meistens erkannte David erst etwas, wenn sie ihn darauf hinwies. Als sie aufstand, machte er sich innerlich bereit für einen Angriff. Stattdessen stolperte Emilia ein paar Schritte nach vorn, den Blick immer auf ihn gerichtet.
      "Es?", fragte er und tat zwei Schritte zurück, um den Abstand zu wahren.
      Er würde schnell genug reagieren können, sollte etwas passieren - zumindest hoffte er das - aber er wollte kein Risiko eingehen. Emilia hatte wesentlich mehr von seinem Blut intus als beim letzten Mal und wenn das hier so lief wie bei ihm, wenn er Vampirblut zu sich nahm, dann wurde sie mit der Menge stärker. In Anbetracht der Tatsache, dass sie ihm letztes Mal schon Schwierigkeiten gemacht hatte, keine allzu schönen Aussichten. Allerdings kam ihm eine Idee.
      "Du wehrst dich dagegen. Hör auf damit. Das macht das Raubtier nur aggressiver. Lass dich darauf ein, nutze es. Akzeptiere das Raubtier und nutze es, um zum Jäger zu werden. Es will dir nur helfen."
      Während er sprach konnte David die Stimme seines alten Lehrers hören. Nutze das Raubtier und richte es gegen deine Feinde. Dafür wurdest du geboren. David stand in der Nahrungskette über den Vampiren. Es war schwer zu glauben, dass es etwas gab, was noch weiter oben stehen könnte, aber nicht unmöglich. Die Natur machte das gern. Etwas stärkeres zulassen, um den Jäger zum Gejagten zu machen. Er hatte gelernt, seinen Fluch zu nutzen und seinen Job im Ökosystem dieser zerstörten Welt zu erfüllen. Emilia war bloß ein weiteres Raubtier in diesem endlosen Kreis von Leben und Tod. David konnte nur hoffen, dass sie lernte, es zu kontrollieren und gegen die wahren Monster zu richten. Ein Löwe und ein Tiger, gemeinsam gegen ein Rudel Hyänen. Das wäre doch mal was.
    • Beinahe hätte Emilia laut losgelacht, doch aus Angst die Kontrolle zu verlieren, erstarb es noch in ihrer Kehle. DAS soll mir helfen? Das will, dass ich Selbstmord begehe, dachte sie nur und achtete sorgsam darauf, den Schleier schön dort zu behalten, wo er gerade war. Si bezweifelte ernsthaft, dass einfaches Loslassen ihr Problem lösen würde. So viel, wie sie gerade von seinem Blut in sich hinein geschüttet hatte, würde sie vermutlich in den Versuch treiben, entweder David oder sich umzubringen. Oder alles andere. Wer wusste das schon.
      "Das ist kein Raubtier", sagte sie noch, bevor die nächste Welle ihren Körper überrollte und ihr ein gequältes Stöhnen entlockte.
      Mittlerweile erhielt sie den Eindruck, dass sie von hier aus kleine Härchen an Davids Körper sehen konnte. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihr war mehr als nur heiß. Es schien so, als wären einige Hirnschranken gelöst worden, die das menschliche Potenzial zum Selbstschutz eindämmten.
      Was auch immer das ist, hör auf zu spinnen und spiel mit mir zusammen. Ich will nicht David angreifen, ich will alle anderen Monster zumindest abwehren können.
      Emilia hielt sich den Kopf in einer seltsam eingefallenen Pose. Sie atmete schwer und konnte dabei zusehen, wie das Rot immer mehr Platz in ihrem Sichtfeld einnahm und ihr mittlerweile nur noch einen kleinen Kreis übrig ließ.
      Okay?
      ...Okay.
      Ganz langsam gab das Mädchen den Widerstand auf was sich dadurch bemerkbar machte, dass ihre krüppelige Haltung sich aufrichtete. So sehr, bis sie völlig aufrecht dastand und David unverholen anblickte. Ihr Ausdruck war gleichgültig, als müsse sie ihr Ziel ihr neu abstecken. Dann kippte auf einmal ihr Blick. Kalte Berechnung erschien in ihren Augen, die sich kaum merklich umschauten und die Umgebung nach Waffen sondierte. Sofort blieb ihr Blick beim Amboss und dem Schürhaken hängen und langsam setzte sie sich in Bewegung. Aber ihre ausgetreckte Hand verharrte in der Luft, zitternd.
      "Es... geht nicht. Es zwingt mich noch immer", presste sie zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor während sie noch immer die Stellung wahrte.

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